ABC-Versuch einer neuen Wahrnehmung des alten Seins, aus der angenommenen Misere-Situation unserer Gegenwart der Moderne heraus

G. Neue Wahrnehmung

14. Zu meiner Person

Nun muss ich wohl Farbe bekennen und erklären, wie ich zu meinem – nonkonformen und ungewöhnlichen, vom Selbstverständnis der Gegenwart weit entfernten - Denken gekommen bin? Außerdem schulde ich eine soziale oder zwischenmenschliche Auskunft darüber, wo ich herstamme bzw. wer ich denn überhaupt sei!?

Die erste Frage scheint mir die wichtigere zu sein, dennoch ist die zweite Frage vielleicht die dringlichere, weil wir gewohnt sind, uns äußerlich in der Welt zu orientieren. Hierbei sind wir bestrebt, begegnendes Neues in unser bestehendes Denken und Leben einzuordnen, als wäre unser eigenes Verstehen und Selbstverständnis die Konstante in der Welt, der sich alles Neue einzufügen habe?

Insbesondere im Nachrichten-Journalismus wird uns dieser Eindruck erweckt, die Entgegennahme der täglichen Nachrichten sei das Konstante innerhalb einer Welt der Veränderung um uns herum, und der allabendliche Nachrichtensprecher formuliere stellvertretend „die objektive Haltung der Vernunft“ gegenüber allem Weltgeschehen, sozusagen die objektive Weltsicht schlechthin (selbst wenn es zugleich mehrere Meinungen darüber geben mag, wer die objektive Weltsicht wiedergebe usw.). Sollte aber unser Nachrichtenwesen durch das Raster des Evangeliums fallen (wie in der Einleitung angedeutet), so könnten „die Geretteten“, die „von der Erde Weggenommenen“ irgendwann mit Entsetzen beobachten, dass sich die „Endzeit“ an unseren Nachrichten vorbei vollzieht, weil unseren Nachrichten ein falscher oder zu grob-äußerlicher Geschehens- oder Wirklichkeitsbegriff zugrunde gelegt ist, der seine Herkunft aus unserem neuzeitlichen Hineingehen in die sinnliche Sphäre hat und dem daher das Wesentliche, das innere Wesen des Kosmos, entgehen könnte (was ja die Bibel selbst schon andeutet, in der Unterscheidung von "Mitgenommenen" und "Zurückgelassenen").

Ich gebe jetzt also eine knappe Erstinformation über mich und ziehe es dann vor, wieder zur Sache des Denkens zurückzukehren, weil wir diese gewünschte Konstante in der Welt gerade nicht sind, so dass wir auch nicht gut daran tun, uns selbst einen solchen Anschein unserer selbst vor uns selbst zu geben (Stichwort: Gegenwarts-Monopolisierung), und auch nicht gut daran tun, uns mit der bloßen Einordnung eines begegnenden Neuen in unser eigenes, selbst erdachtes und irgendwann alt gewordenes und überholtes Ordnungssystem zu begnügen. Wenn wir auch keine (räumliche) Geozentrik mehr haben, eine (zeitliche) Anthropozentrik haben wir noch allemal.

Ich bin Paketzusteller, in einem Unternehmen, zu welchem ich bereits über einen Studentenjob gekommen war. Lange Jahre habe ich Geisteswissenschaften studiert, querbeet, im süddeutschen Raum (München – Heidelberg – Regensburg). Die Universität habe ich dann ohne Abschluss verlassen, um ein unabhängiges, eigenes Denken entwickeln zu können. Daher habe ich heute ein „berufliches“ Standbein, das mir das physische Brot sichert, und ein – nun ja – Berufungs-Spielbein, mit dem ich um geistiges Brot ringe, wobei ich in meiner Freizeit an einem – „meinem“ - Buch philosophisch-theologischen Inhalts arbeite (das mittlerweile in diese Website übergegangen ist).

Die 30 Jahre Schreibzeit, die ich mir vorgenommen habe, werden erst in einigen Jahren voll sein, wobei ich mir jetzt unschlüssig bin, ob ich das Buch überhaupt noch fertigstellen werde. Mein Denken ist auf dieser Website hier nun einigermaßen zusammengefasst, und das Buch sollte lesbar werden wie eine Kurzgeschichte: to read in one sitting, was mir aber nicht gelungen ist. Die Website ist nun ein eigenes kleines Kompendium geworden, immerhin eine Art Konzentrat des ganzen (nicht unbedingt: besseren) Buches.

Mein "Buch" ist aus sechzig Lebensjahren heraus entstanden und sollte eine Sinfonie in Prosa sein, erkennbar daran, dass die angeschlagenen Thematiken ihre „Durchführungen“ erhalten sollen, ganz anders also als unsere „Flicken-Wissenschaft“, die sich kaum vernetzt und gegenseitig durchdringt, sondern lediglich einen Flicken nach und neben dem anderen produziert. Auf diese Weise versuche ich das Wissen (faktisch ein Plural: die Wissen), das wir in den vielen Wissenschaften gefunden haben, zu einer „lebendigen Bildung“ zusammenzufassen. Denn nur so, meine ich, können wir zu einem geistigen Stehen im Sein kommen, das wir derzeit noch nicht haben.

Wenn Menschen eine Handlung vornehmen, so sagen sie: „Wir führen etwas durch“, und nun könnte ein Komponist hergehen und mit einem gewissen Recht sagen: „Das ist doch keine Durchführung! Das ist: gar nichts!“ Wenn aber Lessing über die ewige Vorsehung bewundernd aussagt: „Du hast auf deinem ewigen Weg so viel mitzunehmen, so viele Seitenschritte zu tun!“ (EdM § 92), dann versteht er Sein und Wirklichkeit und Heilsgeschichte als „Durchführung“ in diesem komplexen Sinn, dem sich die Musik ja schon annähert, indem beispielsweise bei der Sonatensatzform Haupt- und Seitenthema (die schon jeweils in sich differenziert sein können) zunächst vorgestellt und dann aber „durchgeführt“ werden, in anderer Tonart und anderem Tongeschlecht, in verschiedenen Variationen und allerlei Spielarten, wobei diese musikalische Form allerdings trotzdem die prinzipielle „Schwäche“ aufweist, dass die Reprise die Exposition lediglich wiederholt, was schon literarisch gesehen sinnlos ist und dann gewiss auch auf die Wirklichkeit selbst nicht zutrifft, weshalb die Ziel-ligio (Reich Gottes) sehr wahrscheinlich auch keine bloße Wiederholung der Ausgangs-ligio (Paradies) sein wird, sondern der Durchgang zu einer höheren Form oder Gestaltung. Auch die „Kunst der Fuge“, von Bach durchgespielt, zeigt einen erheblichen Variantenreichtum eines musikalischen Sprießens und Sprossens (Dux, Comes, Umkehrung, Spiegelung, Krebs usw.), eine ungeheuerliche Lebendigkeit und Fruchtbarkeit, wie sie in Goethes Formulierung „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“ aufschimmert oder auch in Hesses „Glasperlenspiel“ intendiert ist, dennoch für unser Erkennen noch in unerreichbar weiter Ferne zu liegen scheint.

Wir werden also unser angesammeltes oder aufgestautes Wissen zu einer „Durchführung“ bringen müssen, wenn wir zur Komplexität des Seins Zugang finden wollen. Analog zur oben genannten „stümperhaften Handlung“ könnte man dann auch unserer derzeitigen Wissenschaft sagen: „Das, was du hast: das ist doch kein Wissen!“

Eine gewisse musikalische, auch kirchenmusikalische Ausbildung habe ich erhalten, in der Schulzeit, dennoch durchlebte ich in sehr jungen Jahren eine atheistische Lebensphase, die ich – etwas ungewöhnlich - mit Anschaffung einer eigenen Bibel zum 20. oder 21. Lebensjahr abschloss. Da Konfirmanden sozusagen automatisch oder konstitutiv eine „eigene Bibel“ mit auf ihren Lebensweg bekommen, anders als Firmlinge, muss ich demnach katholisch sein, was nicht ganz falsch und nicht ganz richtig ist, denn ich bin es: „gewesen“ – ich komme noch darauf zurück.

Meine naturwissenschaftlichen Kenntnisse reichen nur bis zum Abitur (Physik und Geographie waren Abiturfächer), abgesehen von einem Verlegenheits-Geographie-Semester als Studieneinstieg eines jungen Menschen, der einfach nicht weiß, in welche Richtung er gehen soll, wobei mir solche Unschlüssigkeit allgemein nicht ab-, sondern zuzunehmen scheint; und dies sollte unserer Gesellschaft zu denken geben, und freilich auch: zu handeln!

15. Zu meinem Denken

Mein Denken (und Leben) ist geprägt durch einige besondere Ereignisse oder Erlebnisse, die ich nun, im Nachgang, Richtungsstöße im Lessing’schen Sinn nennen will, denn auch in der EdM kann man bei näherem Hinsehen eine Verquickung des allgemeinen Geisteslebens mit dem individuellen erkennen.

Sie haben mich einfach getroffen und mein Denken in eine bestimmte, vom Zeitgeist abweichende Richtung gelenkt. Drei davon will ich hier listen, und ich will diesen Lessing-Begriff, der einmal „Richtungsstoß“, einmal „Stoßrichtung“ lautet, in seine Bestandteile zerlegen, in Ursache (= Stoß) und Wirkung (= Richtung). Zuerst lege ich die drei Stöße, also mein Gestoßen-worden-sein dar, damit Leser und Leserin sich eine konkrete Vorstellung darüber machen können, was ich als wichtige (auch außergewöhnliche) Ursache geistiger Art betrachte und was ich persönlich-subjektiv nicht einfach als irreal abtun und wegwischen konnte und kann. Im Anschluss daran möchte ich den Nachweis führen, dass mein Denken durch diese Stöße tatsächlich eine eigenständige, unnormale Richtung annahm, was freilich auch schon aus dem Bisherigen dieses Gesamttextes erkennbar geworden sein sollte.

a) Ursachen oben: Das Gestoßen werden meines Denkens - Einschläge des Außerirdischen

Es folgen nun drei sog. Richtungsstöße, die ersten beiden im Kindesalter erhalten, den dritten im beginnenden Erwachsenenalter.

a1) Richtungsstoß 1: Ein Schlüsselerlebnis mit einem Schlüssel (im Vorschulalter, mit 3-4 Jahren)

Zuerst sei das Erlebnis selbst gegeben, danach darüber gesprochen.

Ich stand mit meiner Mutter vor unserer Haustür [des Dorfschulhauses] in unserem Garten. Wir stritten miteinander. Ich war zornig und drohte meiner Mutter an, mit dem großen, schweren Haustürschlüssel in meiner Hand die Wohnzimmerfensterscheibe einzuwerfen [Hochparterre], wenn sie mir nicht nachgeben würde. Meine Mutter nahm mich nicht ernst, meinte nur lapidar, das würde ich ja doch nicht tun [können], und so verschwand sie im Haus und ließ mich stehen.

Nun stand ich da und wusste nicht, was ich tun sollte, denn ich war nun in ein Dilemma geraten. In dieser Situation wandte ich mich an den unsichtbar-sichtbaren Engelsbeistand in meiner unmittelbaren Nähe, meinen ständigen Begleiter, denn er war praktisch mein Ratgeber und mein Gewissen. Durch ihn wusste ich stets, was zu tun und was zu lassen war. Das Richtige floss sozusagen direkt und fraglos von seinem in meinen Geist hinüber.

Nur diesmal war es anders: Er reagierte auf mein Ansinnen nicht. Er hielt sich zurück, d.h. er tat nicht das Gewohnte, zu Erwartende, Ordnungsgemäße, Selbstverständliche, sondern er schwieg einfach. Das war mir unbegreiflich, und im Grunde war es empörend, furchtbar, entsetzlich, denn er fiel damit aus der göttlichen Ordnung heraus! Es war seine Pflicht, mir behilflich zu sein, aber er tat es nicht. Sein Nichthandeln machte mich sozusagen sprachlos. Ich blickte ihn an, und er bewegte sich einfach nicht!? Das machte mich stutzig. Und ich machte auf ihn wohl den Eindruck, unnachgiebig zu bleiben, an meiner ungelösten Frage festzuhalten und also solange nicht aufzuhören, ihn fragend anzublicken, bis er seiner Engels-Aufgabe endlich nachkommen würde. Denn nach einiger Zeit kam es für mich „noch schlimmer“, indem er mir nun gänzlich aus der Wahrnehmung verschwand! Er war weg, einfach weg! - wie in eine höhere Wirklichkeits-Ebene entschwunden, die mit zu seiner Existenz gehörte, die ich selbst aber nicht mehr wahrnehmen konnte.

Dennoch schien auf unserer gemeinsamen Wahrnehmungs- und Kommunikationsebene „etwas von ihm zurückgeblieben“ zu sein, vergleichbar vielleicht einer Staubwolke, die jemand hinterlässt, der sich auf staubigem Untergrund aus dem Stand heraus ruckartig fortbewegt. Nur war dieses „Überbleibsel“ ohne Bewegung, daher vielleicht besser vergleichbar einer Schale oder Hülle, oder auch einer „Fußspur“, etwas wie ein „ätherischer Abdruck“. Entscheidend aber war für mich: Er hatte sich mir vollständig entzogen und mir damit die mir zustehende Kommunikation verweigert.

Und so blieb mir in dieser Situation nichts anderes übrig, als irgendwie alleine zurechtzukommen. Und so kehrte sich meine „ätherische Außenorientierung“ in eine „geistige Innenorientierung“, und ich wurde einer Kraft in mir gewahr, die meiner Aufmerksamkeit, meiner Existenz, meinem Leben bislang völlig entgangen war: Da war ein „Denk-Vermögen“ in mir, das bislang offenbar einfach brach gelegen hatte und deshalb von mir übersehen worden war. Durch das Alleingelassen sein war ich genötigt, diese noch nie wahrgenommene und noch nie geübte Vernunftkraft in mir gleichsam erstmalig in Eigenbewegung zu versetzen, denn bislang hatte ich sie nicht gebraucht, und so hatte ich nicht einmal gewusst, dass ein solches Vermögen überhaupt in mir vorhanden war und also zu mir gehören musste. Denn bis dahin war es so gewesen, dass die Vernunft, Weisheit, Richtigkeit, Orientierung immer direkt vom Engelwesen in mich übergegangen war, ohne dass ich mich selbst dabei irgendwie hätte anstrengen oder beteiligen müssen.

Und so begann ich also, mich mit meinem Dilemma selbst auseinander zu setzen: Mir war einerseits klar, dass es falsch war, die Scheibe einzuwerfen, weil dies einen Schaden auf der irdisch-physischen Ebene, wo wir Menschen lebten, verursachte und die bestehende irdische Ordnung verletzte. Aber das Nichteinwerfen hielt ich auch für falsch, und zwar deshalb, weil mein eigenes Wort des Scheibeeinwerfens nun einmal ausgesprochen war und daher im ätherischen Seelen-Raum realiter dastand, wie eine Forderung, mit der man nun irgendwie weiterverfahren musste. Durch das bloße Nichthandeln würde sich mein Wort, das gleichsam gegenständlich-äußerlich vor mir stand, in eine Lüge verwandeln, was ich als besonders schlimmen und viel größeren Schaden ansah, wenngleich auf einer anderen, auf dieser feineren, seelisch-geistigen Wirklichkeits-Ebene. Dies war mein Dilemma, welches mir der Engel hätte klären sollen.

Und so musste ich nun selbst klären und entscheiden: Ich wollte nicht, dass mein Wort sich als unwahrhaftig erweise. Denn so ein Wort - das war meine Empfindung -, so ein Wort war etwas Substanzielles, Gehaltvolles, Wertvolles, Wichtiges, kein bloßer Hauch, der im nächsten Moment in Nichts vergangen war. So ein Wort war nicht etwas, was man beliebig verschwenden und verbrauchen durfte. Sondern es hatte mit ihm eine besondere Bewandtnis: Das Wort (der Bekundung einer Absicht, eines Vorhabens, eines Willens) hatte einen elementaren, kostbaren und schöpferischen Bezug zum Sein, zu den Wirklichkeitsebenen, so dass es – als bloßes Wort schon - sowohl atmosphärische als auch substanzielle Veränderungen bewirkte.

War es einmal geäußert, so war der Wille des/eines Geistes auf einer ersten Stufe in die Äußerlichkeit, Sichtbarkeit, Realität getreten, und damit war gleichsam eine (Schöpfungs-)Handlung begonnen, in die Wege geleitet, und diese war selbstverständlich zu Ende zu bringen! Denn wer A sagt, muss auch B sagen, und wer sich ein Glas Wasser einschenkt, tut es, um es dann auch zu trinken; ansonsten würde man – durch die Inkonsequenz - einen „feineren Wirklichkeitsschaden“ zulassen, und am Ende wäre das gesamte Weltgefüge in seinem Prinzip gefährdet und in Frage gestellt!? Ja, darüber war ich mir ganz klar: Mit meinem Wort tue ich etwas, ich nehme Einfluss und verändere die Wirklichkeit. Und käme die dem Wort entsprechende Handlung nicht zustande, so wäre ein (Unterlassungs-)Schaden in den Wirklichkeitsebenen verursacht, eine üble Störung im Gang des Weltganzen. Mein bloßes Wort schon war also eine Handlung, herausgesetzt in einer höheren, nichtsinnlichen Wirklichkeitsebene, aber eine noch nicht abgeschlossene Handlung, die aber unmöglich so unvollendet bleiben durfte. Denn es wäre unmoralisch und unverantwortlich gewesen.

Und deshalb wollte ich, dass sich mein Wort als Wort der Wirklichkeit erweisen sollte, auch wenn es leider unbedacht und im Zorn ausgesprochen war, aber eben nun nicht mehr zurückgenommen und rückgängig gemacht werden konnte, weil die Veränderung auf der höheren, feineren Ebene durch das bloße Aussprechen bereits eingetreten war. Und mit dieser bereits verursachten Wirkung war nun in irgendeiner Weise fortzufahren, in meinem konkreten Dilemma-Fall gleichsam zur Schadensbegrenzung. Mein Wort durfte sich nicht als Wort der Lüge oder Unwahrhaftigkeit erweisen, weil dadurch im Sein eine furchtbare oder unerträgliche Differenz ins Leben gerufen sein würde, ein Auseinanderklaffen der Wort-Ebene meines Handelns und der Wirklichkeits-Ebene meines Handelns. Beides waren zwei Seiten der einen Wirklichkeit und zwei Seiten meines Handelns, die einerseits unbedingt zusammengehörten, die aber anderseits nicht miteinander identisch waren und daher sehr wohl auseinandergehalten werden konnten.

Die geistige Ordnung des Seins wäre empfindlich gestört worden, wenn ich meine ausgesprochene Androhung nicht umgesetzt hätte. Und dies schien mir nun ganz klar das größere Übel zu sein, gegenüber einer bloßen Störung der materiellen Ordnung irdischer Konventionen. Denn eine kaputte Scheibe konnte man ersetzen und so den entstandenen Schaden einfach wieder beseitigen. Ein unerfüllt bleibendes Wort aber hätte einen Schaden verursacht, der irreparabel geblieben wäre und unser inneres Weltgefüge dauerhaft beschädigt hätte, und diese ‚äußere Beschädigung‘ wiederum wäre in mir als dem Verursacher sozusagen ‚innen (karmisch) haften‘ oder abgebildet geblieben, so dass ich mit dieser Dauerwunde oder Daueranklage mein weiteres Dasein hätte fristen müssen. So entschied ich mich schließlich – und warf die Scheibe tatsächlich ein.

Obwohl diese gesamte Erlebnissituation weitaus mehr als „geistiges Empfinden“ denn als „rationales Reflektieren oder Schlussfolgern“ ablief, blieb sie mir als ein allerwichtigstes Erlebnis in meiner Lebenserinnerung stehen, und vielleicht nur deshalb, weil der Engel nicht ordnungsgemäß gehandelt hatte und in meinen Augen aus der höheren Ordnung herausgefallen war. Gerade durch sein Herausfallen verursachte er mir die Erinnerung - Erinnerung an eine damals geschehene „tiefgreifende Störung im Sein“, die zunächst einmal durch mein unbedachtes Drohwort nur als Möglichkeit im Raum gestanden hatte und dann durch mich selbst, durch meine richtige Entscheidung gebannt und verhindert worden war, und die dann trotzdem wirklich passierte, so schien es mir, nicht durch mich, sondern durch das skandalöse Engel-Fehlverhalten, der mir nicht zu Hilfe gekommen war. Und vielleicht wurden damit tiefere, ins Unbewusste eingehende Erkenntnismöglichkeiten über Mensch und Welt (vielleicht auch über Engel und Himmel) in mir grundgelegt, die mich später dann tiefer nach einem Gestört sein der Wirklichkeit insgesamt fragen ließen.

Durch meine (Un-)Tat wusste ich nun, dass bis zur Ebene des Menschen herunter „Autonomie“ möglich ist und was sie ist, nämlich eine Erstverursachung aus einer eigenen geistigen (Willens-)Grundlage heraus. Diese Erfahrung ergab sich aus meiner erstmaligen Anwendung der zwar länger schon vorhandenen, aber nun erstmals erlebten Vernunftkraft, aus der nicht nur eine Entscheidung resultierte, sondern zugleich auch das Wissen um die Existenz von Entscheidungsfreiheit. Zugleich wurde der menschliche Geist von mir als unermesslicher Schatz erlebt, dessen Potenz sich dem Menschen erst aus dem lebensgeschichtlichen oder allgemeinhistorischen Erfahrungsakt erschließen kann, aus der praktischen Anwendung, nicht aus theoretisch-intellektuellen Selbstauslotungsversuchen (Kant), die im Optimalfall immer nur eine Momentaufnahme zutage fördern können, aber nicht das, was im menschlichen Geist noch unter Tage ruht und – lange unwahrnehmbar – noch selig schläft.“

Dieses Schlüsselerlebnis ist mir aus doppeltem Grund in Erinnerung geblieben, materialistisch gesehen durch die von mir eingeworfene Fensterscheibe, geistig gesehen aber durch das Fehlverhalten des Engels, wobei ich heute seinen „Verstoß“ als richtiges Verhalten betrachten kann, nämlich als eine Menschenerziehungsmaßnahme, die in diesem Fall mir selbst in meinem jungen Dasein galt.

Im Einzelnen will ich vier Punkte hierzu benennen:

1. Ich habe eine Erinnerung an frühere Seinsverhältnisse als Kind behalten, was mir später dann Heideggers Begriff der Seinsvergessenheit plausibel machte. Aufgrund dieser Eigenerfahrung weiß ich nun um eine ontogenetische Seinsvergessenheit, die uns alle trifft bzw. getroffen hat, die aber im gewöhnlichen Erwachsenenalter einfach ins Nichts oder ins Unbewusste entschwindet, so dass man die faktische gravierende Veränderung des eigenen Daseins vom Kindesalter zum Erwachsenenalter hin einfach vergisst und damit auch dauerhaft übersieht, also nicht wahrnimmt und also auch im eigenen Denken nicht mitberücksichtigen kann. - Zugleich liegt dann auch der Gedanke einer phylogenetischen Übertragung dieser Seinsvergessenheit nahe, was auch wiederum der allgemeinen Erwachsenenwahrnehmung entgeht und dadurch zu dem üblichen Wahrnehmungs- und Urteilsfehler führt, dass wir unser heutiges Ich-Sein fälschlich in frühere Verhältnisse hineininterpretieren, oder: Wir setzen dann einfach, ohne tiefere Urteilsgrundlage, die frühere Seinswahrnehmung als „naiv“ an, indem wir von uns selbst ja wissen, dass wir besonders kritisch sind und dass hier und jetzt keine Geistwesen und keine Geistwelt um uns sind, woraus - im Rückschluss - eine "Naivität der Alten" resultiert.

2. Mit der Erinnerung an mein Kindes-Dasein ist auch das Wissen um die Realität einer Geistwelt verbunden. Hier sehe ich die eigentliche Bedeutung des Jesus-Wortes: ‚Lasset die Kinder zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich‘ (Mt. 19,14 und synoptische Parallelen). Zugleich ist auch ein feineres Wahrnehmen verschiedener Wirklichkeits-Ebenen durch das (Klein-)Kind vergegenwärtigt, was anzeigt, dass das menschliche Geistvermögen mit der bloßen Ratio keineswegs erschöpft ist. – Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass dieses mein „Wissen“ um die Geistwelt-Existenz für mich nicht durchgängig bestand, da ich im dritten Lebensjahrsiebt den Atheismus durchlief (Näheres dann unten).

3. Man sieht im obigen Text auch, dass ich in diesem frühen Erleben mit der Situation einer „Störung der Wirklichkeit“ konfrontiert war, so dass entsprechende spätere Gedanken (z.B. Betriebsstörung der Menschheitsgeschichte, oder Sündenfall als Korrumpierung unserer Wirklichkeit, oder Atheismus der Moderne als vorsätzlicher Rückzug der Geistwelt von der Menschenwelt) sozusagen unbewusst bereits grundgelegt waren. Eine besonders auffällige Parallele werde ich dann gegen Textende ziehen: Jesus verweigert seinem "Felsen Petrus" gegenüber die Kommunikation, so wird es am Ende des Johannesevangeliums dargestellt. Speziell für mich wurde diese biblisch gegebene Kommunikationsverweigerungs-Situation als solche auffällig und erkennbar, weil ich selbst mich meinem Engel gegenüber in genau einer solchen (Höheren) Verweigerungssituation befand - und mir deshalb meine Gedanken machen musste und machte, was der biblisch geschilderte Petrus (und später dann auch die "Petrusse") ja gerade nicht tut oder versäumt...

4. Und es ergab sich mir so auch eine Verlängerung der Denk- oder Reflexionszeit, die dem Menschen natürlicherweise gegeben ist, aber nicht nach hinten zu, ins hohe Alter hinein, sondern von vorne her, indem ich früher und tiefer ins Denken geführt wurde, durch jenes Ereignis, das sich mir ins Unbewusste eingrub und mein bewusstes Denken früh auf den Plan rief (im Alter von 3-4 Jahren), denn ich musste ja: in „meinem Denken“ eine Entscheidung treffen, mit dem Realergebnis eines Scheibeneinwurfs.

Diese wenigen Andeutungen sollen genügen. Die letzten beiden Absätze des Richtungsstoß-Textes enthalten bereits Erläuterungen meinerseits, Nachträge aus späterer Zeit, die mir aber trotzdem noch zur Situation und zum Inhalt zu gehören scheinen.

Ich kann nicht mehr sagen, wie lange ich das Erlebnis in der bloßen Erinnerung behielt, ob es vorübergehend in Vergessenheit geraten war und wann die schriftliche Fixierung erfolgte. Analoges gilt jedenfalls auch phylogenetisch: Erst gibt es eine lange mündliche Erzähltradition, bis diese dann schriftlich fixiert und überliefert wird. - Und dasselbe gilt dann auch für den folgenden, noch unglaublicheren Text.

a2) Richtungsstoß 2: Eine Präexistenz-Erinnerung mit einer himmlisch-irdischen Auftragserteilung

Der zweite Richtungsstoß ist etwas, was ich mit mehreren Schlagworten umschreiben möchte, um möglichst ein einseitiges Missverstehen zu verhindern: Entrückung, Kindheitserlebnis, präexistente Erinnerung, Berufungsereignis. Diese „Entrückung“ erlebte ich im Alter von 6-7 Jahren in der heimischen Dorfkirche während der Predigt des sonntäglichen Gottesdienstes. Sie ist selbstverständlich von grundlegender Bedeutung, doch sei wieder zunächst einmal der reine Textbericht selbst gegeben, wie er auch Eingang in mein (unveröffentlichtes und unfertiges) Buch gefunden hat:

Erlebnis gegen Ende meines ersten Lebensjahrsiebts. Sonntags in der Dorfkirche während der Predigt. Der Pfarrer spricht in gleichmütigem, monotonem Redefluss...

Ich befinde mich auf einem langen, geraden, festen, ungewöhnlich ebenen, trockenen Feldweg. Feiner Erdstaub liegt darauf, es ist angenehm zu gehen. Zur Linken erstreckt sich eine niedere Hecke entlang des Weges, zur Rechten ist alles frei. Weite. Kein Mensch, kein Tier, kein Haus weit und breit, nicht einmal Bäume oder Felder.

Nur links neben mir begleitet mich eine Gestalt, von der ich nichts weiter sagen kann, als dass sie ein langes weißes Gewand trug. Wir gingen zu zweit unseres Weges - morgendliche, angenehme Kühle und Nüchternheit, in Erwartung des kommenden Tages -, und es hatte seine Richtigkeit so. Was hinter uns, uns im Rücken lag, vermag ich nicht zu sagen, ich meine fast: da war nichts, einfach nichts. Ich kam nirgends her, ich ging nirgends hin, aber wir gingen eben, und es hatte seine Richtigkeit so.

Möglicherweise ging die Gestalt schräg hinter mir, leicht nach hinten versetzt. Vielleicht kam mir das auch nur so vor, denn wir führten ein vollkommen ruhiges, sachliches Gespräch, wobei er der Sprechende und Unterweisende, ich der Hörende und Zustimmende war. Er hatte das erhabene, weisheitsvolle Wissen, und er teilte mir davon mit, soviel mich eben anging.

Die Atmosphäre, in die alles eingetaucht war, lässt sich kaum beschreiben. Heitere Klarheit leuchtete allüberall (man denke an Musik deutscher Klassik). Sonntägliche Festtagsstimmung (Händel vielleicht). Erhabenheit. Heilig-Nüchternheit (Novalis, Hölderlin). Diese Atmosphäre war zwar unsichtbar, aber doch irgendwie substantiell, ein unsichtbares Weben und Leben, spürbar, beinahe greifbar. Der gesamte Raum war durchflutet und erfüllt davon.

Die Gestalt unterwies mich also. Bei allem, was er sagte, stimmte ich verstehend und aus freiem Willen zu. Wir sprachen über die Menschheit, ihr Schicksal, ihren Weg, ihre Zukunft.

Ein Bild habe ich in assoziativer Erinnerung: Während eines solchen Gesprächs, an dem zwei oder drei (Menschen-) Personen beteiligt waren, blicken wir von weit oben auf den Erdball herunter. Man frage mich nicht, wie das möglich sein soll, denn es ist nur eine Erinnerung. - Wahrscheinlich gehört dieses Bild nicht ursprünglich in diesen Zusammenhang; möglicherweise ebenso wenig das Atmosphärenbild.

Wieder und wieder konnte ich ihm immer nur zustimmen. Er sprach so klar, so deutlich, und ich sagte: „Ja, das muss getan werden.“

Urplötzlich - es kam mir vor, wie mitten im Gespräch - streckte er seinen linken Arm aus und gab mir so zu verstehen, dass ich jetzt gehen solle. Die Geste war definitiv. Ich erschrak, und der Schrecken fuhr mir tief in das noch nicht vorhandene Mark und Bein. Das hatte ich nicht erwartet. Ich wollte nicht weg, denn ich fühlte mich äußerst wohl bei ihm und hatte irgendwie gedacht, ewig so in der reinen theoria verweilen zu können. Ich fühlte mich schwach und dem nicht gewachsen, wozu er mich aufforderte; wozu er mich aber offensichtlich für befähigt hielt. Obwohl ich wusste, dass es hier kein Debattieren gab, sagte oder dachte ich: „Was, ich? Aber ich kann doch nicht...“

...Der Pfarrer predigte noch immer, in demselben gleichmütigen, monotonen Redefluss. Einen Moment lang war ich verstört, dann geriet mir der Vorfall in Vergessenheit. Und er trat erst gegen Ende des dritten Lebensjahrsiebts in die Erinnerung zurück.“

Ich will drei Punkte herausgreifen.

1. Die erste hier zu stellende Frage ist vielleicht die, wie ich mit diesem Erlebnis persönlich umgegangen bin und wie ich es heute bewerte. Dazu muss man wissen, dass ich zwischen dem Erleben dieser „Entrückung“, die eigentlich eine Präexistenz-Erinnerung ist, und ihrer Wiedererinnerung mit 20-21 Jahren eine atheistische Lebensphase durchlaufen habe. Aus diesem Grunde muss das Erlebnis wohl „vorübergehend weg gewesen“ sein (ebenso das Schlüsselerlebnis und alle analoge Kindheitserinnerung), und so musste ich die Realität dieses Erlebnisses dann freilich im Erwachsenenalter auch anzweifeln und lernen, mit diesem Zweifel lebensgeschichtlich umzugehen.

Und wie es scheint, bin ich daran nicht zerbrochen, sondern die Not ist mir zur Tugend geworden, und daraus ist mein philosophischer Ansatz entsprungen, wie er in der Einleitung dieses dritten Menüpunktes dargestellt ist, wobei er in meinem Buch noch „verstreut“ liegt und hier erstmals systematisch ausgeführt wird. Nun, erst jetzt, da ich diese Buchzusammenfassung erstelle, nach weit über 20 Jahren der Buchausarbeitung, kann ich mein Denken in einen philosophischen Ansatz der Fragwürdigkeit umgießen, dessen „Sitz im Leben“ diese doppelt vergessene und doppelt erinnerte „Vorab-Szenerie meiner selbst“ ist, die aber keine Dichtung ist bzw. sein will wie etwa Goethes „Prolog im Himmel“ (Faust II), sondern Realität – gut, sagen wir: neue Realität – gut, sagen wir: subjektiver Eindruck einer neuen Realität.

Platon zieht den Gedanken einer vorgeburtlichen, himmlischen Präexistenz des Menschen in seinem Denken in Erwägung, ich selbst muss das nicht, denn ich meine ja, von dort hergekommen zu sein!, doch trage ich dieses "Wissen" nicht als eine "Selbstverständlichkeit" in mir, eher als eine "Störung" meines zunächst einmal materialistisch gewordenen Wissens und Selbstverständnisses - gravierende Unterschiede in der Welt- und Wirklichkeits-Auffassung, die ein menschliches Denken doch in eine bestimmte Bahn(-abweichung) lenken. – Am Rande sei hier erwähnt, dass Kinder oder Kleinkinder mitunter (noch) die Frage stellen (können): „Wo war ich, bevor ich hier zur Erde kam?“ Ich führe dies nicht als „Beweis“ der Realität des Geistseins des Menschen an, sondern dafür, dass die kindliche Geistigkeit das Nichtsein noch überhaupt nicht denken kann, sich nicht vorstellen kann. Und phylogenetisch gesehen wird so plausibel, warum zu Beginn des eigentlichen menschlichen Denkens zunächst einmal nur die Frage nach dem Woher von Interesse war (eine enorm wichtige Fragestellung der Vorsokratiker), als habe die grundsätzliche Selbstverständlichkeit vorausgelegen, dass Sein niemals Nichtsein werden könne.

Dem Zweifel auf der einen Seite entsprach dann mein Stillschweigen auf der anderen Seite, welches wiederum eine seelische Mischung war aus sozialem Erwartungsdruck und Handlungsnot einerseits, Peinlichkeit und Gesichtsverlust anderseits, vielleicht auch noch dies und das. Alles in allem nahm ich einen Verwirrungs- oder mehr noch: Schockzustand in meine Geburt mit hinein. In meinem Buch liste ich mehrere „Fluchtversuche“ meinerseits aus dem Irdischen, in den ersten 10-12 Jahren, jeweils im Abstand von 1-2 Jahren, den ersten mit ca. 1 Jahr, ein drohender Erstickungstod, den ich freilich nur vom Hörensagen meiner Mutter kenne, den letzten mit ca. 11-12 Jahren, einen drohenden Ertrinkungstod, in Spanien auf Konzertreise, fernab von der Familie. Danach waren die Fluchtversuche zu Ende, und ich gelangte in den Atheismus hinein, der – so gesehen – wie die Bewahrung vor einem psychischen Totalabsturz war, indem die Jenseits-Thematik zum Stillstand kam, also auch alle damit verbundene seelische Not meinerseits…

Der Zweifel machte eine Selbstorientierung notwendig, und mein Lebensgang wird so ganz natürlicherweise zu einer dauerhaften Orientierungssuche und einem erst allmählichen seelisch-geistigen Mich-Aufrappeln. - Das soziale Stillschweigen hatte auch den Sinn und Zweck, mir in das Meine von niemandem hineinreden zu lassen, um in aller Ruhe, in sicherer Verborgenheit ein selbstständiges Urteil finden und eine unbeeinflusste Bewertung vornehmen zu können. Diese gebe ich hier, niemand hat mir bei der Verarbeitung unmittelbar oder wesentlich geholfen.

2. Die zweite Frage ist: Was ist mit diesem „Auftrag“? Wie lautete er? Warum wird er nicht benannt? Und meine auf den ersten Blick wie ein Witz erscheinende Antwort ist: Ich benenne ihn nicht, weil ich ihn vergessen habe. Daher hatte ich mit dem Kuriosum oder der Absurdität umzugehen, einen Auftrag erhalten zu haben, der mir nur formal in Erinnerung blieb, inhaltlich aber wie ausgelöscht war, abgesehen von der vagen Erinnerung, dass es um die Menschheit, ihr Schicksal, ihren Weg, ihre Zukunft ging.

Wie verhalte ich mich nun in einer derart fatalen und undurchsichtigen Lebenssituation am besten? Nun, ich versuche, all meine Geisteskräfte in mir aufzurufen und zusammenzunehmen, um diesem – angeblichen oder eventuellen - Auftrag irgendwie auf die Spur zu kommen. Und so wird mir die Philosophie zur Notwendigkeit, zum Lebensernst, und ich kann sie nicht aus Spiel und Spaß oder als Zeitvertreib ausüben, wie etwa Schopenhauer, der scheinbar mangels Geldnot und aus Lebensüberdruss mit Philosophieren seine Lebenszeit totschlagen musste, der arme, ungeforderte Wohlstands-Mann, der dann auch noch die Hörsaal- bzw. Hörerscharen-Herausforderung mit Hegel suchte und freilich erbärmlich verlor, weil Hegel dazumal hoch im Kurs stand…

Und wieder wurde mir aus der Not eine Tugend, denn die Lösung könnte ja schlicht und einfach darin bestehen, dass der ursprünglich und himmlisch von Geistwesen zu Geistwesen mitgeteilte Auftrag irdisch wiedergeholt werden soll, nun aber: aus dem eigenen Geist heraus! – So war ich mehr oder weniger gezwungen, nach und nach, den Menschen geistig und geistig-kommunikativ zu denken, weil auf diese Weise zweierlei gewährleistet war: Zum einen muss ich mir selbst nicht einen „mangelnden Wirklichkeitssinn“ unterstellen und „meine Erlebnisse“ nicht als irreal abtun und verwerfen, zum andern ergibt das inhaltliche Vergessen-haben des Auftrages nun einen Sinn, denn seine Wieder-Holung wird und soll ja erst in der Zukunft, sprich: im Rahmen meiner eigenen Geistentwicklung erfolgen. So also fand ich eine „vernünftige Erklärung“ für meine verwirrende, scheinbar irrsinnige „Auftrags-Situation“. Und auf diese Weise, mit einem solchen, auf eine Entwicklung bauenden Geist-Verständnis ergibt die Bibel auch erst ihren eigentlichen Sinn, und sie kommt auch weiter unten nochmals „neu“ zu Wort – in einem Lesen und Hören, das wir bislang noch nicht haben, wie ich glaube.

3. Ein dritter Fragenkomplex ist die Analogie zu oder der Vergleich mit biblischen Berufungsgeschichten. Und es ist mir rein psychisch gesehen schon sehr hilfreich gewesen, wenn ich bei Moses die sinngemäße Rückfrage an Gott finde: „Ja, was soll ich den Leuten denn sagen, wer mich geschickt hat?“ (2. Mose 3,11-14). Diese Moses-Frage ist gut und sehr authentisch, was man dann allerdings von der Gottes-Antwort nicht sagen kann: „Sag ihnen: Der ‚Ich werde sein (, der ich sein werde)‘ hat mich geschickt“ (ejeh ascher ejeh – in der Lutherübersetzung).

"Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen?  Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt." (Ex 3,13f)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT/2.Mose3, abgerufen am 18.06.2024.

Mit einer solchen „Antwort“, historisch gegeben an das hebräische Volk, müsste Moses sich selbst eigentlich unglaubwürdig und zum Narren gemacht haben. Es sei denn, damals griff noch eine ganz andere „Geistesautorität“, und wenn man bedenkt, dass Moses auch einen ägyptischen Aufseher erschlug (als Rache für einen erschlagenen Israeliten-Sklaven), so zeigt dies, dass er einen enorm festen Willen und damit auch „Autorität“ besaß, welcher man sich dann – im Zweifelsfall – wohl lieber beugte, ohne alle Kritikäußerung…

Meine spätere Schlussfolgerung daraus war: Die Gottes-Antwort ist eigentlich für die späteren Bibelleser bestimmt, denn in der Sprach-Formel ist das Geheimnis der kosmischen Seinsveränderung eingefangen, und es ist schon in das (auch heute noch) künftige Ich des Menschen hineingesprochen. Denn es ist damit die substanzielle Veränderlichkeit der von mir so genannten „Vertikalachse ‚Ich – Gott‘“ behauptet (vgl. Lessing, EdM § 77):

a) Gott wird der sein, der er sein wird                                                         (Lessing: nähere und bessere Begriffe vom göttlichen Wesen)

b) Die Gottesbeziehung des Menschen wird die sein, die sie sein wird             (Lessing: nähere und bessere Begriffen von unsern Verhältnissen zu Gott)

c) Der Mensch wird der sein, der er sein wird                                               (Lessing: nähere und bessere Begriffe von unserer Natur)

Und die „Zukunft“ ist dann in der Offenbarung des Johannes umschrieben mit dem Ausdruck „Gottes Wohnen unter den Menschen“, wobei man die Umwertung bewusst zur Kenntnis nehmen muss, die das NT hier vornimmt, indem es nicht mehr von einem verheißenen „Land“ spricht, sondern jetzt nur noch von „Wohnungen“, die für die Menschen vorbereitet werden, und das heißt: In der Zukunft wird in diese „Wohnungen“ „eingezogen“ werden, und zwar wohl von zwei Seiten her, von unten her vom menschlichen Ich und von oben her von „Gott oder dem göttlichen Geist selbst“, so dass die himmlische und die irdische Lebensebene im Menschen zusammengehen werden, zumindest in einem Teil der Menschheit.

Konkret wird der Gedanke aber erst dadurch, dass man den Menschen aus mehreren Leibern und Wesensgliedern bestehend begreift (die jeweils zu unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen Bezug haben), und „Wohnung“ und „Wohnen“ beziehen sich auf das nächst höhere Wesensglied des Menschen, das über dem (heute aktualisierten) bewussten Ich liegt (Stichwort: überbewusst) und welches anthroposophisch „Geistselbst“ genannt wird, innerhalb eines siebengliedrigen Aufbaus des Menschen:

  1. Physischer Leib
  2. Ätherleib
  3. Astralleib
  4. Ich
  5. Geistselbst (bearbeiteter, umgewandelter Astralleib)
  6. Lebensgeist (bearbeiteter, umgewandelter Ätherleib)
  7. Geistmensch (bearbeiteter, umgewandelter physischer Leib)

Dieser Text basiert auf dem Artikel "Der siebengliedrige Mensch" (externer Link: https://anthrowiki.at/Der_siebengliedrige_Mensch) aus der freien Wissensdatenbank "AnthroWiki" (externer Link: https://anthrowiki.at/Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/). In AnthroWiki ist eine Liste der Autoren des Artikels "Der siebengliedrige Mensch" verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum des Artikels: 26.03.2024; vgl. ebenso den dortigen Artikel "Der zehngliedrige Mensch" (externer Link: https://anthrowiki.at/Der_zehngliedrige_Mensch), mit Schaubild des Verhältnisses von Siebengliedrigkeit zu Zehngliedrigkeit.

Dieses Geistselbst ist nur erst als Anlage (Wohnung) vorhanden, aber wir haben es noch nicht „in sich (resp. in uns) aktiviert“, sind also noch nicht „eingezogen“, so dass wir auch noch nicht wissen können, wie sich dieses „neue Ich“ anfühlen wird, über welches wir analog zum alttestamentlichen Gottesnamen zunächst nur formal sagen können: „Wir werden sein, die wir sein werden.“ Auf die Anthroposophie komme ich noch zu sprechen.

Es gibt eine ganze Reihe biblischer Berufungserzählungen, von welchen jede einzigartig ist, und doch kann man sie untersuchen und typisieren, was auch gemacht wurde, und ein wichtiger Punkt scheint mir hier die Zustimmung des Berufenen zum Auftrag zu sein, die in „meinem Text“ auch wiederkehrt („Ja, das muss getan werden.“). Dadurch wird nämlich eine individuelle, persönliche Bindung im Sein grundgelegt, die auf einer „Verbindlichkeit des eigenen Wortes“ beruht: Das Individuum bestimmt sich selbst in eine Verbindlichkeit im Sein. – Solche (unbedingten) Verbindlichkeiten fehlen heute. Vieles (auch) auf Staats- und Unternehmensebene, das das Wohl der Allgemeinheit betrifft, ist nur halbherzig gesprochen und auch nur halbherzig gemeint, und wenn es so bleibt, werden diejenigen (über uns), die uns auf unserer Menschheitsebene im Blick haben, ja, auch hier und jetzt, irgendwann oder auch bald sagen können: „Die Menschheit hat sich ihren eigenen Untergang redlich-unredlich verdient.“

Solche „Verbindlichkeit“ ist speziell für mich auch deshalb von besonderer Bedeutung, als mir vom „Schlüsselerlebnis“ her der Wesens- und Veränderungs-Bezug eines „bloßen“ Wortes zu den Wirklichkeitsebenen bewusst war, und ich empfand in meinem unbedachten Zorneswort die durch das bloße Aussprechen zustande gekommene Veränderung im Sein, die ich dann, na ja, eigenverantwortlich, auch als Verbindlichkeit übernahm, durch mein Scheibeeinwerfen.

Diese kurzen Andeutungen sollen jetzt genügen. Ein „Traumtext“ aus demselben jungen Lebensalter kommt noch hinzu, und meine beiden Hauptfiguren – San (= Sehnsucht nach dem Abschied von der Neuzeit; vorgesehener Buchtitel) und Murutuf (= Futurum rückwärts gelesen = der aus der Zukunft in die Gegenwart Zurückgekehrte: Murutuf; Mann- und Frausein treten wieder in eins zusammen, daher Neutrum) - diskutieren dann im „Zweiten Satz“ meines „musikalischen“ Buches - einem Grave (weil seelisch drückend) - über diese Dinge. - Das Buch hat also auch den Sinn und Zweck, mir selbst Abstand zu meinen eigenen Erlebnissen zu verschaffen, sie zu externalisieren, um sie möglichst objektiv und mit den (unbetroffenen) Augen eines Anderen anzusehen, mit dem Ziel, sie dadurch selbst verarbeiten zu können, um sie anschließend in sachangemessener Weise wiederum zu internalisieren, ins eigene Lebensgepäck wieder zurück- oder auch jetzt erst mitaufzunehmen.

Alles in allem ist das Buch eine „Autobiographie in Dichtungsform“, mit der Intention eines exemplarischen, vielleicht prototypischen geistigen Verdichtungsprozesses innerhalb eines einzelnen Menschenlebens. Und so habe ich auch das Buch-Wachstum festgehalten, alljährlich den Buch-Stand am Computer abgespeichert (erstmals am 19.04.1999), um spätere geisteswissenschaftliche Forschungen über meinen (exemplarisch gedachten) Geist-Werdungs-Prozess zu ermöglichen. Analog habe ich in diesem Gesamttext zumindest andeutungsweise versucht, mich mit meiner Leserschaft zusammen gleichsam in einen solchen Geist-Werdungs-Prozess hineinzubegeben; ob das gelungen ist, kann die Leserschaft besser beurteilen als ich (weil ich "neu" und "alt" schlecht auseinanderhalten kann, indem sie in meinem Ich nivelliert sind).

Das Entrückungs-Erlebnis als solches ist mir unangenehm, soll heißen: unangenehm ist mir die mir dadurch abverlangte soziale, gesellschaftliche Kommunikation, weil ich niemand bin, der sich gern in den Mittelpunkt stellt, im Gegenteil: Am liebsten ist es mir, wenn von mir gar nicht weiter Notiz genommen wird. Das ist mir im Leben ganz gut gelungen.

Das Erlebnis passt auch so gar nicht in unseren materialistischen Zeitgeist, so dass ich mit ihm zwangsläufig anecken und auffallen werde, und so schleppte ich es lange – aktiv verbergend - mit mir herum, gleichsam als ein untrügliches Indiz der psychischen Erkrankung meiner Person, die möglichst niemand bemerken solle. Lange Zeit also untersagte ich mir selbst jegliche Kommunikation über diese „peinliche Angelegenheit“, und so bot sich die Buch-Verarbeitung als gute, praktische Notlösung an (auch hier also wieder: Not -> Tugend). Heute, glaube ich, kann ich eine Diskussion darüber ertragen. Ich selbst neige dazu, das Erlebnis als authentisch und wahr zu betrachten, weil sich mit der Wahrheitsannahme eine größere (individuelle und allgemeine) Stringenz ergibt, als bei gegenteiliger Annahme. Ich bin aber auch bereit und fähig, es aus der Distanz anzusehen und den (von außen an mich herangetragenen) Gedanken einer möglichen Einbildung zuzulassen (von innen habe ich das ja bereits durchgekaut).

Nur erscheint mir dieser mögliche „Einbildungs-Gedanke“ heute als materialistisch-unreif, nur auf der zweiten geistesgeschichtlichen Reflexionsstufe angesiedelt, obwohl es noch eine dritte Reflexionsstufe gibt, von welcher aus der gegenwärtig gelebte Materialismus als „Kinderkram“ erscheint, als nicht weiter verfolgenswert und als von der eigentlichen Realität des Seins weit abführend - nur: Es gefällt mir anderseits überhaupt nicht, wenn die Aufklärung sich selbst als „Mannesalter“ der Vernunft ansieht, weil sie alle anderen Zeiten dadurch zurücksetzt und sich selbst darüber „empört“: Die Vorfahren sind dann die „Kindlichen“, die Nachfahren müssen dann die „Altersschwachsinnigen“ sein? Und so frage ich mich: Kann es sein, dass unsere hochgeschätzten Aufklärer hoffnungslose Egozentriker waren? Vielleicht, weil der – adlige – Gesellschaftsmittelpunkt noch außer ihnen lag, so dass sie das Bedürfnis hatten, sich selbst und das, was sie ihr Eigen nennen können (bei Proletariern: ihre Kinder, bei Aufklärern: ihre Vernunftprodukte), aufzuwerten?

Wegen dieses meines Missfallens an der Aufklärungsterminologie will ich mich dann doch hüten, ein Wort wie „Kinderkram“ für den Materialismus und Atheismus zu benutzen, befand ich mich doch selbst darin und kenne also den (alles andere als kindlichen) Ernst der Situation. – Es ist m.E. ein Zeichen geistiger Unreife, anderen Zeiten den Erwachsenen-Status nicht zuerkennen zu wollen. Damit beginnt die subjektive Verzeichnung der Geschichte…

Es ist nicht richtig, den Materialismus einfach wegwischen oder ignorieren zu wollen, er muss vielmehr – sozial gesehen – als tiefernstes Problem in der Gegenwart angenommen werden, um dessen „Lösung“ man sich intensiv bemühen muss. – Das ist es, was man in die Zukunft des Eine-Menschheit-Werdens hinein wird berücksichtigen müssen: Dass man nicht mehr einfach stur und rücksichtslos eine „eigene Meinung“ vertreten kann, sondern dass man zugleich auf die Mitmenschen hinsehen und sich fragen muss, warum sie so anders denken und wie man mit ihnen am besten kommuniziere, wobei dieses „Beste“ u. U. – leider – zunächst einmal auch in einem Stillschweigen bestehen könnte. - Die Bibel deutet es uns in dem Bild des „Diebes“, der „in der Nacht“ kommt, doch sehr deutlich als künftig angemessene „Kommunikationsform“ an, ebenso in dem „Feld-Bild“, wo von Zweien nur Einer mitgenommen werde, und auch in dem Bild des „neuen Liedes“, das nicht jeder erlernen, singen und verstehen kann.

In jedem Fall habe ich das Erlebnis grundsätzlich anerkannt und bewusst in meine Erinnerung mitaufgenommen (und nicht etwa verdrängt), weil es mir im Falle seines Wahrseins eine persönliche Verantwortung auferlegt, die ich nicht ohne schlechtes Gewissen (oder mehr noch: ohne Ruinierung meiner eigenen Existenz) von mir weisen könnte. Und die Sache mit diesem „Wahrheitsfall“ verhält sich folgendermaßen: Als Außenstehender kann man sich leicht einen abstrakten, unbetroffenen Zweifel (der sich innerlich aus der Sache heraushält) „leisten“ und den Betroffenen fragen: „Bist du sicher, dass die Sache wahr ist?“ Für den Betroffenen selbst kehrt sich diese Fragestellung um, und man muss sich fragen: „Kann ich sicher sein, dass die Sache unwahr ist?“ Dies ist ein feiner, aber ausschlaggebender Unterschied im Aufwerfen der Gewissheits-Frage, die nämlich auf eine Gewissens-Frage zurückgeführt werden kann (sobald nicht mehr abstrakt-"sachlich", sondern konkret-"persönlich" gefragt wird): Der (empfundene) „Realitätsboden“, von welchem aus gefragt wird, ist in beiden Fällen diametral.

Alles in allem sieht man also, dass es zutreffend ist, hier von einem „Richtungsstoß“ zu sprechen, der meinem Denken eine persönliche Bahn gewiesen hat. Wer diese meine Situation adäquat beurteilen können möchte, der möge sich doch bitte schön fragen: „Wie hätte ich mich an seiner Stelle verhalten?“, aber nicht halbherzig-äußerlich-journalistisch, denn das „gilt nicht“, sondern ganzherzig, ernsthaft, als wäre man selbst involviert!

a3) Richtungsstoß 3: Neue Leiberfahrung durch Strömungsbewegungen (seit den ersten Studienjahren)

Der dritte „Richtungsstoß“ widerfuhr mir zu Beginn meines Studiums, bald nach dem 20. Lebensjahr, welches für mich ein großer biographischer Einschnitt war:

  • Mit dem Studium der Philosophie scherte ich aus der bodenständigen Familientradition aus, die ich mit einem Semester Geographiestudium zunächst noch versucht hatte.

(1. Kind Landwirtschaft, 2. Kind Forstwirtschaft, 3. Kind Geographie, dann Philosophie…, 4. Kind Biologie, dann Kunstgeschichte… - Mein Vater kam vom Bauernhof, studierte Landwirtschaft, wurde Grundschullehrer (wie mein Großvater mütterlicherseits), später landwirtschaftlicher Berufsschullehrer.)

  • Über einen früheren Klassenkameraden, einem der Klassenbesten, wurde ich bekannt mit der Anthroposophie Rudolf Steiners, die mit der Realität der Geistwelt – unverschämt-unmittelbar, in materialistischer Zeit – Ernst macht, und die ich mir in Eigenlektüre und Selbststudium zu eigen machte; Kontakt zu anthroposophischen Kreisen hatte und habe ich allerdings nicht (abgesehen von einer losen Kontaktknüpfung - erst in allerletzter Zeit - zu einer Anthroposophengruppe, die ihre eigene Gesellschaft nicht auf Kurs sieht und mit sehr großem Elan und rastlosem Engagement auf eine Berichtigung hinarbeitet). - Ich stehe faktisch alleine da, ohne Rückhalt, und so kann eine jede Leserin, ein jeder Leser sich in ein direktes Verhältnis zu mir in meiner Person setzen, von Mensch zu Mensch.
  • Mit dem Zu-Ende-Gehen meiner atheistischen Lebensphase (und dem Wiederauftauchen meiner Kindheitserlebnisse) nahm ich mir die Bibel zur „nochmaligen“, eigenständigen Lektüre vor - vgl. Lessing, EdM § 68f:

"Und was noch itzt höchst wichtig ist: – Hüte dich, du fähigeres Individuum, der du an dem letzten Blatte dieses Elementarbuches stampfest und glühest, hüte dich, es deine schwächere Mitschüler merken zu lassen, was du witterst, oder schon zu sehn beginnest.

Bis sie dir nach sind, diese schwächere Mitschüler; – kehre lieber noch einmal selbst in dieses Elementarbuch zurück, und untersuche, ob das, was du nur für Wendungen der Methode, für Lückenbüsser der Didaktik hältst, auch wohl nicht etwas Mehrers ist."

Externer Link zum Text: G.E. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, §68f, Projekt Gutenberg-DE - https://www.projekt-gutenberg.org/lessing/erziehng/erziehn2.html, abgerufen am 22.03.2024

Zu diesem dritten Einschnitts-Punkt: Der Atheismus war schleichend in der Pubertätsphase über mich gekommen, und gegen Ende meines dritten Lebensjahrsiebts (der Anthroposoph teilt das Leben in Sieben-Jahres-Perioden ein) war er dann nicht abrupt zu Ende, sondern klang analog einfach nach und nach aus. Ich habe nichts dazu getan, er verlor sich einfach wieder. Der Atheismus selbst verlief relativ gedankenlos, da waren keine großen religionskritischen Gedanken in mir. Die kamen erst später, im Nachhinein. Es waren also Jahre, über die ich nur sagen kann: Etwas arbeitete in mir, ich weiß aber nicht, was, und auch nicht, wie. - Und dann war eben der Entschluss zur eigenständigen Bibellektüre urplötzlich da. Ich will ihn in ein Bild fassen, das meine damalige Stimmungslage ganz gut einfängt: Es ist, als hätte ich ein Steh- oder Lesepult vor mir, klatsche die Bibel darauf und sage mir: „Das muss jetzt erledigt werden.“ - Das war nur die unterbewusste Stimmung. Bewusst war es hingegen so, dass ich mir sagte: „Ich will selbst Einblick in die Bibel nehmen, egal, was Andere über sie sagen oder wie sie sie sehen“, und es war hierbei kein Gedanke in mir vorhanden, ich selbst könne die Bibel besser und treffender wahrnehmen als Andere oder hätte überhaupt diesbezüglich irgendeine Kompetenz. Bewusst sagte ich mir nur: „Schau selbst hinein!“

Ich – als gebürtiger Katholik - forderte also gleichsam aus mir selbst heraus das Sola-Scriptura-Prinzip, wobei ich das „solus“ hier nicht näher erörtern will, Luther gebraucht es viermal unterschiedlich: sola scriptura, sola fide, sola gratia, solus Christus, womit er sich als Logiker schon ein gutes Stückweit selbst diskreditiert, wie mir scheint. Nichtsdestotrotz rechne ich es der evangelisch-lutherischen Kirche sehr hoch an, dass die Konfirmanden mehr oder weniger konstitutiv eine „eigene Bibel“ erhalten, indem ernsthaft gewünscht ist, sie mögen sich selbst vom Wort Gottes überzeugen. In der römisch-katholischen Kirche ist es offensichtlich weniger wichtig, dass der einzelne Katholik eine eigene Bibel habe. Denn der Papst – als (römisch-katholisch) anerkannter Petrusnachfolger – sagt gleichsam: „Mir nach! Ich kenne den Weg! Denn ich habe den Geist!“ - nämlich ex cathedra resp. nach einem rationalen Schlussverfahren, welches das röm.-kath. Geisthaben tief in der Vergangenheit ein für alle Mal festgeschrieben hat, gültig für jede Gegenwart, also in alle Zukunft hinein, bis zur Wiederkunft Christi. Und der „gute Katholik“ kann oder muss sich sagen: „Ihm nach! Er kennt den Weg! Denn er hat den Geist!“ Und dieses „Schlussverfahren des Geistes“ läuft dann – gewohnheitsmäßig-unbewusst – in den Katholiken weiter: „Ja, wenn er den Geist schon hat, dann brauchen wir selbst den Geist nicht auch noch haben müssen. Wir tun einfach, was der Papst sagt und will, und so wird also der Geist dann wohl auch in uns sein…“

Und dann erlebte ich dieses mein „persönliches Pfingsten“ (aber nicht konkret ausgelöst durch Bibellektüre), indem ich „Strömungsbewegungen“ an mir leiblich wahrnahm, beginnend mit einem leichten Druck an der Nasenwurzel und dann immer mehr um sich greifend und große Teile der Leiblichkeit betreffend – aber erst im Verlaufe vieler Jahre; am wenigsten in meinen Extremitäten, Füßen und Händen, dort erst sehr spät, sozusagen erst kürzlich beginnend, und noch später dann, sozusagen jüngst, im Kopfbereich entlang der Schläfen. - Mein Leben lang hatte ich kalte Füße, als wäre das Finden von „Bodenkontakt“ (oder auch Sozialkontakt) ein spezifisches mich begleitendes Lebensproblem.

Die neue leibliche Wahrnehmung war nun wie ein Signal, ein Fanal, das mich im Stillen lächelnd sagen ließ: „Schau an, schau an! Es ist also doch etwas mit der Geistwelt.“ Der christlich-biblische Pfingstgedanke war selbstverständlich sofort präsent, aber im Vordergrund stand mir meine Steinerlektüre (im Buch nenne ich ihn einfach „den Anthroposophen“). Und wenn ich die Bibellektüre mit der Anthroposophenlektüre vergleiche, so muss ich sagen: Der Anthroposoph äußert sich viel konkreter und detaillierter und so, dass man Aufschluss auch über die unkonkrete, eher schwerfällig zu lesende Bibel erhält, die viele Bilder enthält, aber Bilder gehören laut Anthroposophie der Erkenntnisstufe der Imagination an, die menschheits- bzw. geistesgeschichtlich noch vor uns liegt.

Man wird auch unschwer erkennen, dass mein Denken und meine Sprache sehr, sehr bilderreich ist. Es ist aber weniger eine bewusste Methodik, vielmehr ist mein Denken einfach so. Vielleicht hat sich dies im Verlaufe von Jahren so ergeben, ich hielt mich ja bewusst fern vom abstrakten Wissenschaftsdenken, und gerade die Bilder sind es, die die „Denkmuskelkraft“ einüben oder hervorbringen und den Geist in Richtung Geistwirklichkeit führen können, wovon die Wissenschaft freilich keine Ahnung haben kann, weil sie hier keinerlei, aber auch gar keine Eigenerfahrung hat und zuwege bringt. Möglicherweise gilt in ihr ja auch der Grundsatz: Je abstrakter, desto besser und höherwertiger? Aber was ist „abstrakt“? Es soll bedeuten „abgezogen von den sinnlichen Gegenständen“ und zugleich „sich im rein Begrifflichen bewegend“. Und so liegt die Schlussfolgerung nahe: Je weiter im Begrifflichen, desto näher am Geistigen. Aber diese Schlussfolgerung ist falsch. Man kommt nur in eine isolierte, leblose Intellektualität hinein, aber nicht in die konkrete, lebenerfüllte Geistigkeit des Kosmos hinaus. Dazu bedarf es einer Plastizität und Bildekraft des eigenen Geistes, und man muss gewissermaßen das Erlebnis haben, dass das eigene Denken zu einer Knettätigkeit wird. Das Denken wird zu einem handwerklichen und kunsthandwerklichen Tun. Da ist eine Substanz, ein Material, das man „denkend zur Hand nimmt“ und aktiv sprachlich-textlich formt.

Als Konkretions-Beispiel für meine Unterscheidung „ausführliche Anthroposophentexte ≠ knapp gehaltene Bibeltexte“ seien eben diese Strömungsbewegungen genannt. Die Bibel enthält nur wenige Andeutungen hierzu, in Johannesevangelium und Offenbarung des Johannes:

„Aber am letzten, dem höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen.“ (Joh. 7,37f)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes7, abgerufen am 02.04.2024.

„Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ (Offb. 21,6)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Offenbarung21, abgerufen am 02.04.2024.

„Und er zeigte mir einen Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall, der ausgeht von dem Thron Gottes und des Lammes,...“ (Offb. 22,1)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Offenbarung22, abgerufen am 02.04.2024.

„Und wen dürstet, der komme; wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ (Offb. 22,17)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Offenbarung22, abgerufen am 02.04.2024.

Zum leiblichen Strömen ist nun Näheres in der Anthroposophie zu finden, z.B. in den Steiner-Büchern

  • Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ (GA [= Gesamtausgabe] 10, 1904/05)
  • im Abschnitt „Die Erkenntnis der höheren Welten (Von der Einweihung oder Initiation)“ in „Geheimwissenschaft im Umriss“ (GA 13, 1910)
  • und im kurzen Ausblick „Der Pfad der Erkenntnis“ in „Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung“ (GA 9, 1904)

Alle Werke sind zugänglich über die Website „SteinerWiki“ - externer Link: https://steiner.wiki/Hauptseite, abgegriffen am 18.04.2024. Gibt man in der Kopfzeile z.B. GA 10 ein, wird das betreffende Werk aufgerufen und direkt zugänglich, und zwar in kapitelweise bzw. vortragsweise verlinkter Form.

Anmerkung zur Textwiedergabe der Bände der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (= GA, deren Herausgabe dem Rudolf Steiner Verlag obliegt) durch SteinerWiki: Sie basiert auf der Werkbearbeitung von älteren Ausgaben der jeweiligen Bände der GA dieses Bandes durch die freie Literaturdatenbank SteinerWiki (externer Link: https://steiner.wiki/Hauptseite), zum Zwecke der kostenfreien Zugänglichmachung des Werkes Rudolf Steiners, und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In SteinerWiki ist eine entsprechende Liste der Werkbearbeiter zu den jeweiligen Bänden der GA verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Näheres zur kostenfreien Zugänglichmachung vgl. unter "Unser Anliegen" auf der SteinerWiki-Hauptseite, abgegriffen am 18.04.2024.

Unabhängig davon existiert eine (unter a2 bereits genannte) Plattform "AnthroWiki" - externer Link: https://www.anthrowiki.at/Hauptseite (abgegriffen am 18.04.2024), die einen tiefen Einblick in anthroposophisches Gedankengut gewährt (auch mit GA-Volltextsuche etc.) und die ich für eine sehr gelungene, komfortable Aufbereitung des Werkes Rudolf Steiners halte. Für AnthroWiki gelten analoge Lizenzbestimmungen, die von mir jeweils genannt werden.

Ich selbst kenne vielleicht ein Viertel bis ein Drittel des Gesamtwerkes (von über 350 Bänden) aus eigener Textlektüre, manches mehrfach, einzelnes vielfach gelesen.

Wenn nun die Bibel kaum etwas über dieses „Strömen“ enthält, so m.E. deshalb, weil sie ihren Schwerpunkt gänzlich auf die menschliche Vernunft, auf unser Denken und Verstehen legt. Zentrum der Bibel ist unser Gehen-lernen-im-Geiste, nicht unser als wunderhaft, außergewöhnlich und unnatürlich empfundenes übersinnliches Wahrnehmen, und auch nicht unser seelisches Hochgefühl unseres Gerettet seins, wie in der Predigt aber vermittelt wird, sozusagen mit Zuckerbrot und Peitsche, wobei die Peitsche (Wehe dir, pass auf, sieh dich vor) mehr und mehr weggelassen wird und das ganz zu Recht, weil sie internalisiert (= zu eigen gemacht) werden soll, aber eben nicht nur die Peitsche, sondern auch das Zuckerbrot (Selig sind…; deine Tränen werden abgewischt werden usw.) ist zu internalisieren, so dass wir nicht mehr auf Paradies- und Höllenaussicht – als des scheinbar eigentlichen religiösen Gegenstandes - fixiert bleiben und sie ständig vor Augen haben sollen, sozusagen als Köder und Antiköder, sondern unser Blick frei wird für den Hauptinhalt der Bibel und des Evangeliums, der rational-geistiger Natur ist und der dann aber schon in den „Alltag des Geistes“ und ins Konkret-Geschichtliche hineinführt (vgl. nachfolgend unter "b) Wirkungen").

Erst also, wenn unser „Gehen-lernen-im-Geiste“ hinreichend entwickelt ist (Hauptinhalt), soll die höhere Leiberfahrung in Betracht kommen (Nebeninhalt oder Folge-Effekt des Hauptinhaltes). Sie kommt aber in Betracht, also enthält die Bibel auch etwas darüber, sozusagen am Rande oder als Randnotiz, kurz vor ihrem Ausgelesen sein, denn die weitergehende Geist-Unterweisung kann dann auf rein geistiger Ebene stattfinden (Stichwort: ewiges Evangelium), weil diese dann auch objektiv-leiblich wird wahrgenommen werden können (Pfingsterlebnis), ohne Befürchtung, sie dann noch für eine bloß subjektive Einbildung halten zu müssen oder auch nur zu können.

„Und warum kann und darf der Anthroposoph dann viel Weitergehendes darüber mitteilen?“ – „Weil er an viel späterer Zeitstelle steht und inzwischen ein 2000jähriges Wirken des Geistes ins Land gegangen ist, und die Bibel sagt ja selbst, das Nähere wird später über den Beistand oder Geist der Wahrheit mitgeteilt werden, der auch einen Einblick in die Zukunft geben wird.“ – „Das heißt aber dann doch: Es wird (von mir) behauptet, der Anthroposoph habe Anteil am sog. Heiligen Geist?“ – „Ja, das wird behauptet, und wenn uns eine solche Zuordnung grundsätzlich für jeden Zeitabschnitt unserer Geistesgeschichte oder für jede Einzelperson oder Institution absurd erscheint, oder überheblich, hybrid, geschmacklos, dann frage ich mich: Welche Wirkungsmöglichkeit wollen wir diesem Heiligen Geist denn überhaupt in unserer Welt lassen, wenn uns alles Menschliche als „zu niedrig“ (oder auch "peripher") erscheint, um einer solchen „Ehre“ teilhaftig werden zu können? Ich fürchte, mit einer solchen "Demuts- oder Bescheidenheits-Haltung" tun wir dem Heiligen Geist keinen Gefallen, sondern schieben und werfen ihn vielmehr aus unserer Wirklichkeit vollständig und dauerhaft hinaus, nach der Devise: „Keiner von uns ist würdig, den Heiligen Geist zu empfangen. Also kann der Heilige Geist in unserer Welt auch nicht sein…“

Es ist deshalb auch unsere Aufgabe, dieses Wirken in der Zeit resp. den Fortschritt im Geist zu identifizieren, auch wenn dieses Reißverschlussverfahren schwer zu bewältigen ist. Und Lessings EdM scheint mir ebenso dazuzugehören, und dies und das.

b) Wirkungen unten: Mein Denken auf dem Weg zur Vergeistigung des Menschen

Mein Denken hat sich aus unserer allgemeinen Gegenwart herausentwickelt, die immer noch durch weltanschauliche Unentschiedenheit geprägt ist, zwischen einer (faktisch gelebten) Gegenwart materialistischer Zeitlosigkeit (Stichworte: Warten auf Godot vs. sphärenmusikalischer Trugschluss) und einer (prinzipiell lebbaren) Gegenwart spiritualistischer Zeitenverschmelzung und Zeitaufhebung (Stichwort: das biblische „Ende“). Die Letztere ist noch nicht vorhanden, doch legt sie sich mir aus meinem Bibelverständnis heraus nahe. Denn Evangelium und Bibel zielen auf eine Vergeistigung des Menschen hin: Er soll sich selbst als Geistwesen verstehen, versteht sich aber bislang als Materiewesen. Und wenn er ernsthaft beginnt, sich als Geistwesen zu verstehen (in ganzen Gesellschaftsteilen, die nicht automatisch, aber wahrscheinlich mit den Kirchen zumindest Schnittmengen bilden werden), dann ist die „Reifezeit“ der Menschheit eingetreten, und es ist womöglich Zeit für das „Ende“, welches nämlich dialektisch zugleich als ein „Anfang“ zu verstehen ist: Beginn des Reichs Gottes, des Reichs des Geistes, des menschlichen Daseins (nun wieder) inmitten der Geistwelt.

Ich will zwei entsprechende Lesemöglichkeiten der Bibel aufzeigen.

b1) Ein neuer Blick in die Bibel: Relative Gültigkeit des Wortes Gottes?

Diese Zeitenverschmelzung und Zeitaufhebung stelle ich mir so vor, dass wir aufhören damit, uns aus unserer Gesamtgeschichte herauszuhalten und nur einem Stückchen davon eine Relevanz für uns selbst zuzuschreiben. Diese übliche, „natürliche“ Verfahrensweise hängt mit unserer Herkunft, unserer Natio-nalität, unserem kulturellen Zusammenhang und Selbstverständnis von unserer leiblichen Geburt her zusammen, von der ja im letzten Kapitel behauptet wurde, sie sei im Geiste oder aus dem Geist heraus zu überwinden, zu transzendieren, um zum wahren Wir kommen zu können.

Wir müssen schon in das Ganze hinein, in jede Zeit und jede Person – und plötzlich: geht-uns-alles-an, die gesamte Menschheitsgeschichte wird zu unserer Geschichte, und wir sind für das Ganze verantwortlich, weil es insgesamt das Unsere ist. Dann erst werden wir vollständig gebildet sein und dürfen behaupten, wir hätten eine menschheitsrelevante „Bildung“, wobei mir die Wendung „Bildung haben“ nicht gefällt, weil Bildung hier sprachlich als ein bloßes Akzidens erscheint, obwohl sie uns in unserer Substanz betrifft. Besser wäre „in Bildung stehen“ zu sagen, analog zur Pflanze, die aus sich heraus einen Blütenstand entwickelt und auch entwickeln muss: Unsere Bildung ist unser Blütenstand, und eine „lose Bildung“ treibt eben nur weiter Blatt um Blatt, kann sich aber nicht zur Blüte potenzieren und erheben. Unsere faktische lose Bildung zeigt insofern unsere geistige Unreife, zeigt, dass wir im Geiste noch ziemlich herumstolpern und keine feste, sichere Bahn gefunden haben.

Für das Ausbleiben dieser m.E. anstehenden Zeitaufhebung – sie ist wohl das biblische „Ende“ – ist nun von besonderer Relevanz, dass unsere Theologie die kopernikanische Wende der Naturwissenschaft offensichtlich nicht mitgemacht bzw. nicht sachangemessen nachvollzogen hat. Ansonsten hätte man spätestens die Einstein’sche Relativitätstheorie auf das biblische Wort Gottes zur Anwendung bringen müssen – eine Idee, auf welche man nur dann kommen kann, wenn man verstanden hat, dass das menschliche Wissen eine existenzielle Einheit sein muss, während eine Vielheit an Wissen eine Existenz-Illusion produziert und zu einer falschen, divergierenden Wahrnehmung des Seins führt.

Das Evangelium bezieht sich ganz konkret auf die Menschheit dieser Erde und darf nicht länger als pauschal in den Kosmos hineingesprochen behauptet werden. Dieser Irrtum einer universalen Pauschal-Äußerung Gottes kam ja durch die antike Geozentrik zustande, indem es Menschen der Antike waren, die das Evangelium entgegennahmen und daher zunächst glauben mussten, es sei auf den gesamten Kosmos bezogen, in dessen Mittelpunkt sie sich wähnten.

Es muss aber nicht jede mögliche Menschheit im Universum in die Sünde und Vernunftverirrung gefallen sein, wie wir, und so könnte eine integer gebliebene „außerirdische Menschheit“ (an einer anderen Raumzeitstelle des Kosmos) mit einer „Guten Nachricht der Sündenvergebung und des (Zurück-)Kommens des Reichs Gottes“ möglicherweise gar nichts anfangen.

Erhalten wir aber die Hypothese einer gesamtkosmischen Relevanz des Evangeliums dennoch aufrecht, so müssten wir die Bibel (oder wenigstens das Neue Testament) als einen „Rundbrief Gottes an jedwede ‚irdisch-sinnliche‘ Lebensform“ bezeichnen, der es nicht für erforderlich hält, zwischen seinen Adressaten zu unterscheiden. Zudem würden wir hierbei prinzipiell voraussetzen, dass Menschheiten konstitutiv sich in Trennung und Isolation vom Kosmos befinden müssen – eine Annahme, die nur in einem „Menschheiten-Vergleich“ überprüfbar wäre und die gegenwärtig sozusagen aus einem Einzelfall (nämlich unserem eigenen) ein allgemeines Prinzip ableitet und behauptet (wobei dieses unser "Einzelfall-Sein" ein Falschdenken sein könnte, das sich aus unserer inzwischen längst überholten "Geozentrik" unbewusst-kollektiv bis in unsere Gegenwart durchgehalten hat - so schwerfällig ist "unser Denken"). Und selbst bei diesem Einzelfall ist es faktisch so, dass dieses Isoliert sein – zumindest bislang – nur einen kleinen und kleinsten Geschichtsabschnitt unserer eigenen Menschheitsgeschichte ausmacht und trotzdem von uns maßlos überbewertet und perspektivisch gewaltig verzeichnet wird, als habe die Menschheits- und Erdgeschichte innerhalb der letzten 200 Jahre endlich  - potzblitz! - ihren objektiven, stabilen Endzustand erreicht, nach wenigstens 6 Millionen Jahren…?! – Genauso „kritisch“ verhält sich aber unser voreingenommenes Denken, welches wir für unvoreingenommen halten.

Also: Der Adressat unserer Bibel (die auch ein AT mit „konkreter“ erdbezogener Volksgeschichtlichkeit umfasst) ist diese unsere Erdenmenschheit, niemand sonst! Dies ist die Relation unseres Gotteswortes. Unser Wort Gottes hat daher eine nur relative Gültigkeit, und zugleich ist es doch absolut gültig, nämlich bezogen auf uns in unserer Erdenmenschheitssituation des Gefallen seins und Nicht-mehr-richtig-sehen-Könnens (eine üble Wortschöpfung, die aber zur üblen Situation passt). Es hat einen nur geoanthropozentrischen Bezug, keinen kosmischen, keinen pauschal-allgemeinen, weshalb seine Aussagen nicht auf das gesamte Universum zu beziehen sind, sondern nur auf das Irdische und seinen näheren kosmischen Umkreis (vielleicht: unser Sonnensystem). Und entsprechend kann dann auch „das Ende“ regional und relativ zu verstehen sein, aus unserer heute das Irdische richtig übergreifenden, kosmozentrischen und nachkopernikanischen Sicht.

Wir müssen also – im biblischen Zusammenhang - die Erdensituation für sich betrachten und dürfen sie nicht mit der Situation oder den Situationen des Kosmos zusammenwerfen.

Und so ergibt sich: Das Evangelium ist in jene Geisteskonstellation der Erdenmenschheit hineingesprochen, die begrenzt wird durch die beiden Eckpfeiler „Sündenfall“ und „Reich Gottes“, die in unbekannten Fernen der Vergangenheit und der Zukunft liegen: Verlassen-haben der Paradies-ligio und Rückkehr-Möglichkeit in die Reich-Gottes-ligio. Dies ist unser Bezugssystem in der Gefallenheit, und wir können es nicht verlassen, bestenfalls unzulässigerweise ignorieren, wie es unsere Naturwissenschaft macht, indem sie – ihr eigenes (ihr selbst nicht bekanntes) seelisch-geistiges Bezugssystem transzendieren wollend - meint, Aussagen treffen zu können über das „Proton“ und das „Eschaton“ des Universums.

Die (Natur-)Wissenschaftler praktizieren damit jene Schatten-Wissenschaft, die Platon bereits in seinem Höhlengleichnis beschreibt – eine Schattenwissenschaft, die sich selbst für „Wissenschaft“ und „Wissen“ hält, weil sie ihr eigenes Bezugssystem nicht sehen kann oder nicht sehen will (bei Platon: die Höhle, bei uns: unsere Blicktrübung durch irgendeine „Sünde“ bzw. einen „Tradition und Norm gewordenen Wahrnehmungsfehler“, Blicktrübung durch unser Bezugssystem). Dies gilt näher für die Naturwissenschaften, während die Geisteswissenschaften zumindest gewillt sind, den seine Wissenschaft betreibenden Menschen in seinen Rahmenbedingungen zu problematisieren, also diesem unserem eigenen Bezugssystem-Dasein korrigierend auf die Spur zu kommen, was naturwissenschaftlich schlicht ignoriert wird. Und hier zeigt sich die Abstraktheit oder das Fehlgehen einer "Naturwissenschaft": Sie bringt zwar den Terminus „Bezugssystem“ in der Theorie hervor, ist aber nicht bereit oder nicht fähig, ihn praktisch auf sich selbst zur Anwendung zu bringen (denn solches „selbst“ ist ja Sache der Geisteswissenschaft und hat also mit Naturwissenschaft nichts zu tun und ist also für sie in keinster Weise relevant).

Aber dennoch machen wir derzeit noch diesen Prinzipien-Fehler in unserem Denken, dass das naturwissenschaftliche Umdenken von der Geozentrik zur Kosmozentrik geisteswissenschaftlich nicht angemessen nachvollzogen wurde, unschwer erkennbar an unserer Theologie, die offenbar nicht erkannt hat, dass mit Preisgabe der Geozentrik auch die Situation des Gotteswortes eine andere „geworden ist“, so dass unser theologisches Denken (und unser Glaube!) umgedacht und angepasst werden muss: Uns liegt gar nicht „das Wort Gottes“ vor, welches universale, abstrakt-allgemeine Gültigkeit hätte, als wäre das Evangelium gleichsam ein kosmisches Rundschreiben an sämtliche Menschheiten oder Sinnenwesen jedweder Art, sondern uns liegt lediglich vor: „unser Wort Gottes“, das sich auch auf unsere Situation in der Sünde bezieht, die uns in ein „Jenseits Gottes“ (-> re-ligio) eintreten ließ, aus welchem uns unser Evangelium (von der Vergebung unserer Sünde) wieder heraus- und zurückführen will ins Diesseits des Reiches Gottes (ligio), in welchem sich andere Menschheiten möglicherweise kontinuierlich und ungebrochen in ihrer Geschichte befinden, die ein "Evangelium" gar nicht brauchen, weil ihnen nicht das widerfahren ist oder weil sie nicht das "verbrochen" haben, was dieser userer Erdenmenschheit widerfahren ist oder was wir uns nun einmal - irgendwann und irgendwie - "geleistet" haben.

Die Bibel selbst hat damit nicht primär einen kosmologischen Bezug, sondern einen anthropologischen (und geo-logischen), näher sogar einen abnorm-anthropologischen Bezug, so dass wir auch sagen können: Die Natur und Norm des Menschseins ist uns gar keine Bekannte, sondern eine Unbekannte, denn beide – Natur und Mensch – kennen wir nur noch im Status des Gefallen seins, nicht mehr im Status des Intakt seins: „Wir sind uns selbst transzendent, undurchsichtig, unbekannt!!!“ – Das sagt uns unsere Bibel, obwohl wir aus uns selbst heraus das Gegenteil behaupten möchten und hierbei nur unsere „Abnorm“ beschreiben (und als "Gegenargument" heranziehen) können, nicht aber unsere „Norm“.

Aus diesem Grund kann der christliche Glaube in Wahrheit auch nicht mit dem Aristotelismus (und seiner heidnischen Naturlehre) zusammengehen, weil daraus eine Verschiebung der wahren oder Glaubens-Verhältnisse resultiert:

Natur                      -              Über-Natur (als außerordentliches Wirken Gottes, thomistisch gedacht)

Der Glaube setzt nicht in der Natur an, sondern unterhalb ihrer, und dann resultiert:

Gefallene Natur                     -              Natur (als Wirksphäre Gottes)

Und hieraus ergibt sich das außerordentliche oder Korrektur-Handeln Gottes und die Natur-Gleichung:

Gefallene Natur + Heilsgeschichte

=    Natur

(außerordentliches Wirken Gottes)

(ordentliche Wirksphäre Gottes)

Oder, geistesgeschichtlich gesehen, die Vernunft-Gleichung des Glaubens:

                               Gefallene Vernunft + Heiliger Geist = (natürliche) Vernunft

Das Denken, das wir hier und heute haben, ist nicht mehr „natürlich“, sondern es ist schon – nun ja – verkorkst, verdorben. Das kann diese unsere Vernunft aber nicht aus sich selbst heraus sehen und nicht wissen, weil sie keinen Bewertungsmaßstab ihrer selbst besitzt (außer dem falschen, gefallenen). Deshalb ist die aristotelische Naturlehre falsch, und deshalb ist auch die thomistische Naturlehre falsch, weil sie – mit Aristoteles - falsch (heidnisch) ansetzt, obwohl sie den Glauben in seiner ontologischen Korrekturfunktion bereits erkannt hat. Und so geht Thomas – falsch - mit Aristoteles von „der Natur“ aus, korrigiert aber die aristotelische Naturlehre dann nach oben (Gnade = übernatürlich), anstatt – anders als Aristoteles - unterhalb der Natur anzusetzen und diese „Unter-Natur“ zur „Natur“ hin zu korrigieren, so dass Gottes außerordentliches Heilshandeln zu einer Wiederherstellung der ursprünglich intakten Natur wird, die das ordentliche Wirken Gottes immer in sich enthielt.

Der Glaube ist der Bewertungsmaßstab und die Korrekturfunktion unserer Vernunft. Und die menschliche Vernunft kann diese Korrektur entweder dankend annehmen oder aber ausschlagen, als überflüssig oder falsch, indem sie sich – blind – selbst für „natürlich“ erklärt.

Man kann daher sagen, Luther habe den sich selbst missverstehenden (römisch-katholischen) Glauben evangelisch zurechtgerückt, indem er nicht „Mensch“ und „Gott“, sondern den „sündigen Menschen“ in seinem Bezug zum „rettenden Gott“ zum Gegenstand der Theologie bestimmt.

"In seiner Vorlesung über Ps. 51 hat Luther den schuldigen und verlorenen Menschen sowie den rechtfertigenden und erlösenden Gott als den eigentlichen Gegenstand der Theologie bezeichnet (WA 40 II, 328, 1f. ...ut proprie sit subiectum Theologiae homo reus et perditus et deus iustificans vel salvator)."

(entnommen: Bernhard Lohse, Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk, zweite, durchgesehene Auflage - München:Beck 1983, S. 152.)

Unser derzeitiges Bezugssystem ist die „gefallene Natur“, und durch das Handeln Gottes und Wirken des Geistes bewegen wir uns auf das Bezugssystem „Natur“ erst wieder zu, so dass wir derzeit nicht einmal die Norm des Menschseins resp. Vernunft-Habens sehen und bestimmen können. Wir kennen unsere eigenen geistigen Fähigkeiten nicht! Wir sehen uns also – ohne Evangelium – unter Wert und Vermögen, unter Macht und Potenz. Kant konnte also (bestenfalls) die „gefallene Vernunft“ vermessen und hat sie dann – aufklärerisch-falsch (und unchristlich, sagen wir: heidnisch) – als „natürliche Vernunft“ ausgegeben.

Außerhalb des Glaubens sind diese Verhältnisse schlechterdings unerkennbar, so dass der Mensch von sich aus weder die Natur noch sich selbst noch sein wahres Vernunftvermögen richtig sehen und beurteilen kann. Gegen Kant formuliert: Nicht die Selbstbestimmung der Vernunft führt zu einem zusätzlichen, erweiternden Glaubens-Raum, sondern der Glaubens-Raum gibt das wahre Vernunftvermögen erst frei, das sich in einer (kantischen) Selbstvermessung gänzlich unterwertig bestimmt, nämlich nach dem Unterwert eines sündebedingten Blind-geworden-seins, das als natürliches Sehen nur vor sich selbst erscheint. Nicht die Vernunft gibt den Rahmen vor für den Glauben, sondern der Glaube gibt den Rahmen vor für die Vernunft, die nämlich viel größer ist (in ihrer Natürlichkeit), als sie selbst schon ermessen kann (in ihrem Gefallen sein, das sie fälschlich und glaubenslos zur Natürlichkeit erklärt und erklären muss).

Wir werden deshalb das biblische Ende, welches in Wahrheit „regional“ und relativ zu verstehen ist, erst einmal abzuwarten haben, denn erst dann werden wir die Blickverzerrung unseres Bezugssystems abgestreift haben. Und dann erst wird unser Blick wieder frei, und wir treten ein in ein neues, wiederhergestelltes Bezugssystem, in welchem ein „neuer Himmel“ und eine „neue Erde“ sichtbar werden (Offb. 21,1). Und im Übrigen wird dann sogar eine Unterscheidung zwischen Tag und Nacht hinfällig geworden sein (Offb. 21,23.25; 22,5), weil ein geistiges Wahrnehmen und Leben (wieder?) greifen wird.

Und der menschliche Geist muss sich eben nachts auch nicht hinlegen zum Schlafen, weil das Müde werden eine leibliche Angelegenheit ist und der Geist nur derzeit in die Leiblichkeit tief hineinversenkt ist (wodurch auch die geistige Tätigkeit des Denkens, leiblich gebunden an das Gehirn, zur Mühe wird und Kraft kostet). Und wer sich ein solches geistiges Wahrnehmen nicht vorstellen kann, der bedenke einfach, dass auch sein Denken bereits ein Wahrnehmen, Erkennen, Licht haben ist, sogar bei physischer Dunkelheit, denn wenn wir spätabends das Licht ausmachen (und vielleicht auch keine Geräusche mehr hören), geht unser Denken nicht mit aus, sondern diese innere Lichtquelle bleibt - bis zum Einschlafen, d.h. bis zum derzeitigen Verlieren des Bewusstseins und Hinabsinken unseres Lebens ins Unbewusste (unserer grundsätzlichen Geistigkeit, die dann weiterexistiert und -arbeitet, derzeit noch unbewusst, aber das muss und wird nicht so bleiben).

Die Offenbarung, das letzte Buch der Bibel, nimmt in diesen Äußerungen des Hinfällig werdens der Unterscheidung zwischen Tag und Nacht Bezug auf die Genesis, das erste Buch der Bibel, in der die Scheidung von Licht und Finsternis genannt ist, vielleicht mit Hervortreten der Bedeutung der sinnlichen Wahrnehmung und eines beginnenden Lebens in der Sinnlichkeit für den Menschen, im Zusammenhang mit dem heraufkommenden (resp. heraufgekommenen) Kali Yuga. Somit sind Anfang und Ende unseres gegenwärtigen Bezugssystems biblisch ineinander verschlungen, und wir sollten größtmögliche Aufmerksamkeit darauf verwenden, uns zu fragen, wo wir heute in dieser biblisch angekündigten, anstehenden Verschlingung – innerhalb der religio-Phase - geistesgeschichtlich stehen.

Weil wir unsere eigenen Wissenschaften nicht zusammensehen (oder philosophisch „unvermögend“ geworden sind), haben wir es z.B. versäumt, die Fortschritte unserer Wissenschaften in unserer Theologie nachzuvollziehen und in sie zu integrieren. Exemplarisch führe ich hier die Relativitätstheorie und die Psychoanalyse an, die wir zweifellos Spitzenprodukte des menschlichen Reflexionsvermögens nennen können, im Übrigen hervorgebracht von Menschen jüdischer Abstammung, die ihr Wissen auch nicht für sich behalten wollten und behielten, sondern allgemeinmenschlich mitteilten, gleichsam als einen geistigen Schatz, zum Wohl der Gesamtmenschheit.

Und nun können wir uns überlegen, was die Offenbarung sagen will, wenn sie vom „neuen Jerusalem“ aussagt:

„Und ich sah keinen Tempel darin; denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, er und das Lamm. Und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes, dass sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm. Und die Völker werden wandeln in ihrem Licht; und die Könige auf Erden werden ihre Herrlichkeit in sie bringen. Und ihre Tore werden nicht verschlossen am Tage; denn da wird keine Nacht sein. Und man wird die Herrlichkeit und die Ehre der Völker in sie bringen.“ (Offb. 21, 22-26, Herv. v. Verf.)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Offenbarung21, abgerufen am 02.04.2024.

***

Und DESHALB, weil die Wissenschaften bei uns zu lose nebeneinander bestehen oder „aneinander vorbeiwissen“, mit der FATALEN FOLGE, dass z.B. die kopernikanische Wende, die Psychoanalyse und die Relativitätstheorie THEOLOGISCH NICHTREZIPIERT oder unintegriert geblieben sind, d.h. nicht herangezogen und nicht fruchtbar gemacht wurden für unser verbessertes Bibelverstehen…

…DESHALB sind Naturwissenschaften und Common Sense zu der Überzeugung gekommen: DIE BIBEL KANN UNMÖGLICH WAHRHEIT ENTHALTEN!!!

Theologie und Kirche tragen also – durch ihr eigenes intellektuelles Unvermögen - die Verantwortung dafür, dass Glaube und Bibel in der Gegenwart in Verruf geraten und christlicher Geist und Christenheit aus der Höhe der Zeit abgerutscht sind.

Und, mir scheint, es wäre nun ein Gebot der Selbstkritik unserer Theologen (und Kirchen), zuerst sich selbst und dann auch den Anderen zu sagen: „Hoppla, Moment! Möglicherweise liegt die Unstimmigkeit in der Gegenwart (Glaube ≠ Moderne) nicht an der Bibel, sondern nur daran, dass wir die Fortschritte des menschlichen Geistes in der Zeit auf sie nicht zur Anwendung gebracht haben, um sie mit diesen kritisch gewordenen Augen neu zu lesen!?...

…Entschuldigung, liebe Menschen der Gegenwart: Wir – Theologen und Kirchen der Gegenwart – haben einen erheblichen Schuldanteil daran, dass ihr gott- und glaubenslos geworden seid, indem wir es versäumt haben oder indem es uns misslungen ist, unsere Gegenwart ins Wort Gottes hinein zu vermitteln, oder umgekehrt, was dasselbe ist: das Wort Gottes als „enthalten“ in unserer Gegenwart und Geschichte zu erkennen und zu verkündigen

Wir geben unser Verstehen des Wortes Gottes nur vor und haben es in Wahrheit überhaupt nicht. Und da zu unserem Zeitgeist das Durchlaufen haben einer Aufklärung gehört, habt ihr ganz richtig bemerkt, dass unsere dünne Verstehens-Heuchelei das dicke Wirklichkeits-Desaster, in welches wir alle zusammen geschichtlich hineingeraten sind, nicht zu durchdringen vermag. Und ihr tut Recht daran, aus unseren Kirchen auszutreten und uns die Quittung für unsere Verstehens-Heuchelei zu geben.

Allein: Wir wagen es einfach nicht, offen und ehrlich zu bekennen: Wir verstehen das Wort Gottes selbst nicht mehr! Man kann von uns doch nicht verlangen, dass wir unser Nichtverstehenkönnen öffentlich kommunizieren, sondern wir müssen unsere Wort-Gottes-Bemühung als kontinuierliches Verstehen können ausgeben, und der ausschlaggebende Grund ist: Unser Feststehen im Glauben sagt uns, es muss ein Verstehen können in der Bibel vorhanden sein, und dann müssen auch wir, die wir für die Vermittlung des Wortes Gottes da und verantwortlich sind, alle uns noch sichtbare Restvernünftigkeit aus der Bibel herausholen, wenn sie auch noch so dünn sein sollte und nur noch fädenweise, nun, fadenscheinig einen Sinn in unserer gewordenen Wirklichkeit ergibt. Und diesen von uns wahrnehmbarenRestsinn“ müssen wir dann freilich auch als „ihren eigentlichen Sinn“ ausgeben, denn es ist nun einmal unsere Aufgabe, dafür sind wir da, und dafür werden wir auch von euch bez…

…Und weil wir das Wort Gottes selbst nicht mehr verstehen, können wir unserer eigenen Aufgabe nicht mehr nachkommen – das Wort Gottes an euch und in unsere Wirklichkeit hinein als Wahrheit und Höhe der Zeit zu vermitteln. Aber es kann auch niemand von uns verlangen, dass wir das zugeben… NOSTRA CULPA! NOSTRA CULPA! NOSTRA MAXIMA CULPA!!!“

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„Fides quaerens intellectum“ – dieses scholastische Programm ist leider nicht zu Ende gebracht worden. Und so hat es sich ins Gegenteil gewendet: intellectus quaerens fidem. Und bislang kommt dieser intellectus, der eine Aufklärungsphase durchlaufen hat, zu der Überzeugung, dass dieser fides keinen Pfifferling mehr wert ist…

Wir – die Allgemeinheit, die Wissenschaft und der Common Sense - werden der Bibel aber solange ein minderes Wissens- und Geistesniveau unterstellen, als wir – materialistisch – annehmen, ihr Ursprung liege in bloßen Menschenäußerungen. Nehmen wir hingegen - spiritualistisch – an, sie stamme von uns überlegenen Geistwesen (nur so macht ja auch ein „Evangelium an die Menschheit“ überhaupt einen Sinn), dann müssen wir von unserer Bibelkritik über- oder zurückgehen zur Selbstkritik und uns ernsthaft fragen, ob wir an das biblische Wissens- und Geistniveau vielleicht noch gar nicht heranreichen können, halbaufgeklärt und halbgebildet, wie wir heute sind?

Doch werden wir uns diese konstruktive Frage erst dann stellen können, wenn Theologie und Kirche aufhören zu behaupten, ihr derzeitiges Verstehen der Bibel und des Evangeliums sei richtig und wirklichkeitsangemessen

Und so sind wir heute nicht nur in einer Geistessituation „konsternierter Restphilosophie“, sondern auch „verzweifelter Resttheologie“, weil es uns nicht gelingt, Wort und Wirklichkeit angemessen zusammenzudenken, und die Grundlage dürften unbewusst bleibende Fehlschlüsse sein, „geheime Urteile“ unserer eigenen Vernunft, denen wir solange nicht auf die Schliche kommen werden, als wir unser Erkenntnisstreben resp. unsere Wissenschaft einseitig als „Ratio-Unternehmung“ einstufen und praktizieren und „das Andere unserer selbst“ (Wink mit dem Zaunpfahl: na? - unser Unbewusstes!) einfach unter den Tisch fallen lassen, als unerheblich und redundant.

Die Gedanken dieses Unterabschnittes sind Bestandteil meiner Thesensammlung „94 Thesen zum Evangelium“, die in den letzten Jahren meiner (Regensburger) Studienzeit entstanden ist, integriert in den Zweiten Satz meines Buches. Die Zahl 94 ist selbstverständlich symbolisch gemeint (bezogen auf Luthers 95 Thesen, die wir als Reformations-Auslöser verstehen können), denn wir werden nicht mit weiteren Reformationen resp. Kirchenspaltungen vorwärtskommen können, sondern nur durch ein Wieder-aufeinander-Zugehen, wie es in unseren ökumenischen Zeiten ja bereits intendiert ist (wenngleich heute weniger aus "theologischen" Gründen, eher aus Gründen zunehmender Gottlosigkeit, nach der Devise: In der Not muss man halt zusammenstehen...). Ich wünsche uns eine wiedervereinte Christenheit. Ihre Grundlage muss ein wahres Verständnis des Christlichen als solchen sein, welches diese Christenheit aber aus sich selbst heraus erst noch zu suchen und zu finden haben wird, solange, bis verstanden ist, dass „Christenheit“ und „Menschheit“ und „Geistigkeit“ Synonyme sind; aber nicht, weil das Menschheitliche durch das Christliche überlagert oder überfrachtet werden soll, sondern weil das Menschheitliche noch gar nicht existiert und das Christliche dorthin führen kann und will, zu einer Menschheitlichkeit und zugleich Menschlichkeit im Sozialverhalten. Dies ist der eigentliche Sinn des Missionsbefehls am Ende des Matthäusevangeliums: „Helft den Menschen, (wieder) Menschen zu werden“ (vgl. Mt. 28,16ff).

Vgl. Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Matth%C3%A4us28, abgerufen am 02.04.2024.

Und daran, dass ich diesen Begriffs-Erläuterungs-Absatz hier einfüge, sehe ich, dass das Bestreben, mein Buch in diesen einen Text zu komprimieren, nur unzureichend gelingen kann.

Dies ist aber weiter nicht schlimm, denn Lesen ist ja kein Selbstzweck, und der Sinn einer Buchlektüre liegt nicht unbedingt im Zu-Ende-Lesen eines Buches (resp. Zu-Ende-Schreiben), sondern für Bücher, speziell für Bücher des Geistes, die Erkenntnisinteressen verfolgen (im Gegensatz zu Büchern der Seele, die ein Spannungsinteresse haben), gilt: Ein gutes Buch führt aus dem Lesen heraus, indem es ins Eigendenken hineinführt. - Dies wiederum ist ein Gedanke aus einem anderen Text (Essay „Anforderungen an Bücher des Geistes oder wie Wissenschaftler lesen und schreiben sollten“), der für den Vierten oder Umkehr-Satz meines Buches vorgesehen ist.

Der Schreiber des Johannesevangeliums schließt seinen Text folgendermaßen ab:

„Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem andern aufgeschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.“ (Joh. 21,25)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes21, abgerufen am 02.04.2024.

Nun ja. Er bringt damit zum Ausdruck, dass das „Thema Jesus bzw. Christus“ unerschöpflich ist. In Ordnung. Aber sein Büchervergleich scheint mir nicht besonders gut gewählt zu sein, aus dem eben genannten Grund, dass es beim Lesen auf Vollständigkeit der Lektüre (resp. beim Schreiben auf Vollständigkeit des Geschriebenen) gar nicht ankomme, sondern darauf, dass man beim Lesen den Absprung ins Eigendenken schaffe, und der Autor sagt ja an anderer Stelle selbst:

„Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist.“ (Joh. 3,5-8)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes3, abgerufen am 02.04.2024.

Das, was die Bibel enthält, reicht (wenn man das Wirken des Geistes in der Zeit mitberücksichtigt), um aus dem Geist geboren werden zu können. Also ist der obige Abschluss des Johannesevangeliums prinzipiell überflüssig bzw. weist uns sogar in eine falsche Richtung. Aber im Grunde weiß er es selbst, vielleicht formuliert er deshalb im Konjunktiv?

Und nun könnten wir neu darüber nachdenken, was das denn heißen soll: Zum Ende kommen?

b2) Noch ein neuer Blick in die Bibel: Biblisches Hinaufhören und In-Sein führt in die Geistwelt

Grundsätzlich möchte ich bzgl. meines Denkens hervorheben, dass die Besonderheit meiner „Lebenserlebnisse“ oder „Kindheitserfahrungen“ nur spezielle Rahmenbedingungen meines Denkens festlegte, von welchen jedoch dieses Denken selbst als ein Anderes und Eigenständiges zu unterscheiden ist. Es ist, wie Lessing sagt: Die menschliche Vernunft könnte wohl, prinzipiell, aber sie kann (faktisch) nur dann, wenn sie entsprechende Hilfestellung und Unterstützung erhält. Die oben genannten Richtungsstöße sind also als Hilfen zu verstehen, damit mein Denken sich selbst entwickeln konnte.

Man sollte auch bei der Lektüre dieses Textganzen deutlich sehen können, dass die menschliche Vernunft klar in den Mittelpunkt gestellt ist. Da ist kein Hilfesuchen oder Zuflucht nehmen bei irgendwelchen anderen Instanzen. Da ist nur dieses gleichsam auf sich selbst gestellte, auf die eigene Vernunftkraft angewiesene menschliche Denken selbst, welches allerdings seine eigenen Ausläufer ins Unbewusste hinein mit zu berücksichtigen oder in sich einzuholen gewillt ist (was die Einzelwissenschaften vergessen, während die Tiefenpsychologie nur die Ausläufer betrachtet, was auch wiederum falsch ist). Die Entwicklung und Darstellung der so verstandenen menschlichen Vernunft (in ihrem ganzheitlichen Existieren) war mir wichtig.

Deshalb sollte auch dasjenige, was jetzt in diesem Kapitel noch sozusagen der Vollständigkeit halber angefügt wird, zunächst außen vor gelassen werden, weil es wie ein inakzeptabler außerirdischer Einschlag in das menschliche Denken erscheint, was sich mit der (aufklärerischen) Prinzipien-Behauptung des Alleine-gelassen-seins der menschlichen Vernunft nicht verträgt, ebenso wenig mit unserer gegenwärtigen Existenzerfahrung des „Ausgespuckt seins“, diese also sprengt bzw. sie „als falsch erweist“. Folglich war es ratsam, die außerirdischen Ursachen zunächst einmal unbenannt zu lassen und lediglich die irdischen Wirkungen vorzuführen – so habe ich es in diesem Text gemacht. Denn dann kann sich diese „auf sich selbst gestellte menschliche Vernunft“ meiner Leserschaft ja von sich aus fragen: „Wie ist ein solches Denken überhaupt möglich geworden?“

Und damit ich mich – umgekehrt - nicht mit falschen Lorbeeren schmücke, gebe ich nun also doch auch diese „höhere Auflösung“ bzw. „Erklärung“, als Möglichkeitsbedingung meines Denkens, die man nun für plausibel halten kann oder auch nicht.

Hinzu kommt: Sobald Gott bzw. die Geistwelt als eine Wirk-Instanz oder als ein Realitätsfaktor in irgendeiner Weise ins Spiel gebracht sind (wie z.B. in einer „Entrückung“ oder biblischen „Berufung“), wird der betreffende Mensch unweigerlich mit einer gewissen „Autorität“ assoziiert (innerhalb religiöser Kreise). Diese Autorität wird ihm „zugeschrieben“ und sein Wort wird womöglich gleichgültig, wird nicht mehr als reines Menschenwort genommen, sondern u.U. mit einem „höheren Nimbus“ belegt (indem er als bloßer Wort-Träger erscheint), dessen Quellen jenseits der menschlichen Vernunft (und jenseits des menschlichen Lebens) zu suchen seien, sei es in Phantasie, Aberglauben oder einem ersehnten Über-Ich, die aber alle „in Wahrheit“ (nämlich in der religiösen Sichtung) ganz anders heißen: Gott, Wunder, Heilige, das Numinose…

Doch genau dies wollte ich unter allen Umständen vermeiden, weil dadurch das menschliche Denken von sich selbst abgelenkt und auf ein Anderes verwiesen wird, als bräuchte das Denken dieses Andere zur Stützung seiner selbst. Dies ist m.E. aber nicht der Fall. Denn der Mensch ist ein Geistwesen, kann also den Geist in sich aufleben lassen, und der Geist ist sich selbst Stütze und bedarf nicht eines Anderen, um gestützt zu werden. - Wo dem Menschen diese Selbsterfahrung seiner grundsätzlichen Eigenständigkeit im Geistsein noch fehlt (von mir selbst bereits im Schlüsselerlebnis erfahren), hat er zuerst noch sein eigenes Über- und Unter-Ich in ihrem Vorhandensein zu erkennen, gleichsam als selbst angelegte Scheuklappen der Nichtwahrnehmung der Realität, und sie soweit zu neutralisieren, bis sein (wahres oder höheres) Ich selbst so zum Vorschein kommt, wie es ist, nämlich ein eigenständiges Geistwesen, welches sich später dann, bei längerer, näherer, intensiverer Betrachtung und Bearbeitung dieses eigenen Geistseins, auch als eingebettet in eine Geistwelt erweist.

Gelingt es dem Menschen nun, sich selbst als ein Geistwesen ins Auge zu fassen, - es wird zunehmend schwerer, je weiter wir in die Gott-losigkeit oder ins Lose-Sein hineinschlittern -, werden ihm sog. „Existenzialien“ erkennbar, die jedes (auch außerirdische, engelhafte) Individuum auszeichnen, das sich innerhalb der einen Geistwelt stehend weiß. Den Terminus „Existenzialien“ leihe ich mir wieder von Heidegger aus, der sich damit von der aristotelischen Kategorienlehre und der daraus hervorgegangenen erkenntnistheoretischen Ding-Erfassung der Philosophie abgrenzt (vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 1927). Allerdings ist meine Verwendung nicht auf den Menschen beschränkt, sondern jetzt allgemein bezogen auf Geistwesen jedweder Art.

Und diese Existenzialien des Geistes sind uns in der Bibel genannt, näher im Johannesevangelium, z.B.:

„Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht aus mir selbst. Der Vater aber, der in mir bleibt, der tut seine Werke.“ (Joh. 14,10 – Herv. v. Verf.)

Übersetzungen siehe: Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes14, abgerufen am 03.04.2024.

„Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen..“ (Joh. 16,13 – Herv. v. Verf.)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes16, abgerufen am 03.04.2024. - Anmerkung: Die Lutherbibel lasse ich hier, weil es auf andere Versteile ankommt, nicht auf das In-die-Wahrheit-Führen, wie oben.

„...dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, auf dass sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, auf dass sie vollkommen eins seien“ (Joh. 17,21ff – Herv. v. Verf.)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes17, abgerufen am 03.04.2024.

Es sind die Verhaltensweisen des „Hinaufhörens“ und des „In-Seins“, und durch sie sind Geistwesen allgemein als „in sich offen“ charakterisiert. Und jetzt erst ergibt der (behauptete) Terminus des Überbewussten seinen Sinn.

Im Hinaufhören öffne ich mich einem mir überlegenen Geistwesen, also einem solchen mit höherem „Bildungs“-Stand, was wir im Irdischen als ideales Schüler-Lehrer-Verhältnis bezeichnen können. Diesem Hinaufhören korrespondiert dann in der anderen Richtung ein „Hinuntersprechen“, so dass das eigene Schülersein zum eigenen Lehrersein wird, je nachdem, welchen Bildungs-Stand dasjenige Geistwesen hat, mit welchem man gerade kommuniziert. Das Geistindividuum hat an beidem Anteil, weil es in beide Richtungen kommuniziert bzw. im Sein steht.

Als Anschauungsbeispiel dieses Geist-Seins können wir nochmals auf Sokrates hinblicken. Er suchte die verlorene Weisheit in seinen Mitmenschen, hatte sich also vorgenommen, bei seinen Mitmenschen sozusagen in die Lehre zu gehen oder sich zu ihrem Schüler zu machen. Im Gespräch stellte sich dann heraus, dass seine Gesprächspartner gar nicht mehr wissen als er, sondern noch weniger. Und dies konnte er im Gespräch auch darlegen und nachweisen. Und so wurde er, der Schüler sein wollte, ungewollt zum Lehrer derjenigen, von denen er zu lernen gehofft hatte. Man sieht also: Schülersein und Lehrersein gehören zusammen. Zwar wird man gewiss erst einmal eine Schulzeit oder Schulungszeit des Denkens durchlaufen haben müssen, aber dann kann man auch zum Lehrersein übergehen, jedoch: Man muss trotzdem das Schülersein dauerhaft beibehalten, wenn man nicht mit seinem Wissen bzw. Wissensstand auf der Stelle treten will. Und dieses Doppelverhalten im Erkennen spricht uns auch die Bibel aus, gültig auch für reine Geistwesen. – Ich komme nochmals darauf zurück.

Das In-Sein besagt ein Sich-gegründet-haben in der Geistigkeit eines Anderen, und dies scheint den ganz natürlichen (geistweltinternen) Verhältnissen des „Geistes in sich“ zu entsprechen. Es ist ein Anteil-genommen- oder -bekommen-haben am (höheren) Geist des Anderen. D.h. das noch tiefer stehende Geistwesen hat sich im höherstehenden Geistwesen „verwurzelt“, so dass man sagen könnte: Das Bodenfinden geht in der Geistwelt in die umgekehrte Richtung gegenüber derjenigen in der physisch-irdischen Welt. Der eigentliche Boden ist dann oben, nicht mehr unten, und er trägt sich selbst bzw. das tieferstehende Selbst ist im höherstehenden Selbst getragen. Der physische Boden ist ja nur dadurch Boden, dass die Schwerkraft am Nach-unten-Wirken durch einen physischen Widerstand gehindert, aufgehalten wird, und gehen wir ein Stückchen in den Kosmos hinaus, dann ist solches „Bodensein“ ohnehin hinfällig und irreal geworden, während ein Zueinander-in-Beziehung-Stehen unter den Himmelskörpern an Realität zunimmt (Gravitation). Und dieses Zueinander-in-Beziehung-Stehen als Doppelverhalten im Erkennen ist das Existenzverhältnis eines Geistwesens.

Und wieder will ich unsere Sprache kritisieren, weil „Geist haben“ in die Irre führt, richtiger und besser muss es heißen: „im Geist sein“, und diesen Sinn können wir noch klarer fassen: „in sich selbst sein“. So wird deutlich, wie das eine Ich im anderen steht, sich nach ihm ausrichtet, und die oberste Instanz, die allgemein „Gott“ genannt wird, nennt Jesus „Vater“.

Und wir wollen sogleich die Frage aufwerfen, ob damit nicht ein Abhängigkeits- bzw. Unfreiheitsverhältnis geschaffen sei (vgl. Luthers Reittiervergleich)? Sehen wir auf unseren Schulbetrieb, so können wir sagen: möglicherweise ja, aber nur dadurch, dass hier in der Regel Kinder in einem Kommunikationsverhältnis zu Erwachsenen stehen und es mit zur gesunden Entwicklung des jungen Menschen gehört, sich an Vorbildern zu orientieren. So kann der Lehrer zu einer „Autorität“ für Schüler werden, ohne dass er dies selbst beabsichtigte. Nehmen wir deshalb als geeignetes Muster besser einen selbst denkenden Menschen, einen Doktor oder Professor, der sich in das geistige Werk eines Anderen, eines Kollegen vertieft, es rezipiert und teilweise auch adaptiert: Er bleibt in seinem Geiste eigenständig, und nimmt doch teil am Geist des Anderen, der auch in seiner Eigenständigkeit bestehen bleibt. Und deshalb kann hier von einem Schüler-Verhältnis im wahren Sinn gesprochen werden, nehmen wir musterhaft die klassische Reihung: Sokrates – Platon – Aristoteles (der wir als Besonderheit noch Alexander den Großen hinzufügen könnten, um einen fließenden Übergang vom Denken zum Handeln, von der Wissenschaft zur Politik zu bekommen). Ein Abhängigkeitsverhältnis besteht hier nicht, wird bestenfalls von Kritikern und Andersdenkenden untergeschoben, fälschlicherweise unterstellt.

Wo sich ein eigenständiges Ich in dieser Weise einem anderen Geistwesen zuwendet, entwickelt es „Überbewusstsein“, also ein Bewusstsein, das um ein Höherwertiges weiß und sich diesem möglichst öffnet. Am besten kehren wir zum biblischen Kontext zurück, dann können wir als Manifestation des Überbewussten das „Hinaufhören“ ansehen. Die Geistwesen scheinen in Hierarchien zueinander zu stehen, soll heißen in Entwicklungs-Stufungen, und man müsste ein Geistwesen „dumm“ nennen, das kein solches Überbewusstsein haben wollte, also keine Ausrichtung seiner selbst auf die nächst höhere Geistesstufe oder Stufe seiner selbst.

Solche „Dummheit“ ist aber wohl nur dort möglich, wo keine direkte Geistanschaulichkeit besteht (wie sie innerhalb der Geistwelt selbst ganz natürlicherweise Bestand hat), also dort, wo der eigene Geist überschattet ist durch eine andere Art von Lichtquelle. Ich meine hier den Menschen, der zugleich ein geistiges und ein sinnliches Wesen ist: Das sinnliche Licht hat eine solche Übermächtigkeit, dass wir unser geistiges Licht (das wir selbst sind!) kaum wahrzunehmen vermögen. - So könnten wir nun darüber streiten, ob unsere sinnliche Konstitution als sinnliche Lebewesen einen „Fehler des Tageslichtes“ verursacht, denn die grundsätzliche Dunkelheit des Kosmos sehen wir nur bei Nacht, während uns am Tage gleichsam etwas anderes vorgegaukelt wird, durch die Übermächtigkeit und Nähe der Sonne bzw. durch die Lichtreflexion der Atmosphäre.

Und nehmen wir nun den biblischen Ratschlag des „Glaubens“ an die Botschaft, den wir uns bereits als „uns vorweg genommenes Wissen“ plausibel gemacht haben, so sind uns darin die natürlichen Existenz-Verhältnisse eines Geistwesens sozusagen vorgezeichnet worden, nur dass wir sie zunächst noch nicht „intus“ haben, was erst dann geschieht, wenn sich der Mensch auch selbst als ein Geistwesen sieht und sich entsprechend einübt und verhält. Das Evangelium ist zu uns ins Irdische heruntergesprochen worden, und indem wir es in uns aufnehmen, erlernen wir das Hinaufhören. Es ist eine Entwicklung des Menschen, die hier beabsichtigt ist: Er soll zum Geistwesen werden, den Geist also als Mittelpunkt und Zentrum seiner selbst erkennen und dann sein Leben entsprechend ausrichten.

Dieses „Über-Bewusstsein“ können wir nun vom „Über-Ich“ dadurch abgrenzen, dass darin keine starren Identitäten gegeneinandergesetzt sind, die das Ich daran hindern, sich selbst in den Seins-Fluss mit hineinzubegeben. Die Entwicklung des Menschen zum Geistwesen führt zu einer Ersetzung des „künstlichen“ und starren Über-Ich durch ein „(geist-)natürliches“ Über-Bewusstsein. Ich möchte dies das kosmische Geist-Prinzip nennen: Das „Selbst“ ist etwas Fließendes, das sich in seine eigene Entwicklung einlassen kann und soll, was der (noch ungeistige) Mensch von sich aus nicht will und gewissermaßen gerade in und durch seine Religiosität, die Ich und Gott entschieden gegeneinander definiert und festhält, verweigert: „Ich bin klein und will klein bleiben, Gott ist groß und soll groß bleiben. Ich will kosmisch nicht stehen und gehen, sondern ich will gehalten werden und unselbstständig bleiben. Ich will kosmisch Kind bleiben. - Und als irdische Geistesautorität dafür, dass dies richtig und berechtigt ist, kann ich sogar unseren großen Einstein anführen.“

Und damit bekommt der Sprachausdruck einer „sich selbst überlassenen menschlichen Vernunft“ eine neue Wendung. Zunächst wird der Ausdruck zwangsläufig missverstanden, als wäre die Vernunft vom Kosmos und von allem isoliert. Seine wahre Bedeutung erhält der Ausdruck erst, wenn erkannt ist, dass dieses „selbst“ oder „Selbst“ gar nichts Fixes, Festes, Fertiges ist, dass vielmehr in der menschlichen Vernunft das kosmische Münchhausen-Prinzip des Geistes zum Tragen kommen kann, indem auch der Mensch als Geistwesen die Existenzialien des Hinaufhörens und In-Seins in sich zur Entfaltung bringt, die die himmlischen Hierarchien natürlicherweise durchziehen, als allen gemeinsames göttliches Handlungsprinzip des kosmischen Im-Fluss-Seins aller Selbste.

Und aus dieser Haltung heraus kann jeder Mensch dann diejenigen Erkenntnisse heruntermitgeteilt bekommen, für die er „sich selbst“ innerlich „reif gemacht“ hat, die er also individuell tragen und dadurch auch gesellschaftlich mittragen kann. Und so findet der menschliche Geist eine Stütze in sich selbst, die nicht von ihm als „diesem Individuum hier“ stammt, sondern aus dem „allgemeinen Geist-Prinzip“, das alle Geistwesen wesenhaft und existenziell miteinander verbindet und zusammenhält. - Habe ich Anteil am Geist, so habe ich Anteil an der Geist-Struktur, und diese ist die Seins-Struktur. Je tiefer der Mensch in den Geist hineinzugehen vermag, desto festeren „Boden“ gewinnt er „in sich“. Materialistisch gesehen spinnt er sich hierbei immer tiefer in den Irrtum hinein, spiritualistisch gesehen verlässt er hierbei immer weiter die „Höhle des Irdischen und Sinnlichen“ und gelangt zur eigentlichen „kosmischen Wirklichkeit“ hinaus, die von der „irdischen Wirklichkeit“ aus betrachtet wie nicht vorhanden erscheint.

Der entscheidende Punkt eines sich recht auf sich selbst stellenden Denkens ist: Wenn es sich selbst „ausreizt“, d.h. soweit geht, wie es in seiner Reflexion nur immer kommen kann, dann erreicht es eine „Schwelle“, an welcher erkennbar wird, dass „es“ gar nicht „alleine ist“. Schon die reine Ratio kann diese Grenze erreichen, nämlich in der „Idee des Seins“. Wird diese Idee nun verworfen (zugunsten der Werdewelt als der offensichtlichen „eigentlichen Wirklichkeit“), so ist es aus menschlicher Sicht „nichts mit der Geistwelt“. Wird sie aber angenommen, als ideeller Ausblick in eine „höhere Wirklichkeit“, deren Realität bereits in der Annahme und Explikation des Lebenswillens sozusagen implizit verbürgt ist, so ergibt sich stringent daraus die Absicht und Notwendigkeit, die Geistwelt zu betreten, was für „den materialistisch imprägnierten Menschen“ zunächst einmal unglaublich ist, für ein „prinzipielles Geistwesen“ aber grundsätzlich schlicht „natürlich und möglich“ sein muss, kein Zauberwerk und keine Spintisiererei.

So tut sich bereits in der (Ratio-)Idee des Seins eine kulturelle Weggabelung auf:

a) Ablehnung der Idee als irreal -> Weg in den Materialismus

b) Annahme der Idee als real -> Weg in den Spiritualismus

Diese Alternative können wir noch weiter zurückführen:

a) Nichtgelingen des Menschen in seiner Vernunft, sich selbst als Geistwesen zu verstehen

b) Gelingen des Menschen in seiner Vernunft, sich selbst als Geistwesen zu verstehen

Diese Schwelle kann aber auch noch anders erlebt werden, nicht nur gedanklich-theoretisch, sondern auch handlungspraktisch: Die Intensivierung des Denkens scheint in einen geistigen Verdichtungsprozess hineinzuführen, was man sich folgendermaßen vorstellen kann: Die denkend gemachte Ausdifferenzierung von Begrifflichkeiten ist bereits ein Sich bewegen im Geiste (gültig für alle Wissenschaften, egal welcher Gegenständlichkeit und Begrifflichkeit), und dieses weckt durch die dauerhafte Denk-Übung ein Empfinden dafür, dass man sich quasi an geistigen Dingen (Sachverhalten) „stoßen“ kann. Man erlernt dieses geistige Sich-stoßen-Können, nimmt also „Widerstand“ und „Gegenstand“ wahr, wo rein physisch „nichts“ ist, bloße Gedanken, bloße „Nichtse“.

Dies geschieht im Grunde schon im normalen Nachdenken und Kommunizieren, fällt aber erst in der Interaktion auf, besonders deutlich in Diskussion und Disputation, was man sich einfach einmal als bloßes Bild rein sinnlich-physisch vergegenwärtige: Menschen sitzen beieinander oder sich gegenüber. Ein Gespräch entwickelt sich. Emotionen kommen hervor. Und irgendwann sitzen die Menschen nicht mehr ruhig da, sondern sind heftig geworden und wettern aufeinander los, obwohl sich rein äußerlich gesehen nichts geändert hat an ihrem Beieinander- oder Sich-gegenüber-Sitzen. Denn die Realität ihrer Veränderung bzw. ihres Handelns besteht in geistigen Gegenständen, mit welchen sie sich befassen und die man – als bloßer sinnlicher Zuschauer - einfach nicht sehen kann.

Die geistige Betätigung fördert das genauere und feinere Hinhören, und die Aufmerksamkeit auf Einzelheiten oder Kleinigkeiten, die zuerst übersehen blieben, nimmt zu. Das Konzentrationsvermögen steigert sich dadurch in sich selbst – und jetzt irgendwann kommt das Gefühl, das eigene Denken als einen Muskel ansehen zu können, der trainiert werden kann und auch trainiert wird. Und dann kann man den menschlichen Geist als „subsistierend“ erahnen, und es wird zu einem fließenden Übergang kommen vom „wissenschaftenden Denken“ über ein „Leben im Geiste“ zum „Geisterleben“. – Ich spreche hier aber nicht aus großer Erfahrung, eher aus kleiner, anfänglicher, und wem diese Ausführungen nichts sagen, der lege sie getrost ad acta: Sie müssen nicht sein, um zum Geist kommen zu können. Und vielleicht ist mein Stammeln über Dinge, die ich selbst noch nicht recht verstehen kann, einfach viel zu schlecht, um zwischenmenschlich verstanden werden zu können…

Dieser geistige Verdichtungsprozess (der ohne Übung und Training niemals zustande kommt) scheint mir nun ein regulärer physikalischer Prozess zu sein, denn die Physik entwickeln wir zwar gewohnheitsmäßig materialistisch, sie könnte aber auch spiritualistisch zu entwickeln sein. Und dann könnten wir auch von einem evolutiven Geistprozess im Menschen sprechen, der geistesgeschichtlich, in Philosophie und Wissenschaften in Gang gekommen ist und der den Menschen in der Zukunft in eine neue Daseinssituation hineinführen wird, in eine Geistwirklichkeit, die durch Verdichtung der menschlichen Geisteskraft „in sich hervortritt“. Soll heißen: Die Geistwirklichkeit ist prinzipiell schon da, denn der Mensch besteht nun einmal aus den Bestandteilen (Leibern), aus denen er eben besteht. Aber die Aktivierung und Wahrnehmung dieser Geistwirklichkeit fehlt noch, so wie wir unser eigenes Denken viel zu wenig und zu beiläufig wahrnehmen. Die Geistwirklichkeit als solche entgeht uns noch, weil unser Aufmerken noch zu flüchtig ist, und so sind die „bereits bezugsfertigen Wohnungen des Geistes“ von uns „faktisch noch nicht bezogen“, weil wir das feinere, im Geistigen auftretende Fußfassen, das wir haben sollen und können, noch nicht entwickelt haben.

Angemerkt sei noch, dass der Terminus „Hinaufhören“ von unserer derzeitigen Schwerkraft-Situation her gebildet ist. Kosmisch gesehen müsste man „Hinüberhören“ oder „Hineinhören“ formulieren. Derzeitig sagen wir aber besser noch „Hinaufhören“, denn wir unterliegen noch der Schwerkraft (und haben auch noch physische Schwere). Die Schwerkraftverhältnisse müssen früher nicht so gewesen sein wie heute, und sie können sich auch in fernerer Zukunft wieder ändern. Nehmen wir die Schwerkraft-Verhältnisse des Mondes als Anschauungsbeispiel eines möglichen Überganges.

16. Zum Wissenschaftskriterium der Nachprüfbarkeit

Diesen Abschnitt will ich zunächst mit einer unwissenschaftlichen, subjektiven Frage beginnen: Sollte es möglich sein, dass unser objektives Wissenschaftskriterium der Nachprüfbarkeit daraus resultiert, dass bei uns hier und heute kein zwischenmenschliches Vertrauen mehr besteht? Wie steht es um die „psychische Befindlichkeit“ unserer „sachlichen Wissenschaft“? Ist diese „Wissenschaft“ denn grundsätzlich geprägt von „Misstrauen“, näher: von gegenseitigem Misstrauen, bei welchem jeder Wissenschaftler jedem anderen Wissenschaftler misstraut (und den Anderen – im Gegensatz zu sich selbst – für potenziell wissenschaftsuntauglich hält)? - Oder wollen wir besser behaupten, unsere Wissenschaft habe keinerlei psychische Befindlichkeit, sondern sei einfach nur sachlich-objektiv, nicht hingegen menschlich-subjektiv? „...und im Übrigen soll doch die (unser Wissenschaftsspiel verderbende) Psychologie zum T… gehen und ihre Unsachlichkeiten für sich behalten und uns in unserer puren Sachlichkeit einfach nur in Ruhe lassen...“…? – Also gut: Setzen wir diesen Absatz als „nicht gesagt“, und setzen wir: Die Souveränität und Objektivität unserer Wissenschaft ist gegeben, wurde nicht angezweifelt.

Nun ergibt sich – aus meiner Sicht - ein gewisses schwerwiegendes Problem: Wenn von irgendjemandem leibliche Erfahrungen behauptet werden, die der Zeiterfahrung und Erfahrungsübereinstimmung des Common Sense widersprechen, so legt sich sofort die Vermutung nahe, dieser Einzelne irre und erkläre irgendwelche subjektiven Eindrücke fälschlich zu objektiven Wahrheiten, insbesondere dann, wenn sie sich der allgemeinen Nachprüfbarkeit zu entziehen scheinen.

Hierzu möchte ich Folgendes anmerken: Die Wissenschaft möge ernsthaft darüber nachdenken, ob und welche Voraussetzungen ihrem „Kriterium der Nachprüfbarkeit“ zugrunde liegen. Mir scheint nämlich, die Wissenschaftsgemeinschaft setze hierbei zum einen bereits ihre eigene Erfahrungs-Souveränität bzw. -konstanz voraus, als besitze sie selbst schon alle Erfahrung und könne daher die Überprüfung sämtlicher (eigener und anderweitiger) Erfahrungs-Behauptungen objektiv übernehmen, wie ein Lehrer, der ein Schülerwissen überblicken, abschätzen und eindeutig einordnen kann. – Wie aber soll man eine Erfahrung überprüfen können, die man selbst noch gar nicht gemacht hat? Ich könnte auch sagen: Wie soll man ein Geistniveau überprüfen, das man selbst noch gar nicht erreicht hat?

Zum Zweiten wird auch – vielleicht stillschweigend – vorausgesetzt, die menschliche Erfahrung müsse dem Prinzip der Gleichzeitigkeit unterliegen, so dass es nicht sein könne, dass Einzelne Erfahrungen machen und haben können, die den Anderen oder auch der Mehrheit oder selbst der Wissenschaftsgemeinschaft noch vorenthalten sind. Diesem Prinzip steht das Prinzip der Gleichheit zur Seite, soll heißen: Die Wissenschaftsgemeinschaft versteht sich von Grund auf kollegial, d.h. niemand hat dem Andern etwas voraus, alle sind nicht nur prinzipiell, sondern auch faktisch gleichgestellt bzw. auf gleichem Erkenntnisniveau. – Diese Setzung oder Annahme widerspricht aber dem sog. Doppelverhalten im Erkennen, wonach ein jeder Mensch zugleich Lehrer und Schüler ist. Und der Lehrer ist dadurch Lehrer, dass er schon mehr verstanden hat als der Schüler. Es gibt aber kein festes Niveau „Schülersein“ und auch kein festes Niveau „Lehrersein“, sondern beide sind und bleiben fließend. Und wenn nun innerhalb der (idealen) Wissenschaftsgemeinschaft alle dasselbe Niveau einnähmen, so gäbe es überhaupt keinen Fortschritt. Das demokratisch positiv zu verstehende Prinzip der Gleichheit (und geistigen Gleichzeitigkeit) würde faktisch zum wissenschaftlich negativ zu verstehenden Prinzip des Fortschrittslos-Bleibens. Muss also nicht die Wissenschaft – um ihrer selbst willen – ein Prinzip der geistigen Ungleichzeitigkeit (und Ungleichheit) annehmen, wenn sie in sich überhaupt jemals vorankommen können will? Würden nämlich alle Wissenschaftler bereits „Einsteins“ gewesen sein, dann hätte Einstein selbst nichts veröffentlichen müssen oder können, denn die Wissenschaftsgemeinschaft hätte ihm geantwortet: „Warum teilst du uns mit, was wir schon wissen?“

Lessing denkt in derselben (Ungleichheits-)Richtung, wenn er formuliert:

„Du hast auf deinem ewigen Wege so viel mitzunehmen! so viel Seitenschritte zu thun! – Und wie? wenn es nun gar so gut als ausgemacht wäre, daß das große langsame Rad, welches das Geschlecht seiner Vollkommenheit näher bringt, nur durch kleinere schnellere Räder in Bewegung gesetzt würde, deren jedes sein Einzelnes eben dahin liefert?

Nicht anders! Eben die Bahn, auf welcher das Geschlecht zu seiner Vollkommenheit gelangt, muß jeder einzelne Mensch (der früher, der später) erst durchlaufen haben. – »In einem und eben demselben Leben durchlaufen haben? Kann er in eben demselben Leben ein sinnlicher Jude und ein geistiger Christ gewesen seyn? Kann er in eben demselben Leben beyde überhohlet haben?“ (EdM § 92f.)

Externer Link zum Text: G.E. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, §92f, Projekt Gutenberg-DE - https://www.projekt-gutenberg.org/lessing/erziehng/erziehn2.html, abgerufen am 22.03.2024

Und zum Dritten frage ich mich: Steht denn „die Wissenschaft“ auf dem Standpunkt, sie selbst befinde sich auf der „Höhe der Zeit“, so dass es nichts und niemanden geben kann, der „über sie hinaus“ sein könnte? Dies trifft genau dann zu, wenn sich „unsere Besten“ oder sagen wir: alle, die etwas an Erkenntnis und Wissen beizusteuern haben, sich in diese unsere Wissenschaft versammelt haben. – Sollen wir dies annehmen von dieser "unserer" Wissenschaft: „Alle, die Erkenntnis gefunden haben, gehören zur Wissenschaft“? Setzt es nicht wiederum voraus, die Wissenschaft sei „das Beste, was wir haben“ – werde also allgemeinverbindlich so gesehen? - Sollen wir das auch allgemeinverbindlich annehmen: „Die Wissenschaft ist das Beste an Geist, was wir haben“?

Wer setzt denn das fest - die Wissenschaftsgemeinschaft selbst? Dann müsste man doch strenggenommen sagen: „Wenn unsere Besten in die Wissenschaft versammelt sind, dann ist sie auch das Beste, was wir haben.“ Zugleich gilt dann aber auch die Umkehrung: „Wenn nicht, dann nicht.“ Und dann wiederum könnte oder müsste man fragen: Warum denn sollte irgendein „Guter“ oder einer, der etwas an Erkenntnis und Wissen menschheitlich beizutragen hat, nicht dazugehören wollen? Welche Kriterien könnte er haben? Welche Vorbehalte gegenüber „unserem Besten“ und gegenüber „unseren Besten“…? Stillschweigend ist also schon das Selbstverständnis vorausgesetzt: „Es kann uns - der Wissenschaftsgemeinschaft gegenüber - keine geistigen Vorbehalte geben, die dazu führten, dass menschliche Geister sich von uns fernhielten und brauchbares menschliches Erkennen jenseits von uns und ohne unsere Kenntnisnahme realisierten und umsetzten.“

Die Frage, die ich hiermit aufwerfen möchte, betrifft die von mir nach wie vor verfolgte Möglichkeit eines Spiritualismus, der grundsätzlich einmal so zu verstehen ist, dass der Geist das Erste und Grundlegende ist, aus welcher sich dann eine entsprechende Verfassung des Seins oder Seinsstruktur ergibt, wonach die Geistwesen aufeinander hingeordnet sind bzw. ineinander bestehen, entsprechend den oben genannten Kategorien des Hinaufhörens und In-Seins. Und der Mensch muss dann als ein Sonderfall verstanden werden, weil sich für ihn – als leibliches Sinneswesen – sein Geistsein nicht von selbst versteht bzw. von ihm sogar geleugnet werden kann, was für alle anderen Geistwesen, die sich innerhalb der Geistwelt stehend und existierend wissen, eo ipso unmöglich ist.

Der Mensch bildet ja möglicheweise eine Übergangsstufe zum Geistsein, die gelingen kann, aber auch misslingen kann, und jeder Mensch muss sie sich selbst individuell erwerben. - Im Hintergrund dieser Auffassung steht freilich der christliche Glaube, inkl. der Überzeugung, Erkennen sei als "Sachangelegenheit" a priori falsch definiert, nämlich aus dem Atheismus und Materialismus heraus, der mehr ein geistesgeschichtliches Zufallsprodukt ist, welchem auch unsere Wissenschaftler "unterliegen" und weniger eine wissenschaftliche Prinzipiensetzung. Und im christlichen Glauben ist dieser Atheismus und Materialismus dialektisch erkannt und anerkannt als Defizitsituation des menschlichen Geistes.

Auf diese Weise ergeben sich vielfältige Unterschiede oder Grade im Fortgeschritten sein in Richtung Individualisierung des Geistes resp. Geistseins. Und es mag dann verschiedene allgemeine Geistniveaus geben, die beispielsweise einer bestimmten Zeit zuzuordnen sind, oder auch einer Lebensalterstufe (z.B. „allgemeine Hochschulreife“), aber es gibt nicht ein „oberstes Endniveau des Geistes“, weil dieser selbst im Fluss ist und bleibt, so dass man bestenfalls vom Durchlaufen der „Menschheitsstufe im Geistsein“ sprechen könnte (und eine entsprechende Terminologie findet sich tatsächlich auch in der Anthroposophie).

Und weil der Geist nur individuell errungen werden kann, werden auch die Fortschritte individuell - und somit ungleichzeitig - errungen, und innerhalb spiritualistischer Weltanschauungen gibt es auch einen Konsens darüber, dass es im Verlauf des geistigen Fortschreitens zu höheren Leiblichkeitserfahrungen kommt, die über sog. Energiezentren (Chakren) organisiert sind und dann auch wahrgenommen werden usw.

Und das Wissenschafts-Kriterium der Nachprüfbarkeit hätte sogar hier weiterhin seine Gültigkeit, nur dass es nicht mehr so einfach durch das bloße Denken oder die Ratio oder am Schreibtisch, Computer und im Vorlesungssaal oder Seminarraum gehandhabt werden kann, sondern: Der Wissenschaftler müsste sich in diesem „Wahrheitsfall des Spiritualismus“ dazu bequemen, eine innere Entwicklung über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg zu durchlaufen, vielleicht seine kompletten Lebensgewohnheiten aufgeben und umstellen, um jene menschliche und auch geistige Reife zu erlangen, auf welcher eine solche Leiblichkeitserfahrung überhaupt sich einstellen kann, um sie so und dann erst selbsteigen überprüfen zu können?

...wobei beim Anthroposophen als eine mögliche Ausnahme auch genannt ist, dass sich beim einen oder andern Menschen solche höheren Leiberfahrungen auch spontan einstellen können, ohne dass der Betreffende entsprechende langjährige Übungen gemacht hat. Sie sind dann eben Resultat früherer Leben, die ja in Summe auch als eine Art langjährige Übung betrachtet werden können...

Wie ist das also mit dem „Kriterium der Nachprüfbarkeit“? Wird nicht das Gros unserer Wissenschaftler in diesem "Fall des Spiritualismus" sagen: „Ah, nein, dies will ich dann doch lieber nicht selbst nachprüfen…“ – Und was sagt uns das dann über die „Wissbegier“ unserer eifrigen Wissenschaftler resp. über die „Gründlichkeit“ unserer Wissenschaft? Der (dem Zeitgeist gemäß bereits materialistisch infiltrierte) Herr Professor wird sich sagen: „Ich bin doch nicht blöd und forsche Jahrzehnte in eine Richtung, in der wahrscheinlich doch nichts herauskommen wird. Denn was hätte ich davon? Ich hätte „mein Leben“ und „meine Wissenschaftsexistenz“ in den Sand gesetzt! Das kommt überhaupt nicht in Frage. So wichtig ist mir das Ideal "die Wissenschaft" dann doch nicht, dass ich bereit wäre, mein Leben dafür zu vergeuden, damit sie alle Möglichkeitsrichtungen erschöpfend durchlaufen kann. Soll sich doch um die „Gründlichkeit“ unserer Wissenschaft (resp. um „unwahrscheinliche Ausläufer" der allgemeinen Wahrheitssuche) kümmern, wer immer will – ich jedenfalls nicht!“ (Stichwort: Erkenntnis-Nichterwartung).

So zeigt sich, dass dieses Kriterium der Nachprüfbarkeit nicht eindeutig ist, sondern sich verändert, je nachdem, unter welcher weltanschaulichen Voraussetzung es ins Auge gefasst wird: Im Materialismus-Fall kann man alles mit seinem bloßen Denken nachprüfen, im Spiritualismus-Fall müsste man, um die Nachprüfung durchführen zu können, womöglich mit seinem kompletten Leben ran (und hier gibt es dann auch keinen "Feierabend" und keinen "Urlaub", und auch kein "Forschungs-Freisemester", und nicht, und nicht, und nicht...). Ich will einmal behaupten, aus Sicht des Materialismus gilt die Ratio als der Gipfel des menschlichen Geistes, und hier hat dieses sog. Kriterium der Nachprüfbarkeit gegenwärtig seinen Sitz und seine Relevanz – gültig nur für eine Wissenschaftsgemeinschaft, die tief ins materialistische Denken gekommen ist und eine mögliche Alternative zu sich selbst nicht sehen kann oder auch nicht sehen will.

Aus Sicht eines Spiritualismus sieht das aber ganz anders aus. Und wenn der Spiritualismus wahr sein sollte, dann wird unsere (dem Materialismus verfallene) Wissenschaftsgemeinschaft fälschlich und vergeblich annehmen, das Höchste und Beste, was die Menschheit an Erkenntnis und Wahrheit aufzubieten habe, versammle sich in sie.

Und „die Wissenschaft selbst“ kann sich auch nicht „neutral“ geben, als spiele für sie diese Frage eines grundsätzlichen Materialismus oder Spiritualismus keine Rolle. Denn „Objektivität“ – die will sie ja auch! – wird im Falle des Materialismus genau dann erreicht, wenn man die Materie (oder Energie etc.) als Seinsprinzip ansetzt, im Falle des Spiritualismus aber genau dann, wenn der Geist als Seinsprinzip angesetzt wird. Und sollte es nun der „Geist“ sein, so betrifft die Geist-Werdung nicht nur das Denken, sondern das Leben selbst (inklusive des – wissenschaftlich nicht recht händelbaren - Unbewussten), und der Wissenschaftler wird hier an „sein Eingemachtes“ ranmüssen, an die Bequemlichkeiten und Lebensgewohnheiten seiner bloßen Ratio, falls er irgendetwas erkennen können wollen sollte, aber vermutlich lieber gar nicht will, weil sein „Steckenpferd Wissenschaft“ dann nicht mehr Spiel und Spaß bliebe, - Bezahlt werden fürs eigene Hobby -, sondern womöglich in Mühsal und Qual „ausarten“ würde, so dass eine "solche Wissenschaft" gar nicht mehr lebenswert und wohlgefällig wäre usw. usw.

Vielleicht also setzt man dann als „ernstzunehmender Wissenschaftler der Gegenwart“ doch lieber auf den Materialismus, der schön „lebensbequem“ ist, weil man ihn im bloßen Denken abhandeln kann, im „Überbau“, während man bei der (oder zur) Überprüfung des Spiritualismus womöglich sein komplettes Leben erst einmal umkrempeln müsste, um auch nur eine Chance zu haben, ihn in seinem – die Leiblichkeit des Menschen erfassenden und verändernden – tieferen Geistwesen auch nur ansatzweise zu Gesicht zu bekommen?

Wenn ich recht sehe, hat sich „die Wissenschaft“ bis heute nicht dazu geäußert, wie sie weltanschaulich an das Sein, den Kosmos, die Wirklichkeit herantrete, ob materialistisch oder spiritualistisch, wobei sie sich m.E. faktisch materialistisch gibt. Nur: Wie sollen „Eindeutigkeit“ und „Exaktheit“ jemals erreicht werden können, wenn man sich selbst weltanschaulich indifferent gibt und diese Indifferenzhaltung gegenüber dem Ganzen des Seins als Objektivität, also Sachangemessenheit betrachtet und ausgibt? Man kann nicht ohne eine Anschauung an die Wirklichkeit herantreten, so, wie man an einen Stuhl nicht angemessen, nicht objektiv herantreten kann, wenn man nicht weiß, dass er ein „Ding zum Sitzen“ ist. Diese Idee muss an das sinnliche Ding „Stuhl“ herangetragen werden, dann und nur dann ergibt sich eine „objektive Erkenntnis“. Analog muss entweder der Materialismus oder der Spiritualismus an das Ganze des Seins herangetragen werden, damit Hoffnung auf eine mögliche objektive Erkenntnis des Seins bestehe.

Und nun könnten wir den in diesem dritten Menüpunkt gesamten durchlaufenen „Schlussfolgerungs-Schlauch“ nochmals wiederholen: „Wenn es Ideen der Naturdinge gibt, dann…“ und „Wenn es keine Ideen der Naturdinge gibt, dann…“ Das haben wir aber schon gemacht. Und der Spiritualismus bleibt hierbei als eine möglicherweise richtige Weltanschauung bestehen. Er ist nicht die einzige Möglichkeit, aber er ist eine Möglichkeit. Und daher ist es sachlich und objektiv, ihn als Möglichkeit im Auge zu behalten und nicht auszuschließen und den Materialismus als die einzige Möglichkeit zu betrachten und zu berücksichtigen, sei es auch nur stillschweigend, um sich hierbei eine Sachlichkeit und Objektivität einzubilden, die man gar nicht hat. – Dies jedenfalls ist die „Wissenschaftlichkeit“ in der Philosophie: den Zweifel und das eigene Nichtwissen bzw. Noch-nicht-Wissen im Gepäck zu behalten und nicht durch eine zeitbedingte Zufallssetzung der kosmischen Geistlosigkeit oder des Materialismus, die man nicht – erkennend – aus sich selbst heraus gefunden hat, sondern in die man geschichtlich-gesellschaftlich einfach hineingesetzt wurde (und sie deshalb - nun nachträglich - zur baren Münze objektiver Wissenschaftserkenntnis erklärt?), vorschnell zu entscheiden. - Alternativ könnte diese „kritische Wissenschaft“ auch Kreuzchen auf einem „Lottoschein der Geschichtszeit“ setzen und dann – bei diesem Glücks-Experiment - auf einen Erkenntnis-Treffer hoffen…

Es müssen Ideensetzungen gemacht werden, und dann kann man daraufhin das Ganze des Seins sozusagen durchspielen, ob die jeweiligen Ideensetzungen einen Sinn ergeben und wie weit sie zu tragen vermögen.

Im Spiritualismus haben Erkennen und Wissenschaft einen ontologischen oder Wesensbezug zum Sein: Das menschliche Erkennen ist ein Wirklichkeitsprozess, und deshalb ist – in diesem Fall - auch die (Geistes-)Wissenschaft ein Wirklichkeitsprozess, nichts, was zur Wirklichkeit „obendrauf“ kommt, sozusagen als bloß subjektive „Beigabe“ des animal rationale. Deutlicher noch: Das animal rationale ist deshalb ein solches, weil sein eigener Wesensvollzug darin besteht, den Wirklichkeitsprozess des Erkennens erfolgreich zu durchlaufen. Wenn dieses animal Philosophie und Wissenschaft betreibt, so ist dies keine Kür, kein Hobby, kein Überfluss und kein Luxus, sondern diese Unternehmung ist ein Muss, wenn denn sein (geistiges) Wesen zur Erfüllung kommen soll. Wird der so verstandene Erkenntnisprozess unterlassen, oder auch nur lasch und nachlässig betrieben, so bleibt das Wesen des Menschen unvollzogen oder unvollendet.

Im Materialismus haben Erkennen und Wissenschaft einen Überbau-Charakter, somit keinen wesenhaften Bezug oder aber einen prinzipiellen Sinnlosigkeitsbezug zum Sein: Das menschliche Erkennen ist kein Wirklichkeitsprozess, sondern im Grunde (der Materie) überflüssig. Der Mensch kann dann freilich trotzdem sagen: „Ich habe Vernunft, daher will ich erkennen.“ Dann kommt die so verstandene Wissenschaft tatsächlich als Luxus oder Kür auf den materiellen Wirklichkeitsprozess obendrauf, aber als unerheblich, redundant im Grunde des Universums.

Beide Beispiele zeigen ein „je eigenes Selbstverständnis von Wissenschaft“. Und wo genau steht denn nun unsere angeblich objektive Wissenschaft selbst? Vielleicht sollte diese „die Wissenschaft“ einmal versuchen, ein Kriterium ihrer eigenen Wesenhaftigkeit zu eruieren: Ist sie als Wissenschaft - Wesensbestandteil des Kosmos oder bloßer Überbau? Ein Larifari-Drittes gibt es nicht!

Es muss auch nicht als abgemacht gelten, diese „die Wissenschaft“ sei das geistig Beste und Höchste, was die Menschheit überhaupt haben könne, nur weil diese „die Wissenschaft“ ebendies vielleicht von sich selbst behauptet und glaubt? Und selbstverständlich kann diese „die Wissenschaft“ dann hergehen und sagen: „Wer mit uns der Auffassung ist, wir seien das Beste und Höchste, was der menschliche Geist je hervorbringen kann, der grenze mit uns zusammen alle sonstigen Erkenntnisbemühungen des animal rationale als unwissenschaftlich und weniger wertvoll von uns aus. Das Beste und Höchste ist bei uns zu finden – nirgends sonst. Dieses „exakte Wissen“ haben wir klar und deutlich "aus uns selbst" heraus. Wer Gegenteiliges behauptet, steht lediglich nicht mit auf „unserer Höhe“. Er kann nicht mitreden. Er ist inkompetent. Sein Denken kann vernachlässigt werden. Wir sind die Besten und Höchststehenden – dies ist durch uns selbst evident. Denn: Wir haben Kant auf unserer Seite!“ – Letzteres ist genau dann ein Argument, wenn Kant mit seiner Erkenntnisgrenze richtig liegt. Liegt er falsch, so ist es ein Pseudo-Argument, das die Wissenschaftsversammlung selbst in die Irre führt, womit sie aber nicht rechnet…; weil es Kant gelungen ist, glaubwürdig zu sein, man könnte auch sagen: weil er erfolgreich Eigenmarketing betrieb...

***

Ich erinnere mich an einen Philosophie-Professor der Hochschule für Philosophie München, Philosophische Fakultät SJ, Albert Keller. Er wollte seinen Studenten vermitteln, was das sei – Erfahrung. Zum einen nannte er folgendes Beispiel: Ein Mensch hat Schmerzen. Ihm gegenüber steht ein Mediziner-Gremium, bestehend aus 100 Medizin-Koryphäen, die einstimmig behaupten, es könne nicht sein, dass dieser Mensch Schmerzen habe. Dann, so sagte er, habe der eine, einfache Mensch gegen die Mediziner-Elite Recht. Denn er empfindet Schmerzen, also hat er auch Schmerzen, dagegen können nun beliebig Andere behaupten, was immer sie möchten. Sie haben nicht Recht, denn die Erfahrung steht nicht auf ihrer Seite.

Und ein anderer von ihm geäußerter, griffiger Satz war: „Erfahrung macht dumm“, womit die von mir bereits angeführte Zweischneidigkeit von Erfahrung ausgesprochen ist (vielleicht habe ich die Idee von ihm): Sie kann Routine bedeuten, aber genau dadurch kann sie auch zum Anlass dafür werden, dass faktische Wirklichkeitsveränderungen nicht mehr wahrgenommen werden können und möglicherweise sogar zu Illusionen erklärt werden. Und ganz in diesem Sinn kann auch die „Erkenntnisgrenze“ des hoch angesehenen Kant als Neuerfahrungs-Abwehrschild benutzt werden, mit welchem die Menschheit sich „ihre Erfahrung“ scheinbar bewahrt, in Wahrheit verdirbt.

Für eine angemessene Bewertung der Frage, ob es ein Leiblichkeits-Strömen (wie oben genannt) tatsächlich geben kann und ob es vielleicht sogar zur Natur und Entwicklung des Menschen gehöre, sollte die Frage eines möglichen „Kali Yuga“, in welchem wir uns gegenwärtig befinden könnten, näher aufgeworfen werden. Wird sie unterlassen, kann man sich leicht eine Objektivität zuschreiben, die in Wahrheit tiefste Subjektivität und hoffnungslose Unzulänglichkeit im Urteil ist, welches die Möglichkeit unseres eigenen Befangen seins in einem nur vorübergehend gültigen falschen Bezugssystem („Macht des Irrtums“) nicht mit zu reflektieren vermag, und unser "neues (materialistisch gewordenes) Bezugssystem" ist menschheitsgeschichtlich gesehen eine "Sekunden-Erfahrung", welche diejenigen, die sich "in ihr befinden", als einen "ontologischen Elefanten" behandeln könnten, obwohl es nur eine "geistesgeschichtliche Mücke", oder noch besser, "Eintagsfliege" ist (Stichwort: Gegenwarts-Monopolisierung)...

Laut Rudolf Steiner ist der Kernschatten des Kali Yuga auf die 5000 Jahre von 3101 v.Chr. bis 1899 n. Chr. begrenzt, so dass wir aus diesem Kernschatten bereits wieder herausgetreten sind und die Geistwelt also wieder grundsätzlich zugänglich und erfahrbar für den Menschen geworden ist und zunehmend wieder werden wird.

Dieser Text basiert auf dem Artikel "Kali Yuga" (externer Link: https://anthrowiki.at/Kali_Yuga) aus der freien Wissensdatenbank "AnthroWiki" (externer Link: https://anthrowiki.at/Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/). In AnthroWiki ist eine Liste der Autoren des Artikels "Kali Yuga" verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum des Artikels: 26.03.2024.

An den „schrägen Zahlen“ muss man sich nicht stoßen. Und wenn doch, so sollte man sich auch an Zahlen wie 3,1415… oder 365 ¼ stoßen. Und wenn man dagegen argumentierte: „Ja, für diese schrägen Zahlen gibt es ja auch eine plausible Erklärung!“ Dann sollte man auch in Erwägung ziehen (können), dass es auch für diese anderen schrägen Zahlen eine „vernünftige Erklärung“ geben könnte und dass es nicht prinzipiell ausgeschlossen ist, dass der „Wissenschaftsmensch der Moderne“ nicht allwissend sei und keinen Überblick darüber habe, was alles in unserem Universum „vernünftig“ und „erklärbar“ sei, auch wenn er dies selbst für unwahrscheinlich halten möchte, weil er von sich selbst eine hohe Meinung hat und von sich selbst relativ (oder auch absolut) überzeugt ist…

Und auf dieser Grundlage einer gegenwärtigen Kali-Yuga-Abenddämmerung und einer Geistwelt-Morgendämmerung ordne ich meine „Richtungsstöße“ geistesgeschichtlich ein, zugleich bin ich mir aber dessen bewusst, dass diese nur „persönlicher Art“ sind, so dass ihre Überzeugungskraft zunächst einmal auf mich in meiner Person beschränkt ist. Denn mir ist klar: Ein „Erfahrungsabweichler“ kann nicht einfach hergehen und sagen: „So glaubt mir doch! Es ist wahr!“, auch wenn die oben genannten Schmerz-Koryphäen- und Erfahrungs-Dummheits-Beispiele dies prinzipiell zulassen würden. Es wäre aber ein „Autoritäts-Argument“, weil Andere auf bloße Aussage hin Fremderfahrung annehmen müssten. Eine solche Verfahrensweise nenne ich ein Geltend machen von „geistiger Autorität“, was ich selbst prinzipiell ablehne – aber vielleicht will ja das Kriterium der Nachprüfbarkeit im Grunde genommen nur die historisch gewachsene Abwehr gerade eines solchen Geltend-machen-Wollens geistiger Autorität sein?

Wie soll ich nun meine eigene neue Leiberfahrung vermitteln, wenn sogar ich selbst mir – aus Prinzip heraus – nicht einfach „glauben“ würde? Ein Kritiker und Skeptiker könnte mir einwenden: „Du hast kein Strömungsempfinden, das bildest du dir nur ein.“ Und ich könnte ihm einwenden: „Wenn dir die Hand einschläft, und ein Kritiker und Skeptiker käme und sagte dir: „Die Hand ist dir nicht eingeschlafen, und du hast auch kein nadelstichartiges Empfinden, das bildest du dir nur ein“, schenkst du dem Kritiker und Skeptiker dann Glauben, gegen deine leibliche Eigenerfahrung?“

***

Hm. Es scheint, als hätte ich einen geistesgeschichtlichen Schwarzen Peter an die Hand bekommen, den Schwarzen Peter einer Erfahrungs-Ungleichzeitigkeit, oder auch die Narren-Karte des Tarots.

Jedenfalls erscheint mir heute der Weg einer Autorität des Geistes wie abgeschnitten. Er ist nicht mehr zulässig, und deshalb ist eine der Hauptfiguren meines Buches der „unzeitgemäße Protestant“, oder kurz „uP“ (uPee), weil m.E. in der römisch-katholischen Kirche eine solche (nicht mehr zulässige) Geistautorität erhalten geblieben ist (vgl. Infallibilität und Jurisdiktionsprimat des Papstes).

Meine Kirchenaustrittserklärung an den Regensburger Bischof, symbolisch datiert auf einen 31. Oktober (im Jahre 1990), umfasste 70 Seiten, und hierin habe ich die Atheismus-Problematik selbst aufzuarbeiten versucht, nachdem die (römisch-katholische) Kirche hier m.E. seelsorgerlich abgrundtief versagt hat und sich vor der Wirklichkeit der Moderne in eine innere, virtuelle Seelenfestung zurückgezogen hat, so dass sie sich im Grunde heute hoffnungslos in einer geistigen Defensivsituation befindet (und sich weigert, mit der Zeit zu gehen), aus der sie offensichtlich auch selbst nicht wieder herausfinden kann (Stichwort: fest zuzwicken).

Was mache ich also nun mit meinen „unzeitgemäßen“ besonderen Geisterfahrungs-Erinnerungserlebnissen und meinem… „tollen“… Leibes-Pfingsterlebnis? Der Zweifel ist ein Zustand der Schwäche und Unsouveränität, Ohnmacht und Machtlosigkeit…

Aber enthält mein (ungeschriebenes) Buch nicht auch ein kleines Gedicht, in welchem ich – im Nachgang zu meiner Kirchenkritik – zu der Überzeugung gekommen bin, ich selbst könne „mehr an Gott glauben“ als der Dorfpfarrer, der Bischof, der Papst, die gesamte römisch-katholische Kirche!?

Was aber kann der Mensch der Moderne, der

Sich vor dem durch das Faktum der Abwesenheit

Gottes verursachten Schmerz seiner Zeit nicht ver-

Schließen will noch kann, noch tun,

Wenn er an Gott einfach nicht mehr glauben kann?

Der fünfte Vers enthält keinen Interpunktionsfehler, sondern eine Pointe: Auf „alter Ebene“ scheint ein Nicht-mehr-glauben-können ausgesagt zu sein, doch gibt es nun auch eine „neue Ebene“, die ein Mehr-glauben-können aussagt, nur ist diese Aussage in die „Unsichtbarkeit“ des bloßen, rechten Metrums hinein verschwunden. Die „Wahrheit des Gedichts“ ist konservativ unwahrnehmbar geworden, weil die Wiederholung des Versmaßes von Vers 1 (vierfüßiger Daktylus: -vv / ... / -vv / -vv) in Vers 5 „nicht mehr zeitgemäß“ ist. Sie ist nur mehr progressiv wahrnehmbar, durch freie Rhythmen, gekennzeichnet durch einen Choriambus (-vv-): Wás aber kánn --- Wénn er an Gótt --- méhr glauben kánn. - So ist also auch im Gedicht der „sphärenmusikalische Trugschluss“ des atheistischen Materialismus ausgedrückt.

Das Gedicht enthält einen ordentlichen Zorn, ist aber zugleich Ausdruck von Schmerz und Verzweiflung. Man sehe sich die z-r-t-Konsonantenpralle im zweiten Teil des dritten Verses an, die gegen Ende des zweiten Verses bereits „federnd vorangekündigt“ sind, wie aufziehende Gewitterwolken (k-t, b-w). Der Stimmungs-Schiefton der Moderne ist eingefangen im stählernen e-Vokal („der Mensch der Moderne, der“). Vers 4 zieht sich gleichsam ins Innere einer seelischen Verlassenheit und Schwinden des Lebenswillens zurück, indem der tänzerische Dreiviertel-Takt (-vv -vv) in den „abriegelnden“ Spondeen des vierten Verses (-- / -- / -- / --) nur noch virtuell enthalten ist (-_- / -_- / -_- / -__) und am Versende die komplette Satzaussage verloren gegangen zu sein scheint („Warum müssen die Deutschen das Verb ständig ans Ende setzen, als müsste das Handeln bis zuletzt hinausgezögert werden?“).

Insgesamt tritt das dreimalige „kann“ immer deutlicher als ein Nichtkönnen hervor, bis im Vers 5 schließlich die Würfel des Protestantismus gefallen sind und urplötzlich und unvermutet offenbar wird, dass gar nicht Gott das Objekt des Zornes im Gedicht war, sondern die versagt habende Kirche. Deshalb muss der letzte Vers „gekippt“ werden, ganz sachte, so dass die Balance und Ordnung des Ganzen aufrecht erhalten bleibt (und nicht gleich eine Revolution ausbrechen muss, wenngleich – „revolutionär“ - aus einem Vierheber nun ein Sechsheber wird): Die fünfte Silbe („ein-“) erhält – nach dem Choriambus - eine schwebende Betonung, das betonte „nicht“ erhält eine Folgezäsur, und so wird das „nicht mehr“ getrennt, sein Sinn gleichsam aufgehoben, indem das „mehr“ seine metrische Unbetontheit verliert und sozusagen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerät: mehr glauben kann (wieder Choriambus).

Der letzte Vers im alt-konservativen und im neu-protestantischen Zusammenhang, im Vergleich:

a) Wenn er an --- Gott einfach --- nicht mehr --- glauben kann

Í u u ¦ Í u u ¦ Í__ u ¦ Í u u

b) Wenn er an Gott --- einfach nicht --- mehr glauben kann

Í u u Í ¦ ĩ u Í _ - ¦ Í u u Í

Und jetzt - am Gedicht-Ende - hat auch das „kann“ seine eigentliche und positive Bedeutung erreicht: Der Protestantismus ist ein echtes Können, und ich selbst bin ein echter, wenngleich unzeitgemäßer Protestant.

So, wie das historische „alea iacta est“ des Julius Caesar zu einem irreversiblen Einschnitt in der römischen Geschichte führte, im Überschreiten des Rubikon, so dass die Zeit der Republik (senatorische „res publica“) in die Zeit des Kaiserreiches überging („Primus inter Pares“), ebenso erscheint nun ein Einschnitt in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche „fällig“ geworden, und wieder in einer umkehrenden Richtung: Die Zeit des päpstlichen Kaiserreiches (absolutistischer Primat) ist zu Ende und muss nun ersetzt werden durch eine heraufkommende christliche Republik des Geistes, in der Jeder und Jede das Sagen hat, der und die sich allein vom Geist selbst leiten lässt. Unser Mittelpunkt liegt über uns (in Christus und seiner Geist-Vermittlung), nicht unter (= neben) uns (beim Papst und seiner Geist-Vermittlung); daher auch das biblische Vater-Verbot (Mt. 23,9).

Ich bin abgeschweift, denn die römisch-katholische Kirche ist nicht mein Thema, nicht mehr. Sie muss jetzt vielmehr selbst sehen, wie sie mit dem Lauf der Dinge zurechtkommt. Entsprechend lautet der volle Titel meiner Kirchenaustrittserklärung: „Erklärung meines Austrittes aus der sog. katholischen Kirche, die den Anschluss an den Heiligen Geist gänzlich verlieren wird“. Der Bischof hat meine "Erklärung" dann in einer kurzen Antwort an mich bereits sprachlich zu einer bloßen „Klärung“ geschmälert.

Aber, meinetwegen, „Klärung“ ist auch gut: Denn ich habe etwas getan, was die römisch-katholische Kirche bis zum heutigen Tag unterlassen und versäumt hat: unsere Misere-Situation der Moderne angenommenund gedacht!!!

***

Was gilt nun für mich: ein Können oder ein Nichtkönnen? Wie soll ich mit meiner individuellen Erfahrungs-Abweichung umgehen? Sie preisgeben oder auf ihr bestehen? Prinzipiell habe ich zwei Möglichkeiten:

a) Ich korrigiere meine (höherwertige) Eigenerfahrung sozusagen nach unten zur (minderen) Allgemeinerfahrung.

b) Ich korrigiere die (mindere) Allgemeinerfahrung sozusagen nach oben zu meiner (höherwertigen) Eigenerfahrung.

Hm, das Zweite erscheint freilich als cäsarische Usurpation oder als persönlicher Größenwahn. Das will ich nicht. Aber das Erste will ich mir auch nicht einfach gefallen lassen. Ich bin gewillt, meine Eigenerfahrung als solche aufrecht zu erhalten, zumal inzwischen doch dargelegt ist, dass diese Allgemeinerfahrung selbst in sich unschlüssig, unentschieden ist, auch wenn sowohl Common Sense als auch Wissenschaft diese Rechenschaft sich selbst schuldig geblieben sind und irrsinnigerweise unter uns die Worte „Eindeutigkeit“ und „Gewissheit“ hochgehalten werden, als würden wir sie selbst leben…?

Mir scheint, ich habe ein Déjà-vu…, stehe wieder vor meinem alten, frühkindlichen Schlüssel-Dilemma…

Was tun?

Jedenfalls bin ich auch auf Kant und seine angeblichen Erkenntnisgrenzen nicht gut zu sprechen: „Wer bist denn du, dass du dich vor mir als mein Erfahrungsmaßstab aufspielst!!??“ - „Ich bin es, Kant der Glaubwürdige, anerkannter Sachverständiger und Erbschaftsverwalter der menschlichen Vernunft, mittlerweile seit dem 18. Jahrhundert, und bald werde ich das 250jährige Jubiläum meiner kopernikanischen Tat feiern können, die uns vom Irrwahn der Metaphysik und Spekulation befreite und endlich intellektuelle Bescheidenheit zum guten Höhlen-, äh, ich meine, Gesellschaftston machte. Schluss also mit den Verdrehungen der Metaphysik: Unsere Nichterfahrung ist die echte Erfahrung! Und sie sei allgemeingültig! Denn wir alle sind gleich, Demokraten, und keiner soll dem andern irgendetwas voraushaben!... Auch kann diese unsere Nichterfahrung von jedem Höhlen-Mitbewohner selbsteigen nachgeprüft werden!, vorausgesetzt, er bleibt mit uns in unserer Höhle resp. dem Kali Yuga als der Wahrheitsnorm und dem wahren Erfahrungsraum bestehen resp. sitzen. Lasst euch nicht verwirren! Glaubt nicht falschen Propheten, die euch mit falschen „Guten Nachrichten“ vom Ende unseres derzeitigen Erfahrungsraumes resp. vom Ende unseres Geistwelt-erfahrungsfreien Raumes künden wollen, im Kommen eines angeblich lebendigen und wirklichen Reichs des Geistes. Haltet fest an meiner Erkenntnisgrenze, denn sie ist allgemein, prinzipiell und dauerhaft gültig. Ich weiß das zwar nicht aus Erfahrung, habe auch nicht alle befragt, aber aus meiner reinen, ungetrübten - und ich darf wohl sagen: glänzenden Vernunfterkenntnis. Der allgemein anerkannte Sachverständige bin nun einmal ich, sogar über meinen Tod hinaus, denn: Ich - bin - glaubwürdig. Jeder weiß: Mein Handeln war vorbildlich, mein Tagesablauf uhrwerkähnlich, und wenn also mein Handeln durch meine „kantische Präzision“ bestimmt war, dann wird dieselbe Präzision doch wohl auch in meinem Denken enthalten sein? Oder etwa nicht? - Du siehst also: Mein Denken ist glaubwürdig, glaubwürdig durch mein Handeln. Und das zu Recht, denn wir werden mit meiner Grenzziehung jedwede Falsch-Erfahrung abwehren können, in alle Ewigkeit hinein. Du musst also gar nicht aufbegehren, du kannst ruhig mit uns sitzenbleiben, nachsitzen, weiter warten, auf God-ot…“

Was tun?

In dieser misslichen Lage, in die ich biographisch und geistesgeschichtlich hineingeraten bin (nicht ganz ohne mein Zutun), stehe ich nun vor Kant und allen, die ihm glauben, als Narr da.

Und wenn ich nun schon Narr sein muss, Narr unserer Geistesgeschichte, so will ich wenigstens auch einmal von dieser meiner Narrenfreiheit Gebrauch gemacht haben, ich, Franz Mederer, oder sage ich besser: MEDERI FRANCITER, denn dies scheint ja der Name zu sein, in welchem Ton und Tonart meiner Existenz eingefangen sind?

a) „Ich würde heilen, wenn ich frei wäre“ – die Mollton-Spielart,

b) „Als Freigewordener/Freigelassener kann ich das Meine zur allgemeinen Heilung beitragen“ – die Durton-Spielart.

Nun will ich mich gewiss nicht frei nennen, vielleicht aber doch wenigstens frei genug geworden, mich gesellschaftlich zum Narren machen zu können?

Was tun?

Aaahh! - Ich will die Sterne befragen! Sie könnten mir Aufschluss über mich selbst geben, wenn schon ich selbst es nicht kann!

In ihrer Konstellation zum Zeitpunkt der Geburt eines Menschen soll doch die geistige Kräftekonfiguration abgebildet sein, die ein einzelner Mensch sozusagen als Mitgift und Wegweisung mitbekommen hat? Also das Zusammenspiel der kosmischen Kräfte, bezogen auf die Handlungs- und Wirkungsmöglichkeiten einer individuellen Menschenperson? Das potenzielle Wohl und Wehe des Schicksals dieser Person, abhängig dann allerdings vom konkreten, faktischen biographischen Verlauf, der die enthaltenen Möglichkeiten entweder eröffnet und zur Wirklichkeit kommen lässt oder eben auch nicht, weil in unserer faktischen Wirklichkeit durch die Holprigkeit der Lebenswege auch Möglichkeiten verloren gehen können, womöglich auf immer…

17. Rechenprobe „Geburtshoroskop“: Nachweis einer kontinuierlichen Verbindung des Unten mit dem Oben?

So sei es denn. Ich will Einblick in mein eigenes Geburtshoroskop nehmen. Vielleicht gelange ich ja über dieses, oder vielmehr durch es hindurch, in den Kosmos hinaus, in die Sternenwelt hinein - gleichsam durch Umstülpung, Überfließen, ja, Hinaufgabe meiner selbst? Ist doch laut Anthroposoph das Gehirn ein Abdruck des Sternenhimmels zum Zeitpunkt der Geburt...

Zuerst brauche ich dazu meinen Geburtsort, Kelheim an der Donau, unweit von Regensburg, an der Mündung des Altmühltales gelegen, mit seinen Burgen und Burgruinen, auch einer Falknerei, einer Tropfsteinhöhle, Steinbrüchen und Fossilienfunden, zugleich am Auslauf des Donaudurchbruches, mit seinen bizarren Felsformationen und vielen Stein gewordenen Geschichten, Mythen und Sagen, wie den drei steinernen Brüdern, Peter und Paul, der Bischofsmütze, der Kanzel, dem Napoleonfelsen, dem Bienenhaus, den Zwei Sich-Küssenden und, und, und, die während der Schifffahrt durch den Donaudurchbruch gar nicht alle wiedergegeben werden können, auch nicht auf Hin- und Rückfahrt, von Kelheim nach Weltenburg. „Weltenburg“ – ein komischer Name, der mir immer eine Art Rätselgefühl verursachte, und dann auch noch „Kloster“ genannt: Kloster Weltenburg!? Was für ein Widerspruch! Denn im Glauben verbarrikadiert man sich schließlich nicht! Oder etwa doch?

Zwischen beiden Flüssen erhebt sich im Westen der Michelsberg, obenauf, wie eine Krone, die Befreiungshalle, zur Erinnerung an die Napoleonischen Befreiungskriege, wodurch die keltische Kleinstadt gleichsam in die höheren Gefilde der deutschen und europäischen Geschichte hineingehoben worden ist. Oft fiel mein Blick auf diese Befreiungshalle, die im Stadtbild einfach nicht zu übersehen ist und deren angenehm gelb und hell leuchtende Fassade den schweifenden Blick unwillkürlich eine Weile bindet. Bei ihrem Besuch dachte ich mir jedes Mal: „Wozu denn dieser pompöse Bau? Man kann ihn doch zu gar nichts gebrauchen!?“

Damals wusste ich noch nicht, dass mein konkretes Lebensthema die Selbst-Befreiung sein würde, und dass der Erzengel Michael - als einziger Engel in der „Offenbarung“ namentlich genannt (Offb. 12,7), als sollten wir Christen speziell zu ihm ein Nahverhältnis entwickeln und haben; dass der Erzengel bei diesem Fundamentalthema des Menschseins eine entscheidende Rolle spielt, wenn man dem Anthroposophen Glauben schenken darf - ich komme darauf zurück.

Michael ist der Schutzpatron Deutschlands, seit 955, …der Schlacht auf dem Lechfeld! Ich fürchte, das ist heute vergessen, nicht anders als die Befreiungskriege, ein Stockwerk höher oder eine Gesteinsschicht darüber. Dabei beginnt der Text, mittig und unübersehbar, wenn der Blick aus der Höhe, von oben her auf den Boden der Befreiungshalle fällt: „Moechten die Teutschen nie vergessen…“

Wenige Jahre später, 962, wurde der auf dem Lechfeld siegreiche Feldherr Otto I. der Große zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt - ein weittragendes Ereignis, im Werden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dem dann erst Napoleon I. Bonaparte ein Ende setzte, für dessen Ende wiederum die Befreiungshalle steht. Ein Fels des Donaudurchbruches wurde, wohl sarkastisch, „Napoleons Reisekoffer“ genannt, obwohl Napoleon mit Kelheim rein gar nichts zu tun hat, erst später umgekehrt Kelheim mit Napoleon, vermittelt über die Befreiungshalle. Und der Felsen stand auch schon, lange, lange vor Napoleon. Nun ja, Volksphantasie, Wunschträume; Ohnmacht, die sich als Macht ausgibt, indem sie die Dinge der Geschichte verdreht und sich ihre Eigenverdrehung am Ende auch noch selbst glaubt…?

Der letzte Ottone war Kaiser Heinrich II., nachmalig der Heilige genannt, geboren im heutigen Landkreis Kelheim (das ist zwar unsicher, aber unsere Wissenschaft ja auch), einem letzten Zipfel Niederbayerns, im jetzigen Markt Bad Abbach, wo ich lange Jahre - bis vor Kurzem - meiner beruflichen Tätigkeit nachging. Nicht, dass ich dies so beabsichtigt hätte, nein, es war schlicht der Lauf meiner Dinge, der mich dorthin führte. - Wo immer man geht und steht, die Geschichte scheint einen zu verfolgen, auf Schritt und Tritt, wenn man nur hinsieht. …wie viele Zufälle dürfen eigentlich zusammenkommen, bis wir um den Bestand dieses Wortes fürchten und einen Bindestrich setzen müssen? - „Franz, du Größenwahnsinniger, die Geschichte verfolgt überhaupt niemanden und also auch nicht dich! Leidest du etwa auch noch unter Verfolgungswahn?“

Na ja, ein paar Zufälle kann ich schon noch listen, z.B. meine Teilnahme an der chorischen Mitgestaltung der sonntäglichen Gottesdienste im Dom zu Regensburg, wo mich der Domprediger an meinen Dorfpfarrer erinnerte, indem er in seiner Predigt auch nichts sagte, nur kunstvoller und pathetischer, vor allem aber viel lauter, als habe die wiederholte Stimmerhebung den Sinn und Zweck, die "heilige Predigt" davor zu schützen, als Schlafmittel missbraucht zu werden. Analog hatte ja auch Haydn ein Wachmittel für sein zwar vornehmes, mitunter ärgerlicherweise aber auch schläfriges Publikum in eine seiner Sinfonien eingebaut, in diejenige mit dem – Paukenschlag, in der die Hörer im Zweiten Satz mit einer unkompliziert-eingängigen Melodie in zart-feinsinnigen Violintönen zuerst einmal in Schlaf resp. Sicherheit gewiegt werden, ehe dann der „Ernüchterungs-Schlag“ auf dem Fuß folgt. Auch uns Gläubigen sollten Fragen des Sich-Wiegens oder Gewiegt werdens in Sicherheit geläufig sein, damit nicht - am Ende - ein böses Erwachen erfolgen muss, mit Pauken und Trompeten.

Angefangen in der Choralschola, mit gregorianischem Choral, bevor ich in den „Ersten Chor“ (damals noch 1a-Chor genannt) und zum Solisten aufstieg, wobei mir der Chorleiter, der Domkapellmeister, der Papstbruder (Bruder des Vorgängers des Papstes …Franziskus) - nach seiner gelegentlichen Manier - den Kosenamen „Nachtigall“ gab und ich mit auf Konzertreisen gehen durfte, z.B. ins ferne Spanien, wo mich der damalige Internats- und Chorpräfekt (H. Z.) aus dem Wasser angelte, zu Tode erschöpft, nicht er, sondern ich, denn das Wasser stand mir bis knapp unter dem hoch gehaltenen Kinn, im leichten Wellengang, während die anderen alle planschten und ihren Spaß hatten, auf der vom Strand ein paar Meter entfernten Sandbank, die ich unter der Mithilfe eines etwas älteren Chorknaben (R. R.), der mir den gewünschten Anschluss verschaffen wollte, langsam und auf Zehenspitzen zu erreichen versuchte – solange, bis ich ihm mein Vertrauen aufkündigte und lauthals nach dem Präfekten schrie: „Herr Z.! Herr Z.!“, der dann auch stante pede zur Stelle war.

Dabei hätte ich mich aus der lebensbedrohlichen Situation leicht selbst retten können!? Ich hätte doch nur Luft holen, mit dem Kopf ins Wasser untertauchen und ein paar Schritte zurück ins seichtere Wasser und Richtung Ufer gehen müssen!? Nun, auf die einfachsten Dinge kommt man mitunter nicht, insbesondere dann nicht, wenn sich die Seele in einem Zustand des Angespannt seins, Gefangen seins, Betäubt seins, Paralysiert seins, Handlungsunfähig seins befindet. Und ich kann mich schon noch erinnern: Ich fühlte mich wie in eine aussichtslose Lage geraten, von der Wasserflut in die Zange genommen, indem ich keinen Schritt mehr vor und keinen Schritt mehr zurücktun konnte, sofern ich meinen Kopf kontinuierlich über Wasser halten wollte. Und das wollte ich! Denn ich war durch ein unbewusstes Schlussverfahren in die Irre geführt: Kopf oben = Luft und Leben, Kopf unten = Wasser und Tod. Also wählte ich mir - in dieser scheinbar ausweglosen Situation - eine eigentlich „ungültige Lösung“, sozusagen eine Vernunft-Spielregel-Verletzung: nämlich den Präfekten als meinen rettenden Deus ex machina, der aber nun einmal als reales Hilfsmittel draußen am Strand (oder vielleicht auch gerade auf der Sandbank) zur Verfügung stand, wenn man nur laut genug schrie. Aber mit einem gesanglich geübten Kehlkopf war das ein Kinderspiel. – Möglicherweise war es auch so gewesen, dass ich den Strand überhaupt nicht mehr sehen konnte. Ich stand schon auf Zehenspitzen, versuchte womöglich, mich um die eigene Achse zu drehen, vergeblich, denn die Richtung der Rettung war nicht mehr erkennbar!? Ich weiß es nicht mehr, befand mich jedenfalls in allergrößter Panik, fühlte mich dem Tode sehr, sehr nahe, und - mein Denken setze einfach aus! Und so erfolgte der Hilfeschrei wohl in Halbohnmacht oder Trance…

Ich dachte, im Alter von 11-12 Jahren hätte ich Schwimmen längst gelernt!? Ich kann es. Und ich kann mich noch daran erinnern, dass ich es nicht in einem „Schwimmkurs“ erlernt habe, sondern in der Donau, auf Höhe Staubing, nein, nicht „Straubing“. Schon im Vorschul-Internat mit 8-9 Jahren, in Etterzhausen, meinte man, ich hätte einen Sprachfehler, weil ich sagte: „Ich komme aus Staubing“ - einem Kuhdorf, das niemand kannte, im Vergleich zur mittleren Mittelstadt Straubing, im Umkreis Regensburgs.

Staubing ist bzw. war ein 300 Seelen zählendes Bauerndorf, in dem selbst der Bürgermeister noch Bauer ist, der Lehrer sonntags in der Kirche die Orgel spielt und der Pfarrer aus einem benachbarten Kloster kommt. Pater E. schenkte mir, ich glaube zur Kommunion, oder wohl eher zum Schulanfang, einen prächtigen farbigen Bildband mit biblischen Geschichten, den ich wohl niemals gelesen habe, denn er trug einen nichtssagenden Titel, was ich freilich, des Geschenkes wegen, lieber für mich behielt: „Ankunft des Herrn“ – was soll das sein? Da kommt eben ein Mann, na und? Der Titel hätte ebenso gut lauten können „Da liegt ein Stein“. Was soll ich mit einem solch unnützen Buch?

Der Bürgermeister hatte zwei Söhne, Zwillinge, von welchen ich dem einen neutral gegenüberstand (R.), während ich mich mit dem anderen seelisch innig verbunden wusste (H.). Immer wieder zog es mich zum P.-Hof hin, und wenn H. gerade mal nicht da war, war ich enttäuscht. Er nahm mich auch oft mit auf die Felder hinaus. Einmal, bei der Rückkehr ins Dorf, ließ er mich hinten im gut beladenen vergitterten Heuwagen mitfahren, und während der Fahrt tänzelte ich oben auf dem Heu, als würde ich schweben können. Meine Mutter sah uns im Vorbeifahren und war entsetzt, wegen der Unfallgefahr. Damit war solches Mitfahren ein für alle Mal verboten, von ihr, der Spielverderberin.

Staubing, in dem ich mein 5. bis 12. Lebensjahr verbrachte, liegt flussaufwärts, nur 1 km von Weltenburg entfernt. Und dort, in der Donau, prahlte ich, zum Ufer hinaus, eine kleine Böschung hoch, ich könne schwimmen, wobei ich, im Wasser befindlich, „oben“ die (sichtbaren) Schwimm-Handbewegungen vollzog, während ich „unten“, unsichtbar, mit meinen Füßen einfach nur mit der Strömung mitging. Das ging ganz gut, solange, bis ich am Grund einen größeren Stein übersah, „Fels“ wäre übertrieben, so dass ich aus der Schrittfolge geriet, stolperte, und urplötzlich meine Füße keinen Boden mehr hatten und ich sie zum Schwimmen mitbenutzen musste, um nicht unterzugehen. Und siehe da! Es funktionierte – ich konnte schwimmen! Das Oben der Strömung nahm mich sicher und ruhig mit sich, während das Unten des festen Grundes keine Rolle mehr spielte und quasi bedeutungslos geworden war, wobei mich freilich anfänglich der Auftrieb der Strömung beim Schwimmen passiv-tatkräftig unterstütze. Ja, ich fühlte die Kraft des Wassers, das mich einfach vorantrieb, und ich selbst musste (fast) gar nichts dazutun, außer mich vertrauensvoll dieser frei beweglich-bodenlosen Kraft des fließenden Flusses zu überlassen. Ein tolles Erlebnis!

Die Situation in Spanien war wohl die, dass ich noch niemals am Meer gewesen war und folglich mit Wellen nicht umgehen konnte, vielleicht Angst davor hatte, vielleicht auch von der Mutter eindringlich gewarnt worden war? Das Meer lag lebenslang außerhalb der Gedanken- und Reise-Reichweite meiner Eltern (nein, speziell meiner Mutter), die tief geprägt war von „Feld, Flur und Wald“, gleichsam nach dem Eichendorff-Motto: „Wem Gott will seine Gunst erweisen…“, wobei allerdings die „weite Welt“ bereits im Nahen vollständig gefunden wurde, auf zahlreichen Ausflügen.

In der Lehrer-Minibibliothek meines Vaters, bestehend aus zwei, drei offenen Regalreihen, - während die Didaktik- und Fachbücher im Schrank verschlossen waren, theoretisch zwar zugänglich, praktisch aber nicht anzutasten -, fand ich neben naturkundlichen Bestimmungs-Büchern mit Titeln wie "Was blüht denn da?" und "Wer zwitschert denn da?" auch ein schmales Etymologie-Buch (verfasst von einem ...Wasserzieher: Was ist denn ein "Wasserzieher"? - zum Stellen dieser Frage kam ich nicht, aber in der Verlängerung meines Unbewussten mag sie wohl dagewesen sein; ähnlich wie bei "Weltenburg"), ein Bändchen "Sokrates im Gespräch" und zwei Bände Goethe, doch interessierte ich mich damals nicht dafür. Und ich sah ihn selbst auch nie mit reiner Bildungsliteratur beschäftigt. Alles wurde praxis- und unterrichtsnah gehandhabt, und er bastelte für Familie und Kinder nicht nur Spiele-Kästen, aus Holz, mit Schiebedeckel, sondern dazu Lern-Spiele-Kästen, zu welchen eine Landkreis-Kelheim-Karte und eine Bayern-Karte als Holz-Puzzle gehörten; der Deckel war prächtig-farbig dekoriert mit einer mosaikähnlich gestalteten Windrose, die sorgfältig mit einer Klarsicht-Schutzfolie überzogen war. Auch ein Schachspiel bastelte er komplett selbst: Die Figuren wurden mit Laubsäge angefertigt, mit hellem und dunklem Furnierholz belegt, und auch das Brett bildete eine Furnier-Einlegearbeit mit kunstvoll gleichmäßig dünner Umrandung, außerdem war es zusammenklappbar, durch mittig angebrachte Scharniere, und das Ganze passte dann exakt in eine ebenfalls mit Klappdeckel versehene Furnier-Holzbox. Er brachte mir das Schachspiel bei, aber weit sind wir, bin ich darin nicht gekommen. Als Jugendlicher - wir wohnten inzwischen in Kelheim - lud mich ein Bekannter meiner Eltern zu einer Schachpartie ein, und um meine Fähigkeiten zu testen, führte er mir den Schäferzug vor, ich könnte auch sagen: führte er mich durch den Schäferzug vor: Nur drei Züge - und ich war Schachmatt gesetzt. Peinlich! Unangenehm! Schwamm drüber.

Mein Vater besaß auch einen Globus, der uns Kindern prinzipiell zugänglich war; auch eine drehbare Sternkarte, und immer wieder gingen wir am Abendhimmel resp. beim Abendspaziergang die bei uns sichtbaren Sternbilder durch, mit Benennung hervorstechender bzw. namentlich bekannter Sterne, dann auch der hell leuchtenden Venus; der schwache Merkur in Sonnennähe war eher so selten wie sensationell zu beobachten. Und zur Sehschärfe-Erprobung fungierten dann das Siebengestirn und das Reiterlein auf der Deichsel des Großen Wagens, der auch Großer Bär genannt wird. Gelegentliche Sternschnuppen waren dann eine willkommene Außergewöhnlichkeit, und eines Abends legte ich mich auf den Balkon, mit einer Decke auf der Liege, um die Perseiden (10.-12. August) zu beobachten: Ich zählte immerhin 18 Sternschnuppen, die eine oder andere über den halben Himmel reichend; sinnloserweise machte ich darüber schriftliche Aufzeichnungen, als könne es im Leben von Bedeutung sein, diejenigen Dinge zu archivieren, die einmalig zu Boden fallen und dann für immer verschwunden sind.

Meine Mutter hat selbst nie schwimmen gelernt, und sie gab in der Familie den Ton an, was meinem Vater, dem ein Ansagen und Tonführen nichts bedeutete, ein bequemliches Schullehrer- und „Familienoberhaupt“-Dasein gewährte; er war still, ruhig und zurückgezogen in sich, hatte sogar einmal Priester werden wollen. Er machte mir - alles in allem - ein "pures Vernehmen" vor, auch wenn dennoch ein Urteil, eine eigene Stellungnahme aus seiner Vernehmens- oder Passiv-Lebenseinstellung herausspitzte, indem sein Blick auf die Dinge immer von der Nützlichkeits-Frage geprägt war. Und  später dann, als Jugendlicher, konnte ich durch mein Bissigkeits-Nachfragen sogar ein Materialismus-Glaubensurteil aus ihm provozieren, das er wohl lieber für sich behalten hätte, aber ich hatte es ihm abgerungen, und so war es jetzt "heraus". Ich weiß aber nicht mehr, wer von uns beiden nun den theistischen und wer den atheistischen Standpunkt vertrat. Die Diskussionsebene war jedenfalls materialistisch. - So sah ich, dass selbst sein Vernehmen eine Grenze und Einschränkung hatte und mir "ein Ende" oder eine "Toleranzgrenze" menschlichen Vernehmens oder der menschlichen Vernunft offenbarte.

Meine Mutter war immer darauf bedacht, dass sich die Familien-Emotionen in maßvollen Grenzen bewegten. Alles sollte betulich bleiben, kontrollierbar, einfach, angenehm, akzeptabel, ohne irgendeine mögliche Anstoßnahme, ich könnte auch sagen, ohne jeglichen Pegel-Ausschlag. War etwa im Radio oder Fernsehen einmal eine energisch singende Opern-Frauenstimme zu hören, die sich womöglich auch noch in Gesangskoloraturen verausgabte, so reagierte sie darauf (sinngemäß), ohne sich hierbei für den künstlerischen Inhalt zu interessieren: "Aber nicht doch. Was ist denn das? Warum macht sie denn sowas!? Was hat sie denn nur!? - Schaltet das lieber weg. Das ist doch maßlos übertrieben. So muss man sich doch wirklich nicht echauffieren." Streitereien der Erwachsenen hatten Seltenheitswert, sie waren wie ein Event, das aufhorchen ließ und zeigte, dass unsere heile Welt ins Wanken geraten konnte. In meiner Erinnerung waren es immerzu "leichte Beben", die von einem möglichen "Ende des Sicheren und Festen" kündeten, von welchen mir aber - aufgrund sich sammelnder Erfahrung - nach und nach klar wurde, dass kein "Vulkanausbruch" folgen würde. Meine Mutter war immer darauf bedacht, sie hinter verschlossenen Türen auszutragen, so dass selbst diese - kritisch-bedenkliche -  Streit- und Wank-Situation ihre feste, verlässliche Ordnung hatte: a) Raum verlassen, b) Türe zu, c) Streit austragen, d) Türe auf, e) Weitermachen (wie bisher).

***

Das Thema „Befreiung“ hat noch einen höheren, geistig-gesellschaftlichen Sinn, weshalb die assoziativen Verbindungen „Schlacht auf dem Lechfeld – Schutzpatron Michael“ oder „Michelsberg – Befreiungshalle“ eine tiefere Berechtigung haben, wie mir scheint. Und dieses Thema ist alt, reicht gewiss nicht nur bis zum Investitur- oder Machtstreit zwischen Papst und Kaiser zurück, in dem es wohl – eigentlich - darum ging, eigene Leute an günstigen Schaltstellen des eigenen „Imperium“ zu platzieren, meinetwegen auch „Sacerdotium“ genannt. Ja, die Pippinsche Schenkung – Fälschung hin, Fälschung her -, später - strategisch-diplomatisch? -  „Privilegium Ottonianum“ genannt (der Kaisergewährt - dem Papst), ist durchaus kein „päpstlicher Strohhalm“ zu nennen, sie gibt vielmehr dem Papst seinen festen und sicheren Platz in der Welt, vom welchem aus er …wirken kann..., …seine Arme ausstrecken kann…: „Kommet her zu mir, alle! Ich bin der gute Wille auf Erden! Ich bin der gute Wille schlechthin, wenn ich auch nicht weiß, was ich tun und denken soll in und von dieser abscheulich säkular gewordenen Welt, in der man sich einfach nur verbarrikadieren kann, wie in einer Burg oder Engelsburg vor der Welt, im felsenfesten Vertrauen auf IHN.“ - Spricht oder denkt so „Petrus der Fels“ …in der geschichtlichen Brandung des Geistes? Aber: Pscht! Das soll niemand bemerken! Hände ausstrecken ist doch auch schon etwas, in einer hoffnungslosen Welt von Egoisten, oder etwa nicht? Ja, mit den christlichen Sehnsüchten nach Hoffnung, Rettung und Heilung der vielfältigen Wunden der menschlichen Existenz lässt sich schon Staat machen. Da braucht es gar kein „höheres Wissen“, es genügt doch tatsächlich schon die bloße Wissens- oder Geistbehauptung, in einer den Schein zulassenden Welt wie der unsrigen, in der ein bloßes Hauptsein-Behaupten überhaupt möglich ist…

Allzu gerne würde ich wissen, ob das „weltliche Schwert“ des (nachmaligen) Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation seines christlichen Amtes möglicherweise zu gut waltete, gerade in „Ottonischer Zeit“, so dass das „geistliche Schwert“ um seine Aufgabe, seine Daseinsberechtigung, seinen Arbeitsplatz zu fürchten begann, weshalb es in „Salischer Zeit“ zu einem Befreiungsschlag ausholte, fußend auf dem Schlachtruf „libertas ecclesiae“? Selbstverständlich wurde diese - noch unter den Ottonen - monastisch ausgedachte und initiierte „Neuordnung der Dinge“ schriftlich und gut begründet, auch unter Verschluss gehalten, wohl mehr oder weniger, denn: Die anderen dürfen/sollen die Größe des eigenen Denkens ruhig sehen können… Wie stellt Jacob Burckhardt, ziemlich zu Beginn seiner „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“, fest:

„Das Bestimmte hat das Königsrecht gegenüber allem Unbestimmten, das einfach nur mit- oder hinterherläuft“?

(vgl. Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, S. 43, Kröners Taschenausgabe Band 55, 1978, Alfred Kröner Verlag Stuttgart)

Anmerkung: Dies ist nur meine sinngemäße Wiedergabe, um eine Griffigkeit der Aussage zu bekommen. Wörtlich sagt er: "Wie weit sind die Religionen g e s t i f t e t ? Jedenfalls sind sie wesentlich als die Schöpfungen einzelner Menschen oder einzelner Momente, d.h. eben der Fixierungsmomente ruckweise, strahlenweise entstanden. Ein Teil der Menschen hält mit, weil der Stifter oder das Ereignis gerade den Punkt des metaphysischen Bedürfnisses getroffen hat, der in den lebendigsten Menschen empfunden wird, die große Masse hält mit, weil sie nicht widerstehen kann, und weil alles Bestimmte ein Königsrecht hat gegenüber dem Dumpfen, Unsicheren und Anarchischen. Diese Massen hangen freilich hernach auch am festesten und mühelosesten an der äußeren Form und den Begehungen der betreffenden Religion und halten sie (sintemal ihnen der Kern jeder Religion unzugänglich bleibt) aufrecht, bis eine stärkere Macht, welche genugsam Schale gewonnen hat, so dass sie sich nun hieran halten können, sie auch äußerlich umstößt, worauf sie sich dieser anschließen." (ebd. S. 42f; zweite Herv. v. Verf.).

Ich meine die – vorevangelische – Selbst-Rechtfertigungs-Urkunde „Dictatus Papae“, die auch einen Satz 22 enthält (neben 8, 9 und 12). Das war 1075, und 20 Jahre später geriet Europa dann vollends unter kirchenpolitische Winde, im päpstlichen Aufruf zum Ersten Kreuzzug, dem sich freilich niemand verweigern konnte, gerade kein Großer, ohne sich gesellschaftlich bloßzustellen, den aber bereits der Vorgänger-Papst Gregor VII., der Ex-Mönch Hildebrand, bei Amtsantritt 1073 geplant hatte und sogar selbst anführen wollte.

Dieser Text basiert auf dem Artikel "Dictatus Papae" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Dictatus_Papae) aus der freien Enzyklopädie "Wikipedia" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren des Artikels "Dictatus Papae" verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum des Artikels: 22.03.2024.

Wer hat denn nun eigentlich welches Schwert in der Hand? Ich dachte und denke, das sog. geistliche Schwert könne nur EINER tragen und selbst ER wird es erst „am Ende“ handhaben, als höchst- und scharfrichterliches „Wort der Wirklichkeit“, das auch unser „Wissen“ und unsere „Wissenschaft“ Lügen strafen und wegfegen wird, und das aus SEINEM Mund fahren wird (Offb. 19,15.21), wobei wir allerdings eines nicht vergessen wollen: „Richten“ heißt auch „reparieren“, in Ordnung bringen, wiederherstellen, heilen…

Man kann das leicht übersehen, indem man speziell das letzte Buch der Bibel mit der subjektiv-individuellen, einen selbst angehenden Frage nach Leben oder Tod assoziiert, obwohl es vielleicht – tiefer – auch um die objektiv-allgemeine Frage nach Ende und Anfang resp. Neuanfang geht, was man nur dann in seine Aufmerksamkeit und sein Wahrnehmen hereinbekommt, wenn man hier nicht einseitig-selbstbezogen liest, nicht egozentrisch, sondern …gegenteilig? Aber über der (menschlichen) Frage oder Angst, auf welcher Seite man sich selbst denn nun eigentlich befinde, ist nicht unbedingt gewährleistet, dass man sachlich bleiben und denken kann…

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…à propos „Sachlichkeit“: Nun will ich aber auch nicht „drumherum“ geredet haben! - Worum? - Als Ex-Domspatz betrifft mich unmittelbar die aktuelle Anklage-Assoziation „Missbrauchsskandal“!? Und ich weiß nicht, ob man mir Glauben schenken kann, wenn ich sage, ich hätte von solchen etwaigen Vorkommnissen kaum etwas mitbekommen? Die Ereignisse liegen auch 40-50 Jahre zurück, schriftliche Aufzeichnungen habe ich keine, „ausgetauscht“ habe ich mich hierüber auch nicht, so kann ich nur aus der Erinnerung heraus sprechen. Und für mich selbst sieht es heute so aus, als sei ich möglicherweise unter einer „schützenden Hülle“ gestanden, durch die mein objektives Sichtfeld und Wahrnehmungsvermögen eingeschränkt war…

Von meinen Eltern (speziell meiner Mutter) mit 8 Jahren „in die Fremde“ (eines Internates) geschickt („Regensburger Domspatzen – da soll er hin!“, so war wohl ihr Gedanke), erlebte ich beim ersten Betreten des Schlafsaales (für jeweils 6-8 Zöglinge) einen Lichtblick, einen Funken Heimat. Dort saß ein anderer Junge, einsam, und blickte verloren aus dem großen Fenster. Im Gespräch stellte sich heraus, er heiße auch „Franz“ (sein Nachname war ein Allerweltsname) und er sei der Neffe des Schuldirektors! So ergab sich spontan eine Freundschaft, die mir quasi von Anfang an zu dieser schützenden Hülle wurde, ohne dass mir klar war, dass oder ob ich eine solche brauchte.

Von körperlichen Züchtigungen weiß ich zu berichten, die des Präfekten (H., glaube ich), möglicherweise „nicht ganz unfreiwillig“ vorgenommen, und es kam auch einmal die Behauptung an mein Ohr, der Präfekt sei schon einmal im Gefängnis gewesen. Hm, Hörensagen, vielleicht nur leeres Geschwätz oder Wichtigtuerei?

Es gab Ohrfeigen und Kopfnüsse, das sind Schläge mit den Fingerknöcheln oben auf den Kopf, wobei sein breiterer, gut gewölbter, eigentlich: mächtiger Ehering gelegentlich eine gewisse Rolle gespielt haben soll. Ich erinnere mich zumindest schwach, dass der eine oder andere Zögling (Namen weiß ich keinen mehr zu nennen) sich nach der Kopfnuss beklagte, er sei mit dem Ring getroffen worden!!!; eine Beschwerde, die, an uns Mitschüler gegeben, freilich im Nirwana verpuffte… Der Präfekt hatte auch einen missformten, rillenmäßig überstehenden Fingernagel, der meinen Blick oft in Bann zog und der mich zugleich antipathisch, abstoßend berührte, als läge tief unten in mir das unausgesprochene und ungedachte Urteil: „Ich will nicht, dass ein solcher Fingernagel zu meiner Welt gehört.“ Und so war dieser Präfekt mir unbewusst „Der mit dem Fingernagel und dem großen Ring“. Eine Brille trug er auch, womöglich häufig fettige Haare, vielleicht auch noch Raucher, und ein Mann mit Ausdunstung, wobei ich mich an keinen Geruch erinnere. In jedem Fall schien es mir ratsam, mit ihm möglichst nicht viel zu tun zu haben, anders als einige Kameraden, die geradezu seinen Kontakt suchten. Und irgendwie war er immer umgeben von wenigstens zwei bis drei Jungs, die sich scheinbar angeregt mit ihm unterhielten – so meine schwache Erinnerung.

Bei den Ohrfeigen stand nicht der Schmerz im Vordergrund, sondern die damit einhergehende Demütigung, bei den Kopfnüssen war es eher umgekehrt. Ich will aber hier nicht den falschen Eindruck eines „Tagesgeschäftes“ erwecken. Ich glaube, ich treffe die Sache auf den Punkt, wenn ich formuliere: „Dann und wann kamen körperliche Züchtigungen vor“ und, von der anderen Seite aus gesehen: „Dann und wann stellten wir Lausbuben etwas an.“ Denn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen beidem war mir immer erkennbar, das, was die Theologie „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ nennt und vornehmlich auf das Alte Testament bezieht. Doch wird dieser Zusammenhang laut Offenbarung des Johannes in der Zukunft noch in einem krassen Wirklichkeits- und Leiblichkeitssinn zum Tragen kommen, jetzt schon weltanschaulich beginnend.

Da trugen schon einmal des Nachts, während die anderen schliefen, einzelne Schlafsäle (oder Teile daraus) Scharmützel gegeneinander aus, mit zwischen Daumen und Zeigefinger gespannten Gummis als „Zwistel“ oder Schleuder, die „Munition“ waren in der Mitte umgeknickte Papierbolzen. Und die dunkle, aber spannungsvolle Stille, in der sich das heimliche Geschehen abspielte, wurde dann und wann durchbrochen durch ein „Au!“, so dass wir oder auch die Gegenseite wussten: „Ah, sehr schön. Ein Treffer!“

Und wurden wir bei einer solchen Lausbuben-Aktion ertappt, so hieß es: Die Beteiligten treten in den Gang heraus und stellen sich hintereinander in einer Schlange auf. Ganz vorne stand der Präfekt, und wir mussten uns der Reihe nach unsere Ohrfeige (oder Kopfnuss) abholen, wobei der Präfekt zunächst mit seiner Rechten um das Kinn des Zöglings fasste, über beide Backen, um den Kopf in Schrägstellung zu bringen, gleichsam, um das Zielobjekt seiner Schlagrichtung anzupassen. Nun könnte man empört – und medienwirksam – aufschreien: „Das gibt’s doch nicht! Der Mann hat sich ja eine regelrechte Schlagtechnik zugelegt!“ Das ist zwar richtig gesehen, aber vielleicht dennoch falsch, nämlich „überhitzt-tagesaktuell-voreingenommen“ beurteilt. Denn wer Erfahrung in diesen Dingen hat, sei es die aktive oder die passive, der weiß, dass, wenn die flache Hand die volle Backe erwischt, es zwar einen ordentlichen „Klatscher“ tut, aber, zugleich scheint die (sonstige) Verletzungsgefahr hierdurch tatsächlich minimiert zu sein. Manche duckten sich beim Schlag weg und wurden gerade dadurch „unvorteilhaft“ getroffen, so dass es besser war, die Strafe „ordnungsgemäß“ hinzunehmen. Anderseits: Wer kommt denn auf die Idee, aus einer Ohrfeige eine Kunst und Perfektion zu machen!? – Da ich nicht weiß, was der Mann sich bei seinem Vorgehen gedacht hat, will ich seine Motivation offenlassen. Jedenfalls hatte ich nie das Gefühl, ungerechtfertigt bestraft worden zu sein, und wie es scheint, erfuhr ich nur „maßvolle“ Strafen, vielleicht, wegen nur „maßvoller Vergehen“?

Eine schlimmere Strafe ist mir auch noch bekannt. Es gab bei uns einen Mitschüler S. (seinen Vornamen habe ich vergessen). Er war der „schlimmste Finger“, den wir hatten, ein richtiger „Auftreiber“, der sogar einmal Hostien aus der Kapelle oder Sakristei gestohlen haben soll, evtl. zusammen mit einem Zweiten, den er evtl. in die Sache mit hineingezogen hatte, was dann wohl zu einer „Verhörsituation“ geführt haben dürfte („Inquisition“ wäre durchaus richtig gesehen, aber der Terminus war mir damals noch nicht bekannt). Immer wieder einmal wurde er zum Direktor zitiert, - die Information breitete sich wohl aus wie ein Lauffeuer -, und man wusste: „Aha, er hat schon wieder etwas angestellt.“ Ein mulmiges Gefühl überkam einen dann, denn es war klar, es würden wieder Schmerz und Pein auf ihn zukommen. Dieses Gefühl konnte man dann schließlich unterdrücken oder abwürgen in dem (mit nach unten gerichteten Mundwinkeln gefassten) Gedanken „selbst schuld…“, vielleicht noch unter Rötung und Schamgefühl, mit einem schlechten Gewissen über das eigene Stillschweigen, Untätigbleiben, Hilflos- und Ohnmächtig sein, dem Kameraden gegenüber… Man geriet in ein Beklommenheitsgefühl, bei welchem man sich quasi in sich selbst zurückzieht und vorsichtshalber lieber "ganz still hält", um ja nicht aufzufallen und womöglich auch herauszitiert zu werden... Die konkrete Bestrafung kann ich nicht benennen, weil ich sie nicht kenne, evtl. Schläge auf den Hintern mit dem Stock oder Lineal, aber das ist Mutmaßung, oder Erinnerung des Hörensagens? Zumindest bin ich wenigstens einmal (wahrscheinlich öfters) „Ohrenzeuge aus der Entfernung“ geworden – und diese Aussage spricht im Grunde für sich selbst.

Ich will die Gesamtangelegenheit in drei Punkte zusammenfassen:

  1. Körperliche Züchtigungen sind unzulässig (verboten, strafbar).
  2. Ich meine, keinen körperlichen und auch keinen seelischen Schaden davongetragen zu haben.
  3. Meine Ausführungen sind möglicherweise nicht als „repräsentativ“ anzusehen, weil ich persönlich unter einer „Hülle“ stand (für die ich nichts kann).

Im Internat des Musikgymnasiums in Regensburg wurde mir dann so gut wie gar nichts von körperlicher Züchtigung bekannt, zumindest ist mir nichts in der Erinnerung haften geblieben.

Bleibt noch die Frage sexueller Übergriffe. Da war aber nichts, jedenfalls ist mir nichts bekannt geworden. In den höheren Schuljahren erfuhr ich dann, es solle unter uns Schülern den einen oder andern mit homoerotischen Neigungen geben, wovon ich aber nichts mitbekam. Auch Namen wurden mir genannt, und ich konnte nur feststellen, dass sich diese Jungs nach außen hin einwandfrei benahmen: kein merkwürdiges Verhalten, keine auffällige Sprache, keine Annäherungsversuche, nichts, sozusagen ein perfektes Verbergungs- oder Unauffälligkeitsverhalten. Und was die Lehrer, Erzieher und Vorgesetzten betrifft, so ist von ihnen in solchem Zusammenhang noch nicht einmal die Rede gewesen. Sie waren einfach außen vor. Und auch in Etterzhausen war mir diesbezüglich nicht das Geringste bekannt geworden.

Aber ich hatte ja auch im Musikgymnasium meine „schützende Hülle“, dadurch, dass ich einer der Lieblinge des Domkapellmeisters war, was ich einerseits meiner Stimme, anderseits aber auch einem Tier zu verdanken habe, einem Dackelwelpen, den eine meiner älteren Schwestern geschenkt bekommen hatte und der mit dabei war, als mich meine Familie in die Ferien abholte. Ich befand mich am Eingang der Dompräbende, da kamen sie, und zufällig kam auch gerade der Domkapellmeister vorbei, dessen Privaträume direkt neben dem Eingang lagen. Er sah den Welpen im Körbchen, war entzückt und es ergab sich ein nettes Gespräch. Von da an schloss er den Dackel fest in sein Herz, und mich dazu, denn immer wieder und wieder erkundigte er sich bei mir nach dem Hund: „Wie geht’s denn der Susi!?“

Auf diese Weise war sowohl in Etterzhausen als auch in Regensburg gleichsam eine schützende Hand über mich gehalten, als wäre ich mit einem gewissen Nimbus, einer Aura oder einem Berührungs-Tabu umgeben, so dass mir gegenüber möglicherweise ein gewisses Sozialverhalten stillschweigend geboten war (und offensichtlich auch praktiziert wurde), ohne dass ich selbst irgendetwas dazu getan hätte. In „meiner Umgebung“ passierte nicht viel. Deshalb will ich, um der Sachlichkeit willen, bemerkt haben, meine Schilderung sei möglicherweise „nicht repräsentativ“.

Vielleicht ist gerade in diesem Zusammenhang auch ein Satz signifikant, den Klassenkameraden in unserer Abiturabschlusszeitung über mich formulierten: „Franz ist einer der wenigen übrig gebliebenen Lebenskünstler, die über aus der Rolle fallende Verhaltensweisen nicht nur reden, sondern sie, zum Erstaunen ihrer Gesprächspartner, dann auch umsetzen.“ Diese Aussage habe ich immer gedeutet auf meine freiwillige Wiederholung des letzten Schuljahres, nicht um der Noten willen, sondern weil ich mich nicht reif fühlte, ein „Reifezeugnis“ entgegenzunehmen. - Meine Mutter war mit dieser meiner Entscheidung überhaupt nicht einverstanden, und sie sagte zu mir: "Geh hin und erkläre es deinem Vater!" Und ich ging hin und erklärte es meinem Vater. Und - für mich erwartungsgemäß - äußerte er ein bisschen Bedenken, akzeptierte aber letztlich meine Entscheidung. So hatte ich gewonnenens Spiel, und der "Widerstand" meiner Mutter (und Hoffnung auf Unterstützung durch ihren Ehemann) war aus der Welt geschafft. - Obwohl ich also zuletzt nicht mehr zu ihrem Jahrgang gehörte, nahmen sie mich dennoch in ihre „Absolvia 1981“ mit auf. Ich weiß aber bis heute nicht, warum sie mich mit dem Titel „Lebenskünstler“ ehrten, denn ich empfand mich selbst als lediglich mitlaufend und unauffällig, ohne spezifische Eigenheiten oder hervortretende Charakterausprägung, wobei es mir, halbbewusst, immer „phänomenal“ oder erstaunlich erschien, wie der eine oder andere Abiturient – gerade auch bei den uns vorausgehenden Jahrgängen – bereits eine deutlich geprägte Individualität und Persönlichkeit aufwies, und vielleicht ganz tief unbewusst gehörte sogar das Schlussfolgerungsurteil dazu: „Der Arme, er ist ja schon festgelegt in seiner Lebensrichtung! Sein existenzieller Bewegungsspielraum ist wegjetzt schon!?“

Und ein anderes Erinnerungsbild aus der Kindheit, das hierzu passt, trage ich noch in mir, mit 4-5 Jahren, zeitnah zum Schlüsselerlebnis, damals noch in Thaldorf. Schräg unter uns, auf der gegenüberliegenden Seitenstraßenseite lag ein Bauernhof, und einmal sah ich den Bauern mitten in seinem Hof dastehen, allein, irgendwie in großer Ruhe. Und ich hatte den überwältigenden Eindruck, er stehe da in seinem Dasein wie fest und gut eingefügt zwischen Himmel und Erde. Und ich dachte bei mir selbst: „Ich möchte einmal der Herr Treml werden“, so hieß er. Ein solches Denken erscheint uns heute als „ungewöhnlich bis unmöglich“. Aber vielleicht ist es ein Indiz dafür, dass der junge, frisch-irdische Mensch noch eine anders geartete Geistigkeit in sich trägt, die noch vor seiner Individualisierung liegt, vor seinem Untertauchen ins Persönliche, in der er seine eigene Geistigkeit noch als eine All-Potenz empfindet, die sich erst noch überlegen kann, in welche Lebenszusammenhänge sie sich überhaupt „hineinbegeben“ und sich darin festlegen möchte. - Anzumerken wäre noch, dass Schlüssel-Erlebnis und Treml-Eindruck zu einer - taggleichen - Erinnerungs-Trias gehören, in deren zeitlicher Mitte - unten auf dem "Dorfplatz" - eine (mutmaßliche) Christus-Erscheinung gehört, die kommunikations- oder gesprächslos ablief, von mir aber mit höchster Aufmerksamkeit erlebt wurde: Ein hohes Geistwesen näherte sich mir von oben, und just in dem Augenblick, in welchem ich "ausbüchsen" wollte, weil mein "Sicherheitsabstand" bedroht wurde, hielt es in seiner Bewegung inne, so dass ich eine Weile (Minuten?) in seinem "Anblick" stehen bleiben konnte. Ich nahm es wahr als Sonnen-Rundform, die man nur deshalb direkt ansehen kann, weil eine Wolkendecke davorgeschoben ist. Dann zog es sich nach oben wieder in die Unsichtbarkeit zurück, und ich machte mich auf den (kurzen) Heimweg, wobei mir dann noch der Treml-Eindruck begegnete. Ich gehe heute davon aus, dass ich die "Ruhe", die von dem Geistwesen ausging, dann in den Nachbars-Bauern hineinprojizierte, machte sie mir dadurch aber quasi menschlich zueigen. Und in späteren Jahren las ich dann beim Anthroposophen, ab dem 20. Jahrhundert werde Christus zunehmend Menschen erscheinen, im Ätherischen.

Zurück. Alles in allem will ich die Sache weder herunter- noch hochspielen. Auch will ich die römisch-katholische Kirche deshalb nicht spezifisch verurteilen, denn Verhaltensweisen sind auch eine allgemeine Zeiterscheinung, aber aufgearbeitet gehören die Vorgänge allemal, und all denen, denen Unrecht widerfuhr, möge Recht widerfahren.

Die eigentliche Problematik dieser Kirche sehe ich aber woanders, nicht auf physischer, nicht auf seelischer, sondern auf geistiger Ebene: Die freie Entfaltung des Geistes im Menschen ist gehemmt, wenn sich eine geistige Zwischeninstanz wie das Papsttum geltend macht. Das Papsttum selbst ist m.E. ein Verstoß gegen das individualisierende Geistprinzip im Menschen. Gerade durch das Vaterverbot (Mt. 23,9) bleibt dieses Geistprinzip gewahrt, es hat daher Gültigkeit und kann nicht aufgeweicht und nicht weginterpretiert werden. Nach meinem Verständnis besagt es im Grunde, dass ein „Papsttum“ in einer christlichen Kirche unzulässig ist und nichts verloren hat. Es ist ein Fremdkörper, der dort nicht hineingehört, vielleicht ein gesellschaftsgeschichtliches Relikt und Rudiment, wie man denn die Institution des Papsttums auch so ansehen kann, als habe sich hier der Absolutismus in moderne Zeiten hinübergerettet, oder auch geistesgeschichtlich verirrt.

Und entsprechend kritisch oder argusäugig sollte man diese Institution im Auge behalten, weil auch in ihr gesellschaftliche Verhältnisse realisiert sind, die ein säkular-aufgeklärter Geist wachsam mitverfolgen muss. Die Menschenrechte etwa hat ja nicht die römisch-katholische Kirche für Mensch und Menschheit auf den Weg gebracht, obwohl wir sie als Kernsubstanz des Christlichen betrachten (können/müssen), und so kann eigentlich nicht toleriert werden, dass diese Kirche resp. Teilkirche in ihrer Institution „gesellschaftlich Unfug treibe“, weil man m.E. nicht akzeptieren kann, dass der (aufgeklärte) Zeitgeist irgendwo mit Füßen getreten werde, auch nicht unter dem Deckmantel der Frömmigkeit und Religiosität.

Ich sehe auch keine Notwendigkeit, die Infallibilität auf eine Person oder ein Amt zuzuspitzen, sie gilt vielmehr für die Christenheit insgesamt (vgl. alle relevanten Bibelaussagen zur Schlüsselgewalt und zur Binde- und Lösegewalt), und damit behält der Geist auch eine größtmögliche Freiheit seines Wirkens, wie im Johannesevangelium zu verstehen gegeben (Joh. 3 und 16), anstatt dogmatisch geknebelt zu werden, was mir eher ein fauler, kirchenpolitischer Streich zu sein scheint, ein (bislang erfolgreicher) Versuch bloßer weltlicher Machtausübung bei leerer Geistbehauptung. - So bin ich zum Protestanten geworden, nicht durch mein Domspatzen-Dasein.

Nicht also leibliche oder seelische Vergehen der Kirche sind es, an denen ich primär Anstoß nehme, vielmehr ist es der Geist, der mich aus der Reserve lockt und auf den Plan ruft! Und ich behalte mir vor, am Ende dieses Textes noch meine eigene, unmaßgebliche Deutung des Endes des Johannesevangeliums zu geben, welches – allgemein anerkannt – als das geistigste der Evangelien gilt. Und eines will ich hier vorwegnehmen: „Petrus“ schneidet darin ziemlich schlecht ab, und zwar quasi im Vorab zur Kirchengeschichte, so, als wäre „er“ „prinzipiell“ ungeeignet, die ihm anvertraute wesenhafte Aufgabe des Christentums kirchen- und geistes- und heilsgeschichtlich zu erfüllen…

***

Und eines möchte ich noch nachtragen, um vor der Leserschaft nicht den falschen Eindruck zu erwecken, ich hätte in Etterzhausen eine „Hölle durchlaufen“. Ich gebe einen kleinen Text, den ich für meinen letzten oder Siebten Satz vorgesehen habe. Er befindet sich noch in der „Werkstatt“ (weil er mir noch nicht gefällt), und seinen genauen Platz und seine Funktion habe ich auch noch nicht bestimmt:

Die Nacht

[siehe: echte Erinnerungsbilder: Sommernächte in Etterzhausen]

Er vernahm das lautlose kosmische Tönen der Erde, ihren Schwebezustand im Kosmos… Sommernächte der Kindheit - tief verschüttet - stiegen in ihm empor... Das Licht war erloschen und Ruhe eingekehrt. In solchen Abend-Momenten, im Bette liegend, konnte er das Sein als solches wieder empfinden. In der Betriebsamkeit des Tages war es vorübergehend aus dem Blickfeld und sogar in Vergessenheit geraten. Doch gegen die Nacht zu erwachte es wieder zum Leben.

Gegenüber der Eingangstür war der Schlafsaal durch eine einzige große Glaswand abgeschlossen, mit Metallsprossen in sich untergliedert, und nur im unteren Bereich der Heizung durch eine Holz- oder Metallverschalung stabilisiert. Abendlicht fiel ein, einmal durch die Dämmerung, einmal durch den Mond. Das Rauschen des Waldes war durchs offene Fenster zu hören. Drunten vom Tal her drangen vereinzelt Laute der Zivilisation herauf. Und ab und zu unterbrach das schlitternd-gleitende Geräusch eines in der Ferne, auf halber Höhe der gegenüberliegenden Seite des Taleinschnitts vorbeifahrenden Zuges diese raunende Beredsamkeit der Stille.

Über allem ruhte erhaben das Firmament. Der Himmel war noch ein lebendiger Himmel gewesen, damals in seiner Kindheitserinnerung. Von dorther erwachte alles Dasein am Morgen, entfaltete sich gegen Mittag, und dorthin auch kehrte es am Abend wieder zurück - in die Nacht, diese Schützende und Bewahrende, die gleichsam täglich als Mahnung auf die Menschenwelt zukommt, sich aus ihren vielfältigen Zerstreuungen des Tages wieder in die Einheit und Einigkeit des Seins zurückzubegeben.

Ja, die Nacht! Sie war nicht Finsternis gewesen, sondern allabendliche Sammlung ins Sein, Rückkehr aus dem Sich verlieren ins Viele; Erinnerung der eigentlichen, höheren Ordnung im Sein, die über den niederen Ordnungen des Alltags in Vergessenheit geraten war. Ja, der Abend konnte nur einen Inhalt haben - Besinnung und Andacht, Wiederherstellung der im Grunde dauerhaften Verbindung zur Geistwelt. Mit den Sternen des Nachthimmels war dieses eigentliche, unsichtbare Licht - bei Tage verdeckt - wieder sichtbar und gegenwärtig.

Jetzt ging ihm auf, dass er in der Kindheit die Unterscheidung von Licht und Finsternis gar nicht gekannt hatte. Es waren sich immer nur verschiedene Lichtarten oder Lichtgrade gegenübergestanden, das eine Licht des Tages und das andere Licht der Nacht. Es schien ihm, als hätten sich im Erwachsenenleben die wahren Lichtverhältnisse verkehrt. Für den Erwachsenen sind die Nächte nur die Pausen zwischen den Tagen, die unterbrechenden Dunkelphasen des eigentlich Lichten, während es in seiner Kindheit umgekehrt gewesen war: Die Nacht war das Eigentliche, der Tag nur das Andere, denn der Abend brachte das Unwesentliche der bewussten Tagesverrichtungen zur Verhüllung und das Wesentliche, das tief im Unbewussten vorhanden war, wieder zum Vorschein.

„Tag“ und „Nacht“ ist eine nur irdische Unterscheidung, der Kosmos kennt sie gar nicht. Folglich muss die Nacht aufhören, Finsternis zu sein und sie muss ins Bewusstsein zurückdämmern, um irgendwann wieder Tag zu werden, so dass die Menschenwelt zu pendeln beginnt zwischen dem Licht des Tages und dem Licht der Nacht, in der ja nicht nichts geschieht. So sagt auch der Anthroposoph:

„...dass man ebenso gut eine Lebensbeschreibung des Menschen geben könnte für die Zeit, die er immer zwischen dem Einschlafen und Aufwachen zubringt, wie man eine solche gibt für die Zeit zwischen dem Aufwachen und Einschlafen. ...  einer physisch-ätherischen Welt, in welcher der Mensch zwischen dem Aufwachen und Einschlafen ist. Ebenso ist er aber in einer Welt zwischen dem Einschlafen und Aufwachen, nur ist das eine Welt, die ganz anders geartet ist als die physisch-ätherische Welt. Und es besteht die Möglichkeit für das übersinnliche Anschauen, von dieser Welt zu sprechen, die geradeso unsere Umgebung ist, wenn wir schlafen, wie die physische Welt, wenn wir wachen, unsere Umgebung ist.“

(Rudolf Steiner, GA 283 „Das Wesen des Musikalischen und das Tonerlebnis im Menschen“, Beginn des dritten Vortrages vom 16. März 1923, S. 133)

Diese Textwiedergabe des Bandes GA 283 "Das Wesen des Musikalischen und das Tonerlebnis im Menschen" der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (deren Herausgabe dem Rudolf Steiner Verlag obliegt) basiert auf der Werkbearbeitung einer älteren Ausgabe dieses Bandes GA 283 (externer Link: https://steiner.wiki/GA_283), durch die freie Literaturdatenbank SteinerWiki (externer Link: https://steiner.wiki/Hauptseite), zum Zwecke der kostenfreien Zugänglichmachung des Werkes Rudolf Steiners, und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In SteinerWiki ist eine entsprechende Liste der Werkbearbeiter zu GA 283 verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Näheres zur kostenfreien Zugänglichmachung vgl. unter "Unser Anliegen" auf der SteinerWiki-Hauptseite, abgegriffen am 29.03.2024.

Dies sei nun aber genug über meinen Geburtsort. Allerdings wollte ich diese ausführlichere Information geben, weil so ein Geburtsort doch etwas mehr ist, als nur eine geographische Stelle.

Näher bin ich schräg gegenüber vom Michelsberg geboren, in nordöstlicher Richtung, von der Altstadt aus gesehen, am Goldberg, genau genommen und profan: im Kreiskrankenhaus Kelheim, das zwischenzeitlich zur Goldberg-Klinik aufgestiegen ist, zumindest sprachlich.

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Dann meinen Geburtstag, der 14. April 1962. Aha, meine Sonne steht also im Kopf-Zeichen „Widder“. …ganz anders als die des Anthroposophen, im Füße-Zeichen „Fische“. Beide Tierkreiszeichen stehen sich einander gegenüber, wie „Grundlegung“ und „Durchsetzung“, wenn man den in Frage stehenden Spiritualismus dieses Textes hierbei mitdenkt, wobei die Zielerreichung freilich noch offen ist…

Ich war immer sehr erstaunt darüber, wie der Anthroposoph dies wagen und schaffen konnte, seine „Anthroposophie“ – realitätsfrech (so nenne ich ihn und seine Anthroposophie, wenn man sie von unserem Zeitgeist aus „misst“) – in unsere Welt zu vermitteln und eine Gefolgschaft zu finden? Aber vielleicht ist ja der subjektiv-persönliche Anteil doch nicht so groß, wie es zunächst scheint, wenn man die Sterne, den Kosmos, den Geist auf seiner Seite hat? Am Ende hat Hegel doch irgendwie Recht gehabt, wenn er sagt, im Grunde genüge ein „reines Zusehen“, wenn der objektive Lauf der Dinge in Betracht komme? Mit dem feinen Unterschied freilich, dass nicht jeder von derselben Raum-Zeit-Stelle aus „zusieht“, und womöglich auch gar nicht vom Brennpunkt aus „zusehen will“? - Vielleicht möchte ja irgendjemand mit mir tauschen? Aber vielleicht - erst im Nachgang? Und dann - vielleicht lieber doch nicht? – „Fra-hanz! Hör auf damit! Stichwort Grö-ßen-wahn!“

Nichtsdestotrotz ist das Thema „Selbstbefreiung“ nicht nur ein individuelles, mein persönliches, sondern zugleich ein allgemeines, so dass es nicht nur mich betrifft, sondern den Menschen allgemein (wozu sich freilich keiner rechnen muss, insbesondere dann nicht, falls doch mehr als ein reines Zusehen in Betracht kommen sollte). Ich schätze, mit einer gewissen Leserschaft, die ich noch nicht habe, werde ich rechnen können. Bedauerlicherweise gibt es im Deutschen kein Wort „Handlungsschaft“, aber die Wörter „Kenntnisnahme“ und „Teilnahme“ sind ja auch nicht bedeutungsgleich, in der Geistwelt vielleicht schon, aber das ist noch nicht die unsere…

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Zum Dritten noch die Geburtszeit, wobei nach Astrologenerfahrung die Auskunft der Mütter als unzuverlässig gelten soll. Zum Glück besitze ich ein kleinformatiges Faltblatt des Krankenhauses von damals, noch mit Schreibmaschine beschrieben. Im Deckblatt ist die Silhouette Kelheims abgebildet, und darüber hinaus verrät es in einer Zeichnung, dass mich der Storch in die Stadt gebracht hat. Ich lese dort nach, nun handgeschrieben in schwarzer Tusche: 11.44 Uhr. Hm, ob wohl 11.55 Uhr, also Fünf vor Zwölf richtiger gewesen wäre? Doch wohl hoffentlich nicht Fünf nach Zwölf? - Aber vielleicht sollte ich mich jetzt lieber sputen, anstatt mich hier unnötig subjektiv-persönlich zu verbreiten? Nun, vielleicht habe ich die 11 Minuten Vorlauf bis „Kurz vor knapp“ bekommen, weil an höherer Stelle meine individuelle Gemächlichkeit, Langsamkeit, Bequemlichkeit bekannt ist, die mit diesen gut 10 Minuten in meinem Leben aber durchaus mitberücksichtigt werden sollte, gleichsam als persönlicher Zeit-Luxus, der mir Langweiler und Tratscher vergönnt ist?

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Zuletzt wollen wir noch Anschaulichkeit haben und uns die Konstellation im Bild ansehen können, über das Internet unschwer und kostenlos möglich, z.B. über „astroschmid.ch“ - externer Link: https://www.astroschmid.ch/ - abgerufen am 03.06.2024. Dort wähle ich „Gratis Horoskop und Aszendent berechnen“ - externer Link: https://shop.astroschmid.ch/horoskopberechnung/ - abgerufen am 03.06.2024. Die Uhrzeit ist Zeitzonen-bezogen einzugeben, für mich also als MEZ. Als „Haussystem“ wähle ich „Koch“, es macht (bei mir) nur einen Unterschied in den Größenverhältnissen des 1. und 2. Hauses, gegenüber Placidus. Und Skeptiker mögen dazu sagen, der manipulativen Möglichkeiten in der Astrologie seien unendliche: keine Wissenschaft, nichts, das Erkenntnis bringt, Humbug

Die genannte Website "Astroschmid.ch" gibt ein großes astrologisches Material an die Hand und scheint mir als Einstieg in die Astrologie gut geeignet. Über den (Dropdown-)Menüpunkt "Astro-Wissen" ist dieses abrufbar.

Ein paar Absätze weiter unten im Text benenne ich meine eigene Sonnenzeichen-Aszendent-Verbindung, wobei ich für die Deutung aus einem astrologischen Handbuch von Bernd A. Mertz zitiere. Über den Menüpunkt "4 x 144 Kombinationen" und Unterpunkt "Kombination Sternzeichen und Aszendent" und entsprechenden Unterpunkten kann man hier eine unabhängige Deutung einsehen.

Der Website-Betreiber, Herr Peter Schmid, hat sich einverstanden erklärt, dass ich auf seine Seite entsprechend verweise und verlinke, das dort im Impressum genannte Urheberrecht ist beachtet.

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Ich greife nur wenige Aspekte der „astrologischen Aspekte“ heraus, das Ganze kann ich ohnehin nicht angemessen durchgehen, als Dilettant und Laie, der ich bin.

Zuerst die Frage nach meiner Kraft, nach Mars. Er ist ins 9. Haus (Jupiters) gegangen, das auch für Philosophie und Religion steht. Welch eine Überraschung!? Zudem befindet er, Mars, sich im Zeichen der Fische, die für Gewaltfreiheit stehen, oder auch für stille Wirksamkeit, als sei zur Durchsetzung keinerlei Kraftaufwand erforderlich, jedenfalls keine Brachialgewalt. Jupiter, der für Ausgiebigkeit und Extension einer „Thematik“ steht, verweilt im selben Zeichen:

„Überhaupt ist die Hingabe eine Art Mission, so werden Beschränkungen in Kauf genommen. Großes Kunstgefühl, das vor allem die Grundstimmungen erfasst. Auch das Entfalten im Weiterleben ist hier symbolisiert [?], der Glaube an die himmlischen Bereiche.“

(S. 133, Bernd A. Mertz, Astrologie, „Falken-Handbuch“, Niedernhausen/Ta.: Falken-Verlag 1979, 4. neubearbeitete Auflage 1984, Fragezeichen v. Verf.)

Merkwürdig ist, dass dieser Mars keine Haupt-Aspekte (Verbindungen zu anderen Planeten oder Knotenpunkten im Horoskop) aufweist, was den Anschein hat, als würde diese Energie im Nichts verpuffen, also vergeudet werden (so auch der stete Vorwurf der Frau des Paketzustellers in Bezug auf seine Fähigkeiten), weil sie sich biographisch oder in der Gesamtpersönlichkeit keinerlei Geltung verschafft, keine sichtbaren Auswirkungen im Leben zeigt? - Meine subjektive Erklärung ist: Die Philosophie ist mein Steckenpferd, mein Spielbein, das zunächst einmal nur mich selbst etwas angeht. Zum Teilen oder Mitteilen bin ich hier erst einmal durchaus nicht gewillt, und der Leser weiß auch, warum, nämlich wegen der (peinlichen) „Richtungsstöße“, die strikt unter Verschluss gehalten sind, weil ich auch nicht gewillt bin, mich als Träumer oder Phantast oder noch Schlimmeres abstempeln zu lassen. Ich will hier einfach keine Einmischung von außen haben, und wenn keiner etwas weiß, dann kann sich auch keiner einmischen, und so kann sich die stille, aber beharrlich-unermüdlich-unerbittliche Erkenntnis-Maschinerie des Neuntes-Haus-Marses frei und in jede Richtung entfalten.

Als Gegenbild oder Gegendarstellung will ich hier noch eine Mars-Beschreibung des Anthroposophen vorstellen, vor allem auch, um zu zeigen, dass ich hier wirklich Laie und Stümper bin, der keine tiefere Kenntnis besitzt, nur ein bisschen Astrologisches aufgeschnappt hat. Seine Planetencharakterisierungen sind intuitiv (= höchste von drei Erkenntnisstufen der „Einweihung“: imaginativ – inspirativ – intuitiv), er kann die Geistsphären also unmittelbar wahrnehmen, braucht kein „rationales Schlussverfahren“ oder mühevolles Kombinieren. Und, um die Verwirrung perfekt zu machen: Das, was er über Mars aussagt, dachte ich, wird üblicherweise eher dem Merkur (und dritten Haus) zugeschrieben: seine Fühler überall hin ausstreckend und dann darüber redend, was er hier und dort im Universum wahrgenommen hat, also das Journalistisch-Kommunikative:

„Gehen wir dann zum Mars über …, so haben wir in dem Mars den Planeten, den man eigentlich … den vielsprechenden Planeten in unserem Planetensystem nennen kann. Er ist derjenige, … der eigentlich alles, was ihm zugänglich ist im Universum … immer ausplaudert. Er ist der geschwätzigste Planet in unserem Planetensystem, er erzählt immer. … Seine Geister stehen immer auf der Wacht, was sich da und dort in dem Universum darbietet, und dann reden sie davon mit einer großen Hingabe und mit einer großen Verve. Er ist derjenige, der in der mannigfaltigsten Weise im Verlaufe der Menschheitsentwicklung die Menschen anregt, Aussagen zu machen über die Weltengeheimnisse. … Er ist – in einem gewissen Sinne kann man das sagen – der Agitator des Weltalls zu nennen. Er will überreden, während der Jupiter nur überzeugen will.“

(Rudolf Steiner, Mensch und Sterne. Planeten- und Tierkreisentsprechungen in Mensch und Erde, Themen aus dem Gesamtwerk 16, Verlag Freies Geistesleben Stuttgart, Neuausgabe, 3. Aufl. 2006, S. 182f; Zitat aus dem Vortrag „Schicksalbestimmende und menschenbefreiende Planeten“, Dornach 27. Juli 1923, enthalten in: GA 228 „Initiationswissenschaft und Sternenerkenntnis“, darin der erste Vortrag Dornach 27. Juli 1923, S.17f. - https://steiner.wiki/GA_228)

Diese Textwiedergabe des Bandes GA 228 "Initiationswissenschaft und Sternenerkenntnis" der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (deren Herausgabe der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung obliegt) basiert auf der Werkbearbeitung einer älteren Ausgabe dieses Bandes GA 228 (externer Link: https://steiner.wiki/GA_228), durch die freie Literaturdatenbank SteinerWiki (externer Link: https://steiner.wiki/Hauptseite), zum Zwecke der kostenfreien Zugänglichmachung des Werkes Rudolf Steiners, und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In SteinerWiki ist eine entsprechende Liste der Werkbearbeiter zu GA 228 verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Näheres zur kostenfreien Zugänglichmachung vgl. unter "Unser Anliegen" auf der SeinerWiki-Hauptseite, GA 228 abgegriffen am 29.03.2024.

Wenn der Anthroposoph Mars einen „Agitator“ nennt, so wohl deshalb, weil er in seinem Tun den Klugheitsgrundsatz „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ beständig ignoriert; abgebildet auch im Tratschen Zweier über Dritte, wodurch sich leicht „böses Blut“ ergibt; vor allem auch in der „Schlagzeile“, als der „Goldgrube des Journalismus“, die immer stets bemüht ist, „das zu Verschweigende direkt preiszugeben“ – um dann genüsslich abzuwarten, was in der Öffentlichkeit weiter passieren wird.

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Das Geburtshoroskop weist dennoch eine „Urenergie“ auf, die allerdings nicht direkt bei Mars zu finden ist, aber immerhin in seinem Zeichen (Widder) und in seinem Haus (1). Sie besteht als eine Doppelfeuer-Kraftkonstellation, so will ich sie nennen, in den Zeichen Widder und Löwe, wobei Widder-Sonne und -Merkur in Konjunktion im 10. Haus (des gesellschaftlichen, beruflichen Bereiches) stehen, und Löwe-Mond und -Uranus in Konjunktion im 1. Haus (der eigentlichen Persönlichkeit und des Aszendenten). Löwe-Aszendent mit Widder-Sonne – was soll das nun sein? Ich lese nach:

„Im Aufstellen eines Schlachtplans sind sie erste Klasse… Wenn dann die Fanfare ertönt, sind sie auch die ersten, die marschieren.“ (Mertz 177)

Das soll auf mich zutreffen? Die beiden Planetenpaare sind trigonal miteinander verbunden, können also gut miteinander zusammenwirken. Bedenklich scheint mir Uranus, der hier ins Zentrum der Persönlichkeit gesetzt ist, direkt verbunden mit den ersten drei persönlichen Planeten Sonne, Mond, Merkur. Er ist eine transpersonale Umwälzungskraft, die individuell niemals zu beherrschen ist. Was passiert mit einem Menschen, der diese Explosivität ins Zentrum seiner Persönlichkeit hineinversetzt bekommt? Kann er sie verbergen oder muss er sie …herauslassen? Und: Wirbelt sie ihn dann einfach willkürlich mit sich fort? - Wobei wir eine Frage nicht vergessen sollten: Wessen Willkür wirbelt hier, und was ist ihr am menschlichen Individuum gelegen? Lessing spricht in seiner EdM von einem „wechselseitigen Dienst“ (§ 36f), und der Anthroposoph charakterisiert das Handeln des Erzengels Michael folgendermaßen:

„Michael will, dass der Mensch ein freies Wesen ist, das in seinen Begriffen und Ideen auch einsieht, was ihm als Offenbarung von den geistigen Welten aus wird.“
(GA 240, Zweiter Vortrag Arnheim vom 19. Juli 1924, S. 41 Mitte, externer Link: https://steiner.wiki/GA_240#ZWEITER_VORTRAG_Arnheim,_19._Juli_1924).

Diese Textwiedergabe des Bandes GA 240 "Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge Bd. 6" der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (deren Herausgabe der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung obliegt) basiert auf der Werkbearbeitung einer älteren Ausgabe dieses Bandes GA 240 (externer Link: https://steiner.wiki/GA_240), durch die freie Literaturdatenbank SteinerWiki (externer Link: https://steiner.wiki/Hauptseite), zum Zwecke der kostenfreien Zugänglichmachung des Werkes Rudolf Steiners, und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In SteinerWiki ist eine entsprechende Liste der Werkbearbeiter zu GA 240 verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Näheres zur kostenfreien Zugänglichmachung vgl. unter "Unser Anliegen" auf der SeinerWiki-Hauptseite, GA 240 abgegriffen am 29.03.2024.

Diese Formulierung des Anthroposophen zeigt, dass sein „Erkenntniskanal“ hier nicht die Ratio ist, die wir gegenwärtig als einzigen Kanal verstehen resp. akzeptieren, sondern ein anderer, den er in seiner Andersheit kenntlich machen will, um: zu uns „herunterübersetzen“ zu können. Offenbar besteht ein Unterschied zwischen dem „Offenbarungsstrom“ aus der geistigen Welt und demjenigen, was der Mensch sich daraus „herunterübersetzt“ und „begrifflich zurechtlegt“, so dass prinzipiell die Möglichkeit besteht, der Mensch könne die Offenbarung als solche auch einfach hinnehmen und seine eigene Vernunft außen vorlassen? Michael will dies aber offensichtlich nicht. Er will, dass sich der Mensch intellektuell-erkennend plausibel macht (wie es seinem Dasein als animal rationale nun einmal entspricht), dass das, was er empfängt, tatsächlich auch „vernünftig“ (nach irdischen Kategorien) ist. Es soll ein Gleichklang da sein zwischen irdischer Rationalität und himmlischer Spiritualität. Hier wird ein „wechselseitiger Dienst“ erkennbar.

Weiter. Wenn wir zunächst auf den Mond blicken, so verrät uns dieser Einiges über die Befindlichkeiten des Horoskopeigners. Mond im Löwen – ein zur Schau getragenes Gefühlsleben (Mertz 116). Aha, ein Schauspieler, der Theatralik liebt und sich gerne in Szene setzt, der also, falls er von seiner eigenen „Schwächlichkeit“ reden sollte, besser nicht so ganz ernst zu nehmen ist. Denn solches Verhalten passt laut Horoskop nicht zu seiner psychischen Grundkonstitution, schon eher:

„Das innere Selbstbewusstsein ist sehr ausgeprägt. Herrschen ist eine tiefe Selbstverständlichkeit. ... Durch ein gutes Darstellungsvermögen der eigenen Person braucht man kaum jemanden, mit dem man sich wirklich ehrlich ausspricht, so erspart man sich Freunde.“ (ebd. = Mertz 116)

Mond-Uranus ist nun freilich schon ziemlich heikel, zeigt aber, dass die Stimmungslage etwas wie einen Ein- und Ausschaltknopf besitzt (dessen „Bedienung“ allerdings erst einmal erlernt werden muss): Bevor man sich in einer Emotion verliert, sich darin festfährt, aktiviert Uranus seine Lösekraft und sagt „Stopp! Jetzt aber wieder heraus da!“ …wenn dieses seelische Jonglieren, diese psychische Gratwanderung nur mal individuell-persönlich gut geht!… Wir können hier auf Kleist sehen, für den Kants Erscheinungs-Philosophie (= "Wir fischen im Trüben und können zur Wirklichkeit selbst niemals durchdringen") nicht unbedingt die Lebenskatastrophe gewesen sein muss, aber vielleicht dann doch zum schwergewichtigen, fatalen, ausschlaggebenden Tropfen wurde… Es kann wohl nicht jeder Mensch unter einer Mond-Uranus-Konjunktion geboren werden (und diese Konstellation muss auch nicht unbedingt einen guten Verlauf nehmen und Ausgang finden).

Der Tierkreiszeichen sind 12, auch der Häuser, und wenn wir allein Aszendent und Sonnenzeichen berücksichtigen, so ergeben sich 144 Grundkonstellationen für Menschen, die alle gelebt werden sollen oder müssen, weil sie alle zum kosmischen Sein gehören. Dann kommen noch die 10 Planeten dazu (ohne Erde, mit Sonne), und die Mannigfaltigkeit der Aspekte, und wenn man alles durchlaufen haben will, um ein „runder Mensch“ werden zu können, dann weiß ich nicht, wie viele Leben es braucht…

Widder-Merkur gibt ein schnelles Denkvermögen, eine scharfe Beobachtungsgabe, legt die Schwächen Anderer bloß und lebt sich in einer großen Kritiklust aus (Mertz 119).

Merkur-Trigon-Uranus:

Diesen Aspekt möchte ich eingehender ausführen, indem ich noch einen weiteren Astrologen heranziehe (Michael Roscher, Astrologische Aspektlehre, 1997 Droemersche Verlagsanstalt, Th. Knaur Nachf. München), auch um zu zeigen, dass die Astrologen ihr Wissen durch Kenntnisnahme von Menschen in Verbindung mit ihren Geburtshoroskopen erwerben:

„Diese Konstellation ist ein deutlicher Hinweis auf die Fähigkeit, in intellektueller und praktischer Hinsicht eigenständige Wege zu beschreiten. Ihrem persönlichen Umfeld und auch der Öffentlichkeit präsentieren sich die Nativen in einer Weise, dass ihnen gerne ein Sonderstatus zugebilligt wird, ohne dass sie sich sonderlich darum bemühen müssten.

Häufig wirken sie auf eine eigenartig unpersönliche Art und Weise attraktiv. Dies hängt mit ihrer unbewussten Fähigkeit zusammen aufzufallen, ohne dass der Beobachter so ohne weiteres sagen könnte, was denn nun eigentlich ihre Aufmerksamkeit erregt hätte. So findet sich dieser Aspekt zum Beispiel bei beliebten Schauspielerinnen, denen eine außergewöhnliche Attraktivität bescheinigt wird, ohne dass dies auf den ersten Blick erkennbar wäre. Dies gilt gleichermaßen für manche männliche Schauspieler.

Da dieser Aspekt ebenso auf ein besonders gutes Koordinationsvermögen hinweisen kann, findet er sich auch in den Horoskopen von Tänzern, Eiskunstläufern, Choreographen und Dirigenten.

In manchen Fällen macht sich ein deutliches sprachliches Talent bemerkbar, insbesondere wenn es darum geht, provokante Inhalte möglichst elegant zu vermitteln. Dies zeigt sich in den Horoskopen von Rednern und Schriftstellern.

Die zahlreichen konkreten beruflichen Entsprechungen wurden genannt, da in der gängigen astrologischen Literatur insbesondere die harmonischen Merkur-Uranus-Verbindungen oft ein wenig unterbelichtet und nichtssagend behandelt werden. In Wirklichkeit scheint es sich hier um eine hochpotente Konstellation zu handeln, wie die genannten Beispiele darlegen.“ (Roscher 213)

Schlagwortartig kann man Merkur-Uranus nennen ein Freiwerden (Uranus) von Erkenntnis (Merkur), dadurch eben auch ein In-sich-Beweglich- und Gewandt werden: Der Philosoph geht durch die Irrtümer hindurch oder bewegt sich darum herum, der im Denken Ungeübte oder Unbewegliche bleibt in Irrtümern haften und sitzt darin fest. – Vielleicht lässt sich die oben genannte Außenwirkung dieses Aspektes so erklären, dass die Eigenkraft (Denken) von der im Anderen präsenten höheren Lösekraft atmosphärisch angenehm berührt wird, wobei dieser Andere seine Kräfte zwar gebrauchen, aber nicht beherrschen kann, daher „nichts dazu tut“. Eine solche („atmosphärische“) Erklärung liegt uns heute freilich fern, weil unser derzeitiges Wahrnehmen und Aufmerken ein ganz anderes ist. Wenn ich mich aber recht erinnere, erwähnt der Anthroposoph auch einmal, dass man in früheren Zeiten, beispielweise wohnend in einer Einöde, schon Tage vorher von einem anstehenden Besuch wusste, nicht durch Mitteilung, Kommunikation oder Besuchsankündigung, sondern weil man dieses Kommen als solches noch atmosphärisch wahrnehmen konnte.

Den Text-Nachweis muss ich hier schuldig bleiben, ein fotografisches Gedächtnis habe ich nicht, aber die Stelle lässt sich gewiss wiederfinden. Falls jemand sie weiß, teile er/sie sie mir bitte mit.

Ich finde Merkur-Uranus in der Astrologie-Literatur aber auch noch anders, schärfer formuliert, so, als stünde die menschliche Vernunft hier auf der Kippe, gerate an ihre absolute Grenze:

„Vernunft wird gebrochen oder durchbrochen. Diese beiden Personen treten an der Stelle auf, an der ein Leben auf Rationalität und Intellekt gegründet worden ist. Dieses sichere Fundament wird von Merkur – Uranus periodisch so sehr erschüttert, dass der Mensch an die Grenzen des Wahnsinns zu gelangen meint. Dem ist nicht so, aber schockiert steht die Vernunft dennoch da, als habe sie gerade einen Poltergeist gesehen. Die Vereinigung dieser beiden Personen ist dazu da, dass ich lerne, das Unglaubliche für möglich zu halten und die Rationalität zu begreifen, als das, was sie ist: eine nur mit Mühe aufrechtzuerhaltende Konstruktion.

Kommt leicht ins Stottern. Wo es nicht genial wird, wird es gern paranoid. (Manchmal wird es beides.)“

Vgl. S. 217, Peter Orban, Ingrid Zinnel, Drehbuch des Lebens. Eine Einführung in die esoterische Astrologie, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek/Hamburg 1990.

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Weiter.

Jupiter im 8. Haus setzt noch einen drauf: Grenzerfahrungen sollen ausgiebig gekostet sein, konkret: Suchen nach dem Lebenssinn, den Tod als Aufgabe sehen, Sterbehilfe, Erbschaftsverwaltung (Mertz 247). Aha! Hier liegt des Pudels Kern der spitzen Bemerkung über „Kant den Glaubwürdigen“, den anerkannten Sachverständigen und Erbschaftsverwalter der menschlichen Vernunft!

Venus im Stier: „Die Kontrolle über sich wird nie ganz aufgegeben, auch Liebe blüht erst voll auf, wenn sie in sich geborgen ruht.“ (Mertz 123) Venus in 10: Starke Anziehung in der Außenwelt, Gefühlsautorität [?] (Mertz 246, Fragezeichen v. Verf.).

Saturn im Wassermann: Ernsthaftigkeit gestellter Reformen, tiefer Sinn für weltverändernde Ideen, ernste soziale Verpflichtungen, Eintreten für echte Humanität. (Mertz 136)

Ich stelle noch ein paar Aussagen eines computererstellten Geburtshoroskopes daneben (angefertigt gänzlich ohne Kenntnis meiner Person), diesmal vorwiegend das Zusammenspiel der Planeten betreffend, zusätzlich noch die (individualisierende) Hausstellung der drei transpersonalen Planeten (Uranus, Neptun, Pluto), ihre Zeichenstellung ist aufgrund ihrer Verweildauer darin „jahrgängeweit“ relevant, also individuell weniger aussagekräftig.

Erstellt wurde es von Rainer Witulski am 25.11.1991, damals noch in 4400 Münster, der mir auch nicht persönlich bekannt ist. Im Internet ist er zu finden unter „Sterndaten“ - externer Link: https://sterndaten.de/index.html (Achtung: Es gibt auch eine alte http://-Seite, auf die man über Suchmaschinen geleitet werden kann). Das Textheft von 20 Seiten ist ein Unikat, so dass ich die Texte nicht unmittelbar nachweisen kann. Nach Rücksprache mit Herrn Witulski wäre es aber möglich, das Geburtshoroskop aus den entsprechenden Daten nochmals zusammenzustellen.

Sonne-Uranus, harmonisch [Trigon]:

„Mit diesem Aspekt gibt es ausgesprochene Individualisten, die sich eher für ungewöhnliche Konzepte und Ideen interessieren und in ihren Wertvorstellungen meist von der Norm abweichen. … Sie können sehr sprunghaft sein und lassen sich immer wieder von neuen Gedanken inspirieren. Dabei können Sie sich bisweilen in extreme Ansichten verrennen, denn oft ist es nicht gleich klar, welche Intuition sich als wahr herausstellen wird und welche als Irrtum.“ (Witulski 6)

Mond Konjunktion Uranus [in anderer Sichtung]:

„Sie haben eine starke Einfühlungsgabe für die Gefühle anderer, dadurch können Sie ein intuitives Verstehen der menschlichen Natur in ihrer ganzen Vielfalt entwickeln.“ (Witulski 7)

Venus-Neptun, herausfordernd [Opposition]:

„In Ihnen existiert das Bild einer wahrhaft göttlichen Verbindung, einer Beziehung, in der die Partner vollkommen verschmelzen und eins werden. Es ist klar, dass kein menschliches Gegenüber diese Sehnsucht erfüllen kann.“ (Witulski 10)

Jupiter-Uranus, herausfordernd [Opposition, allerdings weiter Orbis: siehe AstroWiki, siehe unterhalb]

„Hier verhelfen Ihnen Inspirationen und Intuitionen zu ungewöhnlichen Erkenntnissen, die aber oft von anderen nicht nachvollzogen werden können. So sind Sie möglicherweise im Bereich des Geistes ein einsamer Wanderer. … Die Herausforderung an Sie liegt darin, bei allen Intuitionen und Inspirationen nicht den Bezug zu den sich ständig verändernden realen Verhältnissen zu verlieren, damit Sie nicht während Ihrer geistigen Höhenflüge im Alltag Schiffbruch erleiden.“ (Witulski 13)

Anmerkungen zu Astro-Wiki: Dieser Text basiert auf dem Artikel "Orbis" (externer Link: https://www.astro.com/astrowiki/de/Orbis) aus der freien Astrologie-Enzyklopädie "Astro-Wiki" (Astrodienst Astrowiki - externer Link: https://www.astro.com/astrowiki/de/Hauptseite) und steht unter der Lizenz " CC BY-NC 2.5 CH Deed" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.5/ch/). In Astro-Wiki ist eine Liste der Autoren des Artikels "Orbis" verfügbar (Astrodienst Astrowiki-Bearbeiter), dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum des Artikels: 23.03.2024, 06:05 Uhr UTC.

Jupiter-Pluto, herausfordernd [Opposition]:

„Sie können einfache Wahrheiten und vordergründige Heilsbotschaften schnell durchschauen, denn Sie haben ein gutes Gespür für alles Verborgene. Sie wissen, dass je mehr Licht irgendwo ist, desto größer und dunkler der Schatten sein muss, und Sie sind der Mensch, der entdeckt, was im Schatten liegt und versucht, es ans Licht zu ziehen.“ (Witulski 13f)

Saturn-Neptun, herausfordernd [Quadrat]:

„Sie haben mit diesem Aspekt die Möglichkeit, Ihre Träume und Phantasien zu verwirklichen, und sie in der physischen Realität in Erscheinung treten zu lassen. Sie haben einen ungewöhnlichen Charme und können eine geradezu hypnotische Macht entwickeln, die es Ihnen ermöglicht, das schier Unmögliche wahr werden zu lassen.“ (Witulski 15)

Uranus im 2. Haus [Hausspitze 2 -> Deutung in 2]:

„Mit dieser Stellung kann der Bereich der persönlichen Sicherheit Schwankungen oder grundlegenden Umstrukturierungen unterworfen sein, die es von Ihnen verlangen, dass Sie sich grundsätzlich neu orientieren.“ (Witulski 16)

Neptun im 4. Haus:

„Mit Neptun im 4. Haus fällt es Ihnen wahrscheinlich schwer, Ihre seelische Verfassung klar zu erkennen und zu benennen. Sie sind sehr empfindlich und sensitiv in Bezug auf die atmosphärischen Einflüsse, die Sie umgeben. … Mit dieser Hausstellung Neptuns kann Ihnen das eigene Zuhause während Ihrer Kindheit verklärt schön in Erinnerung sein… Was Sie Ihr Leben lang begleiten wird ist Ihr besonderes Verhältnis zu Ihren Traumwelten und dem Unbewussten.“ (Witulski 17)

Pluto im 2. Haus:

„Mit dieser Hausstellung Plutos sollte man sich nicht mit Materiellem identifizieren… In jedem Fall können Sie gut zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem unterscheiden und aus scheinbar Wertlosem etwas Wertvolles machen.“ (Witulski 18)

Genug der Seelentrunkenheit. Wir wollen die Astrologie lieber wieder rechtzeitig verlassen. Denn man kann sich auch hoffnungslos in ihr verlieren, indem man zunehmend öfters fragt: „Wie stehen jetzt die Sterne? Und jetzt? Und jetzt?“ Man verliert seine eigene natürliche Lebensunmittelbarkeit und richtet sich zuletzt immer mehr nach einem „Äußeren“, das man ohnehin nur unzureichend deuten wird, nicht mehr nach dem „Inneren“, obgleich dies doch die Behauptung der Astrologie ist: Die kosmischen Kräfte sind ins Individuum eingezogen, innerlich abgebildet und aus ihm heraus wirksam. So gesehen wäre es auch besser, zuerst eine Handlung vorzunehmen und erst im Nachhinein sich die aktuelle Kräftekonstellation anzuschauen, um ein Gespür für die innerlichen Kräfte als solche zu bekommen und sie in sich verifizieren zu können. Vielleicht gilt also auch hier wieder, dass wir eine entsprechende Sensibilität zur Kräftewahrnehmung erst noch zu entwickeln haben, und nur, weil wir sie noch nicht haben, fragen wir (äußerlich): „Wie stehen jetzt die Sterne? Wie verhalte ich mich am besten?“ – Sollte man nicht besser aus sich selbst heraus wissen, wie man sich am besten verhält, anstatt jemand anderen zu befragen, und sei es ein himmlisches, astrologisches „Orakel“?

18. Offene Frage

Die Narrenfrage ist ungeklärt geblieben, und ich will diese Offenheit aushalten.

Muss denn überhaupt jede offene Frage beantwortet werden? – „Ja, das muss sie.“ – „Warum?“ – „Weil sie nicht offengelassen werden kann.“ - Wie? War das jetzt eine Antwort oder vielmehr eine Nichtantwort, eine Tautologie?

Was passiert bei der Beantwortung einer Frage? Es passiert das Gegenteil dessen, was bei ihrem Aufwerfen geschieht. Im Aufwerfen ist ein Zweifel da, eine Unklarheit, Unentschiedenheit, Offenheit, die ohne die Fragestellung selbst nicht oder niemals existieren würde. Und in der Beantwortung scheint sich die Klärung, Vergewisserung, Lösung der Offenheit zu ereignen.

Also ist das Fragenstellen eine Art Korrekturverfahren? "Wenn ihr ein Wissen (oder vermeintliches Wissen) zugrunde liegt – ja. Liegt ihr hingegen ein Nichtwissen zugrunde, dann zunächst einmal – nein."

Wie es scheint, sind wir nun bei unserer Anfangsunterscheidung, in der Einleitung angelangt, und es steht zu befürchten, dass wir uns ab jetzt im Kreis drehen werden. - Aber bringen wir die jetzige Fragestellung erst noch zu Ende.

Denn sekundär oder später oder nach einiger Zeit ist nämlich aus dem zunächst gegebenen Nichtwissen tatsächlich ein Wissen geworden. Dies ist ja die Vorgehensweise und der Inhalt unserer Wissenschaften. Und jetzt wird das Fragenstellen auch hier zu einem möglichen Korrekturverfahren, mit dem kleinen Unterschied, dass es hier deutlich schwerer geworden ist, nochmals ein Fragen, ein Zweifeln anzusetzen, denn dieser Wissenserwerb war schon unsere bewusste Tätigkeit, und ein bewusstes, logisch-schlüssiges Handeln hinterfragt man in der Regel nicht mehr.

Trotzdem hatten wir in der Einleitung gesehen, dass die Philosophie gut daran tue, auch das Wissen unserer Wissenschaften nochmals oder wieder zu hinterfragen, und die Wissenschaften täten umgekehrt gut daran, diese Infragestellung ihres Wissens resp. ihrer selbst sich nicht nur gefallen zu lassen, sondern mitzumachen.

Und wir hatten festgestellt, dass es eine Grund- und Hauptfrage gebe, die die Philosophie stellt, nämlich diejenige nach der menschlichen Existenz, die trotz der enormen Anstrengungen und auch Erfolge unserer Wissenschaften einfach offengeblieben ist…!?

Wie konnte und kann so etwas passieren?

Und jetzt können wir vermuten, dass die Antwort darin besteht, dass das Fragen selbst falsch gestellt worden ist, so dass die resultierenden Antworten gar nicht das waren, was sie sein sollten, sondern Nichtantworten gewesen sind, die wir nur fälschlich als Echtantworten hinnahmen?

Ein Beispiel: Der lichtelektrische oder Photoeffekt ist zweifellos eine wissenschaftliche Fragestellung, die auch zu wissenschaftlichen Antworten führte. Und wir wollen jetzt die ostinate Frage der Philosophie ansetzen: „Und was hat das mit unserer Existenz zu tun?“ Die richtige Antwort lautet wohl: Es hat schon irgendwie etwas mit ihr zu tun, aber die Frage selbst, die nach unserer Existenz, beantwortet sie nicht und kann sie auch nicht beantworten. - D.h. dann: Das ursprüngliche Fragen ist (wissenschaftlich) abgelenkt worden zu anderen Fragestellungen, nämlich den vielfältigen Gegenständen unserer Wissenschaften. Prinzipiell ist das in Ordnung, wenn hierbei die ursprüngliche Fragestellung nicht aus dem Auge verloren wird, so dass die Metafragen und Metaantworten auch wieder zurückbezogen werden auf die ursprüngliche Fragestellung, um die es doch – eigentlich – geht, nicht unbedingt den „Wissenschaftlern“, aber doch wohl den „Menschen“?

Wir sehen also, dass in unserer Wissenschaftsgeschichte selbst genau das passierte, was nicht passieren soll: Eine offene Frage nicht offenzuhalten, solange, bis sie angemessen und richtig beantwortet ist.

Wir setzen also nochmals oben an: Im Aufwerfen einer Frage entsteht eine Offenheit, die in der Beantwortung der Frage wieder geschlossen wird. Und wenn wir diese Methodik auf die Grundfrage der Philosophie anwenden, nämlich die Fraglichkeit und damit Offenheit der menschlichen Existenz, so können wir leicht zu der Ansicht kommen, dass der Mensch sozusagen ein „Weltmeister im Antwort geben und Schließen“ ist, während er im „Fragen resp. Offenhalten der Fragen“ eher das Gegenteil zu sein scheint: ein „Anfänger und Stümper“, der unkonzentriert ist und bei seiner Sache nicht bleiben kann.

Deshalb stellten wir in der Einleitung fest, dass sowohl der Common Sense als auch unsere Wissenschaften die Frage der Philosophie voreilig schließen, entweder im schlichten Meinen (Common Sense) oder im kritisch reflektierten Meinen (Wissenschaften), indem man Kant zustimmt und im Bereich des Weltanschaulichen ein Zur-Wahrheit-kommen-Können für ausgeschlossen erklärt, so dass hier das Meinen erlaubt und richtig ist, sozusagen kantisch-wissenschaftlich erwiesen.

Die Frage der Philosophie wäre also möglichst lange offenzuhalten, damit sie nicht vorschnell in einem Fehlschluss geschlossen wird (was in Politik und praktischem Leben ganz anders ist). Die Philosophie muss sich in der Kunst des Offenhaltens üben, was wir bereits „Urteilsverzögerung“ genannt haben.

Und schon wieder scheint es, als würden wir auf der Stelle treten, weil laufend Dinge wiederholt werden, die bereits besprochen und erkannt sind.

Fragen wir deshalb nach dem Zeitfaktor: Wie lange denn soll die Frage der Philosophie, die menschliche Existenz, offengehalten werden? Und wir können antworten: Solange, bis sie in sich selbst aufgehen wird, wobei diese Antwort aus Sicht des Materialismus nicht akzeptabel ist, weil sie als willkürlich oder erfunden oder bloß sprachlogisch erscheint. Aber aus Sicht des Spiritualismus erscheint sie nicht nur plausibel, sondern sogar logisch zwingend. Denn es ist der Geist (in der Erscheinungsform des Menschen), der die Frage nach sich selbst stellt. Und solange dieser Geist sich selbst als Materiewesen betrachtet, kann er nicht aufgehen. Fängt er aber an, sich als Geistwesen zu sehen, als Geist vom Geist, so wird er aufgehen können, nämlich hinauf in die Gemeinschaft seinesgleichen, das ist die Geistwelt, aus welcher er in tief vergessenen Urzeiten auch einstmals ins Irdische heruntergestiegen war (so ist spiritualistisch zu vermuten).

Philosophie und Wissenschaft sind deshalb, weil der Mensch ein Geistwesen ist. Und es sind ja auch die geistig Interessierten unter den Menschen, die sich zur Wissenschaft, zur Suche nach der Wahrheit versammelt haben, wobei wir all diejenigen, die in anderen Berufen tätig, aber trotzdem wissenschaftlich interessiert sind, mit zu dieser Versammlung rechnen können. Selbst ein tief materialistisch überzeugter Naturwissenschaftler geht dieser seiner Tätigkeit deshalb nach, weil er ein Geistwesen ist und weil der Geist aus sich selbst heraus die Frage nach sich selbst aufwirft, die in der materialistischen Naturwissenschaft lediglich von sich abgelenkt ist. Und wäre nun der Naturwissenschaftler beispielsweise ein Materialismus-Fanatiker, der einen Widerwillen oder gar Hass gegen den Geist entwickelt hätte, so müsste man ihm sagen: „Sei konsequent, und hör auf zu wissenschaften. Denn die Wissenschaft ist Sache des Geistes, nicht der Materie.“ Und deshalb wird die Wissenschaft auch aufgehen, weil sie des Geistes ist.

Die Bibel formuliert lapidar:

„...suchet, so werdet ihr finden;...“ (Lk. 11,9),

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Lukas11, abgerufen am 19.06.2024.

oder noch kürzer:

"...wer sucht, der findet..." (Mt. 7,8)

Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Matth%C3%A4us7, abgerufen am 19.06.2024.

Und wer mit dem, worauf die Bibel abzweckt, nicht vertraut ist, möchte zurückfragen: „Warum sprichst du mir in Rätseln? Was soll ich denn suchen?“ Und die Antwort darauf ist spätestens seit dem Delphischen Orakel bekannt: „Mensch, erkenne dich selbst!“ Und wer beides für Unsinn erklärt, hat eben lediglich die Frage der Existenz, die er als Mensch konstitutiv ist, noch nicht tief und ernsthaft genug aufgeworfen. Wirft man sie aber auf, so versteht sich das Suchen, das Streben nach Erkenntnis – die Wissenschaft und Philosophie.

Man muss daher klar sehen können: Das biblisch-christliche "Wer sucht, der findet" geht konform mit dem antik-heidnischen "Erkenne dich selbst". Und so können wir philosophisch feststellen: Die Philosophie, sofern sie richtig (= geistig-spirituell orientiert) betrieben wird, hält sich durch alle Zeiten durch, und der Bibel ist das (rechte) philosophische Suchen willkommen (vgl. 2 Thess. 2,10).

Und jetzt möchte ich doch noch einmal auf Kants Unterscheidung einer theoretischen und praktischen Vernunft zurückkommen. Denn das Fragen der Philosophie und Wissenschaft ist eine Angelegenheit des Denkens. Das Denken ist aber ein Anderes als die Wirklichkeit selbst. Und bliebe nun der Geist bei seinem Fragen und Problemlösen in der Form des Denkens bestehen (nehmen wir als Repräsentanten hierfür die Hegelsche Philosophie), so wäre dies bestenfalls ein theoretisches Aufgegangen sein, aber kein richtiges, kein praktisches, in welchem der Geist selbst in die allgemeine Geistwirklichkeit hineingeht.

Von einem solchen, echten Hineingehen scheint mir aber die Bibel zu sprechen, und deshalb muss ein Pfingsterlebnis, in welchem der Geist in seinem Wirken auch leiblich spürbar und greifbar wird, nicht nur einzelnen Individuen möglich werden, sondern dann auch für ganze Menschengemeinschaften zwingend erfolgen, früher oder später, als praktisches, lebenspraktisches, wirkliches Aufgehen des Spiritualismus.

Insofern kann der existenziellen Offenheit der Philosophie nur ein Schlussverfahren der Geistwirklichkeit selbst entsprechen, und nicht wir sind es, die die Antwort geben, sondern der Geist selbst in seiner – auf uns zukommenden - Wirklichkeit. Erst dann wird man sagen können: Hegel hat Recht gehabt, und sein Denken des Geistes enthält tatsächlich schon die Wirklichkeit in sich, wenngleich erst nur hegelisch vorweggenommen.

Und aus diesem Grund will und muss ich auch meine Narrenfrage offenhalten, solange, bis sie „in sich selbst“ aufgehoben werden wird. Und wenn sie das nicht wird, so muss ich wohl Narr bleiben. Und in diesem Narr-bleiben-müssen kann ich mir den „wechselseitigen Dienst“ dann noch weiterspinnen: Wenn ich mit meiner Ratio die Wirklichkeit des Geistes in Worte banne, ist es dann nicht eine notwendige, unverzichtbare, sozusagen von mir herausgeforderte Sachangelegenheit dieses Geistes selbst, nun auch mein Wort als seine Wirklichkeit zu erweisen?

Ich hänge in der Luft. Und deshalb sei mein „leibliches Erfahrungsfaktum“ zunächst einmal als Nichtargument angesetzt, als Ausnahme innerhalb einer (scheinbar gültigen) Materialismus-Regel. Und nur dann, wenn eine spiritualistische Weltauffassung - unabhängig vom Vorliegen meiner individuellen, subjektiven Leiberfahrung - eine rationale und durchgängige Stringenz ergibt, die die Sinnhaftigkeit und Logizität des Materialismus weit in den Schatten zu stellen vermag, will ich mein leibliches Erfahrungsfaktum (inkl. der sonstigen Lebens-Mosaik-Steinchen oder Wirklichkeits-Puzzle-Teile) als brauchbares Argument unter brauchbaren Argumenten anerkennen, als Glied in der Schlussfolgerungskette jenes von mir gesuchten Spiritualismus. Und dann erwiese Letzterer sogar zugleich eine doppelte Überlegenheit, nämlich durch seine doppelte Folge-Richtigkeit, nicht nur im (logischen) Denken, sondern auch im (christlichen) Leben. Ja, und dann nehme ich meine "unzeitgemäße oder Ausnahme-Erfahrung" schlicht als Masche auf und werde den Reißverschluss des Spiritualismus oder der Heilsgeschichte dann halt einfach zuziehen…

ZWISCHENÜBERBLICK A-G

A. EINLEITUNG

1. Braucht die Philosophie auch eine Wissenschaftsform oder sollten vielmehr unsere Wissenschaften sich zur Philosophie reformieren?

a) Die Wissenschaften haben die Philosophie überholt
b) Das unüberholbare existenzielle Wesen der Philosophie
c) Die Philosophie überholt die in ihrem Fachwissen unbeweglichen Wissenschaften wieder

2. Thema und Methodik dieses Textes

a) Vergegenständlichung unseres modernen Selbstverständnisses in der Philosophie
b) Philosophische Umformung unseres Selbstverständnisses im terminologischen Thema-Durchlauf

B. MODERNE

3. Warum überblicken wir unsere eigene Geschichte nicht?

a) Europäische Geschichtseinteilung und Raumeroberung des gemeinsamen Globus
b) Halbheit unserer Geschichtserkenntnis und subjektive Gegenwarts-Monopolisierung
c) Gibt es die „Gegenwart“ schon immer?

C. ALTES SEIN

4. Sind wir in unsere eigene Geschichte geistesgeschichtlich erst eingetreten?

a) Die Philosophie entspringt als Verlustausgleich einer Defizitentwicklung
b) Sokrates ist die geistesgeschichtliche Schnittstelle zwischen Sophia und Philo-Sophia
c) Inhalt der altgriechischen Naturbetrachtung: Das Erwachen des Europäers zum Mit-Sein
d) Mit Sokrates zieht der Logos als (Nicht-)Wissen in den Menschen ein
e) Die Vorsokratiker nehmen sich selbst inmitten des Ewigkeitshorizontes wahr
f) Der Europäer beginnt, sich als „kleine Ewigkeit“ aus der „großen Ewigkeit“ herauszulösen

D. GEGENWART

5. „Gegenwart“ ist die Sammlung menschlicher Individuen in ihr gemeinsames, menschheitsgeschichtliches Wesen

a) Terminologisch gesehen ist „Gegenwart“ kein Warten und kein Ausschau halten
b) Der Geschichtsstau zeigt unsere historische Anthropozentrik und immer noch fehlende zeitliche Objektivität oder Selbstrelativierung an
c) Das „Gegen“ der Gegenwart ist die Bewegung der Geschichte
d) Liegen auch den Naturdingen Ideen zugrunde?
e) Ist das Auffinden der „Idee unserer selbst“ ein Ereignis unserer Geistesgeschichte?
f) Das „Wart“ der Gegenwart ist unser Gewahr werden unseres geschichtlichen Bewegt werdens

6. Mit der „Gegenwart“ sind wir ins Zentrum der Seinsveränderung gelangt

a) Ist das Ich eine Konstante oder eine Variable?
b) „Zukunft“ und „Vergangenheit“ sind Außenansichten werdender oder gewesener Ich-Gegenwart
c) „Gegenwart“ ist die „kleine Ewigkeit“ des Ich, die sich in die universale „Anderswerdung“ schwer hineinfindet

E. ANGENOMMENE MISERE-SITUATION

7. Wir müssen unsere prekäre Geistessituation in der Gegenwart sehen wollen

a) Einleitend: Gehen lernen im Geiste
b) Warum denn „Misere“?
c) Wir müssen unsere Misere „annehmen“, um sie „denken“ zu können

8. Beruht unsere Isolationssituation auf einer kosmischen Interaktion mit uns?

a) Wir haben zwei kosmische Denkmodelle, wobei unsere Aufzählung falsch ist
b) Zur methodischen Erinnerung
c) Kann eine Verkehrung des Seins spiritualistisch gesehen Sinn machen?

F. UNSER

9. Warum lebt die Menschheit nicht in ihrer Idee?

a) Wir sind noch gar kein Wir geworden
b) Ist „die Menschheit“ eine Idee, die die Individuen aus sich heraus erst noch zu gebären haben?

10. Sind wir werdende Geistwesen mit noch schlechter Selbstwahrnehmung?

a) Der Geisteswissenschaftler sieht, was der Naturwissenschaftler übersieht
b) Gründet unser Eindruck der Nichtexistenz der Geistwelt im vergessenen „Kali-Yuga“?
c) Ist die Geisteswissenschaft die unbedarfte Stiefschwester der im Leben stehenden Naturwissenschaft?

11. Liegt eine „Idee unserer selbst“ in uns, die wir annehmen müssen und zugleich nicht können?

a) Die Vergänglichkeit des Seins und unser Wille zu bleiben
b) Ist unser Lebenswille unvernünftig?
c) Wir haben eine doppelte, in sich zweifelhafte Wirklichkeitsausrichtung

12. In der Philosophie ist der Tod methodisch in Kauf zu nehmen

a) Kann der Wahrheitswille den Zweifel des Lebenswillens ent-scheiden?

13. In der Religion wird Gott vom Menschen nicht sein gelassen

a) Ist Gott nur eine anthropozentrische Rolle und Hilfsfunktion?
b) Religion ist das Unvermögen, den Lebenswillen mit der Vernunft zu durchdringen
c) Ist Gott absichtlich in seine Nichtexistenz, in den „Wirklichkeits-Anschein“ verschwunden?
d) Anmerkung: Wie die Bibel gelesen werden muss
e) Was hat Gott sich bei seiner Schöpfung gedacht?

G. NEUE WAHRNEHMUNG

14. Zu meiner Person

15. Zu meinem Denken

a) Ursachen oben: Das Gestoßen werden meines Denkens - Einschläge des Außerirdischen

a1) Richtungsstoß 1: Ein Schlüsselerlebnis mit einem Schlüssel (im Vorschulalter)

a2) Richtungsstoß 2: Eine Präexistenz-Erinnerung mit einer himmlisch-irdischen Auftragserteilung (im begonnenen Grundschulalter)

a3) Richtungsstoß 3: Neue Leiberfahrung durch Strömungsbewegungen (seit den ersten Studienjahren)

b) Wirkungen unten: Mein Denken in Richtung Vergeistigung des menschlichen Lebens

b1) Ein neuer Blick in die Bibel: Relative Gültigkeit des Wortes Gottes?

b2) Noch ein neuer Blick in die Bibel: Biblisches Hinaufhören und In-Sein führt in die Geistwelt

16. Zum Wissenschaftskriterium der Nachprüfbarkeit

17. Rechenprobe „Geburtshoroskop“: Nachweis einer kontinuierlichen Verbindung des Unten mit dem Oben?

18. Offene Frage