Philosophie
Wenn die Frage des Seins oder Nichtseins die Urfrage der
Philosophie ist, dann ist es wohl an mir, diese zweite Runde
unseres Gespräches zu eröffnen. Und ich will direkt an die
erste anschließen und also an dich, Anthroposoph, zurückfragen:
Wie sollen wir denn über den Tod oder das Ende vieles oder auch
nur irgendetwas aussagen können? Gilt nicht - lass mich jetzt
scherzen -, dass es über das Nichts nichts zu sagen gibt, außer
vielleicht, dass es eben gar nicht existiert?
Nun ist der Tod zwar real, aber er ist eben das Ende des
Realen, und wir können ihn möglicherweise hinauszögern, indem
wir möglichst gesund leben, aber verhindern können wir ihn
nicht.
Und auch der Gläubige kann ihn nicht verhindern, nur dass er
sich im Gottesgedanken einen faulen Ausweg erfunden hat, einen
Vorwand, den er über die unzufriedenstellende Realität
darüberlegt, um sie ertragen zu können, oder vielmehr, um sie
gerade nicht ertragen zu müssen.
Du bist also der Meinung, der Mensch könne Gott als Gott selbstlos anerkennen und hierbei nichts von ihm für sich selbst haben wollen?
Dann hast du in deinem theologischen Denken aber keinen
Geringeren als einen Martin Luther zum Gegner, der in seiner
"Disputation gegen die scholastische Theologie" (aus dem
Reformations-jahr 1517) eine These 17 und 18 formuliert, die da
lauten:
17. Der Mensch kann von
Natur aus nicht wollen, dass Gott Gott
ist.
(xvii Non
potest homo naturaliter velle: deum esse deum.)
18. Vielmehr
wollte er, er sei Gott und Gott sei nicht
Gott.
(xvii Immo
vellet se esse deum. et deum non esse deum.)
[Text-/Übersetzungsnachweis siehe: 3. ABC-Versuch unter F.
Unser, Kap. 12]
Was sagst du nun!?
Auch ich glaube nicht, dass es dem Menschen je gelingen könne,
Gott bzw. einen Gott selbstlos anzuerkennen. Und das genau ist
der Grund dafür, dass die Religionskritik nicht nur die
Religion des Menschen hinweggefegt hat, sondern den von ihm
erdachten Gott gleich mitwegnehmen musste.
Es ist freilich schon bemerkenswert zu sehen, dass ein Luther
bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts in eine
tiefenpsychologische Denkrichtung voraus-blickt.
Ja, so könnte man sagen.
Auf die oder eine angebliche Dialektik muss ich ja jetzt wohl
nicht näher eingehen.
Was aber das Leben und Sein betrifft, so ist ja allgemein
offensichtlich, dass der Mensch über einen irrealen
Lebenswillen verfügt, den wir in die Worte fassen könnten "Ich
will sein." Aber diese Worte greifen noch zu kurz, denn
eigentlich besagt dieser Lebenswille auch: "Ich will
bleiben."
Und wenn wir uns die Natur ansehen, wie sie sich uns zeigt und
wie wir in sie eingebunden sind, so würde sie, wenn sie
sprechen könnte, uns und unserem Lebenswillen entgegnen: "Du
willst bleiben? Nein, das geht nicht. Mein Wirklichkeitsprozess
ist ein solcher, dass ständig für Neues Platz gemacht wird, so
dass eine möglichst große Vielfalt im Sein zu stehen kommen
kann. Alles kann eine Weile bleiben, muss aber dann wieder
gehen, damit Neues und Anderes nachkommen kann. Dein Wunsch
nach Dauer stört diesen organisch-lebendigen Prozess. Er ist
unvernünftig. Bist du sicher, dass du ein animal rationale
bist?"
Wer sagt denn, dass das Seinsganze einen Sinn ergeben muss? Es kann doch sehr wohl letztlich in sich sinnlos sein. Und dies ist auch tendenziell das Denken des Materialismus-Atheismus: Ein Materie- oder Energieprozess spult sich ab, der dann auch einen fragenden Menschen aus sich hervorbringt. Und diese Fragen bleiben letztlich unbeantwortet, weil der Prozess des Nachdenkens nicht wesentlich zum Universum gehört, sondern als bloße Schaumkrone, Blasenbildung oder rationales Blubbern obendrauf kommt, wie ein Überbau, ein Luxus und Überfluss, ohne tieferen Sinn und Zweck.
Der entscheidende Grund liegt darin, dass es mir mit dem philosophischen Streben zur Wahrheit ernst ist, und da der Mensch nun einmal ein Sozialwesen ist, erachte ich es als gut und richtig, die Erkenntnis der Wahrheit mitzuteilen und nicht für mich zu behalten.
Den Terminus "einlullen" finde ich trefflich gewählt. Nur würde
ich ihn in einer Art und Weise adressieren, die dir, Theologe,
wohl kaum gefällt.
Denn ich denke hierbei an die Vermittlung des sog. Wortes
Gottes in der Kirche, in den Predigten. Dieses Evangelium
scheint mir nämlich von unseren Predigern und Theologen
emotional dargereicht zu werden als eine
"Alles-wird-gut-Stimmung".
So wie es in Schlagern gar nicht auf die Worte im Einzelnen
ankommt, sondern nur auf die genannte Stimmung, die über den
zwischendurch thematisierten Sorgen und Nöten des Alltags im
Refrain immer wieder durchschlägt. Ebenso muten mich die
Predigten an: "So hört doch die Frohbotschaft: Wir sind
gerettet worden!" - seit 2000 Jahren immer die gleiche Leier,
mehr fällt den Theologen und Kirchen nicht ein.
Und es wundert mich in keinster Weise, dass die Kirchen leerer
und leerer werden, wobei sich die Konfessionen hinsichtlich
ihrer Erfolglosigkeit gegenseitig in nichts
nachstehen. Die Aufklärung hat offenbar doch
etwas gefruchtet, und so ist das Schafsein der Schafherde nicht
mehr so groß, dass das kerygmatische Einlullen nicht bemerkt
würde.
Und so sehen die Gläubigen zunehmend weniger ein, weshalb sie
Pfarrer, Pastoren, Hirten für eine überflüssige, weil
unglaubwürdig gewordene Leistung bezahlen sollten?
Diese Leistung mag ja alles mögliche sein, nur nicht das, was
du, Theologe, von Anfang an als wichtig herausgestellt hast:
Die Vermittlung des Wortes Gottes in unsere Wirklichkeit und
Gegenwart.
Und wenn dieser "Heilige Geist" wirksam sein sollte,
dann müssten Theologie und Kirche ein Doppeltes darlegen
können: Das Wirksamwerden des Wortes
Gottes in unserer Wirklichkeit, und zugleich umgekehrt:
Das Enthaltensein unserer Wirklichkeit und Gegenwart
im Wort Gottes, also auch oder schon in der Bibel, die m.E. ja
nicht zu knapp auch über die Zukunft spricht und sogar eine
"Offenbarung der künftigen Ereignisse" am Ende mitumfasst,
allerdings in einer sehr rätselhaften Form, was einen
theologischen Terminus wie "Offenbarung" doch sehr "kryptisch",
um nicht zu sagen: madig, erscheinen lässt.
Ja, das sehe ich auch so. Und es freut mich, wenn wenigstens
hier im Gespräch zwischen uns endlich einmal auffällt,
dass man die Philosophie völlig zu Unrecht zurückgesetzt hat.
Nichts und niemand ist so eng und ursprünglich an der
menschlichen Existenz dran wie die Philosophie. Deshalb konnten
die Wissenschaften auch keine Existenz-Wissenschaft
hervorbringen, weil im Terminus "Existenz" das
Ganze des Seins mitgesetzt ist und sein muss. Das ist
unserer Wissenschaft aber "zu viel", sie will das Einzelne und
Überschaubare und übersieht daher die menschliche Existenz in
ihrer Ganzheitlichkeit geflissentlich, zerlegt sie vielmehr in
viele, für sich selbst genommen lebensunfähige
Einzelbestandteile.
Und so hat sich in der modernen Wissenschaft eine falsche
Priorisierung ergeben: Naturwissenschaften vor
Geisteswissenschaften, und die Philosophie unter ferner liefen.
In Wahrheit ist die Philosophie am nächsten
an der Problemlösung dran, zumindest stellt sie die
Forschungsproblematik an der Stelle heraus, an welcher
sie - eigentlich - besteht: in der Existenz des
Menschen, die ja das Fragen und Forschen aus sich selbst
heraus überhaupt erst hervor- und auf den Weg gebracht
hat.
Unsere Wissenschaft aber hat diese ihre eigene Verursachung
und Wurzel vergessen und glaubt doch nun tatsächlich,
unabhängig von dieser menschlichen Existenz irgendetwas
Eigenständiges, Wertvolles und Brauchbares sein zu können.
- "Brauchbar" ja, aber nicht zum Voranbringen des
Menschen in seiner Existenz, mit der "die
Wissenschaft" - ein nichtexistentes Abstraktum -
überhaupt nichts anfangen kann.
"Seelsorge" ist ein gutes Stichwort! Warum heißt es denn nicht
"Geistsorge", wenn doch der Geist im christlichen Glauben so
ganz besonders hervorgehoben, nun ja, hofiert wird?
Spar dir die Antwort auf meine rhetorische Frage, ich gebe sie
selber: Weil der Mensch sich nun einmal mit der Todesrealität,
mit seiner Endlichkeit nicht abfinden kann. Also muss die
Realität so gedacht werden, dass der Mensch nicht nur physisch,
sondern auch seelisch lebensfähig ist. So kommt zuerst "Gott"
ins Spiel, und dann der "Seelsorger", der nicht nur Mitleid
hat, sondern die Sache im Grunde genauso sieht, nur dass er
seine Selbststärkung durch Gott als Sozialstärkung an seine
Mitmenschen weitergibt.
Damit sein eigenes Verstehens- oder Geist-Defizit nicht so
auffällt (auch vor sich selbst nicht), übertüncht er es also
mit seiner gewiss überaus großen Fürsorge für Andere, was ihm
ein gutes Existenz-Grundgefühl gibt, das in die unausgesprochen
und unbewusst bleibenden Worte gefasst werden kann: "Jemand,
der sich wie ich so sehr für die Anderen einsetzt, wird doch
wohl von Gott ganz gewiss nicht fallen gelassen werden"
usw.
Und deshalb muss in einer solchen "seelischen
Religiosität" ein Satz über die Maßen hochgehalten werden, der
eine Wendung wie "höher als alle Vernunft" oder "alles
Verstehen übersteigend" enthält - so viel zur angeblichen
Geistbetonung des kirchlich angeblich gelebten
Christentums...
Womöglich kennt unser Anthroposoph ja ein anderes und besseres
Christentums-Verständnis, das mehr Stringenz und Konsequenz
aufweist?
Ich unterstütze diesen Vorschlag. Mir erscheint der
Anthroposoph ein wenig wie Sokrates, der womöglich Hörer seiner
Gespräche magisch anzog, indem man immer gespannt sein konnte,
wie Sokrates auf eine vorgebrachte Aussage reagieren würde und
mit welcher Antwort-Überraschung er dann auch immer aufwarten
konnte.
Nur dass man bei Sokrates immer auf der Hut sein musste, besser
nur passiver Hörer zu bleiben und nicht aktiver
Gesprächsteilnehmer zu werden, weil jederzeit zu befürchten
stand, man könne die Aufmerksamkeit des Sokrates erregen und am
Ende selbst in die Treibjagd und Fänge seiner Befragungstechnik
hineingeraten.
Allerdings hat es bei dir, Anthroposoph, den Anschein, als
wärest du - verzeih mir diesen Spott oder Scherz - ziemlich
"blutlos", im Gegensatz zum warmherzig-impulsiv-jovialen
Sokrates. Es mag daran liegen, dass Anthroposophen vielleicht
glauben, sich möglichst nach dem Vorbild ihres Lehrers Rudolf
Steiner verhalten zu sollen, der seine Emotionen wohl so sehr
im Griff hatte, dass ihm schwerlich jemals ein Lachen hätte
auskommen können, so vermute ich einmal, was ja in gewisser
Weise auch wiederum einen lebensbefremdlichen Eindruck macht,
nicht unbedingt den eines Menschen unter Menschen, wenn ihr
versteht, was ich meine.
Eines jedoch erbitte ich mir unbedingt hierbei: Der Glaube kann
nicht einfach vorausgesetzt bleiben, sondern er muss
von meiner Vernunft aus als vernünftig
einsehbar werden, soll heißen: Ich bin zu keinem "Sprung in den
Glauben" bereit. Es muss eine Vernunftgrundlage vorhanden sein,
von welcher aus die Annahme und Akzeptanz einer "Geistwelt"
plausibel wird. Ist sie nicht möglich, werde ich euer
"Glaubensgespräch" boykottieren und untergraben, als
unannehmbar und unver-nünftig.
Ich schließe mich diesem Protest an! Anstatt dich mit meinem
Glaubenssprung zu befassen, um mir über meinen begrifflichen
Graben zu helfen, was du angeblich kannst, aber nicht machst,
tust du nun einen zweiten Graben und Sprung auf, wie unser
Theologe ja eben feststellte!?
Du bist dabei, unsere Kommunikation, unsere Begrifflichkeiten
und Sprachen voneinander zu entfernen, anstatt sie einander
näherzubringen oder gar zusammenzuführen.
Gut, dann lasst doch mich bitte den Anfang machen. Denn mich
und euch trennt ja ganz offensichtlich mehr als euch beide, die
ihr gewillt seid, den Geist als Substanz des Universums
anzusehen. Und der Unterschied ist nur, dass der Theologe zu
einer Zweiheit der Wirklichkeit und Welt tendiert,
irdisch-gegenwärtig-vorübergehende und
himmlisch-zukünftig-dauerhafte, während der Anthroposoph sie
einheitlich denkt, wonach die gegenwärtige
Trennungs-Wahrnehmung des Irdischen und Himmlischen das
Vorübergehende sei und in eine Einheits-Wahrnehmung in die
zukunft hinein übergehen werde.
Ich greife meine Darlegung von oben wieder auf: Der Mensch
findet einen Lebenswillen in sich, den wir sprachlich fassen
können in ein "Ich will sein. Ich will bleiben." Unsere Natur
und Wirklichkeit zeigt uns aber, dass es sich hierbei um einen
irrealen Willen handelt. Und deshalb sollte ein philosophischer
Denkprozess im Menschen greifen, der sein Denken berichtigt und
mit den Wirklichkeitsfakten in wahrheitsgemäße Überein-stimmung
bringt.
Dieser Sachverhalt insgesamt ist doch gar nicht so sehr schwer
begreifbar und zeigt, wie alles theologische und
spiritualistische Denken ein überflüssiges Sprudeln und
Luft-Verpuffen ist, zu dem Sinn und Zweck, dass der Mensch
erfolgreich vermeiden könne, dem kosmischen Nein zu seinem
Ewigkeits-Wunsch ins Auge zu sehen.
Glaube, Theologie, Spiritualismus sind daher als
Abwehrmechanismen des menschlichen Ich anzusehen, das
Aufrichten und Aufbauschen einer Pseudo-Wirklichkeit, letztlich
gründend in einem Willen zur Unwahrheit. Denn die Wahrhheit
will ja offensichtlich nicht ertragen und nicht angenommen
werden.
Jetzt bin ich aber sehr gespannt auf deine weiteren Ausführungen! Ich halte meinen Denkschluss für richtig, konsequent, vollständig, ja, evident. Man kann ihn nicht mehr in Frage stellen, sondern wir sind in ihm bereits ans Ende alles Fragens gelangt, so dass bestenfalls noch ein "Glaube", ein "Glaubenssprung" möglich ist, der mir aber nach wie vor unzulässig erscheint.
So halte mich doch nicht länger hin! Alles, was du eben sagtest, weiß ich doch längst und räume es auch ein. Das, was mich hier und jetzt brennend interessiert, ist, mit welcher ausgeklügelten "dialektischen Denkkunst" du mich nun eines Besseren belehren willst?
Also gut, dies kann ich auch noch alles einräumen. Nun möchte ich aber doch wissen, wie du in der Frage um Leben oder Tod, Sein oder Nichtsein weiterverfahren können willst, denn ich kann keine Möglichkeit tiefergehender Reflexion erkennen.
Deine Ausdrucksweise gefällt mir!
Bitte jetzt weiter im Gedanken. Ich will ihn unbedingt zu Ende gebracht wissen.
Dies möchte ich hier aber schon als ganz gewiss behaupten. Und
wenn ich berücksichtige, was alles Menschen innerhalb der uns
näher bekannt gewordenen Geistesgeschichte - sagen wir: seit
den Vorsokratikern - an Gedankengut darüber entwickelt haben,
so scheinen mir diese beiden Urteile als fix und gültig
bestehen zu bleiben.
Und das ist ja wohl auch der Grund, weshalb es innerhalb der
Menschheit nach wie vor weltanschauliche
Meinungsverschiedenheiten gibt und die Menschheit Welten davon
entfernt ist, geistig eins zu werden.
Freilich kenne ich selbst dieses Gedankengut nicht komplett,
aber, wenn einer darüber hinaus-gekommen
wäre, so wäre es gewiss kommuniziert und also publik
geworden.
Ja, das ist richtig. Nur macht mich die Bestimmtheit und Zielsicherheit deines Redens jetzt etwas stutzig... Fahre also fort.
Nun es ist eben eine fixe Idee, die er hat und die nicht weiter rückführbar ist.
Das ist meine Überzeugung. Das siehst du völlig richtig. Und ich bleibe mir und meiner Weltanschauung darin auch treu und bin konsequent.
Ja, und? Es ist meine Überzeugung, und ich bleibe meiner Weltanschauung immer noch treu.
Jetzt spielst du aber mit unserer Wirklichkeit. Du flüchtest dich in ein Denk- und Sprachspiel. Es ist doch allgemein evident, dass das Sterben und der Tod des Menschen ein Faktum ist, das nicht ernsthaft bezweifelt werden kann.
Ja, gut, können wir. Man könnte zwar auch die Ansicht vertreten, es sei Zeitvergeudung, sich mit Gedanken zu befassen, die man bereits als falsch erkannt hat, oder - meinetwegen - die man für falsch hält. Aber das soll mein Problem nicht sein. Denn im Materialismus hat der Mensch eine ganze Menge Zeit für sein Denken, um nicht zu sagen: die volle Ewigkeit. Denn das Denken hat mit dem Wirklichkeitsprozess selbst nichts zu tun, sondern kommt als Überschuss und Überfluss oben drauf. Und dann bleibe ich ja auch hierin mir selbst treu, wenn ich überflüssige Gedanken anstelle, weil es im Grunde andere gar nicht gibt.
Lasst uns nicht den Faden verlieren, sondern bei der Sache bleiben. Die momentane Fragestellung lautet, ob der Existenz-Widerspruch, in welchem wir uns als Menschen befinden, auch von der anderen Seite her auflösbar sei, also: Das "Ich will sein" ist wahr, und das "Du musst gehen" ist falsch. - Und ehrlich gesagt halte ich dies immer noch für eine krankhafte, unsinnige, absurde Fragestellung, bleibe aber bei meiner Bereitschaft, diesen umgedrehten Gedankengang einmal versuchsweise auszuhalten.
Auf dieses Nachdenken bin ich aber nun gespannt. Ich wüsste nicht, was an diesem "Gegenstand" groß erkennbar wäre?
Ich bin fasziniert, wie intensiv
Platon - selbst über die Jahrtausende hinweg - seine absurden
Gedanken scheinbar plausibel weiterreichen kann. Du führst ihn
hier so anschaulich vor, gehst auch, wie ich meine, über seine
eigene, eher sporadische Darstellung hinaus, aber in einer
Weise, dass man meinen könnte: Platon selbst habe dir das
gesagt, und zwar über das von ihm schriftlich Überlieferte
hinaus!? So dass man neugierig werden möchte, ob es von ihm
nicht vielleicht doch auch noch eine "Geheimlehre" gibt, die er
dem Schriftlichen nicht anvertrauen wollte, etwa die
"großartige", vielmehr geheimnisvolle Schau der Idee des Guten,
wie z.B. in seinem sog. Siebten Brief angedeutet, und die nur
im engsten Schülerkreis kommuniziert und besprochen
wurde?
Und dann frage ich mich, wie kommt denn ein solcher Schüler
Platons ins 21. Jahrhundert? Hast du dich etwa
geistesgeschichtlich verirrt, wie denn auch Rudolf Steiner alle
möglichen Lehren der gesamten Menschheit zusammenzuziehen
scheint, nicht nur des Westens, auch des Ostens, um irgendetwas
Neuartiges oder Aufsehenerregendes daraus zu zimmern und etwas
auszusagen, was noch keiner vor ihm getan hat?
Ich gebe zu: Die Sache wir nun ungeheuer interessant. Fahre bitte fort, und lass dich von mir nicht unterbrechen.
Jetzt enttäuschst du mich aber, Anthroposoph. Denn dein Gedankengang kommt ja nun wohl bei der "fixen Idee" heraus, die ich längst festgestellt habe.
Also schön, also schön. Ich habe einen Fehler gemacht und nicht
abgewartet. Ich will versuchen, mich zu disziplinieren. Obwohl
ich nicht sehen kann, wo im Materialismus Disziplin und
Rücksichtnahme einen besonderen Platz hätten...
Nur um Eines will ich dich bitten: Behalte doch deine
Bibelweisheiten für dich, zumindest solange, bis du mir meinen
Glaubenssprung aufgelöst hast.
Nun möchte ich aber doch endlich etwas einwenden dürfen. Es
wird doch jetzt überdeutlich, wie dieses "dialektische" Denken
drauf und dran ist, jeglichen Realitätssinn zu verlieren und zu
einer Donquichotterie zu werden!? Die entscheidenden Adjektiva
hast du ja selbst schon benannt: subjektiv und objektiv. In
diesen Termini liegt doch schon der Realitätsbezug einerseits,
der Nichtrealitätsbezug anderseits, oder etwa nicht?
Wenn ich etwas "objektiv" nennen kann, so erkenne ich damit
seine Realität an. Das Wort ist abgeleitet von obicere -
entgegenwerfen, und aus diesem "Entgegengeworfenen" wurde
vorüber-gehend "Gegenwurf" und schließlich unser "Gegenstand"
daraus [vgl. DWDS, Objektiv - Etymologie]: das, was uns
entgegensteht oder dem wir entgegenstehen. Also kann man sagen:
Das Objektive ist das Wahre, das Gültige, das Starke, das
Unbezweifelbare, das Evidente. Wer das nicht glauben will,
laufe doch einmal gegen eine Mauer; dann wird er schon
begreifen.
Dem steht entgegen der Mensch als Subjekt, der diesem Gültigen,
Evidenten, Machtvollen ohnmächtig gegenübersteht und der
realistischeweise diese Macht und Gesetzlichkeit anzuerkennen
hat, zumindest dann, wenn er einen aufrichtigen Willen zur
Wahrheit in sich trägt.
Der Existenz-Widerspruch ist damit restlos erledigt, wie mir
scheint.
Ein Denken, das sich der Realität verpflichtet weiß, kommt hier
an sein natürliches Ende, das nicht willkürlich von uns
festgesetzt wird, sondern welches uns objektiv vorgegeben ist,
auch wenn es unliebsam und ungewünscht sein sollte.
Und wenn man die Denkrichtung an dieser Stelle "dialektisch"
umkehren möchte, um in die andere, "gewünschte" Richtung zu
kommen, dann führt dieses Denken unweigerlich ins Irreale
hinein. Und die Parallele zur Religiosität des Menschen liegt
doch auf der Hand!
Na ja, gut. Eine Seelen- und Geist-Ebene kann ich schon noch
anerkennen, aber nicht als spirituelle Plane, die als höhere
Wirklichkeits-Schichten über der unsrigen, sinnlich
wahrnehmbaren lägen. Beide Ebenen finden sich nur in Subjekten,
und mit ihrem Tod erlöschen sie. Die sinnlich-sichtbare Natur
aber bleibt.
Ich jedenfalls kann keineswegs sehen, du, Theologe, habest
soeben eine wunderbare, die Wirklichkeit wahrhaft
aufschließende Entdeckung gemacht.
So ist es, und ich bin immer noch dieser Meinung. doch will ich jetzt auch die Möglichkeit und Gefahr einräumen, mit meinem eigenen Erkennen und Wahrnehmen dasjenige anderer - na ja - nicht gerade zu zertrampeln, aber immerhin zu beeinträchtigen und womöglich zu verzeichnen. Also will ich mir hier in aller Ruhe anhören, was du, Anthroposoph, uns hierüber nun noch ausführen möchtest.
Warum forderst du so etwas Unsinniges? Wie sollten wir jemals zu einem Erkennen der Wirklichkeit kommen können, wenn wir schon nicht einmal voraussetzen, unser Denken sei wirklichkeitsbezogen?
Halt! Stopp! Genug! Du willst uns jetzt soch tatsächlich mit
alten Kamellen kommen, und als Beleg führst du dann vielleicht
auch noch Platons "Phaidon" an, der Sokrates unterstellte
Argumentationen bzgl. der Unsterblichkeit der Seele
enthält?
Mein eigentliches Gegenargument soll aber ein ganz anderes
sein: Wenn der Mensch aus verschiedenen Leibern oder Kleidern
besteht, warum hat er dann kein Bewusstsein davon? Ein
Bewusstsein hat er nur von seinem eigenen physischen Leib, von
welchem er aber nicht einmal sagt: "Das ist meine
Leiblichkeit", sondern: "Das bin ich".
Gut also. Wir waren beim hypothetischen Denkverfahren. Du,
Anthroposoph, sagtest, jedes Denken habe sein Voraussetzungen,
und wenn ich recht sehe, sind die Denkalternativen die, seine
Voraussetzungen im Bewusstsein einholen zu können oder nicht
einholen zu können. So weit, so gut.
Welche Hypothese willst du aber jetzt für das Folgende
voraussetzen, meinen Materialismus oder dann doch
lieber deinen Spirutualismus? Wer von uns soll den
Verzicht leisten, damit unser Gespräch vorankomme?
In der Theorie bin ich damit einverstanden. In der Praxis scheint mir aber niemand so zu verfahren im Denken. Sondern jeder entscheidet sich für eine "Setzung der Wahrheit", wenn du so willst, und daraus ergeben sich dann diejenigen Kon-sequenzen für sein Denken und Leben, die sich daraus eben ergeben.
Die Methodik erscheint überzeugend, ihre Handhabung aber zweifelhaft. So zeige sie uns also in der Praxis.
Du führst diese Seite der Widerspruchs-Auflösung theatralisch ausführlich aus. Die Schlüsse verstehen sich doch dann ganz von selbst, so dass du deinen Vortrag um einiges raffen könntest.
Nun ziere dich doch nicht so, sondern führe endlich aus, was du im Grunde schon lange vor uns darlegen möchtest.
Es sind Grundgedanken der platonischen Philosophie, von der ich wenig halte.
Was meinst du denn mit: noch besser? Der Anselmsche
Gottesbeweis ist ein Sprach-, Wort- und Selbstbetrug. Und
dieser Betrug liegt bereits in seinem Ausgangspunkt, nämlich
der Formel: id quo maius cogitari non potest, also: Das, über
das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann. Die
Schlussfolgerung versteht sich ja dann von selbst: Ein wirklich
existierender Gott ist sozusagen größer als ein bloß gedachter.
Also muss Gott wirklich existieren.
Der Schwindel liegt schon in der Formel oder Behauptung, es
müsse ein Etwas geben, über das hinaus Größeres nicht gedacht
werden kann. Man kann eine solche Behauptung
aufstellen, aber dennoch bleibt es eine Behauptung,
die jemand sich ausgedacht hat.
Der Anselmsche Gottesbeweis ist ein logisches
Schlussfolgern auf der Grundlage einer
Formelbehauptung, die einfach - autoritär und
unbegründet - behauptet wird. Gott existiert genau
dann notwendig, wenn die Formel "id quo maius
cogitari non potest" notwendig existiert. Aber diesen Beweis
der notwendigen Existenz seiner Formel ist Anselm uns in seinem
Proslogion schuldig geblieben.
Ein stümperhafter, sprich: gar kein Beweis. Das ist ja noch
nicht einmal besonders beeindruckend! Bestenfalls für
Leichtgläubige, die vielleicht auch auf anderes hereinfallen
wie: "Da liegt ein Stein. Der muss irgendwie ins Sein gekommen
sein. Also muss ein Gott sein, der ihn ins Sein gesetzt hat.
Also muss Gott notwendig existieren." Und dass hier die Logik
nicht in derselben Weise "zwingend" ist, mag für einen Logiker
von Relevanz sein, aber nicht für den Leichtgläubigen, der
seine Leichtgläubigkeit an das Schlussverfahren ja bereits
heranträgt.
Wirst du jetzt nicht spitzfindig, Anthroposoph? Du hast uns
doch sozusagen in uns selbst unser eigenes Ich von einem von
Ewigkeit her existierenden "Geist" unterschieden. Und wenn in
der Religion dafür der Terminus "Gott" gebräuchlich ist, so ist
das doch - gewissermaßen sachlich - dasselbe!?
Dein Schlussverfahren ist ja ganz nett. Aber um die Setzung
"Geist" kommst auch du nicht herum. Du setzt ihn hier und jetzt
voraus.
Und wenn es aber ein Hinausgehen können nicht gibt?
Ich kann hier ein Weiterkommen können nicht erkennen.
Das könnten wir schon tun, nur, wie ich den Anthroposophen zwischenzeitlich kenne, ist er noch nicht am Ende seiner Weisheit angelangt?
Aber dann hätte diese Geistwelt oder Gemeinschaft von Geistwesen sich ihr Evangelium und die Bibel sparen können!? Und Jesus Christus hätte gar nicht zu kommen brauchen?
Warum sollte ich, oder auch der Mensch ganz allgemein, von seiner eigenen Unzuverlässigkeit im Denken ausgehen?
Kein Kommentar. Sprich einfach weiter. Allerdings: Was meinst du mit "dem Gedankengang der Philosophie"?
Welche Frage sollte das sein? Du meinst doch nicht etwa
die Frage der Religionskritik: Ob Gott vielleicht nur
eine Projektion des Menschen sei?
Du machst auch mich neugierig.
Na, von mir aus! Und wie weiter? Du bist mir ein wenig arg theatralisch. Komm bitte zum Punkt.
Du sprichst sehr gut über die Philosophie, so dass unverkennbar wird, dass du dir hier eine tiefere Erkenntnis erworben hast. Indessen dein Sprechen über Esoterik und Okkultismus geht mir zu weit, wiewohl ich einräumen muss: Tiefe kann nur finden, wer sie vermutet oder erahnt; alle andern bleiben notwendig an der Oberfläche und Oberflächlichkeit ihrer selbst haften. Es ist eine Frage der Voraussetzung, der Voraussetzung unserer selbst.
Aber wir wissen doch gar nicht, ob es Ewigkeit des Lebens überhaupt gibt!? Der Anschein spricht dagegen. Und warum wollte man ein Ziel durchdenken, das man schon als irrsinnig voraussetzt?
Einverstanden.
Ja, ich gebe dem Theologen Recht. Wir sind am Ende, und du, Anthroposoph, willst dieses Ende irgendwie nicht wahrhaben, und so versuchst du es sprachlich hinauszuschieben und hinaus-zuschieben, als hätten Worte Wirklichkeitsmacht, analog zur Wort-Gottes-Vorstellung in der Theo-logie.
Ja, was denn?
Ja, was denn?
In der Tat, im gegebenen Zusammenhang ein theoretisch guter und plausibler Gedanke.
Welche denn?
Wenn du mich nach einer Erklärung dafür fragst, so würde ich jetzt unterstreichen, was du soeben formuliertest: Das Denken der Individuen, die wir nun einmal geworden sind, ist so sehr verschieden, dass das, was für den einen "auf der Hand liegt", liegt für den andern überhaupt nicht nahe, sondern erscheint sogar womöglich weit hergeholt.
Das ist nicht nur akzeptabel: Das ist gut gesprochen!
Und wie erklärst du diese inhaltliche Begriffsverschiebung? Sie mutet irgendwie inkongruent an.
Was? Wieso denn! was soll jetzt schon wieder "passiert" sein?
Vielen Dank für dieses Statement. Doch kannst du deshalb nicht
von mir erwarten, eine Kehrtwendung meiner selbst
vorzunehmen.
Wenn ich dich recht verstehe, bist du dann der Meinung, es gebe
letztlich nur ein einziges Ich, dasjenige des Seins selbst,
welches der Geist schlechthin ist. Alle anderen Ich sind
abgeleitet, herausgesetzt und allesamt nicht ursprünglich und
können nur eine vorübergehende Gültigkeit haben.
Alle Iche heben sich letztlich in das höchste und einzige
Ich-selbst "Gottes" hinein wieder auf.
Als könnten wir das, was er kann, auch selbst. Einfach aus uns selbst heraus...
Theologie
Gewiss kann man, so will ich dir, Philosoph, antworten, an Gott
aus einem falschen, niederen, rein egoistischen Antrieb eigener
Lebenssicherung heraus glauben. Es ist aber auch aufrichtige
Religiosität möglich, indem man sozial denkt und lebt und auf
das Allgemeinwohl achtet und hierbei auch den einzelnen
Menschen, egal, wo in der Gesellschaft er steht, beachtet und
wertschätzt und auch unterstützt.
So wie man ja auch sagen kann, es gebe rechte, anständige Art
und Weisen zu leben, während du mir dazu zu neigen scheinst,
alle Menschen und Lebensweisen verwerfen und abtun zu
wollen, vielleicht, außer ein paar wenigen Atheismus-Heroen,
die sich ein "Leben im Angesicht des Todes" vorgenommen haben
und glauben, hierbei nun einen elitären "Realitäts-Alleingang"
durchzuführen, während alle andern das Leben und Sein nicht
ernsthaft verstanden hätten oder auch nicht ertragen wollten.
Ja, so könnte man sagen.
Zeigt sich hier nicht deutlich, dass der Mensch als reines Vernunftwesen einseitig und falsch angesehen wäre? Ebenso, dass unsere Vernunft ihre Grenzen hat, und so muss der Mensch in seiner Existenz also umfänglicher gedacht werden, damit diese überhaupt einen Sinn ergibt.
Ja, es ist richtig. Die Bibel enthält viele Warnrufe. Würde man eine Zusammenstellung machen, käme ein ordentliches Quantum an Gefahrenhinweisen heraus.
Du sprichst sehr direkt und unverblümt, aber vielleicht liegt
es daran, dass in deiner Weltanschauung "Respekt" keinen
besonderen und keinen konstitutiven Platz hat, wie in der
meinen und auch in der anthroposophischen.
Deine Worte sind scharf, und ich könnte mich angegriffen
fühlen, verzichte aber darauf. Denn mit einer gewissen
Bewunderung muss ich anerkennen, dass du die vom Anthroposophen
geforderte Achtsamkeit und Konzentration im Gespräch
außerordentlich gut erfüllst, was grundsätzlich sehr erfreulich
ist, wenn denn unser Gespräch zu etwas Fruchtbarem führen
soll.
Ja, du hast mich ertappt! Wenn ich eingangs den Geist und sein
Wirksamwerden in unserer Wirklichkeit und Gegenwart so
besonders hervorhob, so deshalb, weil mir die desolate
Situation des christlichen Glaubens in der Gegenwart allzu
offensichtlich ist. Und ich bin sehr, sehr unzufrieden
damit.
Ich räume ein, dass es meine Profession und Aufgabe ist, das
Wort Gottes in unsere Gegenwart zu vermitteln und
zugleich als enthalten in unserer Gegenwart zu
erweisen. Und unsere Predigten erwecken nicht den
Anschein, als könne dies gelingen, auch nicht dadurch, dass
sich die Pastorinnen und Pastoren oder die Pfarrer alle Mühe
geben, das Evangelium durch Bezugnahme auf gegenwärtige
Lebenssituationen aktuell, up to date und relevant zu
halten.
Die Vermittlung klappt einfach nicht, und ich stehe
kurz vor dem Verzweifeln...
Lassen wir ruhig die Konfessionenfrage hier einmal außen vor; die Ausführungen des Philosophen hierzu kann ich auch nicht von der Hand weisen. Mich interessiert jetzt vielmehr die Frage: Hast du etwa konkret benennbare Versäumnisse unsererseits im Auge?
Das ist aber jetzt sehr spekulativ.
Wenn ich recht sehe, würde ich die Dinge wiederum verzeichnen, wenn ich mich nun als Theologe durch deine Worte angegriffen fühlte. Es geht ja nicht allein um die Theologie, sondern offensichtlich um die Fehlausrichtung unserer kompletten Wissenschaft?
Ich weiß nicht, ob ich dies recht
glauben kann: Die Philosophie steht näher an der
menschlichen Existenz dran als der christliche Glaube?
Zur menschlichen Existenz gehört ja wohl das konkrete Leben der
Menschen, zur Theologie gehört aber auch die Kirche, die
Verkündigung, der Mensch in all seinen
Lebenssituationen, begonnen mit der Geburt und Taufe, und
nicht endend mit letzter Ölung und Tod, sondern sogar
darüber hinausgehend.
Die Philosophie aber bringt ein
paar abstrakte Gedanken hervor - und in diesen soll die
menschliche Existenz besser eingefangen und umfasst sein als in
der Theologie, in der ihre praktische, seelsorgerliche Seite ja
immer mitzudenken ist?
Mir scheint, ich bin hier eingeschlossen zwischen zwei
Kritikern und komme mir vor wie ein Sandwich oder Burger, der
gleichzeitig von zwei Seiten her Druck erhält, von oben und von
unten. Bei dir, Philosoph, habe ich den Eindruck, dass du auf
alles, was mit dem Glauben zusammenhängt, gar nicht gut zu
sprechen bist und deshalb scharfe Kritik am Menschen übst, den
du als grundsätzlich unaufrichtig ansiehst.
Und bei dir, Anthroposoph, habe ich den Eindruck, dass du über
eine Reihe guter Erkenntnisse verfügst, dass du aber gar nicht
unbedingt gewillt bist, diese vor uns auszubreiten, sondern
womöglich für dich zu behalten, was ja dem Prinzip unserer
Wissenschaft widerspricht, die auch wiederum von euch beiden
kritisiert worden ist, indem in ihr sich die einzelnen
Wissenschaftler grundsätzlich kollegial verstehen, mit dem
stillschweigenden Konsens: "Wer immer eine Erkenntnis gefunden
hat, der teilt sie auch allgemein mit und behält sie nicht für
sich." Und dieser Sachverhalt der Mitteilung von Erkenntnissen
ist in unserem Gespräch auch schon berührt worden.
Und ich komme damit zum Punkt meines jetzigen Anliegens: Nach
meiner Einschätzung haben wir im Gespräch eine Menge an Ideen
oder auch Erkenntnissen aufgeworfen. Aber sie sind nur
aufgeworfen, nur lose neben-einandergestellt worden. Können wir
sie nicht nochmals zusammenziehen, um vielleicht eine sicher
und dauerhaft weiterführende Erkenntnis daraus zu gewinnen und
als Resultat unserer Kommunikation zu behalten?
Stopp! Jetzt springst du aber! Du bist dabei, den bibeltheologischen Boden zu verlassen und deinen eigenen, anthroposophischen Boden zu betreten. Machst du damit nicht genau das, was du angeblich bewusst unterlassen wolltest, nämlich, das Gespräch in eine von dir gewünschte Richtung zu lenken?
Deine Argumentation gefällt mir nicht. Sie klingt ja so, als könne auch der glaubenslose Mensch zur Wahrheit finden!? Der Ungläubige erkennt aber kein "Evangelium" an, und er blickt ja nicht einmal in die Bibel hinein, um darin deinen tollen Satz zu finden!?
Also schön. Du weißt schon, Anthroposoph, dass du hier eine Gratwanderung unternimmst!?
Solcherlei Gedanken finden sich tatsächlich in der Bibel. Es ist mir aber nicht geläufig, sie bezögen sich auf das menschliche Denken. Man müsste die Bibel diesbezüglich nochmals eingehender durchforsten.
Mir ist dieser Rückwärts-Gedanke nicht plausibel. Was soll denn daran, eine Analyse des Lebenswillens zu versuchen, rückwärtsgewandt sein?
Philosoph, ich will dich jetzt ermahnen! Lass ab davon, dich
über den Anthroposophen lustig zu machen, wie du es offenbar
auch schon über Platon längst getan hast!
Was hältst du denn von dieser großartigen Idee: Deinen
tiefenpsychologischen Scharfsinn versuchsweise auch einmal auf
dich selbst und deine Anschauung zur
Anwendung zu bringen?
Du wirfst mir und den Gläubigen vor, sich selbst zu betrügen.
Was du aber jetzt gerade tust, ist doch gar nichts Anderes? Du
hältst den anthroposophischen Ausführungen deine
materialistischen Tentakel entgegen, warum? Weil du keine
andere als deine eigene Lichtquelle zulassen willst!
Wir waren aber doch darin übereingekommen, dass man, um neue,
weitergehende Erkenntnis finden zu können, die Bereitschaft
haben muss, das Eigene auszusetzen, um dem Anderen Raum zu
geben, auch dann, wenn es fremdartig, ungewohnt, gefährlich,
vielleicht auch feindselig aussehen mag.
Ich selbst kann diesem Gedanken eines Rückwärtsdenkens sehr
wohl etwas abgewinnen, und in Bezug auf das platonische
Höhlen-gleichnis scheint dies jetzt sogar richtig spannend zu
werden, denn der Rückwärtsgedanke wird hierdurch ja verknüpft
mit dem platonischen Gedanken der Umlenkung der Seele, dann
aber insbesondere auch mit dem christlichen Gedanken der
Umkehr.
Deshalb schlage ich vor, wir lassen nun einmal den
Anthroposophen sachlich gewähren, und wir intervenieren nur
dann, wenn es sachlich erforderlich sein sollte. Denn auch ich
brenne jetzt darauf zu erfahren, ob und wie der brisante
Existenz-Gedanke tiefer durch drungen werden könne...
Ja, das habe ich verstanden. Nun wäre es schön, wenn du mit dieser "Reflexion" endlich beginnen würdest!?
Ich will deine Aussagen als wichtig und wertvoll zur Kenntnis nehmen, möchte aber trotzdem fragen: Können wir nicht endlich diszipliniert und konzentriert bei der Sache bleiben, anstatt ständig wieder abzuschweifen?
Halt! Augenblick! Moment! Mir schwant da gerade etwas. Das Bild
vom Elefanten im Porzellanladen tritt mir soeben in einer sehr
anschaulichen, lebenerfüllten, zum Greifen nahen Form vor
Augen...
Wartet bitte, und lasst mich versuchen, diesen meinen ad hoc
entstandenen starken Seelen-eindruck in angemessene Worte zu
fassen...
Kann es sein, dass unsere Begrifflichkeit und Sprache vom
Festen, vom Physisch-Sinnlichen hergenommen ist?
Von diesem Festen her leiten wir unseren Realitätsbegriff ab.
Und etymologisch gesehen steckt die res, das Ding, die Sache in
der "Realität".
Damit ist aber "die Wirklichkeit" noch gar nicht erschöpft,
noch gar nicht umfänglich erfasst, sondern da ist auch noch
eine Seelen-Ebene und eine Geist-Ebene. Und wer weiß, welche
Wirklichkeits-Ebenen oder Plane es darüber hinaus geben mag...
Entschuldige bitte, Anthroposoph, ich unterbreche dich nur sehr
ungerne, doch scheint mir der Zeitpunkt meiner Intervention
gerade sehr günstig, um uns an unseren wiederholt
unterbrochenen Gedankengang zu erinnern.
Wir waren ja bereits darin übereingekommen, den aufrichtigen
Willen zur Wahrheit als unser Gemeinsames zu betrachten. Und
ich bin wirklich hoch erfreut darüber, dass es dir nun gelungen
ist, deutlich zu machen, dass das Streben nach Erkenntnis in
einem wesenhaften, ja existenziellen Zusammenhang zum Menschen
steht.
Aufrichtigkeit ist von existenzieller Bedeutung! Und wer
Unaufrichtigkeit sich selbst gegegnüber duldet und praktiziert,
wird niemals zu wahrhafter Erkenntnis kommen können. Zugleich
räume ich ein, dass unsere "sachliche" Wissenschaft davon keine
Ahnung zu haben scheint.
Auch kann ich die Bibel hier anführen:
"Siehe, ich komme wie ein
Dieb. Selig ist, der da wacht und seine Kleider bewahrt, damit
er nicht nackt gehe und man seine Blöße sehe." (Offb. 16,15,
Lutherbibel 2017)
"Selig sind, die ihre
Kleider waschen, dass sie Zugang haben zum Baum des Lebens und
zu den Toren hineingehen in die Stadt." (Offb. 22,14,
Lutherbibel 2017)
Wenn du also sagst, Aufrichtigkeit bestehe primär vor sich
selbst, so möchte ich als Theologe ergänzen: Sie besteht auch
vor dem Himmel. Niemand kann vor dem Himmel einen falschen
Anschein erwecken. So etwas ist nur einer den Schein
zulassenden Welt wie der unsrigen möglich.
Und nun aber hurtig zurück zu unserer gemeinsamen
Fragestellung. Es ging um den existenziellen Widerspruch
zwischen subjektivem Bleibenwollen und objektivem Gehenmüssen.
Gemeinhin wird der Widerspruch zuungunsten des Subjektes
aufgelöst, und du, Philosoph, hattest dies nochmals dadurch
unterstrichen, dass du aufseiten des Subjektes eine
Beliebigkeit des Wollens veranschlagtest, aufseiten des
Objektes aber die Gesetzlichkeit der Natur.
Nun aber kommt der Anthroposoph daher und kommt plötzlich auf
die Idee, man könne diesen Widerspruch auch andersherum
aufzulösen versuchen, und du, Philosoph, hast sofort Protest
erhoben, indem du - aus der Erfahrung heraus - aufseiten des
Subjektes eine Beliebigkeit des Wollens veranschlagtest, der
aufseiten des Objektes aber die Gesetzlichkeit der Natur
gegenüberstehe, was den Vorschlag des Anthroposophen im vorab
als illusorisch zu erweisen scheint.
Wenn unser Gespräch eine musikalische Komposition wäre, so würdet ihr beide die Parts von Stimme und Gegenstimme, Melodie und Gegenmelodie, von Thema 1 und Thema 2 innehaben, während mein Part der ostinat wiederkehrende Basso continuo wäre. Und um meinem Part gerecht zu werden, will ich fragen: Was haltet ihr davon, wenn wir zu unserem eigentlichen Thema zurückkehrten?
Jetzt machst du aber auch mich sehr neugierig auf deine weiteren Ausführungen, Anthropo-soph.
Nimm den Einwand des Philosophen nicht allzu wichtig, Anthroposoph. Ich persönlich glaube, dass er momentan seine Aktien fallen sieht, und so wäre es ihm lieb, wenn wir über die materialsitische Weltanschauung möglichst schnell hinweghuschten.
Ich gebe dem Philosophen Recht. Deine wiederholte Rückversicherung ist - zumindest unter uns - nun wirklich nicht nötig.
Und den christlichen Glauben, speziell die Lehre von der Sünde, wollen wir nicht vergessen. Auch unser glaube lehrt eine Verkehrung unserer Wirklichkeit und die Notwendigkeit einer Umkehr, wenngleich dieser Umkehrgedanke zumeist moralisch verstanden wird, nicht intellektuell.
Ich bin durch deine Ausführungen schwer beeindruckt, und
zugleich bin ich aufs Höchste irritiert!
Denn streng genommen bedeutet deine Dar-legung ja: Wenn der
Mensch sich in seiner eigenen Existenz gründlich analysiert,
ergibt sich das Zukommen eines Evangeliums auf die (gefallene)
Menschheit mit einer logischen Notwendigkeit!?
Diese Idee des Seins in uns scheint mir ein noch viel besserer Gottesbeweis zu sein als der Anselmsche Gottesbeweis.
Könnte es nicht jetzt hilfreich sein, in unsere Geistesgeschichte hineinzusehen, um zuerst Zusammenhänge zu finden, um dann vielleicht sogar eine konkrete Zielrichtung ausmachen zu können?
Es scheint mir leicht, die Idee des Seins mit der christlichen
Theologie zu verbinden. Wenn Kant meinte, durch die Beseitigung
des metaphysischen Wissens Platz für den christlichen Glauben
geschaffen zu haben, so ist darin die Religion auf eine Lücke
oder ein Leerfeld verwiesen.
Die Idee des Seins aber ermöglicht das genaue Gegenteil: Hier
findet die menschliche Vernunft aus sich selbst heraus den
"Platz Gottes", nämlich die Ewigkeit des Seins, um sich
vernünftigerweise danach auszurichten. Das ist doch viel
besser. Das ist grandios!
Die Idee des Seins ist die wahrhafte Rechtfertigung des
Glaubens. Der Mensch findet in sich die Idee des Seins, findet
dadurch die Ewigkeit des Lebens als die wahre Wirklichkeit und
kann sich dauerhaft danach ausrichten.
Sagtest du nicht eben selbst, wir hätten ein gewisses Ende erreicht? Es ist doch auf diese Weise ein Niveau gefunden, auf welchem sich der Mensch nun existenziell niederlassen kann, oder etwa nicht?
Wieso meinst du das? Die Entfernung des Menschen in seiner Existenz zu Gott in seinem ewigen Sein ist doch schon die ganze Strecke, nicht nur die halbe!?
Ich verstehe nicht. Was machst du für eine merkwürdige Unterscheidung? Kannst du sie mir bitte erklären?
Ich kann nicht sehen, was falsch daran sein soll? Es ist das Verdienst Martin Luthers gewesen, des Menschen Stehen vor Gott klar und deutlich herauszustreichen, was ein evangelischer Theologe die Coram-Relation genannt hat [vgl. 3. ABC-Versuch, Kap. 13]. Gott wird nicht als Substanz ins Auge gefasst, ebensowenig der Mensch, sondern es kommt gerade auf die Relationalität an. Der Mensch steht zwar im Sein, aber das ist abstrakt gesehen, konkret existiert er im Angesicht Gottes, coram Deo.
Was also ist deiner Meinung nach zu tun?
Mir wird ganz mulmig zumute. Ich bin nicht sicher, ob das, was du vorhast, legitim und gottesfürchtig ist.
Dann beginne einmal dein ..."Spiel".
Aber so ist es doch auch! Wie kommst du denn dazu, etwas derart evident Selbstverständliches in Frage zu stellen?
Du liest die Bibel aber sehr ..."flexibel"; außerdem wiederholst du dich. Das Thessaloniker-Zitat hatten wir schon.
Zurück also zur angefangenen Fragestellung, wenn ich bitten darf, schon wieder einmal. Mir scheint, ich muss mich wiederholen...
Schön und gut: Gott findet sich von Ewigkeit her in sich selbst
vor und hat also niemanden mehr über sich, dem er sein Dasein
zu verdanken hätte. Gewiss, eine kuriose Vorstellung.
Aber wie willst du im Gedankengang jetzt noch weiterkommen?
Sind wir nicht jetzt tatsächlich ans Ende gelangt?
Ja, was denn?
Ja, was denn?
Nun, ich möchte mich mitteilen und Andere an meinem Glück teilhaben lassen.
Ja, welche denn?
Auch ich sehe den Ernst der Situation bzw. der
zwischenmenschlichen Kommunikation. Wie wollen wir Drei nun
konstruktiv damit umgehen, die wir uns doch bereits auf ein
Wesentliches und Grundsätzliches geeinigt hatten: dem Willen
zur Wahrheit verpflichtet zu sein und alle drei in gleicher
Weise eine Aufrichtigkeit in unserem Erkenntnisstreben pflegen
zu wollen?
Es scheint mir nun sehr fraglich, ob die Menschheit jemals die
Vernunftkraft finden kann, sich in sich selbst zu verständigen,
wenn schon uns Gutwilligen im gemeinsamen Gespräch Grenzen
gegenseitiger Verständi-gungsmöglichkeit deutlich werden?
Ich stimme dem zu.
Ich bitte darum.
Dann gib uns doch bitte jetzt diesen fehlenden Gedanken, damit wir uns die begriffliche Nichtübereinstimmung oder Begriffsverschie-bung einsichtig machen können.
Mir scheint, Goethe denkt in seinem Gedicht "Wiederfinden" in
dieselbe Richtung:
...
Und mit eiligem
Bestreben
Sucht sich, was sich
angehört;
Und zu ungemeßnem
Leben
Ist Gefühl und Blick
gekehrt.
...
Beide sind wir auf der
Erde
Musterhaft in Freud und
Qual,
Und ein zweites Wort: Es
werde!
Trennt uns nicht zum
zweitenmal.
Ja, was denn?
Entschuldige bitte, aber ich kann wirklich nicht sehen, von welchem "neuen Niveau" du jetzt sprichst. Im übrigen habe ich noch anderes zu tun, als dieses Gespräch hier mit dir, und so kannst du nicht von mir erwarten, dass du meine komplette und ungeteilte Aufmerksamkeit hast. Oder wer bist du denn, dass du solches vom Menschen fordern könntest?
Ich verstehe nicht...
Nun, zunächst einmal wird er ihm sagen, dass er ihn verstehen kann. Er zeigt Mitgefühl, Empathie. Und dann wird er versuchen, Vorschläge zur Problembehebung zu unter-breiten.
Stopp! Halt! Bleib stehen! So warte doch!? Ich will noch eine
ganze Menge von dir wissen!
Weg ist er... Und läßt uns einfach als Waisen zurück...
Und warum weißt du etwas, was wir andern beiden nicht wissen?
Anthroposophie
Lass mich mit einer methodischen Anmerkung beginnen: Indem wir
das Sein, über welches wir ja grundsätzlich sprechen, nun von
seinem Ende her, vom Nicht(mehr)sein zum Gegenstand wählen, tun
wir das, was Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie,
"Rückwärtsdenken" genannt hat und was nicht irgendeine
Spielerei oder Knobelei sein soll, sondern etwas, das uns in
unserem Denken und Leben grundsätzlich verändern könnte, wenn
wir es intensiv genug üben.
Wir reißen uns dadurch los von der gewohnten Laufrichtung der
Dinge, die wir als ein "ständiges Vorwärts-Denken"
charakterisieren könnten. Und indem wir uns davon losreißen und
die Gegenrichtung einschlagen, kommen wir gerade in die
Geistigkeit des Daseins hinein und aus der - ich sage mal -
natürlichen Fahrtrichtung unserer Leiblichkeit und Physis
heraus.
Mag sein, dass ihr mich jetzt nicht verstehen könnt. Das macht
aber nichts. Ich will euch später, wenn wir ein Stück
Gegenrichtung zurückgelegt haben werden, wieder daran erinnern.
Dann solltet ihr verstehen können.
Entschuldigung, wenn ich mich in euer Gespräch nun einmische,
aber meine obige Anmerkung sollte meine eigentliche Aussage nur
einleiten, nicht schon diese selbst sein. Und so möge mir jetzt
erlaubt sein, diese Aussage nachzuholen.
Du, Philosoph, sagst aus, du wüsstest über Tod und Nichtsein
nichts auszusagen und hältst also ein Weiterdenken in dieser
Richtung für ausgeschlossen?
Dann, so schlage ich vor, sprich doch einfach über das
Gegenteilige, über das Leben und Sein, worüber du dann
vermutlich so einiges oder gar sehr vieles aussagen
kannst?
Nach meiner Meinung ist dies nämlich in gewisser Weise
dasselbe, über das eine oder über das andere zu reden, um Große
deiner Kollegen mit in unser Gespräch hereinzunehmen, Hegel und
Heraklit, die eine gewisse, auch vielen Philosophen dubios
erscheindende "Dialektik" gelehrt haben, eine
Zusammengehörigkeit der Gegensätze.
Du sprichst hier deine Sichtweise des Materialismus aus, und
wir können jetzt unschwer sehen, wie deine und meine Prinzipien
diametral einander gegenüberstehen. Denn im Spiritualismus ist
der Prozess des Nachdenkens ein geistiges
Geschehen, und dieses Geschehen ist nicht nur der
wichtigste, sondern im Grunde der eine und einzige Sinn und
Zweck im Universum: kein Überbau, sondern der Kern und Nerv der
Sache des Seins, der im sinnlich-physischen Daseins-bereich
lediglich einen materiellen Unterbau erkennen lässt.
Und wenn deine Denkungsweise die richtige ist: Warum sprichst
du denn dann überhaupt hier und jetzt mit uns und unternimmst
also etwas ganz und gar ...Sinnloses - rein kosmisch gesehen?
Gut, diese Argumentation und Motivation kann ich
anerkennen.
Im Spiritualismus hat unser Gespräch einen tieferen Sinn, so
dass wir hierbei möglichst aufmerksam und konzentriert sein
sollten, denn wir rühren damit an das Wesenhafte des Seins
überhaupt, weshalb wir im Erkenntnisprozess jederzeit damit
rechnen sollten, solche Ideen, Einfälle, Eingebungen,
Inspirationen zu bekommen, die uns und unser bisheriges Leben
völlig aus den Angeln heben könnten.
Und, um unsern Theologen im Gespräch nicht zu verlieren:
Enthält nicht auch die Bibel, speziell das Neue Testament eine
variantenreiche Fülle an Warnungen wie "Gebt acht! Seht euch
vor! Lasst euch nicht einlullen!", womit biblisch doch schon
angedeutet ist, die Wirklichkeit halte eine Überraschung im
Sein für die Menschheit bereit?
Und wenn es nun daran liegt, dass das Wort Gottes nicht
ohne weiteres verstehbar ist, sondern erst einmal eine
Zeit, eine Heils-Geschichts-Zeit ins Land gehen muss,
ehe aus einer sündhaften Vernunft eine unter dem Wirken des
Geistes heil gewordene Vernunft werden kann?
Das Evangelium wurde Sündern gegeben, als Botschaft ihres
Gerettetwerdens, nicht ihres Gerettetseins.
Und die Bibel ist das entscheidende Hilfmittel, das unter
dem Wirken des Geistes doch erst wahrhaft lesbar
wird, so wie wir es auch hier schon versucht haben.
Und Lessing, den wir bereits erwähnten, trifft wohl das
Richtige, wenn er in seiner EdM über die Zeilen hinweg sagt:
"Die menschliche Vernunft könnte wohl aus sich selbst
heraus zur Wahrheit kommen, aber sie kann einfach
nicht. Denn sie hat sich vom Wahren allzu weit entfernt,
so dass sie darauf angewiesen ist, von Gott oder dem göttlichen
Geist immer wieder Richtungsstöße zu erhalten, um so allmählich
wieder auf Kurs gebracht werden zu können."
Der Kurs der Heilsgeschichte ist ein Korrektur-Kurs und streng
genommen zu unterscheiden vom natürlich-richtigen Lauf der
Dinge. Die Heils-geschichte will ein unheil oder schadhaft
Gewordenes wieder heil machen, also in ihrer ursprünglichen
Richtigkeit wiederherstellen.
Deshalb auch ist die oben genannte Jesusfrage
"Warum findet ihr nicht
schon von selbst das rechte Urteil?"
auf der einen Seite richtig, auf der andern Seite falsch. Und
wir erkennen es daran, dass Jesus Christus uns diese Frage
nicht von oben herab zuruft, sondern er
stellt sie unter uns, womit er ja selbst faktisch
schon die Zweiseitigkeit seines Wortes bestätigt, folgend der
Zweiseitigkeit unserer Vernunft, zu können und zugleich doch
nicht zu können.
Analog müssen wir die Bibel in all ihren Äußerungen erst
angemessen lesen lernen, und wir können hierbei nicht
schneller sein, als es der Geist in der Zeit ist oder gewesen
ist oder erst noch sein wird.
Allerdings sollten wir hierbei auch den Gedanken in Betracht
ziehen, wir hätten bereits Versäumnisse begangen,
seien also dem Wirken des Geistes in der Zeit nicht gefolgt,
sondern dahinter zurückgeblieben.
Und wegen dieses Zurückgeblieben seins unseres Denkens hinter
dem heilsgeschichtlichen Vorangeschritten sein unserer
Wirklichkeit klappt der Vermittlungsversuch eines
zurückgebliebenen theologischen Denkens nicht. Ich will dich
aber mit dieser Aussage nicht etwa beleidigen, sondern sehe
hier die sachliche Ursache deiner Problematik.
Als einen konkreten Beleg hierfür will ich das andersgeartete
Selbstverständnis der Anthroposophen benennen, für die die
konkrete Wirksamkeit des Geistes keine Glaubenssache mehr ist,
sondern sich - zwischenzeitlich - von selbst versteht.
Anders in der Theologie, wie an deiner eigenen Auffassung
erkennbar wird, indem du als eine reife Frucht deines
theologischen Denkens zu Beginn anführtest, eine ernsthafte
Theologie müsse vom dritten Glaubensartikel ausgehen und diesen
sozusagen in die Konkretion unserer Lebenswirklichkeit hinein
auslegen. Also: Dein Resultat ist bei uns zur
selbstverständlichen Ausgangssituation geworden.
Siehst du den Unterschied?
Und ich gebe dir noch ein handgreifliches oder auch
himmelschreiendes Beispiel - den Papst. Ich meine aber keinen
bestimmten, sondern die Rolle und Figur des Papstes, wie sie
sich über die Jahrhunderte und Jahrtausende der bisherigen
Kirchengeschichte entwickelt hat. Ist nicht die päpstliche
Führung der römisch-katholischen Kirche wie eine zum Leben
erweckte Donquichotterie? Ich kann in einer solchen Theologie
und Konfession keine Wirksamkeit des Geistes erkennen,
allenfalls eine Fadenscheinigkeit des Geistes, die sich im
Schlussfolgern befleißigt, um zu erweisen, dass das, was
faktisch in ihr nicht da ist, die Gegenwärtigkeit des Geistes,
doch - irgendwie - da sei? - Ich spreche hier aber meine
persönliche, nicht allgemein-anthroposophische Überzeugung aus.
Mir ist jetzt nicht klar, wen du mit "uns" oder "wir" meinst -
aber gut. Ja, z.B. die bereits genannte Zersplitterung unserer
Wissenschaft, die dazu führt, dass leider nur
theologisch in die Bibel hineingeblickt wird, nicht
zugleich z.B. auch tiefenpsychologisch.
Unser Philosoph kommt ja aus seiner Warte zu demselben
Ergebnis, wie in dem Bild des Davongelaufenseins der
Gegenstände sehr anschaulich beschrieben, nur dass er seine
Erkenntnis nicht auf die Bibel bezieht, weil er sie
nicht als Denk-Gebrauchsanleitung ins Auge fassen
kann, indem er die Glaubenssicht nach wie vor als
unzulässig ablehnt.
Besonders fruchtbar schiene mir auch eine literarische
Betrachtung der Bibel zu sein. Nun umfasst die Theologie zwar
auch die historisch-kritische Methode der Literarkritik, aber
an eine echt literarische Textsichtung kommt sie damit noch
nicht heran, wie mir scheint.
Ich führe das Johannesevangelium als Beispiel an, in welchem
Jesus Petrus dreimal auffordert, die Schafe zu weiden (Joh.
21,15-17). Dies ist ja, oder sollte sein, sein eigentlicher
Auftrag - und mit der dreimaligen Liebesfrage und
der dreimaligen Aufforderung zur Auftragsumsetzung ist
ein Zweifel Jesu an der Erfüllung durch Petrus in den
Raum gestellt.
Bei genauerem Hinsehen sieht man, dass Jesus beim ersten Mal
nicht von Schafen, sondern von Lämmern
spricht. Und daraus kann man - literarisch -
schlussfolgern, dass es dem Textverfasser auf das
Verstreichen von Zeit ankomme. Diese Vermutung erhärtet
sich in den Folgeversen, indem Jesus bezugnehmend auf das
Schicksal des Petrus wieder zeitunterscheidend
differenziert: "Als du jünger warst... - Wenn du aber
alt bist..." (Joh. 21,18). Und in der sehr
merkwürdigen Schlussperikope des Johannes-evangeliums (Joh. 21,
20-23), in der Jesus Petrus gegenüber sogar eine schroffe
Kommunikations-verweigerung übt, wird vom geliebten Jünger
Johannes ein "Bleiben bis zum (Wieder)Kommen (Christi)"
ausgesagt, was im Grunde nur dann Sinn ergibt, wenn die
beiden (engsten) Jünger Jesu hier als
Repräsentanten ganzer Christentums-Traditionen
angesehen werden, nicht nur Petrus.
Dann wird die Textbetrachtung insgesamt wesentlich
komplexer, und es muss für die Bibelworte ein größerer
Ernst und eine größere Tragweite angenommen werden: Johannes
ist der Jünger, den Jesus liebt, Petrus ist
der Jünger, der dreimal (vergeblich) nach seiner
Liebe zu Jesus gefragt wird.
Im Petrusschicksal wird zwar ausdrücklich eine
Individualdeutung gegeben (V. 19), im Johannes-schicksal wird
eine Individualdeutung ausdrücklich als falsch abgelehnt. Damit
muss doch der Johannes-Schicksals-Satz als
"traditionsbildend" ins Auge gefasst werden? Und
sekundär, also nach erfolgter Reflexions-
oder Geistumwandlung des (literarisch später gegebenen)
Johannessatzes, auch der (literarisch früher gegebene)
Petrus-Schicksals-Satz, wobei wir diesen Reflexionsprozess mit
der christlichen Kirchen-geschichtserfahrung parallelisieren
können. Und dieser Schicksals-Satz enthält ja sogar schon
die Geste des modernen Papsttums: das
Händeausstrecken (wobei wir uns das Winken noch
hinzudenken können).
Dann kommt für die (anzunehmende) Johannes-Tradition eine
gewisse, länger währende Unsichtbarkeit heraus, für
die äußerlich dauerhaft sichtbare Petrus-Tradition eine von
außen einschreitende Intervention ("und ein anderer wird
dich gürten und führen...", V. 18). Und dann kann man auf der
christlichen Glaubensgrundlage, dass das Wort Wirklichkeit
werden wird, die Reformation als eine solche, erstmalig
einschreitende Intervention zu denken versuchen usw.
Abgesehen davon, dass Kant den Begriff der Spekulation zu
Unrecht abqualifizierte (im Gegensatz zu Lessing), bleibt das
Versäumnis bestehen, dass die Theologie einseitig theologisch
in die Bibel blickt und dasjenige, was sich parallel
wissenschaftlich getan hat, nicht angemessen
mitberücksichtigt.
Ich nenne ein weiteres Beispiel: Die
Relativitätstheorie hat den Begriff des Bezugssystems
naturwissenschaftlich hervorge-bracht. Warum wird theologisch
nicht gesehen, dass dieser kosmische Begriff punktgenau in
die Sündensituation des Menschen passt? Wir befinden uns -
aus dem Glauben heraus gesehen - in einem Bezugssystem des
Gefallenseins. Dies gilt aber nur irdisch. Der Kosmos hat
damit nichts zu tun. Und wenn dies theologisch-kirchlich
kommuniziert worden wäre, wäre unsere
Wissenschaft insgesamt vielleicht nicht auf die Idee
verfallen: Die Bibel kann keine Wahrheit enthalten.
Man hätte vielmehr richtig geschlussfolgert: "Das" Wort Gottes
haben wir konkret zu nennen "unser" Wort Gottes. Es wurde
nicht in die Welt schlechthin
hineingesprochen (wie man in geozentrischer Zeit noch vermuten
konnte), sondern nur in unsere irdische Welt.
Daher hat es keine absolute Gültigkeit, sondern eine
nur relative Gültigkeit, bezogen auf unsere irdische,
gefallene Menschheit, nicht auf jedwede Menschheit im
Universum, die vielleicht gar keinen Sündenfall erlitten haben
mag und daher auch gar keine Rettung und kein Evangelium
braucht und selbstverständlich auch niemals bekommen
hätte.
Es sollte uns ja auch nicht als ausgemacht
gelten, dass Menschheiten definitiv oder konstitutiv in
kosmischer Isolation leben müssen wie wir. Eine
solche Annahme erscheint mir als über die
Maßen spekulativ, spekulativ hochgerechnet aus
einem uns bekannten Einzelfall, nämlich unserem
eigenen. Und selbst diese unsere Isolations-situation
währt ja erst - aufs Ganze der Menschheitsgeschichte gesehen -
seit "Sekunden" und kann daher doch wohl unmöglich
als Norm und Regel unserer oder gar aller
Menschheitssituation genommen werden?
Was soll denn an einem solchen (willkürlichen)
Menschheitsauffassen kritisch und wissenschaftlich
sein?
Begeht hier nicht unsere angeblich objektive Wissenschaft eine
Verzeichnung der wahren Verhältnisse? Und zwar
unglaublich empörenden Ausmaßes, so dass sie sich in
ihrer allzu grob zupackenden Begrifflichkeit - kosmisch gesehen
- benimmt wie der Elefant im Porzellanladen, der uns Menschen
gegenüber noch den Vorteil hätte, dass er sein
Zerschlagen des Porzellans wenigstens selbst hören
würde, während uns unsere eigene Zersetzungs- und
Zerstörungs-Begrifflichkeit als solche entgeht und wir uns
vielleicht auch noch einbilden, hierbei konstruktiv und kreativ
zu sein?
Ich bedanke mich für eure positive Aufnahme meines Redens, und
will versuchen, euer beider Interessen gerecht zu werden.
Was den Glaubenssprung betrifft, so sah ich schon an früherer
Stelle eine gute Möglichkeit einer Gesprächsfortführung, nur
entwickelte sich dann unser Diskurs in eine andere Richtung.
Und da ich mich nicht als Gesprächsführer oder Schiedsrichter
unter uns sehe, sondern als gleichberechtigter Teilnehmer,
hielt ich es für unangebracht zu intervenieren, um dem Disput
eine von mir gewünschte Stoßrichtung zu geben.
Sokrates ist jetzt angeklungen, und an dieser frühen Stelle
unserer Geistesgeschichte konnte man immer schon eine wichtige
Erfahrung über den Menschen machen, nämlich, dass er Schüler
und Lehrer zugleich ist. Der Geist hat die Besonderheit an
sich, dass ihm sowohl das Schüler-sein-im-Geiste als auch das
Lehrer-sein-im-Geiste zukommt.
Sokrates suchte nach der verlorenen Weisheit, und er suchte sie
in den Menschen seiner Umgebung. Bei der diskursiven Prüfung
des Wissens, das er vorfand, stellte er fest, dass er selbst
über diese Wissensstände bereits hinausgekommen war, wodurch er
sie als Grade des Nichtswissens qualifizieren konnte. Sokrates
wollte Schüler sein und wurde unfreiwillig zum Lehrer.
Nur hat er dann nicht die Konsequenz gezogen, von der Prüfung
seiner Mitmenschen abzulassen und seine eigene,
fortgeschrittene Erkenntnis-methodik zu vertiefen, wenngleich
im Alleingang.
Wenn der Mensch nun aber in Wahrheit seine Erkenntnisse nicht
von Anderen erhält, sondern aus sich selbst heraus findet,
sollten wir dann nicht etwas wie ein merkwürdiges "Selbst in
uns" näher ins Auge fassen, um dem Erkenntnisprozess - nun ja -
"Erkenntnis-Geheimnis" auf die Spur zu kommen?
Im Johannesevangelium spricht Christus von einem Beistand, den
er in der Zeit seiner Abwesenheit senden wird. Von diesem sog.
Heiligen Geist wird ausgesagt, dass er "sagt, was er hört"
(Joh. 16,13), und er "hört" von Christus, der laut Mt. 23,10
der einzige Lehrer der Christen ist. Also steht dieser Heilige
Geist zugleich im Schülerverhältnis (er "hört" von Christus)
und im Lehrerverhältnis (er "spricht" zu den Christen).
Es geht also um ganz allgemeine Seins- oder Geist-Verhältnisse,
wobei wir im Johannes-evangelium nicht nur dieses
"Hinauf-hören" und "Hinunter-sprechen" finden, sondern auch
noch ein "In-Sein", z.B.:
"...dass sie alle eins
seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen
auch sie in uns sein..." (Joh. 17,21)
Und so kommen wir diesem "Selbst in uns" näher, es ist nämlich
der allen gemeinsame Geist selbst, der nur dann gewahrt ist,
wenn er die Verhaltensweisen des Hinauf- (oder Hinüber)hörens,
des Hinunter- (oder Hinüber)sprechens und des In-Seins
wahrheits-gemäß praktiziert.
Zur Verdeutlichung mögen wir uns vorstellen, dass ein wahrhaft
im Sein ausgerichtetes menschliches Ich gar keine festumrissene
Identität haben darf, mit welchem es sich auf seine Umgebung
und seine Zeitverhältnisse festlegt. Mit einer solchen
Ich-Identität verkürzte sich der Mensch als ein Geistwesen
unendlich. Wir werden also ein "offenes Ich" entwickeln müssen,
welches "mehr" ist als seine Umgebung und Zeitverhältnisse,
welches darüber hinausragt, gleichsam mit dem Vorbehalt eines
geistig-erkennenden Spiel-Raums, der als ein Lösepotenzial in
der vorübergehenden Identitäts-Setzung bestehen bleibt.
Und als Ur- und Vorbild können Christen Jesus Christus sehen,
der ein solches offenes Ich vor uns Menschen, die wir in die
Sünde (der Festlegung) gefallen sind, hingestellt hat. Wir
sehen es in seiner Betonung seines Vater-Bezuges. Und wenn die
Heilsgeschichte richtig läuft, muss ein jeder Mensch (zumindest
jeder Christ) zu einem unmittelbaren Geist-Bezug finden, so
dass sich unser Hinauf-hören mit seinem Herunter-sprechen
begegnen kann, und dadurch erhält der Christ auch einen
unmittelbaren Christus-Bezug, gewinnt das In-Sein, und in
Christus gewinnt er dann auch einen unmittelbaren Vater-Bezug -
und hat also dann ein solches offenes Ich, das den wahren
kosmischen Seins- und Geistverhältnissen wieder
entspricht.
Anthroposophisch können wir diese Verhaltensweisen des Geistes
als höhere Erkenntnisstufen identifizieren, nämlich als
Inspiration und Intuition. In der Inspiration ist der Geist
erkennend ausgerichtet auf ein höher stehendes Geistwesen
(Hinauf-hören), in der Intuition versetzt der Geist sich an die
Stelle des höheren Geistwesens (In-Sein), was
selbstverständlich nichts mit Überheblichkeit zu tun hat,
sondern den Sinn und Zweck hat, ein Gesprür für den "höheren
Standpunkt" oder "Standort im Sein" zu finden, vergleichbar
einem Kompass oder einer Selbst-Justierung.
Es ist schwer, einen Anfang zu machen. Und es ist schwer, Dinge
stringent und im Zusammenhang darzulegen, ohne kaum Zeit und
Raum zu verbrauchen; das ist in der Wirklichkeit, in der
Schöpfung nicht anders als im kreativen Denken und Erkennen.
Komprimiert man sie zu stark, so können sie keinen Aufschluss
mehr geben, sondern erscheinen als Verschlüsselung oder
Kodierung. Legt man sie ausführlich dar, so dass sie möglichst
gut und leicht nachvollziehbar und verstehbar sind, droht die
Aufmerksamkeit der Hörer verloren zu gehen, indem es ihrer
womöglich schnelleren Auffassungsgabe wie Zeitvertrödelung und
unnötige Ausschweifung erscheint.
Jeder Mensch steht an einer je anderen, eben an "seiner"
Raum-Zeit-Stelle, von welcher aus sich ihm seine individuelle
Aussicht im Sein ergibt, aufgrund der Besonderheit seiner
Persönlichkeit und der Einzigartigkeit seiner
Erfahrungs-zusammenhänge. Und folglich hat das Denken jedes
Individuums auch seinen individuellen Ausgangspunkt und ein je
eigenes Selbst-verständnis, von welchem aus es kommunikativ
abgeholt werden müsste, um sich selbst wieder individuell ins
Sein und seine Zusammenhänge angemessen hineinzufinden.
Man müsste also, um einem Mitmenschen etwas klipp und klar
darlegen zu können, speziell auf ihn und seine geistige
Herkunft eingehen, was allein schon dadurch schwierig bis
unmöglich ist, dass wir in dem, was wir bewusst denken und
aussagen, noch nicht einmal unbedingt das im eigenen
Unbewussten Liegende eingeholt und mitberücksichtigt haben
müssen.
Ein Jeder und eine Jede ist also sein und ihr eigener Anfang,
und deshalb kann es auch nicht richtig sein, mir, dem
Vortragenden, einseitig vorzuwerfen, nur das "Seine"
berücksichtigen zu wollen. Es muss auch von Seiten der Hörenden
der Wille und die Bereitschaft vorhanden sein, Neues
kennenzulernen, denn anders ist ein Erkennen doch überhaupt
nicht möglich, ohne Bereitswilligkeit, sich von Altem und
Altbekannten zu lösen und zu trennen, um Neues und
Fruchtbringendes in sich hereinnehmen zu können?
Nun bin ich der Überzeugung, unsere drei Standpunkte - ein
philosophischer, ein theologischer und ein anthroposophischer -
müssten sich ineinander überführen lassen können, zuetzt gar
alle von Menschen eingenommenen Standpunkte, gemäß meiner
spiritualistischen Weltauffassung.
Und die Sozialproblematik einer menschheitlichen
Gemeinschaftsbildung hängt demnach davon ab, inwiefern es
zwischen Individuen oder Gruppen oder Institutionen gelingt,
ihre Kommunikation miteinander entsprechend auszurichten, so
dass die Offenheit ihres Ich gegenseitig gewahrt bleibt und der
eine den andern nicht hindert.
Insofern schlage ich vor, ihr legt mir konkrete Anstoßnahmen
oder Auslöser eures Denkens vor. Dann kann ich auch versuchen,
von dort aus Erkenntnisverbindungen herzustellen.
Es freut mich außerordentlich, dass du, Philosoph, den Willen
zur Wahrheit, also das Streben nach Erkenntnis, für dich
geltend machst, wenngleich ungerechtfertigterweise für deinen
eigenen Standpunkt sogleich auch vereinnahmst. Wir drei waren
uns darin doch schon übereingekommen, dass das aufrichtige
Streben nach Erkenntnis unsere gemeinsame Gesprächsbasis sei,
und ich will nur nochmals unterstreichen: Lasst uns einfach
dabei bleiben!
Zunächst will ich ein Argument anführen, welches du - momentan
- als unzulässig ansehen magst, weil es - derzeit - außerhalb
deiner liegt, weshalb ich sogleich hinzufügen will: Das muss ja
nicht so bleiben, wenn denn die Aufrichtigkeit deines
Erkenntnisstrebens deine Grundlage und Konstante ist.
Die Bibel selbst sagt nämlich aus: Die Liebe zur Wahrheit
wird den Menschen retten (2 Thess. 2,10). Sie sagt damit
aus, die reine Vernunftentfaltung wird den Menschen zur
Wahrheit führen, und sie spricht ja sozusagen aus einem
spiritualistischen Selbstverständnis heraus.
Das Bedeutsame oder auch Bemerkenswerte hierbei ist, dass in
dieser Aussage auf die Voraussetzung des Glaubens verzichtet
ist! Diesen Punkt, bitte ich, deutlich zur Kenntnis zu
nehmen.
Also sagt doch die Bibel - ich betrachte sie jetzt auch einmal
als Person, die zum Menschen sprechen kann, so wie du eben die
Natur hast zum Menschen sprechen lassen: "Lieber Mensch, du
musst keinen "Glaubenssprung" tun, um zur Wahrheit kommen zu
können. Es genügt schon voll und ganz, wenn du deine eigene
Vernunft konsequent entfaltest. Aber du musst es konsequent tun
und nicht in Pseudo- oder Fehl-Schlüssen stecken bleiben!"
Das ist richtig gesehen, doch muss ich dich um Einhaltung der
von mir bzw. von der Bibel geforderten Vernunft-Konsequenz
bitten. Wenn der Ungläubige, Atheist, Materialist - sofern er
ein aufrichtiges Streben zur Wahrheit in sich trägt - in seinem
diskursiven Denken konsequent bleibt, so wird er auch zur
Annahme der Geistwelt, des Spiritualismus, der Bibel, des
Evangeliums, des Glaubens kommen.
Und dann wird er irgendwann doch noch in die Bibel
hineinblicken, und er wird dann allen Gläubigen die Erkenntnis
voraus haben, dass er aus sich selbst heraus
den genannten Bibelsatz bestätigt findet, denn im
Gegensatz zum Gläubigen war er zuerst in seiner Vernunft
tätig und findet dann erst die Bestätigung der
Richtigkeit seiner Vernunftbetätigung in der Bibel!
Ich erinnere dich an unsere Geistesgeschichte: Zuerst war die
Philosophie, das aufrichtige Streben zur Wahrheit, dann erst
sind Evangelium und Glaube und Bibel dazugekommen, und mit
Lessing will ich den Grund bestimmen: als neuer, besserer
Richtungsstoß für die menschliche Vernunft. Und hattest du
nicht selbst festgestellt, dass platonische Philosophie und
christlicher Glaube darin merkwürdig konvergieren, dass zuerst
die reine Philosophie eine Verkehrung des Seins behauptete, was
später dann biblisch-theologisch sozusagen als wahr bestätigt
wurde? Wie kann denn die bloße Vernunft auf Dinge kommen, die
dann durch den Glauben bzw. durch höhere Mitteilung bestätigt
werden?
Und deshalb habe ich diese Vernunft-Konsequenz als wichtig
herausgestrichen, denn du, Philosoph, meinst sie zwar
zu haben, aber ich sage dir: Du hast sie gar
nicht! Sie fehlt dir noch! Du steckst in Fehl- und
Falsch-Schlüssen fest!
Das In-Frage-Stellen ist die Urdomäne der Philosophie, ihre
große und allergrößte Kunst. Und große Philosophen erkennt man
daran, dass sie genau dort, wo gemeinhin
"Selbstverständlichkeit" besteht, meinetwegen "Evidenz"; dass
sie genau dort auch nochmals Fragen aufzuwerfen imstande sind,
Unklarheiten also erkennen, die noch niemand zuvor gesehen
hatte, obwohl sie tatsächlich möglich und berechtigt
sind.
Ich will einmal Kant hier anführen, wenngleich mir seine
"geistige Größe" überaus zweifelhaft erscheint und m.E. stark
relativiert werden muss. Immerhin, er warf die echt
philosophische Frage auf: Die Philosophie befleißigt sich seit
vielen Jahrhunderten in der Erkenntnis des Universums
- sollten wir nicht zuvor schon die Frage aufgeworfen und
geklärt haben, ob sie das denn überhaupt könne!?
Ich halte dich gar nicht hin, sondern möchte, dass du bewusst
zur Kenntnis nimmst, dass die Philosophie prinzipiell
keinen weltanschaulichen Standpunkt einnehmen oder vertreten
kann, weil sie gar kein inhaltliches, sondern ein
rein formales Anliegen verfolgt: die Suche nach bzw.
Erkenntnis der Wahrheit.
Und wenn das so ist, dann kann sie weder vom Spiritualismus
noch vom Materialismus vereinnahmt werden, oder noch präziser:
Der Philosoph an sich ist zunächst einmal welt-anschaulich
indifferent, denn sein eigentlicher oder auch einziger Gegner
ist die Selbstverständlichkeit, die er als solche
grundsätzlich in Frage stellen muss, und zwar deshalb, damit er
nicht Opfer einer eigenen Annahme oder Voraussetzung
wird, die er sich als solche nicht bewusst gemacht hat. Auf
dieses wichtige Thema geht Kant dann ja wenigstens in seinem
Opus postumum ein, in der er die Frage geheimer oder unbewusst
bleibender Urteile unserer Vernunft aufwirft.
Und da nun ein jeder Mensch
gewissermaßen auch sein eigenes Selbstverständnis oder seine
eigenen Selbstverständlichkeiten hat, so kann man auch sagen:
In der Philosophie hat der (zur Wahrheit strebende) Mensch
einen weltanschaulichen Kampf mit sich selbst aufgenommen oder
Geisteskampf in sich selbst begonnen.
Lass mich ein von dir benutztes Stichwort aufgreifen, das dir
selbst nicht gefällt: Dialektik. Die Dialektik basiert auf
einer Beobachtung von gegensätzlichen Sachverhalten oder
Aussagen, wobei sie meint, auf einer höheren Ebene die
Widersprüchlichkeit aufheben zu können.
In unserem Fall bist du selbst es gewesen, der die einander
gegenüberstehenden Positionen formulierte, die
Widersprüchlichkeit feststellte und diesen Widerspruch dann
auflöste. Und so, wie es jetzt den Anschein hat, bist du der
Auffassung, für diesen Widerspruch gebe es überhaupt nur eine
einzig wahrhafte Auflösungsmöglichkeit, nämlich die von dir
benannte.
Konkret: Der Mensch sagt: "Ich will bleiben", die Natur
sagt: "Du musst gehen". Das ist der Widerspruch. Die Auflösung
des gläubigen oder religiösen Menschen, für welche uns hier der
Theologe geradestehen muss, besteht darin, dass er seinen
Ewigkeitswunsch personifiziert sieht, realisiert in dem Gott,
und von ihm her löst sich der Widerspruch auf, zwar nicht im
Irdischen, aber zumindest hinterher im Himmlischen; und damit
diese Lösung nicht allzu platt erscheint, gibt es also im
Irdischen die Hürde des moralischen Lebenswandels usw. usw.
Sie gefällt dir deshalb, weil ich meine Formulierung deiner Perspektivik angepasst habe. Sie ist nicht die meine, und ich kann mir gut vorstellen, dass unser Theologe sie selbst entsetzlich platt und unangebracht findet. Aber es geht ja momentan weder darum, wie der Theologe sich selbst versteht, noch darum, wie ich mich selbst verstehe, sondern darum, dass du meiner Argumentation bestmöglich folgen kannst. Insofern bitte ich dich, Theologe, hier einfach einmal zu schweigen und mich in meiner Gedankenführung gewähren zu lassen; deine Anstoßnahme an meiner Terminologie: geschenkt.
Wie ist das nun mit diesen beiden Sätzen und Urteilen - "Ich will bleiben" und "Du musst gehen": Sind sie denn wirklich ein Letztes und Höchstes, das nicht weiter rückführbar ist?
Dann schlage ich vor, wir nehmen uns den ersten dieser beiden "fix und gültigen" Sätze vor, um ihn in sich selbst genauer zu betrachten zu versuchen. Ich sage bewusst "versuchen", denn nach deiner vorgetragenen Meinung, Philosoph, ist dies ja gar nicht möglich.
Meine Frage - aus meiner spiritualistischen Weltauffassung heraus, die, wie du weißt, den Geist als ein Erstes und Oberstes voraussetzt - ist: Wo nimmt der Mensch die Idee der Ewigkeit denn her? Denn aus der Erfahrung kann er sie ja wohl schlecht gewonnen haben, da uns diese die Vergänglichkeit von allem lehrt oder wenigstens: zu lehren scheint.
Wählst du jetzt ganz bewusst diesen Terminus der klinischen Psychologie und Psychiatrie, um damit zum Ausdruck zu bringen: Nur ein gestörtes Denken, nur eine abnorm entwickelte Vernunft kann auf einen solchen irrealen Gedanken verfallen?
Damit machst du aber einen Schluss. Du schließt, die Idee sei krankhaft und gestört, indem du das von uns beobachtbare Werden und Vergehen der Natur, zu welchem dann auch das Sterben und der Tod gehören, als das Natürliche, Normale, Gesunde ansetzt.
Es ist aber nur die eine Möglichkeit, den Widerspruch
zu lösen. Man muss die Sache nur vollständig vor sich
hinstellen.
Der Widerspruch "Ich will sein - Du musst gehen" kann gewiss so
aufgelöst werden, dass man sage, das "Ich will sein" sei das
Falsche, und das "Du musst gehen" sei das Wahre.
Prinzipiell wäre aber auch die umgekehrte Auflösung
denkbar: Das "Du musst gehen" ist das Falsche, und das "Ich
will sein" ist das Wahre.
Ich stellte dir vorhin dar, dass die Philosophie ein formales
Wahrheitsinteresse hat und gut daran tue, weltanschaulich nicht
Partei zu ergreifen, also keine inhaltliche Festlegung
innerhalb ihrer Erkenntnissuche vorzunehmen.
In unserm konkreten Fall heißt das, wir sollten uns bemühen,
weder einseitig einen materialistischen noch einseitig einen
spiritualistischen Standpunkt zu vertreten, vielmehr
anerkennen, dass es faktisch unter uns Menschen verschiedene
Standpunkte oder Ansichten des Seins gibt.
Und so sollten wir sie auch zur Kenntnis nehmen und also
gedanklich durchspielen. Denn wir wissen ja beide, dass uns
hierbei nichts geschehen kann. Und wenn nun einer von uns die
Erfahrung machen sollte, dass er seinen Standpunkt nicht in
Wahrheit halten kann, dann muss er anerkennen, dass unser
Gespräch für ihn sehr wertvoll gewesen ist. Und wenn er aber
seinen Standpunkt bestätigt findet, dann wiederum weiß der
Andere, dass das Gespräch für ihn sehr wertvoll war.
Können wir uns also darauf einigen, dass es - auch der
gedanklichen Vollständigkeit halber - richtig, gut, vernünftig
ist, alle Möglichkeiten, die wir sehen können, durchzuspielen?
Das ist gut von dir beobachtet. Der Mensch scheint in seinem
Denken grundsätzlich zur Einseitigkeit zu tendieren. Er kommt
im Laufe seines Lebens zu einer weltanschaulichen Überzeugung,
zu einer Idee des Wahren, sei es durch andere, sei es durch
sich selbst, und dann neigt er dazu, alles in dieser Idee zu
schauen und alternative Denkmöglichkeiten gar nicht mehr in
Betracht zu ziehen, was wir hier aber versuchen und üben
wollen.
Und was dein Nichtproblem betrifft: Im Spiritualismus
könnte das genaue Gegenteil greifen: Das Denken - eines
Geistwesens - ist nicht nur ein Erkenntnisprozess, sondern
dieser Erkenntnisprozess ist selbst Wirklichkeitsprozess des
Geistes. Und insofern räume ich ein, dass die Möglichkeit und
Gefahr der Zeitvergeudung auf meiner Seite liegt. Denn
es könnte ja sein, dass der Mensch nur ein gewisses Quantum an
Zeit zur Verfügung gestellt bekommen haben könnte, um zu einem
bestimmten Denkergebnis und zu einer gewissen Reife zu kommen.
Und dann könnte ein Schnitt, eine Abrechnung auf ihn zukommen.
Solcherlei Gedanken finden sich ja auch nicht zu knapp in der
Bibel. So ist es doch, Theologe?
Das "Ich will sein" kann als eine Ausformulierung des
Lebenswillens im Menschen angesehen werden.
Wenn wir aber in diesen Lebenswillen selbst zurückfragen, dann,
scheint mir, können wir tatsächlich kein Anderes mehr anführen,
durch welches er bedingt oder hervorgerufen sei. Er ist ein
Erstes und Ursprüngliches, und jeder Mensch hat ihn schlicht
aus sich selbst heraus, das heißt, er ist gleichursprünglich
mit dem Menschen da.
Dieser Lebenswille ist freilich auch im Tier da, aber im
Gegensatz zum Tier kann der Mensch diesen seinen Lebenswillen
reflektieren und zum Gegenstand seines Nachdenkens erheben.
Dann höre gut zu, welche Gedanken
sich die menschliche Vernunft hierüber dennoch noch machen
kann, auch wenn du persönlich ans "Ende des Denkens" gelangt zu
sein glaubst.
Wir wollen jetzt also - versuchsweise - ernsthaft in
die anderer Richtung denken. Und jetzt kann
ich euch an das oben genannte Rückwärstdenken des
Begründers der Anthroposophie erinnern.
Und wenn ich sage "versuchsweise", so möchte ich diesen
Terminus verstanden wissen ganz im Sinne der
Experimetierfreudigkeit unserer Naturwissen-schaft. Mir
ist nämlich nicht bekannt, die materialistisch infiltrierten
Naturwissenschaften hätten ein Ausschließlichkeitsrecht darin,
die Natur oder unsere Wirklichkeit oder das Sein
auszuprobieren. Wir stellen hier also ein echtes
Experiment an, nur durchgeführt von einer spiritualistisch
denkenden Geisteswissenschaft.
Von einem "rückwärts" will ich hier deshalb sprechen, weil der
vom Philosophen so genannte Existenz-Widerspruch des
menschlichen Daseins wie ein unabänderliches Faktum vor uns zu
stehen scheint. Und auf dieses unser Davor-Stehen lege
ich jetzt die Betonung, nicht auf den unseren Geist
absorbierenden Gegenstand selbst. Beide sind nicht
miteinander identisch, sind nicht eins, und können -
oder könnten - auseinander gehalten werden.
Sieh doch: Es ist im Grunde dasselbe Davor-Stehen, welches uns
Platon in seinem Gleichnis vom Höhlen-Menschen beschreibt. Von
Kind auf nimmt dieser Höhlen-Mensch sich selbst und seine
Umgebung in einer Blick-Fixierung wahr, von welcher er nicht
weiß, dass es eine Fixierung seiner Blickrichtung ist. So hält
er sie für natürlich und normal, weil er sich im Lauf der Jahre
daran gewöhnt hat oder auch daran gewöhnt worden ist. Und seine
Mitmenschen haben dieselbe Gewöhnung angenommen, und so
entsteht der Anschein einer gemeinsamen, wahrheitsgemäßen
Common-Sense-Wahrnehmung, die für alle gleich ist und die sich
alle gegenseitig als natürlich und normal bestätigen
können.
Dann aber kommt im Gleichnis der große, besondere Moment oder
auch Auftritt des Philosophen, der plötzlich ein ganz und gar
Irrsinniges behauptet: "Steht doch auf, liebe Freunde und
Mitmenschen, und dreht euch endlich einmal um! Dreht euch und
eure Blickrichtung herum. Dann seht ihr eine - wie soll ich
sagen? - Beleuchtungs-Problematik menschlicher Existenz. Ihr
nehmt eure Begrifflichkeit und Wahrnehmung als bare Münze, aber
das ist sie nicht. Sie ist das Produkt eurer Fixierung! Ihr
selbst seid zu dieser eurer Falsch-Wahrnehmung geworden, und
ich habe eine Alternative gefunden. Aber sie ist nur sichtbar,
wenn man sich von den Dingen lösen kann.
Und wenn man das kann, passiert Folgendes: Es ist dann, als
würde Wasser des Geistes in unsere Begrifflichkeit und
Wahrnehmung einfließen, und dieses Wasser würde beginnen, uns
unsere Begrifflichkeit und Wahrnehmung aufzuweichen, so dass
sie in Wahrheit gar nicht jene Starre und Fixiertheit hat, als
welche sie uns aber erscheint.
Und dann kommt irgendwann auch ein noch weitergehender Schritt:
Unsere Begriffe werden uns sichtbar wie die vielen Ranken einer
Pflanze, die sich an einem Festen damit verankert hat. Unsere
Begriffe sind unsere Fangarme oder Tentakel, mit welchen wir
fälschlich glauben, die Wirklichkeit selbst festzuhalten. In
Wahrheit ist es so, dass wir uns mit ihnen selbst
fixiert haben.
Und nun müssen wir zusehen, wie wir uns wieder davon lösen
können. Und das Wunderbare an diesem Ungewohnten und scheinbar
Riskanten ist: Indem wir uns von der vermeintlichen
Wirklichkeit lösen, kommt die wahre
Wirklichkeit überhaupt erst zum Vorschein vor
uns!"
So viel zum Rückwärts-Gedanken.
Wir waren beim Lebenswillen, den wir nicht mehr weiter
"zurückführen" können, indem er gleichursprünglich mit uns da
ist.
Nun sollte einem animal rationale wie dem Menschen auffallen
können, dass es sich hier in einer unterschiedlichen
Grundposition befindet zum Tier. Das Tier hat den Willen
auch, und es hat keine moralischen Bedenken, ein
anderes Tier zu reißen, um das eigene Überleben zu sichern, und
für das Tier, so will ich einmal behaupten, macht es auch
keinen Unterschied, ob die Beute ein anderes Tier ist, oder
auch ein Mensch; er fällt genauso unter den Begriff oder das
Raster der Beute (für ein Raubtier, das groß genug ist).
Mir kommt es aber hier gar nicht auf die Moralität an, sondern
darauf, dass die Moralität eine Form der Reflexivität
ist. Der Mensch kann also - prinzipiell - den Lebenswillen
reflexiv zu durchdringen versuchen, was das Tier eben nicht
kann.
Wir gehen jetzt also, vom Lebenswillen als einem
Unbedingten ausgehend, das mit zu unserer
Wirklichkeit gehört, wieder in die andere Richtung: das ist
diejenige der Reflexion oder des Geistes.
Und ein kleines Stückchen sind wir in diese Richtung ja bereits
gegangen, indem wir den Lebenswillen qualifizierten als den
Willen zum Sein, den wir in die Worte fassten: "Ich will sein -
ich will bleiben."
Nun kommt ein wichtiger Schritt, und du, Theologe, hast recht
daran getan, wissbegierig darauf zu sein, wie nun im Geiste
weitergegangen werden kann, indem du feststelltest, das
Rückwärtsdenken habe zu tun mit Platons Umlenkung der Seele
oder auch mit dem christlichen Gedanken der Umkehr.
Wir - als Menschen, im Gegensatz zum Tier - können nun nämlich
auch Voraus- oder Vordenken, nicht nur Zurück-
oder Nachdenken. Und was ist dieses Vorausdenken? Wir
können den unbe-wussten Lebenswillen in die Theorie
heraussetzen, also Schlussfolgerungen anstellen, nur in
diesem Fall nicht zurück, sondern nach vorne.
Wenn wir den Lebenswillen, oder nun: den Willen zum Sein, in die Theorie heraussetzen, so scheint es, als habe der Mensch ein ursprüngliches Wissen darüber, dass Sein anzudauern habe. Und phänomenologisch von unserem Hier und Jetzt aus beurteilt können wir nur sagen: Dieses "Wissen" nimmt der Mensch aus sich selbst heraus.
Du bist ungeduldig, Philosoph, und willst meinen Gedankengang
gar nicht erst abwarten, sondern ziehst ihn vorschnell in jene
Richtung aus, die dir bekannt, geläufig, angenehm ist und von
der du vielleicht auch noch glaubst, es sei die einzig
mögliche, einzig wahrhaftige
Schlussfolgerungs-möglichkeit.
Wir sagten aber doch auch, der Erkenntnisprozess sei
grundsätzlich unberechenbar. Und jeder, der es unternimmt, sich
aufs Erkennen und Forschen einzulassen, müsse darauf gefasst
sein, Überraschendes zu finden, nicht etwa Altbekanntes oder
nur solches Neue, das auf der Grundlage des Altbekannten noch
annehmbar ist, weil es vom eigenen Standpunkt oder Standort im
Sein doch noch nicht so sehr entfernt ist, dass es unannehmbar
und unerträglich wäre?
Beiläufig sei erwähnt, dass die Bibel darum weiß:
"Ich habe euch noch viel zu
sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen." (Joh. 16,12,
Lutherbibel 2017)
Du tust gut daran, dich in der Selbstbeherrschung zu üben.
Rudolf Steiner benennt sechs sog. Nebenübungen, in welchen der
Mensch sein Denken, Fühlen und Wollen üben und kontrollieren
lernen kann. Das "neben" bezieht sich darauf, dass das Erkennen
- innerhalb einer spiritualistischen Weltauffassung - als
Zugang-finden zur Wirk-lichkeit in ihrer höheren, ontologischen
Struktu-rierung und Funktionsweise gilt. Je höher man im
Erkennen steigt, desto übersichtlicher wird das Ganze des
Seins. Damit steigen aber auch die Handlungsmöglichkeiten, die
Machensmöglich-keiten, und somit die Macht des Menschen.
Und ausdrücklich sagt Rudolf Steiner auch einmal, wer
einen Schritt in der Erkenntnis vorwärts tut, solle
parallel drei Schritte in seiner Moralität vorwärts
tun, damit die gewonnene Macht sich nicht
verselbständige, sondern sicher rückgebunden bleibe an die
eigene Verantwortlichkeit, die durch die
Erkenntnis-fortschritte und das Hineinwachsen in die
Wirklichkeit und ihre Zusammenhänge immer mehr zunimmt.
Und es hat ja für uns heute ganz den Anschein, als würde die
Menschheit daran zugrunde gehen können, dass Menschen ein
Teile-Wissen erworben haben, welches ihnen ein Teil-Machen
ermöglicht (nicht etwa: erlaubt), mit welchem sie in den
gesamten Wirklichkeits-Organismus enorm störend hineinwirken
können, um ihre kurzsichtigen Teil-Interessen zu
befriedigen.
Allein daran sehen wir doch jetzt schon deutlich die
Hochgefährlichkeit von Wissenserwerb. Und solange kein
ausreichendes Bewusstsein vorhanden und kultiviert ist, dass
Moral und Verantwortung eine conditio sine qua non alles
Erkennens und Wissens zu sein habe, solange schwebt ein
"freies, beliebig-willkürliches Erken-nen" wie ein
unberechenbares Damoklesschwert über der Menschheit.
Ich fahre also fort. Wenn wir den Lebenswillen richtig in die
Theorie heraussetzen wollen, so müssen wir über die Aussage
"Ich will sein - ich will bleiben" noch hinausgehen.
Aber zuvor sei der "wichtige Schritt" dargelegt, der mit dem
Nach- und Vordenken zusammenhängt. Im Nach- oder Zurückdenken
kommen wir zum Lebenswillen als einem Obersten, Letzten,
Unbedingten, so dass unser Denken hier an ein Ende gekommen zu
sein scheint.
Im Vor- oder Vorwärtsdenken aber können wir uns diesen unseren
Lebenswillen nochmals reflexiv vornehmen, zu einem Gegenstand
unseres Denkens erheben und eben in die Theorie ausziehen oder
extrapolieren.
Und dann können wir bei dem "Ich will sein - ich will bleiben"
nicht stehen bleiben, sondern müssen uns diesen Gedanken oder
auch diese Empfindung noch deutlicher zu Bewusstsein
bringen.
Vergegenwärtigen wir uns nochmals den grundsätzlichen
Existenz-Widerspruch, in welchem sich der Mensch angesichts der
wahrgenommenen Natur stehen sieht: Der Mensch stehe uns jetzt
für die subjektive, menschliche Seite, die Dauer haben möchte.
Ihm gegenüber steht die Natur als Repräsentant der objektiven
Seite, die Veränderung haben will, Platzschaffen für Neues und
dadurch auch Abtreten der Menschen als Individuen, die von ihr
diesen ihren Dauer-Wunsch nicht erfüllt haben können.
Diesen Widerspruch scheinen wir zugunsten der Natur auflösen zu
müssen, weil sie doch für die objektive Seite steht,
gegen welche die subjektive Seite des Menschen
sozusagen keine Chance hat, keine Berechtigung und daher - so
scheint es zunächst - ins Irreale verwiesen werden muss, wie
du, Philosoph, uns ja zu verstehen gegeben hast mit deiner
"Letzt-Erklärung: fixe Idee"?
Das ist jetzt keine Frage an dich, lass mich einfach
weitermachen.
Ein Widerspruch, sofern er überhaupt lösbar ist, ist
prinzipiell von zwei Seiten her lösbar, in unserem
konkreten Fall: Von Seiten der (scheinbar übermächtigen) Natur.
Diese Auflösung haben wir schon kennengelernt, und wir
"übersetzen" sie uns sogleich in die uns interessierende
Wahrnehmung, aus welcher das Urteil resultiert: Der menschliche
Dauer-Wille ist nichts, der naturhafte Platz-schaffens-Wille
ist alles.
Man könnte aber doch denselben Widerspruch auch andersherum
auflösen, also: "Der menschliche Dauer-Wille ist alles, der
naturhafte Platz-schaffens-Wille ist nichts"? Oder auf das
Erkennen bezogen könnte man ihn in die Worte fassen: "Der
subjektive Wille zum Bleiben ist wahr, der objektive Eindruck
der Vergänglichkeit ist falsch."
Du bemerkst es vielleicht selbst nicht, Philosoph, aber du
trampelst gerade sprachlich-begrifflich auf dem neuartigen
Wahrnehmungs-Schimmer des Theologen herum. Du lässt seine
Ahnung gar nicht erst zu, weil sie dir und deiner
Begrifflichkeit nicht entspricht, ihr vielmehr widerspricht.
Also tilgst oder negierst du sein Wahrnehmen als solches, bist
nicht gewillt, dich versuchsweise in es hinein-zuversetzen, und
so löschst du es einfach sprachlich aus. Du bestreitest -
streng genommen - dem Theologen seine Wahrnehmung.
Der Grund dafür ist gewiss keine Böswilligkeit deinerseits,
vielmehr ist es deine Erfahrung und Gewöhnung an die
sinnlich-physische Welt, der sich auch niemand von uns
entziehen kann. Sie hat eben eine unheimlich naheliegende,
bestechende Überzeugungskraft, insbesondere dadurch, dass sie
eine unser Wahrnehmen überwältigende Konstanz im Verlaufe
unseres Lebens aufweist, und wir glauben, von Kindesbeinen
darin festgestanden zu haben.
Und ich möchte hier Zweifel anmelden, ob das zuletzt Genannte
wirklich zutrifft: dass wir von Kindesbeinen an darin
festgestanden haben?
Ich selbst habe eine Kindheitserinnerung (die in mein
Erwachsenen-Bewusstsein mit eingegangen ist), in welcher ich im
damaligen Wohnzimmer meines Elternhauses stand (mit 4-5 Jahren,
wir sind mehrfach umgezogen): Die Zimmermauern waren nicht
fest, hart, undurchlässig - physisch gesehen schon -, aber sie
hatten eine Transparenz, waren keine Grenze und Abschottung
nach außen, sondern das eigentliche Außen - die umgebende
Geistwelt - drang einfach durch, war immer und überall präsent,
nicht nur draußen, sondern genauso drinnen.
Damit habe ich mir ein Bewusstsein davon bewahrt, dass sich das
Stehen des Menschen im Sein im Lebensverlauf gravierend ändert,
zumindest in heutiger Zeit. Und zugleich sehe ich aber, dass
diese mit dem Menschen vorgehende Selbstveränderung für die
allermeisten Individuen - und damit für die Gesellschaft -
verlorengeht, also nichtexistent wird, und somit in das Denken
der Gegenwart keinen Eingang finden kann.
Wir finden ein Bewusstsein darüber auch beispielweise bei
Martin Heidegger, der im Blick auf unsere Geistesgeschichte,
insbesondere auf die vorsokratische Philosophie, von einer
"Seins-vergessenheit" spricht, die den Menschen trifft. Er
sieht dies völlig richtig, nur ist wiederum das Problem, dass
sein philosophischer Begriff nur von denjenigen wirklich
verstanden werden kann, die diese Seinsvergessenheit in sich
selbst nachempfinden können. Und wenn keine Empfindung oder
Anschauung darüber entsteht, so bleibt der Terminus abstrakt,
leer, unverstanden.
Ich will damit sagen: Unsere Begrifflichkeit hängt an unserem
Wahrnehmen. Wenn das Wahrnehmen beim Physisch-Sinnlichen
stehenbleiben möchte, so kann es nicht tiefer in die
Wirklichkeit eindringen und kann auch keine tiefergehende
Begrifflichkeit entwickeln. Folglich wird auch das
(begriffliche) Urteilen über das Wahrnehmen des anderen zu
einem Verurteilen, Abqualifizieren, Annullieren, wodurch dann
eine zwischenmenschliche Kommunikation entsteht, die in
Wahrheit ein Aneinander-vorbeireden ist, ein gegenseitiges
Sich-missverstehen.
Und dann kommt ein jeder wieder bei seinem Grundsatzproblem des
Erkenntnissstrebens und Verstehenwollens heraus, indem als
Ursache des gegenseitigen Missverstehens ein mangelnder eigener
Erkenntnis- oder Verstehenswille resultiert. Das
Gelingen des Erkennens hängt an der Intensität des
eigenen Erkenntniswillens.
Und im Disput mag sogar der eigene Erkenntnis-wille sogar
dahinschwinden, indem das Schwergewicht des Gespräches gar
nicht mehr auf einem Erkenntnisgewinn liegt, sondern darauf,
dem Gesprächspartner gegenüber Recht zu behalten und als Sieger
aus dem Gespräch hervorzugehen. Dieser "Sieg" hat dann aber
viel mit gesellschaftlichem Anschein zu tun, und der
eigentliche Verlierer ist man aber selbst, indem man - heimlich
- seinen eigenen Erkenntniswillen zurückgesetzt oder Lügen
gestraft hat.
Der Schaden an sich selbst wird verdrängt und unsichtbar
gemacht, und der Übergang zu Rhetorik, Suggestion und Ideologie
ist fließend.
Es ist eine Frage der Aufrichtigkeit. Und Aufrichtigkeit
besteht primär vor sich selbst, nicht gesellschaftlich. Denn
was vom Individuum aus gesehen innen ist, wird gesellschaftlich
zu einem Außen. Und so muss man als ein nach Erkenntnis
Strebender immer auf der Hut sein, ob man Gefahr läuft, das
Sich-selbst-sehen gegegnüber dem Gesehen-werden in die
Zweitrangigkeit zurückzusetzen. Und wer einen tiefergehenden
Blick auf sich selbst scheut, der muss sich auch nicht wundern,
wenn er in die Wirklichkeit nicht tiefer hineinfinden kann.
Gut also. Grundsätzlich möchte ich dennoch vorausschicken, dass
es schon auch richtig ist und zugelassen werden muss, Einwände
zu Vorgetragenem zu erheben, und zwar zeitnah zum Gesagten.
Denn damit signalisiert der Einwendende doch, er könne
nicht verstehen, wolle aber verstehen. Und wenn
er dem Ganzen folgen können soll, muss ich doch das Einzelne
verständlich dargelegt sein?
Ich beginne damit festzustellen, dass wir alle unsere Urteile
streng für sich fällen und nicht miteinander vermischen
sollten. Ansonsten schlittern wir in Assoziations-Schlüsse und
in ein Assoziations-Schlussverfahren hinein, mit welchem wir
die Wahrheit und Wirklichkeit gar nicht treffen, sondern daran
vorbeizielen und -laufen.
Als Beispiel führe ich deinen Schluss, Philosoph, an, unsere
Wahrnehmung unserer Natur als objektiv und daher wahr
anzusetzen und dieser den in uns auftretenden Willen zu sein
als subjektiv und daher unwahr entgegenzusetzen. Es ist ein
Schlussverfahren, das zuerst einen "Wahrheits-Haltepunkt"
bestimmt, um daraus dann "Unwahrheits-Schlussfolgerungen" zu
ziehen.
Auf solche Weise verhindern wir uns dauerhaft einen klaren,
reinen Erkenntnisprozess.
Freilich kann man auch in seiner Religiosität ein solches
Schlussverfahren praktizieren, wohl mehr unbewusst als bewusst,
z.B.: "Es muss ein Gott sein, damit Ewigkeit des Lebens sei,
damit das menschliche Leben sinnvoll sein kann, und zwar
dauerhaft."
Was nun unsere Fragestellung betrifft, so müssen wir ein
assoziatives Zusammenwerfen von "subjektiv" und "unwahr" ebenso
unterdrücken, wie ein Ineinssetzen von "objektiv" und
"wahr".
"Objektiv" bedeutet "entgegengeworfen" oder "entgegenstehend",
und es kann uns ja im Leben auch vielfach bloßer Anschein
"begegnen", die Sinnestäuschung als einfachste Form, woraus
evident sein sollte, dass "objektiv" und "wahr" nicht
bedeutungs- und deckungsgleich sind.
Umgekehrt kann aber auch nicht alles, was von
Subjekten kommt, nur deshalb als illusorisch
betrachtet und für nichtig erklärt werden. Der Klimawandel
beispielsweise ist auf menschliche Subjekte zurückzuführen; ist
er aber deshalb irreal, nicht existierend?
Wenn wir nun unseren Existenz-Widerspruch ins Auge fassen
wollen, so müssen wir uns ganz bewusst in einem
hypothetischen Denkverfahren bewegen, ohne von unserem
Denken von vorneherein zu behaupten, es sei faktisch,
realitätsbezogen, gültig, wahrhaftig, wahr.
Du missverstehst mich. Wir sollen nicht voraussetzen, wir kämen
mit unserem Denken an die Wirklichkeit niemals heran, sondern
wir sollen vor uns selbst das zugeben oder setzen, was in
unserem faktischen Denken schon immer der Fall ist. Und dies
ist, dass es hypothetisch ist in dem Sinn, dass es
Voraussetzungen in sich enthält, die es an die Wirklichkeit
heranträgt.
Ein voraussetzungsloses Denken gibt es nicht. Jedes menschliche
Denken enthält seine Voraussetzungen, und diese sind nach Zeit
und Raum unterschiedlich, denn diese Voraussetzung ist die
eigene Existenz. Es gibt daher keine zwei Menschen, die gleich
denken, sondern jedes menschliche Individuum hat bzw. ist seine
eigene Voraussetzung.
Die große Frage, um die es mir geht, ist nur, ob es uns
gelingen kann, die Voraussetzungen unserer selbst einzuholen
oder nicht. Um sie aber einzuholen, muss man sie sich bewusst
machen. Und deshalb sollten wir unser Denken als hypothetisch
voraussetzen, damit wir die Möglichkeit haben, unsere
Voraussetzungen einzuholen.
Konkreter: Wir sagten schon, man könne die Welt materialistisch
oder spiritualistisch ansehen. Dann ist es aber richtig und
konsequent, den Materialismus oder auch Spiritualismus
hypothetisch vorauszusetzen. Und wenn wir dann das Ganze des
Seins gedanklich durchgehen oder durchlaufen, kann das eine
oder das andere als wahr erwiesen werden.
Noch konkreter: Materialistisch gesehen kann man das Sterben
von Menschen beobachten. Der Mensch ist ein physisch-sinnliches
Lebewesen, welches als ein solches eine nur begrenzte
Lebensdauer hat. Im Materialismus erscheint der Mensch
eingeschlossen zwischen Geburt und Tod. Wenn der Tod eintritt,
ist die Existenz dieses Menschen ausgelöscht, und er "ist"
nicht mehr.
Spiritualistisch gesehen ist eine alternative Sichtweise
möglich. Das Sterben von Menschen kann nicht beobachtet werden,
wenn der Mensch aus mehreren Schichten oder Leibern besteht
(die Bibel spricht von "Kleidern", vgl. die vom Theologen
zuletzt angeführten Zitate). Dann kann die physisch-sinnliche
Leiblichkeit als nur vorübergehendes "Kleid" des Menschen
angesehen werden, welches ein unsterbliches Seelen-Geist-Wesen
angezogen hat, um auf der Erde einen Aufenthalt absolvieren zu
können. Und streng genommen...
Ich verstehe deine Argumentation, und unser Theologe sollte
eigentlich etwas dazu sagen können. Nur ist es in unserer
westlichen Theologie so, dass sie das von dir geltend gemachte
materialistische Argument mehr oder weniger in sich aufgenommen
hat.
Sehen wir aber in die Religionen der östlichen Hemisphäre, so
ist dort ein Bewusstsein vorhanden, neutraler formuliert: eine
Möglichekit des Denkens realisiert, in welcher sich der
individuelle Mensch nicht mit seiner (momentanen) Leiblichkeit
identifizert, sonder sich in Differenz dazu "weiß".
Und was nun den "evidenten Eindruck" des Einssseins mit der
eigenen Leiblichkeit betrifft, so wäre eine spiritualistische
und auch christlich-theologische Erklärung dafür die Sünde, in
welche die Menschheit gefallen ist und welche sich dann von
Generation zu Generation weiter"vererbte" oder sogar noch
schlimmer und schlimmer wird. Wir werden so erzogen, als seien
wir mit unserer Leiblichkeit, eingeschlossen zwischen Geburt
und Tod, identisch. Und diese "Lehre" haben wir angenommen und
zu unserem Wahrnehmen und unserer Begrifflichkeit gemacht. In
der östlichen Hemisphäre werden die Menschen anders erzogen,
und siehe da: Sie haben eine andere Wahrnehmung und
Selbstwahrnehmung.
Wir täten also gut daran, bei uns selbst unterscheiden zu
können, was an Wissen wir uns bewusst erworben haben und was
davon uns durch Erziehung unbewusst überkommen ist. Ich fürchte
nur, wir können es nicht, denn unser derzeitiges
Differenzierungs- oder auch Sichtvermögen reicht dazu bei
weitem noch nicht aus...
Ich bin einverstanden, möchte aber meinen zuvor unterbrochenen
Gedanken zuerst zu Ende bringen.
Wir werden strikt darauf achten müssen zu unterscheiden, was
wir beobachten können und was wir nicht beoachten können und
uns nur erschließen. In Bezug auf das Sterben des Menschen
können wir es unter Voraussetzung des Materialismus
und des Einsseins unserer Leiblichkeit und unserer selbst
beobachten können. Denn dieses Einssein erlischt.
Unter Voraussetzung des Spiritualismus und einer
Mehrgliedrigkeit des Menschen, wobei sein Selbst nicht
konstitutiv an seine Leiblichkeit gebunden wäre, können wir das
Sterben des Menschen nicht beobachten, sondern wir sehen nur
die Außenseite des eigentlichen Geschehens des
Todeserlebnisses. Die Innenseite des Geschehens erlebt der
Sterbende selbst, und vermutlich gehört die Erfahrung dazu:
"Hoppla, ich habe mich getäuscht! Ich bin ja gar nicht eins mit
meiner Leiblichkeit!?'"
Niemand von uns soll und muss einen Verzicht leisten, und wir müssen auch nicht - wie in unseren Wissenschaften - von vorneherein eine Prämissensetzung vornehmen. Wir lasen vielmehr unserem Gedankengang seinen Lauf, und wenn wir sehen, dass eine Setzung erforderlich, weil sich eine Weggabelung des Denkes auftut, wie im obigen Fall des Beobachtens des Sterbens, dann nehmen wir eine bewusste Setzung vor, abaer nicht nur eine, um einen nur einseitigen Wahrheitsweg einzuschlagen und den andern geflissentlich aus dem Auge zu verlieren, sondern ggf. beide (oder auch mehrere), um und bewusst zu bleiben, dass da mehrere Wahrheitsmöglichkeiten sind, von welchem im vorab vielleicht auch noch gar nicht entschieden werden kann, ob es sich nun um den Wahrheitsweg oder um einen Irrtumsweg handelt. Bist du damit einverstanden?
Du magst Recht damit haben. Du kannst aber schon den großen
Vorteil meiner (wenn auch komplizierteren) Verfahrensweise
erkennen? Im anderen Verfahren ist es so: Wenn die
Erstsetzung, von welcher des Menschen komplettes
weiteres Denken und Leben abhängt, falsch gewesen sein sollte -
dann hat der Mensch niemals wieder die
Möglichkeit, aus dem Irrtum herauszukommen, sofern er
nicht von außen eine Korrektur oder ein Korrekturverfahren
angetragen bekommt, welches er dann aber auch noch annehmen
müsste; denn er könnte es ja auch ausschlagen, indem er sich
sagt: "Ich weiß es besser. Ich bleibe bei meiner
Erstentscheidung."
Wenn aber nun die Erstsetzung eine wenigstens
zweifache ist, entsprechend der Weggabelung, die mehr als
eine Denkmöglichkeit auftut, so versteht sich ja bereits von
selbst, dass man sich auf der Erstsetzung niemals ausruhen
kann, weil man sich mit und in ihr ja ganz bewusst in die
"Ungewissheit der Wahrheitssetzung" hineinbegeben hat und in
ihr aufhält, und zwar solange, bis sich die Alter-nativen dann
ganz von selbst ent-scheiden, irgendwann, und sozusagen nicht
mehr aus-können.
Und diese Methodik scheint mir sogar die ur-philosophische zu
sein: Den Zweifel über das Sein nicht vorschnell zu
entscheiden, sondern lieber solange wie möglich durch- und
auszuhalten, damit sich möglichst wenig Fehlurteil in das
philosophische Denken über das Sein einschleichen könne.
So lasst uns also unser eigenes philosophisches Stehvermögen
austesten und zusehen, wieviel an Zweifel wir in unserer
eigenen Existenz bereit oder überhaupt fähig sind auszuhalten,
bevor wir jenen Punkt erreichen, an welchem wir uns "unbedingt
fest niederlassen" wollen, weil uns der Zweifel oder die
Zweiheit oder Zweigleisigkeit übergroß und unerträglich zu
werden scheint.
Womöglich liegt hier ja der wunde Punkt der
menschlichen Existenz, weil sie sich selbst ein Festes
und Verlässliches voraussetzen können möchte, um kein
Larifari- oder Beliebigkeits-Leben führen zu müssen?
Die Tiefenpsychologie z.B., so scheint mir, hat dafür den
Begriff des Über-Ichs gefunden. Und in der Philosophie wird
versucht, dieses Über-Ich längstmöglich auszusetzen,
hinauszuschieben, zu verschieben, wo auch immer hin...
Ich jedenfalls bin für mich selbst der Meinung, mein Über-Ich
nicht den Tiefenpsychologen überlassen zu wollen, indem ich mir
- wissenschaftsgerecht - sage: "Mein Über-ich ist meine Sache
nicht. Darum sollen sich die Tiefenpsychologen kümmern." - Ich
fürchte, der moderne Mensch hat sich selbst aus der Hand
gegeben, bis zu seinen Akademikern, Wissenschaftlern und
scheinbar Besten hinauf.
Oder du, Theologe, weißt vermutlich aus reichlich Erfahrung,
wie doch viele Menschen ein an sie von außen herangetragenes
"Existenz-Korrekturver-fahren des Evangeliums" schlichtweg
ablehnen, indem sie meinen, die Dinge besser zu wissen und zu
kennen als die Bibel?
Gehen wir nun daran, unseren Existenz-Widerspruch versuchsweise
in die andere Richtung aufzulösen.
Die bereits genannte Widerspruchs-Auflösung können wir dem
Materialismus überlassen: Das subjektive Bleiben-wollen ist
falsch und irreal, und das objektive Gehen-müssen ist wahr und
real, denn wir sehen den Menschen ja sterben; wobei wir jetzt
hinzufügen müssen: wenn wir uns selbst und das Sein im Ganzen
materialistisch verstehen.
Im Spiritualismus kann die Möglichkeit gedacht werden, dass wir
womöglich den Menschen doch nicht sterben sehen, denn streng
genommen wechselt er dann ja nur seinen Schauplatz, selbst
dann, wenn er sich selbst materialistisch missverstanden haben
sollte, als Einsseiend mit seiner Leiblichkeit und durch den
Tod in nichts zerstiebend.
Und dann muss der physisch-irdische Tod des Menschen -
konsequenterweise - als eine Täuschung, Illusion, als ein
falscher Anschein angesehen werden, was der Verstorbene dann
ganz klar erkennen kann, während wir Zurück- oder
Hinterbliebenen dies nur vermuten können.
Damit ist der Natur-Pol des Widerspruches als unwahr und irreal
gesetzt, indem er uns einen falschen Anschein unserer
Vergänglichkeit erweckt sowie den Anschein der
Lebensvernichtung.
Mag sein, dass du theoretisch Recht hast. In der Praxis sind wir aber dabei, unbewusste Schlüsse zu vermeiden, um alle Setzungen als solche klar vor Augen zu bekommen. Aus diesem Grund will ich ausführlich schlussfolgern, nicht etwa, weil ich mir in der Rolle des Lehrers gefalle oder aus sonstigen Gründen. Du sollst zu jedem Schritt die Gelegenheit haben, Einwände zu erheben; du, Theologe, freilich ebenso.
Also weiter. Wenn der Natur-Pol, wie er uns erscheint, unwahr und irreal sein sollte, so müssen wir ja nun also den Menschen- oder Ich-Pol einmal als wahr und real annehmen, oder nicht?
Sehr schön, eure Voten gefallen mir, und sie ermutigen mich,
nun in die Vollen zu gehen.
Denn momentan war ich ja dabei, das spiritualistische
Schlussverfahren - vorsichtshalber - von hinten her zu beginnen
oder, wie man sagt, das Pferd von hinten aufzuzäumen.
Denn das Eigentliche, Ursprüngliche und einzig Authentische ist
ja unser "Ich will sein - ich will bleiben", nicht das der
Natur in den Mund gelegte "Du musst gehen".
Unser apriorischer Lebenswille kann in die Formulierung gefasst
werden "Ich will sein - ich will bleiben".
Setzen wir ihn als real und wahr an, aus unserem Unbewussten
herkommend, so müssen wir ihn uns ins Bewusstsein, in die
Theorie heraussetzen.
Und so kommen wir zu einer "Idee des Seins", die
zunächst nur apriorisch-unbewusst in uns vorhanden ist, solange
wir sie nicht explizit-bewusst - wir könnten auch schon sagen:
spiritualistisch - in die Theorie heraussetzen und uns in
unserer Existenz-Problematik voraussetzen: "Sein hat
anzudauern, sein Enden wäre eine Verfälschung, Lüge, Betrug.
'Ewigkeit' ist die natürliche Form des Lebens
oder Seins, alles sonstige Sein ist dieser Form gegenüber als
unwahrhaftig oder illusorisch zu qualifizieren."
Weiter. Wenn dies nun der Wahrheit entsprechen sollte:
"Sein hat ewig zu sein" - wie müssen wir dann unsere derzeitige
Wirklichkeit und Natur qualifizieren, die uns nahelegt, wir
müssten wieder gehen?
Sie muss ein falscher Anschein sein oder eine Verkehrung der
wahren Wirklichkeit, und wir müssen eine denkerische
Kraftanstrengung vollbringen, diese Verkehrung als solche zu
durchschauen, um zur wahren Wirklichkeit durchdringen zu
können.
Was ist das aber, was sich ergibt, wenn wir die philosophischen
Gedanken einer Verkehrung unserer Wirklichkeit und einer
Herumwendung unseres Geistes fassen?
Es scheint also, als ließe sich die platonische Philosophie
direkt aus unserem - hier und jetzt als wahr gesetzten -
Lebenswillen ableiten. Und dass Parallelen zur christlichen
Glaubenslehre vorhanden sind, hatten wir schon
festgestellt.
Weiter. Wir können unseren apriorischen Lebenswillen also neu
und anders sichten, indem wir ihn uns in die Theorie
heraussetzen, wobei wir ihn zugleich - quasi wie von selbst -
in eine platonische Idee umgegossen haben, die wenigstens
implizit bereits in uns liegt.
Platon hat diese "Idee des Seins" nicht explizit gelehrt, aber
das macht nichts, weil es uns hier ja nicht um Platon geht,
sondern um diesen merkwürdigen Willen zum Sein in uns.
Und wir wollen diesen Sachverhalt möglichst klar vor uns
hinstellen: Im Außen begegnet uns ein Werden und
Vergehen, welches uns auch selbst in unserer Leiblichkeit
betrifft. Im Innen finden wir einen Willen zum
Sein oder eine Idee des Seins in uns, welche
uns einen Existenz-Widerspruch
verursacht.
Dieser Widerspruch besteht ja nicht an sich, sondern
er besteht nur durch und in uns. Alternativ könnte
sich der Mensch ja auch einfach sagen: "Die Natur ist wunderbar
eingerichtet, und ich bin voll und ganz mit ihr einverstanden.
Ich werde geboren, ich will eine Weile bleiben, und dann aber
will ich wieder gehen. Und so befinde ich mich im Einklang mit
der Natur." - Auf diese Weise wäre kein Existenz-Widerspruch
vorhanden.
So ist es aber nicht, denn da ist diese Idee des Seins in uns,
die wir dann freilich verdrängen oder verleugnen
können, aber zunächst einmal ist sie da, wenngleich
unbewusst als Lebenswille.
Und die entscheidende Frage ist nun: Wie gehen wir mit diesen
Fakten um? Denn das, was wir bis jetzt gemacht haben, ist eine
bloße Analyse, durch Explizierung von Implizitem. Wir haben in
uns Liegendes externalisiert. Und jetzt ist offen die Frage,
wie wir das Gefundene nun wiederum internalisieren
wollen?
Und jetzt erst kommt ein weltanschauliche
Hypothesensetzung als Wahrheitssetzung in Betracht. Und jeder
kann für sich selbst entscheiden, ob er nun eine
materialistische oder ein spirtualistische oder auch noch eine
andere Weltanschauung priorisieren will.
Und jetzt, Philosoph, kann ich auf jenen "Glaubenssprung" zu
sprechen kommen, den du nicht tun kannst und den du m.E. auch
gar nicht machen musst.
Denn aus der Annahme der Idee des Seins als wahr, ergibt sich
ganz von selbst, dass wir die Natur, wie sie uns erscheint,
unsere Welt und Wirklichkeit transzendieren müssen, um der Idee
des Seins in uns gerecht werden zu können.
Es ist dann aber kein "Glaube (an höhere Mitteilungen an die
Menschheit)", der uns den (zu suchenden) Weg in die Geistwelt
einschlagen lässt, sondern die Motivation einer (höher als
unser Naturwahrnehmung zu veranschlagenden) Geistwelt-Suche
ergibt sich schlicht: aus uns selbst heraus!
Man kann das so sehen. Doch sind wir in unserem Gedankengang
noch gar nicht zu Ende, wir sind lediglich am Ende schon sehr
dicht dran. Und genau deshalb besteht jetzt die Gefahr, die
fehlenden Schluss-Gliedchen zu überspringen, durch den
übermächtigen Eindruck, sie verstünden sich jetzt von selbst
und müssten nicht mehr in die Theorie eigens herausgesetzt
werden.
Wir können nämlich jetzt fragen: Wer oder was in uns verfügt
über die Idee des Seins? Und die Antwort muss lauten: Es ist
der Geist in uns, der um die Ewigkeit des Seins "weiß" und der
sie in uns als "seine Heimat" voraussetzt.
Es ist also nicht unser menschliches Ich, das wir überhaupt nur
aus der irdischen Erfahrung heraus kennen, so zumindest unser
Eindruck hier und jetzt. Und dies ist auch der Grund, weshalb
wir geneigt sind, die Idee des Seins nicht als objektiv
vorauszusetzen, sondern als subjektiv, als bloß
subjektiv, als irreale Wunschvorstellung des
Seins.
Folglich müssen wir aus dem Vorhandensein der Idee des Seins in
uns schließen, dass innerhalb unserer eigenen Geistigkeit eine
Differenz in sich besteht, von der wir normalerweise
gar nichts wissen?
Und weil der die Bibel inspiriert habende Himmel oder die
Geistwelt um uns herum um diese Differenz in uns weiß, kommt
sie uns mit einem oder dem Evangelium entgegen, um uns ins
rechte Schlussverfahren unserer selbst hineinzugeleiten.
Ihr seid mir voraus, denn von einem "Gott" war in meinem Gedankengang bislang noch gar nicht die Rede. Und Himmel und Bibel habe ich nur erwähnt, weil du, Theologe, vom Evangelium gesprochen hattest.
Ja, das ist richtig. Aber verwische bitte nicht die Feinsinnigkeit des Gedankenganges. Denn du musst nun tatsächlich keinen Sprung in den Glauben mehr tun, um einen Anlass zu haben, das von uns erfahrene Werden und Vergehen der Natur als Scheinwirklichkeit anzusehen, über welche hinausgegangen werden muss, um zur wahren Wirklichkeit zu kommen.
Dies ist eine berechtigte, aber eine bereits weitergehende
Fragestellung, und ich bat darum, jedes Urteil sauber in sich
selbst zu erfassen, um nicht in ein Assoziations- oder
Flüchtigkeits-Urteilen hineinzuschlittern.
Mit der Idee des Seins, herausgesetzt und hernehmbar einzig aus
dem Innen des Subjektes, stoßen wir an eine Grenze unserer
Wahrnehmung. Und es tut sich hier eine Weggabelung auf, die
sich aus der Zweiheit unserer Urteilsmöglichkeit ergibt. Denn
jetzt ist es tatsächlich an uns, uns zu entscheiden und den
Existenz-Widerspruch in die eine oder die andere Richtung
aufzulösen.
Setzen wir unsere Naturwahrnehmung außer uns als wahr an,
dann müssen wir die Idee des Seins als falsch schlussfolgern,
und in der Folge werden wir im Irdischen als dem Wahren und
Wirklichen verbleiben.
Setzen wir aber unsere Idee des Seins von innen, aus uns selbst
heraus als wahr an, so müssen wir unsere Naturwahrnehmung als
eine bloße Außenansicht ansehen und versuchen in die dahinter
zu vermutende Geistwelt einzudringen, z.B. dadurch, dass wir
den Geist in uns in sich selbst vertiefen, konzentrieren,
verdichten.
Du hast Recht, Philosoph. Tatsächlich bin ich noch ein gutes
Stück weiter im Denken schon vorausgelaufen. Und trotzdem
scheint mir der Vorschlag des Theologen eine gute Idee zu
sein.
Denn wir haben jetzt ein gewisses Ende erreicht, oder besser:
Niveau, von welchem aus es Sinn macht, unsern Blick nochmals
geistesschichtlich zurück zu lenken.
Wir haben ja bisher einfach nur einen reinen Gedankengang aus
uns herausgesetzt, wobei wir die Wirklichkeit nur gelegentlich
streiften, im Sprechen von der Natur, von der Bibel, vom
Evangelium.
Diesen isolierten oder abstrakten Gedankengang können wir nun
ganz bewusst geistesgeschichtlich ins Verhältnis setzen.
In Bezug auf die platonische Philosophie habe ich es ohnehin
schon angedeutet: Platons Höhlengleichnis wird aus der Idee des
Seins heraus plausibel. Seine Rede von unserem Höhlendasein,
vom Sichbefinden des Menschen in einer Verkehrung des Seins und
der daraus folgenden Notwendigkeit, unsere Seele oder unseren
Geist herumzuwenden und einen Höhlenausgang zu suchen, um zur
wahren Wirklichkeit zu gelangen, erscheint nun als wahr
gesprochen.
Auch die in unserem Glauben enthaltene Lehre von der Sünde, die
uns zu verstehen geben will, wir befänden uns in einer
Unheils-Verkehrung der Wirklichkeitsverhältnisse, und wir
müssten eine Umkehr unserer selbst vornehmen, wenn wir zu
Wahrheit und Heil zurückgelangen können wollen, ergibt so einen
vernunftvollen Sinn.
Stellen wir beide einander gegenüber, scheint es, als könne die
Philosophie bereits aus sich selbst heraus auf die Spur der
Wahrheit gelangen, wie sie später dann in einem von höherer
Seite aus ergangenen Evangelium an die Menschheit ihre
Bestätigung erfuhr.
Auch dies hatten wir schon berührt in dem merkwürdigen
Jesus-Satz:
"Warum findet ihr nicht
schon von selbst das rechte Urteil?" (Lk. 12,57,
Einheitsübersetzung 2016)
Die menschliche Vernunft scheint eine seltsame
Zweischneidigkeit an sich zu haben, die wir auch schon in den
sinngemäßen Lessing-Satz gefasst haben: die menschliche
Vernunft könnte wohl, aber sie kann nicht. Und deshalb ist sie
darauf angewiesen, immer wieder einmal Richtungsstöße zu
erhalten, um auf diese Weise nach und nach, erst ganz
allmählich die zielsichere Richtung auf die Wahrheit hin finden
zu können.
Nehmen wir die umständliche, langwierige Heraussetzung der Idee
des Seins aus unserem Denken als Beispiel. Oder
geistesgeschichtlich auch die sokratische Maieutik, mit der
Sokrates ein Wissen aus seinen Gesprächspartnern herausholt,
welches diese prinzipiell aus sich selbst heraus hätten finden
können. Faktisch und praktisch brauchen sie aber die
Gesprächsführung des Sokrates, der schon weiß, wie das Ziel
aussieht, und der daher auch das Gespräch entsprechend lenken
kann.
Und das Evangelium ist auch ein solcher Richtungsstoß, der die
Aufmerksamkeit der Menschen in eine bestimmte Richtung lenkt,
obwohl doch in Platon das menschliche Denken schon in diese
Richtung gefunden hatte?
Und hier führe ich dich, Philosoph, als Beispiel an, der du das
Wahre der platonischen Philosophie bestrittest und für falsch
erklärtest.
Und so finden wir in unserer Geistesgeschichte ein ständiges
Vor-zurück-vor-zurück, und wir tun gut daran, nicht allzu hoch
vom menschlichen Denken zu denken und es besser für
wankelmütig, beeinflussbar, störanfällig zu halten.
Vielleicht, weil ich, der ich auf meine eigene Denkfähigkeit und Geistigkeit kritisch bis bedenklich blicke, im Gedankengang der Philosophie weitergekommen bin als du, der du lieber von der Zuverlässigkeit deines eigenen Denkens ausgehen willst? Was sagst du dazu?
Nach meiner Auffassung kommt es im Erkennen auf die rechte
Geistesgrundhaltung an. Man muss sich schon selbst
empfänglich machen für Erkenntnisse. Und als nach
Erkenntnis Strebender verhielte man sich hierbei
kontraproduktiv, wenn man seine eigenen Urteile wie einen
stählernen Schutz- oder Abwehr-Schild mit sich führte und seine
eigenen Worte in erster Linie als Angriffswaffe und Speerspitze
benutzte.
Hast du überhaupt schon einmal darüber nachgedacht, wo dir
Erkenntnis herkommt, wenn sie kommt?
Im Spiritualismus ist die Antwort ganz einfach. Wir Menschen
leben unter den Augen des Himmels oder unter Beobachtung von
uns überlegenen Geistwesen. Haben wir uns reif gemacht für eine
Erkenntnis, dann wird sie uns auch gewährt werden. Der Theologe
könnte dies - im Blick auf das Johannesevangelium - gewiss
näher darlegen, aber ich stelle diese Ausführung zurück, die
Bibel ist (noch) nicht unser Thema.
Um auf deine Frage zu antworten: Die Explizierung der Idee des
Seins aus dem impliziten Lebenswillen nenne ich den
Gedankengang der Philosophie, denn dazu bedarf es nur des
reinen Denkens, keiner Theologie und keiner
Anthroposophie.
Nur: Jetzt wird interessant, wie wir diesen reinen Gedankengang
zur christlichen Theologie und zur Anthroposophie in ein
konkretes, lebenerfülltes Verhältnis setzen können? Vielleicht
gibt es auf diese Weise ein rechtes
Weiterkommen? - um an die letzten Worte des Theologen
anzuknüpfen.
Und du meinst, die menschliche Vernunft wäre damit ans Ende, an ihr Ende gelangt?
Wir haben die Wegstrecke, die die menschliche Vernunft durchlaufen kann und soll, erst zur Hälfte zurückgelegt.
Ich sprach aber nicht von der Wegstrecke der menschlichen Existenz, sondern von der Wegstrecke der menschlichen Vernunft.
Die Theologie krankt daran, dass sie Gott als Gott festhalten will. Was passiert dadurch? Die menschliche Vernunft stellt ihre Denkbemühung in dem Augenblick ein, in welchem sie Gott gedanklich erreicht hat. Sie ist streng genommen nur an der Wegstrecke zu Gott hin interessiert, danach stellt sie ihre Reflexion ein. Sie bleibt somit vor Gott stehen.
Theologisch mag das schon richtig gesehen sein. Ich will dich
aber daran erinnern, dass du im Zusammenhang mit unseren
religionskritischen Überlegungen meintest, wir müssten einen
Tiefenpsychologen im Gespräch hinzuziehen, während ich dir
aufzeigte, dass die Bibel selbst auch tiefenpsychologisch
angesehen werden will und dass du, Theologe, diesen Blickwinkel
selbst zu entwickeln hast.
Die Bibel ist nicht für ein Gremium von Fachwissenschaftlern
da, sondern für Menschen, die sich selbst allseitig und rundum
orientieren wollen und entfalten sollen.
Und ich kann hier wieder die Anthroposophie anführen, die diese
allseitige Orientierung sucht. Rudolf Steiner war in dieser
Hinsicht universal-gelehrt, und zwar in einer unvergleichlichen
und unglaublichen Tiefe.
Wir müssen den Blickwinkel ändern, und zwar dadurch, dass wir
von der theologischen Perspektive zur philosophischen
zurückwechseln.
In der Philosophie wird Gott nicht als Gott ins Auge
gefasst, sondern als das Sein selbst. Damit wird die
religiöse Distanz zu Gott beseitigt, indem nicht auf die
(unendlich große) Differenz zwischen Mensch und Gott
gesehen wird, sondern auf das (analoge) Gemeinsame,
Identische, auf das Sein.
Und jetzt erst ist sozusagen der Weg frei, Gott wirklich in
sich selbst ernst zu nehmen. Es wird möglich ein freier
Blick in Gott hinein.
Der Theologe und Gläubige kann diesen Blick nicht haben. Sein
Blick auf Gott ist ein existenzieller, ein sorgenvoller und
belasteter und dadurch auch ein wollender und damit auch ein
verzeichnender.
Ich kann dir deine Bedenken ausräumen. Wir können Gott nämlich ganz aus dem Spiel lassen. Wir müssen uns nur den Menschen näher ansehen, der ja auch im Sein steht und ein Sein hat. Und in dieses wollen wir genauer hinein- oder zurückfragen.
Ich beginne damit, eine Frage zu stellen, von der ich nicht weiß, ob sie jemals von einem Gläubigen aufgeworfen wurde.
Nein, ich meine die Frage, ob Ewigkeit des Lebens oder Seins
überhaupt erstrebenswert sei!?
Ich glaube, auf eine solche Frage ist noch nicht
einmal die Religionskritik gekommen - und warum
nicht?
Weil es sich quasi von selbst versteht, dass Ewigkeit des
Lebens etwas ist und sein muss, das unbedingt
erstrebenswert sei!
Du gibst mir das rechte Stichwort, das gewiss auch unsern
Philosophen besonders interessiert:
Selbst-verständlichkeit.
Denn dies ist doch das Spezifische, woran die "Kunst der
Philosophie", wenn sie denn eine solche ist, festgemacht werden
kann: Der Philosoph hat den Spürsinn, das Selbstverständliche
nochmals in Frage zu stellen - das ist wohl eine
Kunst, das kann nicht jeder, das schafft nur der
philosophisch nachdenkende Mensch.
Und ist es nicht auch genau das, was uns - wenn überhaupt
irgendetwas - in unserer Selbst-erkenntnis voranbringen kann:
Überlegungen anzustellen, auf die sonst niemand kommt, weil die
Dinge vom Common Sense für selbstverständlich gehalten
werden?
Und finden wir so nicht auch eine Begründung dafür, weshalb die
Philosophie ein Außenseiter-Dasein führt und führen muss, weil
sie immer im Begriff steht, das gesellschaftliche
Selbst-verständnis zu stören?
Zugleich wird auf der andern Seite einsehbar, die Philosophen
könnten auf ihren, nun ja, Esoterik-Pfaden in Dimensionen des
Menschseins vorstoßen, die den andern dauerhaft verborgen
bleiben müssen, indem doch grundsätzlich gelten muss: Wo es
einem Menschen gelingt, in der Selbsterkenntnis voranzukommen,
dort kommt er zugleich in der Selbsterkenntnis der gesamten
Menschheit voran.
Und wenn es also eine verborgene, okkulte Seite am Menschen und
Menschsein geben sollte, dann ist die Philosophie die
rechte Schürfstelle menschlichen Erkenntnisstrebens,
um tiefer in unser aller Wirklichkeit zu gelangen, nicht etwa
die moderne Naturwissenschaft und unsere modernen
Naturwissenschaftler, die gewiss vielfach und intensiv an der
Schale des Seins kratzen, sich selbst als im Sein stehende
Menschen aber hierbei gänzlich aus dem Auge verloren
haben?
Gut gesprochen, aber nicht nur in
dem von dir gemeinten Sinn.
Denn wenn nun sogar die Philosophie in der Materie herumgräbt,
dann muss sie wohl jegliches wahre Selbstverständnis verloren
haben, weiß nicht (mehr), wer sie selbst ist und was sie selbst
vermag, hat ihr eigenes Universalvermögen ganz und gar
eingebüßt und hat kein Bewusstsein mehr davon, dass sie in
ihren eigenen Reihen den Angelpunkt des Seins birgt...
Und weil in der Bibel dieses tiefere Wissen vom Menschen
enthalten ist, deshalb muss es uns nicht wundern, dass sie
einen Satz wie diesen enthält:
"Sie gehen verloren, weil
sie sich der Liebe zur Wahrheit verschlossen haben, durch die
sie gerettet werden sollten." (2 Thess. 2,10,
Einheitsübersetzung von 1980).
Hier ist der Angelpunkt des Seins ausgesprochen und
zugleich der evangelische oder Evangeliums-bezogene Vorsatz
des Angelns oder Fischens erfüllt. Bringt nicht die
Formulierung anschaulich das Ausgeworfensein eines
Fischernetzes zum Ausdruck?
Und dieses Fischen wird realisiert als Heraus-gefischt oder
Weggenommen werden aus den sich verhärtet habenden oder
chronisch gewordenen irdischen Sündenverhältnissen. So ist in
der Offenbarung des Johannes zu lesen:
"Und sie sangen ein neues
Lied vor dem Thron und vor den vier Lebewesen und vor den
Ältesten. Aber niemand konnte das Lied singen lernen außer den
hundertvierundvierzigtausend, die freigekauft und von der
Erde weggenommen worden sind." (Offb. 14,3,
Einheitsübersetzung von 1980)
Und nur so kann "Kirche" überhaupt richtig verstanden werden
als ekklesia, das sind "die Herausgerufenen". Es ist
also schon auch eine Art Elitegefühl mit dem
christlichen Glauben verbunden oder sollte es zumindest sein,
wobei man die Neutralität der Formulierung ganz bewusst
anerkennen sollte: Es handelt sich um keine "Besseren", sondern
lediglich um "Herausgerufene". Anderseits sind sie freilich zu
einem Sinn und Zweck herausgerufen.
Und ich möchte behaupten: Unter den Anthroposophen ist
ein spürbares Herausgerufen sein vorhanden, anders als
in evangelischer oder katholischer Kirche der Gegenwart. Man
übersieht das gerne, indem man behauptet oder auch vermutet,
die Anthroposophen seien keine Christen (mehr). - Sie
sind es aber.
Wir brauchen die Wiederholung, und zwar
deshalb, weil sich seit Jahrtausenden (oder noch viel länger)
tagtäglich falsche Wirklichkeits- und Selbst-verständnisse
unter uns etabliert haben, die wir für "normal" halten.
Richtig daran ist, dass sie uns zur Norm geworden
sind, aber genau genommen handelt es sich um eine "Ab-Norm",
die wir nur nicht als anormal oder abnormal anzusehen gewillt
sind.
Faktisch also ist es so, dass wir im Glauben eine "höhere Norm"
scheinbar annehmen, die wir aber im normalen Leben zugleich
annullieren und mit Füßen treten. Das stimmt in keinster Weise
zusammen. Es ist Selbstbetrug, zumindest Selbsttäuschung.
Und wenn also die Bibel selbst Wiederholungen enthält, z.B. in
den vielen Warnrufen, die sie enthält, oder auch in den sog.
synoptischen Texten, so deshalb, weil sie weiß, dass sich das
Richtige im Falschen nur durchsetzen kann, wenn es ausreichend
oft wiederholt wird.
Und wir können uns daraus einen theologischen Grundsatz
ableiten: Das in der Bibel enthaltene Wort Gottes muss immer
wieder wiederholt werden, womit aber nicht gemeint ist: wieder
gelesen und wieder gelesen und wieder gepredigt und wieder
gepredigt, solange, bis es in unsere Köpfe endlich eingedrungen
sein mag. Nein.
Vielmehr muss das Wort Gottes in jede Gegenwart wieder
geholt werden, und dieses Wieder-holen bedeutet, dass
dieses höhere Wort - im Fortgang der Heilsgeschichtszeit - neu
und besser verstanden werden muss. Heilsgeschichtlich wird
unser Geist bereitet, und dieser zubereitete oder in Umwandlung
begriffene Geist kann dann das Wort Gottes in der Bibel neu
ergreifen und zunehmend besser begreifen - zumindest in der
himmlisch-biblischen Theorie, wie mir scheint...
Und was die Lese- oder Deutungs-Flexibilität betrifft: Die
Bibel ist weder eine Kinderfibel noch ein Märchenbuch, sondern
ein handfestes Handbuch. Und deshalb kann unsere Theologie auch
nicht so weitermachen, wie sie die Dinge seit Jahrhunderten
handhabt, als ein ABC-Buchstabieren der Theologen, verursacht
vielleicht auch durch eine falsch verstandene Wissenschaft, in
der jede Forschungsrichtung meint, scheuklappenmäßig nur dem
Ihren nachgehen zu können. Das muss aufhören.
Alternativ müssen die Buchstabierungsversuche aller
zusammengenommen und zusammengesehen werden, damit ein Lesen
der Gesamt- und Grundsatz-Aussage der Bibel überhaupt zustande
kommen kann.
Und ich meine, die Bibel setzt das Gelingen eines solchen
Zusammensehens und Zusammenlesens schon voraus, und nur so wird
sie überhaupt "lesbar". Es sind in ihr handfeste, aber
unsichtbare Strukturen dargelegt, die im Geiste
sichtbar gemacht werden können, durch die "Hand des Geistes",
die man in sich aber erst einmal zu finden hat.
Und so wird sich eine unsichtbare Wirklichkeitsstruktur aus der
unsichtbaren Bibel-struktur herausheben. Und dieses
Gelingen ist das Singen, das nicht alle
erlernen können usw.
Wenn man freilich unseren Fall, unser Stürzen nicht sieht oder
nicht sehen will, dann kann man auch nicht das Herausgenommen-,
Weggeangelt- und Weggenommenwerden sehen. Das
geistesge-schichtliche Geschwundensein der Geistwelt um uns hat
uns seelisch-geistig in einen freien Fall versetzt, doch ist
dieser Absturz im Materialsmus unerkennbar, indem uns physisch
ein falscher Anschein vorliegt, indem uns die Erde - rein
physisch gesehen - nach wie vor trägt.
Wenn wir wissen wollen, ob Ewigkeit des Lebens überhaupt erstrebenswert sei, müssen wir den Versuch machen, uns in dieses von uns als Menschen erstrebte Ziel hineinzudenken.
Wir befinden uns immer noch im Hypothetischen, und deshalb
sollten wir prinzipiell nicht ausschließen, dass dasjenige, was
bei halber Sachkenntnis irreal erscheint, bei voller
Sachkenntnis real werden könnte.
Du kannst freilich auch Recht behalten, aber dies wird, wenn
wir die Sache zu Ende gedacht haben, dann nur umso deutlicher
werden.
Können wir so verbleiben und aus diesem Grunde fortfahren?
Denken wir uns in das in der Religion hochgehaltene Ideal
ewigen Lebens hinein, so sagten wir, dieses ewige Leben müsse
auch glückselig sein. Denn wenn es unglückselig wäre, so hätte
"Gott" oder das Sein selbst von allen im Sein stehenden Wesen
"das schlimmste Los gezogen". Denn ein endliches Sein, das sich
ins Negative verkehrt, wird sein Ende nehmen, wie auch immer.
Ein unendliches Sein aber muss bleiben, gleichgültig, welcher
Qualität es sei.
Und damit haben wir einen neuen Gedanken:
Gott oder das Sein selbst hat nicht sich selbst
hervorgebracht, sondern findet sich selbst von Ewigkeit
her schon vor!?
Das ist aus kreatürlicher Sicht überraschend, weil uns der
Gedanke des Hervorgebrachtwerdens, des Werdens und Vergehens,
so sehr geläufig ist. Wir können das Un-Gewordensein oder die
Ungeborenheit eigentlich kaum denken, kaum begreifen, und doch
müssen wir sie hier einmal setzen.
Und interessanterweise blicken wir in Bezug auf unseren
Ewigkeitswunsch auch nicht zurück, sondern nach vorne:
Unsterblichkeit. Denn das Dasein, in welchem wir uns vorfinden
und welches wir von irgendwoher bekommen haben, ist uns ja ganz
recht, so dass wir uns einen Terminus wie Ungeborenheit gleich
ganz einsparen, dafür aber aber eine Verlängerung in die andere
Richtung haben möchten. Und eben nicht nur eine Verlängerung,
sondern eine Ewigkeits-Verlängerung.
Das Entscheidende haben wir immer noch nicht getan: Wir haben
uns noch nicht ins Sein selbst hineingedacht, sprich: uns
selbst an seine Stelle gesetzt.
In den vom Philosophen zitierten Thesen Luthers in seiner
Disputation über die scholastische Theologie haben wir ja sehen
können, dass Luther an dasjenige, was wir jetzt tun wollen,
gerührt hat. Er hat daran nur gerührt, aber den Gedanken dann
nicht weiterverfolgt, sondern ist in seinem Denken sozusagen
wieder abgebogen.
Was also können wir über das Sein selbst, wenn wir uns in es
hineinversetzen, aussagen?
Wir können aussagen, dass es alleine ist. Und
Alleinsein heißt auch, - wir nehmen wieder unser menschliches
Analogon -, keine Kommunikation und keinerlei Verbindung zu
haben. Gott ist gemeinschaftslos, könnte man sagen.
Alleinsein kann freilich auch ein Vorteil sein: Man kann
ungestört dem Seinen nachgehen, und in jeder Lebensgemeinschaft
gibt es wohl Zeiten, in welcher die Individuen Zeit allein für
sich selbst brauchen. Aber: Zugrunde liegt eben eine
Lebens-gemeinschaft. Damit steht dieses Alleinsein
relativ zum grundsätzlichen Gemeinsamsein.
Und wenn das Sein selbst oder Gott nun seine "ewige
Glückseligkeit" - gesetzt, es sei eine solche -
intensiv empfindet, muss dann nicht "etwas passieren"?
Ihr könntet euch eure Nachfragen sparen, wenn ihr mit mir
ins Sein selbst hineindächtet und hinein-ginget.
Ich räume zwar ein, dass nicht alle gleich denken, und dass
wir, sofern wir unterschiedlich sind, auch unterschiedlich
denken, so dass streng genommen jedes Individuum seine je
eigene Denkweise hat.
Nichtsdestotrotz haben wir auch Gemeinsamkeiten im Denken, und
dies ist doch die Grundlage und Voraussetzung gelingender
Kommunikation?
Nehmen wir wieder den Menschen als Analogie: Was mache ich,
wenn ich mich glückselig fühle, sozusagen rundum in
höchstmöglicher Weise mich gut befinde?
Danke fürs Stichwort! Danke fürs Mitdenken!
Was haltet ihr von der Idee, ein ursprüngliches
Mitteilungsbedürfnis Gottes sei Ursache der Schöpfung
gewesen?
Setzen wir dies einmal als eine Arbeitshypothese an, so ergeben sich sofort wieder weitergehende Schlussfolgerungen, nicht wahr?
Ich bin jetzt etwas irritiert. stehe ich denn mit meinem Denken ganz alleine? Ich dachte, wir wollen zusammen denken!?
Gut also. Um konstruktiv vorwärts kommen zu können, wollen wir gemeinsam akzeptieren, dass unsere drei Individualitäten uns gewisse Opfer im Gespräch auferlegen könnten. Wir können nicht voraussetzen, wir seien "ein Herz und eine Seele". Wir können aber voraussetzen, wir hätten - alle in gleicher Weise - einen gegenseitigen Verstehenswillen. Und so ist jedem von uns die Toleranz auferlegt, bei Unstimmigkeiten und Missverständnissen nicht sogleich in Opposition zu gehen, aber gebürlich nachfragen zu dürfen, wie die jeweilige Äußerung näher gemeint sei. Ist das akzeptabel?
Wenn wir unsere Situation krass formulieren wollten, könnten
wir womöglich sagen müssen, wir Menschen seien
Kommunikations-Nieten.
Und an dieser Randstelle unserer gemeinsamen Kommunikation
möchte ich auch eine These in den Raum stellen: Wir sind noch
gar kein echtes Wir geworden. Es existiert bislang kein "Wir -
die Menschheit". Faktisch besteht unter uns ein
Interessen-Konflikts-Bündel, das mutmaülich danach aussieht,
dass wir an diesem unserem Nicht-Wir zugrunde gehen
werden.
Aber nun weiter, ich fürchte ja schon die nächste Intervention
unseres Theologen.
Setzen wir ein ursprüngliches Mitteilungsbedürfnis
Gottes arbeitshypothetisch als wahr und zutreffend an, so
folgt daraus, dass die konventionelle Theologie fehlgeht mit
der Annahme, Gott genüge sich selbst und sei also in und für
sich selbst vollkommen.
Nein, das ist er nicht und kann er gar nicht sein! Vielmehr
zeigt sich, dass diese ewige Glückseligkeit, die
das Sein selbst subsanziell ist, wenn sie für sich
selbst bliebe, gewissermaßen sich selbst widerspräche und in
sich selbst unvollkommen oder auch unvollständig wäre.
Und wenn wir also an früherer Stelle sagten, der Mensch sei ein
zum Leben erweckter Widerspruch der Existenz in sich, nämlich
dadurch, dass die Existenz aus sich selbst heraus Endlichkeit
hat und Unendlichkeit fordert, dann können wir sagen, in Gott
sei der exakt gegenteilige Existenz-Widerspruch realisiert, nur
dass das relevante Gegensatzpaar bei ihm nicht "unendlich -
endlich" lautet, sondern "allein-isoliert - gemeinsam-sozial".
Ja, du hast ganz Recht damit. Und wenn eine Konkruenz entstehen soll zwischen beiden Wegrichtungen, vom Menschen zum Gott und vom Gott zum Menschen, so müssen wir einen noch weitergehenden Gedanken zu Hilfe nehmen.
Dieser Hilfs-Gedanke ist: Es scheint, als sei in der
Ewigkeit nur für Einen Platz.
Würde Gott sein Nicht-Kommunikations-Problem durch eine
Verdopplung seiner lösen wollen, so stünde er seinesgleichen
gegenüber, und dieser "Nebengott" wäre aber wiederum exakt
durch dasjenige charakterisiert, was bereits in Gott vorhanden
ist: Der Nebengott hätte also dieselbe
Nicht-Kommunikations-Problematik, wie Gott selbst, denn auch er
wäre wiederum mit der "ewigen Glückseligkeit" überladen oder
überlastet.
Und also wäre durch einen Nebengott die - ich will einmal sagen
- Not Gottes, nicht gelindert, sondern vermehrt, sogar
verdoppelt.
Es bleibt dann nur die Möglichkeit, Gott bringe ein Anderes
seiner hervor, damit Kommunikation entstehen
kann, eine Verbindung zweier Geistwesen. - Diese
Erläuterung füge ich hinzu, weil wir uns ja immer noch unter
der Hypothese und Direktive des Spiritualismus bewegen, woraus
der Mensch gedacht werden muss als "Geist vom Geist".
Und wenn also nur ein Gott sein kann, indem in der
Ewigkeit nur Platz für Einen ist, so bringt
Gottes Hervorbringen eines Anderen unweigerlich oder notwendig
das Handikap mit sich, dass dieses oder dieser Andere
jenseits der Ewigkeit im Sein zu stehen kommen muss,
nicht in der Ewigkeit (Gottes) selbst.
Und auf diese Weise scheint also Gottes Lösung seines
Nicht-Kommunikations-Problems für diese entstehenden und
entstandenen Anderen (denn dieser Prozess ist ja offensichtlich
in die Vielheit, in Viele ausgelaufen) zur genauen
Umkehrung der Gottesproblematik zu führen: Sie
haben jetzt Kommunikation und Gemeinschaftlichkeit
oder Gesellschaft, wissen dies aber sozusagen nicht wahrhaft zu
schätzen (indem sie die ursprüngliche Not Gottes gar nicht
sehen), und sie wollen nun - umgekehrt - die
Ewigkeit des Seins haben, ohne sich dessen bewusst zu
sein, dass sie auf diese Weise ihre Gemeinschafts- und
Kommunikations-möglichkeit wieder einbüßen werden.
So ergibt sich eine gegenseitige Hervorbringung und
Wiederaufhebung von Gegensätzen: Gott hat die Ewigkeit, ist
aber kommunikations- und gemeinschaftslos, und seine Kreatur
hat die Kommunikation und Gemeinschaft, ist aber sozusagen
ewigkeitslos.
Dies scheint mir die Grundspannung des Seienden zu
sein: Gott bringt notwendig die Vielheit und Endlichkeit aus
sich hervor, und die Vielheit und Endlichkeit strebt notwendig
zurück zur Ewigkeit, die sie durch ihr Sein eingebüßt hat.
Das siehst du wohl ganz richtig, nur läufst du uns und unserem
Gedankengang damit weit voraus.
Denn viele Fragen sind im Gedichtzusammenhang aufzuwerfen und
zu beantworten, so z.B. die Frage einer Selbst-Verdoppelung in
Gott und Mensch (wenn der Mensch Geist vom Geist ist),
eine Frage, die übrigens auch Lessing in seiner "Erziehung des
Menschengeschlechts" aufwirft (EdM § 73).
Und ganz besonders auch die Deutung des Titels "Wiederfinden",
die uns doch an die platonische Aussage erinnert, Erkennen sei
Wiedererinnerung. Entscheidend ist damit die Klärung der Frage
unseres Geistseins, unseres Denkvermögens, somit der
existenzielle und ontologische Stellenwert des Strebens
nach Erkenntnis, und - um einen Bogen zu unserem
Diskussionsstand der Dinge zurückzuschlagen: Genügt es, wenn
der Mensch theologisch nach Gotteserkenntnis strebt,
oder wäre es nicht viel angemessener und näher an den wahren
Wirklichkeitsverhältnissen dran, wenn der Mensch sich darum
bemühte, Gott zu verstehen!?
Das ist es ja wohl, womit wir hier und jetzt gerade beschäftigt
sind?
Und ich will also fortfahren in meinen Ausführungen: In der
Religion macht sich der Mensch zumeist selbst klein vor dem
großen Gott, und aus diesem Grund kommt er bestenfalls zu einer
vagen Gotteserkenntnis, aber niemals zu einem echten
Gottesverständnis.
Allein schon der bloße Gedanke, Verständnis für Gott haben zu
sollen, ist theologisch gesehen befremdlich und abwegig. Denn
wenn es ein Wesen im Sein gibt, das kein Verständnis
braucht, dann doch wohl der Gott, der in sich selbst
ewiges, glückseliges leben besitzt? - Diese Schlussfolgerung
zeigt, wie aus einer fehlgehenden, sich abstrakt haltenden
Gottes"erkenntnis" der Fehlschluss hervorgeht, in Bezug auf
Gott sei ein "Verständnis haben" fehl am Platz.
Und dann ist die evangelische oder auch reformierte Theologie
noch auf die abstruse Idee gekommen, Gott als "den ganz
Anderen" anzusehen, was ja letztlich darauf hinausläuft, dass
der Mensch aus sich selbst heraus zu keinerlei Gotteserkennen
kommen kann, sondern darauf angewiesen ist, wie dieser "Fremde"
(und sozusagen "grundsätzlich Unerkennbare") sich gnädigerweise
"dem Menschen offenbarend zuwendet".
Und wenn es nun aber - in Wahrheit - genau anders herum wäre:
Gott ist nicht "der ganz Andere", sondern Gott ist "der
ganz Eigene", der mir nähersteht, als ich mir
selbst!? Indem er nicht nur die personifizierte
Selbsterkenntnis ist, sondern auch alle Fremderkenntnis in sich
fasst, und auch fassen muss, denn alles Anderssein hat
sein Selbstsein von ihm her erhalten und nicht etwa
sich selbst gegeben?
Und folglich würde der Mensch sich nur genau dann richtig und
schöpfungskonform verhalten, wenn er sich nicht "vor Gott
kleinmachte", sondern wenn er sich selbst größer und größer
machte, so groß, bis er schließlich "die Größe des Seins selbst
erreichte" und in sich mitumfasste?
Wahre Bildung könnte dann genannt werden eine ständig
fortlaufende Aneignung des Fremden und Anderen, seine Aufnahme
in sich selbst, somit eine fortschreitende Fremd-Aufhebung
durch Selbst-Aneigung. Auch dies ist in dem Goethegedicht
enthalten.
Und der kosmische Veränderungsprozess läuft dann darauf hinaus,
dass der Mensch zu erkennen hat, dass er grundsätzlich nicht so
bleiben kann, wie er ist, sondern dass er fortlaufend wieder
ein Anderssein anzunehmen hat, sozusagen als neues und besseres
Kleid seiner in kosmischer Wandlung begriffenen
Geistigkeit.
Und der tiefere Grund ist, dass alle Wesen sich selbst als
Geist vom Geist zu verstehen haben, und sie haben ihr Sein im
und als Anderssein. Und wenn ein Anderssein sich selbst recht
verstehen will, muss es von sich aus wieder danach streben,
sein Anderssein auch wiederum aufzuheben, durch alle Welten und
Zeiten hindurchzuschreiten, solange, bis sie wahrhaft bei
sich selbst herausgekommen sein werden - im Sein
selbst.
Und wenn dies geschehen ist, indem die Kommunikation der
Geistwesen unter sich vollkommen gelungen ist, in einer
gemeinsamen und wohlgeordneten Rückkehr des Vielen ins Eine, so
wird Gott dereinst dann wieder sagen können: "Auf ein Neues -
ich will mich wiederum mitteilen..."
Und wiederum haben wir ein neues Niveau erreicht. Habt ihr es
bemerkt?
Wenn ihr so unaufmerksam und unkonzetriert in unserem Gespräch seid, wird es die Echt-Christen nicht wundern, wenn Christi Wiederkunft passiert und wenn er in seinem Passieren auf höherer Geist- und Wirklichkeitsebene sie, die geangelten Echt-Christen, en passant mit sich nehmen wird, an euch und an der übrigen und zurückbleibenden Menschheit vorbei.
Ich "fordere" gar nichts von dir und bedanke mich sowohl bei
dir als auch beim Philosophen, dass wir dieses gemeinsame
Gespräch führen können.
Gewiss kennst du ja die Bibelstellen, in welchen von Menschen -
im Hinblick auf die biblisch genannte "Zeit der höchsten Not" -
Ausreden verschiedenster Art geschildert werden, um sie für
einen Zeitpunkt und ein Ereignis zu entschuldigen, für welche
alle Entschuldigung dann schlicht obsolet geworden sein wird,
indem zur reif gewordenen Menschheits-Zeit ein Schnitt und
Schwellenübertritt geschehen wird, sozusagen ohne Rücksicht auf
Verluste?
Unsere Zeit ist es, die Erfordernisse mit sich bringt, nicht
ich. Ich fahre fort.
Wir haben zuletzt nicht theologisch eine
Erkenntnis Gottes gesucht, sondern
philosophisch ein Verstehen des Seins
selbst.
Um das Sein selbst verstehen zu können, muss man sich in es
hineindenken und hineinversetzen, an seine Stelle
denken, was dann rechtens und legitim ist, wenn der Mensch
erstens Geist vom Geist ist und wenn er zweitens auch sich
selbst als Geist vom Geist versteht.
Er muss ein entsprechendes Selbstverständnis entwickeln und
haben und leben. Die Anthroposophen haben es, unsere
gegenwärtige Theologie und Kirche hat es nicht: Sie steht nicht
fest im Geist und in der geistigen Wahrnehmung der
Wirklichkeit. Sie ist zweiflerisch und wankelmütig. Auf sie
trifft im Grunde zu, was die Offenbarung des Johannes in
folgende Worte fasst:
"Ich kenne deine Werke, dass
du weder kalt noch warm bist. Ach dass du kalt oder warm
wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde
ich dich ausspeien aus meinem Munde." (Offb. 3,15f, Lutherbibel
2017)
Und unser gegenwärtiger Atheismus und Materialismus hat es auch
nicht. Und ich finde es überaus bedauerlich, dass du,
Philosoph, dich dem Materialismus verschrieben hast, obwohl zur
Philosophie m.E. konstitutiv der Zweifel gehört, damit
aber auch das möglichst lange Hinauszögern und Offenhalten
der Frage, in welcher Weltanschauung das Seiende richtig
gesehen werde, im Materialismus oder im
Spiritualismus.
Spart euch eure Antworten. Ich fahre fort.
Wir sind jetzt philosophisch (soll heißen: aus reiner
Vernunft oder einem nur vernehmen wollenden Denken) zu einem
Verständnis des Seins gekommen. Und wir können jetzt
sogar philosophisch formulieren oder auch reimen:
Das Sein
versteht sich von selbst,
Wenn es
sich wahrhaft versteht.
Und das wahrhafte Verständnis des Seins sehe ich im
Spiritualismus realisiert.
Wir ersehen daraus die volle Berechtigung der Jesus-Schelte an
uns Menschen in Lk. 12,57:
"Warum findet ihr nicht
schon von selbst das rechte Urteil?"
Jesus sagt uns damit gleichsam: Ihr habt (von mir) ein
Evangelium bekommen, obwohl ihr - eigentlich - gar keines
bräuchtet!
Denn das Evangelium gibt uns ja nichts Fremdartiges, nichts
"ganz Anderes" und nichts aus uns selbst heraus Unerkennbares,
sondern es gibt uns genau das, was wir aus rechtem
Selbstverständnis heraus aus uns selbst hätten gewinnen
können.
Und die ganze Menschheitsproblematik des Äons, in welchem wir
sind und leben, besteht darin, dass uns unsere wahren
Wirklichkeits- und Seins-verhältnisse korrumpiert worden sind,
und zwar so sehr, dass wir doch glatt vergessen haben, dass wir
Geist vom Geist sind und dass ein menschliches und
menschheitliches Selbstverständnis als Geist-wesen richtig
und angemessen für uns wäre.
Und so befinden wir uns - wir wissen gar nicht, seit welchen
Urzeiten - in einem krassen Selbst-missverständnis, das
schnurstracks in den Atheismus und Materialismus der Gegenwart
hineinführte, der von Vielen oder gar den Meisten heute als
normal und natürlich angesehen wird, bis hinauf zu unsern
Akademikern, Wissenschaftlern und scheinbar Besten.
Das "neue Niveau", das wir erreicht haben, besteht darin, dass
wir im Hineingehen ins Sein selbst feststellen mussten, dass es
ein Stehenbleiben in der Ewigkeit des Seins nicht gibt
und nicht geben kann.
Wir stellten vielmehr fest: Wenn der Mensch es unternimmt, das
Sein selbst verstehen zu wollen, so kommt er gewissermaßen in
den Sog dieses Seins selbst oder Gottes hinein und muss mit ihm
durch ihn hindurch- und über ihn hinausgehen und kommt dann auf
der "anderen Seite Gottes" wieder heraus, beim "Anderen" und
"Vielen", welches notwendig aus ihm hervorgegangen ist.
Und dieser Terminus "notwendig" scheint mir unserer
Aufmerksamkeit wert. Er hat für uns heute die Bedeutung von
"logisch zwingend", und wir ignorieren hierbei im Grunde das
Wort als solches. Es handelt sich ja tatsächlich um eine sehr
merkwürdige Wortbildung. Etymologisch bedeutet "notwendig":
"geeignet, die Not zu wenden" - so die Bedeutung zu Beginn der
Neuzeit, zur Lutherzeit [vgl. DWDS, notwendig,
etymologisch].
Und dieses Verständnis trifft nun exakt zu auf das Handeln
Gottes, der seine eigene Not damit wendet, wir könnten auch
sagen: lindert, und er tut es nicht nur einmal, sondern immer
wieder.
Und so haben wir eine plausible Erklärung für unser eigenes
Dasein, welches wir als "die andere Seite Gottes" zu begreifen
haben.
Jetzt erst haben wir das Ganze des Seins vollständig
durchlaufen. Und, ob wir nun der Meinung sind, wir hätten es
nach hinten oder nach vorne durchlaufen, ist letztlich
einerlei, denn das Sein selbst liegt ja in beiden Richtungen,
indem es sowohl unsere Herkunft als auch unsere Zukunft
ist.
Insofern aber der Ausgangspunkt unseres Denkens jenes Dasein
ist, welches wir selbst vorfinden und welches auch wir selbst
sind, beginnt der Denkprozess als Nachdenken eines Vorgedachten
und kann insofern Rückwärtsdenken genannt werden. Der Welt
liegen Ideen zugrunde, in denen sie bereits vorgedacht ist und
wonach sie dann auch gestaltet wurde und wird.
Und wenn wir aus diesen Dingen uns selbst als Menschen
herausgreifen, so liegt auch uns eine Idee zugrunde, in welcher
wir vorgedacht sind und welche wir nachzudenken haben.
Und wenn wir nun diese Idee des Menschen - als eines animal
rationale - so ins Auge fassen, dass der Mensch die eine
und einzige Aufgabe hat, das Sein zu verstehen,
Verständnis für das Sein zu entwickeln, so können wir sagen,
dass unsere Wissenschaften an der wesenhaften Aufgabe unserer
selbst dran sind, und zugleich, dass sie sie aus dem Auge
verloren haben, indem sie sich von der Philosophie, die
ursprünglich mit der menschlichen Existenz verbunden gewesen
ist, gelöst, getrennt und verabschiedet haben.
Und wenn die Philosophie - auch nach Kant - slebst Wissenschaft
sein will, so ist sie auch in sich selbst von sich selbst
abgekommen. Und wenn nun niemand mehr die Philosophie in sich
selbst berichtigt und in ihr Wesen zurücksetzt, so muss die
Menschheit dauerhaft ihre eine und einzige Aufgabe versäumen
und kann nicht zu sich selbst kommen.
Die Philosophie ist es, in der der Mensch nach der Erkenntnis
des Seins strebt, und wenn er intensiv an diesem Bestreben
arbeitet und festhält, so wird ihn diese seine Liebe zur
Wahrheit retten, nämlich schnurstracks in die Wahrheit
hineinführen, wie die Bibel sagt (2 Thess. 2,10).
Und so können wir sagen: Die Idee der menschlichen Existenz
besteht darin, das Sein selbst in sich selbst zu erkennen,
wobei die Doppelbedeutung zugleich zutrifft: das Sein
erkennen im Sein selbst und in der Existenz des
Menschen.
Damit ergibt sich für den Menschen die philosophische
Geistesgrundhaltung als notwendig richtig. Philosophie ist
nicht überflüssig, sie ist notwendig, und es ist ebesno
notwendig, dass sie ihr Ziel erreiche. Nur so kann das Ganze
des Seins in sich stimmig werden.
Und wenn wir uns nun mit dieser "Rücken-informtion" den
Menschen anschauen, wie er beginnt, Philosophie zu treiben und
also erkennend zur Wahrheit des Seins hinzustreben, dann können
wir jetzt sagen: Oh ja, das Ganze des Seins ist schon
in sich stimmig. Die Philosophie bringt irgendwann die Idee des
Seins aus sich hervor, geht in sie hinein und durch sie
hindurch und kommt dann auf der anderen Seite wieder heraus.
Diese "andere" Seite ist aber genau diejenige, auf welcher die
Philosophie bereits steht. Also kommt die Philosophie - im
Durchgang durch das Sein selbst - wieder bei sich selbst
heraus. Der Mensch vollendet den Kreislauf des Seins, aber nur
als philosophierender.
Die Philosophie ist dem Menschen notwendig, alles sonstige
Streben nach Erkenntnis, meinetwegen "Wissenschaft" genannt,
ist Kür, vielleicht nützlich und hilfreich, aber kontingent.
Mit dieser Sichtung bist du an der Wahrheit schon nah dran,
triffst sie aber noch nicht. Das Ich ist nicht die höchste Form
des Geistes, auch wenn es uns derzeit so erscheint, weil es
eben momentan unsere höchste Form ist, über die wir nicht
hinausdenken können, weil wir selbst noch nicht darüber
hinausgekommen sind.
Anthroposophisch gesehen besteht der Mensch aber aus sieben
Wesensgliedern, deren augenblickliche Mitte dieses Ich ist. Das
nächsthöhere Wesensglied, dessen Entfaltung uns unmittelbar
bevorsteht, wird Geistselbst genannt.
Gewiss, ein seltsamer Name. Aber aus unserem Sinnzusammenhang
kann ich dir eine einfache, plausible Herleitung geben.
Siehe: Ein Ich kann der Mensch haben ohne
Bewusstsein seiner eigenen Geistigkeit und der Geistigkeit des
Universums. Nimm dich selbst als Beispiel, der du
materialistisch denkst und lebst.
Das menschliche Ich ist selbst erst geworden über einen
geistesgeschichtlichen Entwicklungsprozess, erkennbar noch am
Dasein des Kleinkindes, das erst mit drei Jahren lernt, das
Wort "ich" auf sich selbst anzuwenden und für sich selbst zu
gebrauchen. Vorher spricht es von sich selbst in der dritten
Person Singular, bedingt dadurch, dass es auf sich selbst
nur indirekt blickt, nämlich vom Sein und
Mittelpunkts-Dasein seiner Mutter her.
Kommt nun der Mensch in seiner geistesge-schichtlichen
Entwicklung dazu, sein eigenes Ich als grundsätzlich und
wesenhaft geistiger Natur anzusehen, sich selbst also als
geistige Substanz wahrzunehmen, so beginnt dieses menschliche
Ich sich selbst als Geistwesen zu setzen und
anzuerkennen. In demselben Augenblick, in welchem der Mensch
begreift, dass er selbst Geist ist, ergreift er
sein Geistselbst an einem Zipfel.
Die Anthroposophen stehen schon in diesem neuen
Selbstverständnis, die meisten Anderen wohl noch nicht.
Anthroposophisch ist auch erkannt, dass das deutsche Wort "Ich"
aus den lateinischen Initialen des irdischen Namens Christi
besteht: Iesus
CHristus. Dies wiederum kann als
Zeichen dafür genommen werden, dass das Ziel aller Menschen
ist, zugleich Menschlichkeit und Menschheitlichkeit in sich
auszubilden. Als Geistverhältnis ausgesprochen bedeutet es,
dass alle Menschen die Zielrichtung auf das Christuswesen hin
nehmen und in ihm ihren wahren Mittelpunkt, ihr Zentrum
erkennen sollen.
Gut, diesen Gedanken nur noch abschließend: Der Philosoph
erwirbt sich die allerbeste Kenntnis der Allgemeinheit, während
er von ihr übergangen, belächelt oder auch verteufelt
wird.
Wenn wir wissen wollen, ob Ewigkeit des Seins überhaupt
erstrebenswert sei, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als
zu versuchen, uns in diese Ewigkeit einmal versuchsweise
hineinzudenken.
Ja, das wissen wir nicht. Wir bewegen uns aber immer noch in
unserer Idee des Seins, von der wir noch nicht sicher wissen,
wie der rechte Umgang mit ihr sei.
Wir wissen nicht, ob es einen Gott gibt, und wir wissen nicht,
ob es "das Sein selbst" gibt. Wir wissen aber, wie dieses "Sein
selbst" beschaffen sein müsste, wenn es es gäbe: Ewigkeit des
Lebens, und zwar in einer gänzlich positiven Form, sagen wir,
als Glückseligkeit.
Denn dort, wo das Leben und Sein so schwer wird, dass es
unerträglich wird, kehrt sich der Wille zum Sein in den
gegenteiligen Willen zum Nicht(mehr)sein um, welches
dann als Vorteil und Gewinn erscheint.
Es ist gut, Theologe, dass gerade du mich danach fragst. Denn traditionell erstrebt die Theologie ja die Erkenntnis Gottes. Mir aber erscheint diese Formulierung und Wortwahl nicht sehr gut gewählt zu sein, denn es ist - wie soll ich sagen - ein "Erkennen mit Vorbehalt".
Lass uns wiederum vom Menschen sprechen, denn bei ihm wirst du
sofort verstehen, was ich meine.
Nehmen wir einen Menschen, der psychisch leidet und daher einen
Psychologen aufsucht und ihm seine Problematik schildert. Wie
reagiert der Psychologe darauf? Was antwortet er ihm?
Ja, sachlich richtig, nur hast du jetzt meine Sprachproblematik übergangen oder nicht gesehen. Ich meine nämlich: Der Psychologe spricht nicht den Satz zu dem Leidenden: "Ich erkenne dich", sondern er spricht den Satz: "Ich verstehe dich." - Merkst du den Unterschied?
Und das Entscheidende
ist:
Schlüsselgewalt
Erkenntnisvermittlung
Ich muss jetzt gehen. Seht ihr eigentlich, wie schwerfllig ihr
in eurem Denken seid!? Wie wollt ihr jemals mit der
Leichtfüßigkeit des Geistes, der durch die Zeiten und Welten
marschiert, mithalten können?
Es bleibt keine Zeit mehr...
Denn der Autor dieses Textes, sozusagen unser Gärtner, der uns drei hier zusammengepflanzt hat, ist der Meinung, es sei jetzt mit der Einleitung genug. Wenn Leserin und Leser nun interessiert sind, können sie sich mit der Website eingehender befassen. Wenn nicht, haben sie die Freiheit, diese Website wieder zu verlassen.
Weil ich die rechte Verbindung
nach oben gefunden habe, während ihr diese Verbindung und
Verbindlichkeit eurer selbst immer noch sucht und daher
wertvolle Zeit vertrödelt damit, über das längst verstehbar
gewordene Ganze des Seins immer noch unverbindlich
nachzudenken, anstatt - wie ich - mit der Geistgemeinschaft nun
vorzudenken - in die Zukunft unserer selbst hinein.
Das Geist-Anbindungs-Thema ist menschheitsge-schichtlich (und
mehr oder weniger auch heils-geschichtlich) abgehakt. Auch wenn
ihr immer noch sowohl vor euch selbst als auch gesellschaftlich
den Anschein erwecken wollt, es bestehe immer noch, nach wie
vor, eine Berechtigung zu Zweifel und Unglaube und Umherirren
im Sein.
Eine solche Berechtigung besteht nun nicht mehr, nur dann, wenn
der Mensch seine Geistes-geschichtslektionen nicht ordentlich,
sprich: nicht rechtzeitig gelernt hat.
Und so befinden wir uns gegenwärtig bereits mitten
in der Schlussstrich-Ziehung! - wie sie uns
sowohl in den Evangelien als auch in der Offenbarung des
Johannes vorangekündigt ist.
Und man kann jetzt sehen, dass Luther gut und richtig erkannt
hatte, dass Christus in der Offenbarung des Johannes nicht
gelehrt wird und also daraus auch nicht erkannt werden kann.
Nur hat er den Grund dafür nicht erkannt: die zeitliche
Befristung unseres Nachdenkens und unseres
Zum-Geist-Zurückfinden-Könnens.
Das, was für den Atheisten und Materialisten unglaublich ist,
ist tatsächlich wahr: Unsere Geistesgeschichte hat
einen klaren, eindeutigen Sinn - und zwar:
gehabt, denn:
Die Frist ist ausgelaufen, und deshalb wird Christus
in der Offenbarung nicht mehr gelehrt. Er muss nämlich
jetzt verstanden sein. Und Luthers
Nicht-Wiedererkennen-Können des Christus ist ja nur die Folge
eines biblisch schon zuvorig genannten
Nicht-Wiedererkennen-Könnens Christi (des Bräutigams), nämlich
seiner Christen (seiner Braut), insofern sie nur
Nominal-Christen geworden sind, mit bloßen Lippenbekenntnissen,
anstatt Echt-Christen, mit echten Geistes-Taten (vgl. z.B. das
Gleichnis von den Jungfrauen bei Matthäus).
Und wenn ihr mehr wissen wollt, so befragt bitte den Geist in
euch selbst... Denn ich muss jetzt gehen... Es bleibt keine
Zeit mehr...
Nur ist uns geistesgeschichtlich
die starke Individualisierung der Menschen dazwischen-gekommen,
und deshalb denkt Jeder und Jede individuell, weil Jede und
Jeder eine andere Raum-Zeit-Stelle im Sein einnimmt, die das
menschliche Denken und Wahrnehmen prägt und - leider -
vereinseitigt, weil für alle unterschiedliche Dinge in den
Vordergrund gerückt sind und wir noch zu wenig Aufmerksamkeit
auf die Hintergründe unserer selbst haben.