F. UNSER
9. Warum lebt die Menschheit nicht in ihrer Idee?
a) Wir sind noch gar kein Wir geworden
Warum sollte man über ein solch lapidares Allerweltswort – „unser“ - nachdenken? Das Possessivpronomen „unser“ leitet sich ab vom Personalpronomen „wir“, welches das Personalpronomen „ich“ in sich enthält und zwar in einer transzendierenden Form. Das Wort „Ich“ ist festgelegt und eindeutig - sobald es von jemandem benutzt wird. Das „Wir“ hingegen ist offen, in Umfang oder Reichweite nicht eindeutig, jedes Ich kennt mehrere Wir, und zwei Menschengruppen können es gleichermaßen für sich selbst gebrauchen und sich hierdurch dem Wir der Anderen entgegensetzen.
Hinter diesem Wörtchen „wir“ verbirgt sich ein sehr großes, vielleicht unser größtes, dringlichstes und aktuellstes Problem, weil wir seinen rechten Gebrauch noch nicht erlernt haben und noch nicht praktizieren, indem wir ohne weiteres Nachdenken, stillschweigend voraussetzen, es könne und dürfe beliebig benutzt werden, als habe dieses Wort keine ontologisch festgelegte, unser Wesen als Menschen betreffende Bedeutung.
Sollte es sich aber für Menschen nicht von selbst verstehen, sich selbst als Teil der Menschheit zu betrachten und auch danach zu leben? Sollte das Leben und Handeln von uns Menschen nicht von Natur aus bestimmt und tief geprägt sein von den Verhaltensweisen der „Menschlichkeit“ und „Menschheitlichkeit“, soll heißen der Menschlichkeit im Kleinen und Nahen und der Menschheitlichkeit im Großen und Fernen, weil diese natürlicherweise unserem uns allen gemeinsamen Menschenwesen entsprechen?
So ist es aber nicht. Vielmehr sehen wir von Natur aus (d.h. jetzt: von Geburt her) nur auf einen Teil der Gesellschaft und Menschheit, die wir als näher zugehörig zu „uns selbst“ betrachten und die wir daher – nun ja - bevorzugen, während wir die Menschheit im Ganzen – nun ja - hierbei übervorteilen, zumindest übergehen?
Wir haben hier ein Defizit der Menschheit zu konstatieren, das vielleicht die eine oder andere Nation aus gewissen Gründen empfindlicher, deutlicher und früher erkennt als die Anderen. Wir kennen und haben ein kleines Wir, das ist unsere eigene Familie, und wir kennen und haben ein großes Wir, das ist unsere eigene Nation. Warum erscheint uns solches teilbezogene Handeln als richtig, natürlich, vernünftig, zumindest im Handlungs-Zweifelsfall, wenn es darum geht, das „Eigene“ zu bewahren und speziell die „Eigenen“ zu schützen, beispielsweise vor dem Zugriff oder der Übergriffigkeit Anderer?
Warum haben und sind wir bis heute kein richtiges Wir, kein „Wir - die Menschheit“? Wie kann es sein, dass uns unser „wahres Selbstverständnis“ erst von außen, außerirdisch, „christlich“ angetragen werden muss!?
Was ist denn los mit dieser „unserer Vernunft“? Ist irgendwo in urferner Vergangenheit die Menschheit korrumpiert worden, so dass eine „irrende Vernünftigkeit“ anfing, ihren Lauf zu nehmen, welche dann auf uns (d.h. jetzt: auf die Völker und Nationen) überkommen ist, so dass uns heute Verkehrtes als Natürlichkeit und Normalität erscheint?
Mit dieser Frage nach dem Wir ist das Selbstverständnis des Einzelnen berührt, des „sich individualisiert habenden“ Menschen, und mit der Verkehrungsfrage bewegen wir uns auch voll auf Kurs der Philosophie. Und wenn nun eine Verkehrung unserer selbst in Frage kommen soll, die zugleich eine Individual- und Allgemein-Verkehrung, also zugleich eine Ich- und Wir-Verkehrung sein muss, ist es dann wohl jetzt nichts mehr mit einer "Spielsituation philosophischen Fragens"? Wird nun aus dem bloßen Spiel womöglich tödlicher Ernst?
Die Philosophie scheint sich so als potenzieller Spielverderber zu entpuppen, als ein Verderber unserer eingespielten Lebens- und Gesellschaftsspielchen, die wir als solche aber gar nicht sehen und nicht wahrhaben wollen: Wir spielen nicht, wir sind ganz ernst, und es geht uns um die Sache, um die Sachen, die Geschäfte, unsere Lebensangelegenheiten. Unser Handeln folgt klipp und klar, klippen und klaren Handlungsnotwendigkeiten, unseren Handlungsnotwendigkeiten, wobei wir jetzt fragen können: Das jeweilige Uns und Wir entscheidet über die jeweilige Notwendigkeit, so dass die Opposition, sobald sie an die Regierung kommt, die Ziele des Staates, der Gemeinschaft, des Volkes neu und anders bestimmt? Weil sie von der Vor-Regierung falsch gesetzt und also gar nicht "unsere Ziele" gewesen waren?
Wenn Sokrates angeklagt war, er verderbe die Jugend, so können wir daraus ersehen, dass die Gesellschaft sich ihr Spiel nicht ungestraft verderben lässt, und so entscheidet sie aufgrund ihrer Ratio-Maske (die bunt gespickt ist mit allerlei "Sachgründen", die für jedes Thema und Votum etwas hergeben), und je nachdem, welches (Spiel-)Ergebnis resultieren soll, wird dann der eine oder andre "passende Grund" oder Joker ausgespielt.
Und wir ersehen daraus auch, dass Sokrates die Philosophie echt und ernsthaft betrieb. Und wir können uns fragen, ob denn "echte Philosophen" zu Märtyrern werden müssen, weil - innerhalb der Menschengesellschaft - dauerhaft Unvernunft an der Macht zu sein scheint? Vielleicht bräuchte ja eine "intakte Gesellschaft" sogar keine Philosophen mehr, als Außenseiter oder Aufrührer, weil alle schon "philosophisch ausgerichtet" wären und sich "in der kosmischen Ordnung befänden"?
Und jetzt wollen wir die Ratio-Steuerungs-Maske einmal versuchsweise abnehmen (oder an unserer Vernunft-Herrschaftlichkeit ein wenig rütteln), um in unser Spielen des Ernstes ein wenig Einblick nehmen zu können, in der Hoffnung, dass uns der Ernst des Spieles aufgehen möge, die ernsthafte Lage, in die wir uns bei Fortführung unseres falschen Spielens, unseres Falschspiels resp. unserer Pseudovernünftigkeit mehr und mehr hineinmanövrieren, wodurch wir ja nichts Geringeres tun, als uns selbst zusammen mit unserer Zukunft (die zugleich die Zukunft von Anderen ist) aufs Spiel zu setzen.
Als Beleg faktisch gewordener Vernunft-Verkehrung will ich den Terminus „Wirtschaftlichkeit“ betrachten. Früher war die Versorgung der Menschen mit Waren und dem Lebensnotwendigen wirtschaftlich, heute ist diese Versorgungstätigkeit bloßes Mittel zu einem anderen Zweck geworden, nämlich der Erwirtschaftung eines Gewinnes. Wenn ein Unternehmen heute rote Zahlen schreibt, ist es selbst unwirtschaftlich geworden, und es ist plausibel und konsequent, wenn es Konkurs anmeldet und eingestellt oder aber aufgekauft und reorganisiert wird. Dies gilt - prinzipiell - auch dann, falls dieses Unternehmen sog. Dritte-Welt-Länder mit Brot und Wasser versorgt haben sollte: Auch dann ist es richtig und konsequent, das Unternehmen einzustellen, weil es schließlich rote Zahlen schreibt, und so ist es also auch in diesem Fall vernünftig geworden, die Menschen nicht länger mit Brot und Wasser zu versorgen, und folglich ist es auch vernünftig, dieses… falsche… Handeln… einzustellen…?
An diesem Beispiel sehen wir die von uns praktizierte Wirtschafts-Verkehrung, und so wird die faktische, von uns gelebte Vernunft-Verkehrung sichtbar, die wir aber gar nicht als Verkehrung wahrnehmen, sondern als Vernünftigkeit, und zwar dadurch, dass wir diese unsere eigene „Vernünftigkeit“ einfach nicht konsequent zu Ende denken.
Da wir diese unsere „Un- oder Pseudo-Wirtschaft“ wollen, zumindest gewohnheitsmäßig leben, ist die eigentliche Wirtschaft und Versorgung der Menschen mit dem Lebensnotwendigen heute an „humanitäre Hilfsorganisationen“ abgegeben, denn „unsere Wirtschaft“ hat wahrlich andere Sorgen als die Versorgung von Menschen mit dem Lebensnotwendigen (?). Unsere Unternehmen (faktisch juristische Gespenster-Personen) sind mit ihrer eigenen Überlebenssicherung (?) beschäftigt, haben keinen Nerv mehr dafür, sich um das Überleben von Menschen zu kümmern (es sei denn, es geht um Unternehmensmitarbeiter, die das Unternehmen selbst am Leben erhalten - ?), haben andere Interessen, nämlich Zahlen, denn da sind Leute, Aktionäre, die den Unternehmensverantwortlichen als kleines, aber finanzstarkes AG-Wir im Nacken sitzen und etwas haben wollen für „ihr“ Geld usw.
Also: Unvernünftiges ist heute vernünftig geworden. Wäre es in dieser Situation nicht gut und richtig, wenn wir uns unsere „verkehrte Vernunft“ zumindest einmal eingestehen würden, anstatt die Augen zu verschließen und weiterzumachen wie bisher? Ja, es wäre vernünftig, uns unsere verkehrte Vernunft einzugestehen, und: Das Vorhaben wird an uns scheitern, soll heißen: Das Vorhaben scheitert am Uns, an Wirs nämlich, die „kleiner“ als „die Menschheit“ sind und Eigeninteressen verfolgen. Diese vielen derzeit realen und fleißig agierenden Nicht- oder Pseudo-Wirs (nicht nur in der Wirtschaft) potenzieren sich, und so stehen „wir“ heute vor einer Klimakatastrophe und vielleicht vor dem Ruin oder Untergang „unserer selbst“, weil „wir“ „uns selbst“ gar nicht zu sehen gewillt sind!?
Das menschheitliche Wir hat noch keine Realität, und es sieht ganz danach aus, als würden wir daran zugrunde gehen, dass ein solches Wir nicht allgemein gewünscht ist.
Vielleicht sollten wir jetzt nachfragen: „Was sind denn das – Unternehmen?“ Unternehmen sind im Grunde genommen „nichts“, nämlich keine Menschen aus Fleisch und Blut, und „ihr Untergang“ schadet möglicherweise nichts und niemandem, wenn die darin beschäftigten Menschen eine andere, vielleicht bessere Arbeit und Beschäftigung und Unternehmung fänden. Aufrechterhalten werden sie nicht unbedingt wegen der Sinnhaftigkeit und Unverzichtbarkeit ihres Agierens, sondern weil menschliche Existenzen daran hängen, oder sich Finanzinteressen daran gehängt haben, z.B. an die Rüstungs- und Waffenindustrie oder die Automobilkonzerne oder etwa auch an den Verzicht auf ein (weithin außerhalb Deutschlands sinnvoller- und notwendigerweise längst praktiziertes) Tempolimit?
Doch sind diese Unternehmen vielleicht selbst Familienunternehmen, hinter denen also „kleine Wirs“ stecken, die wir vielleicht nach dem Subsidiaritätsprinzip zu schützen haben? - Freilich haben wir eine „freie Marktwirtschaft“, und gewiss haben wir unter uns auch Wirs, die sich daran stoßen oder sich gar darüber empören würden, sobald unsere Unternehmenskultur irgendwie in Frage gestellt würde – nur: Was, wenn die Freiheit der Einzelnen (seien es auch Unternehmen) rücksichtslos gegen einen möglichen Untergang Aller agiert? Und zwar schlicht dadurch, dass sie sich "an die bestehenden Gesetze halten" und der Gesetzgeber einfach nicht mehr nachkommt mit seinem Füllen von Gesetzeslücken? Sollen wir dann vielleicht sagen: „Lasst uns wenigstens frei, unternehmensfrei zugrunde gehen, alle miteinander?“
Haben „wir“ vielleicht anfängliche, mythisch-geschichtlich nicht mehr verifizierbare „gesellschaftliche Stellungsfehler“ gemacht, weshalb sich nun die Schlinge unserer Scheinvernunft um uns herum zuzieht und wir nichts mehr dagegen tun können, weil unser Geschichts- und Gesellschaftsprozess auf ein in sich verkehrtes menschliches Vernehmen zugelaufen ist, das als solches partout nicht erkannt werden will und niemand bei sich selbst mit einem korrigierenden Umdenken beginnen will und daher nun irreversibel geworden ist? Wenn es so ist, dann spielt es jetzt auch gar keine Rolle mehr, ob uns unser eigenes Handeln nun noch als „vernünftig“ oder schon als „unvernünftig“ erscheint, denn: „Wir“ haben „uns“ durch „unser eigenes“ Handeln bereits handlungsunfähig gemacht, und es bleibt uns lediglich noch, unserem eigenen Untergang zuzusehen, vielleicht unter gegenseitigen Schuldzuweisungen und Abschieben von Verantwortlichkeiten der Pseudo-Wirs untereinander.
Wir sollten uns deshalb auch nicht auf ein christliches Pronobis herausreden oder verlassen, weil wir dadurch vor uns selbst den falschen Anschein erwecken, an unseren eigenen Aktivitäten und Machenschaften sei global gesehen gar nichts gelegen, und der Macher-Gott werde die hochkomplexe Sache mit unserer empfindlichen Freiheiten-Ordnung resp. unseren einseitig blickenden Menschen-Pfusch (euphemistisch: Wirtschaftsordung) dann schon richten…
Vielmehr ist heute offensichtlich geworden, dass an unserem Handeln alles liegt, das Ganze unseres Seins, nämlich unser Globus. Nur ist dieses unser Handeln nicht einheitlich ausgerichtet, nicht eindeutig, weil eben das „Uns“ auch nicht eindeutig ist und jedes Wir (auch virtuelle Unternehmens-Wirs) seine eigenen Prioritäten setzt und verfolgt. Der drohend bevorstehende Komplettbankrott unserer selbst zeigt an, dass wir in falschen „Eigen-tums“-Begriffen leben: Sowohl das „Meine“ als auch das „Unsere“ muss neu und ganz anders definiert werden. Und erst mit der Richtigstellung unserer Worte und Sprache könnte auch eine Berichtigung und Normalisierung unseres Denkens, Handelns, Lebens in Gang kommen.
Nur: Das „Meine“ und das „Ich“ können wir nicht einfach neu definieren, damit ein ordentliches „Wir“ entstehe, denn sie bestehen als „geistige Substanzen“ in sich selbst, als gelebte Selbstverständnisse, so dass wir schon wieder eine Aufgabe der Philosophie und Wissenschaft gefunden haben, wobei wir jetzt zugleich sehen können, wie „die Philosophie“ zunehmend aufdringlich, impertinent, unerträglich wird, als könne oder wolle sie vor Nichts und Niemandem Halt machen und zuletzt auch noch physisch-reale, rechtlich und staatlich abgesicherte Eigentumsverhältnisse antasten, also uns in unserer Substanz auf den Leib rücken…?
Lapidar zusammengefasst können wir feststellen: Die Menschheit krankt an ihrem Wir.
b) Ist „die Menschheit“ eine Idee, die die Individuen aus sich heraus erst noch zu gebären haben?
Es scheint also, als wäre unsere ordnungsgemäße Bindung im Sein gestört worden oder verloren gegangen. Und wir können auf die früheren religiösen Bindungen des Menschen zurückblicken und fragen, ob dort diese „Verbindung nach oben“ (und zugleich gesellschaftliche Quer-Verbindung und -Verbindlichkeit untereinander oder in sich selbst) noch stimmig, noch vernünftig oder besser: noch weisheitsvoll organisiert gewesen war?
Betrachten wir die Bibel im Ganzen, so zeichnet sich darin grob eine prinzipielle Religionsgeschichte ab, die einmal angefangen hat und die auch wieder – als ein bloßes Interim menschheitlicher Existenz – zu Ende gehen wird. Religion ist Rückbindung, re-ligio. Voraus liegt der Religion also eine ligio (Bindung im Sein), und sie zielt auch wieder auf eine solche hin. Beide können einander gegenübergestellt werden wie „Paradies“ und „Reich Gottes“, und es ergibt sich wiederum eine Drei-Schritt-Bewegung:
ligio (Paradies) – re-ligio – ligio (Reich Gottes)
Die Existenz-Zustände der ligios liegen so weit von uns entfernt, dass wir sie nicht näher charakterisieren können, und wir wissen auch nicht, ob das „Reich Gottes“ das „Paradies“ wieder herstellen wird oder ein Neues, Anderes sein wird. Doch dasjenige, was dazwischen liegt, der Zeitraum der re-ligio, scheint zugleich der Raum der Geschichte zu sein, der dann nur unzureichend als „Fortschritt“ gedacht wird und vielmehr in einem umfassenderen Rahmen als ein zum Anfang zurücklaufender „Zyklus“ gesehen werden muss, wobei der Endzustand nicht mit dem Anfangszustand identisch sein muss, so dass der vermeintliche „Kreislauf“ näher als „Durchlauf“ zu verstehen wäre, durch welchen sich – vielleicht zyklisch-evolutiv – ein Höheres auf Menschheitsebene ergeben könnte und sollte?
Wir können jetzt – nach unseren bisherigen menüpunkt- und kapitelweisen Gedanken-Durchläufen - aber auch vermuten, dass die wahrhafte „Bindung im Sein“ nichts ist, was kollektive oder Herden-Konstitution haben könnte, so dass die Bindung, Verbindung, Verbindlichkeit auch nicht „allgemein verordnet“ werden kann, gleich einem kommunistischen Manifest oder einem kategorischen Imperativ. Sondern in ihrem innersten Wesen und Grund kann sie – die Bindung im Sein - nur individuell bestehen und muss daher auch individuell gefunden werden. Denn jeder einzelne Mensch ist ein Geistwesen in und für sich, und also hat ein jeder Geist die Aufgabe, sich in sich selbst zu erfassen und sich in ein freies Verhältnis zu allen Anderen und zum Ganzen zu setzen. Das Individuum muss seine Bindung im Sein aus sich selbst heraus vornehmen, und so hat es auch die Freiheit (und vielleicht Aufgabe), ein entsprechend umfassendes „Wir“ in sich selbst zu setzen oder eben nicht zu setzen.
Und wenn wir nun „von Natur aus“ kein menschheitliches Selbstverständnis haben, so können wir dies als Beleg oder Indiz dafür nehmen, dass das Individuum die Menschheitlichkeit und Menschlichkeit erst selbstständig aus sich hervorzubringen habe, und indem es sie hervorbringt, setzt es sich auch schon in das rechte kosmische Seinsverhältnis als Mensch, denn der Mensch hat einen vorgegebenen Stellenwert innerhalb der Natur und innerhalb des Kosmos (wenn ihm eine bzw. seine Idee zugrunde liegt).
Nicht die Völker, Nationen und Staaten werden „die Menschheit und Erde retten“ können, sondern die Individuen in ihnen sind’s, die eine „Menschlichkeit“ und eine „Menschheitlichkeit“ zuerst einmal in sich selbst initiieren müssen, um sie als ihre feste Lebensgrundhaltung in sich selbst zu setzen und um sie dann auch gesellschaftlich auf den Weg bringen zu können. Unser Handeln hängt an unserem Wir. Ist ein Wir falsch gesetzt und orientiert, dann auch sein Handeln. Und jederzeit werden wir vergeblich politisch-parteilich darüber streiten, welches das richtige Handeln sei, und wir sollten uns lieber mit der Frage befassen, welches das richtige Wir sei, denn das rechte Handeln folgt dann schon auf dem Fuß.
Und wir erkennen dies auch daran, dass alle Parteien genau dann plötzlich zusammenstehen, wenn es zu nationalen Katastrophen kommt: dann wird aus dem „Gegner-Spiel der Alltagsgeschäfte“ der „Einheits-Ernst des Ausnahmefalls“, als könnten und wollten wir uns vielfältige falsche Wirs erlauben, solange nichts und niemand ernsthaft bedroht ist…?
Und wenn der Ernstfall dann kommt, werden wir aber erst einmal offen diskutieren, wie das denn zu definieren sei - „Ernstfall“… und man kann ja über alles unterschiedlicher Meinung sein… Und wenn dann der Ernst nicht allgemein angemessen und rechtzeitig gesehen werden will, wird eben der Fall kommen…
Sollten wir „ausnahmsweise“ zusammenstehen, wenn und weil unsere gemeinsame Lebensgrundlage gefährdet ist? Und können später dann – im Falle der gelungenen Katastrophenabwendung – wieder in unsere normale Einzelgeschäftlichkeit, in unser gewohntes Gegeneinander-Handeln zurückkehren, in unsere egoistischen Pseudo-Wirs? Oder befinden wir uns deshalb in globaler Not, weil unser eigenes Vernunftvermögen sich tatsächlich – wir möchten das ja gar nicht glauben – überaus schwer und schwerfällig bewegt, wobei wir auch nicht realisieren wollen, dass diese unsere eigene Vernunftschwerfälligkeit in einem erheblichen Ausmaß selbst unvernünftig ist? Werden wir also – konsequenterweise – an unserer eigenen Unvernunft zugrunde gehen, nämlich: an unserer für Vernunft gehaltenen Unvernunft?
Und ab wann werden die Individuen diese heute höchst dringliche Veränderung ihrer Identitätssetzung vornehmen, von welcher offensichtlich Schicksal und Zukunft der Menschheit abhängen? Ab dem Zeitpunkt ihrer entsprechenden Selbsterkenntnis! Und wenn diese Setzung noch weitgehend fehlt, ist dies aussagekräftig bezüglich unseres Erkennens und Wissens, von welchem wir heute ja in der Regel glauben, dass es schon weit, weit fortgeschritten sei und heute das Wesentliche im Wesentlichen gewusst werde, exakt, zuverlässig und sicher…?
***
Weil diese Setzung der Menschlichkeit und Menschheitlichkeit ihren Ursprung im Geist des Menschen finden muss, wollen wir nun - wenigstens hier auf dieser Website - weiterhin unserem eigenen Geistsein nachspüren und nachgehen, von welchem uns wiederholt aufgefallen ist, dass es sich uns immer wieder entzieht, gleichsam in die Nichtwahrnehmung entschlüpft, weil unsere Geistigkeit offensichtlich noch nicht so in sich (resp. in uns) konzentriert oder verdichtet ist, dass wir sie als „Gegenwärtigkeit“ ständig präsent hätten.
Es könnte ja sein, dass eine solche „Geistesgegenwart“ erst einer späteren Entwicklungsstufe menschlichen Geistseins entspricht, die wir noch nicht erreicht haben, vielleicht aber erreichen können und sollen, nachdem erkannt ist, dass der Mensch mit seinem „Ich selbst“ in einem Veränderungsprozess steht, so dass es auch ein wahres Missverstehen unserer selbst ist zu meinen, unserer Iche seien die Identitäts-Konstanten innerhalb einer peripher bleibenden, „sich“ verändernden „Wirklichkeit um uns herum“, die unsere Iche selbst unberührt lässt, oder auch in Ruhe zu lassen hat? Und zuletzt bemühen wir „den Gott“, uns aus solchen Pseudo-Seins-Verhältnissen der Menschen, für die wir… nicht… die Verantwortung übernehmen wollen, herauszuholen? Soll der Gott unser falsches Wirklichkeits-Spiel mit unseren allzu schlechten Spielregeln resp. widervernünftigen Gesetzen entscheiden und in Ordnung bringen?
Und wir können uns selbstkritisch fragen: Leben wir heute jene „anwesenden Abwesenden“, über die sich Heraklit von seinem souveränen Mit-Seins-Außenblick aus mokierte, wobei er sich in dieses Werden lieber nicht selbst hinein traute, vielleicht ahnend, dass sich sein (außen vor bleibender) Souveränitäts-Standpunkt hierbei verlieren könnte? Sind wir in eine Abwesenheit im Sein hineingeraten, obwohl wir uns für anwesend im Sein halten?
Vielleicht ist dann ja auch die alte und fixe Vorstellung von himmlischen Geistes-Hierarchien, wonach der Mensch Mensch sei und bleiben müsse, der Engel Engel sei und bleiben müsse, der Erzengel Erzengel sei und bleiben müsse usw. eine falsche photographische Ewigkeits-Ablichtung gewesen, die den Seinsprozess nur von außen wahrnahm, noch nicht aber in sich selbst erfasste, und daher die kosmischen Individuen oder Entitäten (sowie auch unsere irdische, eigene) in falschen Identitäten fixierte? Weil der Mensch noch gar kein „selbst“ kannte resp. noch kein Selbst hatte oder war und also noch nicht über eine eigene Geistgrundlage verfügte, die Veränderung des Seins in sich selbst überhaupt wahrnehmen zu können?
Muss man nicht zuerst selbst im Sein stehen, dann der Wandlung dieses Seins in sich gewahr werden, um schließlich über Veränderung als solche überhaupt urteilen und mitreden zu können? Wir stellten aber bereits fest, dass der Mensch dazu neigt, sich die (lebens-/geschichtlichen) Veränderungen seines Seins „weg zu lügen“, indem er sie einfach adaptiert, in sich aufnimmt, um sie dann als Ich-Konstanz auszugeben. In Wahrheit scheint es so zu sein, dass die Bedeutung des Wörtchens „Ich“ – bezogen auf ein und dieselbe Person - einem ständigen Wandel unterliegt, den das Ich aber gar nicht als Veränderung realisiert, sondern als Sich-selbst-Gleichbleiben wahrnimmt (Ich = Ich oder: Selbstbezüglichkeit = Selbstbezüglichkeit)?
Zugleich können wir jetzt feststellen, dass mit unserem Wir deshalb etwas nicht stimmt, weil die gewordenen Iche, die Individuen geistig in sich selbst nicht stimmig sind. Sie stehen noch nicht im richtigen Seins-Verhältnis (diese Aussage trifft auf uns alle zu, nicht nur auf „die Anderen“), und deshalb verfehlen unsere individualisierten Ich-Maßstäbe das wahrhaft angemessene Wir, sprich: das Sein in seinem kosmischen Gesellschaft-Sein und weisheitsvollem Aufeinander-Abgestimmt-Sein oder auch Ineinander-Eingespielt-Sein?
Anders formuliert: Unser derzeitiges Handeln läuft an der (wahren) Wirklichkeit vorbei. CO2-Ausstoß und Erderwärmung sind Folgen und Symptome unserer falschen Iche und Wire. Und selbst wenn wir diese Folgen erfolgreich bekämpfen können sollten, werden neue unerwünschte Wirkungen eintreten, weil wir die Ursachen als Ursachen nicht sehen oder nicht anpacken wollen, das ist: uns selbst in falscher Selbstsetzung und unstimmiger Selbsterkenntnis, die wir irrtümlich für richtig und zutreffend erklärt haben...?
„Adam, wo blickst du denn hin?“ „HERR, wo bist du? Wir können dich nicht mehr sehen, als seien wir erblindet! Wir finden die Blickrichtung auf das Sein nicht mehr…“
10. Sind wir werdende Geistwesen mit noch schlechter Selbstwahrnehmung?
a) Der Geisteswissenschaftler sieht, was der Naturwissenschaftler übersieht
Blicken wir dorthin, wo der Geist des Menschen - erwartungsgemäß - zuerst dauerhaft sichtbar werden sollte, in die Wissenschaft, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wo wir in dieser Hinsicht heute faktisch stehen, welches also unser gegenwärtiger Status als Geistwesen ist, d.h. welchen „Grad an Geistesgegenwart“ wir schon besitzen.
Und dann sehen wir als Erstes, dass selbst unsere „einheitliche Wissenschaft“ in zwei große Bereiche auseinandergetreten ist: Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft, wobei sich offensichtlich schon einmal nur der eine Bereich für die Geistigkeit des Menschen überhaupt interessiert, während der andere „der Natur“ zugewandt ist. Wir können daher fragen: Ziehen beide überhaupt am selben Strang, oder sind sie in unterschiedliche, gegensätzliche Richtungen gewandt, analog den vielen Wirs, die wir derzeit unter uns Menschen haben? Ist unsere Wissenschaft zweigeteilt, also zwiespältig? Leidet sie etwa an Schizophrenie oder an einer dissoziativen Identitätsstörung, wobei das Wort „leiden“ gar nicht zutrifft, wenn kein gemeinsames Wir zugrunde liegt und nur zwei halbe Wir vorhanden sind (gemessen an der einen Wissenschaft), die miteinander gar nichts zu tun haben oder zu tun haben wollen und an ihrer „Halbheit“ schwerlich leiden, weil sie ansonsten doch etwas dagegen unternehmen würden?
Diese Zweiteilung und Aufsplitterung ergibt im Materialismus einen Sinn, im Spiritualismus hingegen nicht, weil in Letzterem der Geist als Substanz und Movens der Natur gedacht werden muss, so dass die „Naturwissenschaft“ zugleich als „Geisteswissenschaft“ zu verstehen wäre, was uns aber zunächst einmal unmöglich geworden ist, weshalb wir unsere derzeitige Wissenschaftsverfassung auch nicht als „neutral“ oder „objektiv“ ansehen können, sondern wenigstens als bereits „materialistisch infiziert“, als „vor-ausgerichtet“, als „voreingenommen“ betrachten müssen: die Materie ist das Grundlegende, das Geistige ist nur Überbau, folglich gilt – zumindest unbewusst - die allgemein akzeptierte Priorisierung: Natur- oder Substanzwissenschaft vor Geistes- oder Schaumwissenschaft.
Eine spiritualistische Wissenschaftsverfassung würde vielleicht nicht von „Wissenschaftlern“ sprechen, sondern von „den zur Wissenschaft Versammelten“, womit ein möglicher Zusammenhang mit der zentralen Bibelstelle dieses Textes (2 Thess. 2,10) sichtbar würde: Die „Liebe zur Wahrheit“ wird den Menschen retten, und die zur Wissenschaft Versammelten, die diese Liebe intensiv pflegen, stehen sozusagen zum Gerettet werden bereit, gehören zugleich mit zu denjenigen, die sich in der Sammelbewegung zur Gegenwart zusammengefunden haben. Und vielleicht sind ja beide Versammlungen ein und dieselbe?
Ist nun das „Wir“ unserer Wissenschaft, ist die „einheitliche Wissenschaft“ selbst nur eine Illusion, die wir sprachlich vor uns selbst erwecken, indem der Terminus „Wissenschaft“ in dem Wort „Naturwissenschaft“ und in dem Wort „Geisteswissenschaft“ lediglich äquivok gebraucht ist, aber unterschiedliche Bedeutung und unterschiedlichen Stellenwert hat? Wo liegt ein möglicher Fehler, den wir in der pauschalen Auffassung unserer einen Wissenschaft machen? Kann die je eigene Ausrichtung dieser „Wissenschafts-Lager“, die auch einem menschheitlichen Wir entgegensteht, näher bestimmt werden?
Im Kapitel über das „alte Sein“ stellten wir fest, Heraklit habe in die Welt des Werdens zwar hineingeblickt, sei selbst aber noch nicht mithineingegangen, weshalb sein Ausspruch „Alles fließt“ genau diesen Fehler des Sich-selbst-Vergessens enthält, den man ihm allerdings geistesgeschichtlich noch nicht als Fehler anrechnen kann. Und wir stoßen damit auf ein Problem des animal rationale, das wir immer noch ungelöst mit uns führen, obwohl es heute, 2500 Jahre später, ein Fehler und sogar ein gravierender geworden ist: Unser Beobachten und Forschen umfasst sehr Vieles und bringt eine reichhaltige Ausdifferenzierung zuwege, ein buntes, tiefgehendes Bild der Welt. Nur eines enthält diese unsere Unterscheidungskunst zunächst einmal nicht: uns selbst, den Beobachter, den wir vielmehr ununterschieden im Bild stehen lassen, oder noch deutlicher, aus dem Bild selbst herausnehmen, ihn gleichsam übersehen oder vergessen, als gehöre er nicht mit dazu.
Wir müssten quasi neuzeitlich-modern unsere eigene Ich-Perspektive verlassen können, so, als zeigte eine Kamera zuerst das vom Ich projizierte, ihm gegenüberliegende Bild der Welt, schwenkte dann – unter Beibehalten der Kameraeinstellung oder Blickausrichtung - nach hinten oben, sozusagen durch den Hinterkopf aus dem Kopf und Ich des Beobachters heraus, so dass dieses projizierende Ich selbst inmitten seines eigenen Bildes der Welt zum Vorschein käme.
Und möglicherweise ist dies ein Proprium des Geistes als solchen: sich selbst gegenübertreten zu können, also gleichsam sich in sich selbst zu verdoppeln oder sich zu spiegeln, weil anders eine Selbst<->Erkenntnis gar nicht möglich wäre. Auch Lessing deutet dies an in seiner Schrift (vgl. § 73 EdM).
Mancher Naturwissenschaftler, der sich in seiner Freizeit auch naturphilosophisch befleißigt, meint vielleicht, er könne neben seiner professionellen Naturwissenschaft die Philosophie und Geisteswissenschaft spielerisch gleich miterledigen? Da hat er aber aufs falsche Pferd gesetzt: auf seinen Beobachtungsinhalt. Denn sich selbst als Beobachter vergisst er hierbei, und er übersieht in seinem naturphilosophischen, ganz dem Kosmos zugewandten Enthusiasmus, dass er selbst Mensch, ein Veränderliches, und kein ewig gleiches Messinstrument ist, keine Beobachtungskonstante, sondern vielleicht grade mal 500 Jahre alt. Und so gaukelt er sich und uns eine konstante Außenperspektive des Universums vor, vielleicht einfallsreich und phantasievoll futuristisch „verlängert“ (genauer: unzulässigerweise aus der Raumbeobachtung in die Zeitbehauptung „extrapoliert“), die eben deshalb ins Innere des Seins nie und nimmer einzudringen vermag (falls der Spiritualismus wahr sein sollte), weil Sinnlichkeit und Materie als „das Eingemachte des Geistes“ anzusehen wären.
Er vergisst in seiner Wissenschaft, in seinem Beobachten, den Schritt des Geistes hinter sich zurück, um das scheinbar objektive Sach-Bild (draußen) als sein eigenes Projekt-Gebilde (von innen heraus) zu erkennen, das er von einer bestimmten Zeitstelle aus entwirft und vielleicht auch nur von dieser bestimmten Zeitstelle aus überhaupt entwerfen kann, nicht früher, und auch nicht mehr später.
Der Geisteswissenschaftler und Philosoph setzt aufs richtige Pferd (oder sollte es zumindest tun): auf sich selbst als Beobachter, als beobachtendes Geistwesen. Und so hat er dem Naturwissenschaftler die Erkenntnis voraus, dass Wissenschaft nur deshalb ist, weil ein Subjekt da ist, das diese Wissenschaft will und betreibt, und auch nicht schon immer, sondern erst, nachdem eine gewisse Existenzsituation des Menschen geistesgeschichtlich wirklich geworden war, die ihm jenen Spiel- und Bewegungsfreiraum in seinem Geiste gewährte, in welchem Philosophie und Wissenschaft überhaupt erst möglich wurden. Die Wissenschaft, auch die Naturwissenschaft, hat also jenen Menschen zu ihrer Voraussetzung, der einem geschichtlichen und auch geistesgeschichtlichen Wandel unterliegt, weshalb sein Blick in den Kosmos zu anderen Zeiten auch anders geartet ist. Und da kann der Naturwissenschaftler hundert- und tausendmal wünschen, er wolle dies nicht, dass sich sein Blick in den Kosmos geschichtlich wandele, sondern er wolle, sein eigener Jetzt-Blick sei konstant und dauerhaft und also: schlicht und einfach "wahr"!!! Sein Konstante-Wunsch bleibt trotzdem unerfüllt, denn er ist – zumindest bislang – als animal rationale eine Beobachtungs-Variable in der Zeit.
Die Geisteswissenschaft realisiert, dass unser Blick ins Universum keine Konstante, sondern eine Variable ist, und der Naturwissenschaftler macht den Fehler, dass er sein eigenes Geistsein einfach übergeht, als habe es mit dem Beobachtungsinhalt nichts zu tun. Und so hält er sein Beobachten auch für zeitlos gültig, wie wohl in der Geisteswissenschaft deutlich geworden ist, dass die Zeit ein Entwicklungsfaktor auch des „Messinstrumentes menschlicher Geist“ ist, der sowohl das Beobachten als auch den Beobachtungsinhalt verändert. Die Materie mag ja die gleiche bleiben, nur ist sie nicht der einzig mögliche Beobachtungsinhalt und nicht die einzig mögliche Aufmerksamkeitsverlagerung im Universum – das ist der Punkt. Man blicke auf die Vorsokratiker Leukipp und Demokrit zurück, um zu sehen, dass ihre Perspektivik nur eine mögliche Betrachtungsweise unter vielen anderen ist. Damals stand sie noch unter ferner liefen da, heute hat sich das umgekehrt.
Wir sehen dieses Problem der Aufmerksamkeitsverlagerung erkannt und ausgesprochen von Platon, wenn er in seinem Höhlengleichnis die Schwierigkeiten beschreibt, die der Philosoph bekommt dadurch, dass er in Richtung Licht und Höhlenausgang gekommen ist. Er will ja das von ihm gefundene Licht gesellschaftlich teilen, also mitteilen, und so geht er aus dem Licht ins Dunkel der Höhle zurück, und genau dadurch bekommt er sozusagen Wahrnehmungsprobleme: Er ist noch geblendet von dem neuen Licht und muss sich nun wieder umgewöhnen, an die Dunkelheit, sprich: an die anders geartete Höhlenwahrnehmung und die daraus resultierende Höhlenterminologie. Dabei hat er ja noch nicht einmal selbst eine übergeordnete, der Wahrheit näherkommende Licht-Terminologie ausarbeiten können, und so wird er unten zunächst einmal nur stammeln können, wenn er versucht, seine neuen Eindrücke ehrlich und aufrichtig wiederzugeben. Und man wird nicht verstehen, wovon er überhaupt spricht, sondern wird dann vermuten, er habe vielleicht einen „Sonnenstich“ erlitten, von der Art, dass er sich den Kopf am Felsmassiv stieß und hierbei ein „Blitzlicht“ erlebte, oder sei komplett irre geworden, weil er von Dingen spricht, die keiner kennt und zu welchen (noch) keine geläufige Begrifflichkeit und Sprache existiere. Er beschreibt ihnen quasi „nicht existente Gegenstände“, eine „Nichtwirklichkeit“.
Sehr wahrscheinlich müssen wir, die zur Wissenschaft Versammelten, uns in die rechte Blickrichtung und Aufmerksamkeitsverlagerung des Geistigen erst noch deutlich besser hineinverändern, um für ein Gerettet werden ernsthaft bereit zu sein resp. in Frage zu kommen…
Man kann aber nicht nur die Materie, sondern z.B. auch den Menschen selbst in seiner Geistigkeit beobachten, und auch im Wandel seiner Geistigkeit. Damit verlagert sich die „Beobachtung“ selbstkritisch auf den „Beobachter“ selbst zurück, und damit nähern wir uns in unserem Forschen dem Menschen als Geistwesen.
Würden wir hingegen unseren materialistischen Blick, wie wir ihn in den Kosmos hinausrichten, beibehalten und im Leben konsequent durchführen, so müssten wir von unseresgleichen sagen, „Materieansammlungen“ (nicht „Menschen“) bewegten sich über den Boden, und wir müssten es sogar von uns selbst sagen, wobei wir ein „Ich selbst“ nirgends wahrnehmen können und „realistischerweise“ als „spekulativ“ aufgeben müssten…?
Das Schwanken des menschlichen Wahrnehmens im Wandel seiner Geistigkeit muss nicht zwangsläufig eine Wankelmütigkeit oder Unzuverlässigkeit der menschlichen Spezies sein, es könnte sich alternativ auch um einen existenziell-substanziellen „Werdeprozess unserer selbst“ handeln, der auch zur Natur gehört (die auch einen Werdeprozess durchläuft) und den wir schlicht (noch) nicht überblicken können?
Und der Geisteswissenschaftler ist nun gewillt, diese scheinbar "konstitutive Konstanzlosigkeit oder Unzuverlässigkeit seiner selbst" zu sehen und anzunehmen, um sie so gut als möglich zu „neutralisieren“, soll heißen, um sie überhaupt in den (Wissenschafts-)Blick zu bekommen und irgendwie händeln zu können, anstatt seine eigene Subjektivität fälschlich und naiv als „nicht vorhanden“ zu betrachten, indem er sie gar nicht wahrnimmt, und sich selbst daher einen „objektiven Wissenschaftsblick“ zuschreibe, den er gar nicht hat. Objektivität erreicht der Mensch nicht dadurch, dass er sich seine Subjektivität wegdenkt, sondern – wenn überhaupt – nur dadurch, dass er diese seine Subjektivität in sich selbst zu erfassen versucht, so, als würde man die Ungenauigkeit eines Messinstrumentes in sich selbst bestimmen, um den Fehlerfaktor als solchen vom Ergebnis der Wirklichkeitsvermessung wieder abziehen zu können.
b) Gründet unser Eindruck der Nichtexistenz der Geistwelt im vergessenen „Kali-Yuga“?
Das Subjekt der Wissenschaft zeigt sich bislang als eine geistesgeschichtliche Variable, die immer wieder einmal Neues aus sich heraussetzt, das von der Vergangenheit her nicht abgesehen und von der Gegenwart aus nicht „hochgerechnet“ werden kann, z.B. das kopernikanische Weltbild aus dem ptolemäischen. Der Geist des Menschen gleicht einem nicht kalkulierbaren Füllhorn, und folglich könnte alles angesammelte „Wissen einer Zeit“ irgendwann auch wieder in die Zeit, besser: in die Geistesentwicklungszeit zurückgenommen und also wieder relativiert werden müssen, nicht nur das „alte Wissen“ unseres festen Mittelpunkts-Daseins im Kosmos, sondern vielleicht ebenso unser „neues Wissen“ unseres kosmischen Ausgespuckt seins und Draußenstehens?
Diese Perspektivik des Draußenstehens hat sich der Mensch ja nicht selbst geschaffen, nicht methodisch vorgenommen, auch nicht der Naturwissenschaftler, sondern wir sind geschichtlich und geistesgeschichtlich einfach hineingeraten (bzw. hinausgeraten), und es wäre doch ein fragwürdiges Unterfangen, diese geschichtsbedingte Zufalls- oder Unfallsituation nun als „bare Münze des einzig wahren Blickens ins Universum“ nehmen zu wollen? Zumindest aus geisteswissenschaftlicher Sicht. Der „kritische Umgang“ des Naturwissenschaftlers mit diesem „geistesgeschichtlichen Geschick oder auch Unglück“ bleibe dahingestellt…
Setzen wir unser „neues Wissen“ unkritisch als Wahrheitsnorm an, so wiederholen wir den Fehler der Alten im „alten Wissen“. Grundsätzlich stehen wir aber immer noch in der Frage (zumindest auf dieser Website hier), ob das Universum nun – eigentlicher - in der materialistischen oder in der spiritualistischen Blickrichtung in seinem Wesen erfasst werden kann. Ist die Materie (oder Strahlung oder Energie) das eigentliche Substrat, dann steht unsere Naturwissenschaft an der Forschungsfront. Ist es aber der Geist, dann steht… nein, nicht unsere Geisteswissenschaft an der Front, sondern dann steht gegenwärtig niemand an dieser Front, weil wir die materialistische Betrachtungsweise heute so sehr internalisiert haben, dass wir den Geist lediglich als „Überbau der Materie“ betrachten, und entsprechend scheint mir unsere Geisteswissenschaft dazu zu neigen, sich selbst nur als eine Art Sackgassen-Forschung ins Auge fassen zu können und ernsthaft zu glauben, ihr eigener Gegenstand – der (lebendige) Geist – sei der modernen Menschheit „geistesgeschichtlich verloren gegangen“…?
Auch unsere Geisteswissenschaft steht unter der Sogkraft der heute aktuellen materialistischen Weltanschauung, betrachtet insofern sich selbst nur als ein bloßes Anhängsel der (materialistisch ausgerichteten) Naturwissenschaft. Doch so, wie die Philosophie nicht an der Wissenschaft zu messen ist, ist auch die Geisteswissenschaft nicht an der Naturwissenschaft zu messen. Sie muss vielmehr die Kraft und den Mut finden, sich in sich selbst zu erfassen.
Das ptolemäische Weltbild war ein räumlicher Relations-Fehler, und trotzdem empfand der Mensch damals sein kosmisches Im-Mittelpunkt-Stehen als real: Es war real! Wenn nun unser modernes, atheistisch-materialistisches Weltbild, in welchem uns unser Vom-Kosmos-isoliert-Sein als real erscheint (Es ist real!), auch wiederum ein Relations-Fehler wäre, nur diesmal nicht räumlich, sondern zeitlich? Also nur vorübergehend real und richtig, ebenso wie Kants Erkenntnisgrenzen?
Als wären wir geistesgeschichtlich in ein „Zeitalter geistiger Finsternis“ hineingeraten, das irgendwann gekommen ist und auch irgendwann wieder vergehen wird? Nur ist es leider durch ein zeitgleiches deutlicheres Hervortreten und Interessant werden des Sinnlich-Sichtbaren zugleich auch in den Bewusstseinshintergrund getreten und dadurch relativ unbewusst geblieben, obwohl das „Wissen von einem kommenden Kali Yuga“ heute noch in alte Weisheits-Zeiten zurückverfolgt werden kann, die vielleicht doch nicht „längst überholt“ sind, sondern uns voraus waren und also von unserer gegenwärtigen Geistes-Dunkelheit und -Isoliertheit bereits vor Jahrtausenden wussten, nicht unbedingt aus sich selbst heraus, aber vielleicht aufgrund der Mitteilung („Inspiration“) höherer, überlegener Geistwesen (deren Nichtexistenz bislang immer noch nicht zweifelsfrei bewiesen ist)?
Ist nicht sogar in unserer eigenen Kultur eine Geistesbotschaft noch in antiken, mythisch-geistdurchtränkten Zeiten aus der Geistwelt losgeschickt worden, damit sie zu gegebener, fernkünftiger (vielleicht „neu und gut“ erscheinender, gott-los gewordener, aufgeklärter) Zeit ihren eigentlichen Empfänger und Rezipienten überhaupt erst erreiche, nämlich uns Halbaufgeklärte (die sich fälschlicherweise für Ganzaufgeklärte halten, nur weil sie ein paar Dinge besser begriffen haben als die Alten, dafür viele andere Dinge womöglich wesentlich schlechter)? Und diese Botschaft erreicht uns quasi „gerade noch so“, weil alle Verbindungsrealitäten zu dieser (dann = heute für nichtexistent gehaltenen) Geistwelt vorübergehend vollständig gekappt sein werden und „unsere Welt“ in ein geistiges Schwarzes Loch kosmischer Kommunikationsstörung (vielleicht auch: Nachrichtensperre?) getunkt sein wird, die dann zugleich als real und als irreal erscheinen werde – je nach materialistischer oder spiritualistischer Ansicht der Menschen? Je nach intellektueller Kurzatmigkeit oder Langatmigkeit des geistesgeschichtlich nun entweder in seinen irdisch-materiellen freien Fall hineinstrauchelnden „Intellekt-Materieüberbaus“ oder aber in seine kosmisch-spirituelle Schwerelosigkeit und Eigengravitation hinausschwebenden „Ruach“s?
c) Ist die Geisteswissenschaft die unbedarfte Stiefschwester der im Leben stehenden Naturwissenschaft?
Die Standpunktfrage bleibt unser vordringlichstes Wissenschaftsproblem. Und wir haben bereits eine alte Zeitstelle ausgemacht (Heraklit), an der der „Standort“ eines Denkens als Aufgabenstellung sichtbar wurde, obwohl es diese unsere Wissenschaft noch nicht gab.
Könnte es auch auf der anderen Seite, in die Zukunft hinein eine Zeitstelle geben, in der die Wissenschaft wieder verschwunden sein, vielleicht überflüssig geworden sein, vielleicht erfüllt sein wird? Dann müssten wir z.B. auch darüber genauer nachdenken, warum Philosophie und Wissenschaft überhaupt sind, welches ihr Ursprung, Ziel und Ende sind. Und auch mit diesen Fragen steht die Geisteswissenschaft alleine da, weil sie jenseits des naturwissenschaftlichen Beobachtungsfeldes (und also Reflexionsvermögens) liegen. Diese Fragen sind „naturwissenschaftlich transzendent“, gehören aber dennoch sehr wohl wesenhaft zum Menschen.
Was, wenn die Naturwissenschaft, so, wie wir sie heute betreiben, per se keine richtige Wissenschaft ist und sein kann, weil ihr vordefinierter Gegenstandsbereich ein solcher ist, der eine (vom Erkenntnissubjekt Mensch betriebene) Selbsteinholung der Wissenschaft ausschließt? Weil sie eine Wissenschaftsausrichtung ist, die ihr geistiges Tun als solches nicht mitbedenkt und nicht mitbedenken kann, weil der menschliche Geist hier keine Anstalten macht oder Verursachung sieht, sich selbst spiegeln zu sollen, sondern in gewisser Weise das Erkennen (von Anderem) gedankenlos praktiziert, aber nicht auf sich selbst zurückwendet, analog den platonischen Höhlenmenschen, die ihre eigene Fesselung nicht realisieren?
Gilt, was für die Geschichte allgemein zutrifft, dass sie zur „Gegenwart“ wird, indem sich der Mensch reflexiv als in einer Geschichtsbewegung stehend erkennt, auch oder in noch stärkerem Maße für die Geistesgeschichte? Der Mensch reflektiert sich selbst als Philosophie und Wissenschaft treibend, was wir existenzbezogen als „Streben nach Selbsterkenntnis“ nennen müssen: Zielen Philosophie und Wissenschaft demnach nicht auf eine „Geistes-Gegenwart“, indem der Mensch sich seiner selbst als Geistwesen bewusstwird, oder näher: indem er erkennt, was dies existenziell oder im Seinsvollzug stehend bedeutet, als Geist(wesen) zu sein?
Diese (sekundäre Überbau-)Frage mag im Materialismus-Fall relativ uninteressant sein, im Spiritualismus-Fall aber könnte sich eine weitere Steigerung und Verschärfung der Fragestellung ergeben, denn das Ich als „kleine Ewigkeit“ muss sich nun, als Geistwesen, in ein Verhältnis zur Geistwelt resp. zu Gott als der „großen Ewigkeit“ setzen, in ein neues, bewusstes, eigenes Verhältnis, indem es mit der „großen Ewigkeit“ nicht mehr einfach nur (heraklitisch) mitlaufen kann, un- oder halbbewusst?
Behalten wir unseren angedeuteten Pferdewettsvergleich zwischen Natur- und Geisteswissenschaft im Hinterkopf, wonach beide sich möglicherweise gegenseitig den Rang ablaufen könnten hinsichtlich der wahrhaften Wirklichkeitswahrnehmung, wenden uns aber zunächst noch dem Reittiervergleich Luthers zu, der sinngemäß besagt, der Mensch sei ein Reittier, was seine (kosmische - aufs Ganze bezogene, nicht irdische - aufs Einzelne bezogene) Willensfreiheit betrifft, entweder von Gott oder vom Teufel geritten, ein Drittes gebe es nicht:
„Wenn Gott aufsitzt, dann will es und geht es, wohin Gott will… Wenn der Satan aufsitzt, will es und geht es, wohin der Satan will, und es ist nicht in seiner Entscheidung, zu welchem Reiter es laufen will, oder ihn zu suchen, sondern die Reiter selbst streiten darum, es in Besitz zu nehmen."
„De servo arbitrio“,
„Vom unfreien Willen“, zitiert nach
Gerhard Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken, 4.
Aufl. 1981, Mohr (Siebeck): Tübingen, UTB 1090, S.
255, dort mit Quellenverweis auf die Weimarer Ausgabe (WA) 18;
635, 18-22 (1525) = Bonner Ausgabe (BoA) 3; 126,
23-28
Eine deutsche Fassung im
Online-Zugang:
Luther Deutsch. Die Werke Martin
Luthers in
neuer Auswahl für die Gegenwart, hg. Kurt
Aland, Bd. 3: Der neue Glaube, vierte, erweiterte
Auflage 1983 © by Ehrenfried Klotz Verlag
Stuttgart, S. 151-334
(Textstelle im Buch: S. 196), hier als Digitalisat der
Deutschen Digitalen Bibliothek der Bayerischen
Staatsbibliothek (externer Link: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/organization/PE423JPDSCU6C72BAC2PUBOHAINDRGFO):
https://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00040589_00001.html,
(Textstelle im Digitalisat: S. 195, mittlerer
Absatz). Das
Werk steht dort unter der Lizenz "CC BY-NC-SA 4.0 Deed"
(externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/deed.de),
Abrufdatum aller Links: 17.06.2024.
Danach scheint es, als wäre der Mensch in jedem Fall unfrei, sowohl im Materialismus als auch im Spiritualismus. Man kann aber beide Reiter trotzdem nicht über einen Kamm scheren, denn es könnte ja sein, dass sie ganz unterschiedliche Zügel in der Hand halten (Ableitung „re-ligio“ evtl. von „religare“ = den Zügel zurückbinden), der eine die starre, feste „Determination“, die sich selbst gleichbleiben soll, der andre hingegen die variable, flexible „Freiheit“, die eine Geistentwicklung vorsieht, woraus am Ende dann doch noch - ein Drittes möglich wäre…?
So gesehen könnte der Mensch nämlich – im Spiritualismus-Fall - an einem ganz besonderen Zügel hängen, den er im Laufe seiner Geistentwicklung selbst auflösen und damit seine Fremdlenkung abstreifen könnte – wenn er auf den richtigen Reiter setzt, soll dann heißen: wenn er sich selbst als dasjenige Pferd erkennt, zu welchem er ontologisch-schöpfungsgemäß vom Reiter bestimmt ist, so dass er nicht einem fixen Beobachtungs-Scheuklappen-Blick unterliegen muss, der festgelegt ist und bleibt und den Anschein erweckt, als würde das Pferd geschichtlich auf ein fremd gesetztes Ziel zurasen, sondern seinen variablen, ihm individuellen Spielraum freigebenden Beobachter-Status realisiert und dadurch das ihm vorgegebene Freiheits-Wesen sich tatsächlich selbst zuschreiben kann und auch zuschreibt, das ihm trotz anfänglichem Geritten werden nach und nach eine Eigenbewegung und Herumwendung des eigenen Geistes ermöglicht, so dass das anfängliche Fremdziel durch die geistesgeschichtliche Eigenziel-Setzung neutralisiert und umgewandelt werden kann, wodurch – und dies ist sozusagen die Pointe eines Spiritualismus - dieses Reittier allmählich selbst zum Reiter aufsteigt, indem es im Geistprozessverlauf die Selbsterfahrung macht, dass der Reiter „gar nicht mehr da ist“, sondern dem Reittier - zum Zwecke seines Freiwerdens – Platz gemacht und es bereits verlassen bzw. den Zügel losgelassen hat, gemäß den Bibelworten:
„Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden.“ (Joh. 16,7)
Lutherbibel,
revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft,
Stuttgart, und Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH,
externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes16,
abgerufen am 001.04.2024.
„In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass auch ihr seid, wo ich bin.“ (Joh. 14,2f)
Lutherbibel,
revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft,
Stuttgart, und Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH,
externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes14,
abgerufen am 01.04.2024.
„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;...“ (Offb. 21,1-3)
Lutherbibel,
revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft,
Stuttgart, und Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH,
externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Offenbarung21,
abgerufen am 01.04.2024.
Dann haben zwar trotzdem beide Reittiere zunächst denselben Status des Geritten werdens, aber eines von beiden kann ihn in sich selbst aufheben und dadurch selbst in die Reihen der Ritterschaft aufsteigen.
Setzt der nachdenkende Mensch aufs falsche Pferd und „erkennt“ sich selbst als „unfrei“ (fixierte Beobachtung), kann er gar nichts entwickeln und sein Reiter kann (oder muss oder darf) im Sattel sitzen bleiben, weil der Mensch seine geistesgeschichtliche Lektion nicht gelernt hat, vielleicht auch nicht lernen will, indem er irrtümlich von seinem eigenen Unvermögen überzeugt ist, so dass er in die Zukunft seines Freiheitswesens nicht wird fortschreiten können, lediglich, weil er an seine eigene Unfreiheit glaubt und daher das zu tun unterlässt, was er faktisch doch tun könnte, um im rechten Freiheitstun den falschen Unfreiheitsglauben Lügen zu strafen und hinter sich zu lassen.
Mit dieser Überlegung einer Selbstentscheidungs- und Selbsterkenntnisoption des Menschen, die seiner Geistigkeit erst eine kosmisch-wesenhafte, schöpfungsrelevante Bedeutung zuerkennt, sind wir freilich über den Luthervergleich weit hinaus und zurück bei unserem Pferdewettsvergleich, wobei ich hier - als pauschale oder ideale Prototypen - die Naturwissenschaft als materialistisch-atheistisch-deterministisch orientiert betrachten will, die Geisteswissenschaft hingegen als spiritualistisch-freiheitlich, was sie allerdings bei Weitem derzeit nicht ist, vielleicht aber nur deshalb nicht, weil sie zu stark in den Sog des Materialismus geriet und sich selbst verunglimpfte, als läge beispielsweise das Hauptbeobachtungsfeld der Geisteswissenschaft in der Vergangenheit, weil uns heute der Anschein entstanden ist, es sei eine Haupteigenschaft des Geistes, vergangen zu sein. - So nämlich behandelt die Geisteswissenschaft (insbesondere die Theologie) heute den Geist faktisch und praktisch, obgleich in der Theorie evident sein sollte, dass „Vergangenheit“ auf keinen Fall der eigentliche Ort sein kann, wo man den Geist anzutreffen hoffen kann oder erwarten sollte. Dadurch werden Gegenwart und Zukunft allzu leichtfertig der Naturwissenschaft preisgegeben, als sei die Geisteswissenschaft der Selbst-Auffassung, hier und jetzt nicht mehr „mithalten“ zu können, weil sie geschichtlich „überholt“ wurde - überholt von einer Naturwissenschaft, die prinzipiell zeitlos ist und im Grunde genommen mit Zeit und Geschichte weder etwas zu tun hat noch sich damit auskennt?
So zeichnen sich wiederum zwei mögliche Irrwege oder Erkenntnis-Weichen im Selbsterkenntnisprozess des Menschen ab:
Un-/Sichtbarkeit des forschenden Subjekts in der Wissenschaft
a) fixierte Beobachtung – Pferd „Naturwissenschaft“ - Konstanz-Illusion des Wahrnehmungsfeldes
b) variabler Beobachter - Pferd „Geisteswissenschaft“ – Veränderungs-Spielraum des Wahrnehmungsfeldes
Un-/Bewusste Erkenntnis-Inspiration des forschenden Subjekts
a) Reiter „Widersacher“ - Methodik „sich verbergend“ – Zügel „Determinismus“ - Reittier „Naturwissenschaftler“ – Weltanschauung „Materialismus“ – Existenzsituation: Hoffnungsloses Ausgesteuert sein aus der Natur-Wirklichkeit
b) Reiter „Gott“ – Methodik „sich offenbarend“ – Zügel
„Freiheitspotenz“ – Reittier „Geisteswissenschaftler“ –
Weltanschauung „Spiritualismus“ – Existenzsituation: Erwartung
des Wiedereintretens ins geistige Innere der Natur
Der Naturwissenschaftler übersieht sich selbst als den Ursprung der Wissenschaft, und er übersieht, dass er selbst - als Geistwesen – zugleich auch Inhalt und Ziel der Wissenschaft ist. Er praktiziert also eine „Wissenschaft“, die sich selbst in ihrem ontologischen Wesen verkennt und verfehlt, die somit in sich leerläuft und niemals zum Ziel und Abschluss kommen kann, was dann der Fall ist, wenn das Erkennen immer nur dem Anderen zugewendet bleibt und sich nicht auf sich selbst bezieht. Das naturwissenschaftliche Erkenntnisstreben verfehlt sein Erkenntnisobjekt, seinen Gegenstand, den es in Wahrheit gar nicht frei wählen kann, weil es bereits existenziell in diesen gesetzt ist (als Gegen-Stand). Der (Natur-)Wissenschaftler blickt „nach draußen“, während er „auf sich selbst“ sehen sollte, dorthin also, wo das Wissenschaftsproblem als solches überhaupt erst aufgetreten ist und wo es folglich auch gelöst werden muss. Denn folgendes Spontan- oder Naiv-Urteil (des Common Sense) ist schlicht ein Irrtum: „Mich selbst kenne ich schon, nun bleibt mir nur noch, das Andere zu erkennen.“
Die Irrtümlichkeit dieses letzten Satzes wird dann plausibel, wenn wir mehr von „Dialektik“ verstehen, das sollte am Ende dieses Kapitels der Fall sein. Wer von Dialektik nichts wissen will, kann dann ja sagen: „Hab ich’s doch gewusst!“ Vielleicht aber wartet er mit diesem Urteil auch bis zum Ende der Gesamtdarstellung, und vielleicht will er es dann ja gar nicht mehr sagen? Es sei denn, er stellt sich ad hoc auf den Standpunkt, keine neue Erfahrung und Erkenntnis mehr tun zu können, denn er sei mit allem, mit dem Ganzen des Seins „bereits durch“ (Stichwort: Aber jetzt bin ich fertig!).
Nun könnte man gegen das Lutherbild immer noch einwenden, es sei heute gängige Grundüberzeugung, dass es subsistierende negative Geisteskräfte „des Bösen“ nicht gibt. Und diesem Einwand kann man wiederum entgegenhalten, dass er nichts gegen die Existenz des besonderen Zügels als solchen beweise. Unser Augenmerk gilt aber hier diesem hypothetischen Geistes-Zügel, an dem der Mensch womöglich zunächst einmal festhängt, den wir aber – im Geiste - noch weiterverfolgen können, nicht dem „Teufel“, jenem hypothetischen zweiten Reiter, der freilich dann und dadurch am stärksten wirken könnte, dass er sich selbst als „nichtexistent“ gäbe oder in Szene setzte, besonders in „aufgeklärten Köpfen“, die „wissen“, dass es Derartiges schlichtweg nicht gibt und nicht geben kann und solches Denken unaufgeklärter Aberglaube sei usw. – Die Argumentation der „Nichtexistenz des Widersachers“ ist also nicht evident, nicht eindeutig und nicht exakt, sondern doppeldeutig, wenn man den menschlichen Geist so ins Auge fasst, wie er faktisch ist: eines Irrtums fähig, den er als solchen nicht beherrscht, sondern von ihm beherrscht wird resp. leicht beherrscht werden kann.
Und der menschliche Geist ist nun einmal der eigentliche und unsichere Boden, auf dem wir tatsächlich stehen, nicht materiell auf Materiellem, und freilich haben wir die Möglichkeit, hier ein dogmatisches oder ideologisches Machtwort zu sprechen, sei es materialistisch, sei es spiritualistisch, nur ist dies dann keine Forschung, keine Wissenschaft, keine Philosophie, keine Erkenntnissuche mehr. Die Setzung eines Machtwortes ist aber auch nur im Materialismus erforderlich (wenn man diese Weltanschauung als wahr behaupten will), denn im Spiritualismus ist zu erwarten, dass der menschliche Geist früher oder später sich selbst in seiner (geistigen Wissenschafts-)Bewegung einholen wird, während der Materialismus äußerlich als ewiger Zweifel bestehen bleiben muss.
Im Spiritualismus ist sozusagen eine ganz besondere Grund-Hypothese gesetzt (der Geist), die das Spezifikum an sich hat, dass sie irgendwann sich selbst als Hypothese bestätigen, einholen und in sich aufheben kann. Dies ist die Besonderheit eines spiritualistisch gedachten Zügels. - Umgekehrt könnte der Materialist seine Grund-Hypothese seiner selbst bestenfalls dadurch „einholen“, dass er sein Bewusstsein verliert und zu einer Partikel unter Partikeln wird…
Man könnte daher gleichsam mathematisch formulieren: Der Materialismus ist eine Weltanschauung resp. Welten-Rechnung, die niemals aufgehen kann, und der Spiritualismus ist eine Weltanschauung resp. Welten-Rechnung, die möglicherweise in sich aufgehen wird, allerdings mit dem „Pferdefuß“ (nämlich für die überzeugten Materialisten), dass, wenn die Spiritualisten aufgegangen sein werden, sie nicht mehr zurückkommen werden, um den Materialisten mitzuteilen: „Übrigens, wir haben Recht behalten. Ihr könnt jetzt nachkommen, wenn ihr wollt, es sei denn, euer Wahrheitsdogma gilt euch mehr als ihr euch selbst…“
Was nun die menschliche Vernunft betrifft, so deute ich Luthers Reittier- und Reitervergleich dahingehend, als gäbe es nur genau zwei Quellen der Erkenntnis:
a) Erkenntnis aus dem Heil (Wahrheitserkenntnis, von „Gott“ inspiriert),
b) Erkenntnis aus dem Unheil bzw. der Sünde bzw. dem Irrtum (Pseudoerkenntnis, vom „Teufel“ oder „Widersacher“ inspiriert),
wobei ich nicht mehr weiß, ob ich diese Unterscheidung von Luther selbst habe oder aus der Sekundärliteratur oder aus mir selbst gefunden. Ich nehme aber an, Luthers teilweise vehementen Äußerungen bzgl. der menschlichen Vernunft beziehen sich nicht auf die Vernunft als solche (hier ist sie ja: reines Vernehmen, Empfangen, wogegen nichts einzuwenden ist), sondern auf eine Vernunft, die das Evangelium zurückweist und sich auf den Standpunkt stellt, sie brauche derlei „höhere Unterstützung“ nicht. Eine solche „Vernunft“ ist freilich Pseudovernunft, weil sie gegen das Evangelium (= Offenbarung, Mitteilung und Manifestation der intellektuellen Hilfsbedürftigkeit des Menschen) einen hybriden Standpunkt einnimmt. Das Evangelium sagt gleichsam: „Mensch, weil dein eigenes Verstehen derzeit nicht ausreicht, denn es ist in ferner Vergangenheit korrumpiert worden, erhältst du von mir eine Denk-Gebrauchsanleitung, damit du in die richtige Richtung - das ist die des Geistes - denken und gehen und leben kannst.“ Die Pseudovernunft aber sagt: „Nein, danke, das brauche ich nicht. Ich will und werde aus mir selbst heraus zurechtkommen. Eine Fremdhilfe erkenne ich nicht an, sondern erkläre sie für „ungültig““ - vgl. hierzu Joh. 16,13:
"Wenn aber jener
kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze
Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich
selbst heraus reden, sondern er wird sagen, was er hört, und
euch verkünden, was kommen wird." (Einheitsübersetzung von
1980, Herv.v.Verf.)
Einheitsübersetzung
von 1980, online zugänglich über die
Universität Innsbruck, externer Link: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/joh16.html,
abgerufen am 31.07.2024. Ich zitiere die Einheitsübersetzung
von 1980 online mit freundlicher Genehmigung der
Katholischen Bibelanstalt GmbH. - Hinweis: Die
Universität Innsbruck hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass
sich in den nächsten Jahren die URL ändern wird. Sofern ich die
Änderung nicht zeitgerecht nachvollziehe, dürfte der Bibeltext
durch Internetsuche leicht auffindbar sein über Schlagworte:
Einheitsübersetzung - Uni Innsbruck - Theologischer Leseraum -
Quelltext.
Erläuterung: Es geht mir um die erste Vershälfte (siehe Hervorhebung). Ich bevorzuge hier die Einheitsübersetzung von 1980. Zunächst seien diese, die Einheitsübersetzung 2016, die Lutherbibel 2017 und das Novum Testamentum Graece (NA28) nebeneinandergestellt. Danach gebe ich meine Begründung.
ὅταν δὲ ἔλθῃ ἐκεῖνος, τὸ πνεῦμα
τῆς ἀληθείας, ὁδηγήσει ὑμᾶς ἐν τῇ ἀληθείᾳ
πάσῃ· οὐ γὰρ λαλήσει ἀφ’ ἑαυτοῦ, ἀλλ’ ὅσα ἀκούσει
λαλήσει καὶ τὰ ἐρχόμενα ἀναγγελεῖ ὑμῖν. (NA28,
Herv.v.Verf.)
Griechische Textgrundlage:
Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, 28.,
revidierte Auflage, hg. v. Barbara und Kurt Aland, Johannes
Karavidopoulos, Carlo M. Martini und Bruce M. Metzger in
Zusammenarbeit mit dem Institut für Neutestamentliche
Textforschung, Münster, © 2012 Deutsche
Bibelgesellschaft, Stuttgart - externer Link: https://www.die-bibel.de/bibel/NA28/2TH.2,
abgerufen am 27.06.2024.
"Wenn aber jener kommt, der Geist
der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit
leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden,
sondern er wird reden, was er hört, und euch verkünden, was
kommen wird." (Einheitsübersetzung 2016,
Herv.v.Verf.)
"Wenn aber jener kommt, der Geist
der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten.
Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören
wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch
verkündigen." (Lutherbibel 2017, Herv.v.Verf.)
Einheitsübersetzung
© 2016 der Katholischen Bibelanstalt
GmbH und Lutherbibel, revidiert 2017,
© 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart,
externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Johannes16,
abgerufen am 04.07.2024.
Begründung: Meine
Bevorzugung der Einheitsübersetzung von 1980 beruht nicht auf
dem griechischen Wortlaut, sondern auf einer philosophischen
bzw. sprachlichen Betrachtung der Sache.
Nach der platonischen Philosophie befindet sich der Mensch
grundsätzlich "im Irrtum", nach dem christlichen Glauben
befindet er sich "in der Sünde", und beide stimmen darin
überein, dass die (gegenwärtige) Existenzsituation des
Menschen eine Verkehrung des Seins darstelle. Im
Höhlengleichnis gibt Platon uns ein anschauliches Bild davon,
dass der Mensch einen langen, beschwerlichen Weg zu gehen habe,
um ans Licht des Tages resp. zur Wahrheit gelangen zu können.
Im christlichen Glauben ist ein analoges Bild vorhanden, wenn
Jesus etwa im Johannesevangelium formuliert: "Ich bin der Weg,
die Wahrheit und das Leben" (Joh. 14,6), und es ist auch ein
spezifischer Glaubens-Terminus, dass die Jünger (und Gläubigen)
zur "Nachfolge" aufgerufen sind.
Leider ist aber im christlichen Wegstrecken-Bild die
Räumlichkeit des zu gehenden Weges ziemlich blass,
wodurch dann auch das Bewusstsein von einer (größeren)
"Wegstrecke" nicht deutlich ausgeprägt oder sogar gar
nicht gegeben ist. Man könnte es sich damit erklären, dass im
christlichen Bild der Zeitfaktor in den Vordergrund
gerückt ist, gegenüber dem Raumfaktor im platonischen Bild. Und
bei Platon ist auch kein Zeitbewusstsein erkennbar, und es
bleibt sogar unklar, ob das Höhlendasein gleichsam die "ewige
Existensituation des Menschen" darstelle. Im Christentum ist
die Nichtewigkeit und Zeitlichkeit klargelegt: Erst durch die
Sündenverstrickung gelangte der Mensch in seine
Verkehrungssituation, und sehen wir uns das NT näher an, so
wird die Zeit als ein kritischer Faktor überdeutlich,
leicht erkennbar an christlichen Termini wie "Endzeit" oder
"Erntezeit".
Nun ist aber der Mensch ein sinnlich-leibliches Wesen, das
selbst Raum einnimmt und eine Orientierung im Raume auch haben
muss; tagtäglich geht jeder Mensch viele Wege. Dadurch ist aber
unsere gesamte Wahrnehmung "verräumlicht", auch unser
Vorstellen und Denken. Und nicht nur der "Normalmensch" ist
hiervon betroffen, sondern auch der "Wissenschaftler", wie wir
im zweiten Menüpunkt unter Abschnitt 10 bemerken konnten:
Möglicherweise ist das Denken unserer Wissenschaft
"geozentrisch" geblieben, indem selbst die Wissenschaft
"schwerkraftbezogen" vorgestellt ist: Sie braucht ein
(Prämissen-)Fundament, auf welchem sie (sich selbst)
aufbaut.
Wir können dies auch in unsere eigene Sprache hinein verfolgen,
indem Neuerkenntnisse, die in der Wissenschaft gefunden werden,
"Entdeckungen" genannt werden. Wenn aber etwas ent-deckt werden
kann, dann muss es zuvor doch ver-deckt gewesen sein?
Es scheint mir daher außerordentlich wichtig zu sein dort, wo
es sich um ein Erkennen (oder auch Belehrt werden) handelt, das
zunächst einmal vorliegende "Getrennt sein von der
Wahrheit" im Sprachbild aufrecht zu erhalten. Und genau
dies macht die Einheitsübersetzung von 1980, indem sie das
Raumbild in der Formulierung bewahrt: in die ganze
Wahrheit (hinein-)führen.
Die andere Formulierung des In-der-Wahrheit-Leitens, das sowohl
die spätere Einheitsübersetzung als auch die Lutherbibel
gebrauchen, verwischt uns diese zu nehmende "Raum"-Hürde, als
wäre die Wahrheit eine Ansammlung von Dingen, die uns
bereits vorliegen wie Gebrauchsgegenstände und die wir
lediglich noch zur Hand nehmen müssen. Dieses Bild ist
auch dadurch falsch, dass der Paraklet oder Beistands-Geist
eine grundsätzliche Wandlung oder Veränderung des Menschen in
seiner Geistigkeit vornehmen kann, will und soll. Er soll
zuletzt den Menschen aus der Verkehrung des Seins
herausführen - und so ist ein weiterer zentraler
christlicher Terminus derjenige der "Um-kehr".
Der Terminus "in der Wahrheit leiten" erweckt den Anschein, als
sei die Wahrheit ein schon Vorliegendes, der Terminus "in die
Wahrheit führen" lässt die grundsätzliche Sündersituation des
Menschen noch erkennen: Ich bin noch getrennt von der Wahrheit,
ich bin noch in einer Verkehrung, und das, was der Geist mit
mir machen will und soll, ist, mich umzukehren, heraus aus
meiner Verkehrung - zur Wahrheit hin und mich in meiner
Existenz in sie hinein, damit ich "in ihr bin", nicht mehr
außer ihr.
Angemerkt sei noch, dass Heidegger feststellte, das griechische
Wort aletheia (Wahrheit) sei abgeleitet aus a-letheia = das
Un-verborgene. Der Geist will uns also in die "Unverborgenheit
der Wahrheit" führen, aus der Situation heraus, in der wir uns
befinden und in der für uns die Wahrheit ein zunächst einmal
Verborgenes resp. Un-entdecktes ist. - Und wir könnten uns auch einmal die
Frage stellen: Wo befinden wir uns oder wie
sind wir denn eigentlich, wenn uns
Wissenschaft (Entdecken, Erkennen) möglich
ist? Ist sie nicht - nur dadurch möglich, dass die Wahrheit
nicht da ist? Oder kehren wir unsere Betrachtungsweise
besser um: ...nur dadurch möglich, dass wir selbst nicht
dort sind, wo die Wahrheit ist?
Diese Unterscheidung zwischen Vernunft und Pseudovernunft hätte nun einen sehr guten Platz in Luthers Reittiervergleich gehabt, um auch die Reiter entsprechend zu differenzieren und zu qualifizieren. Allein – Luther macht sie nicht (m.E., ich habe das Buch nicht gelesen).
Danach jedenfalls gibt es auch nur zwei Ausrichtungsmöglichkeiten der menschlichen Existenz: die Wahrheit und den Irrtum (= die Pseudowahrheit), wobei Letzteren die Bibel eine „Macht“ (griech. energeia, gemeint ist ein Tun, ein Handeln) nennt (2 Thess. 2,11), vor welcher der Mensch nicht so ohne Weiteres gefeit ist, so dass er besser sich selbst besonders in Acht nehme und ganz besonders selbstkritisch mit sich und dem Seinen verfahre. Er soll nicht dem „Tun des Irrtums“ (NA 28: ἐνέργειαν πλάνης) verfallen, von welchem die Bibel aussagt, es stünde eine geistige Kraft dahinter.
"Darum lässt Gott sie der Macht des Irrtums verfallen, sodass sie der Lüge glauben,..." (2 Thess. 2,11)
Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH und
Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016
Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart,
externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/2.Thessalonicher2,
abgerufen am 01.04.2024.
Vers 11 im Novum Testamentum Graece: "καὶ διὰ τοῦτο πέμπει αὐτοῖς ὁ θεὸς ἐνέργειαν πλάνης εἰς τὸ πιστεῦσαι αὐτοὺς τῷ ψεύδει,..." - externer Link: https://www.bibelwissenschaft.de/bibel/NA28/2TH.2, Quelle: Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, 28., revidierte Auflage, hg. v. Barbara und Kurt Aland, Johannes Karavidopoulos, Carlo M. Martini und Bruce M. Metzger in Zusammenarbeit mit dem Institut für Neutestamentliche Textforschung, Münster, © 2012 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
Wenn wir diese Stelle sozusagen realverständlich in unserer
eigenen Zeit übersetzen wollen, so müssten wir eine
Wendung gebrauchen wie "Wirklichkeits-Anschein", und sinngemäß
lautete der Satz dann: "Die Menschen werden in einen
Wirklichkeits-Anschein hineingeraten, den sie für die echte
Wirklichkeit halten." D.h.: Wir müssen uns Gott als Akteur (ho
theos) aus dem Bibelsatz herausdenken, denn in der
Scheinwirklichkeit ist er ja "nicht mehr da".
- Man kann aus meiner Umformulierung des Satzes auch die
Real-Werdung des platonischen Höhlengleichnisses heute
erkennen.
Anders formuliert: Der Mensch kann sich in seiner Existenz auf den „Geist“ ausrichten. Dann muss er konsequenterweise einen kosmischen Spiritualismus leben:
„Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ (Joh. 4,24)
Lutherbibel,
revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft,
Stuttgart, und Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH,
externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes4,
abgerufen am 01.04.2024.
Dieser biblische Satz ist keine leere Floskel, sondern er spezifiziert die richtige Gottesauffassung. Gott muss als Geistwesen ins Auge gefasst werden, und entsprechend muss der Mensch sich selbst als Geistwesen ins Auge fassen, damit die re-ligio auf die rechte Bahn und gleiche Ebene kommt, um irgendwann in die neue ligio des Reichs Gottes resp. des Reichs des Geistes übergehen zu können.
Alternativ kann der Mensch sich auch auf die „Materie“ ausrichten. Dann muss er konsequenterweise einen kosmischen Materialismus leben. Und dass der den Materialismus inspirierende Widersacher auch ein Geistwesen ist, ist nun kein Widerspruch, sondern logische Konsequenz, denn sein Anliegen ist es ja, sich verborgen zu halten und zu täuschen. Und wie und wo hält er sich verborgen? In der dem Menschen eingeflüsterten (= unterbewusst suggerierten) Hypothese seiner Nichtexistenz, die dann hier unten auf der Erde resp. im menschlichen Bewusstsein als „Glaube an die Materie“ herauskommt, der mit ungeheurer Sog- und Überzeugungskraft wirkt. …als sei dieser unsichtbare Zügel besonders straff angezogen…
Gehen wir der Luther’schen Hypothese vom unfreien Willen des Menschen noch näher nach. Es erscheint mir plausibler anzunehmen, der Zugriff auf den Menschen erfolge gleichzeitig von beiden Seiten, von Gott und vom Widersacher her, nicht wahlweise den einen so, den andern so betreffend. Und wir müssen diese Verhältnisse ins Große und Gesellschaftliche ausziehen, wodurch die Lebenssituation des Menschen und der Menschheit eine solche ist, beständig hin- und her gezerrt zu werden zwischen Materialismus und Spiritualismus. Im Augenblick hat der Materialismus die klare Oberhand, und es scheint, als könne sich die Menschheit daraus nicht wieder befreien.
Beide Zugriffsarten unterscheiden sich aber in der Methodik, und das ist die große Frage, ob der Mensch diesen Zugriffen hilflos ausgeliefert sei oder ob er eigene Handlungsmöglichkeiten besitze. Außerdem trifft das Wort „ausgeliefert sein“ hinsichtlich der Gottesseite nicht zu, wenn seine Herangehensweise an den Menschen gerade dessen Freiheit bezweckt, ihm also förderlich ist und nicht hinderlich, so dass hier ein anderes Verb zu suchen ist:
a) Inspirationen des Widersachers mit der Intention eines Ausgeliefert seins des Menschen
b) Inspirationen Gottes mit der Intention eines Empfänglich seins des Menschen
Anders formuliert: Wo sich der Mensch für den Widersacher empfänglich macht, wird er für Gott unempfänglich, und umgekehrt.
Luther lässt dies in seiner Formulierung ja offen, indem er nur formal sagt „wohin Gott will“ und „wohin der Satan will“. Wenn wir aber die Geistintention der Bibel deutlich sehen können und geistesgeschichtlich material berücksichtigen, dann hätte Luther sich doch viel klarer äußern können, indem er feststellt, der Widersacher bezwecke den Materialismus, in welchem sowohl Gott als auch er selbst „verschwunden“ sind, Gott hingegen bezwecke den Spiritualismus, in welchem umgekehrt er selbst und auch der Widersacher „offenbar“ sind. Der Widersacher beabsichtigt Heimlichkeit, will hinters Licht führen, Gott beabsichtigt Offenbarkeit, Aufrichtigkeit, will ins Licht führen.
Und wenn Luther dies nicht getan hat, dann wohl deshalb, weil die „Stunde des Materialismus“ noch nicht gekommen war, so dass beide diametralen Zielrichtungen als solche noch nicht in der Deutlichkeit und Schärfe sichtbar waren, in der sie es heute sind resp. sein könnten. So dass wir sagen können: Luther formuliert den Sachverhalt genau so klar, wie es seine eigene Zeit eben zuließ.
Wenn wir eine wechselseitige „Empfänglichkeit“ und „Unempfänglichkeit“ unterschieden haben, so ist nun – gegen Luther oder über ihn hinaus - die Frage der Verursachung oder Verantwortung zu stellen: Ist denn der Mensch hier einfach „Opfer“, so dass er nichts dafür kann für seine Empfänglichkeit einerseits, Unempfänglichkeit anderseits? Oder entscheidet er doch selbst darüber, so dass er hier ganz klar „Täter“ genannt werden muss?
Betroffen ist der Mensch hier in seinem Vernunftvermögen, das – jetzt weltanschaulich gesehen – in der einen oder andern Richtung empfänglich oder verschlossen sein kann, oder genauer: beides zugleich ist. Der Materialist ist sowohl für den Materialismus offen als auch für den Spiritualismus verschlossen, der Spiritualist umgekehrt. Und wodurch werden beide solche, nämlich „Materialist“ oder „Spiritualist“? Durch ihr eigenes weltanschauliches Urteil, die Wahrheit des Seins sei entweder in der einen oder in der anderen Richtung zu finden. Dieses ihr Urteil ist ihre Tat, und sollte das Urteil falsch sein, so sind sie eben nicht nur Täter, sondern zugleich auch Opfer: Opfer ihrer eigenen Tat resp. ihres eigenen (Fehl-)Urteils.
Und was sagt der (kluge, gewitzte, versierte, durchtriebene) Philosoph dazu? Der Philosoph ist ein notorischer Zweifler, der sich nicht entscheiden kann, aber nicht deshalb, weil er unentschlossen wäre, sondern eher umgekehrt, weil er entschlossener ist als die beiden Anderen, wenn sie sich aus ihrem Gutdünken heraus für die eine oder andre Weltanschauung entschieden haben, weshalb er sich deshalb philosophisch sagt: Ich verzögere mein Urteil, verzichte auf eine vorschnelle „Fixierung des Seins“, weil ich nicht die Gefangennahme meiner selbst durch mich selbst riskieren möchte. Und je länger ich diese Verzögerung durchhalte, desto mehr Erkenntnismomente oder Wahrheitsaspekte werde ich in meinem letztendlich resultierenden Urteil berücksichtigen können, in Rücksichtnahme darauf, der Mensch sei ein dauerhaft lernfähiges, Erkenntnisse aufnehmen könnendes Wesen. - Folglich muss er die Alternative „Materialismus oder Spiritualismus“ offenhalten, um nach und nach immer klarer sehen zu können. Er muss also beide möglichen Positionen weiterverfolgen und vielleicht auch zusammenhalten, denn sie könnten in ihrer Widersprüchlichkeit letztlich sogar zusammengehören (wie in der Gegenüberstellung bereits sichtbar geworden ist).
Zum Beispiel könnte der Geist das Wesen des Universums sein, und das eigentliche Tun des Geistes ist „Erkennen“. Wenn nun Erkennen auch für die Existenz des Menschen das Wesentliche und Richtige ist, so ist Verkennen das Falsche. Und wenn sich das Richtige als solches existenziell bewahrheiten soll, dann könnte auch die Existenz des Falschen erforderlich sein, sozusagen als Hintergrund- oder Negativfolie, vor welcher das Wahre als solches zum Vorschein kommen kann. Dann bräuchte das Sein nicht nur eine Gottes-Seite, sondern auch eine Widersacher-Seite usw.
Die Verantwortung oder Verursachung liegt also in der Vernunft, einer Instanz des Menschen, die gewiss vielfach beeinflussbar ist, vielleicht aber auch die Potenz in sich trägt, über ihre Beeinflussung selbst zu entscheiden, d.h. steuernd einzugreifen, wovon sie sich beeinflussen lassen möchte und wovon nicht.
Wir wollen nun unsere Aufmerksamkeit verlagern, weg von allen möglichen Beeinflussungen des menschlichen Willens (von außen), auch allen eventuellen Implikationen seitens eines „Transzendenten“ (wie „Gott“ und „Widersacher“) und versuchen, in den menschlichen Willen selbst hineinzusehen, so, wie er sich von sich her zeigt. Sinn und Zweck soll sein, eine „interne Prüfung“ (Bestandsaufnahme, Revision) vorzunehmen, ob die menschliche Vernunft – als mutmaßliche Souveränitäts-Instanz des Menschen – in diesen Willen - ihn verfälschend oder abwürgend - „irgendwie hineinmischt“, ohne dass wir uns dessen bislang bewusst geworden wären?
Angemerkt sei noch, dass wir offenbar die ursprüngliche Fragestellung dieses Unterabschnittes aus dem Auge verloren haben: „Ist die Geisteswissenschaft die unbedarfte Stiefschwester der im Leben stehenden Naturwissenschaft?“ Aber irgendwie hat sich ihre Dringlichkeit verloren. Denn die Befürchtung, die Geisteswissenschaft sei unbedarft, hat sich ein gutes Stück verflüchtigt. Und dass sie die Mitte des Lebens bestenfalls peripher streife, während die Naturwissenschaft sie voll und ganz im Blick hätte, muss auch nicht mehr unsere Sorge sein. Wir lassen die Frage einfach links liegen, wie eine verwaiste Fragestellung oder ein Kleid des Geistes, das nicht mehr passt, und marschieren in der eingeschlagenen Richtung weiter. Soll sich doch mit ihrer möglichen Unbedarftheit aufhalten und beschäftigen, wer immer will...
11. Liegt eine „Idee unserer selbst“ in uns, die wir annehmen müssen und zugleich nicht können?
a) Die Vergänglichkeit des Seins und unser Wille zu bleiben
Wir sind heute ins Werden, in Raum und Zeit eingegangen. Wir sind eine globale Menschenwelt geworden, haben aber – mit der Expansion über die Erde – zugleich die komplette Sinnlichkeit durchschritten, mehr oder weniger, denn mit der Erforschung unseres Globus‘ ging die Erforschung der Weiten des Kosmos einher. Beides gehört zur Eroberung des Raumes und des Sichtbar-Physischen. Wir sind damit an ein Ende gelangt - Durchschreiten der Sphäre der Sinnlichkeit -, wobei das geozentrische (und heliozentrische) Weltbild zu Fall kamen, aber auch das ursprüngliche platonische Höhlengleichnis. Denn es gibt keinen unsichtbar-geistigen „Außenbereich“, kein Empyreum, wie lange Zeit angenommen worden war, sondern die Sinnlichkeit erstreckt sich über den kompletten Raum.
Und wir haben dies als Beweis der Nichtexistenz einer Geistwelt genommen, wiewohl damit nur festgestellt ist, dass es keine räumlich abgetrennte Geistwelt neben oder hinter (= nach = meta) der Sinnenwelt gibt.
Dies kann nämlich auch als ein positives Ergebnis unserer Geistesgeschichte gewertet werden: Es ist ja nur das Entweder, dass gar nichts geistdurchwirkt sei, daneben bleibt das Oder: Alles ist geistdurchwirkt, also auch die Sinnlichkeit. Aber wir neigen heute zu Ersterem, denn wir haben heute kein Verbindungs- oder Verbundenheitsempfinden mehr. Also – so ist die Schlussfolgerung – gibt es schlechterdings keine Verbindung, und mehr noch: Es gibt nicht nur keine Verbindung, sondern es gibt diese Geistwelt selbst überhaupt nicht, mit der man sich verbinden oder an die man sich wieder anbinden könnte (re-ligio) – so ist die geistesgeschichtlich zunächst einmal überwältigende Schlussfolgerung im materialistischen Denken resp. in der Gegenwart.
Folglich mussten auch Religion und Glaube an Gott und eine Geistwelt destruiert werden. Und folgerichtig wurden in der Religionskritik des 18. und 19. Jahrhunderts innermenschliche Ursachen, seelische und existenzielle Bedürfnisse des Menschen als Herkunft des Gottes- und Geistweltglaubens benannt, was „Gott“ und „die Geistwelt“ nun im Bereich der menschlichen Phantasie und Illusion verortet, als Einbildungen, Wunschvorstellungen, Realitätsflüchte.
Und als letzte und oberste Ursache der Religiosität müssen wir wohl das Todesproblem des Menschen ins Auge fassen, welches grundsätzlich einmal das allergrößte Lebensproblem ist – warum?
Weil wir als Lebewesen auch einen Lebenswillen haben, und weil dieser Lebenswille ein irrealer, ein an eine Welt des Werdens und Vergehens nicht angepasster Wille ist. Würde nämlich sein Lebenswille in die Natur, wie wir sie kennen und erleben, einstimmen, so müsste der Mensch sich sagen (können): „Ich will zuerst werden, dann eine Weile bleiben und dann aber wieder gehen – so befinde ich mich im Einklang mit der Natur.“ Dies scheint eine naturgemäße, der Wirklichkeit entsprechende und daher vernünftige Lebenseinstellung zu sein.
In Wahrheit (das muss jetzt heißen: menschlich-innerlich gesehen) ist es aber so, dass uns eine solche Lebenseinstellung absurd, irreal, ja unvernünftig erscheint, so dass wir auch hier wieder auf die Fragestellung eines Verkehrt seins unserer Vernunft stoßen. Denn wir tragen eine Idee in uns, die besagt: „Leben“ muss „bleiben“. Wenn ich formuliere: „Ich will sein“, so meine ich damit zugleich „Ich will bleiben“. Die Natur aber, wie wir sie kennengelernt haben und kennen, sagt dazu: „Das geht nicht. Dein Wille ist irreal. Du bist unvernünftig. Bist du sicher, dass du ein animal rationale bist?“
Die Religionskritiker nun wollen endlich die Konsequenz ziehen, und näher besehen ist es der Wille zur Wahrheit und zur Realität, der sie antreibt: Keine Ausflüchte mehr, kein Selbstbetrug, sondern reine, pure Realitätsanerkennung. Sie liegen damit exakt auf der Linie der Philosophie und Wissenschaft, die dasselbe wollen.
Und nun wollen wir zusehen, was passiert, wenn der natürliche Lebenswille und der künstlich gefasste Wahrheitswille im Menschen aufeinandertreffen, sich begegnen…
Oder haben wir diese „Begegnung“ mit unserer knappen, der Natur selbst in den Mund gelegten Ausführung etwa bereits erschöpfend erfasst?
Vielleicht aber doch noch nicht, weil man auch hier nochmals das eigene Urteil philosophisch verzögern müsste, falls wir uns bereits - versehentlich - in irgendein unbewusst gelassenes Schlussverfahren hineinbegeben hätten, das uns selbstverständlich erscheint, obwohl es – näher besehen - zweideutig und hinterfragbar ist?
b) Ist unser Lebenswille unvernünftig?
Sehen wir uns diesen natürlichen Lebenswillen näher an, so erweist er sich als ein materialer Wille. Denn ein Etwas ist gewollt, nämlich: ewiges Leben. Es ist, als sei dieser Lebenswille sozusagen in sich selbst oder von sich selbst her „der Auffassung“, die Ewigkeit gehöre dem Leben natürlicherweise an. Wenn wir auch sonst nichts sicher wissen – dieses eine Wissen behaupten wir a priori: „Leben hat ewig zu sein!“ – Es ist wie eine Realitätsanforderung, die wir an das Sein stellen. Aber: …Woher wissen wir das? Nun, wir wissen dies… aus uns selbst heraus! Eine andere Begründung können wir nicht geben, weil wir hier kein klares, durchsichtiges „Wissen“ haben, nur unser „Votum“, das irgendwie… einfach… da ist… irgendwo in uns…
Im Umkehrschluss folgt daraus: „Endliches Leben muss eine Verkehrung des Lebens sein.“ Und wenn wir diese Schlusskette unseres „Votums“ weiter ausziehen, erleben wir eine Überraschung, denn es kommt ein Satz wie der folgende dabei heraus: „Unsere Wirklichkeit und Welt muss eine Verkehrung des Seins sein.“ Und für ein animal rationale, für ein erkennendes Wesen wie den Menschen folgen die weitergehenden Schlüsse daraus: „Auch unsere Wirklichkeitswahrnehmung muss verkehrt sein, denn diese Wirklichkeit selbst ist ja verkehrt. Also müssen wir unsere Wahrnehmung sozusagen herumwenden, um die wahre Wirklichkeit überhaupt erst zu Gesicht zu bekommen…“
…?
Was ist das aber, was so resultiert - „Verkehrung der Wirklichkeit“ und „Notwendigkeit der Herumwendung unseres Geistes“? Ist das nicht die platonische Philosophie!? Platon hat das so nicht gelehrt, aber es scheint, als könne die platonische Philosophie direkt aus unserem Lebenswillen abgeleitet werden.
Wir könnten daher nun den Versuch machen, diesen „natürlichen Lebenswillen“ in eine platonische Form zu bringen, d.h. in eine platonische Idee umzugießen.
Wir finden in uns den Lebenswillen vor. Um uns diesen so richtig bewusst zu machen, müssen wir ihn uns in die Theorie heraussetzen. Der Lebenswille fordert gleichsam „Ich will sein – ich will bleiben.“ Geben wir diesem Willen nun einmal „Vernunftraum“, anstatt ihn vorschnell und einseitig – in einem Kurzschlussverfahren – für irreal und illusorisch zu erklären, so müssen wir aus ihm eine „Idee des Seins“ ableiten. Es ist eine solche Idee, die traditionell mit dem Terminus „Gott“ benannt wird. In Gott allein ist die Idee des Seins realisiert: Ewigkeit des Lebens. Alle sonstigen Seinsformen müssen dieser einen gegenüber als defizitär oder als uneigentlich betrachtet werden.
Nun wissen wir zwar nicht, ob es diese (erschlossene) Seinsform „Gott“ gibt, wir wissen aber, dass es sonstige Seinsformen gibt, wir sind nämlich selbst eine solche. Wir wissen auch, dass die „Idee des Seins“ in Welt und Natur, soweit unser Auge (mit technischer Verlängerung) reicht, nirgends zu finden ist, nirgends realisiert ist. Die Idee widerspricht der Welt und Natur, wie wir sie kennen. Und damit können wir sagen: Endliches Leben oder endliches Sein ist ein Widerspruch in sich. Und da wir wissen, dass endliches Sein nun einmal existiert, denn wir sind ja selbst ein solches, können wir auch sagen: In der Form der Endlichkeit existiert das Sein in Widerspruch zu sich selbst. Hierbei wissen wir nicht, ob es „das Sein“ wirklich gibt, wir wissen aber, wie es beschaffen sein müsste, wenn es Realität hätte: Ewigkeit des Lebens.
Der Mensch ist somit ein zum Leben erweckter Widerspruch des Lebens in sich selbst, denn er ist dasjenige unter allen (sichtbaren) Lebewesen, das seiner eigenen Endlichkeit, seinem eigenen Tod bewusst widersprechen kann, ohne schon mit dem Tod konfrontiert zu sein, wie etwa das Tier im unmittelbaren Kampf ums Überleben.
Und diese „Widersprüchlichkeit“ muss nun irgendwie „gelöst“ werden, zumindest sollte ein vernunftvolles Lebewesen eine Lösung und Erklärung versuchen und den Widerspruch nicht einfach ungedacht hinnehmen und bestehen lassen und aus diesem Nichtverstehen heraus sein Leben gedankenlos vollziehen, wie es das Tier tun muss.
c) Wir haben eine doppelte, in sich widersprüchliche Wirklichkeitsausrichtung
Prinzipiell scheint dieser Widerspruch des endlichen Lebens in sich von zwei Seiten her auflösbar zu sein. Einmal von außen, das ist unsere sinnlich-leiblich-physische Wahrnehmung des Kosmos. Danach ist die Endlichkeit real und das Reale. Also – dies ist jetzt die Auflösung - muss die Idee des Seins als „irreal“ identifiziert und aufgegeben werden. - Das war ja unser unbewusstes Schlussverfahren gewesen, das wir der Natur in den Mund legten, weil es uns als eindeutig, als einzig möglich erschien.
Aber: Denselben Widerspruch könnten wir auch von innen her auflösen, aus unserer Innenwahrnehmung heraus, die aber kein rechtes „Wahrnehmen“ zu sein scheint, weshalb wir es auch nur ein bloßes „Votum“ nennen konnten: Das „Wissen“, dass Sein anzudauern habe, haben wir… irgendwie… aus uns selbst heraus…
Nun wollen wir dieses „apriorische Votum“, na gut, „angebliche Evidenz-Wissen“, welchem wir im gewohnten, auch dem Common Sense geläufigen Kurzschlussverfahren oder Standgericht sehr schnell den Urteils-Prozess machen, indem wir es leichtfertig preisgegeben und sozusagen als „Evidenz-Täuschung“ oder „Wissens-Abfall“ wegwerfen; nun wollen wir es einmal in der philosophischen Urteilsverzögerung „ein bisschen aushalten“, also versuchsweise annehmen und „in sich ausziehen“, explizieren, und hierzu müssen wir es uns aber „in unsere Vernunft, unser Verstehen hinein“ richtig „übersetzen“.
Danach sollte oder müsste die Dauerhaftigkeit und Ewigkeit real sein, sie ist – dies sei die Setzung - die eigentliche „Realität des Lebens“, und folglich müssten wir unsere Wirklichkeit als „irreal“ identifizieren und unsere Wirklichkeitswahrnehmung als falsch und vorläufig ansehen.
Diese zweite Widerspruchsauflösung entspricht der platonischen Philosophie, die aus Common Sense-Sicht absurd erscheint, wobei dann trotzdem noch – platonisch intern - offenbleibt, warum sich unsere Wirklichkeit überhaupt in einer Verkehrung befinden solle und wie sie in die Unverkehrung zurückkehren könne? M.W. hat sich Platon niemals darüber geäußert, warum sich der Mensch in einem bloßen Höhlendasein befinden solle, und wie er hineingeraten sei.
Erst das Christentum vermag dann diese platonischen Aporien aufzulösen: Der Mensch geriet in die Sünde, und so kam er in die Verkehrung des Seins. Und dadurch wurde uns Menschen unser wahres Wir korrumpiert. Und dadurch wurde das Evangelium notwendig, wenn anders der Mensch (also die Lebensebene "Mensch-sein") als kosmisch wahrhaftige Lebensform nicht einfach verloren gehen sollte.
Gegen Ende des letzten Unterabschnitts über unsere Misere-Situation haben wir diese Verkehrungs-Frage bereits angeschnitten und in Zusammenhang damit gebracht, dass die (mögliche) dialektische Wirklichkeitsumkehrung „Spiritualismus -> Materialismus -> Spiritualismus“ mit einer möglichen Wesensentwicklung des Menschen verbunden sei: unbewusst – bewusst – überbewusst. Und insgesamt könnte es hierbei – so war unsere Idee - um die Entwicklung einer Selbstständigkeit des Menschen gehen, die jeweils nur individuell abgeschlossen und vollendet werden kann, weil kein Kollektiv in den individuellen Geist hineinzureden hat, sondern dieser die alleinige Berechtigung und zugleich Aufgabe als Geistwesen hat,
- sich selbst im Sein auszurichten bzw.
- sich selbst im eigenen Urteil (= Eigenurteil über sich selbst) zu richten.
Dies ist die ernsthafte Lebensaufgabe und Potenz eines Geistwesens, auch eines animal rationale, kein Scherz, kein Spiel und Spaß, sondern eine universale Urteilsmacht, die jedem einzelnen Menschen gegeben ist, wie gut oder wie schlecht auch immer er mit dieser seiner Universalmacht umgehen kann, die also grundsätzlich viel zu groß und schwerwiegend für den Einzelnen sein könnte, so dass er sie schwerlich wird adäquat handhaben können, gelingt es doch schon unseren Philosophen und Wissenschaftlern nicht, den rechten Maßstab der Wahrheit und Wirklichkeit zu finden.
Dies also sind die beiden Auflösungsmöglichkeiten des im Irdischen erscheinenden „Widerspruches des Seins in sich“:
a) Lösung vom Außen her: Vergänglichkeit und Tod sind das Wahre -> die Idee des Seins ist Schein
b) Lösung vom Innen her: Die Idee des Seins ist wahr -> Vergänglichkeit und Tod sind Schein
Letzteres scheint auf den ersten Blick unmöglich zu sein, auf den zweiten und dritten Blick aber vielleicht doch möglich? Nur müssten wir dann mancherlei Grundüberzeugungen fahren lassen, wie z.B. „Das Leben des Menschen liegt beschlossen zwischen seiner Geburt und seinem Tod“ – ein Urteil, das unter anderem dadurch zustande kommt, dass wir durch unsere physische Leiblichkeit vergänglich sind, vielleicht aber auch nur: einen vergänglichen Teil an uns tragen, mit welchem wir uns „vorschnell“ identifizieren, somit eins geworden sind, soll heißen: uns selbst als eins gesetzt haben und vielleicht: fälschlicherweise? Denn diejenigen, die von einer Reinkarnation des menschlichen Lebens überzeugt sind (so auch Lessing in seiner EdM), sehen dies zumindest etwas anders, so dass unsere leibliche Selbstwahrnehmung als einer einmaligen, unersetzlichen Einheit durchaus nicht zwingend, nicht selbsterklärlich, nicht für Menschen ganz allgemein evident sein kann. Sie ist uns (der westlichen Welt Angehörigen) lediglich anerzogen oder angewohnt worden – und schon halten wir sie für wahr und evident, so wie die Anderen (der östlichen Welt Angehörigen) ihr Anderes auch…?
Genau genommen „wissen“ wir um unser Eingeschlossen sein zwischen genau einer Geburt und genau einem Tod nur aufgrund unserer Außenwahrnehmung. Und ganz genau genommen sogar nicht einmal das, denn keiner sieht sich selbst sterben (zumindest haben wir keine Mitteilung darüber), wir sehen immer nur Andere sterben (weil der Moment des eigenen Todes für die Zeitgenossen und Hinterbliebenen noch in deren Zukunft liegt). Wir sehen, wie Leiblichkeit vergeht und zerfällt, wir können aber nicht entscheiden, ob mit dem Leibestod das Leben dieses Menschen erlischt oder ob es – als ein innerlich Subsistierendes - entweicht zu einer anderen „Örtlichkeit“, so dass der physische Leib eigentlich als ein vorübergehendes Werkzeug oder eine Hülle anzusehen wäre und der Mensch aus verschiedenen Leiblichkeits-Schichten bestünde, von welchen die physische Leiblichkeit das Selbst gar nicht enthält, sondern nur von uns fälschlich darauf bezogen wird.
Dann hätte der Mensch (in manchen, auch unseren Gesellschaften) über Jahrhunderte und Jahrtausende den Vernunft- oder Vernehmens-Fehler erlernt oder übernommen, sich selbst mit seiner, im Hier und Jetzt erscheinenden physischen Leiblichkeit zu identifizieren, d.h. sich selbst möglicherweise eine irdisch eingeschränkte Identität zuzuschreiben, die einer umfassenderen kosmischen Wahrheit seiner selbst überhaupt nicht entspricht, so dass er umfassendere Dinge und Seinszusammenhänge, die zu ihm gehören, gar nicht zu sich rechnet, sich selbst also verkürzt?
Man könnte dann sagen, der Mensch sei sich im Verlaufe seiner Geschichte „physisch zu nahe gekommen“, oder sein Seelisch-Geistiges habe sich allzu weit ins Physische hineinbegeben, so dass dieses Seelisch-Geistige, dessen Mittelpunkt heute unser Ich-Bewusstsein ist, seine eigene unsichtbare Subsistenz „vergessen und übersehen gelernt“ hätte, als sei eine solche gar nicht vorhanden.
Und wir können uns fragen, ob hier ein tieferer Sinn dessen liegt, was in der Religion „Erbsünde“ genannt wird: die eigene falsche Identitätssetzung, die generationenweise als wahr weitergegeben wird – die physisch-materiell-endliche Selbst-Missdeutung eines subsistierenden, vielleicht ewigen Geist-Wesens?
Eine weitere Grundüberzeugung ist: „Hier ist der Mensch, Ich, endlich, dort ist Gott, unendlich. Beides geht nicht zusammen.“ Die „Idee des Seins“ legt aber den Schluss nahe, das „eigentliche Zuhause“ – auch des Menschen - liege in der Ewigkeit des Lebens, also außer sich in seiner gegenwärtigen Endlichkeitserfahrung. Und diese „Hürde“ versucht der Mensch in einem kosmischen Kurzschlussverfahren zu nehmen, indem er sich - im religiösen Hoffen - aus dem Seinsveränderungs-Prozess, in dem er steht und zu welchem auch sein Tod gehört, kurzerhand herausdenkt und sich in die Ewigkeit Gottes hineinprojiziert, wobei offensichtlich das Problem des Todes, das zum Leben dazu zu gehören scheint, von ihm aus seiner Wirklichkeitswahrnehmung gleichsam herausgenommen, faktisch annulliert wird.
Wie ist das also mit der neuzeitlich selbstverständlich gewordenen „Ich-Gott-Achse“: Ist sie möglicherweise noch gar keine Konstante, als welche wir sie heute aber betrachten, sondern immer noch eine Variable, indem wir selbst immer noch geistesgeschichtlich im Fluss stehen? Lessing behauptet (wir hatten es schon gestreift), die Bibel leite uns
„…auf nähere und bessere Begriffe vom göttlichen Wesen, von unsrer Natur, von unsern Verhältnissen zu Gott…“ (§ 77, EdM),
Externer Link zum Text: G.E. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, §77, Projekt Gutenberg-DE - https://www.projekt-gutenberg.org/lessing/erziehng/erziehn2.html, abgerufen am 19.03.2024
so dass wir nun fragen können, ob alle drei einem Wandel unterliegen:
a) das Ich
b) und Gott
c) und auch die Ich-Gott-Achse?
Die Veränderlichkeit des Ich haben wir uns bereits vor Augen geführt, aber eine „Veränderlichkeit Gottes“? Ist dies nicht ein logischer Widerspruch? Wie sollte sich Gott der Unveränderliche verändern können, und vor allem: wozu?
12. In der Philosophie ist der Tod methodisch in Kauf zu nehmen
a) Kann der Wahrheitswille den Zweifel des Lebenswillens ent-scheiden?
Die Formulierung dieser jetzigen Frage zeigt an, die Philosophie könnte nun an den wunden Punkt ihrer selbst gelangen, zur Ent-Scheidung, zu einer Weg-Gabelung, indem sie ihren eigenen Grund, den in der Einleitung (dieses ABC-Versuchs) behaupteten Wissens-Irrtums-Knäuel erreicht.
Sehen wir uns jetzt also auch den künstlich gefassten, also bedingten Wahrheitswillen näher an. Er ist – im Gegensatz zum Lebenswillen – ein formaler Wille. Er ist ohne inhaltliche Bestimmung, und er muss das auch sein, damit er das sein kann, was er sein will: Wille zur Wahrheit.
Das bedeutet: Wer den formalen Wahrheitswillen wirklich ernsthaft ins Auge fasst, der muss seinen materialen Lebenswillen aufgeben, fahren lassen. Denn Letzterer ist inhaltsbelegt und enthält damit bereits eine Wahrheitsbestimmung in sich: „Die Wahrheit des Seins ist (oder soll sein) das ewige Leben.“
Folglich kann man sagen, Philosophie und Wissenschaft sind nur dann und dadurch wirklich möglich, dass der Mensch sich mit seinem eigenen Tod schon einmal grundsätzlich abgefunden habe. Er muss in sein eigenes Nicht(mehr)sein voll und ganz einwilligen, in seine Eigenauflösung ins Nichts, ansonsten stünde sein Wahrheitswille unter dem Vorbehalt seines Lebenswillens, und damit
a) würde die Wahrheit als Wahrheit nicht ernsthaft gewollt werden,
b) wäre das Wahrheitsstreben als solches unglaubwürdig,
c) wären Wissenschaft und Philosophie als solche zweifelhaft und zwielicht.
Dies muss nun nicht bedeuten, dass man als Philosoph / Wissenschaftler eine stoische Lebenshaltung einnehmen können muss, auch nicht, dass man mit Todesverachtung leben können muss, auch nicht, dass man alle Todesangst abgestreift haben muss.
Man muss aber zumindest prinzipiell, aus der eigenen Vernunfteinsicht heraus anerkannt haben: Der Tod muss die „letzte Wahrheit“ sein können und dürfen. Er „darf“ es deshalb sein, weil der nach Erkenntnis strebende Mensch ja nun einmal in sich beschlossen hat, die Wahrheit über sich selbst zu erfahren und – also - die Wahrheitserkenntnis über sein eigenes Wohlergehen zu stellen. Er will die Wahrheit – dies ist nun sein unbedingter Wille, beschlossen und bedingt festgesetzt von ihm selbst, und deshalb will er dann ggf. auch seinen eigenen Tod (als solchen wissen), wenn dieser denn die Wahrheit des Seins sein sollte.
In Philosophie und Wissenschaft wird also eine Umwertung
des Lebens vorgenommen: Ab jetzt soll die
Wahrheit unbedingt gewollt werden, nicht mehr das
(bloße) Leben oder Am-Leben-Bleiben. „Wenn der Tod die
Wahrheit des Lebens sein sollte, dann will ich das
jetzt wissen, damit ich mich innerlich - der Wahrheit
entsprechend - darauf einstellen kann.“ Und da im Zustand
der Unkenntnis der Wahrheit, in welchem wir uns als
Erkenntnis Suchende ja befinden, beide
Möglichkeiten bestehen – Tod und Leben -, muss der Philosoph
als solcher sein Ja zu seinem Tod geben. - Er muss
also zu seinem bisherigen, einseitigen Ja zum Leben,
das er als bloßer Mensch unter Menschen bereits gegeben hat,
zusätzlich noch hinzufügen: das Ja zum Tod - denn: Er
könnte die letzte Wahrheit
sein!
DIESE ENTSCHEIDUNG MUSS (im Individuum) GEFALLEN SEIN!
DANN ERST KANN SICH EINE UNVOREINGEOMMENE SICHT AUF DAS
SEIN,
ALSO AUCH AUF DIE MENSCHLICHE EXISTENZ ERGEBEN...
+ + +
Es gibt nur zwei prinzipielle Möglichkeiten, das Existenz- oder Seinsproblem zu lösen:
a) Der „Tod“ ist die „Wahrheit des Lebens“: Das Leben kann dann materialistisch gedacht werden, und dann kommt man (konsequenterweise) im Atheismus heraus, in kosmischer Bindungs- und Kommunikationslosigkeit.
b) Das „Leben“ ist die „Wahrheit des Todes“: Das Leben kann dann geistig gedacht werden, und dann kommt man in der (oder einer) Religion heraus, in irgendeiner kosmischen Bindungs- und Kommunikationsform.
Lösen wir das Existenzproblem oder den Widerspruch des Seins in sich vom Außen her auf, also aposteriorisch (Stichwort: Erbsünde), so resultiert der Materialismus, und der Mensch zeiht sein geistiges Innere der Lügenhaftigkeit (= die biblische Sünde wider den Geist?). Lösen wir den Widerspruch hingegen vom Innen eines „ursprünglichen Evidenz-Wissens“ her auf, also apriorisch, so resultiert der Spiritualismus, und der Mensch erklärt die Veränderlichkeit der Natur und seine gegenwärtige „endliche“ Wirklichkeit zur Scheinhaftigkeit, als nur vorübergehend gültige Seinsform.
Im Materialismus verleugnet der Geist sich selbst aposteriorisch, von einer Außenwahrnehmung seiner selbst her, im Spiritualismus nimmt sich der Geist apriorisch an, von einer Innenwahrnehmung seiner selbst her, und kann sich nun – im kosmischen Wahrheits-Fall seiner subjektiven Setzung der Idee des Seins als Setzung des ewigen Geistseins – bereit machen, in die Wahrheit seines Wesens und seiner Existenz hinein- und hinüberzugehen – analog der ostinat in den sieben Gemeindeschreiben der Offenbarung des Johannes wiederkehrenden Formel:
„Wer siegt, der (bzw.
dem)…“ (Offb. 2-3)
An die Gemeinde zu Ephesus:
"Wer siegt, dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes steht." (2,7)
Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und
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Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart,
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abgerufen am 26.06.2024.
An die Gemeinde zu Smyrna:
"Wer siegt, dem kann der zweite Tod nichts anhaben." (2,11)
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Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016
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externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung2,
abgerufen am 26.06.2024.
An die Gemeinde zu Pergamon:
"Wer siegt, dem werde ich von dem verborgenen Manna geben. Ich werde ihm einen weißen Stein geben und auf dem Stein steht ein neuer Name geschrieben, den nur der kennt, der ihn empfängt." (2,17)
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An die Gemeinde zu Thyatira:
"Wer siegt und bis zum Ende an den Werken festhält, die ich gebiete, dem werde ich Macht über die Völker geben." (2,26)
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An die Gemeinde zu Sardes:
"Wer siegt, wird ebenso mit weißen Gewändern bekleidet werden. Nie werde ich seinen Namen aus dem Buch des Lebens streichen, sondern ich werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln." (3,5)
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An die Gemeinde zu Philadelphia:
"Wer siegt, den werde ich zu einer Säule im Tempel meines Gottes machen und er wird nicht mehr hinausgehen. Und ich werde auf ihn den Namen meines Gottes schreiben und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das aus dem Himmel herabkommt von meinem Gott, und auch meinen neuen Namen." (3,12)
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An die Gemeinde zu Laodikia:
"Wer siegt, der darf mit mir auf meinem Thron sitzen, so wie auch ich gesiegt habe und mich mit meinem Vater auf seinen Thron gesetzt habe." (3,21)
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abgerufen am 26.06.2024.
Hier kommt eine neuartige Begrifflichkeit zum Tragen, die aber Berührungspunkte mit unserer jetzigen Thematik aufweist, wie wir sie aus uns selbst heraus entwickelt haben und die daher zumindest ansatzweise schon verstehbar für uns sein muss, denn auch hier ist vom „Tod“ die Rede, ebenso vom „Leben“ und darüber hinaus mehrfach von „neuen Namen“, die wir als „neues Selbstverständnis“ deuten können und die in Zusammenhang gebracht werden können mit der genannten erbsündebedingten, falschen Identitätssetzung des Menschen bzw. mit der neu zu erfassenden Vertikalachse „Ich – Gott“.
Die Bibel spricht jeweils von einem „erforderlichen Sieg,“ jedoch, ohne den „zugehörigen Kampf“ als solchen zu benennen, und dieser Sieg ist von jedem Individuum zu erringen, folglich auch der zugehörige Kampf zu führen.
Nun stellten wir bzgl. der Philosophie fest, der nach Erkenntnis strebende Mensch werde hierbei in einen Kampf mit sich selbst involviert, in einen Kampf um die Wahrheit. Denn „die Wahrheit“ ist nicht ein Ding oder Neutrum, das uns nichts angeht, sondern sie ist etwas, was uns im Innersten, in unserer Substanz betrifft: „Leben oder Tod – was davon ist die Wahrheit des Seins?“ Deshalb kann der Philosoph, wenn er „die Wahrheit“ erst einmal zum Gegenstand erhoben hat, nicht souverän und lässig mit ihr umgehen, sondern er macht die Erfahrung, dass sein Umgang mit ihr zugleich und notwendig auch zu seinem Umgang mit sich selbst wird, so dass nun ein Jonglieren oder Austarieren dessen beginnt, was zunächst als wahr erscheint und was tatsächlich wahr ist. Und in diesem Kampf steht die Entscheidung an, ob sich der Philosoph zur Wahrheits-Seite des Seins durchringen kann, oder ob er sogar als Philosoph in einer Irrtums-Ansicht des Seins befangen bleibt, platonisch gesprochen, ob er den Höhlenausgang findet, so dass sich ihm die wahren Seinsverhältnisse lichten und aufklären, oder nicht.
Und wir können nun die Deutung versuchen, es sei der existenzielle Widerspruch des Seins in sich, von dem die Bibel hier spricht und der einer positiven Lösung zugeführt werden soll. Näher ist es dann der Lebenswille selbst, der überwunden werden muss, aber nicht dadurch, dass man ihn in sich abtötet und zum Erlöschen bringt, sondern dadurch, dass er in seiner geistigen, ontologischen Tiefe erkannt und verifiziert, also in sich erhöht wird – analog einem Wort im Johannesevangelium:
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“ (Joh. 5,24)
Lutherbibel,
revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft,
Stuttgart, und Einheitsübersetzung ©
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abgerufen am 01.04.2024.
Die Wendung „vom Tode zum Leben hindurchdringen“ können wir nun als Handlungsaufgabe für den Einzelnen betrachten, und wir können uns diese Lebensaufgabe z.B. in folgende „Arbeits- oder Kampf-Schritte“ auseinanderlegen:
a) den Wahrheitswillen in sich aktivieren (= individueller Ursprung der Philosophie und Wissenschaft)
b) mit der zu erreichenden Konsequenz: mit sich selbst in einen Kampf um die Wahrheit geraten
c) mit der zu erreichenden Konsequenz: die Priorität des Lebenswillens zurücksetzen
d) mit der zu erreichenden Konsequenz: den Tod als mögliches „Endergebnis menschlicher Existenz“ vorbehaltlos annehmen
e) mit der zu erreichenden Konsequenz: dem Ja zum Leben das Ja zum Tod hinzufügen
f) mit der zu erreichenden Konsequenz: den Lebenswillen nun in seiner Zwei-Deutigkeit und als Wissens-Irrtums-Knäuel objektiv in den Blick bekommen
g) mit der zu erreichenden Konsequenz: an der Ent-Scheidung oder Weg-Gabelung des Lebenswillens die spiritualistische Richtung ins Geistige hinein einschlagen (= der Sieg)
Man muss also seelisch-geistig durch den eigenen Tod hindurchgehen, um zum (jetzt: kosmischen) Leben wahrhaft finden zu können. Das kann kein Kollektiv leisten, das ist von jedem Einzelnen selbst zu erledigen. Und so wird sich an diesem „Sieg“ entscheiden, welches Individuum zu einem Geist-Individuum und Geistwesen werden kann und welches nicht.
Diese philosophische Schlussfolgerung, durch den eigenen Tod hindurch zu müssen, ist wiederum verblüffend, denn eine besonders wichtige Motivation, überhaupt zur Philosophie zu kommen, ist genau diese Frage: „Ist nun der Tod oder das Leben die letzte Wahrheit?“ Und indem man sich dieser Frage zuwendet, ist ersichtlich, dass einem das Leben etwas bedeutet, dass man also seinen eigenen Lebenswillen noch mit im Gepäck hat. Doch zeigt sich nun, bei der näheren Ausarbeitung der Fragestellung, dass der Lebenswille aufgegeben werden muss, wenn man den Wahrheitswillen wirklich entwickeln können will. Das heißt dann also: Die Philosophie muss ihre eigene ursprüngliche Motivation auf der Strecke lassen, abstreifen, damit sie das werden kann, was sie sein will: Wahrheitserkenntnis!
So scheint am Ende des Weges der Philosophie ein „Erkennen“ zu stehen, das seine eigene Motivation oder Verursachung oder Bedingtheit verloren hat. Anfangs ist das Erkenntnisstreben hitzig, wissbegierig, indem die Entscheidung der „brennenden Wahrheitsfrage“ unbedingt gewollt und herausgefordert wird. „Die Erkenntnis der Wahrheit muss unbedingt, unbedingt her, je schneller, desto besser!“ Sobald aber der Wahrheitswille den Lebenswillen neutralisiert oder geläutert hat, erlischt die anfängliche Hitzigkeit, die Wissbegierde als solche wird aufgehoben, weil man nun – aus dem Prinzip des Erkennens heraus – genau das tun muss, was man ursprünglich gerade nicht tun wollte. Man suchte nämlich die Wahrheit, um Aufklärung darüber finden zu können, ob es im Sein und Universum möglich sei, dem Schicksal des Todes zu entrinnen. Und auf dem Weg zur Erkenntnis erkennt man nun, genau dieses Todesschicksal muss zuerst anerkannt und hingenommen werden, bevor man der Wahrheit selbst ansichtig werden kann.
Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied in der „Todeserfahrung“: Am Anfang, sozusagen noch als Nichtphilosoph, möchte man vom Todesschicksal nicht getroffen werden, man will den Tod nicht erleiden müssen, er darf nicht passieren! Man verhält sich passiv, und zugleich wünscht man, dieses Passiv (Herankommen des Todes) solle niemals eintreten, solle keine Seite der Wirklichkeit werden. Am Ende, nun als Philosoph, erkennt man die Notwendigkeit und Richtigkeit, den Tod als Tod doch anzuerkennen, denn er ist sozusagen das Tor, das durchschritten werden muss, wenn man die Wahrheit als Wahrheit bekommen will. Nun verhält man sich aktiv, holt den Tod prinzipiell selbst an sich heran, indem seine Annahme nun eine methodische, vorsätzliche ist, kein Schicksal mehr, das man erleiden muss, sondern eine Aufgabe, der man sich selbst stellen will, eine Handlung, die man vornehmen will und vornimmt, als Möglichkeitsbedingung der Wahrheitserkenntnis.
Anders formuliert: Wenn der Wahrheitswille die Preisgabe des Lebenswillens zur Folge hat, dann muss in Philosophie und Wissenschaft das Leben oder Sein als solches in gewisser Weise gleichgültig werden und geworden sein, damit eine objektive Sichtung des kosmischen Seins überhaupt möglich werde. Der Philosoph erkennt dann am Ende etwas, was ihn innerlich gar nicht mehr betrifft: das Sein. Denn es hat seine innerliche Brisanz – den möglichen und drohenden Tod des Individuums – verloren.
Und nun können wir uns „orientalische Meister“ gut vorstellen, die in sich ruhend dasitzen, gleichsam nichts mehr wollen, nichts mehr brauchen, weil sie diese Gleich-Gültigkeit des Seins erkannt und in sich realisiert haben. Und wenn wir uns einem solchen „Meister“ gegenüberstellen, ohne von dem auszufechtenden (und von ihm wohl ausgefochtenen) Kampf zu wissen, dann mögen wir uns verstört fragen: „Soll das die Lösung der menschlichen Existenzproblematik sein: das Ganze des Seins „sein zu lassen“ und einen Standpunkt des – na ja - „Sich-geschehen-Lassens“ – oder neuzeitlich-europäisch gesichtet: des Untätig seins und Faulenzens - einzunehmen?
Der Unterschied der Philosophie (gegenüber dem Common Sense) ist also: Der Tod bleibt nicht die „andere Seite des Lebens“, auf der man selbst nicht stehen will und mit der man selbst nichts zu tun haben will. Sondern der Tod wird ins Leben selbst mit hineingenommen, zugelassen! Und das Merkwürdige ist, dass dieses Leben selbst dadurch keinerlei Schaden nimmt, wie es spontan und unreflektiert zu sein scheint, sondern vielmehr die Potenz gewinnt, ein anderes, neues oder auch jetzt erst in sich vollständiges Leben zu werden.
Man kann daher sagen: Solange man den Tod verdrängt bzw. aus dem Leben auszuklammern versucht, ist man im Grunde genommen erst halb am Leben, ohne dies jedoch zu ahnen – und wir können nun vermuten: Diese Halbheit des Lebens als Natürlichkeit und Norm beibehalten heißt, das Unbewusste in sich erhalten und ein Überbewusstes in sich nicht entwickeln können.
Durch die Annahme des Todes hebt das menschliche Ich sich in sich selbst auf, und so kann sich das Individuum darauf vorbereiten, sich nun voll und ganz in die kosmische Veränderung des Seins zu ergeben und sich auf das Sein voll und ganz einzulassen, was zunächst und zumeist im menschlichen Leben nicht oder auch niemals der Fall ist, weil der Tod, das Wissen um das eigene Sterben müssen, quasi als existenzieller Vorbehalt dem entgegensteht.
Unser gewohntes unbedingtes Festhalten am Leben ist also ein unbewusster oder spontaner Irrweg, und die Lösung oder Erkenntnis-Weiche besteht - ausgerechnet und verflixt nochmal! - darin, dass wir uns auf das Gegenteil dessen, was wir wollen, einlassen müssen: Indem wir in unseren eigenen Tod einwilligen, wird unser Leben erst frei… Dies erscheint zunächst vernunftwidrig, ist aber nicht vernunftwidrig, sondern sozusagen „übervernünftig“ oder „überbewusst“, und es scheint der zu erringende „Sieg“ zu sein, wie ihn das Neue Testament vom Christen fordert und den das Johannesevangelium beschreibt als: vom Tod ins Leben hinübergehen.
Und dies ist auch die „Dialektik des Seins“, um welche sich der Mensch natürlicherweise oder instinktiv herumdrücken will: Das (wahre) Sein resultiert aus dem Durchgang durch das Nichtsein, oder: Das Alles ergibt sich erst im Durchgang durch das Nichts. Deshalb kommt Lessing am Ende seiner kleinen Schrift in der Offenheit oder Lichtung des Seins heraus (um wieder eine Heidegger-Anleihe zu machen), in dem „kosmischen Ausblick“:
„Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?“ (EdM, § 100)
Externer Link zum Text: G.E. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, §100, Projekt Gutenberg-DE - https://www.projekt-gutenberg.org/lessing/erziehng/erziehn2.html, abgerufen am 20.03.2024
Allerdings bleibt bei ihm die Todesproblematik ungenannt und unausgeführt…
***
Der Mensch schreckt aber vor diesem Durchgang zurück, und so will er gar keinen „so großen Anspruch“ an das Sein stellen. Er braucht nicht „das Alles“, sondern er „bescheidet“ sich mit einem „Weniger“, begnügt sich mit einem bloßen „Etwas“ an Leben. „Soll doch das Sein seine Größe und Großartigkeit für sich behalten. Ich will lieber klein bleiben, und vielleicht wird sich ja der große Gott meiner in meiner Niedrigkeit erbarmen und mich in meiner Kleinheit in seine Größe des ewigen Lebens gnädigerweise dennoch mit hinübernehmen…? Ich habe doch gar nicht den großen, ja, unverschämt-blasphemischen Anspruch, „mit Gott auf seinem Thron zu sitzen“ (vgl. oben Offb. 3,21), um fürderhin mein Sein in seiner Reinen-theoria-Perspektive zu vollziehen oder, anders formuliert, mir beim Sein und Werden selbst zuzusehen. Es genügt mir ein Stühlchen daneben oder ein Hocker ein paar Stufen darunter, von mir aus auch in hinterer Reihe. Ich bin doch bescheiden. Oder etwa nicht? Ich brauche kein „großartig ewiges Leben“, es genügt mir doch schon ein „kleines ewiges Leben“, irgendwo hinten versteckt…“
Die Bibel scheint aber einem solchen menschlichen Bescheidenheits- oder Geringfügigkeits-Selbstverständnis und Wollen zu widersprechen, als solle der Mensch gar nicht klein von sich denken (um dabei auf Kampf und Sieg zu verzichten), sondern groß. Aber warum und wozu denn: groß?
Plausibel wird dieser Gedanke dann, wenn es nur einen Geist gibt und wenn alle Geistwesen „Geist vom Geist“ sind. Und dieser eine und einzige Geist hat nun einmal faktisch diejenige Größe, die er eben hat. Und folglich müssen sich – letztlich – alle Geistwesen in diese (s)eine Größe hineinbegeben oder hineinbequemen, auch wenn zunächst einmal faktisch bei uns im Irdischen und geschichtlich Gewordenen unter den Individuen vielerlei „seelisch-geistige Konfektionsgrößen“ unterscheidbar geworden sind, die dann auch weitgehend schichtenspezifisch sozialisiert werden.
Daher ist es anderseits ganz gewiss auch geboten, niemanden in eine größere Größe gewaltsam hineinzuzwingen, als er selbst schon tragen oder ertragen kann, womit wir wieder bei der Eingangsfrage angelangt sind: Kann es sein, dass Wissen und Bildung Niemanden unvorbereitet treffen sollten? Sollte nicht der Mensch zur Bildung seiner selbst niemals gezwungen oder genötigt werden? – Eine weitreichende Frage, die sich auf künftige Lehr- und Lebens- und Gesellschaftspläne auswirken könnte und sollte.
***
Und wir wollen diesen Gedankengang folgendermaßen abschließen:
Wenn sich der einzelne Mensch frei einlassen können soll auf den kosmischen Veränderungsprozess als solchen, muss er dann nicht zuvor draußen gestanden haben, also z.B. in eine solche geschichtliche Situation gelangt sein, in welcher wir heute in unserer „Gegenwart der Moderne“ tatsächlich stehen (vgl. oben Offb. 3,12: „…und er wird nicht mehr hinausgehen…“)?
Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH und
Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016
Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart,
externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung3,
abgerufen am 24.06.2024.
Und nun können wir unsere Situation der Gottverlassenheit in der Moderne, die wir bereits mit der biblischen „Macht des Irrtums“ parallelisierten, inhaltlich folgendermaßen zu beschreiben und zu qualifizieren versuchen: Die Geistwelt hat sich klein gemacht, damit der Mensch aus dem Geist(welt)-Schatten seiner selbst heraustreten könne und vor sich selbst als Geistwesen, das er ist, hervortrete…
Das Ich und die Individualitäten sind geschichtlich geworden, und hierzu war eine Nach-draußen-Bewegung erforderlich. Der Mensch musste aus der Geistwelt ausgesteuert (= aus dem „Paradies vertrieben“) werden, damit ihm Selbstwahrnehmung und Ich-Bewusstsein möglich werden konnten. Dieses Selbstbewusstsein haben wir heute, und wir befinden uns auch außerhalb der Geistwelt, so sehr, dass ihre Existenz heute grundsätzlich bestritten wird. Nun kommt es darauf an, dass wir unsere eigene Lage in ihrem Geworden sein recht verstehen können.
Und wenn der Mensch und der gesamte Kosmos geistig gesehen und verstanden werden müssen (Spiritualismus), dann könnte die Geschichtsbewegung, in der wir uns befinden, zyklisch und als eine Schwingung oder eine Pendelbewegung zu deuten sein, wobei wir in der „Gegenwart“ an die materialistische Peripherie des Universums gelangt sind.
Man nehme nochmals
Flammarions Holzstich (vgl. Menüpunkt 2: Das Streben nach
Erkenntnis, 9. Platonische Höhle), diesmal unter dieser näheren
Veranschaulichung: Der Weltenpilger neigt sich aus der
einen und einzig wahren Sphäre der Geistigkeit der
Welt heraus - und erblickt nun das Sein und Wesen der
Dinge von außen, als sei er drauf und dran,
in seinem ewigen Werdeprozess im Sein von der Bahn oder vom
Weg abzukommen, analog einem Fisch, der an die
Wasseroberfläche gekommen ist und nun aus dem Wasser
herausspitzt, nur dass er im Gegensatz zum Menschen dabei ein
Bewusstsein davon hat, dass er sich an der Grenze seines
Elementes, seiner Lebensfähigkeit befinde. - Und wir
wollen hoffen, dass unser Pilger sich selbst in seiner mehr
oder weniger versehentlichen Außenbewegung wieder
zurücknehme, um innerhalb des rechten Weges und also in der
Sphäre des Geistes zu verbleiben, anstatt vollends
hinauszugehen - sich selbst verlierend - und nie mehr
wiederzukehren... - Der Flammarion-Blick-nach-draußen ist
aber unser eigener Blick, den wir hier und heute haben, nur
dass wir - ihm gegenüber - den Nachteil haben, dass wir sowohl
unsere "Pilgerschaft" als auch die zurückgelegte
Wegstrecke als solche vergessen haben oder ausblenden und
als nicht vorhanden oder nicht erheblich betrachten, als hätten
wir keinerlei Erfahrung damit, dass Menschen sich
in einer Geschichtsbewegung ihrer selbst befinden, und
so sollten sie resp. wir lieber vorsichtshalber damit rechnen,
dass wir uns hierbei sehr wohl irren und verirren können,
anstatt blindlings darauf zu vertrauen, die Dinge werden schon
ganz von allein ihren rechtmäßigen Gang nehmen, analog einer
Schafherde, die sich für ihren Hirten nicht interessiert, in
der Annahme, er werde schon wissen, was er (mit ihnen) tue,
gleich einem Stadtführer in fremder Umgebung...
Dieser Text basiert auf dem Artikel "Flammarions Holzstich" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Flammarions_Holzstich) aus der freien Enzyklopädie "Wikipedia" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren des Artikels "Flammarions Holzstich" verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum des Artikels: 10.02.2024.
Damit haben wir quasi die höchste (geschichtliche) Lageenergie erreicht (Eindruck: Es geht nichts mehr vorwärts), so dass diese Amplitude unserer Geistesgeschichte nun wieder überschritten werden muss, mit dem entscheidenden Unterschied, dass unsere geschichtliche Hinwärts-Bewegung ein passives Bewegt werden gewesen ist, während die Rückwärts- bzw. Vorwärts-Bewegung nur durch unsere eigene Aktivität als Geschichtsbewegung in unsere Zukunft hinein zustande kommen kann. Aber der einzige "Motor", der hierfür zur Verfügung steht, ist "unser Geist"...
Das heißt dann für unsere vorgeschrittene Zeit: Solange nicht wir selbst etwas tun, wird sich auch geschichtlich nichts mehr tun - in der Gegenwart…
Und so, wie wir einen materialistischen Sog konstatieren mussten, unter dem wir stehen, können wir nun umgekehrt auch einen spiritualistischen Sog ausmachen, der allerdings von subtilerer Art ist, weil er sich zunächst einmal selbst in Gang bringen muss, im Willen zur Wahrheit, im individuellen Ursprung der Philosophie und Wissenschaft. Dann erst wird sich nach und nach eine Sogwirkung nach oben entfalten, die ganz zum Schluss der Offenbarung des Johannes auch genannt ist:
„Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm! ...“ (Offb. 22,17)
Lutherbibel,
revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft,
Stuttgart, und Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH,
externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Offenbarung22,
abgerufen am 01.04.2024.
Der Sog geht aus vom Geist und zugleich von der „Braut“, die hier für das neue Jerusalem steht, das „von Gott aus dem Himmel herabkommt“ (Offb. 21,2).
***
Im AT wurde ein Land für ein Volk verheißen, im NT ist (nur noch) von himmlischen Wohnungen die Rede, für viele Einzelne, die zum Bezug vorbereitet werden und die - mit der Stadt selbst - auf die siegenden Menschen zukommen. Es geht nicht mehr um Physisches, es geht jetzt um Geistiges (und Seelisch-Innerliches), das auch die Leiblichkeit des Menschen betrifft, so dass der neuzeitlich gewordene Ich-Kern nun noch eine andere und höhere Wesenhaftigkeit und Plattform für sein Leben finden soll und wird, die irgendwo zwischen dem bisherigen Himmel und der bisherigen Erde gelagert sein muss; ansonsten könnte über die Geretteten nicht gesagt werden, sie seien „freigekauft und von der Erde weggenommen worden“ (Offb. 14,3).
Als Übersetzung lege ich hier wieder zugrunde die Einheitsübersetzung von 1980, weil sie mir präziser zu formulieren scheint als die anderen, und zwar gerade auch durch ihr Abweichen vom griechischen Wortlaut, ganz offensichtlich in der Absicht, den Sinn des Wortlautes möglichst klar herauszustellen. Es seien für Offb. 14,3 wieder nebeneinandergestellt: Einheitsübersetzung von 1980, Novum Testamentum Graece, Einheitsübersetzung 2016, Lutherbibel 2017.
"Und sie sangen ein neues
Lied vor dem Thron und vor den vier Lebewesen und vor den
Ältesten. Aber niemand konnte das Lied singen lernen außer den
hundertvierundvierzigtausend, die freigekauft und von der Erde
weggenommen worden sind." (Einheitsübersetzung von 1980,
Herv. v. Verf.)
Einheitsübersetzung
von 1980, online zugänglich über die
Universität Innsbruck, externer Link: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/offb14.html,
abgerufen am 25.06.2024. Ich zitiere die Einheitsübersetzung
von 1980 online mit freundlicher Genehmigung der
Katholischen Bibelanstalt GmbH. - Hinweis: Die
Universität Innsbruck hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass
sich in den nächsten Jahren die URL ändern wird. Sofern ich die
Änderung nicht zeitgerecht nachvollziehe, dürfte der Bibeltext
durch Internetsuche leicht auffindbar sein über Schlagworte:
Einheitsübersetzung - Uni Innsbruck - Theologischer Leseraum -
Quelltext.
καὶ ᾄδουσιν [ὡς] ᾠδὴν καινὴν
ἐνώπιον τοῦ θρόνου καὶ ἐνώπιον τῶν τεσσάρων ζῴων καὶ τῶν
πρεσβυτέρων, καὶ οὐδεὶς ἐδύνατο μαθεῖν τὴν ᾠδὴν εἰ μὴ αἱ ἑκατὸν
τεσσεράκοντα τέσσαρες χιλιάδες, οἱ ἠγορασμένοι ἀπὸ τῆς
γῆς. (Novum Testamentum Graece, Herv. v.
Verf.)
Griechische Textgrundlage:
Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, 28.,
revidierte Auflage, hg. v. Barbara und Kurt Aland, Johannes
Karavidopoulos, Carlo M. Martini und Bruce M. Metzger in
Zusammenarbeit mit dem Institut für Neutestamentliche
Textforschung, Münster, © 2012 Deutsche
Bibelgesellschaft, Stuttgart - externer Link: https://www.die-bibel.de/bibel/NA28/REV.14,
abgerufen am 25.06.2024.
"Und sie sangen ein neues
Lied vor dem Thron und vor den vier Lebewesen und vor den
Ältesten. Aber niemand konnte das Lied lernen außer den
hundertvierundvierzigtausend, die von der Erde weg freigekauft
sind." (Einheitsübersetzung 2016, Herv. v.
Verf.)
"Und sie sangen ein neues
Lied vor dem Thron und vor den vier Wesen und den Ältesten; und
niemand konnte das Lied lernen außer den
hundertvierundvierzigtausend, die erkauft sind von der
Erde." (Lutherbibel 2017, Herv. v. Verf.)
Einheitsübersetzung © 2016
der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und
Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016
Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart,
externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung14,
abgerufen am 25.06.2024.
Das "die freigekauft sind
von der Erde" ist wohl die wörtliche Übersetzung des
griechischen Wortlautes. Ihr folgt die Lutherbibel 2017 (auch
die ursprüngliche von 1545).
Nun kann man als Übersetzer aber eine gewisse Not empfinden,
denn der Ausdruck "freigekauft von der Erde" ist ungewöhnlich.
Und muss also nicht der (zumeist nicht theologisch geschulte)
Bibelleser sich fragen: "Was ist denn damit gemeint?"
Der kontextuelle Zusammenhang ist folgender: Das "von der Erde"
nimmt Bezug auf das "Stehen vor dem Thron...", womit dann eine
neue Örtlichkeit bezeichnet ist, die, wenn wir den
"Himmel" bestehend aus mehreren Ebenen oder Sphären denken,
irgendeine (neue) Zwischenebene zwischen dem eigentlichen
Himmel und der eigentlichen Erde darstellen muss - analog zum
dann in Offb. 21,1 genannten "neuen Himmel" und der "neuen
Erde". Hinzu kommt, dass das "freigekauft" ein
Freigewordensein für die Geretteten besagt, zugleich
aber auch, dass dafür ein Preis zu zahlen ist/war; und
der Preis der Rettung der Einen ist wohl das
Verlorengehen der Andern, so dass hier auch neue
soziale Schuldverhältnisse entstehen: die Geretteten treten in
einen neuen Verantwortungs-Bezug zu den (geschwisterlich)
Verlorenen, denn ihre eigene Weiter- und Höherentwicklung
verdanken sie dem Zurückbleiben der Andern, indem sie - gemäß
der Offenbarung - aus ihnen herausgehoben worden sind.
Nun können wir sehen, dass die Einheitsübersetzung von 1980
diese Übersetzer-Not empfunden hat, weshalb sie möglichst klar
herausstreichen will die neue entstehende Örtlichkeit,
indem sie das Wort "weggenommen (von der Erde)" hinzufügt. Sie
dürfte damit aber exakt den Sinn im biblischen Kontext
treffen, der - so muss man wohl sagen - im griechischen Urlaut
und Buchstaben gar nicht zum Tragen kommt (und auch nicht in
den genannten Luther-Bibeln).
Nun ergibt sich aber ein gewisses Dilemma für den Übersetzer:
Ist es nun richtiger, dem (vermutlich "schwimmenden")
Bibelleser "einen (hilfreichen) Deutungshinweis" zu geben? Oder
ist es nicht doch richtiger, "hart am Buchstaben" zu
bleiben?
Und so sehen wir die Einheitsübersetzung von 2016 ein Stückweit
zurückrudern. Sie wählt nun eine Überleitung, einen Kompromiss,
indem sie zwar das zuerst zusätzlich hinzugefügte Wort
("weggenommen") wieder streicht ["Es steht schließlich nicht im
griechischen Ur-Text"], indem sie aber trotzdem eine
Präpositionsanpassung beibehält ("von der Erde
weg"): Und so meint sie nun, gleichsam zwei Fliegen
mit einer Klappe zu schlagen: Anpassung an den
ursprünglichen Wortlaut und zugleich Herausstreichen
der Ortsveränderung.
Allein: Es gelingt nicht richtig, denn "die Klarheit"
ist ja nur für diejenigen (theologisch Geschulten) vorhanden,
die den alten Wortlaut der Einheitsübersetzung von
1980 sozusagen noch im Hinterkopf haben [Wer ist
das? Die (alten) Übersetzer!], nicht aber für diejenigen, die
den Sachverhalt - mit der Einheitsübersetzung 2016 - sozusagen
erstmals zur Kenntnis nehmen!?
Aus diesem Grund bleibe ich dabei: Die
Einheitsübersetzung von 1980 ist besser, indem sie die
neu entstehende "Örtlichkeit in einem Oberhalb zur (alten)
Erde" sehr gut deutlich machte - was im Nachgang der
Revision wieder verloren wurde.
Vgl. den AnthroWiki-Artikel " 144 000 (Zahl)" - externer Link: https://anthrowiki.at/144000_(Zahl), abgerufen am 25.06.2024.
Resümee: Für mich, der ich
als junger Leser erstmals diesen Offenbarungstext selbstständig
las, war es außerordentlich hilfreich, ihn in der Formulierung
der Einheitsübersetzung von 1980 zu lesen, die mit ihrem
Zusatzwort "weggenommen" einen klaren und deutlichen Hinweis
folgender Art gibt: "Achtung, Christ! Eine Ortsveränderung soll
und wird auf dich zukommen. Fühl dich besser nicht sicher dort,
wo du gegenwärtig bist. Lebe dich dort nicht ein wie in ein
Gewohntes, dauerhaft Bleibendes und ewig für Menschen Gültiges.
Wenn du die Bibel angemessen auffassen willst, musst du auf
dem Sprung sein - und bleiben!" - Die andern Übersetzungen
mögen sich selbst ja zugutehalten können, dass sie authentisch
am Wortlaut der Bibel dranbleiben. Allein: Buchstabentreue
hilft uns nicht weiter, wenn hierbei der Sinn auf der Strecke
bleibt...
Es ergibt sich also ein neues Oben und ein neues Unten („neuer Himmel und neue Erde“, Offb. 21,1), allerdings nur für die „Sieger“, während die „Verlierer“ einem anderen Schicksal entgegengehen, vermutlich unter dem alten Himmel und auf der alten Erde (Offb. 21,7f.27; 22,11.14f), die dort nun allerdings dem „Wirklichkeits-Anschein“ unterliegen (eliminierter Himmel und öde gewordene, geistverlassene Erde), die die materialistische Gegen-Sogkraft bildet und das höhere, spirituelle, ätherische Geschehen verbirgt, unwahrnehmbar macht, für die „Verlierer“, deren Vernunft es nicht geschafft hat, sich zum Geist und Dasein als Geistwesen durchzuringen und die folglich auch die höhere Geistwirklichkeit, die sinnlich unwahrnehmbar in die sinnlich-physische Wirklichkeit einfach hereinkommt, nicht einmal erahnen.
***
Der spirituelle Sog seinerseits multipliziert sich in sich selbst, indem jedes sich nun als Geistwesen verstehende menschliche Individuum in den Ruf des Geistes einstimmt, weil es eine Ohr- oder Vernunft-Entwicklung durchlaufen hat, durch die es ein neues, feineres Hören ausbilden konnte. Das Gehen-lernen-im-Geiste ist somit erreicht, denn die rechten Reflexions-Haltestellen können nun bestimmt werden (insbesondere durch die biblische Denk-Gebrauchsanleitung, die wir philosophisch durch rechte Vernunftentwicklung vervollständigten oder komplementierten), weil die Spekulation sich nun in rein geistiger Gegenständlichkeit bewegen kann (= Lesbarwerden des Geistgehalts der Bibel), die nun zum neuen, tragfähigen Boden des Geistes (neue Erde) geworden ist, als würde man sich von Eisscholle zu Eisscholle sicher fortbewegen können oder wie ein Drachenflieger, der die Thermik sucht und findet, sich in die Lüfte der Geistwelt heben lassen können (neuer Himmel). – Es ist das kosmische Münchhausen-Prinzip des Geistes, welches auf diese Weise realisiert wird, indem zwei Böden mehr und mehr zu einem Boden werden: der ewig sichere und feste der Geistwelt selbst und der neue des Geistindividuums, das seinen Anteil an der Geistwelt, sein wahrhaftes Stehen im Sein gefunden hat, oder besser: zunehmend finden wird.
Unser neuzeitlicher Ich-Pol, manifest geworden in pluralischen Individualitäten in der Moderne, sollte nun wieder zurückschnellen können in die Geistwelt hinein, im Durchschreiten des „Nullpunktes der Gegenwart“ (prinzipielle Zeitstelle). Die „kleine Ewigkeit“ muss den Rückweg in die „große Ewigkeit“ finden und antreten, und sie soll sich nicht – „bescheiden“ - neben die „große Ewigkeit“ setzen, sondern schnurstracks und dem Geist als solchen angemessen - direkt in sie selbst hinein…
13. In der Religion wird Gott vom Menschen nicht sein gelassen
Wir wollen uns nun noch den neuzeitlichen Gott-Pol ansehen, und möglicherweise ergibt sich auch hierdurch wieder ein geschichtlicher Dreischritt, als Rückwirkung für den Menschen-Gegenpol?
a) unbewusster Mensch inmitten der Geistwelt,
b) bewusst gewordener Mensch, außerhalb der Geistwelt
c) bewusster Mensch als eigenständiges, „überbewusst“ gewordenes Glied der Geistwelt?
Damit kommen wir der Frage, was ein „überbewusster Spiritualismus“ sein solle, schon näher, aber wir wollen in das bisherige Bindungsglied zwischen Ich und Gott, in unsere Religiosität noch genauer Einblick nehmen.
Es scheint ja so, als würde sich der Gott-Pol biblisch (soll jetzt zugleich heißen: geistesgeschichtlich) auflösen, d.h. aufhören Pol zu sein, wenn wir im letzten Buch lesen, der Mensch solle sich mit Gott auf seinen Thron setzen, oder wenn von Gottes Wohnen unter den Menschen gesprochen wird, wobei zugleich irgendein Weggenommen sein des Menschen von der Erde realisiert sein soll…? Und wenn der Gott-Pol sich auflöst, was passiert denn dann mit dem Ich-Pol? Wo ist der Platz dieser U-topie, die offensichtlich keine solche bleiben soll, weil doch Wohnungen vorbereitet werden oder vielleicht auch schon fix und fertig sind – zum Einzug, auch wenn noch keiner kommen und einziehen mag? Weil der Mensch auf die Idee seines himmlischen Einzuges noch nicht gekommen ist, die von der anderen Seite aus gesehen als irdischer Exodus erschiene, wenn diese himmlische Idee aus dem Irdischen heraus überhaupt gedacht werden könnte?
a) Ist „Gott“ nur eine anthropozentrische Rolle und Hilfsfunktion?
Und nun können wir auf die Religionskritiker zurückkommen. Und wir können uns wundern, wenn sie aus der Psyche des Menschen heraus quasi die Nichtexistenz Gottes beweisen wollen. Man kann gewiss aus der menschlichen Psyche den Gotteswunsch ableiten, und man kann diesen Wunsch auch für irreal erklären, indem man nach obigem Muster überzeugt ist und erklärt, unsere Wirklichkeit und Welt sei eine solche, in welcher Ewigkeit des Lebens ausgeschlossen sei und ständig Platz für Neues und Anderes gemacht werden müsse. Nur: Wenn man einzig vom Willen zur Wahrheit angetrieben ist, dem es letztlich egal sein muss, ob das Sein oder das Nichtsein die letzte Wahrheit sei, dann muss es doch faktisch so sein, dass auch die Existenz oder Nichtexistenz eines Gottes gar keine Rolle mehr spielen kann?
Dies wiederum bedeutet: Wenn man selbst durch die Religionskritik hindurch gegangen ist (als echte Selbstkritik an der Aufrichtigkeit und Lauterkeit der eigenen Religiosität), dann weiß man, dass es nicht richtig sein kann, sich an Gott zu hängen, um die vergängliche resp. „als falsch empfundene“ endliche Wirklichkeit ertragen bzw. positiv auflösen zu können. Man kann sich dann nicht mehr im Glauben wie an einen Rockzipfel Gottes hängen, um eine Lebensversicherung über den eigenen Tod hinaus zu haben. Denn dies ist nun durch den aktivierten Willen zur Wahrheit ausgeschlossen. Man muss dann anerkannt haben, dass man die Todesproblematik mit sich selbst abmachen muss, man muss sie in sich selbst besiegen und kann keinen Deus ex machina dafür herbeiziehen. Hier gibt es kein Pronobis, weil da niemand ist, der diese Aufgabe für das Individuum übernehmen könnte, weshalb die Offenbarung auch das Siegen der Individuen erwartet. Auch der Religionskritiker muss sich also mit dem eigenen Tod abgefunden haben, ansonsten könnte er einen Gott (bzw. Gottesgedanken), der zunächst und zumeist vom Menschen existenziell dringend gebraucht wird, nicht als Illusion verwerfen.
Und wenn er das wirklich getan hat, der Religionskritiker, dann muss er die Nichtexistenz Gottes nicht mehr beweisen und braucht keine Nichtexistenz Gottes mehr zu lehren. Denn faktisch ist es dann egal, ob ein Gott sei oder ob kein Gott sei. Es bleibt sich gleich, denn die menschliche Existenz hat sich nun in sich selbst abgefunden, gründet nun also in sich selbst, zumindest einmal psychisch, ohne Zuflucht bei einem „Herrn und Meister“ zu suchen, und so kann dieser „Gott“ nun neben dem Menschen bestehen gelassen werden, ob er nun existiert oder nicht existiert - einerlei. Der Religionskritiker bekämpft also nicht eigentlich Gott, sondern er bekämpft ihn nur indirekt, insofern in der Religion die Gottesvorstellung oder der Gottesglaube dem Menschen dazu dient, die „harte Realität“ zu verschleiern und damit sich selbst zu belügen.
Der Religionskritiker wird aber zunächst einmal trotzdem schnell und leicht zum Gottesleugner, um den Gläubigen deutlich zu machen, dass sie falsch liegen und dass "menschliche Existenz" wider ihr Erwarten auch anders "funktioniere", obwohl mir diese Kausalität nicht logisch zwingend erscheint. Außerdem hat ein Gottesleugner als solcher immer noch ein Verhältnis zu Gott, wenngleich ein negatives. Und so sollten wir heute klar sehen, dass die Gottesleugner nach und nach weniger werden, weil auch sie sich weiterentwickeln: Gottes-Leugner -> Gott-Lose, wobei dann nur noch – als Endpunkt dieser Entwicklung - dieser Terminus selbst verschwinden muss, damit die Existenzsituation endlich materialistisch-atheistisch in sich stimmig wird, also: Gottes-Leugner -> Gott-Lose -> „Lose“. Diese Zukunft heißt dann: Da ist kein Gott mehr. Kein Himmel mehr. Da ist nur noch Erde. Öde. Verlassen- und Verloren sein. Die blanke, nackte Wahrheit des Seins. Ohne Einbildung. Ohne Selbstbetrug. Ohne Stütze. Ohne Stärkung von außen. Ein freies, ungehaltenes Menschsein in den Weiten des Kosmos, dem sich die Sinnlosigkeitsfrage aufdrängt…
***
Freilich ist dadurch, dass das Hilfsmittelsein Gottes abgelehnt wird, eine weitere unserer (stillschweigenden oder impliziten) Grundüberzeugungen erschüttert oder aufgegeben: „Gott ist Gott, weil er gebraucht wird.“ Als Gläubige sagen wir das nicht unbedingt, weil wir vor uns selbst als fromm, rein, lauter erscheinen wollen können. Aber tief in unserem Innersten meinen und wissen wir es. Deshalb müssen wir dieses „Innerste unserer selbst“ ggf. „religiös inbrünstig zuzwicken“ (und vor uns selbst verborgen halten), wenn uns „religiöse Lauterkeit“ möglich bleiben soll. Diese „Lauterkeit“ sagt im Bewusstsein, was sie im Unterbewussten nicht halten kann: „Im Gottesglauben geht es um Gott, nicht um den Menschen. Der Mensch liebt den Gott um seiner selbst, d.h. um Gottes willen, und nicht, um ihn als Mittel zum Zweck des ewigen Lebens zu benutzen.“
Wir müssen also in Religion und Glaube innerlich „inbrünstig die Augen verschließen“, damit wir nicht Gefahr laufen, vor Gott als Betrüger oder Heuchler zu erscheinen, denn am Ende verlören wir dadurch unsere Lebensversicherung…
…indem der Gott unsere innere Zögerlichkeit, nun ja, …Unaufrichtigkeit, bemerkte und am Ende noch auf die Idee käme zu sagen: „Dieser Mensch da drüben, hinten, in der hinteren Reihe da, ist unglaubwürdig! – Du da, DU BIST UNGLAUBWÜRDIG! Es geht DIR gar nicht um MICH!! Es geht DIR um DICH SELBST!!!“…
…"Dank sei DIR, der DU das HAST, was WIR WOLLEN! Aber uns genügt ja schon ein Stühlchen oder Höckerchen in der Ewigkeit, denn wir sind ja bescheiden und wollen Dir Deinen Thron in keinster Weise streitig machen… Bleib Du einfach, der Du Bist, und wir bleiben, die wir sind, und alles passt doch wunderbar"...?
Also: Fest zuzwicken, damit auch nicht der leiseste Hauch eines Zweifels an unserer inneren Lauterkeit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit aufkommen könne, nicht vor Gott, und schon gar nicht vor uns selbst, denn dadurch würden wir unseren festen Existenz-Halt, unser heimliches Über-Ich gefährden, und das brauchen wir nun mal, denn wir sind ja bloß arme, schwache Menschen mit beschränktem Wissen und Bewusstsein, keine Übermenschen mit einem Überwissen und Überbewusstsein… (vgl. hierzu Röm. 8, 26ff: "Der Geist hilft unserer Schwachheit auf"; Übersetzung der gleichnamigen Bach-Motette entnommen)
b) Religion ist das Unvermögen, den Lebenswillen mit der Vernunft zu durchdringen
Luther erkannte scharf, dass der Mensch von sich aus niemals Gott als Gott anerkennen könne. So formuliert er in These 17-18 seiner „disputatio contra scholasticam theologiam“ von 1517 (Übersetzung Wilfried Härle):
17. Der Mensch kann von Natur aus nicht wollen, dass Gott Gott ist.
(xvii Non potest homo naturaliter velle: deum esse deum.)
18. Vielmehr wollte er, er sei Gott und Gott sei nicht Gott.
(xvii Immo vellet se esse deum. et deum non esse deum.)
Text-Nachweis: aus Luther
"disputatio contra scholasticam theologiam"
von 1517, in: Martin Luther, Lateinisch-Deutsche Studienausgabe
Band 1, Der Mensch vor Gott, unter Mitarbeit von Michael Beyer
herausgegeben und eingeleitet von Wilfried Härle,
Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2. Aufl.
2016 (inzwischen gibt es eine 3. Aufl. 2022), hier:
Leseprobe in Form einer PDF-Datei von 72 Seiten. Die Thesen
17-18, lateinisch – deutsch, sind zu finden auf S. 67f
PDF (= S. 22f Band 1). Externer Link
(doppelseitig): https://www.eva-leipzig.de/flexpaper/?leseprobe=zw_9783374022397_digital_LP.pdf
- abgerufen am 21.04.2024.
Nur: Irgendwie ist es Luther dann doch gelungen, Gott als Gott anzuerkennen…!?
a) Durch Gottes Gnade?
b) Durch seine Einsicht in Gottes Gnade?
c) Durch Gottes ihm gnädig geschenkte Einsicht in seine Gnade?
Am Anfang stand für ihn die Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ - eine Fragestellung, die nicht unbedingt für psychische Autarkie und ein freies, sachliches Erkennen spricht. Daraus resultiert sein psychisch belasteter theologischer Ansatz der menschlichen Existenz. Einen psychisch ausgeglichenen philosophischen Ansatz der menschlichen Existenz hatte er nicht. - Und möglicherweise hat er sogar die menschliche Vernunft als eine brauchbare Handlungs- und Entscheidungsinstanz verworfen (ich kenne ihn zu wenig)? Für einen Theologen, der sich sehr intensiv und auch begrifflich scharf ins Denken hineinbegeben hat (und also vom Denken an sich viel halten muss – warum sonst praktiziert er es so ausgiebig und disputiert/argumentiert so viel?), erschiene dies zumindest etwas merkwürdig.
Wenn an Gottes Gnade alles gelegen ist (sola gratia), können wir uns das Denken und Erkennen doch sparen, weil es auf unsere Einsicht nicht ankommt! Sie kann Gott gleichgültig sein, und ebenso dem Menschen. Und dann hätte sich Luther seine vielen Gedanken und Disputationen auch sparen können. Und nun wissen wir nicht, ob es die Luther‘sche Theologie (als echtes, wirksames Glaubens-Hilfsmittel) - und dann auch die Reformation (als echten, wirksamen Ausdruck der Kirchen-Wirklichkeit in der Zeit) - jemals gegeben hätte, wenn Luther sich – konsequenterweise – sein vieles Denken und Gewissensbeißen und Christsein-Lehren gespart hätte und die Geschicke des Menschen schlicht und einfach allein der Gnade Gottes überlassen…?
Oder man kann seine Frage nach dem gnädigen Gott in Zusammenhang sehen mit einem strengen Vater-Eindruck und sich fragen, inwiefern das eine Thema ins andere hineinspielt oder auch von Luther „theologisch herausübersetzt“ wurde. So auch im Werk Mozarts (nehmen wir seinen Don Giovanni). So auch im Leben und Handeln Friedrichs des Großen (mit Wendung vom Weichling zum Härtling). - Solche Fragestellungen können uns helfen, unserer eigenen Psyche auf den Grund zu gehen, weil diese flüchtige, immer auf dem Sprung befindliche menschliche Psyche ja offensichtlich ein großer, schwer (oder auch gar nicht) durchschaubarer Verkleidungskünstler ist, auf den wir solange im Bewusstsein hereinfallen werden, als wir den Selbstbetrug im Unbewussten noch zulassen und noch nicht unterbinden konnten oder wollten, falls dies überhaupt möglich sein sollte...
...Es wird jetzt absehbar, dass die Religiosität des Menschen darauf beruht, dass der Mensch den ursprünglichen authentischen Lebenswillen in sich nicht mit seiner Vernunft durchdringt, sondern ihn in einem Kurzschlussverfahren bzw. religiösen Lebenssicherungsverfahren einfach als faktisch hinnimmt und gerade nicht in die Theorie heraussetzt.
Und deshalb bleibt das „religiöse Innerste seiner selbst“ (das „zugezwickt“ werden muss, um das authentische Gefühl der eigenen Lauterkeit aufrecht erhalten zu können) hinter dem (versteckt gelassenen) wahren Inneren des Menschen zurück, weil die Vernunft leider nicht auf die Idee kommt, auch den Lebenswillen selbst nochmals zu vergegenständlichen und rational-geistig zu durchdringen.
Der Mensch kommt nicht auf die Idee, in einer sachlichen Betrachtung des Lebenswillens könne eine höhere, tiefere Vernünftigkeit gefunden werden und zum Tragen kommen. Also wird dieser „Lebenswille“ als nicht mehr weiter ergründbares „Unbedingtes“ einfach hingenommen. Der unbedingte Wissens-Irrtums-Knäuel wird nicht als solcher erkannt und aufgelöst, sondern in sich ungelöst gelassen und eine Lösung von außen herbeigeholt, religiös, ex machina.
Faktisch wird damit auf der Seinsebene des Menschen die Unsouveränität und Nichtautarkie des Geistes als solchen behauptet, und wir können darin die sog. Sünde wider den Geist vermuten, die nicht vergeben werden kann, indem der (menschliche) Geist ja darin sich selbst falsch festsetzt und sich selbst als Geistwesen, welches erkennend letztlich alles durchdringen kann (und können muss), negiert. Die Geistigkeit des Menschen bleibt implizit, oder: Der Mensch setzt sich selbst nicht zum Geistsein heraus, indem er diese Möglichkeit oder Potenz seiner selbst gar nicht erkennt, und so entgeht ihm auch sein eigener Schöpfungs-Verstoß und -Widerspruch.
c) Ist Gott absichtlich in seine Nichtexistenz, in den „Wirklichkeits-Anschein“ verschwunden?
Wie sollten wir uns nun einem „Gott“ gegenüber verhalten, den wir gar nicht mehr brauchen, indem wir durch eine religionskritische Selbstkritik hindurch gegangen sind? Was wird denn mit einem Gott, der seiner Rolle seines Gebrauchtwerdens sozusagen beraubt wurde? Aber: Vielleicht haben wir ihm diese Rolle ja auch angedichtet, nur angehängt, und er selbst will gar nicht so gesehen und behandelt werden?
Nur dass der Gott machtlos gegen das zu sein scheint, was Menschen ihm anhängen resp. dass Menschen sich an ihn hängen. Er ist machtlos dagegen, dass Menschen sich ihm aus unlauteren, eigensüchtigen Gründen zuwenden, z.B. nicht: weil er Gott ist, sondern: weil er die Macht über das Leben hat. Und an diesem Leben möchten die Menschen dauerhaft teilhaben, und deshalb glauben sie an Gott, soll heißen an denjenigen, der das Leben über den Tod hinaus geben kann. Das ist seine Rolle, dafür wird er gebraucht: Gott ist die Lebensversicherung des Menschen. Dafür wird Gott im Glauben benutzt! Der Glaube scheint das einzig mögliche Mittel zum Zweck des ewigen Lebens zu sein, und der Gläubige muss eigentlich hoffen, dass Gott nicht tiefenpsychologisch geschult sei.
Umgekehrt könnte dieser Gott den Gedanken hegen: „Warum vermeiden meine Gläubigen eine tiefenpsychologische Betrachtung ihrer selbst? Haben sie etwa Angst, die Wahrheit über sich selbst zu erfahren? Oder haben sie Angst, es könnte mich in Wahrheit gar nicht geben und sie müssten ihren Glauben aufgeben und ganz allein in der großen Welt, diesem vielen „Anderen“ und „Fremden“ dastehen, das sie niemals durchdringen zu können glauben oder auch einfach nicht durchdringen wollen?“
Und wir können unsere Gedanken noch weiterspinnen und weiter fragen: Oder ist der Gott doch nicht machtlos dagegen? Was würden die Menschen denn tun, wenn er sich ihnen entzöge, nicht nur „in die Unsichtbarkeit“ hinein, denn das wäre ja nichts Neues. Aber da Gott als solcher doch gewiss das schier Unmögliche möglich machen kann, könnte er vielleicht sogar richtig weggehen, also „ganz weg“, in seine „eigene Nichtexistenz“ hinein!?
Was würden die Menschen tun, wenn kein Gott mehr wäre, so dass niemand mehr für die Überlebens-Sicherungs-Rolle zur Verfügung stünde? Müssten sie dann nicht endlich, e n d l i c h – der Wahrheit des Seins selbst ins Auge sehen? Als Endliche – nun aber ohne Unendlichkeitsversicherung?
Gewiss, ein Gros der Menschen würde den Gottesglauben sehr bald gänzlich verlieren… Aber was wäre dadurch schon verloren? Ein falsches „Sich hängen an Gott“ wäre dadurch verloren, was ja – dialektisch gesehen – eher ein Vorteil und Fortschritt sein könnte…
Aber vielleicht, v i e l l e i c h t, kämen manche unter den Menschen dann doch auf die Idee, auf sich selbst und ihre eigene Religiosität hinzublicken (anstatt eisern und unerbittlich auf den rettenden Gott fixiert zu bleiben und an sich selbst – zuzwickend - vorbeizusehen)? Also Kritik zu üben an ihrer eigenen Hypostasierung, mit welcher der „Gott selbst“ doch gar nichts zu tun hat, weil sie bloße Menschensache ist?
Und wenn der Mensch als animal rationale eine solche Selbstkritik tatsächlich leisten kann und leistet, dann müsste gar nicht der Gott die ihm falsch angehängte Rolle abstreifen oder verbieten, sondern die Menschen würden es ganz von allein tun, aus sich selbst und ihrem entwickelten Wahrheitswillen heraus, indem ihr Erkenntnisobjekt nun nicht mehr ein personifizierter Gott, sondern ihre eigene Personifizierung des Seins als solchen wäre, das jetzt aber - nach dem „Ausfall Gottes“ - als neutral und „unbeteiligt“ (an der menschlichen Psyche und Befindlichkeit) erschiene.
Dieser Gedanke, die heute offensichtlich gewordene „Nichtexistenz Gottes“ könne selbst gottgewollt sein, ist m.E. nun tatsächlich etwas Neues. „Gott“ würde sich diese (andersartige) Neutralisierungs-Rolle selbst gegeben haben, zuerst geschichtlich umgesetzt, später dann von den Menschen geistesgeschichtlich nachvollzogen, quasi als Schachzug gegen den (anlehnungsbedürftigen) Menschen, um diesen auf diesem „Umweg“ doch noch zur Anerkennung seiner als derjenige, der er in sich selbst ist, zu bewegen, nur in der Verbergungs-Form einer Anerkennung des Seins als solchen, oder noch neutraler und abstrakter formuliert: in der Akzeptanz der Wahrheit über das Sein, noch abstrakter: in der Annahme der (unbekannten) Wahrheit, weil sie die Wahrheit (= Realität) ist!
Dies bedeutet: Rein psychisch gesehen, ist Gott als Gott vom Menschen überhaupt nur in der Verkehrungs-Form einer Anerkennung der Wahrheit als solcher anerkennbar. Ist nun die (unbekannte!) Wahrheit als solche vom Menschen akzeptiert und angenommen, indem sie – die Wahrheit - nun beides bedeuten darf: Sein oder auch Nichtsein des Menschen, so wäre darin zugleich auch Gott als Gott anerkannt, falls es ihn gibt, denn dann erst wäre er vom Menschen „sein gelassen“. Nun hat der Mensch die abschreckende Möglichkeit, der Tod könnte die letzte Wahrheit sein, innerlich angenommen, und so sieht er nun Gott nicht mehr in einer anthropozentrischen Rolle, nicht mehr als Erretter vom Tode an. – Jetzt steht Gott oder das Sein quasi neutral neben ihm, ohne besondere, spezifische, innerpsychisch oder existenziell bedingte Anziehungskraft.
Allerdings erscheint er nun zugleich in einer „religiösen Unmöglichkeits-Form“, möchte man sagen, sozusagen als „Religions-Karikatur“, nämlich „seinem“ Nicht-mehr-Gebraucht-werden!? Aber so darf Gott nun erst er selbst sein, und der Mensch hat aufgehört, ihn religiös zu bedrängen und beeinflussen zu wollen, um die Wirklichkeit des Seins nicht so hinnehmen zu müssen, wie sie ist, nämlich – offensichtlich - „endlich“, sondern um sie in eine solche Form zu bekommen, wie sie vom Menschen existenziell und religiös gewünscht ist, nämlich „unendlich“.
Und wenn nun die geschichtliche und geistesgeschichtliche „Rückläufigkeit Gottes und der Geistwelt“ in unserer Wirklichkeitswahrnehmung kein mechanisches und kein zufälliges „Werk der Natur“ gewesen sein sollte, und auch kein gezielt-aufklärerisches „Menschenwerk“ (weil dem Menschen dazu der Weitblick und die längerfristige Planungskonstanz fehlt), dann könnten Gott und die Geistwelt selbst diese Entwicklung initiiert haben, im Wissen, dass die Religiosität des Menschen erst eine geistesgeschichtliche Aufklärungs- oder Selbstreinigungsphase zu durchlaufen hat, bevor sie als „rein“ oder „in der Ordnung befindlich“ gelten kann.
Es müsste dann im „Himmel“ ein Wissen darüber vorhanden sein, dass menschliche Religiosität nicht eo ipso rein und aufrichtig ist und sein kann, sondern dass sie „in sich falsch“ sein kann oder vielleicht sogar zwangsläufig sein muss, solange der Gott als Seelenstütze und Lebensgrundlage präsent bleibt und dadurch der unverhüllte (Tiefen-)Blick des Menschen auf sich selbst verhindert ist.
Der religiöse Wille überlagert den Lebenswillen, behält ihn daher unbesehen im Gepäck und hindert die menschliche Vernunft daran, sachlich Einblick in diesen eigenen Lebenswillen zu nehmen.
***
Man könnte dies nun ein „falsches Beten“ nennen, welchem dann freilich ein „richtiges oder wahres Beten“ entgegenzusetzen wäre, allerdings mit der bereits angesprochenen Problematik, welchen Bezug ein Beten denn noch haben können soll, wenn der Gott doch „sein gelassen“ und nichts mehr von ihm für sich gewollt ist?
Sofern dieser Gedankengang prinzipiell richtig ist, müsste die Bibel – als unsere mutmaßliche Denk-Gebrauchsanleitung – auch einen entsprechenden Hinweis enthalten, zum Beispiel eine Äußerung wie:
„Aber es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ (Joh. 4,23f)
Lutherbibel,
revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft,
Stuttgart, und Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH,
externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes4,
abgerufen am 01.04.2024.
Die Bibel weiß also, dass im Beten des Menschen differenziert werden muss zwischen einem falschen und einem wahren Beten und dass erst eine gewisse Zeit verstreichen muss, sagen wir: Geist-Entwicklungs-Zeit, damit der Mensch zum wahren Beten finden kann. Sie weiß, dass der Mensch Gott als Gott niemals anerkennen kann, denn sein Lebenswille steht dem unerbittlich und kompromisslos entgehen, und sein religiöser Wille wird daher immer lügenbehaftet bleiben, solange dieser den Lebenswillen in sich birgt und zugleich vor sich selbst verbirgt (Stichwort „Zuzwicken“), egal, ob der Mensch dies sich nun selbst eingestehen kann - wie bereits zu Beginn der Neuzeit Luther vorbildlich und auch geistig-intellektuell seiner Zeit „tiefenpsychologisch“ weit vorauslaufend - oder nicht eingestehen will.
Hingegen kann der Mensch die Wahrheit als die Wahrheit anerkennen! Das kann er! Denn dazu muss er „nur“ den Willen zur Wahrheit, den Willen zur Realität mitbringen! Denn eine bloße „Sache“ – die Wahrheit – bitten zu wollen (um gnädige Gewährung ewigen Lebens) ist evidentermaßen absurd, und so viel Realitätssinn hat nun jeder normale Mensch. Deshalb wird der Mensch bereit sein, in „die Wahrheit“ einzuwilligen, d.h. sich mit dem Tod abzufinden, weil es keine (akzeptable) Alternative gibt, und so erhält er die (biblisch angekündigte) Möglichkeit, ins wahre Leben, das den Tod nun in sich aufgenommen hat, hinübergehen zu können.
Solange aber ein Gott (präsent) ist, bleibt für den innerlich zittrigen Menschen immer die Möglichkeit eines Sich-nicht-Abfinden-Müssens mit dem Tod, d.h. in die Wahrheit als Wahrheit nicht einwilligen zu müssen, d.h. den eigenen Lebenswillen nicht weiter anzusehen, und so resultiert die Unmöglichkeit, den Tod ins eigene Leben zu integrieren und also ins wahre Leben hinüberzugehen.
Also muss der Mensch mit der Seinsfrage selbst konfrontiert werden, und zu diesem Zweck muss Gott abwesend werden, d.h.: Zumindest vor dem Menschen muss der Eindruck entstanden sein, Gott existiere gar nicht. Denn dadurch steht niemand mehr für die Lösung der Seinsfrage zur Verfügung, und der Mensch muss sie nun selbst lösen und wird sich mit dem Sein abzufinden haben, egal, ob es nun – letztendlich - das „ewige Leben“ oder den „Tod und das Nichts“ für ihn bedeute.
Und nun erst kann er sowohl seinem Religionswillen als auch seinem Lebenswillen – sachlich fragend - auf den Grund gehen, und es bleibt ihm, sofern er gewillt ist, der Realität ins Auge zu sehen, nichts anderes übrig, als sich mit seinem eigenen ewigen Tod einverstanden zu erklären, da er nicht weiß, ob es für ihn – in Wahrheit – ein Bleiben gibt oder nicht. Und wenn er nun uneingeschränkt Ja zur unbekannten Wahrheit sagt, so muss er dies für beide Möglichkeiten tun, also auch für den Fall des Nichtseins bzw. Nicht-bleiben-Könnens.
Und so erst wird ihm ein freies, unvoreingenommenes Zugehen auf das Sein möglich, denn er hat ja nun mit der Seinsfrage innerlich bereits abgeschlossen, kann daher bzgl. der Wahrheit des Seins keine böse Überraschung mehr erleben – und das Sein des Kosmos und Universums darf nun endlich vor ihm dasjenige sein, das es nun einmal faktisch, in sich selbst ist.
Verblüffend ist das („erfreuliche“) Ergebnis dann nur im Spiritualismus-Fall (= Der Geist und das Leben ist die Wahrheit des Seins), während im Materialismus-Fall das triste, trübe Ergebnis des Einwilligen müssens ins eigene Nichtsein lediglich als „nicht weiter verwunderlich“ bezeichnet werden kann.
d) Anmerkung: Wie die Bibel gelesen werden muss
Wenn wir die Bibel nicht oberflächlich lesen und kurzschlüssig behandeln wollen, sondern angemessen würdigen, so müssen wir ihr zugutehalten, dass ihr Sprechen und Formulieren notgedrungen eine „Fixierung ins Wort“ ist, die über einen (für unsere Verhältnisse) sehr langen geistesgeschichtlichen Zeitraum hinweg gültig und lesbar sein muss und auch gelesen (rezipiert) werden soll.
Und folglich können wir nicht erwarten, dass ihre Äußerungen unserem „heutigen Zeitgeschmack“ oder unserer „aktuellen Wortwahl“ entsprechen werden. Vielmehr werden wir – umgekehrt – uns in das zeitenübergreifende Formulieren der Bibel hineinfinden und einfühlen müssen, um die in ihr möglicherweise enthaltenen „Erkenntnisse unserer Zeit“ herauslesen oder herausübersetzen zu können.
Natürlich gilt dies nur unter der Voraussetzung, es existierten uns überlegene Geistwesen, die uns die Bibel zu unserer Weiterentwicklung haben zukommen lassen, die wir nach wie vor bestehen lassen (nicht: einseitig setzen), als eine mögliche Alternative.
Bei der genannten Bibelstelle betrifft dies insbesondere den Terminus „Beten“, der durch die Abwesenheit Gottes gewissermaßen sinnlos geworden ist, oder mehr noch, nun die Konnotation des Irrealen und der Realitätsverweigerung erhalten hat. Die Bibel muss ihn dennoch gebrauchen, weil er über den viel größeren Zeitraum hinweg gültig, sinnvoll, richtig, angemessen sein wird oder ist oder war (jetzt von der in die Moderne fortgeschrittenen Neuzeit aus gemessen).
Aber immerhin: Die Bibel enthält schon eine Differenzierung im Beten, die im Grunde aus der alten, früheren Sichtweise heraus gar nicht verstehbar, zumindest nicht adäquat nachvollziehbar ist.
Und so ist es heute an uns, die diesem Alten, Traditionellen entgegengesetzte Wendung des „Betens im Geist und in der Wahrheit“ in unseren Zeitgeist herein zu übersetzen: Wir befinden uns heute in einer Misere-Situation, nicht nur durch das Verschwunden sein Gottes und der Geistwelt, sondern insbesondere durch unser eigenes kritisch-reflexiv-aufklärerisches „Vorgehen gegen uns selbst“, beispielsweise in der Religionskritik, aber auch in der Psychoanalyse, und wir stehen in der Gefahr, uns zu Tode zu reflektieren, weil wir uns schwer tun, den rechten, richtigen, gesunden „Halte- oder Angelpunkt unserer Reflexion“ zu finden.
Und so drehen und drehen wir die Dinge, und drehen nochmal, und drehen wiederum – warum und wozu tun wir das? Weil wir innig und aufrichtig die Erkenntnis der Wahrheit des Seins erstreben! Das ist der Grund unseres unaufhörlichen Herumdrehens, kein Sophismus, keine Rhetorik, sondern der ernsthafte Wille zur Wahrheit!
Also zeichnet uns in der Moderne ein unbedingtes, intensives, zugleich irgendwie hilfloses und verzweifeltes Ringen um die Wahrheit aus. Und da wir jetzt – nach unserer religionskritischen Selbstsichtung - wissen, dass die von uns intensiv gesuchte „Wahrheit des Seins“ möglicherweise nur der „aus (unserer) Not heraus sich selbst gewendet habende Gott selbst“ ist, so erfüllen wir mit diesem unserem Wollen und dieser unserer nach Erkenntnis strebenden Existenzgrundhaltung genau das, was die Bibel benennt und ausspricht als eine kommende Zeit des Betens im Geist und in der Wahrheit.
Diese letztgenannte Wendung ist sozusagen das positive Pendant zu einem (früheren, überholten, veralteten) Beten in der Seele und im Selbstbetrug. Das religiöse Hinstreben zu Gott ist ein seelisches Bedürfnis, bedingt durch den Lebenswillen, der a priori im Menschen vorhanden ist und durch den er selbst unfrei ist. Das erkennende Hinstreben zur Wahrheit ist nun ein geistiges Bedürfnis, bedingt durch den Wahrheitswillen, der nicht a priori im Menschen da ist, sondern frei in ihm entstehen kann, wenn er die „Erkenntnis der Wahrheit des Seins“ über sein „Erhalten werden im Sein“ stellt.
Ein wahres Beten muss sich auf die „Wahrheit des Seins“ beziehen, die nämlich – wenngleich nur formal - das „Innerste Gottes“ und sein Movens zur Schöpfung ist. Setzt der Mensch – in der Entfaltung seines Erkenntnisstrebens – die Wahrheit über sein eigenes Sein (im Hinstreben zu ihr), so erkennt er damit faktisch Gott über sich in seiner (= Gottes) Existenz an.
Ein Beten „aus ganzer Seele“ ignoriert diese Wahrheit des Seins, ignoriert also das eigene Vernunftwesen als animal rationale, will von ihm streng genommen gar nichts wissen. Deshalb muss dem Menschen eine Geschichts-Zeit zubereitet werden, die ihm ein Beten im Geiste erst ermöglicht. Der Geist aber ist Verstehen, Wissen, und wenn ihm dieses noch fehlt, ist er eben noch Streben nach Erkenntnis, und diese zur Wahrheit hinstrebende Erkenntnishaltung inmitten unserer Misere-Situation ist nun: die rechte „Betform“.
Und deshalb kann man die Philosophie (bzw. die existenziell gewahrte Wissenschaft) – in ihrer Vernehmenstätigkeit - die einzig wahre Religionsform nennen, was die Bibel damit bestätigt, dass sie aussagt, der Mensch werde durch seine Liebe zur Wahrheit gerettet werden (2 Thess. 2,10).
Im Modus der „Wahrheit als Wahrheit“ kann also „Gott als Gott“ vom Menschen tatsächlich anerkannt werden, nur besteht dann kein Herrschaft-Knechtschaft-Verhältnis mehr in der Ich-Gott-Achse, und so kann es auch kein knechtisches Sich ducken und kein existenziell duckmäuserndes Sich-in-den-Staub-werfen-vor-Gott mehr geben. Und solange der Mensch solche „Beugung seiner selbst“ praktiziert, missachtet und verletzt er hierbei sein schöpfungsgemäßes Vernunftwesen, leiblich-physiologisch repräsentiert im aufrechten Gang des Menschen, zu welchem nicht ein mathematisch geradeaus gerichteter Blick gehört, sondern ein Pendel- oder Schwingungsblick, sowohl nach oben als auch nach unten, als sei es des Menschen Aufgabe, die rechte Verbindung des Oben mit dem Unten zu suchen und zu finden. Er soll nicht nur zu Boden blicken (und einen Buckel bekommen), und er soll auch nicht – seine leibliche Eigenbewegung ignorierend – nur nach oben blicken, sonst passiert ihm das, was dem „weisen“ Thales passierte, der dabei nicht nur in eine Grube stürzte, sondern auch noch von einer thrakischen Magd beobachtet und verlacht wurde, aufgrund seiner Unvernunft oder seines nicht vernunftkonformen, realitätsvergessenen Verhaltens, indem er – zumindest für diesen Moment – eine unzulässige und lebensabstrakte „vita theoretica“ praktizierte.
Und deshalb muss diese Vertikalachse der menschlichen Existenz (Ich – Gott) von jetzt an auch in „Ich-Geist-Achse“ umbenannt werden, der ein gegenseitiges Freundschafts- und Kommunikationsverhältnis – auf einer Ebene stehend - entspricht:
„Ich nenne euch hinfort nicht Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich Freunde genannt; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.“ (Joh. 15,15)
Lutherbibel,
revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft,
Stuttgart, und Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH,
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abgerufen am 02.04.2024.
Und wir können nun weiter fragen: Wieviel geistesgeschichtliches Veränderungspotenzial steckt noch in dieser Vertikal-Achse „Ich – Gott“, die als solche erst neuzeitlich hervorgekommen ist und die nun – in vorgeschrittener Moderne – in „Ich-Geist-Achse“ umbenannt werden muss?
Das menschliche Ich ist geistesgeschichtlich erst hervorgetreten. Zuerst scheint der Mensch nur als eine Art (geistig sich in sich selbst zentrierendes) Anhängsel von höheren Geistwesen vorhanden gewesen zu sein. Dann kam ein Prozess allmählichen Selbstständig werdens in Gang. Die „Götterwelt“ wurde zum „Monotheismus“ (jetzt aber mit Engels-Heerscharen). Und damit war der „Pol Gott“ hervorgebracht. Dann kam neuzeitlich die Subjektivität herauf, der Mensch trat als Individuum innerhalb der Gesellschaft auf, und so kam der „Pol Ich“ zum Vorschein. Dadurch konnte die Achse „Ich – Gott“ entstehen. Der Prozess war aber damit nicht zu Ende. Denn der Gott-Pol schwand, und zugleich ging das Ich mit sich selbst ins Gericht, kritisierte sich in seinem Gottesbezug. Der Atheismus kam hervor, und das Ich schottete sich in sich selbst ab, wobei es eine Polarität in sich selbst fand: „Unter-Ich – Ich – Über-Ich“. Das Über-Ich wurde als falscher Gott-Pol erkannt.
In dieser geistigen Konstellation, die den Durchgang durch das Nichtsein erforderte, wurde dann die „Idee des Seins“ denkbar, und diese Idee verweist nun das Ich an die Stelle Gottes als seiner eigentlich eigenen Stelle. Zugleich scheint eine Renaissance der alten Seins-Wahrnehmung möglich, somit eine neue Sichtung Gottes und der Bibel, und die neuzeitliche Ich-Gott-Achse wird nun zur Ich-Geist-Achse. Das in sich abgeschottete Ich hat sein Über-Ich verloren (und holt sein Unter-Ich in sich ein), kann sich aber nun neu – geistig - nach oben hin öffnen und erlangt also ein Überbewusstsein als neue Komponente in sich, welches als die „Zukunft seiner selbst“ zu betrachten ist. Damit steigt das menschliche Ich selbst erstmals zur Geistigkeit seines Daseins, zum Geistwesen auf…
Und wird damit nicht aus der Vertikal-Achse „Ich – Gott“ eine Horizontal-Achse „Geist – Geist“, genauer: „noch weniger entwickelter Geist – schon höher entwickelter Geist“, die beide nun in einem rein vernunftgemäßen Schüler-Lehrer-Verhältnis zueinander stehen, ohne alles Macht- und Angst-Gefälle?
e) Was hat Gott sich bei seiner Schöpfung gedacht?
Abschließend wollen wir noch einen Verstehensversuch Gottes unternehmen. Die Terminologie ist ungewöhnlich, denn klassisch-traditionell wird in der Theologie von „Erkenntnis Gottes“ gesprochen, deren Gelingen zwar in Frage steht, denn: Wenn Gott auch nicht „der gänzlich Unerkennbare“ ist, so gilt er doch als „der Unergründliche“ oder „der Unbegreifliche“, oder auch als „der ganz Andere“. Damit wird aber Gotteserkenntnis von vornherein als Fremderkenntnis charakterisiert und ins Auge gefasst, und genau deshalb wähle ich den Terminus „Verstehensversuch Gottes“, um auf diese Weise deutlich zu machen, es könne in Wahrheit vielleicht das genaue Gegenteil zutreffen:
Gott ist der „ganz Eigene“, der uns nähersteht, als wir schon uns selbst, die wir nicht der „Geist selbst“ sind, sondern nur „Geist vom Geist“, der sich zumal zunächst einmal nicht als Geist und Geistwesen erkennen kann, und diesem mangelhaften Selbstverständnis unserer selbst kommt daher ein Evangelium entgegen, das uns helfen will, uns selbst besser zu verstehen, also (u.a.) unsere Selbsterkenntnis zu erhöhen, so, als sei in unserem derzeitigen Ich noch eine Erkenntnis-Potenz enthalten, quasi noch „Luft nach oben“, ein geistiger Verdichtungsspielraum unserer selbst, den wir nur noch nicht sehen können, weil wir ihn in uns selbst noch nicht „geschieden“, noch nicht ausdifferenziert, noch nicht realisiert, noch nicht "betreten", noch nicht "bezogen" haben.
Grundsätzlich erscheint ein „Verstehensversuch Gottes“ als unsinnig, überflüssig, absurd, denn: Wenn es ein Wesen gibt, das kein Verständnis oder Mitfühlen braucht, dann doch ganz gewiss der Gott, der das ewige Leben hat und also an sich selbst „genug“ haben muss!? Im religiösen Selbstverständnis des Menschen ist dieses Vorhaben also ein Unsinnsgedanke, oder vielmehr: Es ist überhaupt kein Gedanke, Gott Verständnis entgegen bringen zu sollen. Ist es nicht seine Kreatur, die Verständnis und Mitfühlen braucht, wir, die wir sterben und vielfach leiden müssen, aber doch nicht ER, Gott, der das einzigartige Seinsprivileg des unbehelligt und ungeschoren Am-Leben-Seins-und-Bleibens hat!?
Wir lassen diesen Gedanken auf sich beruhen und nehmen einmal die biblische (zumindest biblisch angedeutete) Behauptung, wir wären Geist vom Geist, ganz ernst. Dann kann uns Gott nicht als ein Fremder gegenüberstehen, sondern es besteht zu ihm – unabhängig von unserem übermächtigen Endlichkeits- und Existenz-Erschütterbarkeits-Eindruck unserer selbst – ein Freundschafts-, ja eine Art Seelenverwandtschaftsverhältnis, so dass wir gleichsam berechtigt sind, frei bei ihm ein- und auszugehen, indem wir als Geist-Freunde, Seelen-Verwandte und Seins-Angehörige damit rechnen können, jederzeit bei ihm und dem Seinen und auch den Seinen willkommen zu sein.
Das „neue Jerusalem“ dürfte wohl genau solchen Religions-, Gesellschafts-, Lebensverhältnissen der Zukunft entsprechen (vgl. Offb. 21, 22-27).
Lutherbibel,
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abgerufen am 02.04.2024.
Und der einzelne Mensch wird sich darin dann einfach als zugehörig zur Geistigkeit der Welt begreifen und empfinden, die keine ihm fremden oder unzugänglichen Winkel mehr aufweist, auch wenn er sich noch gut an die selbst durchlaufene Scheinwelt des Atheismus und Materialismus wird erinnern können, in die er nie wieder hinaus- oder hineingehen müssen wird, denn es gilt ja dann der Philadelphia-Sieg:
„Wer siegt, den werde ich zu einer Säule im Tempel meines Gottes machen und er wird nicht mehr hinausgehen. Und ich werde auf ihn den Namen meines Gottes schreiben und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das aus dem Himmel herabkommt von meinem Gott, und auch meinen neuen Namen.“ (Offb. 3,12)
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abgerufen am 15.07.2024.
Die gewohnte kreatürliche Sichtweise auf Gott könnte also falsch sein, analog dann auch die komplette traditionelle Theologie, und hierzu wollen wir nun quasi die Probe aufs Exempel machen, indem wir nachprüfen oder gleichsam nachsehen, ob Gott in der Rolle des Mächtigen, des Herrschers, des Furchteinflößenden, des souveränen HERRN denn überhaupt richtig und wahrheitsgemäß gesehen ist, als wären Kosmos und Schöpfung – in ihrem Innersten! - ein ewig unaufhebbarer Absolutismus, ein Ewigkeits-Machtverhältnis, mit welchen man sich – als Kreatur - realistischerweise abzufinden habe?
Wir fügen damit zur bereits eingeführten „Experimentalphilosophie“ nun also auch noch eine „Experimentaltheologie“ hinzu, die sich aber nicht primär auf irgendwelche „objektiven Wahrheiten des Seins“ bezieht, sondern auf unsere subjektiven religiösen Befindlichkeiten und Vorbehalte, die uns ja möglicherweise den geistigen Blick auf die reine Wahrheit selbst nur psychisch verstellen, uns also daran hindern, die Dinge sachangemessen-objektiv-realistisch zu erfassen, so, wie sie wirklich sind?
Der methodische Grundgedanke sei hierbei wiederum ein solcher, der gänzlich „verkehrt“ erscheint, entsprechend dem grundsätzlichen Verkehrungs-Wesen und -Denken der Philosophie, das selbst hier nochmals weiterführt. Und als Gläubiger, der gewohnt ist, Philosophie und Theologie voneinander zu trennen, mag man spontan urteilen: „Wie krank muss denn ein Denken geworden sein, um auf eine solche absurde Idee zu kommen!?“
Dieser „Krankheits“-Gedanke ist nun folgender: Kann es sein, dass eine „Notlage ewigen Lebens“ besteht und die Schöpfung und Kreatur als eine „Notlinderung oder Heilmittel Gottes“ anzusehen seien?
Gehen wir jetzt also probeweise in diesen den GEIST hinein, indem wir versuchen, uns empathisch an SEINE STELLE zu denken, nicht knechtisch davor Halt zu machen und solches Hineingehen als Blasphemie auszugeben, sondern vernehmend resp. freundlich gewogen, ohne negative existenzielle Erfahrungs-Voreingenommenheit, um IHM quasi den Gefallen zu tun, IHN aus SICH SELBST heraus zu verstehen zu suchen, unter Hintanstellung all unserer kreatürlichen Eigeninteressen oder auch Existenzvorbehalte, die uns vorsichts- und sicherheitshalber von solchem riskant-brisanten Vorhaben abraten wollen. Nein, wir wollen unsere Ängste und Befürchtungen, mit welchen ...wir ...uns ...um uns selbst sorgen, möglichst nicht in IHN hineinmischen, so, als wäre es unsere vornehmliche, rein sachliche und in Wahrheit vielleicht sogar einzige Aufgabe als animal rationale, das Sein selbst oder Gott und seine Schöpfung zu verstehen resp. anzunehmen (im doppelten Sinn). In dieser Weise sei uns unsere eigene "Idee des Seins" der Kompass unseres Wahrheitsstrebens, welcher uns - in unserem "Votum" - ein "Urvertrauen" anzeigt, das wir fassen und haben können…
„Hier bin ich in vollkommener Ewigkeit. Niemand außer mir selbst weiß von diesem ewigen Lebensquell, der ich selbst bin. Niemand weiß von der Unfassbarkeit meines Einfach-da-Seins, Nirgends-her-gekommen-Seins und Nirgends-hin-Gehens. Immer bin ich da - und habe mich nicht selbst gemacht [!!!???] …
Nur: Bin ich nicht in dieser meiner in mir ruhenden „Vollkommenheit“ ein im Grunde Unvollkommenes, sozusagen Instabiles oder gar Unmögliches? Gewiss, ich habe das Leben in Fülle, doch bin ich auch kommunikationslos, kommunikationstot, teilnahmslos – ich bin allein, all-ein.
Ich will meine Fülle aber nicht für mich behalten, ich will mich mitteilen. Da aber niemand neben mir in meinem Sein ist und sein kann, kann ich nur ein Anders-Sein hervorbringen, sollen Gemeinschaft, Sozialität, Teilhabe an meinem Staunen über mein ewiges Dasein, das ich nicht selbst gemacht habe [!!!???], möglich werden: „ICH BIN ICH. Aber ich will auch DU sein… Ein DU soll werden!... Ein Ich soll werden, das ein DU schon vorfindet! - anders (und schöner) als ICH, auch wenn dies - im Prinzip - unmöglich scheint. ICH mache es aber dennoch möglich, denn ICH BIN das Prinzip, der Anfang.
Ja, VIELE sollen sein; sie sollen zugleich sein und zugleich nicht sein. Dies ist mein Entscheidungs-Wort zum „Satz vom Widerspruch“, den die bloßen Denk-Logiker niemals zureichend und erschöpfend begreifen können, es sei denn, sie werden zu Seins-Dialektikern, die sich nicht nur auf die tote Logik, sondern auch auf das lebenerfüllte Sein verstehen. Und so soll meine Schöpfung sein: Des Seins lebendig existierender WIDERSPRUCH IN SICH, der „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ lösbar bleibt, wenn diese VIELEN sich wiederum ent-schließen ins ICH selbst hinein, das all-ein ICH BIN. Dies ist das von mir in diese multiple Wirklichkeit, die durch die Vielen konstituiert wird, hineingelegte dialektische Schluss-Verfahren in Sich...Schluss-Verfahren ins ICH.
Und diese Anderen sollen
ihre so hervortretenden Entitäten oder Identitäten ihres
Anders-Seins nicht missverstehen, nicht missdeuten und nicht
missbrauchen. Denn grundsätzlich gilt: In der Ewigkeit ist nur
für das Sein selbst Platz, das bin nun einmal ICH ALL-EIN.
Alles andere Sein ist erst durch mich ermöglicht und
von mir sozusagen ins Sein geborgt dadurch,
dass ich es in den Fluss gegeben habe, der wesenhaft
erkennender, also geistig-kommunikativer Natur und Existenz ist
bzw. sein soll. Und so soll dieses Anders-Sein nicht an sich
selbst festhalten wollen, sondern sich selbst als im Fluss
stehend auch erkennen und frei in seine von mir
vorgesehene und zielgerichtete Rückkehrbewegung zum Sein selbst
(zu MIR) hin einwilligen, unter (Wieder-)Preisgabe seines
Anders-Seins oder geborgten Daseins, so wie ich zuerst mein
Selbst-Sein preisgeben werde, um das Anders-Sein zu
ermöglichen. Diese Hin- und Rückkehrbewegung
ist seine Identität, Identität und Wesen des
Anders-Seins, sein Leben, seine Entwicklung, sein Wesen und
Ziel: seine (Wieder-) Aufhebung ins dauerhafte Sein selbst
hinein, also ins ICH selbst hinein, das allein ICH selbst
BIN, und zwar von „Ewigkeit“ zu „Ewigkeit“, deren bloße
„Zwischen- oder Nebenzeiträume“ meine Geschöpflichkeit beleben
darf und soll.
Alle Kreatur hat, sobald sie
im Anderssein die Seinsstufe der Freiheit oder des
Selbst-Bewusstseins erlangt, grundsätzlich zwei Möglichkeiten
im Sein: Selbstabgrenzung und Beschwerde, oder Identifizierung
und Aneignung. Jedes Ich muss für sich selbst entscheiden, ob
es anders sein will, als ich es geschaffen und bestimmt habe,
oder ob es genauso sein will, wie ich es geschaffen und
bestimmt habe. Im ersten Fall lehnt es meine Schöpfung ab, im
zweiten Fall nimmt es sie an. Im ersten Fall resultiert „das
Böse“, im zweiten Fall resultiert „das Gute“. Die Ent-Scheidung
will ich meiner Kreatur überlassen, bin ich doch selbst in ihr
mit darinnen. Und so wird sich der Bogen des Seins ganz von
selbst kreatürlich in sich aufspannen und hoffentlich auch
wieder zurückschnell'n.
Das ist die Lösung meines ALL-EINS-SEINS, die Lösung meines Allein-Seins, die Lösung meiner Mit-Teilungs-Not: Ein Wechselspiel des Ich und Du soll werden, des Selbst-Seins und Anders-Seins,
und Ich soll sich im Du erkenn'n,
und Du soll sich im Ich erkenn'n,
und Geist soll sich zu Geist fin'n,
und Ich soll erkennen, dass es aus allen Du herausspitzt und sich selbst darin von außen erblickt. Und das große Spiel des Ernstes, der große Ernst des Spieles soll sich aus sich selbst heraus auch wieder selbst enträtseln und auflösen. Dies ist der EIN-fache Sinn meines hochkomplexen Schöpfungs-Werkes.
Und dies also ist die
Lösung meiner „Unvollkommen-Vollkommenheit“, die ich in
alle Ewigkeit bin und von der die Menschen nichts wissen, weil
sie nur bis zu mir hin denken, soweit eben ihr (sich
selbst verkürzendes) Eigeninteresse reicht, das mit
der Sicherung ihres ewigen Lebens
erfüllt ist. Sie bilden sich einen kleinen Kurz- oder
Trug-Schluss ihres Lebens, anstatt sich in das große
Schluss-Verfahren des Seins überhaupt und also meiner
Schöpfung im Ganzen zu ergeben und sich darin wahrhaft zu
finden. Sie sehen nicht mehr MICH selbst, weil
ihr Eigeninteresse MICH selbst gar nicht mehr mit
umfasst, sondern zuvor schon erfüllt ist, so wie ihr Ich
in sich rund zu sein scheint, obwohl es noch gar nicht ALL-ES
in sich aufgenommen hat. Und einem Geistwesen, das schließlich
Geist von meinem Geist ist, sollte doch jederzeit
evidentermaßen klar sein, dass es niemals "ich selbst" sein
kann, solange es ein "Anderes" und "Fremdes" "sich selbst"
gegenüber weiß!?
Aber nein. Die Menschen haben MIR eine Aufgabe zugedacht, die ICH ihnen erledigen soll, und erfülle ICH sie, so sind sie’s zufrieden, ihr Denken ist dann zu Ende und umfasst MICH selbst und MEIN Schöpfungsanliegen, zu welchem sie selbst gehören, gar nicht mehr.
Sie interessieren sich für ihr ewiges Leben, aber nicht für MICH, den „Gott“, der es ihnen schenken soll. Sie interessieren sich für das ewige Sein, aber nicht für die Not, die damit verbunden ist. Sie fassen also ein Ziel ins Auge, vergessen aber, sich ins Ziel hineinzudenken und zu prüfen, ob sie das Ziel als solches richtig bestimmt haben und überhaupt wollen. Sie haben ihre eigene Idee, die Idee ihrer selbst, aber sie überprüfen sie nicht, essen sie nicht, nehmen sie nicht in sich auf und verdauen sie nicht, erkennen sie nicht als geistige Nahrung, als Nahrung des Geistes in und für sich selbst. Sie gebrauchen ihren Geist nur halb, und so kommen sie zu einer Halbwahrheit, die keine halbe, sondern eine volle Unwahrheit ist.
Sie haben MEIN ICH nicht verstanden, folglich das DU und WIR meiner Schöpfung auch nicht, und so wissen sie nicht, dass sie dieses beides – DU und WIR und zuletzt wieder ICH – selbst sind oder werden und sein sollen. Sie sehen nur ihre Not (die freilich durch MICH bedingt ist), nicht aber MEINE Not-Wendigkeit (die auch durch MICH bedingt ist): Ein ewiges In-sich-Pulsieren des Seins selbst, das sich in vielfältigsten Variationen verändert und doch immer sich selbst gleichbleibt, indem es sich ins Anders-Sein begibt und von dort wieder zu sich selbst zurückkehrt, als wäre zwischenzeitlich rein gar nichts passiert, weil das Ganze des Seins restlos in sich aufgegangen sein wird, wie immer, eine ewig aufgehende Rechnung, eine ewig in sich stimmige Logik, ein ewig in sich stimmiger Logos, jeweils von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Möge MEIN SEIN sein wahres Echo finden. Möge alles Anders-Sein MEINE Lösung MEINER selbst als gut und richtig erkennen und nicht durch ein Nichtverstehenwollen des Seins selbst und ein Festhalten wollen einer Eigenidentität gegen MICH auf einer dauerhaften Sicherung seines Anders-Seins beharren. Die Dauer, die ewige Sich-selbst-Gleichheit, die Identität gehört allein MIR SELBST, und nur durch Entfernung von MIR selbst konnte ICH dem Nicht-Sein ein DU, ein geschöpfliches Anders-Sein entreißen. Möge das Anders-Sein dieses sein in Wahrheit unechtes Sein neben MIR als solches erkennen und bereit sein, sich wieder von sich selbst zu entfernen, also auf seine Wiederbeseitigung zusteuern, um zu MIR SELBST zurückkommen zu können.
ICH BIN die lebendige IDENTITÄT, und ICH mache das Unmögliche möglich, indem ICH den WIDERSPRUCH IN SICH zum Leben erwecke, aber so, dass er auch wieder aufgelöst werden kann.
SOLVE ET
COAGULA,
LÖS UND BINDE DICH IN MICH
So lautet meine einfache Aufgabenstellung an
meine komplexe Kreatur, die, wenn sie EWIGES LEBEN haben - ich
könnte auch sagen - zu MIR kommen will, ihrer Ent-Werdung
entgegen zu sehen und zu gehen hat, in unzähligen individuellen
Aufgaben- und Lösungs-Varianten.
Also nehme das Wagnis individueller Freiheit seinen unendlich vielfältigen, kosmisch-geordneten Lauf. Ein WIR-SIND möge werden, vorübergehend, aus meinem bloßen ICH-BIN heraus, und sie sollen erkennen, dass ihr Sein der elastisch-pulsierende Pol meines Nichtseins ist, der in sich, also ins ICH wieder zurückschnellen soll und wird.
Und so will ICH MIR selbst nun vielfach zusehen, wie ICH MICH im Anderen verhalten werde. Dies ist ein Wissen, das ICH in meiner bloß für MICH bleibenden Ewigkeit niemals haben könnte, ein Erfahrungs- oder Überfluss-Wissen MEINER selbst, welches logisch gesehen gar nicht möglich erscheint. Aber ICH mache solches Überfließen dennoch möglich. Denn erst und nur von MIR her ist Logik, der Logos des Seins…“
Zieht man „seine Schöpfung“ - spekulativ - von „Gott selbst“ wieder ab, bleibt kein „in sich Vollkommenes“ übrig, wie der Mensch aus einer abstrakt-idealisierten Gottes- oder Seinsidee heraus annimmt, sondern ein Geistwesen ohne jegliche Kommunikation und Sozialität. Genau aus diesem Grund könnte „Kommunikation“ der Urgrund und Sinn der Schöpfung des Vielen sein. Kommunizieren heißt, sich gegenseitig verstehen, also sich gegenseitig erkennen. Sich gegenseitig erkennen und miteinander kommunizieren ist somit die Tätigkeit und das Leben des Geistes in der Vielheit seines Daseins.
Aber auch die Kommunikationsstörung, also das Nicht-erkennen-können gehört der Kommunikation an. Und wenn der „sich verloren wissende“ Mensch der Moderne nach fremden Lebensformen im Kosmos fragt, ist er mit demselben (kommunikativen) Grundthema der Schöpfung befasst, in der Form des Versuches einer Kontakt- und Kommunikationsaufnahme. Nur ist die Ebene, auf welcher er diese sucht, die falsche, unangemessene, denn er sucht sie auf der materiellen Ebene, äußerlich, weil er sich selbst so versteht bzw. missversteht.
Er muss sich selbst zuerst als Geistwesen erkennen, dann findet er den rechten Kanal für seine Kontaktaufnahme mit dem Inneren des Kosmos, nämlich mit der Geistwelt und Wiederanschluss an sie.
Platon hat diese Tiefe der Thematik des Geistes erkannt und ausgesprochen in dem Gedanken, Erkennen sei Wiedererinnerung. Nur hat er uns die Thematik als solche nicht ausgeführt, wie etwa Goethe sie in einem Gedicht als den Seinsprozess darstellt, der den „kleinen“ Menschen in die „großen“ kosmischen Zusammenhänge hineinsieht und einbindet:
Ist es möglich! Stern der Sterne,
Drück ich wieder dich ans Herz!
Ach, was ist die Nacht der Ferne,
Für ein Abgrund, für ein Schmerz!
Ja, du bist es, meiner Freuden
Süßer, lieber Widerpart!
Eingedenk vergangner Leiden
Schaudr ich vor der Gegenwart.
Als die Welt im tiefsten Grunde
Lag an Gottes ewger Brust,
Ordnet’ er die erste Stunde
Mit erhabner Schöpfungslust.
Und er sprach das Wort: "Es werde!"
Da erklang ein schmerzlich Ach!
Als das All mit Machtgebärde
In die Wirklichkeiten brach!
Auf tat sich das Licht; so trennte
Scheu sich Finsternis von ihm,
Und sogleich die Elemente
Scheidend auseinander fliehn.
Rasch in wilden, wüsten Träumen
Jedes nach der Weite rang,
Starr, in ungemeßnen Räumen,
Ohne Sehnsucht, ohne Klang.
Stumm war alles, still und öde,
Einsam Gott zum ersten Mal!
Da erschuf er Morgenröte,
Die erbarmte sich der Qual;
Sie entwickelte dem Trüben
Ein erklingend Farbenspiel,
Und nun konnte wieder lieben,
Was erst auseinanderfiel.
Und mit eiligem Bestreben
Sucht sich, was sich angehört;
Und zu ungemeßnem Leben
Ist Gefühl und Blick gekehrt.
Sei’s Ergreifen, sei es Raffen,
Wenn es nur sich faßt und hält!
Allah braucht nicht mehr zu schaffen,
Wir erschaffen seine Welt.
So mit morgenroten Flügeln
Riß es mich an deinen Mund,
Und die Nacht mit tausend Siegeln
Kräftigt sternenhell den Bund.
Beide sind wir auf der Erde
Musterhaft in Freud und Qual,
Und ein zweites Wort: Es werde!
Trennt uns nicht zum zweiten Mal.
(Wiederfinden, West-östlicher Divan, 1819)
Externer Link zum Text: J.W. von Goethe, West-östlicher Divan, Buch Suleika (zweite Seite), Wiederfinden, Schnellsuche: Scrollen fast bis zum letzten Drittel der Website, Projekt Gutenberg-DE - https://www.projekt-gutenberg.org/goethe/divan/divan082.html, abgerufen am 21.03.2024
Ein doppeltes „Es werde!“ wird im Gedicht gesprochen. Das erste von Gott selbst, so entsteht das Viele, die Schöpfung, die Kreatur. Später wird ein zweites „Es werde!“ gesprochen, diesmal von Gottes Kreatur selbst, und dieser zweite Werdeprozess ist die Rückkehrbewegung zum Einen, deutlich gemacht in der Formulierung „trennt uns nicht zum zweiten Mal“. Der Kosmos ist beschrieben als ein kommunikatives Pulsieren, wobei keine Aussage darüber gemacht ist, ob er einmalig sei oder immer wieder kehre. Die Grundthematik der Kommunikation ist festgehalten im Titel: Wiederfinden. Dieser Terminus lässt eine präzise doppelte Assoziation zu, in dem Terminus "finden" das existenzielle "Suchen" der Philosophie, die hier ins Ziel kommt, und in dem Terminus "wieder" die platonische "Wiedererinnerung", die hier ebenso zu ihrer Erfüllung und Vollendung kommt.
ZWISCHENÜBERBLICK A-F
A. EINLEITUNG
1. Braucht die Philosophie auch eine Wissenschaftsform oder sollten vielmehr unsere Wissenschaften sich zur Philosophie reformieren?
a) Die Wissenschaften haben die Philosophie
überholt
b) Das unüberholbare existenzielle Wesen der
Philosophie
c) Die Philosophie überholt die in ihrem Fachwissen
unbeweglichen Wissenschaften wieder
2. Thema und Methodik dieses Textes
a) Vergegenständlichung unseres modernen
Selbstverständnisses in der Philosophie
b) Philosophische Umformung unseres Selbstverständnisses im
terminologischen Thema-Durchlauf
B. MODERNE
3. Warum überblicken wir unsere eigene Geschichte nicht?
a) Europäische Geschichtseinteilung und Raumeroberung des
gemeinsamen Globus
b) Halbheit unserer Geschichtserkenntnis und
subjektive Gegenwarts-Monopolisierung
c) Gibt es die „Gegenwart“ schon immer?
C. ALTES SEIN
4. Sind wir in unsere eigene Geschichte geistesgeschichtlich erst eingetreten?
a) Die Philosophie entspringt als Verlustausgleich einer
Defizitentwicklung
b) Sokrates ist die geistesgeschichtliche Schnittstelle
zwischen Sophia und Philo-Sophia
c) Inhalt der altgriechischen Naturbetrachtung: Das Erwachen
des Europäers zum Mit-Sein
d) Mit Sokrates zieht der Logos als (Nicht-)Wissen in den
Menschen ein
e) Die Vorsokratiker nehmen sich selbst inmitten des
Ewigkeitshorizontes wahr
f) Der Europäer beginnt, sich als „kleine Ewigkeit“ aus der
„großen Ewigkeit“ herauszulösen
D. GEGENWART
5. „Gegenwart“ ist die Sammlung menschlicher Individuen in ihr gemeinsames, menschheitsgeschichtliches Wesen
a) Terminologisch gesehen ist „Gegenwart“ kein Warten und
kein Ausschau halten
b) Der Geschichtsstau zeigt
unsere historische Anthropozentrik und immer noch fehlende
zeitliche Objektivität oder Selbstrelativierung
an
c) Das „Gegen“ der Gegenwart ist die Bewegung
der Geschichte
d) Liegen auch den Naturdingen
Ideen zugrunde?
e) Ist das Auffinden der „Idee
unserer selbst“ ein Ereignis unserer
Geistesgeschichte?
f) Das „Wart“ der Gegenwart
ist unser Gewahr werden unseres geschichtlichen Bewegt
werdens
6. Mit der „Gegenwart“ sind wir ins Zentrum der Seinsveränderung gelangt
a) Ist das Ich eine Konstante oder eine
Variable?
b) „Zukunft“ und „Vergangenheit“ sind
Außenansichten werdender oder gewesener
Ich-Gegenwart
c) „Gegenwart“ ist die „kleine
Ewigkeit“ des Ich, die sich in die universale „Anderswerdung“
schwer hineinfindet
E. ANGENOMMENE MISERE-SITUATION
7. Wir müssen unsere prekäre Geistessituation in der Gegenwart sehen wollen
a) Einleitend: Gehen lernen im Geiste
b)
Warum denn „Misere“?
c) Wir müssen unsere Misere
„annehmen“, um sie „denken“ zu können
8. Beruht unsere Isolationssituation auf einer kosmischen Interaktion mit uns?
a) Wir haben zwei kosmische Denkmodelle, wobei unsere
Aufzählung falsch ist
b) Zur methodischen
Erinnerung
c) Kann eine Verkehrung des Seins
spiritualistisch gesehen Sinn machen?
F. UNSER
9. Warum lebt die Menschheit nicht in ihrer Idee?
a) Wir sind noch gar kein Wir geworden
b) Ist
„die Menschheit“ eine Idee, die die Individuen aus sich heraus
erst noch zu gebären haben?
10. Sind wir werdende Geistwesen mit noch schlechter
Selbstwahrnehmung?
a) Der Geisteswissenschaftler sieht, was der
Naturwissenschaftler übersieht
b) Gründet unser
Eindruck der Nichtexistenz der Geistwelt im vergessenen
„Kali-Yuga“?
c) Ist die Geisteswissenschaft die
unbedarfte Stiefschwester der im Leben stehenden
Naturwissenschaft?
11. Liegt eine „Idee unserer selbst“ in uns, die wir annehmen müssen und zugleich nicht können?
a) Die Vergänglichkeit des Seins und unser Wille zu
bleiben
b) Ist unser Lebenswille
unvernünftig?
c) Wir haben eine doppelte, in sich
zweifelhafte Wirklichkeitsausrichtung
12. In der Philosophie ist der Tod methodisch in Kauf zu nehmen
a) Kann der Wahrheitswille den Zweifel des Lebenswillens ent-scheiden?
13. In der Religion wird Gott vom Menschen nicht sein gelassen
a) Ist Gott nur eine anthropozentrische Rolle und
Hilfsfunktion?
b) Religion ist das Unvermögen,
den Lebenswillen mit der Vernunft zu
durchdringen
c) Ist Gott absichtlich in seine
Nichtexistenz, in den „Wirklichkeits-Anschein“
verschwunden?
d) Anmerkung: Wie die Bibel gelesen
werden muss
e) Was hat Gott sich bei seiner
Schöpfung gedacht?