Vorbemerkung zum Inhaltsverzeichnis:
Als Autor dieses Textes ist es mein Wunsch, das Inhaltsverzeichnis würde erst als Abschluss zur Kenntnis genommen werden, gleich einer Panorama-Aussicht, die man sich nach einem mühseligen Bergaufstieg redlich verdient hat. Im Zuge des Gedankenganges wird es peu a peu entrollt werden, entsprechend dem offenen Vorgang des Erkennens und Wissenschaftens, den man – als Erkenntnissuchender - auch nicht im vorab absehen kann.
Sofern Leserin und Leser nun gewohnt sind, anhand des Inhaltsverzeichnisses zu beurteilen, ob ein Text für sie überhaupt lesenswert sei, schlage ich folgenden Kompromiss vor: Sie mögen nur einmal den ersten Teilabschnitt (= A 1 a) ) lesen und in Beziehung zur Gesamtüberschrift (und den dann bereits sichtbaren Teilüberschriften) setzen, die schlagwortartig bereits die einzelnen Kapitelinhalte benennt. Dies sollte dasselbe Urteil ermöglichen.
Freilich kann man in heutigen Zeiten des Internets und der Webcams eine Panorama-Aussicht schon vor dem Bergaufstieg genießen, oder sogar ganz ohne nachfolgenden Aufstieg. Und ebenso kann es dem Leser oder der Leserin egal sein, was ich als Autor wünsche, und sie benutzen einfach die Seilbahn des Seitenwechsels und Textscrollens, um doch den Gesamtüberblick zuerst in Augenschein nehmen zu können. Mir ist das aber nicht egal, weil es den ordnungsgemäßen Verlauf des Erkennens verfälscht, aber verhindern kann ich es auch nicht, denn mein Textmedium ist keine Papyrusrolle.
Erläuterung zur Navigation: Jeder Abschnitt ist wiederum eine eigene Seite (der letzte umfasst zwei Seiten), und am Ende der Seite kommt man per Link zum nächsten Abschnitt. Eingefügt ist zusätzlich der Link zurück zum vorhergehenden Abschnitt. Und für ein späteres Nachlesen einzelner Abschnitte sind die nachfolgenden Abschnitts-Termini in diesem ersten Abschnitt des Menüpunktes "3. ABC-Versuch" entsprechend direkt verlinkt.
Außerdem kann das
Gesamtinhaltsverzeichnis über den nachfolgenden Terminus
"Gesamtüberblick" direkt aufgerufen werden, falls jemand es
doch unbedingt zuerst einsehen will.
A. EINLEITUNG
1. Braucht die Philosophie auch eine Wissenschaftsform oder sollten vielmehr unsere Wissenschaften sich zur Philosophie reformieren?
a) Die Wissenschaften haben die Philosophie überholt
Der Text ist philosophisch abgefasst. Im Mittelpunkt steht die „Fragwürdigkeit“, die wir für gewöhnlich mit dem „Zweifel“ gleichsetzen, die aber in eine positive und eine negative eingeteilt werden kann.
Die positive Fragwürdigkeit hat ein Nichtwissen zur Voraussetzung, eine Leerstelle in unserem Geiste, die wir durch ein Wissen füllen möchten. So erklären wir Seiendes einer Frage für würdig, machen es zu einem Gegenstand und streben danach, diesen zu erkennen. Diese erkennende Tätigkeit haben wir institutionalisiert in der Wissenschaft, die sich vielfältigen Gegenständen zuwendet und die wir deshalb in ein breites Spektrum an Einzelwissenschaften ausdifferenziert haben. Auf diese Weise erzielen wir Erkenntniserweiterung, und darin kommt ein universaler Zug des menschlichen Geistes zum Ausdruck, der uns in die Tiefe der Materie und in die Weiten des Kosmos geführt hat.
Die negative Fragwürdigkeit hat umgekehrt ein Wissen zur Voraussetzung, eine Setzung in unserem Geiste, welche aus irgendwelchen Gründen zweifelhaft und somit fragwürdig geworden ist. Wir stoßen auf ein Wissen, das möglicherweise gar kein solches ist, unterziehen es einer Überprüfung, um es ggf. zu revidieren oder zu korrigieren. Auf diese Weise nehmen wir eine Erkenntnisberichtigung oder Irrtumsbeseitigung vor. Wir gewinnen hierbei nicht neues Wissen hinzu, sondern wir bereinigen altes Wissen, das gar kein solches war, sondern ein bloßer Schein von Wissen, den wir aber als solchen nicht erkannt hatten. So scheiden wir Irrtümer, in welchen wir unwissentlich befangen sind, aus unserem Wissen aus, jedoch ohne ein methodisches Bereinigungsverfahren oder einen Überblick darüber zu haben, wie viele solcher Irrtümer noch in unserem „Wissen“ verborgen liegen. Dieser erkennenden Tätigkeit möchte ich in erster Linie die Philosophie zuordnen, deren Wesen und Aufgabe mir darin zu bestehen scheint, uns im Sein wahrheitsgemäß auszurichten.
Wir haben also zweierlei Wege, zu Wissen zu gelangen, wobei der einfachere der der Erkenntniserweiterung ist. Er gehört sozusagen primär unseren Wissenschaften, und es leuchtet uns unmittelbar ein, dass ihre Tätigkeit der Wissensgewinnung sinnvoll und richtig ist. Der andere Weg einer Erkenntnisberichtigung liegt uns ferner, denn weshalb sollte man voraussetzen oder auf die Idee kommen, man habe ein Scheinwissen, befinde sich in einem Irrtum und müsse daher zusehen, sich des Irrtums wieder zu entledigen? Dennoch gehört beides zum Menschen, das Auffinden von Wissen und das Auffinden von Irrtümern, und wir könnten den Menschen daher auch als ein „irrendes Wesen“ definieren: Der Mensch irrt im kosmischen Sein herum und scheint darin kein Zuhause finden zu können.
Diesen zweiten Weg einer Irrtumsbeseitigung kennt unsere Wissenschaft schon auch, z.B. in der Überholung des ptolemäischen Weltbildes durch das kopernikanische, das mittlerweile zu einem kosmozentrischen weiterkorrigiert ist. Trotzdem scheint mir dieses Korrekturverfahren eher der Philosophie zuzuweisen zu sein. Wir wissen, dass Sokrates es vornehmlich gepflegt hat, indem er vielen Gesprächspartnern im Gesprächsverlauf nachwies, ihr vermeintliches „Wissen“ sei gar kein solches. Die Crux dieser zweiten und dennoch überaus wichtigen Vorgehensweise, uns unser Wissen als solches zu sichern, liegt darin, dass sie sozusagen nichts „produziert“, also keine neuen Erkenntnisse zum Fortkommen der Menschheit beisteuert, sondern lediglich ein Zuviel des alten Wissens wieder wegnimmt. Konsequenterweise gibt es von Sokrates keine „Lehre“ seiner „Forschung“.
So wird verständlich, warum die Philosophie auf den vielfältigen Wegen der Wissenschaften ins Hintertreffen geraten ist und heute innerhalb dieser groß und stark gewordenen „modernen Wissenschaft“ kein rechtes Ansehen mehr hat, eher toleriert als anerkannt ist, und vermutlich nicht wegen der „großartigen Erkenntnisse“, die aus ihren Reihen kommen, sondern eher honoris causa, soll heißen: mitgenommen lediglich wegen ihrer Altleistung der Wissenschaftsinitiierung.
Was ist ihr spezifischer Gegenstand? Was genau soll dieser sein? Ihre Fragestellung nach dem Sein ist vage und allgemein, erscheint unbestimmbar und ergebnislos. Sie bringt kein klar erkennbares positives Wissen zuwege, und wohl aus diesem Grund ist sie aus dem in sich klar strukturierten Wissenschaftsverband herausgefallen, wie mir scheint. Das philosophische Schürfen ist sozusagen eingestellt worden, weil die Mine unergiebig geworden ist oder womöglich niemals etwas Rechtes hergegeben hat? Und schlimmer noch: Proprium der Philosophie scheint ja genau das zu sein, was sie selbst von Anfang an bekämpfte: das Scheinwissen. Denn sie selbst wirkt, aus Sicht der Wissenschaften, nicht greifbar, nicht aussagbar, verliert sich ins Unbestimmte und Metaphysische, verschwindet gewissermaßen im Dunkel einer möglicherweise frei erfundenen Tiefe und Esoterik, die niemand versteht oder mit der niemand etwas anfangen kann, kurz: Die Philosophie erweckt selbst einen Anschein von Wissen, und dies ist wissenschaftlich gesehen skandalös, unseriös, nicht akzeptabel und letztlich wertlos.
Wir wollen daher sachlich nachfragen: Hat sich der Gegenstand der Philosophie zwischenzeitlich erledigt, so dass ihre Fragestellung heute zu Recht mehr oder weniger aufgegeben ist? Beispielsweise könnte ihr Gegenstand heute erschöpfend auf mehrere oder viele Einzelwissenschaften verteilt sein, so dass ihr selbst kein „eigener“ mehr übriggeblieben ist, war sie doch ursprünglich alle Wissenschaftszweige selbst: Physik (= Naturlehre), Metaphysik, Theologie, Psychologie, Erkenntnistheorie, Staatslehre, Rechtslehre usw., bis diese Teilbereiche sich aus dem philosophischen Zusammenhalt herausgelöst, sich verselbständigt und professionalisiert haben. Und so sind der Philosophie mit den Einzelwissenschaften auch ihre Einzelgegenstände ausgegangen oder davongelaufen, und so ist sie in die Verlegenheit gekommen, plausibel zu machen, was sie denn selbst noch „Eigenes“ sei?
Oder sollte der Universalgegenstand der Philosophie vielleicht doch einfach nur aus dem Blickfeld geraten sein in dem unübersichtlich gewordenen Gewirr an Einzelwissenschaften, Einzelgegenständen und isoliertem Fachwissen, dem heute daher die Wissenszusammenführung zur „lebendigen Bildung“ fehlt, was die „rundende Philosophie“ – gleichsam als organisches Prinzip des menschlichen Erkennens und Wissens - früher ganz natürlicherweise noch leisten konnte?
In jedem Fall scheint das – nun selbst fragwürdig gewordene – „Wissen der Philosophie“ irgendwie auf der Stelle zu treten, ein Fortschritt in ihr ist nicht erkennbar. Kant hat diesen Mangel beklagt und als ein Defizit der Philosophie angesehen. Er fand sie sozusagen in einem Zustand des Wildwuchses vor. Sie führte ein freigeistiges Lotterleben, gemessen am Maßstab sorgsam-disziplinierter Schritt-für-Schritt-Wissenschaftlichkeit, und sie stellte sich hierbei nicht einmal die Fundamentalfrage, ob sie ihrem Universalgegenstand denn überhaupt gewachsen sei? Parallel stellte Kant neuzeitlich-bewundernd fest, wie doch die eine oder andere Einzelwissenschaft schöne, klare, sichere Erkenntnisfortschritte erzielt habe. Und daraus entwickelte er das Konzept, die Philosophie müsse endlich auch in die Form einer Wissenschaft gebracht werden, dann werde sich schon zeigen, inwiefern auch in ihr gesicherter Wissensfortschritt möglich sei. Der Plan klingt gut, frisch, neu, die Fragestellung ist geradezu genial zu nennen, echt philosophisch, und auch echt wissenschaftlich, so dass man sagen möchte: „Mensch, warum ist denn niemand schon früher auf diese wichtige Frage gekommen?“
Die Philosophie möchte jetzt also – inmitten der Epoche der Aufklärung - sich selbst erkenntnistheoretisch reflektieren, und es steigt die Hoffnung, ihre konkrete Selbsterkenntnis und Wesenserfassung stünde unmittelbar bevor. So schien es auf den ersten Blick zu sein, und dann kam der längere, langsamere, mühselige zweite Blick, mit welchem die „Kritik der reinen Vernunft“ über zehn Jahre hinweg ausgearbeitet wurde, und siehe da: Die Hoffnung wurde enttäuscht, es kam etwas ganz Anderes dabei heraus. Denn wir wissen, dass Kant zu einem Negativergebnis gekommen ist: Die Philosophie kann das nicht, was sie versucht, und was sie nun einmal prinzipiell nicht kann, soll sie auch nicht mehr länger versuchen. So beschnitt er ihr ihre metaphysische Freigeistigkeit oder universale Disziplinlosigkeit, und wie mir scheint, folgen wir ihm bis heute in dieser seiner „Grenzziehung“. Die Philosophie wurde also geschoren, entthront, wie dazumal das germanische Königtum, gekennzeichnet durch lockige, lange Haarpracht des Merowingers, von dem Aufklärungs-Hausmeiern Kant, der ihr mit kühlem Sachverstand, aus einem faktisch vollzogenen Wissenschafts-Recht heraus einfach das Wissens-Zepter aus der Hand nahm!?
Und wir wollen nachfragen: Ist Kant sein ehrenwert-kritisches Vorhaben denn gelungen? Die unmittelbaren Nachfolger Kants haben gegen seine Verfahrensweise jedenfalls nicht protestiert, haben sich als „Philosophen“ durch „die Wissenschaft“ nicht einschüchtern noch beschränken lassen, im Gegenteil, sie haben Kant kurzerhand in ihr eigenes Denken „dialektisch adaptiert“, und – man möchte es nicht glauben: Im Deutschen Idealismus erblühte das spekulativ-metaphysische Gedankenspiel – jetzt selbst „Wissenschaft“ genannt - prachtvoller denn je!? Dann kam der Niedergang, der geistige Höhenflug wurde zum geistesgeschichtlichen Absturz und schlug um in einen Materialismus, der nicht nur radikal, sondern – das sehen wir heute – auch gesellschaftlich nachhaltig war.
Die idealistische, „klassische“ Philosophie hatte sich eine „Wissenschaftskunst“ einfallen lassen, bei welcher man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, sie müsse Kant irgendwie missverstanden haben, indem jene von ihm beanstandete Freigeistigkeit und Disziplinlosigkeit mit selbstbewusster Gedankenakrobatik unvermindert fortgeführt wurde, nur jetzt – wie dreist - unter dem Deckmantel der Wissenschaft!? Alles in allem scheint der Deutsche Idealismus trotzdem das letzte Sich aufbäumen einer „Philosophie des Geistes“ gewesen zu sein, gegen eine in ihren Startlöchern stehende „Wissenschaft der Materie“. Und wenn auch philosophische Erneuerungswellen nachkamen: Die Philosophie ist heute zur Wissens-Bedeutungslosigkeit verebbt, indem die nachkantische Philosophie die Kant’sche stille Ahnung letztlich doch bestätigte, wenngleich ungewollt: Philosophie (insbesondere Metaphysik als ihr Kernstück) und Wissenschaft vertragen sich nicht, sind inkompatibel. Hier waren dann auch Äußerungen wie diejenige Heideggers, die Wissenschaft "denke nicht", der Philosophie gar nicht hilfreich, weil sie selbst noch Öl ins Feuer der Wissenschaften gossen, das die Philosophie letztendlich verzehrte.
Es scheint daher: Solange die Philosophie sich nicht ernsthaft wissenschaftlich binden möchte, kann sie keinen Anspruch auf wissenschaftliche (und gesellschaftliche) Ernstnahme ihres „Wissens“ erheben. Sobald sie sich aber wissenschaftlich anpasst, sich also in die Wissenserzeugungsmaschinerie unseres gigantischen Forschungsapparates hineinbegibt, verliert sie ihr feurig-existenzielles, subjektbetont-menschlich-persönliches Profil, hat im Grunde genommen nichts mehr zu sagen, weil ihr „Wissen“ nun auch so blutlos-utopisch, abstrakt-zeitlos geworden ist wie dasjenige unserer Wissenschaften, geeignet, Bibliotheken zu füllen, aber ungeeignet, dem Menschen in seinem Hier und Jetzt weiterzuhelfen.
Dies scheint mir der Status quo und das gegenwärtige Schicksal der Philosophie zu sein, möglicherweise noch bestritten von manchen Restphilosophen mit irgendwelchen philosophisch anmutenden Restfragestellungen.
b) Das unüberholbare existenzielle Wesen der Philosophie
Bevor nun auch ich die Philosophie in ihren wohl verdienten Ruhestand verabschiede, möchte ich doch noch einen letzten Blick auf die Kant’sche Wissenschafts-Tat werfen, mit dem leisen Zweifel, ob sie nicht vielleicht doch eine philosophische Untat gewesen sein könnte?
Die Philosophie sollte zur Wissenschaft reifen, das heißt: Die Philosophie-Mutter sollte in die Pluralität ihrer Wissenschafts-Kinder mitaufgenommen und eingereiht werden, die dadurch herangewachsen und groß geworden waren, dass sie die Gestalt eines in sich abgesicherten Fortschreitens im Wissen annahmen, jeweils bezogen auf einen Teilbereich des Seienden. Kants primäre Intention war hierbei die (insbesondere metaphysisch-jenseitige) Erkenntniserweiterung, die er arbeitstechnisch in die Frage fasste „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“, welche ihrerseits auf die aristotelische Kategorienlehre zurückverweist und an sie angelehnt ist. - Diesen Wissenschaftsweg könnte ich nun weiterverfolgen, zugleich die aristotelische Gegenstands-Grundlegung einer näheren Betrachtung unterziehen, will aber hier innehalten und auf die eingangs gemachte Differenzierung im Fragen zurückkommen, wobei die „Erkenntniserweiterung“ den Wissenschaften zugeordnet wurde, nicht aber der Philosophie, die primär etwas Anderes bezweckt, nämlich „Erkenntnisberichtigung“, weshalb ihr auch schon ein „Wissen“ vorausliegt, nicht ein „Nichtwissen“ wie den Wissenschaften, die sich ihr Wissen grundsätzlich erst einmal selbst erarbeiten mussten und müssen, so dass sie quasi von einer tabula rasa (Leerstelle in unserem Geist) ausgehen und das, was sie finden, gleichsam von der Pike auf überblicken und beherrschen können.
Kants Untersuchung muss deshalb m.E. doppelt charakterisiert werden: Seine ursprüngliche, allererste Fragestellung war noch echt philosophisch, nämlich erkenntnistheoretisch, die umfangreiche Ausarbeitung geriet dann aber - im Fortgang seiner Fragestellung - echt wissenschaftlich und zugleich: philosophisch abwegig, denn: Was hat er gemacht? Er hat die Philosophie am Maßstab der Wissenschaft gemessen, sie somit von außen betrachtet und gerade nicht in sich selbst erfasst. Und daher frage ich mich: Kann es sein, dass Kant das Wesen der Philosophie bereits im Ansatz verkannt und verfehlt hat?
Diese bloße Frage ist sehr gewagt und bedarf daher einer guten Begründung. Und aus dieser misslichen Lage heraus, in die ich mich nun selbst gebracht habe, möchte ich Wesen und Aufgabe der Philosophie nochmals zu bestimmen versuchen.
Betrachten wir die allgemeine Erfahrung mit der Philosophie, so scheint sie ein merkwürdiges Ding zu sein, das entweder gar nichts ist, oder sehr schwer fassbar. Und ich vermute, es hängt damit zusammen, dass ihr Haupt- und Herzgegenstand die Verkehrung ist: Wissen, das sich als Irrtum entpuppt, oder Sein, das sich als Schein erweist. Als angestammtes Beispiel will ich Platons Höhlengleichnis benennen, das behauptet, wir Menschen müssten erst einen langen, beschwerlichen geistigen Weg gehen, um ans Licht der Wahrheit und Wirklichkeit zu kommen, obwohl wir alle und der Common Sense doch wissen, dass wir bereits im Tageslicht der Wahrheit und Wirklichkeit stehen, so dass der angebliche „Weg des Philosophen“ in Wahrheit – soll heißen: lebenspraktisch – völlig überflüssig und irrsinnig ist!? „Unser Leben ist keine Verkehrung, die Verkehrung kommt erst durch die Verkehrungsidee der Philosophie ins Leben hinein“, dies scheint mir der normalmenschliche Standpunkt und Common Sense zu sein. - Wo liegt sie also nun, die Verkehrung der Wirklichkeit: im menschlichen Selbstverständnis, das seine Verkehrungssituation einfach nicht wahrhaben will, wie manche Philosophen behaupten, oder in der Philosophie selbst, die zuerst eine Verkehrungs-Hypothese aufstellt, um daraus dann gleichsam sophistisch zu beweisen, dass alle anderen im Irrtum leben und dringend ihrer Hilfe bedürfen?
Folgendes scheint mir für die Philosophie charakteristisch zu sein:
Überblicken wir nun diese Beschreibung, so zeigt sich, dass die Philosophie offensichtlich weniger ein Inhalts-Wissen ist. Freilich unterscheiden sich die einzelnen Philosophien inhaltlich, weil sie unterschiedliche Versuche sind, das Ganze des Seins zu entwerfen bzw. zu überblicken, doch gründen sie alle in der menschlichen Existenz, die nicht mit einem Nichtwissen (tabula rasa) beginnt, sondern mit einem Vor- oder Grundverständnis des Lebens und Seins, aus welchem heraus sowohl individuelles und gesellschaftliches Leben vollzogen als auch die einzelnen Philosophien entwickelt werden.
Die Philosophie ist eher ein Methoden- oder Können-Wissen, und sie kann auch durchaus eine Kunstfertigkeit (Können = Kunst) genannt werden, ein Gewandt sein im Denken, dann auch im Formulieren, dann auch in der Gedanken- und Gesprächsführung.
Dies bringt die Philosophen allerdings in Nachbarschaft zu Rhetorikern und Sophisten. Und wir können die Philosophie folgendermaßen abgrenzen:
Die „Sophisten“, hier im platonisch-pejorativen Sinn verstanden, vermittelten ein Handhabungs-Wissen für das praktische Leben, das als solches nicht weiter zu hinterfragen oder zu problematisieren war. Sie beabsichtigten und erzielten ein Stehen- und Sich behaupten-Können des Menschen im Leben, eine Wissensvermittlung mit konkretem Gesellschafts-Bezug, so dass der grundsätzliche Wahrheits- und Seins-Bezug dieses Wissens eine untergeordnete oder gar keine Rolle spielte. Platon nahm daran explizit Anstoß, weil für ihn das Erkennen und Wissen keine wertneutrale und keine kontingente Angelegenheit des Lebens war, sondern eine ontologische Bedeutsamkeit hatte, als brauche der Mensch die Erkenntnis (der Wahrheit des Seins) zur rechten existenziellen „Bildung seiner selbst“, analog wie die Pflanze für ihre Formvollendung die Ausrichtung auf das Sonnenlicht benötigt. Die Sophisten erstrebten gewiss eine Bildung, aber nicht im ideal-platonischen Sinn, und auch unser heutiges Bildungsverständnis scheint mir demjenigen (praktischen) der Sophisten zu entsprechen, nicht zuletzt, weil die Philosophie in ihrem Wesen nach wie vor unbekannt und in ihrer existenziellen Bedeutung unerkannt ist.
Die Kunst des Rhetorikers ist, eine Sache sprachlich so zu drehen und zu wenden, dass seine Ansicht möglichst zwingend als die richtige erscheint. Die Kunst des Philosophen ist, eine Sache gedanklich so zu drehen und zu wenden, dass die wahre Ansicht über sie gefunden werden kann, so dass sie möglichst in ihrer Wahrheit zum Vorschein komme. Der Philosoph will die Sache gerade nicht beeinflussen oder verändern, im Gegensatz zum Rhetoriker, weil er sie ansonsten niemals in ihrer Wahrheit erfassen kann.
Nun können wir auch eine spezifische Abgrenzung der Philosophie von den Wissenschaften vornehmen, und zwar über die Gegenstandszuweisung: Die Wissenschaften wählen ihre Gegenstände frei, und hierauf beruht auch ihre Fruchtbarkeit: neuer Gegenstandsbereich - neuer Wissenschaftszweig. Bei der Philosophie ist dies anders: In ihren Gegenstand ist der Mensch bereits existenziell hineingesetzt – ins Sein. Ihren „Gegenstand“ kann sie sich nicht aussuchen, er ist mit uns selbst gleichursprünglich da. Wissenschaften bestimmen sich und haben Gegenstände, die Philosophie „ist“ ihr Gegenstand. Philosophie treiben heißt also, sich im „Gegen-Stand“ der menschlichen Existenz zum Ganzen des Seins zu befinden und zu bewegen. Die Wissenschaften befinden sich auch in diesem Gegen-Stand, denn es sind Menschen, die sie betreiben, aber sie bewegen sich nicht darin, sondern haben ihn zugunsten ihres Einzelgegenstandes verlassen – sozusagen klinisch-labortechnisch, entsprechend einer abstrakten, lebensentfremdeten „vita theoretica“, und bedenken diesen Grund-Gegen-Stand der Existenz nicht weiter mit. Es gibt auch keine Einzelwissenschaft, die spezifisch die menschliche Existenz als solche vergegenständlichte, sondern alle Wissenschaften erforschen einen Teilbereich des Ganzen des Seins. Sie müssten daher erst wiederum (existenziell) zusammengesehen werden, damit ein organisches Wissensganzes entsteht, so, wie es die Philosophie ursprünglich war und auch lange Zeit gewesen ist.
Damit ist und bleibt der primäre Gegenstand der Philosophie die Fragwürdigkeit der menschlichen Existenz, die von unseren Wissenschaften als – ungreifbarer - Gegenstand sozusagen übriggelassen ist. Sekundär gehört dann aber auch alles, was mit der menschlichen Existenz verbunden ist, in den Fragebereich und die Fragekompetenz der Philosophie.
Die „Fragwürdigkeit“ der Existenz des Menschen ist im doppelten Wortsinn zu nehmen:
Auf der Grundlage dieser Selbstbestimmung kann sich die Philosophie nun die Aporien auflösen, dass sie sowohl vom Common Sense als auch von den Wissenschaften missachtet wird. Es scheinen nämlich zweierlei Urteile des Menschen über sich selbst zugrunde zu liegen:
Der Common Sense betrachtet die Philosophie als einen überflüssigen Weg, denn das, was sie erstrebt, ist ja schon vorhanden: Selbstkenntnis bzw. Existenzwissen. Die Wissenschaften, indem sie die Existenzsituation des Menschen verlassen (die eine mehr, die andere weniger), betrachten die Philosophie als einen unmöglichen Weg, weshalb sie das menschliche Erkenntnisvermögen nur anderweitig bzw. aspektartig für aktivierbar halten.
Beide sehen sich hier weglos, a-poretisch. Für die einen ist das Ziel bereits erreicht, für die anderen ist eine solche Zielerreichung ausgeschlossen. Auf diese Weise ist der Weg der Philosophie doppelt abgeschnitten:
Im einen Fall lebt der Mensch in einem Urteil über sich selbst und das Ganze des Seins, im andern Fall lebt er (strenggenommen) in einer Urteilsenthaltung über sich selbst und das Ganze des Seins, woraus selbstverständlich nicht zu schlussfolgern ist, Wissenschaftler hätten keine Weltanschauung oder Existenzüberzeugung. Denn ein Anderes ist das Wissenschaftsverhalten eines Wissenschaftlers, ein Anderes sein Existenzverhalten, und wenn der Wissenschaftler ein existenzielles Nichtwissen für unaufhebbar hält, so praktiziert er hinsichtlich dieser Existenz eben auch keine Forschung, sondern übt sich in wissenschaftlicher Urteilsenthaltung und verlegt sich in diesem Bereich – mit dem Common Sense – aufs bloße Meinen, weil in diesem Kernbereich der Philosophie offensichtlich nichts anderes möglich zu sein scheint. Vgl. manche der vielen weltanschaulichen Aphorismen Albert Einsteins:
01 “Die Freisetzung der Atomkraft hat alles verändert außer unserer Denkweise, und deshalb treiben wir auf Katastrophen zu, die nicht ihresgleichen haben.”
02 „Der Wert der höheren Schulbildung liegt nicht im Erlernen von vielen Tatsachen, sondern in der Übung im Denken, die man durch Lehrbücher nie erlernen kann.“
03 „Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.“
04 „Das Streben nach Wahrheit und Erkenntnis gehört zum Schönsten, dessen der Mensch fähig ist, wenn auch der Stolz auf dieses Streben meist im Munde derjenigen ist, die am wenigsten von solchem Streben erfüllt sind.“
05 „Das Studium und allgemein das Streben nach Wahrheit und Schönheit ist ein Gebiet, auf dem wir das ganze Leben lang Kinder bleiben dürfen.“
06 „Seltsam erscheint unsere Lage auf dieser Erde. Jeder von uns erscheint da unfreiwillig und ungebeten zu kurzem Aufenthalt, ohne zu wissen, warum und wozu.“
07 „Ist nicht die ganze Philosophie wie in Honig geschrieben? Wenn man hinsieht, sieht alles wunderbar aus, wenn man aber nochmals hinsieht, ist alles fort. Nur der Brei ist übrig.“
Erläuterung meines Zitierens Albert Einsteins
Die sieben Einstein-Zitate sind authentisch, was ich ausdrücklich erwähnen möchte, weil mit Einstein-Worten reichlich Schindluder getrieben wird. Man sollte wissen: Albert Einstein hat seine literarischen Rechte und Nachlässe der Hebräischen Universität von Jerusalem vermacht. Das Albert Einstein Archiv in Jerusalem verwaltet diese, und entscheidet über eine rechtmäßige Verwendung. Aus diesem Grund habe ich mir Authentizität und Gebrauch dieser Zitate von ihm auch bestätigen und genehmigen lassen, und ich möchte dem Archiv an dieser Stelle meinen Dank aussprechen.
Nun ist es so, dass ein Mensch, wenn er solche Berühmtheit erlangt hat wie Albert Einstein, in die Verlegenheit kommen kann, sich jede „eigene Äußerung“ zwei- oder dreimal zu überlegen, ehe er ein Wort in die Welt setzt. Denn er muss damit rechnen, ein Beobachter oder auch Rechercheur könnte sich dieser Äußerung dann bemächtigen und damit „was auch immer“ anstellen. Das Bild des die Zunge herausstreckenden Einstein kommt sicher nicht von ungefähr, und es gibt von ihm wohl auch manche Äußerung bzgl. seines Stehens in der Öffentlichkeit, woraus ersichtlich ist, dass dies für Prominente zu einer Lebenssituation anstrengender Dauerbeobachtung werden kann, die die Privatsphäre erheblich einschränkt, u.U. enormem psychischen Druck und Stress aussetzen kann.
Prinzipiell gesehen ist es wohl schwierig, die Rechte der Allgemeinheit gegen die Rechte der Individuen abzugrenzen. Und man muss sich ja nur in eine solche Lage versetzen, um eine Ahnung von den möglichen Schwierigkeiten solcher Lebensumstände zu bekommen: Man tut sich vielleicht schwer, sich frei zu bewegen und kehrt dann womöglich irgendwann diesem Dauer-Angesehen-werden den Rücken, sprich: ignoriert es, indem man für sich selbst entscheidet: Meine freie Bewegung ist mir wichtiger als eine hundertprozentige gute Figur vor der Gesellschaft - ein Ideal, welches niemand erfüllt, viele aber trotzdem erwarten, weshalb manche darauf lauern mögen, solche Nicht-Idealität bei andern nachzuweisen.
Albert Einstein war ein Mensch par excellence, soll heißen: ein engagierter Mensch, der sich einmischt und einbringt und kein Blatt vor den Mund nimmt, und es ist auffällig und bemerkenswert zu nennen, dass er zugleich ein herausragender (Natur-)Wissenschaftler war. Eine solche „Existenz-Mischung“ oder auch „Menschenmixtur“ kommt nicht so häufig vor, und ich selbst kenne nur einen – Albert Einstein. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass wir – die Menschheit – einen solchen geschenkt bekommen haben – von wem oder von woher auch immer.
Die von mir ausgewählten Zitate gehen auf beide Seiten Einsteins ein, und zwar so, dass sie den besonderen Menschen Einstein aus sich selbst heraus zeigen, während für den exquisiten Naturwissenschaftler Einstein mein Fokus auf dem öffentlichen Ansehen oder Angesehen-werden liegt. Der Mensch Einstein ist mir über jede Kritik erhaben, solche Mitmenschen bräuchten wir mehr unter uns, vom Naturwissenschaftler Einstein möchte ich aussagen, dass er gesellschaftlich eine außerordentliche Autorität erlangt hat, welche genau hier mein Knackpunkt sein soll: Wie geht man mit Worten einer Autorität um? Und zwar dann, wenn sie sich nicht auf ihr Fachgebiet beziehen? Hat ein Einstein-Wort schlicht und einfach dadurch Gewicht, dass es von der Person Einstein kommt, egal, worum es hierbei geht? Oder darf „Autorität“ nicht pauschal betrachtet werden, so dass Menschen zwar in der einen Hinsicht Autoritätsperson sein können, in anderer Hinsicht jedoch durchaus nicht?
Meine Frage nach einer solchen Autoritäts-/Nichtautoritäts-Unterscheidung bezieht sich eigentlich weniger auf Albert Einstein, mehr auf Immanuel Kant, und zwar auf seine philosophische „Doktrin metaphysischer Unerkennbarkeit“, so will ich sie nennen, zu welcher ich mich in Opposition befinde. Vereinfacht formuliert: Indem Kant die „Beliebigkeit metaphysischen Meinens“ aus der als Wissenschaft verstandenen Philosophie verbannte, durch Festsetzen seiner „Erkenntnisgrenze“, eröffnete er auf diese Weise eine ganz allgemeinmenschliche Berechtigung, beliebige weltanschauliche Meinungen besten Gewissens von sich geben zu können. Denn wo „Unerkennbarkeit“ besteht, muss eine „Meinungsvielfalt“ ins Kraut schießen dürfen.
Bei Einsteins aphoristischen Äußerungen hatte ich nun immer den Eindruck, dass er hierbei das angedeutete „gute Gewissen metaphysischer Meinungsfreiheit“ hatte, welches sich „im Einklang mit dem kantisch-wissenschaftlichen Philosophieverständnis“ weiß; und im Zusammenhang mit meinen Zitat-Recherchen habe ich dann erfahren, dass Einstein sich tatsächlich mit Kant näher befasst hat, was meinen Eindruck freilich nicht unbedingt beweist, aber immerhin indiziert.
Mit der Zitierung Einsteins (und der lebensgeschichtlichen Verortung seiner Äußerungen) verbinde ich daher mehrere Aspekte gleichzeitig:
Alles in allem meine ich auf dieser Website zeigen zu können, dass ich – zumindest zumeist - bemüht bin, mit meinen Worten, meiner Sprache zu ringen, auf der Suche nach einer möglichst adäquaten Formulierung dessen, was ich zu sagen („eigentlich“) beabsichtige.
Um bei Einstein zu bleiben: Speziell die Äußerungen 5-7 - eine künstlerische, eine theologische und eine philosophische - führe ich quasi als „Fehlaussagen einer Wissenschaftsautorität“ an, um hierüber die oben angesprochene gesellschaftliche Autoritätsproblematik deutlich machen zu können. Wir leben heute in einer Informationsflut, in welcher viele Äußerungen von vielen Seiten auf jeden Einzelnen einprasseln. Und es bedürfte dringendst eines Maßstabes, um Wort und Wort unterscheiden, dann auch relativieren, dann auch angemessen gewichten zu können. Und diesen Maßstab muss wohl jeder Einzelne aus sich selbst heraus finden, und der erste Schritt ist, einen solchen Maßstab überhaupt zu suchen…
Zitat-Nachweise und -Hintergründe:
01 “Die Freisetzung...”
Quelle: Albert Einstein, Über den Frieden. Weltordnung oder Weltuntergang?, Hg. Otto Nathan und Heinz Norden, Vorwort von Bertrand Russell, Übersetzung der englischen und französischen Originale von Will Schaber, Erste deutsche Originalausgabe, Herbert Lang, Bern 1975, 675 Seiten mit 15 Photographien und Faksimiles.
Hintergrund: Die Originalquelle ist ein vom Emergency Committee of Atomic Scientists formuliertes Telegramm vom 23./24. Mai 1946, das Einstein mitunterzeichnet hat. Näheres zu diesem „Notstandskomitee der Atomwissenschaftler“, das Einstein mitbegründete – siehe externer Link: https://www.atomwaffena-z.info/glossar/begriff/emergency-committee-of-atomic-scientists.
online: Das Zitat ist zugänglich über: Aphorismen.de – externer Link: https://www.aphorismen.de/suche?f_autor=7986_Albert+Einstein&seite=2, Schnellsuche: letztes Zitat auf dieser zweiten Seite der Einstein-Zitate.
02 „Der Wert der...“
Quelle: „Einstein sagt. Zitate – Einfälle – Gedanken - Zitatesammlung – die besten Sprüche des Genies“, hg. von Alice Calaprice, Piper Verlag 1997 (engl. Ausgabe: „The Quotable Einstein“, Princeton University Press 1996); Quelle laut Quelle: Philipp Frank: Einstein. Sein Leben und seine Zeit. Braunschweig: Vieweg, 1979, S. 300.
Hintergrund: Einsteins Äußerung soll laut diesem Buch aus dem Jahr 1921 stammen und sich auf Thomas Edisons Ansicht beziehen, dass höhere Schulbildung wertlos sei und es vielmehr auf das Erlernen wichtiger Tatsachen ankomme.
03 „Ich habe keine...“
Quelle: Carl Seelig, Albert Einstein: Leben und Werk eines Genies unserer Zeit, Bertelsmann, Gütersloh, 1960 (= dritte, umgearbeitete Auflage von: Albert Einstein und die Schweiz, Europa, Zürich 1952).
Anmerkung: Carl Seelig war der Biograph Einsteins. Eine Brief- und Materialsammlung zu Einstein befindet sich im Hochschularchiv der ETH Zürich. Vgl. Wikipedia: Carl Seelig – externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Seelig.
04 „Das Streben nach Wahrheit...“
Quelle und Hintergrund: Das Zitat stammt aus Einsteins Essay „Das wahre Ziel menschlichen Zusammenlebens" von 1943 und ist enthalten in „Aus meinen späten Jahren", DVA 1979, S. 252, Erstausgabe 1952.
05 „Das Studium und allgemein...“
Quelle: Original in englischer Sprache: „Studying, and striving for truth and beauty in general is a sphere in which we are allowed to be children throughout life“, in: The Ultimate Quotable Einstein. Collected and edited by Alice Calaprice", Princeton University Press 2010, S. 100.
Hintergrund: Memento für Adriana Enriques (Widmung in ihrem Ledernotizbuch), Tochter von Federigo Enriques (u.a. Präsident der Italienischen Philosophischen Gesellschaft), anlässlich ihres Zusammentreffens im Jahr 1921 in Bologna, wo Albert Einstein drei öffentliche Konferenzen über die Relativitätstheorie abhielt. Evtl. am 22. Okt. 1921 entstanden. Im Albert Einstein Archiv unter Signatur 36-588 enthalten.
06 „Seltsam erscheint unsere Lage…“
Quelle und Hintergrund: Auszug aus einer originalen, von Einstein eingesprochenen Schallplatten-Tonaufnahme aus dem Jahr 1931, die unter dem Titel „Mein Glaubensbekenntnis“ (auch: „Mein Credo“) bekannt ist und für die „Deutsche Liga für Menschenrechte“ produziert wurde. Abrufbar auf YouTube – externer Link: https://www.youtube.com/watch?v=EuaVvWO3rRw, dort 0:40-0:51 sec (von insgesamt ca. 4 Min.); enthalten auch in: Kenji Sugimoto: Albert Einstein, Die kommentierte Bilddokumentation. Gräfelfing: Moos, 1987, S. 113.
07 „Ist nicht die ganze Philosophie...“
Quelle: Ilse Rosenthal-Schneider: Begegnungen mit Einstein, von Laue und Planck. Realität und wissenschaftliche Wahrheit, Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig 1988, S. 76 (engl. Ausgabe: Ilse Rosenthal-Schneider: Reality and Scientific Truth, Discussions with Einstein, von Laue, and Planck, Wayne State University Press, 1981)
Hintergrund: Es handelt sich wohl um eine mündliche Äußerung Einsteins nach einer längeren Diskussion über rein philosophische Probleme.
online: Das Zitat ist zugänglich über: Aphorismen.de – externer Link: https://www.aphorismen.de/suche?f_autor=7986_Albert+Einstein&seite=3,Schnellsuche: viertes Zitat auf dieser dritten Seite der Einstein-Zitate.
Abschließend sei angemerkt: Man kann als Mensch nicht dauerkonzentriert durchs Leben gehen; ansonsten ist man keiner mehr. – Ich betrachte Albert Einstein als Bruder im Geiste, aber, um nicht missverstanden zu werden, als großen Bruder.
Eine solche Unterscheidung zwischen Wissenschaftlichkeit und bloßem Meinen kann bzw. darf es m.E. beim Philosophen nicht geben, weil sie einem bewussten Bruch oder einer künstlichen Spaltung der Vernunft innerhalb der menschlichen Existenz gleichkommt, was aus Sicht der Philosophie als unzulässig, als einem animal rationale für unwürdig, ja als unseriös betrachtet werden muss. Und Kant ist derjenige, der dieses schier Unmögliche möglich gemacht hat: die Schizophrenie der Vernunft (vgl. Kants sonderbare Unterscheidung zwischen einer theoretischen und einer praktischen Vernunft), die gerade aufgrund ihrer eigenen Erkenntnis-Grenzziehung zwischen Erkennbarem (= Wissenschaft) und Unerkennbarem (= bloßes Meinen) den metaphysischen Wildwuchs menschlicher Phantasie im Meinen regelrecht kultivierte, und in seine vermeintlichen Rechte setzte, wie er dann auch von Einstein – so gesehen im Einklang mit der Kant‘schen Philosophie - praktiziert wurde (vgl. die obigen Zitate).
Die Philosophie bewegt sich also dazwischen, zwischen Urteilsenthaltung und Urteil, und deshalb versucht sie, die menschliche Existenz als solche immer weiter und tiefer zu reflektieren. Und nun wird auch sichtbar, weshalb es für die Philosophie nicht nur hinderlich ist, sie systematisch-wissenschaftlich über die Zeiten hinweg entwickeln zu wollen (Philosophia perennis), sondern weshalb dies ihre Vernichtung, ihr Untergang wäre: Sie braucht das ständige Neuansetzen am Gegenstand, oder besser: im Gegen-Stand der menschlichen Existenz, denn dies gerade konstituiert sie, macht ihr ganzes Wesen und Können aus: die ständige Tieferreflexion unseres Stehens im Sein, unsere dauerhaft tiefer dringende Erkenntnis unserer selbst.
Die mögliche Tiefe als solche ist hierbei noch unausgelotet, und es muss auch offenbleiben, ob die Reflexion jemals an ein Ende kommen kann. Hier spielt der „geistesgeschichtliche Zufall“ eine erhebliche Rolle, und es ist vom Menschen weder planbar noch absehbar, auf neue Ideen zu kommen oder nicht, soll heißen: Eine herrschaftliche oder beherrschbare Erforschung und methodische Sicherung der (Selbst-)Erkenntnisgewinnung kann es nicht geben, weil wir hierbei uns selbst in unserer (geschichtlich fortschreitenden) Existenz von außen überblicken können müssten.
Dies hat dann zur Folge, dass die „Philosophie einer Zeit“ nicht an den Fortschritten der Einzelwissenschaften vorbeigehen kann, denn jede Wissenschaft ist selbstverständlich auch eine weitergehende Reflexion des Menschen, wenngleich bezogen auf einen Teilbereich, der aber wenigstens sekundär auch die Philosophie angeht und für sie von Interesse ist. Beispielsweise ist heute eine rein rationale Philosophie nicht mehr möglich, weil die Wissenschaften „das Unbewusste“ entdeckt haben (Sigmund Freud), wodurch die Reflexion erheblich kompliziert worden ist.
Zugegeben, auch in den Wissenschaften kommt ein Neuansetzen am Gegenstand vor, nehmen wir Newton und Einstein als Beispiel. Dies zeigt aber nur, dass Philosophie und Wissenschaften soweit nicht auseinanderliegen, beide sind – letztendlich - auf ein Wissen des Ganzen aus. Das Neuansetzen am Gegenstand ist für die Wissenschaften jedoch nicht zwingend, eher Zufall, für die Philosophie aber ist es notwendig, denn wenn sie aufhört, neu (resp. tiefer) im Sein anzusetzen, würde die (existenzielle) Reflexion des Menschen auf der Stelle treten, so dass man geradezu sagen müsste: Der Mensch habe sein tiefer dringen wollendes Nachdenken über sich selbst in seiner Existenz nun eingestellt – ein mangelhafter oder auch ungenügender Zustand, wie er sowohl im Common Sense als auch in den Einzelwissenschaften faktisch vorliegt, indem man sich hier dauerhaft die Willkür des (weltanschaulichen) Meinens erlaubt.
Wenigstens die Philosophie selbst muss also an der Gangbarkeit ihres (Erkenntnis-)Weges festhalten, aber nicht, weil sie weiß, dass er möglich ist, sondern, weil sie nicht weiß, dass er unmöglich ist. So wahrt sie ihr Eigenvermögen, und kann es sich von außen weder aberkennen noch beschneiden lassen, indem wenigstens sie selbst es nicht für ausgeschlossen hält, dieses Vermögen des menschlichen Geistes könne sich irgendwann als ein wertvoller Schatz erweisen, mit welchem der Mensch in seiner Existenz sich selbst in die Zukunft seines Wesens hinein dereinst wird weiterhelfen können.
Und wenn ihr darin niemand folgen will, so wird sie eben zunächst einmal einen stillen und leisen Alleingang machen müssen, allerdings in der Hoffnung, dass die aus ihr hervorgegangenen Wissenschaften erkennen mögen, dass sie sich unzulässig weit von ihrer Verwurzelung in der menschlichen Existenz wegbewegt und von ihr abgeschnitten haben, als könnten sie - unabhängig von dieser Existenz - irgendetwas „Eigenes“ sein.
c) Die Philosophie überholt die in ihrem Fachwissen unbeweglichen Wissenschaften wieder
In der Philosophie lebt und webt auch ein zutiefst soziales Anliegen, ein Mitteilungsbedürfnis, selbst wenn ihre diesbezügliche Einschätzung der Gesellschaft und Menschheit mehr oder weniger von Anfang an negativer und enttäuschender Art gewesen ist, wie wir an der Beschreibung des Schicksals des platonischen Höhlenphilosophen ersehen, der aus einem eigentlich christlichen Akt heraus zu Gesellschaft und Menschheit zurückkehren will, um ihr seinen gefundenen Rückweg als möglich und gehbar zu kommunizieren und anzubieten, aber vergeblich, weil er nicht den richtigen Zugang zu „ihrer Vernunft“ findet, soll heißen zu dem, was bei ihnen – aus welchen Gründen auch immer - aus der „menschlichen Vernunft“ geworden ist.
Wäre der Ruf der Philosophie nicht ruiniert, nicht zuletzt durch unvorteilhaftes Verhalten von „Angehörigen“, aber auch durch ihr prinzipielles Anliegen, mit welchem sie den Nimbus des Umstritten seins wohl nie wird loswerden können, so könnte die Philosophie (soll heißen: der seine Existenz möglichst weiter und weiter reflektierende Mensch) ein Kommunikationsangebot und den Vorschlag zur Zusammenarbeit an die Wissenschaften richten (am liebsten an alle Menschenparteiungen), weil sie etwas sieht, was jene nicht sehen: eine alte Verbundenheit im (aus der Existenz heraus nach Erkenntnis strebenden) Fragen, die jederzeit eine neue Verbindungsmöglichkeit eröffnen könnte, um die Menschheit gemeinsam in ihrer Existenzsituation voranzubringen.
Wenn die Philosophie prinzipiell möglich ist, so dass es ein Vorwärtskommen des Menschen in seiner Selbsterkenntnis gibt, so kann es als Ziel der Philosophie festgehalten bleiben, es werde einmal der Zeitpunkt eintreten, an welchem wir tatsächlich wissen werden, wo und wie wir im Sein stehen. Dann werden die Philosophen aber nicht nur wissen, wo sie selbst stehen, sondern sie werden zugleich wissen, wo die Anderen geblieben sind und warum sie dies sind. Denn über die Selbsterkenntnis erwirbt sich der Mensch die Möglichkeit, auch in seine Mitmenschen mit hineinzusehen, wenn anders menschliche Selbsterkenntnis allgemeingültig ist.
Und wenn nun der „Zeitpunkt“ innerhalb der menschlichen Selbstreflexion und Geistesgeschichte eine Rolle spielen sollte, hat der Mensch möglicherweise nicht unendlich Zeit für den Prozess der Selbsterkenntnis, für Erkenntnis und Wissenschaft. Mir scheint aber, unsere Wissenschaften gehen grundsätzlich von dieser Voraussetzung aus, sie seien „zeitlos“, als hätten sie die volle Ewigkeit Zeit für ihre Forschungen, weil sie ihre Reflexionstätigkeit nicht in einem notwendigen Zusammenhang zur Wesensentwicklung des Menschen sehen; hätten „ewig Zeit“, wenn nicht - außerordentlich - eine selbst verursachte Zeitnot eingetreten wäre dadurch, dass der Mensch die Macht erlangt hat, seine eigene Lebensgrundlage zu ruinieren. - Vielleicht sollte ich daher in meine Beschreibung der Philosophie noch einen weiteren Punkt mitaufnehmen, der den Zeitfaktor als wesentliches Element des menschlichen Erkenntnisstrebens mitberücksichtigt?
Das Bisherige zusammenfassend, können wir sagen: Die Wissenschaften kultivieren ihre Eindeutigkeiten, die aus ihrem positiven Fragen resultieren und zu ihrem Wissen führen. Die Philosophie hat ihre Zweideutigkeiten zu hegen und zu pflegen, die aus ihrem negativen Fragen resultieren und zu ihrem „Nichtwissen“ führen, das jedoch gerade nicht „kein Wissen“ ist, auch keine „Leerstelle in ihrem Geist“, sondern welches seelisch-geistig real in ihrem Geiste und Herzen lebt und pulsiert als offener und wissentlicher Zweifel bzgl. der Wahrheit des Seins. Die Philosophie praktiziert gewiss Wissensnegierungen, indem sie Scheinwissen als solches entlarvt. Aber trotzdem produziert sie hierbei auch etwas: Sie sammelt Nichtwissen von der Form eines Falsch- oder Irrtumswissens, das sie nicht als wertlosen Wissens-Abfall betrachtet, sondern als Irrtums-Schatz. Denn indem sie Irrtümer identifiziert, ist es ihr möglich, sich zunehmend besser auf die Wahrheit des Seins auszurichten und – unter Umständen - existenzielle Kurskorrekturen für die Gesamtmenschheit vorzunehmen.
Denn jede philosophische Erkenntnis kann als eine Weiche betrachtet werden: Ein Irrtum ist erkannt, damit ein Irrweg, und das philosophische Denken nimmt eine Wegkorrektur vor in Richtung Wahrheit. So sollte der Weg der Philosophie allmählich aus dem Irrtumsdickicht der menschlichen Existenz herausführen, mit der Zielrichtung „Lichtung des Seins“ (um einen Heidegger-Terminus zu entleihen).
Aus Sicht der Philosophie ist daher zu erwarten: Zeiten allgemeiner großer Orientierungslosigkeit werden Hochzeiten der Philosophie sein, in welchen sie zeigen kann, dass sie unter allen Erkenntnisbemühungen des Menschen die allerwichtigste und vielleicht gar die einzig notwendige ist, obwohl oder gerade, weil sie keine Wissenschaft ist und sein kann, und zwar deshalb nicht, weil sie durch ihre existenzunmittelbare Stellung zum Menschen konstituiert ist und ihn daher niemals verlassen oder existenziell im Stich lassen kann wie die Wissenschaften. Es sei denn, die Philosophie missversteht und praktiziert sich selbst – als Wissenschaft.
Um diesen soeben behaupteten Erkenntnis-Primat der Philosophie deutlich zu machen, wollen wir nun ein philosophisches Kunststück versuchen, indem wir lediglich eine erkenntnistheoretische Frage aufwerfen: Kann es sein, dass das eigentliche Erkenntnisproblem des Menschen gar nicht durch sein Nichtwissen verursacht ist, sondern – umgekehrt – in einem Wissen besteht, das er (bereits) hat? – Auf den ersten Blick erscheint diese Fragestellung absurd, denn es versteht sich ja von selbst, dass dort, wo Wissen besteht, weder ein Fragen noch ein Forschen indiziert ist. Nun wurde aber behauptet, die Philosophie beziehe sich gerade auf vorhandenes Wissen, welches ihr fragwürdig erscheint und welches sie durch ihre Tätigkeit destruiert, um daraus sozusagen Nichtwissen (also: Irrtümer) herauszufiltern, das fälschlicherweise für Wissen gehalten wurde. - Meine erkenntnistheoretische Fragestellung bezieht sich daher nicht auf ein echtes Wissen, sondern auf ein falsches Wissen, also ein solches, das irrtümlich für ein echtes gehalten wird. Und dieses möglicherweise mit Irrtümern durchsetzte Wissen ist das Existenzwissen des Menschen, das für gewöhnlich unausdrücklich und implizit gelassen ist, mit welchem die Menschen aber im Sein stehen und ihr Leben vollziehen und welches zugleich sehr schwer greifbar ist, weshalb sich keine Wissenschaft imstande sieht, sich damit eingehender und hinreichend gut befassen zu können.
Doch: Was ist denn nun das „philosophische Kunststück“ am Aufwerfen der obigen Frage? Wir stellten fest, dass unsere Wissenschaften eine positive Fragwürdigkeit verfolgen, die ein Nichtwissen zur Voraussetzung habe, während die Philosophie eine negative Fragwürdigkeit verfolge, die ein Wissen zur Voraussetzung habe. Die Wissenschaften schürfen nach Wissen, die Philosophie schürft nach Nichtwissen, in der Form eines Falsch- oder Irrtumswissens. Wenn nun das eigentliche Erkenntnisproblem des Menschen durch ein „Wissen“ verursacht wäre, nicht durch ein „Nichtwissen“, so müssten wir nun unsere frühere Feststellung revidieren, die Philosophie befinde sich im Hintertreffen der Wissenschaften. Denn die Philosophie untersucht genau das, was die Wissenschaften nicht thematisieren, sondern „lediglich“ zu produzieren versuchen: Wissen. Durch die oben genannte neue Fragestellung befindet sich die Philosophie nun aber urplötzlich nicht mehr im Hintertreffen der Wissenschaften, sondern an ihrer Spitze, an vorderster Forschungs-Front, weil sie erkannt hat, die eigentliche Wissensproblematik liege im Wissen, das die Grundlage und zugleich das Objekt ihrer Forschung ist, nicht im Nichtwissen, das die Grundlage, aber nicht zugleich das Objekt der Forschung aller Wissenschaften ist.
Und wenn die Wissenschaften Wissen produzieren, die Philosophie aber Wissen vergegenständlicht, so kann die Philosophie auch die Wissenschaften selbst in ihren forschenden Blick bekommen und sozusagen einen Beobachtungs-Standpunkt außerhalb ihrer einnehmen, von welchem aus sie die Wissenschaften „handeln sieht“, nämlich forschen, und von welchem aus sie zugleich sieht, dass die Wissenschaften gar nicht dem eigentlichen Erkenntnisobjekt zugewandt sind, sondern „irgendwo anders herumschürfen“, in der Hoffnung, bzgl. der grundsätzlichen Erkenntnisproblematik des Menschen „dort“ fündig werden zu können!?
Die gegenwärtige Priorisierung unserer Wissenschaften – „Naturwissenschaften vor Geisteswissenschaften, und die Philosophie unter ferner liefen“ - wäre damit auf den Kopf gestellt, und böse Zungen könnten nun sogar behaupten, unsere Wissenschaft sei ganz überflüssigerweise in die Weiten des Kosmos hinaus- und in die Tiefe der Materie hineingegangen, weil überall dort das eigentliche Erkenntnisproblem des Menschen gar nicht bestehe, so dass diese riesige Forschungsanstrengung gewissermaßen ein Luxus, ein Forschungs-Luxus sei, den sich die Menschheit seit einiger oder seit der Neuzeit leiste.
Und aufgrund eines solchen Anfangsverdachts müsste dann natürlich philosophisch tiefer gebohrt werden: Kann es sein, dass diesem Erkenntnis-Luxus auf der einen Seite, den unsere Wissenschaften sich extensiv erlauben, ein Erkenntnis-Defizit oder Erkenntnis-Versäumnis auf der anderen Seite gegenüberstehe, was leider - mit Stillstand der Philosophie - im reichhaltigen Wissens-Angebot unserer Wissenschaften unsichtbar geworden und untergegangen ist? Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass die Reflexionstätigkeit des Menschen in direktem Wesensbezug zu seiner Geistentwicklung stehe, so dass bestimmte Erkenntnisse von ihm auch in bestimmter Zeit zu erzielen sind, und wenn der Mensch dies nicht leiste, z.B. indem er in den Weiten des Kosmos und der Tiefe der Materie „forschend herumtändelt“, anstatt gewissenhaft und gewissensvoll in sich zu gehen und sich ausgiebig mit sich selbst in seiner eigenen Existenz zu befassen, - dass er dann sozusagen in einen Entwicklungs-Verzug seiner ontologischen Wesenhaftigkeit hineingerate?
Fragen wir also jetzt doch nochmals genauer nach: Hat die Wissenschaft unendlich Zeit für ihre Forschung? Ist dem Menschen unendlich Zeit gelassen für seine Reflexionstätigkeit, für sein Begreifen seiner selbst? - Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wie der Mensch sich selbst sieht bzw. wie er über sich selbst urteilt. Und wenn man von einem solchen „Existenzwissen“ ausgeht, wonach der Mensch grundsätzlich im Universum verloren sei, dann könnte man sagen, es sei auch grundsätzlich egal, wieviel oder wie wenig der Mensch über sich selbst nachdenke, denn es ändert sich dadurch ja nichts an der Lage seiner kosmischen Aussichtslosigkeit. Und dann kann er sich Zeit nehmen, soviel er will, und auch, wofür er will, denn sein (geistiger) Wesensvollzug läuft ja prinzipiell „kosmisch leer“. Und dann kann er seine Lebenszeit auch mit beliebigem Forschen und Denken totschlagen, denn es macht hinsichtlich seiner „ontologischen Unwesenhaftigkeit“ keinen Unterschied, ob er denkt oder nicht denkt. Und dann hat die Wissenschaft unendlich Zeit für ihre Forschung, weil diese Forschung selbst ontologisch (und anthropologisch) belanglos wäre, eine reine Kür, keinerlei Pflicht und Aufgabe des Menschen, durch welche er in der Entwicklung seines Wesens als animal rationale vorankommen solle und vielleicht auch könne.
In jenem andern Fall allerdings könnte eine gewisse Zeitspanne für die Reflexionstätigkeit des Menschen vorgesehen sein, und innerhalb dieser Zeitspanne hätte er ein gewisses Selbsterkenntnis-Resultat aus sich selbst hervorzubringen, weil das so produzierte (Reflexions-)Wissen in einem notwendigen Zusammenhang zu seiner Wesensentwicklung stünde, und weil er dieses (durch die Reflexion erst realisierte) Wissen vielleicht sogar benötigen werde, um sein eigenes Wesen überhaupt angemessen sehen und in die Zukunft seines Wesens fortgehen zu können? – „Erkennen“ ist eine geistige Tätigkeit des Menschen, und wenn nun der Geist einen ontologischen Stellenwert im Universum hätte, dann könnte die Geistaktivierung des Menschen in direktem Zusammenhang zu seiner Wesensentwicklung stehen, welche wiederum einem Zeitrhythmus unterliegen könnte, ein Gedanke, den wir spontan für absurd halten, weil wir uns in unserem Erkenntnis-Tun doch gänzlich frei und ungebunden fühlen, in der Meinung: „Die Wissenschaft ist frei! Vogelfrei! Denn sie hat nichts mit dem Universum zu tun!“ …?
Wir wollen diese Frage jetzt nicht entscheiden, wollen unser Urteil über den Menschen weiterhin zurückhalten oder hinauszögern, und zwar aus Prinzip und Methodik der Philosophie heraus, den Dingen (und uns selbst) vielleicht doch noch ein Stückchen weiter auf den Grund gehen zu können. Doch soll folgende Frage bei der Textlektüre im Hintergrund präsent bleiben: Können wir ein „Wissen“ in uns identifizieren, welches gar kein „echtes Wissen“ ist, sondern - bei näherer Betrachtung - als ein „Falsch- oder Scheinwissen“ bezeichnet werden muss, also ein solches, welches in irgendeiner Art und Weise in sich verdreht oder verkehrt ist, so dass es zugleich eine Wahrheitsseite und eine Irrtumsseite an sich hat und weshalb es uns – als dieser existenzielle Wissens-Irrtums-Knäuel - einen falschen Blick ins Universum eröffnet?
Wenn Kants Opus postumum den Gedanken enthält, es käme darauf an, die „geheimen Urteile der menschlichen Vernunft“ ausfindig zu machen, denkt er dann nicht genau in diese Richtung? Es ist weniger eine „Erkenntniserweiterung“, die er hier überlegt, eher ist es die Frage einer „Erkenntnisberichtigung“, mit der er sich hier beschäftigt - womit er das Wesen der Philosophie letztlich doch wieder getroffen hat. Und wenn wir seinen Terminus „geheim“ durch den modernen des „Unbewussten“ ersetzen, sehen wir, dass er bereits in eine zukünftige Forschungsrichtung blickt, die nun auch unser näheres philosophisches Interesse finden muss, wenn wir uns selbst auf der Spur bleiben wollen, anstatt ‚das ganze Leben lang (seelisch-geistig) Kinder zu bleiben‘, was wir aber scheinbar dürfen, zumindest nach Einsteins unmaßgeblichem weltanschaulichen Meinen.
2. Thema und Methodik dieses Textes
a) Vergegenständlichung unseres modernen Selbstverständnisses in der Philosophie
Im Mittelpunkt dieses Textes soll unser modernes existenzielles Selbstverständnis stehen, mit welchem wir in der Welt und Gegenwart orientiert sind. Jedes Selbstverständnis impliziert auch Fremdverständnis, d.h. das Verständnis des Anderen als solchen, in Abgrenzung zum Verständnis des Eigenen resp. zum Selbstverständnis. Den Anfang haben wir damit gemacht, ein Selbstverständnis der Wissenschaft anzureißen und von ihm her ihr Fremdverständnis der Philosophie zu bestimmen. Daneben stellten wir das Fremdverständnis der Philosophie aus Sicht des Common Sense. Beiden Außenwahrnehmungen der Philosophie wurde dann eine Innenwahrnehmung oder ein Selbstverständnis der Philosophie - aus Sicht des Autors - gegenübergestellt, und von hier aus soll nun an das moderne Selbstverständnis philosophisch und erkenntnistheoretisch herangetreten werden.
Es geht darum, in unseren eigenen „Wissensgrund“ zurückzugehen und zu überprüfen, ob er denn tragfähig sei. Hierzu können wir zunächst anmerken, dass unsere Wissenschaften (insbesondere die Naturwissenschaften) ein sehr hohes Ansehen im allgemeinen Zeitgeist des Menschen (Common Sense) haben, das gewissermaßen in den Satz oder besser: in die Überzeugung zusammengefasst werden kann: „Das Wissen unserer Wissenschaft ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sicheres Wissen“, wobei die zwar theoretisch ausgesprochene „geringfügige Sicherheits-Lücke“ in der Lebenspraxis asymptotisch gerundet wird, und wir wissen jetzt aber, dass sich genau dort, in dieser Minimaldifferenz, die Philosophie aufhält (und die Wissenschaft selbst wohl auch), aber es hilft nichts: Die (insbesondere Natur-)Wissenschaft ist zu einer Autorität geworden, weil der Common Sense sie dazu autorisiert hat. Was immer sie sagt – er glaubt es.
Unser Wissensgrund ist unser geistiger Boden, auf dem wir stehen, und zwar mehr als auf dem physischen Erdboden mit unseren physischen Füßen. Denn auch die Menschen früherer Zeiten standen schon mit ihren Füßen auf dem Erdboden, und doch hatten sie ein ganz anderes Stehen im Sein, ein anderes Wissen, eine andere Weltanschauung, ein anderes Selbstverständnis. Wir stehen also in Wahrheit auf zwei Böden, einem physischen und einem geistigen, und eigentlicher sogar auf dem Boden unseres Geistes, der offensichtlich – im Gegensatz zum hinreichend festen Erdboden - dieses Unangenehme an sich hat, dass er ein in sich Bewegliches und Veränderliches ist, was seine Tragfähigkeit zweifelhaft erscheinen lässt.
Nun sind wir aber der Meinung, dass wir hier und heute viel besser dastehen als die Menschen früherer Zeiten. Wir haben eine oder die Aufklärung durchlaufen, haben uns die Erde angeeignet, haben ein altes, falsches, geozentrisches Weltbild berichtigt, sind auf die sinnlichen Weiten des Kosmos gestoßen… Stehen wir heute also nicht wesentlich sicherer und fester, nein, sogar sicher und fest? Wir wollen versuchen, dies zu überprüfen, wobei wir uns hüten müssen, auf eine allzu einfache „Geschichtsdialektik“ zu bauen, die dazu neigt, ein „altes, unaufgeklärtes Selbstverständnis“ einfach durch ein „neues, aufgeklärtes Selbstverständnis“ zu ersetzen. Denn damit bliebe auch unser heutiges Selbstverständnis als solches wiederum unangetastet, lediglich das eine durch ein anderes ausgetauscht, und wir müssten als Gemeinsamkeit zwischen uns und unseren Vorfahren festsetzen: die Dogmatik im Festhalten des eigenen Selbstverständnisses als eines vermeintlich sicheren Bodens, und der Unterschied läge nur darin, dass unser Dogmatikfehler größer oder schlimmer wäre als derjenige unserer Vorfahren, weil wir ihn ja immer noch begehen, obwohl wir ihnen eine Phase der Aufklärung voraus haben.
Die Überzeugung liegt nahe, wir hätten heute ein größeres Wahrheits-Behauptungs-Recht als unsere Vorfahren, denn von uns wurden Erfahrungen gemacht und Erkenntnisse gesammelt, die wir den Menschen früherer Zeiten zweifellos voraushaben. Haben wir also nicht ein größeres Weltanschauungs-Recht der Späteren? Mit einem solchen, einfachen Schluss könnten wir die Früheren intellektuell leicht überwinden. Doch wenn wir schon einen so umstrittenen Terminus wie „Dialektik“ benutzen wollen (s.o. "allzu einfache Geschichtsdialektik"), so dürfen wir dies nicht einseitig tun, als könne das „Recht der Späteren“ nur von uns geltend gemacht werden, gegenüber den Früheren, sondern wir werden auch auf die andere Seite, diejenige unserer Zukunft sehen müssen, und dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn unsere Nachfahren dasselbe Recht für sich in Anspruch nehmen werden, wobei wir selbst dann aber unter „den Früheren“ subsumiert wären, so dass dieses von uns geltend gemachte „Recht der Späteren“ eine zweifelhafte oder unbrauchbare Argumentation ist. Wenn wir also in unserem heutigen Selbstverständnis von unseren Nachfahren nicht billig ausgehebelt werden wollen, so dürfen wir selbst dies umgekehrt auch nicht mit unseren Vorfahren machen, indem wir ihnen vielleicht eine Unbedarftheit, Unmündigkeit oder Naivität in der Weltwahrnehmung andichten, die sie faktisch niemals gehabt haben, etwa nach der Devise: „Früher glaubte man noch an Götter oder an Gott und eine Geistwelt, heute aber sind wir aufgeklärt. Früher lebte man im Irrtum, heute leben wir in der Wahrheit.“
Aus diesem Grund muss die Philosophie ihrer Aufgabe treu bleiben, sich grundsätzlich einmal im Zweifelhaften, d.h. im Offenen und Unentschiedenen zu halten, anstatt sich schnell und leicht in einem Urteil zu verschließen. Denn so, wie man sich beim Reden versprechen oder sich auf einem Wege verirren kann, kann man sich auch in einem Urteil verschließen. Und wo uns dies passiert, sind wir in unseren Urteilen nicht dort, wo wir zu sein meinen: in der Wahrheit, sondern wir sind in Irrtümern herausgekommen, wo wir aber gar nicht zu sein meinen, und gerade deshalb sitzen wir darin dann selbstverschuldet fest, durch unsere eigenen falschen Schlüsse, die nun als „geheime Urteile der menschlichen Vernunft“ in uns wirksam geworden sind und bleiben.
Ein oberster Zweifel ist der, ob die Welt materialistisch oder spiritualistisch anzusehen sei, und der Zeitgeist neigt immer mehr zu einer promaterialistischen Sichtung. Wir wollen hier nun nicht ein spiritualistisches Contra entgegensetzen, sondern wir wollen vor allem versuchen, das Wesen der Philosophie zu wahren und daher auf ein Entscheiden der Wahrheit im „Meinen“ zu verzichten. Beruht nicht das Meinen auf der Voraussetzung, die Wahrheit selbst sei unerkennbar? Wenn sie unerkennbar ist, dann ist das Meinen richtig, denn der klärende Blick auf die Wahrheit selbst ist nicht möglich, und so muss man ein Pro und ein Contra gegeneinander abwägen und eine Entscheidung bzgl. der unerkannten und unerkennbaren Wahrheit treffen. Ist die Wahrheit aber erkennbar, dann ist das Meinen falsch, weil es die Wahrheit entscheiden will, noch ehe sie erkannt ist und obwohl sie erkennbar ist.
Eine erkennbare Wahrheit ist nichts, das entschieden werden und mit einer Meinung belegt werden müsste. Vielmehr gilt es, das Wahrheitsstreben aufrecht zu erhalten und eine (gleichsam verfrühte) „Entscheidung der Wahrheitsfrage“ dauerhaft zu unterlassen und hinauszuzögern, und zwar solange, bis wir alle geheimen Irrtümer resp. Falschurteile in uns aus dem Weg geräumt und aus unserem Geist ausgeschieden haben werden, so dass alle Zweideutigkeit sich ganz von selbst aufhebt und der Zweifel selbst in ein „wahr“ und ein „unwahr“ auseinandertreten muss. Dann wird die Bahn frei sein für den jetzt erst unverstellten Blick auf die reine Wahrheit selbst, die sich nun in ihrer Eindeutigkeit und Evidenz wird zeigen müssen.
Wenn „die Wahrheit“ erkennbar ist, dann ist dieses Erkenntnis-Ereignis in der Zukunft zu erwarten und sollte dann auch vernünftigerweise abgewartet werden, nicht vorzeitig im „Meinen“ abgewürgt. Nur wird man dieser Entwirrung oder Entwickelung der Dinge nicht einfach nur „passiv zusehen“ können, weil diese „Dinge“ in uns selbst „festsitzen“ und keinerlei Anstalten machen, sich von selbst zu lösen. Man wird die Entwirrung der Dinge also aktiv und bewusst selbst vornehmen und vorantreiben müssen, ansonsten wird nämlich gar nichts im Denken passieren.
Außerdem muss die Philosophie ganz bewusst bemüht sein, ihre Erkenntnisse allgemeinverständlich darzulegen, wenn anders das Erkennen eine allgemeine Aufgabe ist, so dass sie auch allgemeinverständlich verfolgt werden können sollte.
Allerdings könnte man vor diesem ontologischen „Wahrheits-Moment“ existenziell zurückschrecken, weil darin ersichtlich würde, wie es ontologisch um den Menschen bestellt ist, so dass ihm kein „Hoffen“ mehr möglich ist und seine eventuelle Existenz-Hoffnung auf ein ewiges Leben wie eine Seifenblase zu zerplatzen droht…? Vielleicht also verzichtet man dann doch lieber – vorsichtshalber – auf einen solchen unbedingten Willen zur Wahrheit? Ja, auf diesen „Irrsinn der Philosophie und Wissenschaft“, die offensichtlich genau eine solche „Desillusionierung“ suchen und dadurch womöglich den Ruin der menschlichen Existenz riskieren und heraufbeschwören? Und wären dann nicht – aus Sicht des Common Sense – Philosophie und Wissenschaft gar „unverantwortlich“ zu nennen, wie bereits in ihren Anfängen Sokrates als unverantwortlich oder undiplomatisch angesehen werden konnte?
Wenn das Erkennen eine allgemeine Aufgabe ist, weil sie prinzipiell jedem Menschen als animal rationale geziemt, so ist es auch Angelegenheit der Allgemeinheit, somit eine res publica, und hier könnte eine tiefere Problematik verborgen liegen, weil sich – je nach Ergebnis – die Frage eines Sprechens oder Schweigens erheben könnte, so dass zu hinterfragen wäre, ob es richtig ist, pauschal den Grundsatz zu vertreten: „Wissen und Bildung müssen Allen uneingeschränkt zugänglich sein“. Denn wir können nicht im vorab wissen, inwiefern ontologisches Wissen brisant oder gefährlich oder gar gesundheitsgefährdend sein kann. Deshalb ist zugleich verantwortungsvoll zu überlegen: „Wissen und Bildung sollten Niemanden unvorbereitet treffen“, eine Einschränkung, die vor allem dann in Frage kommt, wenn Bildung im ideal-platonischen Sinn verstanden wird als „Bildung seiner selbst“, so dass für den Wahrheitsempfang eine gewisse menschliche Reife und innere, seelische Tragfähigkeit vorausgesetzt werden müsste, als eine Art Sicherheits- oder Selbstschutz des noch schwachen, unreifen menschlichen Individuums – analog dem Bibelwort:
„Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen.“ (Joh. 16,12)
Lutherbibel,
revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft,
Stuttgart, und Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH,
externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes16,
abgerufen am 31.03.2024.
Solange man „die Wahrheit“ freilich nicht kennt, muss man sich solche Gedanken auch nicht machen – so scheint es. Trotzdem liegt hier eine mögliche Gefahr, die genau dann zu einer wirklichen werden wird, wenn „die Wahrheit“ erkennbar sein sollte, so dass man diese potenzielle Selbstgefährdung durch die Konfrontation mit ihr besser schon in den philosophischen Weg dorthin miteinbezieht.
In jedem Fall bleibt der Menschheit zu wünschen, sie verfüge über fähige und verantwortungsbewusste Organe der Öffentlichkeit, falls das Vorhaben der Philosophie jemals gelingen und die kosmische Wahrheit offenbar werden sollte…
b) Philosophische Umformung unseres Selbstverständnisses im terminologischen Thema-Durchlauf
Ziel dieses Textes ist, in unserer Gegenwart anzusetzen und von hier aus in unsere Vergangenheit und Geistesgeschichte zurückzugehen, um zu versuchen, aus dem Alten neue Erkenntnisfrüchte zu gewinnen, die dann auch diese unsere Gegenwart in neuem Licht erscheinen lassen sollen.
Sinnvoll ist eine solche Unternehmung dann, wenn man sich dessen bewusst ist, dass ein „Bekanntes“ durchaus kein „Erkanntes“ sein muss, so dass man sich nun überlegen kann, ob und in welchem Ausmaß wir in unserem Leben mit Teil-Bekanntem und Halb-Gewusstem umgehen, wodurch wir uns in „loser Bildung“ befänden, ohne eine echte und ernsthafte ontologische Ausrichtung zu haben? Und überträgt der Mensch diese Fragestellung auf seine eigene Existenz, so lautet sie: „Habe ich mich selbst schon erkannt oder bin ich mir nur bekannt?“ Und auf die gesellschaftliche Ebene übertragen: „Haben wir uns – jetzt, in der aufgeklärten Moderne – in unserem Dasein schon selbst erkannt, oder sind wir uns immer noch eine (teilweise) Unbekannte, so dass…
- keiner von uns uns selbst wirklich kennt
…und also…
- keiner von uns kompetent über uns selbst sprechen kann
…und daher…
- jeder von uns bzgl. unserer selbst noch tieferen Lern- und Bildungsbedarf hat,
…bevor er ein abschließendes Urteil über uns in der Gegenwart fällen sollte?“
Methodisch ist so vorgegangen, dass der Titel terminologisch durchlaufen wird, wobei der dauerhafte Leitbegriff hierfür die Fragwürdigkeit der menschlichen Existenz ist, die das eine und einzige Thema der Philosophie ist, weshalb im Text diese Existenz quasi beständig umkreist wird, nur wird sie einmal von dieser, einmal von jener Seite aus beleuchtet, und wir wollen hierbei möglichst viele Erkenntnis-Weichen (Irrtums-Ausweichpunkte) ausmachen, um ganz bewusst Richtungskorrekturen unserer selbst vornehmen zu können.
Im Zuge der näheren, auch historischen Erläuterung sollen die einzelnen Termini eine Umformung erfahren, die sich dann verändernd auf unser Stehen im Sein auswirken könnte, so dass man sagen kann: Nach der Textlektüre sollten wir anders in der Gegenwart stehen als vor der Textlektüre – so die Intention des Autors. Und den Anfang haben wir in dieser Einleitung mit einer neuen Sichtung der Philosophie und Wissenschaften gemacht.
Gelingt es uns auf diese Weise, unsere Gegenwart durch unsere bloße geistige Tätigkeit in sich selbst zu verändern, so ist nachgewiesen, dass der Geist in und durch sich selbst entwicklungsfähig sei, auch heute noch, wo wir in irgendeiner merkwürdigen Weise an ein geschichtliches Ende unserer selbst gelangt zu sein scheinen.
Es würde sichtbar, dass unser Geist die Potenz in sich trägt, Geschichte selbst zu machen, und womöglich ist dies auch der „natürliche“ und „vorgesehene“ Weg des menschlichen Geistes in seine Zukunft hinein: Keinen geschichtlichen Anstoß mehr von außen zu brauchen und seine weitere Geschichte entweder frei aus sich selbst heraus zu initiieren oder aber künftig gar keinen (geistes-)geschichtlichen Fortschritt mehr tun zu können?
ZWISCHENÜBERBLICK A
A. EINLEITUNG
1. Braucht die Philosophie auch eine Wissenschaftsform oder sollten vielmehr unsere Wissenschaften sich zur Philosophie reformieren?
a) Die Wissenschaften haben die Philosophie
überholt
b) Das unüberholbare existenzielle Wesen der
Philosophie
c) Die Philosophie überholt die in ihrem Fachwissen
unbeweglichen Wissenschaften wieder
2. Thema und Methodik dieses Textes
a) Vergegenständlichung unseres modernen
Selbstverständnisses in der Philosophie
b) Philosophische Umformung unseres Selbstverständnisses im
terminologischen Thema-Durchlauf