ABC-Versuch einer neuen Wahrnehmung des alten Seins, aus der angenommenen Misere-Situation unserer Gegenwart der Moderne heraus

I. SCHLUSS - Teil 1

27. Im Ende liegt der Anfang

Hier stehe ich nun, an der potenziellen Weggabelung unserer selbst, oder auch nur meiner selbst, und bin mit meinem Latein am Ende…

„Gallia est omnis divisa in partes tres“. Ende. Und meinem Griechisch. „ándra moi énnepe móusa polýtropon hós mala pólla“. Ende. Und meinem Hebräisch. „Bereschit“. Ende.

Latein und Griechisch waren Bestandteile meiner humanistischen Gymnasialbildung, in meinem Fall mit zusätzlichem „Kernfach Musik“, und Hebräisch war eine conditio sine qua non meines Studiums der evangelischen, also botschafts- und bibelorientierten Theologie, die ich als Ex-Katholik unbedingt kennenlernen wollte.

Ich habe das Große Latinum, das Graecum und das Hebraicum, dabei mag ich Fremdsprachen nicht. Ich mochte sie nie. Ich kann sie nicht. Ich kann nun einmal nur das Deutsche, selbst wenn diese Sprache die Uneleganz oder auch Plattheit oder auch Undiplomatie an sich haben sollte, alle Dinge schlicht klar und deutlich einfach aussprechen zu wollen - unverblümt, deutsch eben.

Vielleicht lässt sich dieses Deutsche, welches in seinem Material und Elementaraufbau ein selten ausgewogenes Verhältnis des Vokalischen (Tönenden) zum Konsonantischen (Mittönenden) aufweist, auch gar nicht anders sprechen? Weil möglichst alles in die Sprache, in die Theorie, in die Aufmerksamkeit herausgesetzt werden soll - als gälte für das Deutsche grundsätzlich: „Alles muss heraus – hinein ins Bewusstsein des Menschen“? Und war das nicht auch die Sokrates-Devise immer gewesen, wenngleich nicht explizit von ihm formuliert?

Dieser Text basiert auf den Artikeln "Aussprache der deutschen Sprache", dort: 3 Vokalsystem und 4 Konsonantensystem (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Aussprache_der_deutschen_Sprache) und "Phoneminventar", dort: 1 Größe von Phoneminventaren (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Phoneminventar), aus der freien Enzyklopädie "Wikipedia" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite), und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren der Artikel "Aussprache der deutschen Sprache" und "Phoneminventar" verfügbar, dort unter den jeweiligen Reitern "Versionsgeschichte". Abrufdatum der Artikel: 06.04.2024.

Und so scheint mir, haben die Deutschen ein Schlussproblem, die enorme Schwierigkeit, einen Abschluss zu finden oder zum Ende zu kommen.

Und man sieht es schon in ihren Anfängen, möchte man meinen…

…denn während die europäischen Nachbarn oder auch Geschwister längst angefangen hatten, sich in ihre nationale Individualisierung zu schicken, hielt der Deutsche immer noch eine allgemeine, christliche Reichsidee hoch, mit welcher er – offensichtlich – geschichtlich betraut worden war, und vergaß und übersah darüber seine eigene Individualisierung. Oder wusste er mit dieser Individualisierungs-Idee lange Zeit einfach noch nichts anzufangen? Weil er eine langsamere und längere Reifezeit benötigte – und vielleicht auch haben sollte?

Und als er dann, wie aus einem Tagtraum erwacht, seinen neidvollen Blick auf die Anderen hinlenkte, bemerkte er, oder hatte zumindest den Eindruck, er sei in seiner Entwicklung nun hinten dran, vielleicht gar hoffnungslos zu spät? Und so wollte er das Versäumte nun schnell noch nachholen, gleichsam mit deutscher Gründlichkeit, sprich: mit imperialistischer Brachialgewalt, mit wiederholt allzu großem Impetus, beide Male schlecht, und beim zweiten Mal sogar abgrundtief alles Menschliche verfehlend, so dass man am liebsten wünschen möchte, dieser Nation nicht und niemals anzugehören…

Und wiederholt wurde er daraus wieder errettet, oder vor sich selbst geschützt, auch durch nachbarschaftliche Hilfe, als habe ihm sein Genius sagen wollen: „Dies – die Vereinzelung – ist nicht auch dein Weg.“

Wenn uns also unsere Geschwister einen guten Anfang (des Individuum-werdens) voraushaben und vorgemacht haben, vielleicht bekommen wir dann wenigstens ein gutes Ende hin, sozusagen zum Ausgleich, indem wir nun - nach einschlägigen, eingeschlagenen, tief einschneidenden Lebenslektionen - früher das begreifen, was menschheitlich begriffen werden soll: ein rechtes (und höheres) Verhältnis der menschlichen Individuen zu ihrem Menschheitlich-Allgemeinen? Ja, ist dies nicht auch das tiefere und wahrere „Deutsche“ schon immer gewesen: schlicht und einfach „dazu gehören“ zu wollen? Nicht besser und nicht schlechter zu sein, sondern einfach mit dabei zu sein?

Etymologisch kann ein Sinnzusammenhang hergestellt werden zwischen "deutsch" - "deuten" - "deutlich":

"deutsch":
- zum eigenen Volk gehörig
- mit jmd. deutsch (= offen, unmissverständlich) reden
- verdeutschen: ins Deutsche übertragen, auf deutsch reden, erklären

"deuten":
- vor dem versammelten Volk erklären
- für das Volk verständlich machen
- Vorgänge, Erscheinungen und Äußerungen erklären, auslegen

- aus einer fremden Sprache in die eigene übersetzen
- einen bestimmten Sinn haben, bedeuten
- Deutung: Auslegung, Erklärung, Bedeutung
- deutlich: klar erkennbar, verständlich, eindeutig

Ist damit nicht ein ideales Kommunikationsverhältnis der Einzelnen zur Allgemeinheit beschrieben, des Individuums zur Gesellschaft ins Auge gefasst?

Vgl. "deutsch" und "deuten" in: Wolfgang Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, externe Links: https://www.dwds.de/wb/etymwb/deutsch und https://www.dwds.de/wb/etymwb/deuten, abgerufen am 04.06.2024

Die rechte Aufhebung des Nationalen, die nicht mehr als Verlust empfunden werden muss, sondern als Gewinn verstanden werden kann: Erst und nur sie wird der humanistische Sieg des Menschlichen und Menschheitlichen sein können. Und „Verlierer“ werden all diejenigen Menschen sein, die sich dieser ihrer eigenen Allgemeinheit und Wahrheit verweigern und die nach wie vor irrtümlich glauben, Menschheitlichkeit sei ein Verlust des Nationalen, während sie in Wahrheit sein Ziel, seine Veredelung, seine Erhöhung und Aufhebung ist, nämlich Hinaufhebung seiner selbst, ins Kosmo-Sozial-Sein hinein.

Unsere Nächsten und Nachbarn der westlichen Welt haben in ihren Verläufen die unveräußerlichen Menschenrechte ein für alle Mal welt- und menschheitsgeschichtlich festgeschrieben, auch für uns. Und wir müssen uns dieses faktisch-geschichtliche Handeln so richtig bewusst machen: Mit der Deklaration von „allgemeingültigen Menschenrechten“ hat der Europäer oder Abendländler, hat die Nationalität begonnen, über sich selbst hinauszugehen...

…und so können wir fragen, auch im Hinblick auf das mehr versehentlich als absichtlich erfüllte Kapitel „Genesis 1“, ob nicht der Europäer mit seiner Geschichte vielleicht noch gar nicht zu Ende sei, indem er veranlagt, vielleicht auch berufen ist, als Erster unter allen Geschwistern und Kontinenten über sich selbst hinauszuwachsen, ins Große und Allgemeine hinein, ins Menschheitliche… in die eigentliche Menschwerdung der Völker, Nationen, Gesellschaften hinein, allerdings vermittelt über ihre Individuen?

Und sagten so nicht auch unsere ganz Großen, unsere Klassiker Goethe und Schiller:

„Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens;
Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.“

Externer Link zum Text: F. Schiller und J.W. von Goethe, Xenien Nr. 96: Deutscher Nationalcharakter, Projekt Gutenberg-DE - https://www.projekt-gutenberg.org/goethe/xenien/xenien.html, abgerufen am 24.03.2024

Doch dieser „gute Anfang“ ist immer noch nicht „gut zu Ende gebracht“. Denn solches Hinaus- und Hineinwachsen wird von den Nationen immer noch als „Verlust ihrer selbst“ betrachtet. Und „die Menschheit“ wird solange ein ungeliebtes Kind der Völker, Nationen, Staaten bleiben, als diese nicht gewillt sind, „sich selbst“ als Integrations-Teil des Ganzen zu verstehen und zurückzunehmen, oder – in Wahrheit - vielmehr: sich vorwärts zu nehmen und ganz hineinzuwachsen in die Ganzheit der Menschheit und Menschwerdung hinein.

28. Das Rufen des Geistes - hindurch durch seinen Verruf

Mir scheint, bei meinem Hineinschnuppern ins Hebräische habe ich eine wichtige Erkenntnis aufgeschnappt: Man muss die Bibel von hinten aufschlagen, um sie von vorne lesen zu können. - Denn das Hebräische wird von rechts nach links gelesen.

Und vielleicht ist ja dieses scheinbar „verkehrte Lesen“ des Orients auch für die neutestamentliche Bibellektüre richtig, wenngleich das NT griechisch verfasst ist, so dass es auch von links nach rechts gelesen wird, wie alle europäischen Sprachen? Vielleicht also sollten wir auch das Neue Testament sozusagen von hinten her aufschlagen und vom Ende her lesen, also von der Offenbarung des Johannes her, um seinen Anfang zu finden? Und muss vielleicht sogar ganz prinzipiell das Leben und Sein von hinten, vom Tod und Nichtsein her, verstanden werden?

Ganz zufällig stieß ich also über die Begegnung mit dem Hebräischen auf das, was der Anthroposoph methodisch „Rückwärtsdenken“ nennt, das den Sinn und Zweck hat, uns dem gewohnten Lauf der Dinge zu entreißen, so dass wir das Strombett unseres geschichtlichen und biographischen Selbstverständnisses verlassen können, um Neuland, das Neuland des Geistes zu betreten.

Dieser Text basiert auf dem Artikel "Rückwärtsdenken" (externer Link: https://anthrowiki.at/R%C3%BCckw%C3%A4rtsdenken) aus der freien Wissensdatenbank "AnthroWiki" (externer Link: https://anthrowiki.at/Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/). In AnthroWiki ist eine Liste der Autoren des Artikels "Rückwärtsdenken" verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum des Artikels: 26.03.2024.

So ein „Evangelium“, ist es nicht – sozusagen aus Prinzip, aus Botschafts-Prinzip, aus dem evangelischen Prinzip heraus - in seinem geschichtlichen Werden und gesellschaftlichen Lauffeuer ins Auge zu fassen, also in seiner faktisch gewordenen geistesgeschichtlichen Ausformung und innerlich-geistigen Gestaltannahme - im Verlaufe seiner Zeit? Dann aber sollten wir doch weniger seine Herkunft ergründen wollen, oder gar auf ihr bestehen, als vielmehr seine Intention und Zukunft zu erkennen versuchen? Nicht so sehr darauf achten, wo unser (christlich gewordenes, vielmehr erst werdendes) Handeln herkommt, sondern darauf, worauf es in die Zukunft der Menschheit hinein hinzielt, wenn anders das eigentlich Tragende vom Geist, von unserem Ziel und Ende herkommt?

Das Evangelium ist ja gar nichts Fix und Fertiges, so, wie man einen erhaltenen Schatz in eine Truhe wegpacken und aufbewahren kann, für Notfälle, gleich einer Schmuckbibel, die zugriffssicher und unversehrt aus der sorgfältig verschlossenen Glasvitrine herausglänzen mag, in die jeder - bewundernd - hineinsehen mag, in die aber niemals - handlungsdürstend - hineingegriffen wird? Nein, die Botschaft als Botschaft ist ein Wort der Vorankündigung, das in unseren Terminkalendern, Agenden und To-do-Listen ständig präsent und abrufbereit liegen sollte, als sicher auf uns zukommender „Termin“ bestehen bleiben muss, um es kontinuierlich und dauerhaft gleichsam abzuarbeiten oder auch erst zu er-wirken? Vorankündigung, einer kommenden Wirklichkeit, und deshalb verstehen Christen – konsequent - das Evangelium als Wort der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit selbst wird dem Gang dieses Wortes folgen – dies ist christliche Überzeugung, vielmehr: sollte es sein, vielmehr: hätte es sein sollen.

Nun könnte man freilich, als traditionell denkender resp. atheistisch gewordener und sich daher jetzt begriffsstutzig stellender Mensch sagen: „Wie soll denn diese Wirklichkeit jemals kommen können, wenn keiner mitmacht?!“ Und die Höhere Antwort könnte lauten: „Es werden aber Menschen mitmachen, denn nicht alle werden und wollen sich begriffsstutzig stellen, wie Du, und die sich begriffsstutzig Stellenden werden dann eben das Nachsehen haben. Das ist aber dann nicht mehr Sache des Evangeliums und derer, die es befürworten und unterstützen, denn die Menschen, die das Heilsangebot ausschlagen, halten sich selbst ja schon für kompetent und souverän, für „heil“, die, die es annehmen, im Übrigen nicht; und so sollen sie dann selbst sehen, wo sie bleiben. Es ist ihre eigene, private Sache, und dieses „ihr Recht“ wird ihnen im Universum niemand benehmen wollen, nicht diejenigen, die sie retten wollten, und auch nicht diejenigen, die sie nun als „Beute des Unbewussten“ in ihre Unterwelts- oder Unterhaltungs-Scharen werden aufnehmen können.“

Der Materialist und Atheist kann solche „christliche Logik“ nicht begreifen und mag sie vielleicht auch logisch-rational beanstanden: „Was soll denn das sein - eine aus dem bloßen Wort kommende, also „eingeredete“ Wirklichkeit? Die Christen machen ihre Wirklichkeit ja einfach selbst! Das geht doch nicht! Das gilt nicht! Die Materie ist der Akteur des Universums, sie, dieses ganz Andere und Fremde, nicht wir, denn wir sind doch nur die Schaumkrone, die Dahingetriebenen in der Verlorenheit des Universums. Wir sind der bloße Überbau! Nein, das Geheimnis des Kosmos muss irgendwo da unten drinstecken, in der Materie, die uns von Grund auf bestimmt und an die wir einfach noch nicht richtig rankommen…“

Wenn aber die Offenbarung des Johannes in ihren letzten Versen formuliert: „Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm!“ (Offb. 22,17), so ist damit zum Ausdruck gebracht, dass das Reich des Geistes auf jeden Fall kommen wird, ins Irdische, unter die Menschheit, egal wie Viele oder wie Wenige daran zunächst mitarbeiten und teilnehmen mögen.

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Offenbarung22, abgerufen am 04.04.2024.

Der Ruf des Geistes hat begonnen als Evangelium, und dieses Evangelium tut schon seine Wirkung im Zeitverlaufe, indem es bei den Verständigen zu einer Sogwirkung im Geiste führt, die die Individuen, die Völker, Nationen, Staaten aus der Vielheit in die Einheit zurückruft. Und die Teilnahme an diesem kosmischen Zurückgerufen werden geht unmittelbar in die Geistwirklichkeit selbst über, in die Sammlung zur Gegenwart, zur Gegenwärtigkeit des Geistes. Denn die Individuen sollen in einer Geistunmittelbarkeit stehen, allein ihr Geist resp. der Geist in ihnen selbst soll sie führen. Eine Zwischeninstanz, ein Störelement des Geistes, hat nicht da zu sein…

Und im Übrigen wird der Ruf des kosmischen Geistes auch keinen Schaden nehmen dadurch, dass er bei Materialisten und Atheisten, bei einem Gros der Menschen in Verruf geraten ist. Dieser Verruf ist vielmehr geradezu sein Schutz und Deckmantel. Und so wird der Geist inmitten der Macht des Irrtums kommen, wie ein Dieb in der Nacht des menschlich-menschheitlichen Irr-tums…

29. Verschlingung des Anfangs ins Ende – Bogen-Technik und Lagen-Wechsel der Bibel

Die Christen wollen sich reden, beten, selbst erkennen - in die Wirklichkeit hinein, was von außen betrachtet wie ein hoffnungsloses Sich verstricken im Irrtum oder Stranden in einer fixen Idee aussehen mag. Aber es braucht eben seine Zeit, Zeit der Klärung und Aufklärung desjenigen Geistes, der erst einmal sich selbst verstehen lernen muss. Und das ist derjenige "Geist" im Aggregatszustand des „Mensch seins“.

Und vielleicht ist deshalb auch die Anordnung der Bücher des Neuen Testaments genau die richtige gewesen, indem mit dem Elementaren begonnen wurde, z.B. mit der Bergpredigt, alles in allem mit den vier Evangelien, wobei es hier den Schüler und Zögling des Geistes bereits von Anfang an hätte stutzig machen können: „Warum denn vier Evangelien, warum nicht nur eines?“ Und so hätte er von Anfang an auch auf die Idee kommen können, dass die Bibel verschiedene Geistniveaus gleichsam nebeneinander ausbreitet, ausgeworfen wie ein großes Netz, um möglichst allen Menschen zu allen Zeiten etwas bieten zu können? Um Jeder und Jedem einen Ansatzpunkt seiner Existenz zu offerieren, allen nach ihrer Façon, Ausrichtung und Herkunft?

Und erst, wenn die Zöglinge in ihrem biblisch gegründeten Gehen-lernen-im-Geiste weit genug fortgeschritten sein werden, werden sie beginnen können, das Neue Testament im Zusammenhang zu erblicken, dann auch die Bibel insgesamt, in ihrer Verschlingung des Anfangs ins Ende, so dass sie sich jetzt auch Text- und Gedankensprünge erlauben dürfen und also nicht mehr mühselig immer wieder dasselbe von Anfang bis Ende endlos durchkauen müssen, in den Gottesdiensten, Lesungen und Predigten, wie eine alte Leier, die man irgendwann nicht mehr hören kann, so dass man nach und nach lernt wegzuhören...

Und ganz allmählich sollten sie beginnen können, im Text „kunstvoll umherzuspringen“, vom Anfang zum Ende, und vom Ende zum Anfang, mal hierhin, mal dorthin, vergleichbar einem Violinvirtuosen, der mit der Leichtigkeit des Meisters den Lagenwechsel auf seinem Instrument beherrscht, vom tiefen, satten G-Leerton bis hinauf zu den allerhöchsten Lagen der Ober- und Flageolett-Töne der E-Saite?

Und dieser Fingerfertigkeit und Treffsicherheit seiner linken Hand muss eine Bogentechnik seiner rechten Hand unbedingt zur Seite getreten sein, wenn das Ganze nicht nur rein, sondern zugleich auch gut und kraftvoll klingen soll, über alle vier Saiten seines Instrumentes hinweg, G – D – A – E, oder „Geh du alter Esel“, was wir dann noch um ein „hole Fische“ ergänzen können, wenn der Quintenzirkel voll werden soll: G – D – A – E – H – Fis, diese Dur-Tonarten mit ihren zunehmenden Vorzeichen oder Spiel-Schwierigkeitsgraden: fis – cis – gis – dis – a-is - e-is?

Allein, wie sollte ich Fische holen können? Bin ich doch selbst nur einer, denn: Ist nicht das Evangelium ausgeworfen wie eine Angel? Und ich, kleiner Fisch, habe mir nun einmal vorgenommen, mich so richtig daran festzubeißen, am Haken dieser einzigartigen und zugleich jämmerlich verkannten Botenschaft, und solange nicht mehr loszulassen, bis mich der Geist in sein Reich hinübergeholt oder auch zurückgenommen haben wird.

"Ich lasse dich nicht...
…doch deine zunehmende Unerkennbarkeit, – Du kosmischer Geist, der Du ins Irdische involviert, ja hineingezogen werden willst -, ist ja nicht weiter verwunderlich.“

Vielleicht hätte man die Einübung der artes liberales im Universitätsbetrieb niemals aufgeben und ersetzen dürfen durch diese neumodisch-neuzeitliche Betonung des Fachspezifischen, unter Preisgabe des Fächerübergreifenden, das uns auch kein noch so ausgefeiltes Studium generale jemals wird wieder zurückbringen können? Wo soll denn der heute in der Schule vielbeschworene und hochgelobte Transfer jemals herkommen können, da wir ihn doch selbst, aus unserem Wissenschaftsprinzip heraus, abgeschafft haben!? Wie wollen wir jetzt noch Grenzen überschreiten?

Machten nicht einst die Sieben Freien Künste den Menschen und sein Denken frei beweglich? Indem unsere „wahren“ Gedanken zugleich auch „gut“ und „schön“ gefasst sein sollten, eingefasst wie Brillanten, und sei es „nur“, um sie ansprechend weiterzureichen? Anders als die heutige Wissenschaftsliteratur, die so zahlreich geworden ist wie der Sand am Meer, den niemand mehr auflesen, nur noch wegschaufeln kann, weil es eine Heidenarbeit geworden ist? Frei beweglich – so war einmal das menschliche Wissen. Es war einmal…

…durch dieses Trivium, bestehend aus Grammatik, Rhetorik und Dialektik resp. Logik, und darauf aufbauend das Quadrivium, bestehend aus Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie resp. Astrologie… Ich habe in diesem Text hier ein wenig versucht, ihre Luft zu schnuppern, ein wenig in ihre Atmo-Sphären hineinzuriechen…

Damals war der Mensch noch kommunikativ und geistig, heute ist er nur noch produktiv und wissenschaftlich erkennend, ohne innerliche Verbindung zum Ganzen des Seins und Beteiligung an ihm. Heute wird keine Erkenntnis mehr weitergereicht, vielmehr sprießt und sprosst sie wie das Gras einfach vor sich hin. Und weil wir unterscheiden verlernt haben, zwischen erlesenen Kräutern und wild wachsendem Unkraut, heißen wir alles gut und willkommen in unserem Urwald und Dickicht des Wissens. Und das ist schon alles, das ist die jämmerliche Quintessenz unseres Expertentums, unserer Wissenschaften. Die Menschheit wird zugrunde gehen, zusammen mit einem ganzen Haufen an Experten. Auch das ist eine Leistung. Das schafft wohl nicht jede Menschheit im Universum, nicht jedes animal rationale. Wir aber schaffen das, trotz Evangelium, oder: dem Evangelium zum Trotz?

30. Die Musik ertönt, indem das Instrument „verschwindet“

C-Dur und a-Moll waren mir immer die liebsten Tonarten - keine Vorzeichen! Wobei mir das Moll seelisch etwas gab, während ich beim Dur immer neutral und ungerührt blieb: „Na ja, spiel ich es halt. Warum und wozu denn überhaupt ein „Dur“? Das berührt doch gar nicht richtig!“ Nehmen wir Schuberts Gloria zum Beispiel, aus seiner Deutschen Messe (D 872), das immer auf dem Sprung ist, ins Moll abzugleiten. Kann das richtig sein, bei einem „Gloria“!? Wenn Engel es singen, gewiss nicht, aber bei unsicheren, wankelmütigen Menschen schon, auf jeden Fall!

Und warum soll nun ausgerechnet ich das Dur leben, als wäre es das Meine!? – „Das Durum ist die Realität, das Mollis ist nur die begleitende menschliche Emotion.“ - Das Moll ist mir aber viel lieber!

Ein Hoch auf die Romantik!
Und ihre Weltverneinung!
Die süße Schwermut lebe hoch!

Warum soll nicht auch ich ins Unbewusste abtauchen dürfen, wie Goethe in seinem Essay „Die Natur“…

„Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen - unvermögend aus ihr herauszutreten, und unvermögend tiefer in sie hineinzukommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen.“

…wobei ihm freilich „Platon“ bei seiner Rückkunft in die Geistwelt die Leviten gelesen haben wird, hoffentlich!… „Ein „Schönes“, das den Geist verleugnet und das „Wahre“ zurücksetzt, kann kein „Schönes“ sein. Es ist vielmehr ein „Hässliches“, das seine Hässlichkeit nur nicht sehen kann (und auch nicht will), weil es das „Wahre“ ja zur Zweitrangigkeit erklärt hat, um sich auf diese Weise an einem „Anschein des Schönen“ zu ergötzen. Bruder Goethe, deine Dichterworte sind gelogen, und deshalb können sie gar nicht schön sein.“

Und es freut mich, wenn ich jetzt noch, bei der Recherche des Textes, feststellen darf, dass ich mich geirrt habe und der Essay gar nicht von Goethe ist, so dass er die platonischen Leviten doch nicht abbekommen haben wird.

Dieser Text basiert auf dem Artikel "Die Natur (Essay)" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Natur_(Essay)) aus der freien Enzyklopädie "Wikipedia" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren des Artikels "Die Natur (Essay)" verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum des Artikels: 24.03.2024.

Aber auch Geigenspielen habe ich nie gemocht, bis in den „Leistungskurs“ der „Kollegstufe“ hinein. Jeder Zögling musste, außer im Chor zu singen, auch noch ein Instrument erlernen, Geige oder Klavier, aber für Letzteres waren meine Finger zu klein, und so begann ich auch mit einer „halben Geige“. Von Anfang an war mir das ohnehin ungewohnte Instrument zusätzlich durch einen strengen Geigenlehrer verleidet. Ich fürchtete ihn, auch wenn er meiner Erinnerung nach nie handgreiflich wurde. Und so sagte er mir einmal - einem Acht- oder Neunjährigen - auf den Kopf zu: „Gell, Franz, du magst mich nicht!?“ Und als er sah, dass mich seine Offenheit und Direktheit überforderte und er mich mit seinem bloßen Wort in die (Antwort-)Bredouille gebracht hatte, veranlasste er mich, meine Geige beiseite zu legen und ihm gegenüber am Tisch Platz zu nehmen, mit Blick seitwärts aus dem Fenster. Dann holte er einen kartonartigen Drittel-Papierbogen hervor, nahm einen Bleistift zur Hand, und die „Lehrstunde“ wurde zur "Malstunde", mit gelegentlichem Wortwechsel, denn er zeichnete ein Profilporträt von mir, über welches er dann „Franzl“ schrieb und mir aushändigte. Hierbei führten wir wohl ein bisschen Gespräch, ganz ruhig, nur den Inhalt habe ich vergessen, vielleicht, weil der Strenge-Eindruck seiner Person, insbesondere der Strenge-Blick seines Gesichtes, doch zu übermächtig war, um Entspannung in mir auszulösen? Immerhin, glaube ich, atmete ich durch, wenigstens in dieser Lehrstunde. Ich kann aber nicht mehr sagen, ob dieses sein „psychologisches Signal an mich“ irgendwelche Wirkung und Veränderung in mir bewirkte oder nicht... Die Zeichnung habe ich mir jedenfalls behalten... Und habe sie heute noch...

Das Geigenspielen bekam ich nie in den Griff, und ich meine dies ganz wörtlich. Denn das Instrument des Musikers muss insgesamt einen festen Halt haben, weshalb die Geigen an der Unterhälfte links mit einem "Kinnhalter" an der Oberseite bestückt sind, der mir immer zu schaffen gemacht hat, trotz "Schulterstütze" als Pendant an der Unterseite. Irgendwie bekam ich diesen „festen Halt“ – gewissermaßen die Grundlage und Voraussetzung eines guten Violinspiels – niemals hin. Ich blieb verkrampft, konzentriert auf das mich störende Geigending und abgelenkt vom Spiel selbst.

Und erstaunt oder auch neidvoll blickte ich auf solche Spieler und Geigen hin, denen dieser – notwendige!? – Kinnhalter einfach fehlte und die alternativ lediglich ein Tuch über ihr Instrument legten!? Und dann, noch schlimmer, solche Geigen und Spieler, die nicht nur keinen Kinnhalter haben, sondern auch kein Tuch, und zwar deshalb nicht, weil die Spieler ihr Kinn überhaupt nicht mehr zu benutzen schienen, sondern einfach als überflüssig und nicht notwendig zur Stützung der Geige wegließen!? ...als gäbe es bei uns hier unten keine Schwerkraft!, so dass man sich um das Instrument keine Gedanken machen müsse?, weil dieses überhaupt keine Möglichkeit hätte, zu Boden zu fallen und Schaden zu nehmen…?

Und dennoch scheint ihr Instrument diesen notwendigen festen Halt zu haben…!? Ich fasse es nicht!!?? Ja, wo kommt dieser feste Halt denn her!!!??? Wie ist er möglich!!!??? Es ist mir bis heute rätselhaft geblieben…

…als würde das Instrument selbst im Raum schweben und der Virtuose trete quasi nur von außen an es heran, schmiegte sich um es herum, wie um seine Geliebte, mit der er sich dann im Tanzschritt bewegt, wobei er völlig frei in seinen Bewegungen erscheint, so dass man nicht mehr sagen kann, wer von beiden nun eigentlich führt und wer geführt wird!!??

Das Instrument selbst… muss… irgendwie… verschwunden sein, wenn die Musik als solche zum Tragen kommen soll. Ja! Dies scheint mir das Geheimnis des Musizierens und auch Lieder-Singens zu sein…

…ob wohl Orpheus seine göttliche Musik weniger mit seiner Leier erzeugte, weil seine volle Aufmerksamkeit und Konzentration vielmehr den Saiten der menschlichen Seele galt, die er durch seinen Gesang in Vibration und Schwingung versetzen konnte? Weil sie – die Seele des Menschen - sein eigentliches Instrument war, deren Vielfältigkeit und Farbenreichtum uns abgebildet ist in den Bewegungen des Tierkreises und der Planeten, in die wir mit hinein gehen können und sollen, und deren Höhen und Tiefen ihm nicht nur bekannt, sondern geläufig waren, so dass er sie beliebig rauf- und runterspielen konnte und also dieses göttlich-lebendige Instrument zu handhaben wusste wie kein Zweiter, als reichte es – in seinem hochkünstlerischen Ermessen - von einer Welt…
…in die andere hinein?

31. Das Soziale muss zum Chorgesang werden

Ich dachte immer: Es gibt nur genau eine ideale Musterlösung, mit einem Instrument umzugehen, auch mit der Geige, eine Lösung für alle, und so habe ich vergeblich und verzweifelt versucht, das nachzumachen, was Andere mir vormachten. Das war ein Irrtum! Und so habe ich mich ganz umsonst abgeplagt, gegrämt und für gescheitert erklärt!? Warum hat mir denn niemand gesagt, dass ich einen freien, individuellen Spielraum des Instrumentenumgangs habe!? Warum sagt der Seele des Menschen niemand, wie frei sie ist? Oder sein könnte!?

Das „Ideal“ besteht vielmehr darin, dass der Einzelne zu genau jener Lösung findet, die ihm selbst angemessen ist. Und so darf er an seine Instrument-Handhabung sogar hinbasteln und hinschneidern (viele Violinvirtuosen haben das gemacht und machen das, wie ich jetzt erst weiß), solange, bis er die für ihn beste, bis er seine maßgeschneiderte Lösung gefunden hat, um sich selbst in seiner Individualität als Instrument des Seins zu bereiten; um sich selbst eine Stimme zu geben und zu seinem je eigenen Ton des Universums zu werden, den es nur genau einmal gibt, nur ein einziges Mal – und dann nie wieder so...

...und dann aber doch wieder anders, variantenreich, immer wieder anders?

Wenn man dies erkannt hat, dass das Seelisch-Geistige des Menschen einen unbegrenzten Facettenreichtum aufweist, ein unerschöpfliches Füllhorn ist, so wird man auch dazu übergehen wollen, sich zu sagen: Ich will nicht nur genau ein Ton werden. Ich will viele Töne werden und - existenziell ausprobieren. Und wenn das nicht gleichzeitig geht, weil ansonsten nur Dissonanzen und Widersprüche herauskommen werden, dann eben nacheinander, in der Zeit und Geschichte, denn: Ist sie nicht genau dafür da, dieses wunderbare „Jenseits der Ewigkeit“, ausgebreitet in Raum und Zeit, einzig und allein da zum Aus- und Durchprobieren…?

Und je mehr Töne man wird ausprobiert haben, desto besser und runder wird man sich in die Sphärenmusik des Kosmos hineinfinden können, wobei man sich als Mensch unter Menschen stets bewusst bleiben muss, dass es nicht nur auf den eigenen Ton ankommt, sondern auf alle Töne gleichzeitig, auf alle anderen auch, so, wie im Chorgesang grundsätzlich gilt: Nicht diejenige Stimme ist die bestgeeignete, die die schönsten Soli zwitschern oder stimmlich allgemein Aufsehen erregen kann, sondern diejenige, die imstande ist, auf die Anderen mit hinzuhören, um sich in ihre Stimmen einzufügen und sich mit ihnen zu vermischen, so, dass ein möglichst perfekter, klanglich homogener, reiner Gemeinschaftston resultiert, in dem niemand die Not oder das Bedürfnis zu haben braucht, sich hervortun zu sollen oder zu wollen, weil die volle Aufmerksamkeit diesem Gesellschafts-Akkord gilt, damit er als solcher bestmöglich erklingen kann, um schließlich dereinst zu einem formvollendeten Abbild der sozialen Einheit des kosmischen Geistes in seiner Individualitäten-Pluralität zu werden.

Und wenn für Lebensgemeinschaften diese zwei Grundsätze gelten: „Gleich und gleich gesellt sich gern“ und „Gegensätze ziehn sich an“, so wird man vielleicht sagen können, der sozial und individuell Wertvollere ist der zweite, weil er Entwicklung von noch ungehobenem Eigenen herausfordert, durch Reibung und Schliff am Anderen, und zwar gegenseitig. Denn die „Gleichen“ finden ja am „Anderen“ nur genau das, was sie in sich selbst bereits haben, und so kann es hier kaum ein Vorwärtskommen geben, bestenfalls ein gemeinsames Verweilen, Ausruhen, Stagnieren, Warten auf spätere Entwicklungsgelegenheiten.

Analog sind in Geburtshoroskopen nicht unbedingt die harmonischen Aspekte die eigentlich wertvollen, sondern gerade die anderen, unliebsamen, zu bearbeitenden, spannungsvollen, wie z.B. eine Jupiter-Pluto-Opposition, so bei mir, im achten und zweiten Haus bzw. in Fische und Jungfrau. Doch kann man die harmonischen Aspekte als die Kraftreserven und den Fundus eines Individuums verstehen, wie z.B. die Doppelfeuer-Kraftkonstellation zwischen Sonne-Merkur in Widder in 10, trigonal verbunden mit Mond-Uranus in Löwe und 1, so bei mir, wobei Sonne-Merkur über einen Spiegelpunkt - gleichsam heimlich - mit Jupiter verbunden sind. Man kann Pluto den Finsteren auch als die Transformations- oder Umwandlungskraft schlechthin betrachten kann, und er scheint interessanterweise in meiner Geburtskonstellation aus seinem eigenen Haus 8 "vertrieben" und in die Opposition (in 2) gedrängt zu sein (oder besser: freiwillig hineingegangen zu sein). - Mit Hilfe der harmonischen Aspekte oder auch auf deren Grundlage wird man also daran gehen können, die negativen Seiten oder die erst noch zum Erklingen zu bringenden Saiten der eigenen Persönlichkeit anzufassen und zu bearbeiten, anstatt sie als Faktum hinzunehmen, brach liegen und als ungenutzte Entwicklungsmöglichkeiten verstreichen zu lassen und zu vergeuden.

32. Warum ich mein Buch nicht mehr „ordnungsgemäß“ zu Ende schreiben kann

Auch ich möchte mich hin und wieder gerne in die Unbewusstheit zurückfallen lassen. Ich will es, und ich will es doch nicht - Inkonsequenz kann mitunter herrlich schön sein. Allein: Wir können sie uns immer weniger leisten, denn sie nimmt mehr und mehr die Züge akuter Lebensbedrohlichkeit an.

Und so muss ich nun noch den näheren Grund nachreichen, weshalb ich mich – außerordentlich – dazu entschlossen habe, mein Buch resp. mein Lebenswerk beiseite zu legen und nicht jenen „Ausgang“ zu wählen, der mir persönlich der liebste gewesen wäre: Mein Buch in aller Ruhe und Verborgenheit zu Ende zu schreiben, mich still und leise davon zu stehlen und die Nachwelt sich selbst zu überlassen, mit meinem Buch, das sie dann wertschätzen könne, oder auch ohne mein Buch, das sie nicht braucht resp. nicht brauchen will.

Mir liegt nämlich das Wort im Gewissen. Nicht so sehr ein bestimmtes, auch vielleicht nicht einmal primär das evangelische oder himmlische, sondern: das Wort überhaupt! Denn ich habe nun einmal diese peinvoll-ätherische Erinnerung, dass ein ausgesprochenes, aber unerfüllt bleibendes Wort einen tiefgreifenden Schaden in dieser unserer – geisteswesenhaften – Wirklichkeit verursacht, der nicht wieder gut zu machen sein wird!!!

Und mein Erkenntnisdurst führte mich nicht nur ins Abseits unserer konventionellen Denkmöglichkeiten, sondern hierbei auch etwas tiefer in die Schriften und das Werk des Anthroposophen hinein, der auch einmal sagt, mit der Anthroposophie kämen überhaupt nur solche Menschen in Berührung, in deren Karma diese Begegnung und Kontaktaufnahme bereits angelegt sei. Die Lebenswege der anderen führten einfach sang- und klanglos daran vorbei. …?

Und die Art und Weise dieser Äußerung ließ mich aufhorchen, weil uns die Bibel ja ein Analoges sagt, dass es zu einer weltgesellschaftlichen Spaltung kommen werde, in deren Verlauf die einen den Geist und sein geschichtliches Wirken in ihre erhöhte Aufmerksamkeit bekommen werden, was den anderen aufgrund ihrer anders gelagerten (Wohlstands- oder Unterhaltungs- oder Babylon-)Interessen einfach entgehen wird.

Und ich versuche beides nun zu sondieren als Geist des Materialismus einerseits, Geist des Spiritualismus anderseits.

Gegen Ende seines Lebens spricht der Anthroposoph nun eine Prophezeiung aus, die sich auf unsere unmittelbare Gegenwart bezieht: Es müsse innerhalb einer bestimmten Zeitspanne ein deutlich sichtbarer „spiritueller Schub“ innerhalb der Menschheit erfolgen,

„…wenn die Zivilisation nicht in die völlige Dekadenz kommen soll…“

(Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge Bd. VI, GA 240, TB 716, 5. Aufl. Dornach 1992, S. 157, Erster von drei Vorträgen in Arnheim, 18.-20.07.1924, die überschrieben sind: Das Karma der Anthroposophischen Gesellschaft und der Inhalt der anthroposophischen Bewegung = S. 30 in GA 240, Erster Vortrag Arnheim vom 18. Juli 1924)

Diese Textwiedergabe des Bandes GA 240 "Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge Bd. 6" der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (deren Herausgabe dem Rudolf Steiner Verlag obliegt) basiert auf der Werkbearbeitung einer älteren Ausgabe dieses Bandes GA 240 (externer Link: https://steiner.wiki/GA_240), durch die freie Literaturdatenbank SteinerWiki (externer Link: https://steiner.wiki/Hauptseite), zum Zwecke der kostenfreien Zugänglichmachung des Werkes Rudolf Steiners, und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In SteinerWiki ist eine entsprechende Liste der Werkbearbeiter zu GA 240 verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Näheres zur kostenfreien Zugänglichmachung vgl. unter "Unser Anliegen" auf der SeinerWiki-Hauptseite, GA 240 abgerufen am 10.06.2024.

Sinngemäß sagt er damit auch, die christliche Heilsgeschichte selbst stehe in unserer Gegenwart Spitz auf Knopf, d.h.: „jetzt“ – im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert - sei der Kairos gekommen, an welchem das Evangelium (vom Reich Gottes oder des Geistes) entweder zur Erfüllung komme oder erdenmenschheitlich für gescheitert erklärt werden müsse.

Für eine nähere Begründung müsste man tiefer hineinsehen in dasjenige, was er in seinen spätesten und reifsten Vorträgen (über viele Monate des Jahres 1924 hinweg) ausführte als Nachzeichnung einer – so will ich sie nennen – himmlisch-irdischen Geistesgeschichte Europas, wozu dann auch die Befindlichkeiten reiner Geistwesen, z.B. Engel und Erzengel, gehören, wie bereits angedeutet (vgl. Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, GA 235-240).

Die entscheidende Gegenwartsfrage lautet demnach: Kann der Mensch der Gegenwart die heilsgeschichtliche „Kurve zum Geist“ noch finden?

Und so fügen sich mir scheinbar verschiedene Worte in ein und dasselbe Wort zusammen: Das ätherisch wirksame Wort überhaupt, das Wort des Evangeliums, das Schöpfer- oder Logos-Wort, das von mir selbst präexistent gegebene Wort – und nun eben auch noch das mutmaßlich prophetische Wort des Anthroposophen. Und diesen nun einmal gegebenen und im Ätherischen real existierenden "Worten" steht noch gegenüber ihr Pendant, ihr ausstehender zweiter Teil, ihre "Ver-Wirklichung". Und ich kann ja nun schlecht sagen, zu meinem Leidwesen wisse ich um den drohenden katastrophalen Schaden, den die (ohnehin schon geschädigt gewesene) Schöpfung erführe, wenn diese "Erstursachen aus dem Geiste heraus" nicht zu ihrer Erfüllung kommen würden. Nein, ich werde voll und ganz mitverantwortlich sein, ich selbst, zusammen mit demjenigen, was ich das Meine nennen kann und soll und muss, denn es ist meine Lebens-, Handlungs- und Aufgaben-Grundlage, und wenn ich sie versäume, versäume ich mich selbst, sprich: die Raum-Zeit-Stelle, an der ich nun einmal zum Stehen gekommen bin. Und wenn mir nun schon mein durch mich selbst verursachter, im Raum stehender Scheiben-Nichteinwurf als bedrohlich und schrecklich und unverantwortlich erschien, welche Wucht an Schrecken und Schuld mag dann auf die potenziellen Verursacher einer Nichterfüllung des Evangeliums zukommen, die offensichtlich jetzt ja auch himmlisch im Raum steht und Michael der einzige und letzte unter den Erzengeln ist, der treu zu Christus und zum Christus-Wort der Erlösung der Menschheit steht, zusammen mit seiner Schülerschar, den Michaeliten, die übrigens nicht nur oben zu finden sind, sondern auch hier unten, unter uns...

Und wenn ich nun überschlage, was ich erlebt, erlesen und erdacht habe, dann kann ich jetzt mein Buch nicht mehr einfach weiterschreiben wie vorgesehen, mit geplantem Abschluss und Ende im Jahre 2028, eben nach 30 Jahren, als wäre „nichts weiter passiert“, lediglich ein bloß subjektives Erleben, Erlesen und Erdenken, das ich dann guten Gewissens als meine bloße res privata hätte betrachten können, wie es in einem materialistisch ausgerichteten Denken auch gut möglich ist, nun ja, gewesen wäre… Aber irgendwie… ist mir… en passant… dieser Materialismus der Gegenwart abhandengekommen, und ich sehe mich selbst jetzt ganz woanders stehen, nicht mehr in der, in dieser Gegenwart, nicht mehr bei den vielen Anderen,

…von keiner Gesellschaft mehr getragen…

…jedenfalls von keiner irdischen…

…was soll ich nur tun?...

…und warum ich?...

…Ich?...

…Warum?...

Ich könnte doch schweigen!?

Dann gibt es mich und das Meine eben nicht!?

Na und!? Es gibt doch schon so Vieles und viele Andere…

Was sollte es da auch noch mich brauchen? Ausgerechnet mich?

Und was soll das überhaupt für eine Rechnung sein? Welcher Mathematiker oder Rechenmeister hat sie aufgestellt? Ein Geist etwa? Der Geist? Aber Erkenntnis lässt sich doch nicht kalkulieren!? Sie kommt entweder, oder sie bleibt eben aus! Jeder Mensch weiß das, sogar der Papst! Diese Rechnung scheint mir ohne den Wirt gemacht zu sein! Und der bin ich, der Wirt! Der Träger. Der Lastenträger. Der Sklave. Der Unfreie…

Hoppla, diese Assoziationskette gerät mir außer Kontrolle, die Worte passen nicht mehr… Wohin, an welche Raum-Zeit-Stelle meines Lebens könnte ich nun zurückgehen, um den Schlussfolgerungs-Fehler wieder auszumerzen? Um eine passende, eine mir passende Reflexions-Haltestelle zu finden, damit meine Worte wieder stimmen und ich still und leise bleiben kann, wie gewohnt? Und dann doch noch unbemerkt gehen kann, wie gewünscht?

Bin ich nicht im Entrückungs-Erlebnis in eine himmlische Zustimmungs-Falle getappt? Oder sogar: getappt worden? Wie war das doch gleich: Das für die Menschheit Notwendige wurde mir klar und deutlich auseinandergelegt, und zwar so überwältigend plausibel, dass ich nur noch sagen konnte: „Ja, das muss getan werden.“ Dann kam dieser gestisch eindeutige Aufbruchs-Befehl an mich, als hätte ich einen ganz anderen Satz gesagt wie zum Beispiel: „Gut, ich übernehme das!“ - So war es aber nicht!!!

Ich fürchte, ich bin missverstanden worden und der Himmel hat sich mit mir verkalkuliert...

...sinngemäß mag ich meinetwegen gesagt haben: „Wir wollen hoffen, dass sich unter den Menschen einer finde, der das Erforderliche in die Wege leiten wird“. Mehr nicht! Es mag ja sein, dass es im Großen und Ganzen, soll heißen: aus himmlischer Perspektive, egal sein mag, wer unten auf der Erde ans Handeln gehe; auch, dass der Himmel nicht darauf bestehe, dieses das Irdische richtende Handeln müsse unbedingt von Petrus resp. seinem Nachfolger ausgehen, sondern es genüge durchaus irgendein Anonymus, der dann schon beizeiten qualifiziert und handlungsfähig gemacht sein werde - mittels Geistgeburt.

Aber: Dies ist nicht mein Horizont – das Große und Ganze. Eher das Kleine und Meine. Und in diesem meinem kleinen Imperium oder Universum ist es mir ganz und gar nicht egal, wer ans Handeln gehen soll, innerhalb einer Gesellschaft um mich herum, die furchteinflößend ist, befremdlich, übermächtig, erdrückend, und deren Kraft und Macht, ja Kräfte und Mächte ich und niemand abschätzen kann, indem sie unsichtbar und unberechenbar vor sich hinbrodeln, was aber an ihren Gesichtern nicht unbedingt abzulesen ist, so dass man sich mit ihnen besser nicht anlegt, sie lieber nicht herausfordert, weil Menschen sich nicht so geben, wie sie sind, sondern gelernt haben oder gewohnt geworden sind, sich gesellschaftlich zu verstellen - Sokrates mag eine regelbestätigende Ausnahme gewesen sein. Und wenn einer nun herginge und sie auf ihre Verstellung anspräche, so müsste er sich gewiss nicht wundern, wenn auch noch eine Verstimmung obendrauf käme, sozusagen als Ertapptworden sein beim Falschspielen...

Man nehme sich in Acht vor den Stimmungen der Menschen, die so wankelmütig und störanfällig sind wie die Winde und der Wetterbericht, aber mit einem Gut-Wetter-machen-Wollen ist der Mensch auch jederzeit schlecht beraten. Und so stehen wir Individuen, die wir diese unsere Gesellschaft selbst konstituieren - wir allein und niemand sonst! -, und so stehen wir also uns selbst ohnmächtig und hilflos gegenüber, weil wir in diesem merkwürdig-undurchsichtigen sozialen Organismus, der wir sind, die rechte Stellschraube nicht kennen und nicht finden, vielleicht auch nicht einmal suchen, um zur Richtig-Stellung zurückzukehren und zurückzufinden, durch die dann - wie aus heiterem Himmel - die Frequenz des rechten Geist-Empfangs urplötzlich sichtbar und wiederhergestellt wäre, so dass der auf uns lastende, unidentifizierbare Albdruck, den wir ob seiner Größe gut und gerne auch Alpdruck nennen können, endlich von uns fiele, wie Schuppen von unseren Augen, wie eine Maske, die zu tragen uns irgendwelche unbekannten Kräfte und Mächte auferlegt haben, von uns selbst ungewollt, jetzt aber gefesselt an Füßen und Händen, so dass wir die einfache Handbewegung des Maske-Abnehmens irgendwie gar nicht mehr ausführen könnten, selbst wenn wir wollten...

Und deshalb muss ich darauf bestehen, zwischen beiden Sätzen klar und deutlich zu unterscheiden:

„Ja, das muss getan werden“ ≠ „Gut, ich übernehme das“

Den einen habe ich gesprochen, den andern nicht! Ich kann es nicht glauben: Der Himmel selbst hat mich bloßen Menschen, der ich bin, in eine Zustimmungs-Falle hineintappen lassen!? Mich quasi hintergangen? Wie soll ich nun von ihm denken...?

Hm…

…oder muss ich... in meiner Schlussfolgerungskette... gar nicht zurückgehen, um meine Lebenslogik wieder in Ordnung zu bringen, sondern vielmehr vorwärts, um den Schluss als solchen überhaupt erst voll und ganz überblicken zu können und nicht in einem eigenen Kurzschluss steckenzubleiben? Was, wenn die himmlische Logik des Geistes viel weitblickender wäre als die Kurz-und-Klein-Schlüssigkeit meiner menschlich-privatimperialen Ratio...?

Sollte es dann vielleicht gar einen logisch-fließenden Übergang zwischen beiden Sätzen geben, der mir Geistesschwächling nur… irgendwie… entgangen ist…?

…und der einzige meinem „Auftraggeber“ anzulastende „Fehler“ wäre eine bloße Frage des, nun ja, mathematischen Taktes gewesen, der ihm aus menschlich-geistschwächlicher Sicht zum Vorwurf gemacht werden könnte, indem von ihm einige oder auch zahlreiche Rechen- oder Schlussfolgerungs-Zwischenglieder einfach übersprungen wurden, vor mir in meiner kleinlichen Rechenschwäche, so dass mir der Sinnzusammenhang abriss, obwohl er vorhanden war und ist – eine Erkenntnis übrigens, die ich damals doch gerade noch so - gleichsam aus dem Augenwinkel - mitgenommen habe ins Irdische herein, als ich nicht nur dachte „Ich fühle mich der Sache nicht gewachsen!“, sondern auch noch „Aber er sieht mich der Sache mit der Rettung gewachsen…?“

Was also umfasst die Groß-und-Weit-Schlüssigkeit des himmlischen Geistes?

Nun, zunächst einmal muss ich anerkennen, dass meine Unterweisung ein erheblicher Aufwand gewesen sein könnte, allein schon, weil es gewiss geraume Zeit in Anspruch nimmt, bis irdisch-menschliche Begriffsstutzigkeit in himmlisch-engelhaftes Verstehen umgewandelt ist, oder umgekehrt, bis Letzteres in Ersteres erfolgreich herunterübersetzt ist.

Des Weiteren ist der Präexistenz-Auftrag ja nur als Vorspiel zu betrachten, Präludium der anstehenden Lebenspraxis, in welcher was genau passieren sollte und auch passierte? Ein

a) anfängliches Hineinwachsen ins Christlich-Traditionelle, dann

b) ein Hineinschlittern in den Atheismus, dann

c) aber auch wieder ein Herauskommen, somit

d) ein Hindurchgehen, mit

e) dem Ergebnis, sage und schreibe, der Umwandlung des Materialismus der Gegenwart in einen Spiritualismus der Zukunft!

In der Tat! Ich würde diesen „Lebensplan“ in der Theorie nicht glauben können, wenn er mir nicht in der Praxis selbst passiert wäre!?

Aber die Höhere Logik reicht ja gewiss noch weiter.

Denn es kann ja vielleicht doch nicht jeder Beliebige für eine solche nicht gerade konventionelle Lebens- und Menschenaufgabe herangezogen werden, nur einer, der längerfristig darauf vorbereitet wurde oder vielleicht auch selbst darauf hingearbeitet hat, aber nicht nur in einem einzigen Leben, sondern womöglich über mehrere oder viele Leben hinweg, denn wie Lessing kritisch hinterfragt:

„Bringe ich auf Einmal so viel weg, dass es der Mühe wieder zu kommen etwa nicht lohnet?“ (EdM, § 98)

Externer Link zum Text: G.E. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, § 98, Projekt Gutenberg-DE - https://www.projekt-gutenberg.org/lessing/erziehng/erziehn2.html, abgerufen am 24.03.2024

Und habe ich nicht selbst gesagt, es könne nun einmal nicht Jeder an ein und derselben Raum-Zeit-Stelle resp. an ein und denselben Raum-Zeit-Stellen stehen, und diese könnten über die verschiedenen Leben der Individuen hinweg wesenhaft miteinander zu tun haben, in Kausalitätsverhältnissen, Abhängigkeiten und Bezügen zueinander stehen, in welche wir Einzelnen mehr zufällig als absichtlich und von Ewigkeit her geplant nun einmal irgendwann und irgendwie hineingeraten waren und sind usw.?

Ist es dann nicht so, dass derjenige, der bestimmte Entwicklungsmöglichkeiten faktisch erhält, auch über mehrere Geistesgeschichtsepochen hinweg, die dadurch zu persönlichen Geistes-Geschichts-Zeiten werden, dann auch entsprechende Handlungsnotwendigkeiten auf sich nehmen muss?

UND – IST ES DANN NICHT SO: Wer „Ja, das muss getan werden“ sagt, soll heißen: aus seinem Verstehen heraus einen solchen lapidaren, scheinbar unverbindlichen Satz überhaupt sagen kann, der hat im Grunde (seines mehrere Leben mitumfassenden unbewussten Denkens und Verstehen des Laufs der Dinge) damit auch schon gesagt „Gut, ich übernehme das“!?...

…selbst wenn ihm diese Schlussfolgerung als solche noch gar nicht aufgegangen sein sollte – in seiner menschlich-logischen Jetzt-sofort-Kurzsichtigkeit und Jetzt-sofort-Kurzschlüssigkeit!!??

Und hätte ich also meine irdische Biographie und Geistesgeschichte nur weit genug erst einmal abgewartet, bevor ich im Voraus urteile (und ein Nichtkönnen meinerseits behaupte), wäre mir dann nicht ganz von selbst aus meinem „Ja, das muss getan werden“ mein „Gut, ich übernehme das“ geworden, so dass die himmlische und vorauseilende Entscheidung und Logik absolut stimmig gewesen ist, mir im direkten Anschluss an mein „Ja, das muss getan werden“ den Aufbruchs-Befehl zu erteilen?

Weil der Himmel den menschlichen Erkenntnisvorgang als solchen, - das sich lebensgeschichtlich erst noch ereignende Verstehen im Menschenleben, das den Menschen zu einem Anderen und Neuen machen wird -, in sein Handeln bereits a priori miteinbeziehen kann?

Also muss grundsätzlich - allgemeinmenschlich und menschheitsgeschichtlich - gelten:

SOLL DENN NUN DER GANZE HEILSGESCHICHTLICHE AUFWAND DES HIMMELS UMSONST GEWESEN SEIN!!?? „Gratis“ ist er ja, aber „frustra“ sollte er eigentlich nicht werden. UND NUR, WEIL EIN KLEINER FISCH SICH ZIERT, AUS DEM KLEINEN UND MEINEN HERVORZUKOMMEN UND INS GROSSE UND SEIN(E) HINÜBER- UND EINZUGEHEN? Also das Große und Ganze des Geistes als sein Eigenes und Eigentliches anzuerkennen und also endlich den inneren, esoterischen Kreis des Seins zu betreten, während er lieber im äußeren, exoterischen Kreis oder in der Peripherie verbleiben möchte, gleich einer Katze, die um den heißen Brei herumschleicht, indem er fälschlich das Ganze des Seins zum ihn umgebenden Fremdartigen erklärt und ebenso fälschlich sein enges Erfahrungsvertrautes und Ge-Meintes für sein Eigenes und Eigentliches und Persönliches hält und ausgibt?

Warum nur müssen menschliche Individuen sich selbst immer so verbissen wichtig nehmen, als hätten sie im Universum Rang und Namen zu verlieren!? Ihre irdischen Ränge und Namen sind, realistisch resp. himmlisch gesehen, nur Schall, der vergehen wird, und Rauch. Der Ruach allein bleibt! Wozu sich also daran hängen? Warum können sie sich nicht einfach als Geistwesen unter Geistwesen einreihen, wie alle anderen auch, im Großen und Ganzen!? Was haben "Menschen" nur für ein „besonderes“ Problem mit "sich selbst", so dass sie nicht „kosmisch normal“ zu behandeln wären, sondern irgendwie „irdisch besonders“, als könne es oder solle gar - ernsthaft-lachhaft - ein kosmisches Anliegen sein, eine irdische Extrawurst zu braten oder auszuklamüsern!!?? Etwa, weil SIE SICH für die KRONE der SCHÖPFUNG HALTEN, diese vielen selbsterklärten Prinzlein und Prinzesschen? Und wenn es nun doch umgekehrt wäre, und sie selbst setzten dem GANZEN DER SCHÖPFUNG erst die KRONE auf, was dann?

***

Die Deadline ist 2024, also dieses jetzige Jahr, wenn ich das mutmaßlich prophetische Wort des Anthroposophen ernst nehme. Dabei könnte es mir doch völlig egal sein, es ist doch sein Wort gewesen, nicht meines. Warum denn soll ich nun seine Sache zu der meinen machen, sein Wort zu dem meinen?

Etwa: Weil ich nur mit der Bibel allein, also ohne ihn, nicht und niemals zum Geist gekommen wäre? Und weil uns ohne ihn die biblische „Tradition des Geistes als solche“ auf ewig transzendent und unbekannt geblieben wäre (ein Gedanke und Schluss, den ich unten erst nach ausziehen werde)? Eine Über-Erkenntnis, die aber auch nur dann und dadurch möglich ist, wenn und dass wir angefangen haben werden, sie in unserer Geistesgeschichte konkret zu verifizieren? Was wiederum nur dann und dadurch möglich ist, wenn und dass wir Geistern unter uns, menschlichen Geistwesen, die uns im Erkennen und Verstehen vorausgeeilt sind, diesen ihren Vorsprung als solchen anerkennen?

In Summe ein wirklich gutes Argument, dem ich keinen Widerspruch entgegensetzen kann, denn: Ohne die (Christus-zentrierte) Anthroposophie wäre mir die Bibel dunkel, unerheblich, peripher, redundant geblieben…

Und jetzt ist es auch noch – ausgesprochen…!? - Jetzt ist es da. Jetzt stehe ich da… - …mit meinem „Wissen“, das doch gar kein richtiges Wissen ist, vielmehr ein Nichtwissen, ein Zweifeln, nichts Halbes und nichts Ganzes… Schwamm drüber…? - „Aber das philosophische Nichtwissen wurde oben ein höheres Wissen genannt, oder etwa nicht?“ - Also gut. Ja, das stimmt schon… Meine Widersprüche gehen mir aus…

Und deshalb muss ich mich ernsthaft fragen, ob ich denn überhaupt noch im Zeitplan liege? „Zu früh“ bin ich wohl nicht dran, aber vielleicht „zu spät“, denn das Deadline-Jahr läuft ja bereits!?

Und in meiner Festsetzung dieser „Deadline“ hatte und habe ich ja die Prophetie des Anthroposophen zeitlich bereits zum Äußersten ausgereizt, denn er gibt sie in mehrfachen Formulierungen, und die meisten davon setzen den „Ablauf des 20. Jahrhunderts“ als Ende und gleichsam als „Urteil über das Schicksal der Menschheit“ fest. Aber damals war ich noch nicht soweit, noch nicht bereit, hatte kaum mein eigenes Buch begonnen (1998) und hatte keinen Sinn und keine Aufmerksamkeit für irgend Anderes, selbst wenn es wichtig gewesen sein sollte...

Und nur ziemlich zuletzt, im Vortrag vom 14. August 1924, sagt er, der auf Erden nötige spirituelle Schub müsse erfolgen

„…mit der Wende des 20., 21. Jahrhunderts – also in einer geringeren Anzahl von Jahren, als ein Jahrhundert beträgt -…, um dann dasjenige …. zur Kulmination, zum vollen Ausdruck zu bringen“

(Esoterische Betrachtungen… Bd. VI, GA 240, TB 716, S. 234, zweiter Vortrag in Torquay vom 14. August 1924 = GA 240, S. 114)

Diese Textwiedergabe des Bandes GA 240 "Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge Bd. 6" der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (deren Herausgabe dem Rudolf Steiner Verlag obliegt) basiert auf der Werkbearbeitung einer älteren Ausgabe dieses Bandes GA 240 (externer Link: https://steiner.wiki/GA_240), durch die freie Literaturdatenbank SteinerWiki (externer Link: https://steiner.wiki/Hauptseite), zum Zwecke der kostenfreien Zugänglichmachung des Werkes Rudolf Steiners, und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In SteinerWiki ist eine entsprechende Liste der Werkbearbeiter zu GA 240 verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Näheres zur kostenfreien Zugänglichmachung vgl. unter "Unser Anliegen" auf der SeinerWiki-Hauptseite, GA 240 abgerufen am 10.06.2024.

Deshalb habe ich als Deadline den 13. August 2024 festgesetzt, wobei ich auch wiederum seinen Ausdruck „in einer geringeren Anzahl von Jahren“ bereits schon wieder geflissentlich übergehe, um meine Hoffnung, noch im Zeitplan zu liegen, doch noch nicht aufgeben zu müssen…

Wie kommt er denn überhaupt auf diese seine Prophezeiung!? Wo nimmt er sie her? Warum bringt er sowohl seine eigene Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft, die auch ratlos ist, soweit ich sehe (denn in der Sekundärliteratur habe ich nichts Kompetentes resp. Verbindliches darüber gefunden); als auch uns, die Menschheit insgesamt, in eine solche Verlegenheit; setzt zuletzt also auch mich selbst dermaßen unter Zeitdruck, dass ich mein Buch nicht mehr in Seelenruhe zu Ende schreiben kann, so dass ich mein „ordentliches Leben“ verlassen und einen „außerordentlichen Weg“ einschlagen muss, von dem ich nicht unbedingt sehen kann, dass er der meine ist und sein solle? Seine „Prophezeiung“ läuft meinem „natürlichen Entwicklungs-Zeitmaß“ zuwider!?

Diese… Na-ja-Prophezeiung steht da wie ein Ausruf, eine Mahnung, eine Warnung: „Achtung! Das Ende kommt! Der Schluss wird jetzt gezogen! – Jetzt aber hopp und schnell noch aufgesprungen, ehe der Zug der Heilsgeschichte abgefahren sein wird, sei es mit, sei es ohne Menschen!“

Anderseits kann ich jetzt, nachdem ich glaube, eingesehen zu haben, dass die Steinersche „Anthroposophie“ nicht nur die Sehnsucht der alteuropäischen „Suche nach Weisheit“ zur Erfüllung bringt, in einer in den Menschen selbst einziehenden Weisheit (Anthropo-Sophie), sondern auch rechtmäßiger Erbe der immer noch unbekannten und unsichtbaren christlichen „Tradition des Geistes“ ist, der den Rückhalt des Heiligen Geistes selbst hat, konkret werdend im Handeln des Erzengels Michael, denn wenn ich auch kein Mitglied der (irdischen) Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft bin, so sehe ich mich doch als zugehörig zu der (überirdisch bestehenden) Anthroposophischen Bewegung (der Michaeliten), die ursächlich von Michael herkommt, der seine (kosmische) Freizeit und sein Entbunden sein von kosmisch-irdischen Aufgaben dazu benutzte, diese das Evangelium hochhaltende Geistesinitiative im Interesse der Menschheit zu zünden; anderseits also kann ich jetzt nicht mehr sagen, ich wolle mit dieser „Menschen-Weisheit“ nichts zu tun haben, sie gehe mich nichts an, indem ich ihre Folgerichtigkeit ja sogar aus rein philosophischen Erwägungen heraus - unabhängig von allem esoterischen oder okkulten Wissen - erkennen kann!?

Wenn „der Geist“ auch durch die Menschenleben schreitet, geschichtlich und geistesgeschichtlich zielgerichtet, und wenn ich – biographisch - Gedanken und Ideen gefasst habe, die weithin „gegenwartstranszendent“ liegen, obgleich sie „irdisch relevant“ sind, dann erhebt sich für mich persönlich die Frage, ob ich „meinen Zeitpunkt“ nun verpasst habe oder noch nicht verpasst habe?

Will sagen: Der Maßstab des Individuums ist kein gesellschaftlicher Durchschnitt, und sei er noch so hoch akademisch angesetzt. Der Maßstab des Individuums sind seine eigenen, individuellen Möglichkeiten, die ihm im Verlaufe seines Lebens resp. seiner vergangenen Biographien zugewachsen sind. Und weil oder wenn sie ihm gesellschaftlich zugewachsen sind, so ist es auch – entsprechend - gesellschaftlich verantwortlich. Und wenn es hinter seinen eigenen Möglichkeiten zurückbleiben sollte, so schädigt es dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch die Gesellschaft, die ein Anrecht auf die Möglichkeitsumsetzung hat, weil sie sie zuerst ermöglichte.

Und so weiß ich nun nicht, ob ich hinter meinen eigenen Möglichkeiten zurückgeblieben bin und mich also gesellschaftlich und menschheitsgeschichtlich schuldig gemacht habe, z.B. indem ich zulange zögerte, länger als nötig, um mit dem, was mir im Erkennen zugewachsen ist, mit meinem „Nichtwissen, das möglicherweise ein Mehrwissen ist“, an die Öffentlichkeit und Allgemeinheit zu treten? Meine einzige Entschuldigung ist, dass dazu Freiheit gehört (insbesondere für einen Nichtdoktoranden), und …leider fühle ich mich nach wie vor nicht „frei“. Und ein „frei-genug-für-Menschenverhältnisse“, um rechtmäßig und ordnungsgemäß (oder auch außerordentlich) ans Handeln gehen zu können, kann ich nicht abschätzen…

Deshalb gebe ich nun, kurz vor knapp, vor Ablauf der ohnehin schon überdehnten Deadline, diese Buchzusammenfassung, ein Komprimat meines Denkens und Lebens, damit jeder und jede, der oder die will, sich ihr eigenes Urteil über das bilden kann, womit ich ringe und was ich noch nicht so zur Klarheit bringen konnte, wie ich es mir erhoffe und wünsche.

Bitte schnell noch rechtzeitig vor Mitte August 2024!,

wobei diese "dringliche Bitte" bereits in den Wind gesprochen zu sein scheint, denn ich selbst lasse ja der Gesellschaft keinen Vorlauf,

indem meine Website - die Quintessenz meines Denkens und Lebens -

wenn's "gut läuft" , grade mal zum "Termin"

ins Netz gestellt sein wird!!!???...


Ich kann aber einfach nicht glauben, dass es Luxus sei, wenn der Mensch in seinem Denken zuerst zur Klarheit gekommen sein möchte, bevor er auch nur einen einzigen Satz als eine Erkenntnis behauptet und ausspricht!? Und so sehe ich mein Ringen in Zusammenhang damit stehen, was laut Anthroposophen auch das Anliegen Michaels ist, nämlich, dass das menschliche Denken nicht in der Verirrung oder einer Schattenhaftigkeit stehen bleiben darf, sondern zu einer Spiegelung des Lichtvollen selbst werden können muss:

„Der Mensch muss zur Pan-Intelligenz kommen, zur Erfassung des Göttlichen auf der Erde in sündloser Form.“ (vgl. oben Abschnitt 23)

Und wenn sich eine Aufklärung und Lichtung menschlichen Denkens menschheitlich ergeben können soll, dann musss uns auch unsere eigene Geschichte durchsichtig werden können, nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch über die Gegenwart hinaus in die Zukunft hinein. Und so ist es im christlichen Glauben auch vorhergesagt:

„Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.“ (Joh. 16, 12f)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes16, abgerufen am 04.04.2024.

Wir brauchten uns also nicht zu wundern, wenn uns die Zukunft als solche erkennbar und durchsichtig werden würde. Und ich persönlich wundere mich nicht, wenn in der Anthroposophie diese Zukunft – scheinbar ungewöhnlich früh - aufschimmert, weil ich diese Anthroposophie – ich muss es einräumen - als Teil meines mutmaßlichen Reißverschlussverfahrens zu erkennen glaube und daher auch anerkennen will und muss.

33. Das letzte Buch unseres Buches enthält unseren Geschichtsweg

Dazu gehört, dass die Offenbarung des Johannes anthroposophisch als Einweihungsbuch gesichtet wird (vgl. Rudolf Steiner, Die Apokalypse des Johannes, GA 104, Juni 1908, Vorträge 1-2 in Nürnberg, 18.-19. Juni 1908 = S. 34-65, https://steiner.wiki/GA_104), geschrieben von einem, der also unzeitgemäß „Weisheit“ empfing.

Damit muss dieses Buch die alte und verloren gegangene Weisheit wieder in sich enthalten, die somit nicht gänzlich verloren worden ist, sondern lediglich vorübergehend verschüttet war. Wir können insofern davon ausgehen, auch die höhere Weisheit in den Mysterienstätten sei nach und nach verloren gegangen (so stellt es der Anthroposoph auch dar), und es musste ein Neubeginn erfolgen, der darauf hinsteuert, die Weisheit im Menschen zu befestigen (nun erst als auch seine Weisheit).

Unser geschichtlicher Weg ist prinzipiell abgebildet in den Sendschreiben an die sieben Gemeinden, die für die sieben „Kulturepochen“ unseres „Zeitalters“ stehen, die vom Anthroposophen folgendermaßen wiedergegeben werden, wobei ich jetzt einen Abschnitt aus dem Fünften Satz meines Buches zitiere, in welchem ich einen Abriss jener himmlisch-irdischen Geistesgeschichte Europas nachzuzeichnen versuche, wie der Anthroposoph sie in seinen reifsten und spätesten Vorträgen „Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge“ (GA 235-240) verstreut gegeben hat:

Unsere fünfte Kulturepoche gehört zum V. sog. nachatlantischen Kulturzeitalter, das bislang folgendermaßen geschichtlich Konturen angenommen hat:

7227 – 5067 v.Chr.                           urindisch                                                              Ephesus (Offb. 2,1-7)

5067 – 2907                                    urpersisch                                                           Smyrna (Offb. 2,8-11)

2907 – 747                                     ägyptisch-chaldäisch (auch hebräisch)                        Pergamon (Offb. 2,12-17)

747 v.Chr. – 1413 n.Chr.                    griechisch-lateinisch                                                Thyatira (Offb. 2,18-29)

1413 – 3573                                   unsere (erst begonnene) „Gegenwart“                       Sardes (Offb. 3,1-6)

3573 – 5733                                   sechste nachatlantische Kulturepoche                         Philadelphia (Offb. 3,7-13)

5733 – 7893 n.Chr.                          siebte nachatlantische Kulturepoche                            Laodikia (Offb. 3,14-22)

Die sieben Gemeindebriefe: Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung3, abgerufen am 19.06.2024.

Jede Kulturepoche umfasst 2160 Jahre, ein Kulturzeitalter damit 15120 Jahre, und die Kulturzeitalter (wiederum sieben) sind durch einschneidende Ereignisse voneinander geschieden. Nach Atlantis kam die „große Flut“ (Sintflut, letzte Eiszeit), nach der siebten nachatlantischen Kulturepoche wird ein sog. „großer Krieg aller gegen alle“ folgen. Die „sieben Siegel“ der biblischen Apokalypse stehen für die sieben Kulturepochen des künftigen VI. Kulturzeitalters, und die „sieben Posaunen“ stehen für die sieben Kulturepochen des künftigen VII. Kulturzeitalters.

Zu den Zeitangaben vgl. Artikel "Zyklus der Präzession" in Wikipedia (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Zyklus_der_Pr%C3%A4zession, abgerufen am 10.06.2024) und Artikel "Platonisches Jahr" in AnthroWiki (externer Link: https://anthrowiki.at/Platonisches_Jahr, abgerufen am 10.06.2024).

Uns soll hier näher der Zeitraum 1413 – 3573 n.Chr. interessieren, denn unser angefangenes 21. Jahrhundert fällt darunter. Die Zuordnung der Gemeinden bzw. Schreiben an die Gemeinden habe ich hier zusätzlich eingefügt. Für uns relevant ist also das Schreiben an die Gemeinde zu Sardes, das wir zunächst einmal lesen wollen, wobei ich den Text nach Sinnabschnitten bereits untergliedert habe:

"An den Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: So spricht Er, der die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne hat:

Ich kenne deine Taten. Dem Namen nach lebst du, aber du bist tot. Werde wach und stärke, was noch übrig ist, was schon im Sterben lag! Denn ich habe nicht gefunden, dass deine Taten in den Augen meines Gottes vollkommen sind.

Denk also daran, wie du die Lehre empfangen und gehört hast! Halte daran fest und kehr um! Wenn du aber nicht aufwachst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst bestimmt nicht wissen, zu welcher Stunde ich zu dir komme.

Du hast aber einige Leute in Sardes, die ihre Kleider nicht befleckt haben; sie werden mit mir in weißen Gewändern gehen, denn sie sind es wert.

Wer siegt, wird ebenso mit weißen Gewändern bekleidet werden. Nie werde ich seinen Namen aus dem Buch des Lebens streichen, sondern ich werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt." (Offb. 3,1-6)

Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung3, abgerufen am 19.06.2024.

Die Sardes-Zeit ist unsere eigene Zeit, und laut Anthroposoph wird in diesen Schreiben jeweils zweierlei genannt: Dinge, die im Menschenleben bzw. in der Christlichkeit noch nicht passen, und Dinge, die schon gute Ansätze zeigen.

Der erste und letzte Absatz ist Rahmung, wobei die „sieben Geister Gottes“ und die „sieben Sterne“ esoterische Fachtermini bezeichnen bzw. Symbolsprache sind, die ich hier außen vor lasse. Der Schreiber der Offenbarung identifiziert die „sieben Sterne“ als die Engel der Gemeinde (Offb. 1,20; vgl. Offb. 2,1), der Anthroposoph gibt eine analoge (a) und eine abweichende Deutung (b).

a) „Die sieben Sterne sind nichts anderes als Symbole für die sieben höheren geistigen Wesenheiten, welche die Führer der großen Kulturepochen sind.“ (GA 104, S. 79 – Bezug zu Ephesus, 2,1 - externer Link: https://steiner.wiki/GA_104#DRITTER_VORTRAG,_N%C3%BCrnberg,_20._Juni_1908)

b) „Und die sieben Sterne, das sind die Sterne, nach denen wir verstehen, was der Mensch heute ist und was er in der Zukunft werden soll. Wenn wir sie aufzählen, die aufeinanderfolgenden Sterne der Erdenverkörperung: Saturn, Sonne, Mond, Erde, Jupiter, Venus und Vulkan, dann sind das die sieben Sterne, die uns die Entwickelung des Menschen verständlich machen. …“ (GA 104, S. 84 – Bezug zu Sardes, 3,1 - selber externer Link).

Diese Textwiedergaben des Bandes GA 104 "Die Apokalypse des Johannes" der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (deren Herausgabe dem Rudolf Steiner Verlag obliegt) basieren auf der Werkbearbeitung einer älteren Ausgabe dieses Bandes GA 104 (externer Link: https://steiner.wiki/GA_104), durch die freie Literaturdatenbank SteinerWiki (externer Link: https://steiner.wiki/Hauptseite), zum Zwecke der kostenfreien Zugänglichmachung des Werkes Rudolf Steiners, und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In SteinerWiki ist eine entsprechende Liste der Werkbearbeiter zu GA 104 verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Näheres zur kostenfreien Zugänglichmachung vgl. unter "Unser Anliegen" auf der SeinerWiki-Hauptseite, GA 104 abgerufen am 10.06.2024.

Die Rahmung ist verbunden mit ostinaten Elementen, die in den sieben Schreiben gleich oder auch ähnlich wiederkehren.

Zu Beginn „Ich kenne deine Taten“ (οἶδά σου τὰ ἔργα; Vers 1):

Damit ist deutlich gemacht: Wie immer sich das Leben auf Erden entwickelt, es ist vom Himmel aus sichtbar, bekannt und durchschaut, auch in seinem Fortschreiten in der Zeit mitverfolgt resp. kontrolliert, selbst wenn Zeiten kommen sollten, in denen die Menschen das nicht mehr glauben werden, weil sie sich in einer unabhängig gewordenen, autarken Wirklichkeit wähnen, in der sozusagen nichts und niemand mehr um sie ist.

Am Ende „Wer siegt“ (Ὁ νικῶν; Vers 5) und „Wer Ohren hat…“ (Ὁ ἔχων οὖς; Vers 6):

Griechische Textgrundlage: Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, 28., revidierte Auflage, hg. v. Barbara und Kurt Aland, Johannes Karavidopoulos, Carlo M. Martini und Bruce M. Metzger in Zusammenarbeit mit dem Institut für Neutestamentliche Textforschung, Münster, © 2012 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart - externer Link: https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/NA28/REV.3/Offenbarung-3, abgerufen am 05.04.2024.

Die Reihenfolge dieser beiden ostinaten Abschlusssätze ist ab dem vierten Sendschreiben umgekehrt, was kein Zufall oder Versehen oder Abschriftfehler sein muss. Denn in früheren Zeiten lag ein „Hören“ vor dem „Siegen“, und wir können es als „altes Hellsehen“ deuten, ein noch Hineinsehen können in die Himmels- oder Geistwelt. Das „Siegen“ gewinnt erst ab der vierten, griechisch-lateinischen Kulturepoche Relevanz (Zeitpunkt des Kommens Jesu Christi), und allein dieses Siegen führt dann zu einem „neuen Hellhören“, nämlich unmittelbar in die Geistwirklichkeit selbst hinein. Also: Das alte Hellsehen liegt vor dem Siegen (Hören -> Siegen), das neue Hellhören folgt dann auf das Siegen (Siegen -> Hören).

Nehmen wir als kulturgeschichtliche Repräsentanten Homer und Beethoven. Homer war blind und doch hellsichtig in seinem Wahrnehmen, denn es griff noch ein altes Hellsehen. Beethoven war zuletzt taub und doch hellhörig in seinem Werk. Die Musik war ihm ein Mystisch-Magisches, ein höheres Wahrnehmen, in welchem die Strahlen des Geistigen einzufangen seien bzw. welches in dieses Strahlen des Geistes selbst hinein- und hinaufführen sollte. Und bildlich können wir hier den Ersten Satz der Mondschein-Sonate assoziieren, dazu dann literarisch Goethes Gedicht „An den Mond“ gesellen. Und es spielt keine gewichtige Rolle, dass der Name „Mondschein-Sonate“ erst nach Beethovens Tod geprägt wurde, entscheidend scheint mir hier das Musikempfinden.

- Aus diesem Grund hatte ich in der Schulzeit in einem Deutsch-Aufsatz behauptet, ein Liebhaber der Musik müsse eigentlich eine Komposition besser empfinden können als der Komponist selbst, der ja immer das Handwerkliche hierbei mit im Kopf und vor Augen haben müsse und nicht abstreifen könne. Der Lehrer quittierte mir das, aus seiner Ratio heraus, als krassen Fehler. – Ein andermal mokierte er sich vor der ganzen Klasse darüber, dass einer (er nannte meinen Namen nicht) ein Wort wie Ich-Identität benutzt hatte, ohne überhaupt eine Vorstellung von der Bedeutung dieses Wortes zu haben (Es ging um Max Frisch, Homo Faber, vgl. aber „Stiller“ oder „Mein Name sei Gantenbein“). Er selbst hatte sich scheiden lassen, nachdem er eine Lehrerskollegin geschwängert hatte. - Was ein Glück für meine Frau, dass ich keine Identitätsprobleme habe (auch wenn sie angesichts dieses Textes oder meines Lebens nicht verwunderlich wären). -

Analog wollen wir auch froh darüber sein, dass einer der berühmtesten Beatles-Songs heute nicht mehr „Scrambled Eggs“ (Rühreier) heißt, wie ursprünglich, sondern „Yesterday“. Die Liverpooler Arbeiter-Köpfe mussten schon ein gutes Stück Kulturschliff über sich ergehen lassen, und zu diesem Zweck hielt das Schicksal Brian Epstein als Manager und George Martin als Produzenten für sie bereit. Letzterer hatte auch die Streicher in „Yesterday“ ergänzen dürfen, aber das ebenso gewünschte Vibrato war Paul McCartney dann doch zu viel gewesen. Fazit: Die „Eier“ passen hier nicht, und der „Mondschein“ passt dort besonders gut.

Nehmen wir dazu den Satz des Johannesevangeliums,

„Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, auf dass die da nicht sehen, sehend werden, und die da sehen, blind werden.“ (Joh. 9,39),

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes9, abgerufen am 05.04.2024.

so wird erkennbar, dass die Umkehrung höhere, himmlische Methode hat. Die „erste“ Wahrnehmung betrifft die Sichtbarkeit, und im Allgemeinen wird man sagen, das Sehen sei wichtiger als das Hören, um Selbstständigkeit und Freibeweglichkeit in der Raumorientierung zu haben. So sagt auch Aristoteles zu Beginn seiner „Metaphysik“, das Sehen eröffne ein größtmögliches Unterscheidungsspektrum. Homer steht deshalb für die Wahrnehmungssituation vor der Epoche des Durchschreitens des mundus sensibilis. Die „zweite“ Wahrnehmung hat nun diese unsere Sichtbarkeit und Sinnlichkeit zur Grundlage und Voraussetzung: Das Sehen ist jetzt da, und siehe da, es gibt ein besseres, anderes Sehen oder Hören, welches aber jetzt eine Aufmerksamkeitsverlagerung erfordert. Beethoven steht für diese geänderte Situation unseres Wahrnehmens, wobei die kulturgeschichtliche Schärfung unseres Differenzierungsvermögens eine erhebliche Rolle spielen kann, die wir aber schlecht sehen können, weil uns diese unsere Unterscheidungskunst gewohnt ist, so dass sie „natürlich“ erscheint, obwohl sie „erworben“ ist.

Zwischen beiden Wahrnehmungsformen liegt ein Wendepunkt, ein Siegen, und in der vierten oder Mitte der Kulturepochen erscheint Christus auf Erden, dem auch der Anthroposoph zentrale Bedeutung für die Menschheit in ihrer Entwicklung zuschreibt (er spricht immer wieder vom „Mysterium von Golgatha“). Christus in seiner Geistigkeit nun können wir nennen den „Geist der Menschheit“, denn in ihm ist das Ideal und Ziel menschlichen Selbstbewusstseins abgebildet und aufgezeigt, insofern jeder einzelne Mensch in sich „Menschheitlichkeit“ und „Menschlichkeit“ entfalten soll. Von Natur aus oder der Herkunft (= natio) nach ist ein solches Selbstbewusstsein, ein solcher Geist unter den Menschen nicht vorhanden, und so hat ihn jedes Individuum frei aus sich selbst heraus zu setzen und zu entfalten.

So lapidar können wir das heute formulieren „Jedes Individuum muss eben…“, dabei übersehen wir auch wieder, dass solches Individuum-Sein heute da ist, früher aber keineswegs da war. Die Individualisierung hat sich erst geschichtlich-geistesgeschichtlich ergeben, soll heißen: Unser Blicken-Können auf uns selbst, unsere Selbstwahrnehmung war früher nicht möglich! Und als Wegmarken könnten wir beispielsweise benennen das römische Recht im „Bürger“-Sein (vom Anthroposophen ausdrücklich genannt in dem Kapitel „Die Briefe an die sieben Gemeinden“, GA 104, S. 66-86 = Dritter Vortrag, Nürnberg, 20. Juni 1908), das Aufkommen eines individuellen Empfindens von „Liebe“ in der hochmittelalterlichen Minne (vgl. Nachtrag hierzu weiter unten), die neuzeitliche Subjektivierung der Philosophie, die Festschreibung unveräußerlicher Menschenrechte, eine zunehmende Individualgestaltung der leiblichen Äußerlichkeit (abweichende Haarfarbe, sich abgrenzende Haarschnitte, Piercing, Tätowierung etc.), auch die Auflösung klarer Grenzen zwischen Mannsein und Frausein (männlich – weiblich – divers, Stichwort „Gender“).

Dies alles zeigt uns, dass wir eines heute auf jeden Fall haben: eine Wahrnehmung unserer selbst. Einstmals waren wir noch hingelenkt zur Geistwelt, abgelenkt durch und auf sie, keine eigenständigen Geistwesen. Das ist der eine entscheidende Punkt, der andere ist dieser: Über der gewonnenen Selbstwahrnehmung haben wir die Wahrnehmung der Geistwelt um uns herum, die auch hier und heute da ist, verloren.

Also braucht es nun methodisch eine „Umkehr“, Umkehr unseres Geistes, Umkehrung unserer Wahrnehmung wieder von uns selbst weg, jetzt aber: über uns hinaus, wieder in die Geistwelt hinein, aber nicht, um uns wieder zu verlieren in unserer Eigenständigkeit. Sondern diese Eigenständigkeit haben wir erworben und behalten sie, und mit und in ihr sollen wir jetzt zur Geistigkeit der Welt zurückkehren. Das geht, wenn wir uns mit der Individualisierung auch ein Gehen-lernen-im-Geiste aneignen, was wir nicht tun müssen, aber tun können.

Und damit hat der Mensch – als gewordenes Individuum mit selbstständigem Denkvermögen – nun das Rüstzeug, um jenen Sieg zu erringen, der in der Offenbarung gemeint ist: den Sieg über sich selbst. Und ganz unabhängig von der Bibel und Offenbarung haben wir bereits philosophisch gesprochen von einem notwendigen Sieg, wenn man sich die Erkenntnis der Wahrheit des Seins (letztlich Sein oder Nichtsein – das ist die Fundamentalfrage der menschlichen Existenz) zum persönlichen Ziel gesetzt hat. Und dieses Wahrheitsstreben in Philosophie und Wissenschaft (von mir biblisch-theologisch parallelisiert mit der den Menschen rettenden „Liebe zur Wahrheit“) erfordert die Preisgabe des Willens zum Sein, den prinzipiellen Durchgang durch den Tod, d.h. der Einwilligung ins eigene Nichtsein, als Voraussetzung dafür, der Wahrheit über das Sein bzw. über uns selbst überhaupt ansichtig werden zu können. Der Wille zur Wahrheit fordert das Ja zum Tod heraus, und damit führt er zum Sieg der Individualität über sich selbst, die von nun an ein neues Leben hat, ein Leben nach dem eigenen Tod, das den Tod nun in sich enthält, angenommen hat und nicht mehr angstvoll sich davon distanziert und ihn von sich ausschließt, nach dem Lebensmotto: „Ich will nicht, dass der Tod zu meiner Welt gehört.“ Man könnte daher das Rätsel menschlicher Existenz einfangen in den dialektischen Satz: Die Lebensaufgabe des Menschen ist die dialektische Aufgabe (Preisgabe oder Aufhebung) seines Lebenswillens, oder: Die Aufgabe des Individuums ist die dialektische Aufgabe seiner selbst - in die Geist-Gemeinschaft hinein.

Jetzt können wir uns dem eigentlichen Sardes-Text nähern. Es verbleiben drei (mittlere) Sinnabschnitte, die unsere eigene Zeit charakterisieren wollen und auch mit der Formel „Ich kenne…“ behaupten, sie in ihrem Innersten und Wesen erfassen zu können, sozusagen a priori, aus himmlisch-höherer (und weiter reichender) Wahrnehmung und Entwicklungsbeobachtung des Irdischen heraus.

***

Erster Sinnabschnitt (Offb. 3,1-2):

Ich kenne deine Taten. Dem Namen nach lebst du, aber du bist tot. Werde wach und stärke, was noch übrig ist, was schon im Sterben lag! Denn ich habe nicht gefunden, dass deine Taten in den Augen meines Gottes vollkommen sind.

Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung3, abgerufen am 19.06.2024.

Der „Name“ bezieht sich auf die „Christlichkeit“, im Text ist also schon vorausgesetzt, dass sich das Christentum menschheitsgeschichtlich etablieren wird und in der Sardes-Zeit etabliert haben wird. Zugleich wird eine „angebliche“ Christlichkeit konstatiert, also ein bloßes Namens- oder Wortchristentum, das die Sache, um die es im Namen geht, gar nicht in sich enthält. Somit wird unterschieden zwischen einem christlichen Nominalismus und einem christlichen Spiritualismus. Letzterer ist ausgesprochen z.B. in dem Wort:

„Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt. 18,20)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Matth%C3%A4us18, abgerufen am 05.04.2024.

Dann wird eine Anweisungsänderung gegeben, die den Gegenwartszustand des Tot seins überwinden soll, der nun näher charakterisiert wird als „im Sterben liegend“ und mit dem Hinweis, es sei doch noch ein Weniges erhalten geblieben. Die Aufgabe lautet „Werde wach!“, und wir erinnern uns an die „wirre Behauptung“ platonischer Philosophen, wir seien noch gar nicht am Tageslicht, sondern erblickten die Dinge nur in einem Höhlenlicht. Das Wachwerden bezieht sich also nicht auf unser Tageslicht und nicht auf unser sinnliches Wahrnehmen, sondern auf ein anstehendes höheres Wahrnehmen, aus unserem Traum oder Trauma des Materialismus heraus, in dem wir uns befinden wie in einer „Macht des Irrtums“. Es geht um ein spirituelles Erwachen in die Geistwelt hinein.

***

Der letzte Satz dann gefällt mir in seiner Übersetzung nicht recht, und ich möchte ihm gerne die Einheitsübersetzung des Jahres 1980 gegenüberstellen (wie ihn meine erste eigene Bibel enthielt, die ihren Gebrauch leider nicht überlebte – ich gehe davon aus, die Christenheit verfügt derzeit über eine ganze Menge Bibeln, die "wie neu sind"?...). Ich gebe zuerst die spätere(n) Übersetzungsvariante(n) wieder (a), dann den griechischen Wortlaut (b), dann eine Worterklärung (c) und dann - im Vergleich - die Einheitsübersetzung von 1980 (d):

a) Die spätere Übersetzungsvariante

"Denn ich habe nicht gefunden, dass deine Taten in den Augen meines Gottes vollkommen sind." (Einheitsübersetzung 2016, Herv.v.Verf.)

"...denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott." (Lutherübersetzung 2017, Herv. v. Verf.)

Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung3, abgerufen am 19.06.2024.

b) Der griechische Wortlaut

Das, worauf es mir hier ankommt, will ich zunächst am griechischen Text verdeutlichen:

οὐ γὰρ εὕρηκά σου τὰ ἔργα πεπληρωμένα ἐνώπιον τοῦ θεοῦ μου (Offb. 3,2, Novum Testamentum Graece, Herv. v. Verf.)

Griechische Textgrundlage: Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, 28., revidierte Auflage, hg. v. Barbara und Kurt Aland, Johannes Karavidopoulos, Carlo M. Martini und Bruce M. Metzger in Zusammenarbeit mit dem Institut für Neutestamentliche Textforschung, Münster, © 2012 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart - externer Link: https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/NA28/REV.3/Offenbarung-3, abgerufen am 06.04.2024.

c) Worterklärung (pepleromena - Pleroma)

Es geht mir um das (unterstrichene) Wort „pepleromena“. Mein Griechisch reicht nicht mehr aus, um dem näher nachzugehen (πληρόω?). Es steckt aber das Wort "Pleroma = Fülle" darin, das: "Glanz- und Lichtmeer, als Sitz der Gottheit, von wo alles Gute ausströmt" (so Wikipedia: bezogen auf die Gnostiker).

Dieser Text (auch der nachfolgende Absatz) basiert auf dem Artikel "Pleroma" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Pleroma) aus der freien Enzyklopädie "Wikipedia" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren des Artikels "Pleroma" verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum des Artikels: 06.04.2024.

Vgl. auch "Pleroma" in AnthroWiki - externer Link: https://anthrowiki.at/Pleroma, abgerufen am 06.04.2024.

Und es kommt im NT, bei Johannes und Paulus, in Verbindung mit der Zeit vor, also "Fülle der Zeit" und taucht eben auch auf im - so will ich ihn nennen - Kernsatz des Neuen Testamentes, von Jesus knapp und klar formuliert im Markusevangelium, der wie eine Fakten und Notwendigkeiten aufzählende Quintessenz der Menschheitsgeschichte erscheint:

"Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!" (Mk. 1,15, Herv. v. Verf.)

Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU/Markus1, abgerufen am 18.06.2024.

καὶ λέγων ὅτι πεπλήρωται ὁ καιρὸς καὶ ἤγγικεν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ· μετανοεῖτε καὶ πιστεύετε ἐν τῷ εὐαγγελίῳ (Herv. v. Verf.)

Griechische Textgrundlage: Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, 28., revidierte Auflage, hg. v. Barbara und Kurt Aland, Johannes Karavidopoulos, Carlo M. Martini und Bruce M. Metzger in Zusammenarbeit mit dem Institut für Neutestamentliche Textforschung, Münster, © 2012 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart - externer Link: https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/NA28/MRK.1/Markus-1, abgerufen am 06.04.2024.

Der Sinnzusammenhang des Wortes ist hier: Die Zeit ist vollgeworden. Unser Text der Offenbarung (und unserer Sardes-Zeit) sagt im Gegenzug: Eure Werke, euer Handeln ist noch nicht vollgeworden, so dass wir hier einerseits - vom Evangelium her gesehen - offenbar ein ideales Entwicklungs-Zeitmaß zugrunde liegen haben, wir können auch sagen: einen vorgegebenen Entwicklungs-Zeitrahmen, der sozusagen am Ablaufen ist bzw. auf seine Erfüllung zuläuft (oder schon zugelaufen ist?, vgl. aber das Ende der Offenbarung, das vom baldigen Kommen Christi spricht: Offb. 22,20). Anderseits ist diesem Zeit- oder Geschichts-Ideal unser faktisches Entwicklungs-Zeitmaß gegenübergestellt, das ein Defizit in dieser unserer Sardes-Zeit feststellt, das aber nur dann als wirkliches Defizit oder Fehlen in unserer Wirklichkeit in Erscheinung treten wird, wenn wir die noch bestehende Differenz zum Pleroma, zum Vollgeworden-Sein nicht erkennen und nicht anerkennen, beispielsweise indem wir uns (unbewusst) sagen: "Wir sind schon fertig." Denn wir befinden uns ja erst in der Sardes-Zeit (1413-3573), nicht schon in der Laodikia-Zeit (5733 bis 7893).

Grundsätzlich - scheint mir - wird in unserer Theologie (soll heißen: in unserem Bibellesen und Bibelverstehen) die Zeit als solche nicht angemessen gewürdigt und berücksichtigt. Es hängt wohl auch damit zusammen, dass in "unserem Hintergrund" (der vielmehr heute ganz stark in den Vordergrund gerückt ist) der Anschein besteht, der Mensch habe "alle Zeit der Welt", weil der "Ewigkeitsfluss der Materie" auf den Menschen und seine Ratio keinerlei Rücksicht nimmt, so dass Mensch und Menschheit - materialistisch gesehen - kosmisch leerlaufen und schlicht ein "Zufallsprodukt ohne tiefere Bedeutung" sind, so dass es für uns auch keinerlei "Zeitproblem" geben kann, denn im Grunde sind wir selbst belanglos, gleichgültig, zufälliger "Spielball der Materie", die uns in diesem Moment ein "Dasein" ermöglicht, um uns im nächsten Moment der Vernichtung und Nichtigkeit, ja, der Nie-Gewesenheit zu überantworten. - Und damit legt sich - unbewusst - auch nahe, dass es nicht viel Unterschied macht, ob man sich "verantwortungsvoll" oder "verantwortungslos" verhält, denn am Ende dieser "materialistischen Zeitrechung" kommt ja doch ein und dasselbe "Ergebnis unser aller Nichtigwerdung" heraus...?

Als gläubige Christen sehen wir das anders, und so ist auf das Bibelwort entscheidend Rücksicht zu nehmen, und damit müssen wir uns der Frage eines idealen, höheren Zeitmaßes unserer Geschichtsentwicklung stellen. Und wenn die Offenbarung ein Defizit für unsere Zeit veranschlagt, so bedeutet dies für uns grundsätzlich einmal: Wir haben noch nicht die Fortschritte gemacht, die wir noch werden machen müssen. Und wenn wir eine falsche Selbstsicht, also eine mangelhafte und ungenügende Selbsterkenntnis sowie eine verkürzte Geschichtserkenntnis haben, so wird daraus, in die Zukunft hinein, der Satz: Wir haben nicht die Fortschritte gemacht, die wir hätten tun müssen, so dass wir in Zeit- und Entwicklungs-Verzug unserer selbst gekommen sind (bzw. gekommen sein werden). Und tatsächlich können wir unsere eigene Wissenschaftsentwicklung ja auch so ansehen, dass darin bereits "Versäumnisse unserer selbst" zum Tragen gekommen sind, die aber als solche (noch) gar nicht gesehen werden, wie bereits im zweiten Menüpunkt dargelegt.

In unserer Sardes-Zeit liegt somit ein Krisis-, Einschnitts-, Wende-Punkt vor, - das Vollgewordensein-der-Zeit (zumindest schon seine Thematisierung, also das Anstehen dieses Geschichts-Ereignisses) - von dem noch nicht klar ist, in welche Richtung es mit der Menschheit gehen wird, wobei die Entwicklung faktisch als eine solche zu erwarten ist, dass der eine Teil der Menschheit die Krisis meistern wird, während der andere Teil ihr unterliegen wird, so dass also nur ein Teil der Menschheit seinen (sich in die Zukunft erstreckenden) Entwicklungs-Zeitrahmen wahren kann, während er für den andern Teil verlorengeht. Die anstehende "Entscheidung" ist also die, dass ein Teil der Menschheit hinter sich selbst "zurückbleiben" wird, was wir - evangelisch gesehen - einen zweiten (Sünden-)Fall nennen könnten oder aber die Affirmation des (Sünden-)Falles als solchen, durch die Preisgabe oder Nichtanerkennung und Nichteinstimmung in die faktisch vorhandene Aufwärtsbewegung des Evangeliums als solchen.

Und blicken wir in anthroposophisches Denken und Wahrnehmen hinüber, so finden wir dort einen kosmisch-komplexen Wahrnehmungs-Zusammenhang sog. zurückgebliebener Wesenheiten, die mehr oder weniger notwendig mit zur gesamtkosmischen Entwicklung gehören. Beispielsweise die sog. luziferischen Wesenheiten haben sich in der menschlichen Empfindungsseele festgesetzt (ziehen das Empfinden herab durch Begierden etc.), die sog. ahrimanischen Wesenheiten in der menschlichen Verstandesseele (verleiten zu falschem Urteilen), und in unserer Zeit kommen neu hinzu die sog. Asuras, die sich in der menschlichen Bewusstseinsseele tummeln und sich damit im menschlichen Ich selbst festsetzen und die nun sozusagen das mit dem Menschen machen, was Platon in seinem Höhlengleichnis ja bereits ausgesprochen hat: Sie fesseln ihn (symbolisch) an Händen und Beinen, was übertragen heißt: Sie bringen ihn dazu, sich selbst ganz und gar als Materiewesen zu begreifen, löschen ihm also das Bewusstsein von der Existenz der Geistwelt (und seiner eigenen Zugehörigkeit zu ihr) vollständig aus.

Die Wirksamkeit solcher Kräfte können wir ja heute sozusagen handgreiflich sehen, zumindest sehe ich es an mir selbst, indem ich in ein materialistisches Wahrnehmen hineingeglitten war und dann doch wieder daraus freigeworden bin, wobei ich ausdrücklich feststellen will: Aus eigener Kraft kommt der Mensch da nicht wieder heraus, er braucht Hilfe, heute aber auch zwischenmenschliche Hilfe, die mir nur dadurch möglich zu sein scheint, dass Menschen mit dem allergrößten Ernst versuchen, ihrem Animal-Rationale-Sein (gegenseitig) gerecht zu werden, soll heißen: eine möglichst sachlich-erkennende Kommunikation in aufrichtiger Weise untereinander zu pflegen, im Bewusstsein, dass wir doch "alle im selben Boot sitzen" und besser keiner von uns von sich selbst besser denken möge als von den anderen. Es geht also darum, Erkenntnismöglichkeiten aufzuzeigen und hierbei das Erkennen selbst, das Annehmen einer Erkenntnis als solcher, dem anderen Individuum frei zu überlassen, denn das Erkennen ist die Souveränität und Urkompetenz des Menschen als eines Geistwesens, aufgrund der gesellschaftlich unleugbar gewordenen Entwicklung der Menschheit zur Individualisierung. - Ich will damit auch sagen: Wir Menschen dürfen uns nicht gegenseitig ausspielen lassen, sondern müssen unsere Zusammengehörigkeit als Menschheit erkennen, verifizieren, forcieren, wahren, anstatt uns gegenseitig zu bekämpfen und uns selbst (in unserer Einheit und Zusammengehörigkeit) zu ruinieren...

Dieser Text basiert auf dem Artikel "Widersacher" (externer Link: https://anthrowiki.at/Widersacher) aus der freien Wissensdatenbank "AnthroWiki" (externer Link: https://anthrowiki.at/Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/). In AnthroWiki ist eine Liste der Autoren des Artikels "Widersacher" verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum des Artikels: 07.04.2024.

d) Einheitsübersetzung von 1980 im Vergleich:

Es geht um den zweiten Halbvers von Offb. 3,2, in den neueren Übersetzungen folgendermaßen formuliert:

"Denn ich habe nicht gefunden, dass deine Taten in den Augen meines Gottes vollkommen sind." (Einheitsübersetzung 2016, Herv. v. Verf.)

"...denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott." (Lutherübersetzung 2017, Herv. v. Verf.)

οὐ γὰρ εὕρηκά σου τὰ ἔργα πεπληρωμένα ἐνώπιον τοῦ θεοῦ μου (Offb. 3,2, Novum Testamentum Graece, Herv. v. Verf.)

"Ich habe gefunden, dass deine Taten in den Augen meines Gottes nicht vollwertig sind." (Einheitsübersetzung 1980, Herv. v. Verf.)

Einheitsübersetzung von 1980, online zugänglich über die Universität Innsbruck, externer Link: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/offb3.html, abgerufen am 19.06.2024. Ich zitiere die Einheitsübersetzung von 1980 online mit freundlicher Genehmigung der Katholischen Bibelanstalt GmbH. - Hinweis: Die Universität Innsbruck hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass sich in den nächsten Jahren die URL ändern wird. Sofern ich die Änderung nicht zeitgerecht nachvollziehe, dürfte der Bibeltext durch Internetsuche leicht auffindbar sein über Schlagworte: Einheitsübersetzung - Uni Innsbruck - Theologischer Leseraum - Quelltext.

Und es zeigt sich hier m.E., dass die Einheitsübersetzung von 1980 etwas Wesentliches erfasst hatte, was in der Revision von 2016 sowie in der Lutherbibel von 2017 wieder verloren wurde, soll heißen: In der ökumenischen Zusammenarbeit von 1980 wurde ein Wahres erkannt, welches in beiden konfessionellen Alleingängen als Erkenntnis wieder unterging...?

Die jüngeren Übersetzungen scheinen mir schlechter, weil „vollkommen“ ziemlich nichtssagend ist bzw. die Assoziation nahelegt, es gehe um einen Zustand des Vollkommen seins, der nicht erreicht worden sei. Es kann aber nicht um ein Vollkommen sein gehen, denn wir befinden uns inmitten einer geschichtlichen Entwicklung, nicht vor einem Endzustand stehend. Deshalb erscheint mir „vollwertig“ (bzw. "noch nicht vollwertig") zutreffender, insbesondere vor dem Hintergrund unseres heutigen Eindrucks, uns selbst bereits auf der höchstmöglichen Höhe menschlich-menschheitlichen Aufgeklärtseins zu befinden, also bereits "vollwertig" zu sein, was von mir im zweiten Menüpunkt mit dem Hinweis in Frage gestellt wurde, es könne womöglich ein noch moderneres Ich geben, als wir es hier und heute schon haben und sind?

Dem entspricht auch, dass laut anthroposophischer Lehre das nächsthöhere Glied über dem "Ich", das "Geistselbst", in der "Philadelphia-Zeit", die auf "Sardes" folgt, entwickelt werden wird.

"Die Gemeinde von Philadelphia repräsentiert nach Rudolf Steiner die zukünftige Slawische Kulturepoche, die unserem gegenwärtigen Bewusstseinsseelenzeitalter als sechster Kulturzeitraum folgen wird. Sie ist der weiteren Entwicklung des Geistselbst (Manas) gewidmet. Wer dieses genügend entwickelt hat, empfängt den Schlüssel Davids, mit dem er das Tor zur geistigen Welt öffnen, aber auch verschließen kann." (aus Artikel "Philadelphia" in AnthroWiki)

Dieser Text basiert auf dem Artikel "Philadelphia" (externer Link: https://anthrowiki.at/Philadelphia) aus der freien Wissensdatenbank "AnthroWiki" (externer Link: https://anthrowiki.at/Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/). In AnthroWiki ist eine Liste der Autoren des Artikels "Philadelphia" verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum des Artikels: 19.06.2024.

Das „noch nicht vollwertig“ korrespondiert dann auch der 'Stärkung dessen, was noch übrig ist' und 'was schon im Sterben lag'. Wenn heute eines im Sterben liegt, dann der Glaube an die Existenz einer Geistwelt. Und damit zeigt sich ein direkter Zusammenhang zwischen dem noch Unerfülltsein unserer Geistwentwicklung und der Stärkung eines vorhandenen (Glaubens-)Restes. Sinngemäß könnte man formulieren: Unsere Geistes-Taten (unser Tun im Denken) sind noch nicht ins Ziel bzw. in die Zielgerade gekommen. Im Glauben wissen wir zwar um unser grundsätzliches Dasein als Geistwesen, aber die Geistebene als Realebene haben wir noch nicht betreten, und so steht es jetzt Spitz auf Knopf, ob wir die Hürde nehmen, den Berggipfel (spiritualistischen Daseins) erreichen werden, oder ob unsere (Geistes-)Kraft nicht ausreicht, so dass wir in die Talsohle (unseres in die Sünde gefallenen und materialistisch gewordenen Daseins) zurückrollen werden.

Mit dem pepleromena ist also weniger ausgesagt, etwas an uns sei nicht vollkommen, und es ist vielmehr gemeint, es fehle uns noch etwas, ein kleines Stückchen. Und wir können uns assoziieren das Ermutigt werden in dem Moment, wo man kurz davor steht, ein Ziel zu erreichen, zugleich aber auch kurz davorsteht aufzugeben. Dann haben wir die Bedeutung des Textes: "Kommt! Ein kleines Bisschen noch! Ihr habt's doch gleich geschafft!"

Und wir dürfen nicht vergessen, dass es der Geist ist, der in den Sendschreiben zu den Gemeinden spricht. Und wenn er also sagt "Stärke, was noch übrig ist", so müssen wir uns das umformen in ein: "Ich will in mir stärken, was in mir noch übrig geblieben ist. Denn wenn der Geist mir sagt, dass ich das tun soll, so muss ich es wohl auch können?!" - Dasselbe Verb "stärken" (στηρίζω) begegnet uns auch in Lk. 22, wo Petrus von Jesus aufgefordert wird, die Brüder zu stärken; ich komme darauf im Schlussteil zurück.

Dieser Textsinn des Voll-werden-Sollens ist in der Einheitsübersetzung von 1980 noch festgehalten gewesen und in den Übersetzungen der Einheitsübersetzung 2016 und Lutherübersetzung 2017 dann wieder in die Unerkennbarkeit hinein verschwunden!

Das in unserer Zeit zu Erreichende ist noch nicht erreicht (wobei wir mitberücksichtigen müssen, dass unsere Jetzt-Zeit sich ja - anthroposophisch gesehen - bis 3573 erstreckt). Wir sind in unserer Geistesentwicklung noch hinter uns zurückgeblieben, oder: Wir haben unsere Geistpotenz noch nicht ausgeschöpft. Und wenn wir uns diese Bibelaussage beispielhaft konkretisieren wollen, so können wir auf die Unterscheidung eines falschen und wahren Betens im Johannesevangelium verweisen: Ein (christliches) Beten ist da, aber es fehlt noch etwas zum wahren Beten. Eine Entwicklung in die richtige Richtung ist aber zwischenzeitlich schon da (Religionskritik zur Beseitigung des "falschen Betens in der Seele und im Selbstbetrug"), aber sie ist noch nicht in die Zielgerade gekommen, dem "Beten im Geist und in der Wahrheit", das ist ein „Beten“ in der Form eines aufrichtigen Strebens zur Erkenntnis der Wahrheit (unseres grundsätzlichen Geist-Seins).

Im Verlaufe der letzten Seite der Website "I. Schluss - Teil 2" will ich das Johannesevangelium daraufhin ansehen, ob nicht der "Zeitfaktor" darin eine fundamentale Rolle spielt, parallel dazu (oder besser: diesen Zeit-Gedanken weiter ausziehend), ob nicht die Bibel gerade auch unsere eigene europäisch-christliche Geschichte schon in prinzipiell formulierten Grundzügen vorweg genommen hat? Dies entspräche der christlichen Grundüberzeugung: Das Wort Gottes wird Wirklichkeit werden. Und insgesamt kommt man dann in ein konkreteres Bibelauffassen hinein, mit der Zielrichtung, in ein wirklichkeitsbezogenes, reales Geistsein hineinzugelangen, das nicht mehr lose-abstrakt in der Welt dasteht, als ein "Vielleicht: ja, vielleicht: nein", sondern das in sich selbst zur Gewissheit gelangt und also eine wesenhafte Anbindung an die Geistwelt findet.

Wir können uns auch an den Prolog dieser Website erinnern: Der Theologe hat die Tiefe des Gegenstandes, der Tiefenpsychologe hat die Risikobereitschaft, in diese Tiefe voll und ganz hineinzugehen. Bezogen auf diese Bibelstelle könnte dann gemeint sein: Der Sardes-Mensch ist noch nicht voll und ganz in die Tiefe seiner selbst eingedrungen - es fehlt noch ein gutes Stück Selbsterkenntnis, selbst wenn er in seiner Aufgeklärtheit meint, schon "fertig" zu sein.

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Zweiter Sinnabschnitt (Offb. 3,3):

Denk also daran, wie du die Lehre empfangen und gehört hast! Halte daran fest und kehr um! Wenn du aber nicht aufwachst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst bestimmt nicht wissen, zu welcher Stunde ich zu dir komme.

Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung3, abgerufen am 19.06.2024.

Zunächst scheint mir das griechische πῶς bemerkenswert: "wie du die Lehre empfangen hast". Der Schwerpunkt der Aussage liegt also gar nicht auf dem Inhalt der Lehre (Stichwort: Dogmatik), sondern auf der Art und Weise, wie sie gekommen ist! Und ich sehe hier eine Entsprechung zur evangelisch-lutherischen Konfession. Luther übersetzt ja das ejeh asher ejeh aus Ex. 3,14 nicht statisch als "Ich bin, der ich bin", sondern dynamisch als "Ich werde sein, der ich sein werde". Kennzeichnend für sein Denken ist auch die sog. coram-Relation (im Sinne von "angesichts" oder "vor jmd. stehend"), so stellt es zumindest Gerhard Ebeling in seinem Luther-Buch klar heraus:

"Sucht man nach einem Stichwort, das Luthers Art zu denken von der Wurzel her zu charakterisieren vermag, so scheint mir die Wahl nicht schwer zu sein. Es handelt sich um eine Präposition, die man geradezu als Schlüsselwort für Luthers Seinsverständnis bezeichnen kann, nämlich "coram", auf deutsch gewöhnlich einfach mit "vor" übersetzt."

Gerhard Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken, 4. Aufl. 1981, Mohr (Siebeck): Tübingen, UTB 1090, S. 220.

Analog hatten wir festgestellt, dass das deutsche Wort "Gott" aus dem altgermanischen "anrufen" abgeleitet ist, aus einem Tun. Und zu Beginn der Website hatte ich herauszustellen versucht, dass die Philosophie im Grunde ihres Wesens kein gedanklicher Sach-Umgang mit den Dingen ist, sondern dass sie sich selbst von Anfang an als eine Beziehung konstituiert: als Gegen-Stand zum Ganzen des Seins, als ein nach Verstehen ringendes Stehen vor dem Ganzen des Seins. Und entsprechend schien es mir auch richtig, nicht mit "philosophischen Grundbegriffen" zu beginnen (die akademisch-wissenschaftlich erlernbar sind), sondern in den Anfang der Philosophie bei Sokrates hineinzugehen und zuzusehen, wie sich die Philosophie im platonisch-sokratischen Gespräch selbst formiert.

In diesem Zusammenhang habe in eindrücklicher Erinnerung ein Hegel-Seminar in Heidelberg, Mitte der 80er Jahre, in welchem Prof. Hans Friedrich Fulda, Hegelexperte, das Sach-Gespräch des Seminars quasi unterbrach, um lautstark in einen "Schicksal!"-Ruf auszubrechen (wobei ich vergaß, was er hierbei alles sagte). Alle Seminarteilnehmer mussten wohl ebenso perplex gewesen sein wie ich selbst, und ich weiß nicht, ob ihn jemand daraufhin im Nachgang ansprach - ich jedenfalls nicht. Parallel sah ich aber, dass er sich mit mir außerordentlich Mühe gab, und er zerpflückte mir meinen ersten Seminararbeits-Entwurf mit schriftlich fixierten Gedanken, zahlreich, 20-30, die er mir dann übergab. Und ein wesentlicher Punkt dieser Ausführungen war gewesen, dass er die Wendung benutzte "was man in einem akademischen Studium erlernen kann", womit er ja gerade den Finger in eine "Leerstelle" legte und mir zwischen den Zeilen sagte: Philosophie lässt sich nicht an der Universität finden und nicht erlernen. Man muss sie selbst erlernen und schon mitbringen. Der eine - hat's, viele, viele andere - nicht.

Der Text sagt uns damit, dass es um eine Bewegung geht, in die man hineinkommen oder hineinwachsen soll, weniger: sich in die Sache des Evangeliums einlesen und eindenken, sondern das Evangelium als geschichtliche Seinsbewegung erkennen und sich von dieser - menschheitsgeschichtlich gesehen - "frischen Brise" mitnehmen lassen. Und zu dieser Bewegung gehört dann freilich auch die gesamte Kirchengeschichte, deren Sinn und Zweck nicht darin besteht, eine Leerstelle (des Abwesendseins Christi) gleichsam notdürftig zu überbrücken, schon deshalb nicht, weil Jesus selbst gesagt hat, er müsse fortgehen, damit der Geist zu uns Menschen kommen könne (Joh. 16,7). Und deshalb kann die Devise der Kirche nicht sein: "Stock und steif durchhalten auf Biegen und Brechen!", sondern ihre Devise muss sein: "Geistig geschmeidig werden in der evangelisch-heilsgeschichtlichen Herausgestaltung wahren Christ- oder Menschseins". Wir haben also mit einer Kirchengeschichts-Dynamik zu rechnen, indem geistes- und heilsgeschichtlich in und mit uns etwas passiert. Es muss daher ein Gespür entwickelt werden, eine Sensibilität, um im Gang der Geistesgeschichte das Kommen des Parakleten wahrnehmen zu können und kirchengeschichtlich zu adaptieren, also zu verifizieren.

Weiter. Bei dem "Empfangenen und Gehörten" geht es um das Evangelium vom kommenden Reich des Geistes, das wir aber ins Alte Testament zurückverfolgen müssen, mit entstehendem Monotheismus, der das eine Bindeglied der geistesgeschichtlichen „Ich-Gott-Achse“ bestimmt und dieses Element „Gott“ selbst als zukünftig charakterisiert: Ich werde sein, der ich sein werde (Lutherübersetzung; Ex 3,14).

Soweit ich mich erinnere, gibt das Hebräische eine solche Futurum-Übersetzung - als eine unter mehreren Möglichkeiten - her. Insofern könnte man das Hebräische eine "zeitoffene Sprache" nennen, als schimmerten darin Zeitlichkeit und Zeit als Wirklichkeits-Räume oder auch "Schlupflöcher des Seins" überhaupt erst auf.

So wird die Individualisierung vorbereitet und überhaupt erst ermöglicht, und diese ist die Grundlage der Geistwerdung des Einzelnen, um die es ganz wesentlich in der Offenbarung des Johannes geht, auch im Johannesevangelium. Das „Empfangene und Gehörte“ wurde damit zuerst in der dritten oder Pergamon-Zeit grundgelegt, die der Anthroposoph als „ägyptisch-chaldäisch“ charakterisiert,

Ein andermal nennt er sogar fünf Völker zur Zeitraum-Charakterisierung: assyrisch-babylonisch-chaldäisch-ägyptisch-jüdisch.

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in die aber auch die Geschichte des Alten Israel fällt, die sich dann in die vierte, in die griechisch-lateinische oder Thyatira-Zeit herübererstreckt.

Weiter. Ein Zusammenhang in den Sendschreiben ist erkennbar über den Terminus „(Fest-)Halten“, der im dritten bis sechsten Brief wiederkehrt. Und wenn er im siebten Brief nicht mehr genannt ist, so wohl deshalb, weil hier die Entscheidung in die Zukunft hinein bereits gefallen ist: Das Positive der Gemeinde wird überhaupt nicht mehr genannt. Sie ist durch die in der sechsten oder Philadelphia-Zeit ‚aufgestoßene Tür‘ gegangen, die wohl den Zugang zum „neuen Jerusalem“ markiert, das nur ätherisch-geistig wahrnehmbar ist, nicht sinnlich-physisch. Und so wird das Wort eigentlich nur noch an die Übriggebliebenen gerichtet, aber sozusagen nur noch pro forma, weil diese das neue Hören nicht erlernt haben und damit faktisch taub und blind geworden sind, gemessen an den sich verändert habenden Wirklichkeitsverhältnissen, womit die Übriggebliebenen dieser Zeit, die sich selbst für „Materie- und Ich-Konstanten“ halten, aber nicht rechnen. Vgl. Offb. 3,10 der Philadelphia-Zeit:

„Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen.“

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Offenbarung3, abgerufen am 08.04.2024.

Diese „Bewahrung“ zeigt sich darin, dass die eigentlichen Gemeindemitglieder in der siebten oder Laodikia-Zeit außen vor und unerwähnt gelassen sind. Gesprochen wird zu den Anderen, die sich für reich halten, obwohl sie in Wahrheit arm sind. Zu diesem Pseudo-Reichtum können wir auch schon das Wissen unserer heutigen Wissenschaft rechnen, das zu einer Hybris führt (bzw. bereits geführt hat), zur materialistischen Selbst- und Wirklichkeitsverkennung: Sie weiß viel, das Wesentliche weiß sie nicht, und weil sie viel weiß, übersieht sie das Wesentliche als solches und versäumt es. Die Übriggebliebenen oder Zurückgebliebenen erhalten einen dreifachen Ratschlag zur Spiritualisierung ihres Lebens – ihr Pech, dass sie den Rat als solchen gar nicht mehr hören können (weil ihnen die Bibel keine Informations- und Wahrheitsquelle mehr ist und sie sich selbst auch nicht als "zurückgeblieben" einschätzen). Aber eine ‚rettende Tür‘ ist hier auch wieder genannt (wie in der Philadelphia-Zeit), allerdings nicht mehr die allgemein geöffnete Tür des Himmelreichs, sondern die je eigene Tür der Individuen, die sie dem anklopfenden Jesus Christus öffnen können, wenn sie seine Stimme hören resp. den Geist erkennen:

„Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, die niemand zuschließen kann...“ (Philadelphia, Offb. 3,8) – „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl [1 = wörtlich: Mahl] mit ihm halten und er mit mir.“ (Laodikia, Offb. 3,20)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Offenbarung3, abgerufen am 08.04.2024.

Der (gemeindebezogene, gesellschaftliche) „Kairos der Türöffnung“ ist vorüber, nun hängt es nur noch an den Individuen, die nun Glück oder Pech haben können, in die eine oder andere Gemeinschaft zu kommen. D.h. wer den gesellschaftlichen Schwellenübertritt in der sechsten Kulturepoche verpasst, erhält in der siebten Kulturepoche noch eine zweite Erkenntnis- und Gemeinschafts-Chance, allerdings nur noch individuell, so dass Selbstständigkeit im Denken bzw. Geiste nun vorausgesetzt ist. Und wir merken uns: Es gibt nicht nur eine allgemeine Himmelspforte, sondern jedes Individuum hat eine eigene Tür oder Schleuse, die es öffnen oder geschlossen halten kann – wir brauchen das noch.

Im Zusammenhang mit dem Öffnen und Schließen ist vom „Schlüssel Davids“ die Rede (Offb. 3,7), und auf der letzten Seite der Website wollen wir noch auf die Binde- und Lösegewalt zu sprechen kommen und der Frage nachgehen, ob es Petrus und seine Nachfolger sind, die den „Schlüssel zum Himmelreich“ besitzen, oder ob dieser „Schlüssel“ als ein „irdischer Besitz“ gar nicht zu haben sei, so dass er anderweitig zu verstehen und anzuwenden sein muss?

Man sieht, es ist schwierig, über ein einzelnes Sendschreiben zu sprechen, weil eine Vernetzung da ist, die berücksichtigt werden muss, damit das Einzelne aus dem Kontext und Ganzen heraus verstanden werden kann. - Dieser Satz gilt im Übrigen auch für jedes Menschenleben, für jedes Individuum, das nur aus seinem kompletten Lebens- und Sinnzusammenhang heraus verstehbar wird. Wie Hesse formuliert:

„Jeder Mensch ist liebenswert, wenn er wirklich zu Worte kommt.“

(Lektüre für Minuten. Neue Folge, Nr. 437, S. 189, Hg. Volker Michels, suhrkamp taschenbuch 240, Frankfurt am Main 1975, 10. Aufl.)

Viele Menschen leben in Sozialverhältnissen, in denen sie wirklich zu Worte kommen dürfen. Sie haben es leicht, „liebenswert“ zu sein und sind den Anderen, die in anderen, sog. zerrütteten Sozialverhältnissen leben, durchaus etwas schuldig. Das entsprechende Selbstverständnis des (zeitgemäß entwickelten) Menschen wird zur Philadelphia-Zeit gehören, der Zeit der Bruderliebe, die wir zeitgemäß besser „Geschwisterliebe“ nennen. Laut Anthroposoph wird in dieser Kulturepoche (3573 – 5733) der „große Bruderbund“ geschlossen werden, den wir zeitgemäß besser „großen Geschwisterbund“ nennen.

Es folgt eine Aufforderung zur Umkehr, die wir als den zentralen Inhalt des christlichen Glaubens bezeichnen können. Im griechischen Text wird dafür der Terminus  "meta-noein" verwendet, der wörtlich heißt: um-denken. Im christlichen Glauben hat sich der Terminus "umkehren" eingebürgert, und in früheren Zeiten sprach man - auf den moralischen Sinneswandel abhebend - daher von "Buße tun" (so auch die Lutherbibel).

Dies ist insofern unrichtig, als sich der Terminus nicht auf die Moralität des Menschen in seinem Lebenswandel bezieht, sondern auf sein Erkennen, auf sein (Falsch-)Wahrnehmen, und wenn man sich in einem Irrtum befindet, so in der Regel nicht absichtlich, weshalb "Buße tun" den biblischen Sinn wohl eher verfehlt. Es geht um ein Um- oder Anders-Denken, und zwar bezogen auf die ontologische Sündhaftigkeit, in welche die Menschheit gekommen ist: Sie hat ein falsches Denken und Leben erlernt und eingeübt. Sie soll das einsehen. Und sie muss zum richtigen Leben zurückfinden über ein richtiges Denken: meta-noein.

Und es scheint mir hier enorm wichtig zu betonen, dass der christliche Terminus der Umkehr nicht (primär) die Moralität oder den Lebenswandel des Menschen betrifft. So wird er aber traditionell christlich verstanden, und genau deshalb fallen die Predigten, die uns in den Gottesdiensten präsentiert werden, schlicht und einfach falsch aus, nämlich so, als wären die Menschen über alle Zeiten hinweg "niedrig und schlecht" eingestellt, während sie das Gegenteil sein sollten, so dass gepredigt und gepredigt und gepredigt werden muss, solange, bis die Menschen "endlich einmal einsichtig und moralisch" werden... In Wahrheit scheint mir daher: Genau solche Predigten sind selbst schlecht, sind das eigentlich Schlechte und das die Wirklichkeit Verfehlende, denn im Terminus "Umkehr" geht es gar nicht um die Moralität von Menschen, sondern um die ontologische Fehlorientierung der Gesamtmenschheit: Das ist etwas ganz Anderes! Es ist daher ein völlig falsches Predigt-Ziel, den Menschen in ihr Gewissen reden zu wollen und also auch ein Verfehlen dessen, was das Evangelium eigentlich meint und will.

Und das Verkehrte sehen wir dann deutlich, wenn wir uns - alternativ - als Predigtinhalt den Satz vorstellen: "Nun hört doch endlich auf, im Irrtum zu sein! Warum beharrt ihr auf eurem Irren, anstatt euch zur Wahrheit zu kehren?!" - Dieser Satz ist dann unsinnig, wenn man voraussetzen kann, niemand sei freiwillig im Irrtum.

Und zugleich sehen wir dann auch den Prediger selbst in seinem verkehrten Verhalten, denn er müsste sich - als Prediger und Belehrer - ja selbst schon zur Wahrheit gekehrt haben, weshalb er jetzt bemüht sei, auch die anderen dorthin zu bringen. Wenn aber einer in der Wahrheit ist, sprich: Erkenntnis hat, dann muss er gar nicht den moralischen Zeigefinger schwingen, und er muss auch gar nicht seine Stimme erheben, um emotional eindringlich zu sein, um - wenigstens so - die Seele der "unverständigen Menschen" zu erreichen. Nein! Es genügte vollauf, wenn er seine weitergehende Erkenntnis, die er selbst ja (angeblich) schon gefunden hat, sachlich-ruhig formuliert, denn das eigentliche Wirkungsmoment ist ja die Einsichtsgewinnung, die stattfinden soll. Und so handelt es sich für den Prediger lediglich darum, seine eigene weitergehende Erkenntnis schlicht und einfach zu vermitteln. E
r hat sie selbst gewonnen, bekommen, und er muss sie einfach nur weiterreichen, ohne Zeigefinger, sondern schlicht: einfach nur mitteilen. Das ist alles! - Und wenn er - bzw. unsere Prediger und Kirchen - das nicht kann, soll er sich doch bei einem guten Didaktiker Rat holen, der ihm das zeigen kann, was er selbst nicht hinkriegt: die Mitteilung oder Vermittlung von Erkenntnis...

...alternativ könnte es natürlich auch sein, dass er selbst gar keine weitergehende Erkenntnis hat - und nur einen solchen Anschein erwecken will vor der Gemeinde...?

Dann würden wir im Christentum in einer gesellschaftlichen Schauspielerei herauskommen, obwohl doch zweifelsfrei klar sein sollte: Christentum lässt sich nicht schauspielern (jedenfalls nicht dauerhaft)! Entweder hat man es und vertritt es, oder man hat es nicht und vertritt es auch nicht!

Aus meiner katholischen Vergangenheit habe ich folgende Predigterfahrung mitgenommen: Der Dorfpfarrer in Staubing sprach relativ gleichmütig, gemäßigt im Ton, als käme er - als Pater und Klosterangehöriger - halt seinen Obliegenheiten nach und als sei im Grunde nicht viel zu sagen, nicht viel zu beanstanden, oder als sei das Sprechen auch relativ sinnlos, unfruchtbar. Und so habe ich auch eine Bemerkung eines "Kirchgängers" in Thaldorf in Erinnerung. Der Pfarrer säuberte den Kelch, im Nachgang zur Kommunion (Abendmahl), und der Kirchgänger murmelte (sinngemäß): "Abspülen kann er doch hinterher!? Was hält er uns solange auf?" - Beim Domprediger in Regensburg war eine Theatralik unüberhörbar, und halbunbewusst stellte ich mir immer die Frage: Warum wendet er eine solche Stimmenergie auf? Warum soll das nötig sein - bei Vermittlung von Erkenntnis? - Und die wiederum halbunbewusste Antwort, die ich darauf fand, war: Er schauspielert. Denn das, was er geben soll, hat er selbst gar nicht. Und so muss er wenigstens einen Anschein von Geistvermittlung erwecken und sein "großes christliches Engagement" der Allgemeinheit (bzw. der römisch-katholischen Gemeinde) sprachintensiv und wortreich demonstrieren.

Die evangelischen Predigten waren deutlich besser. Allerdings lernte ich sie zuerst als Universitätspredigten in Heidelberg kennen, im Semester-Turnus gehalten von Universitätsprofessoren (-theologen). Die waren natürlich in ihrem Denkelement drin, und entsprechend enthielten ihre Predigten ein anregendes begriffliches Differenzieren. Demgegenüber zeichnet sich dann die normale evangelische Predigt dadurch aus, dass sie auf die Gegenwart und Jetztzeit Bezug nimmt, um die Menschen sozusagen in ihrem Leben abzuholen und die Wirklichkeit der Menschen dann mit der Wirklichkeit Gottes irgendwie verbinden zu wollen. Am Ende ist es dann aber doch wieder nur eine "Alles-wird-gut-Vermittlung", letztlich also auch der Vermittlungsversuch eines Unverstandenen: nämlich des ontologischen Rahmens des Evangeliums, der mir bis heute nicht verstanden, nicht begriffen und nicht zur Sprache gebracht erscheint - und "evangelisch nicht verstanden" oder "katholisch nicht verstanden" macht mir hier keinen Unterschied.

Sichtbar wird der eigentliche Sinn des Umkehr-Gedankens, wenn wir die platonische Philosophie mit der christlichen Theologie parallelisieren: Das Jesuswort "Kehrt um!" entspricht dem Platonwort "Denkt um!", wobei Platon hier seinen Terminus "Periagoge" einführt (Περιαγογε ολης τες ψυχης - Herumwendung der ganzen Seele; Politeia 514a-517a; 518d), eine Um-Lenkung oder Herum-Führung (Peria-gogik, analog zur Paida-gogik = Kinder-Führung, also Erziehung).

Einen griechischen Platon-Text kann ich hier nicht offerieren, nur auf die Schleiermacher-Übersetzung verweisen, die im Projekt Gutenberg zugänglich ist (Wenn mir jemand behilflich sein kann: Das wäre nett!):

Externer Link zum Text: Platons Werke. Dritter Theil. Der Staat. Siebtes Buch, Übersetzung Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Projekt Gutenberg-DE - https://www.projekt-gutenberg.org/platon/platowr3/staat07.html, abgerufen am 21.06.2024

Merkwürdig ist, dass der platonische Begriff das Führen bzw. Geführtwerden explizit in sich enthält, obwohl dies ja gerade im christlichen Kontext seinen exquisiten Sinn ergibt, wenn man die Wirk-Tätigkeit des Heiligen Geistes berücksichtigt, der den Menschen in seiner Seele ergreifen soll und will, so dass das biblische "Metanoeite" (wörtlich: "Denkt um" oder "Ändert eure Gesinnung oder Geisteshaltung") als eine "christliche Schwach-Formulierung" erscheint, die man eher einem bloßen philosophischen Denkprozess zuordnen würde, während die platonische "Periagoge" (Umlenkung der ganzen Seele) demgegenüber als eine "christliche Stark-Formulierung" bezeichnet werden könnte, deutlich gemacht im Wirklichkeits-Höhlen-Bild, obwohl noch gar kein Christentum da ist (das später dann aber auch davon spricht, dass die Sehenden blind und die blinden sehend werden)?

Der platonische Terminus enthält die Wirktätigkeit des Geistes, der biblische Terminus nicht. Bei Platon ist es aber nicht der göttliche Geist, der die Führung innehat, sondern der (im Erkennen vorangeschrittene) Philosoph. Und man möchte meinen, Platon muss hier die Gestalt des Sokrates literarisch zuhilfenehmen, damit er in seine Gedanken und Reden möglichst jene Wärme des Menschlich-Persönlichen hineinbringt, die Sokrates ja zweifellos ausstrahlte, während er - Platon selbst - in seinem Denken und Reden vielleicht weitaus "abgehobener" oder auch "distanzierter" war.

Wir können hier den Begriff der Entfernung, der Distanz, des Abstandes heranziehen, der ja auch im Sozialen eine sehr wichtige Rolle spielt. Und blicken wir dann vom "Entertainer" Sokrates, für den es ein Allerleichtestes ist, eine (amüsiert-interessierte) Hörerschar um sich zu sammeln und in seinen Bann zu ziehen, zu Jesus hinüber, so sehen wir auch in ihm eine Wärme des Menschlich-Persönlichen, aber irgendwie ganz anders austariert, in verhalter Form, so dass auch das Nahsein-Wollen der Jünger- und Hörerschar einen anderen Charakter erhält. Sokrates ist und bleibt ganz und gar Mensch, auch wenn man an ihm bewundern kann, wie philosophisch hoch und tief gehendes Denken in ihm greift und zum Vorschein gebracht wird.

Bei Jesus ist eine doppelte Mitte, eine Doppel-Zentrierung zu spüren: Er steht im wesenhaften "Bezug zum Vater", und von diesem Bezug her, der sein Zentrum und Innerstes ist, kreiert oder generiert er nun das zwischenmenschliche Sozialverhältnis. Nehmen wir den Magnetismus als Anschauungshilfe: Er zieht zwischenmenschlich an, aber so, dass man nicht in ihn als menschlich-irdische Person gänzlich hineingezogen wird (wie beim Entertainer, der dann Talent hat, wenn er mit dem Publikum ein Herz und eine Seele werden kann) - die Anziehung geht nur bis zu einem gewissen Grad, dann kommt eine... nicht: Abstoßungs-, aber Gegenkraft oder andere und stärkere Anziehungskraft, die die Anziehung dann hinüber- oder hinauflenkt zum "Vater".

Allerdings scheint diese Sekundär- oder Folgekraft im Menschen, auch im Jünger, zumeist nur schwach entwickelt zu sein, oder auch: zunächst einmal nicht richtig aktivierbar zu sein. Sie ist ein Neues, eigentlich Verschüttetes, etwas, was über einen sehr langen Zeitraum hinweg innerhalb der menschlichen Sozialität wie verloren gegangen ist. Und so tut der einzelne Christ sich schwer, diesen unmittelbaren Vater-Bezug in sich aufzurufen oder wieder aufzuwecken. Und deshalb hängen die Jünger an Jesus, weil sie seine "Selbstständigkeit im Sein" noch nicht haben und nicht wissen, wie sie es machen sollen, um diese selbst zu erlangen. Und so kommt es zum Sich-hängen-an-Jesus und Formulierungen wie "liebes Jesulein" (eine Vereinnahmungs-Illusion oder geistige Übergriffigkeit) und Sich-hängen-an-Gott und Formulierungen wie "der liebe Gott" - und dies ist die alte, falsche Religiosität, die wir immer noch haben (weil wir das Christentum in seinem innersten Wesen immer noch nicht verstanden haben).

Der "liebe Jesus" oder das "liebe Jesulein" ist also eine falsche Sichtweise, ein falsches, unangemessenes existenzielles Sich-Hineinfallen-Lassen-Wollen in Jesus. Im rechtmäßigen Herantreten an Jesus muss der Punkt kommen, wo die eigene Aufmerksamkeit sich verlagern muss, von Jesus auf sein Wort, zum Geist hin und über den Geist dann zum "Vater" hinauf. Und hier liegt m.E. der Sinn der Umkehr, des Um-Denkens, des Herum-Wendens unserer Geistigkeit und unseres Geistes, vom Fixiertsein auf das Sinnlich-Sichtbare hin zum Unsichtbar-Geistig-Wesenhaften: Meta-noeite - wendet euren Geist herum, wobei man noch näher betrachten müsste, wie denn hier das Aktiv- und Passiv-sein zu verstehen sei. Denn indem das Evangelium den Menschen anspricht, ist er ja aufgefordert, selbst etwas zu tun: "Tu deinen Geist herumwenden! Tue das!" Anderseits ist es der Geist selbst, der hier die (himmlische) Führung und den Aktivpart hat. Also lautet die eigentliche an den Menschen herangetragene Aufgabe: "Mach du dich empfänglich, für den Geist, damit dieser dann die Führung deiner selbst übernehmen und dich leiten kann." Es geht also im Kerngehalt des Evangeliums darum, eine unserer (verkommenen) Wirklichkeit angemessene Geistesgrundhaltung zu finden. In dem Maße, als sie gefunden ist, ist auch der Boden bereitet, auf welchem allein der Mensch vom Geist ergriffen und ins Himmelreich mithinübergenommen werden kann.

Diesen Boden findet auch die wahre Philosophie, die durchaus richtig ein Sich-empfänglich-Machen genannt werden kann, ein Sichgeöffnethaben und Offenstehen zum Wahrheits- bzw. Erkenntnis-Empfang. Im Motto dieser Website habe ich versucht, diese Geistesgrundhaltung einzufangen: "Philosophie ist, wenn uns das Wissen vergeht; ansonsten ist sie nicht." Es ist der wahre Boden eines wahren Erkennens. Unsere Wissenschaft hat diesen Boden nicht, indem sie von der falschen Voraussetzung ausgeht, Erkennen sei eine Sachangelegenheit. Und fatal daran ist, dass die Wissenschaft diese Voraussetzung ihrer selbst nur unbewusst in sich enthält, und nicht als "Prämisse", weshalb sie kein klares Bewusstsein von dieser ihrer Selbstvoraussetzung und diesem ihrem Selbstverhalten hat. Das Evangelium - richtig und ontologisch verstanden - sagt uns: Erkennen ist eine Personangelegenheit. Der Mensch hat sich (zuerst) als Person in die rechte "Ausrichtung im Sein" zu bringen, um (dann erst) recht erkennen zu können. Und wenn die Ordnung (= Ausrichtung im Sein), in der sich der Mensch faktisch befindet, eine Unordnung und Verkehrung ist, dann muss er sich selbst eben zuerst umkehren, zurück zu seiner wahren Geistesgrundhaltung, zum Per-Son-Sein, über welches dann die kosmische Sphärenmusik in ihn schon zurückkommen wird, um in und an ihm Resonanz zu haben, wie vorbildlich in Jesus Christus. Denn Jesus hängt sich nicht an den Vater, sondern im Jesus-Ich ist das Vater-Ich in seiner Eigenständigkeit und Souveränität stehen gelassen, angenommen, akzeptiert, verifiziert. Diese Zwei-Poligkeit ist das wahre Menschen-Ich, welches Jesus den (gefallenen) Menschen vorführt und vorlebt, festgehalten gerade in seiner Todesstunde, und die Christenheit hat auch ein Bewusstsein davon, indem sie die "Sieben letzten Worte Jesu" ausdrücklich und besonders ansieht (vgl. z.B. Wikipedia, Sieben letzte Worte).

Diese (zentrale) Aufforderung zur Umkehr kehrt auch innerhalb der sieben Sendschreiben immer wieder, insgesamt fünfmal genannt, wobei wir uns die Formulierungs-Nuancen zusammenstellen können, damit sich ein rundes Bild der Umkehr-Notwendigkeit ergibt:

1. Sendschreiben (Ephesus)

"Bedenke, aus welcher Höhe du gefallen bist! Kehr zurück zu deinen ersten Taten! Wenn du nicht umkehrst, werde ich zu dir kommen und deinen Leuchter von seiner Stelle wegrücken." (Offb. 2,5, Herv. v. Verf.)

3. Sendschreiben (Pergamon)

"So gibt es auch bei dir Leute, die in gleicher Weise an der Lehre der Nikolaiten festhalten. Kehr also um! Sonst komme ich bald und werde sie mit dem Schwert in meinem Mund bekämpfen." (Offb. 2,15f, Herv. v. Verf.)

4. Sendschreiben (Thyatira)

"Aber ich habe gegen dich, dass du Isebel, eine Frau, gewähren lässt; sie gibt sich als Prophetin aus und lehrt meine Knechte und verführt sie, Unzucht zu treiben und Götzenopferfleisch zu essen. Ich habe ihr Zeit gelassen umzukehren; sie aber will nicht umkehren und von ihrer Unzucht ablassen. Siehe, ich werfe sie auf das Krankenbett und alle, die mit ihr Ehebruch treiben, bringe ich in große Bedrängnis, wenn sie sich nicht abkehren vom Treiben dieser Frau. Ihre Kinder werde ich töten, der Tod wird sie treffen und alle Gemeinden werden erkennen, dass ich es bin, der Herz und Nieren prüft, und ich werde jedem von euch vergelten gemäß seinen Taten." (Offb. 2,20-23, Herv. v. Verf.)

5. Sendschreiben (Sardes)

"Denk also daran, wie du die Lehre empfangen und gehört hast! Halte daran fest und kehr um! Wenn du aber nicht aufwachst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst bestimmt nicht wissen, zu welcher Stunde ich zu dir komme." (Offb. 3,3, Herv. v. Verf.)

7. Sendschreiben (Laodikia)

"Wen ich liebe, den weise ich zurecht und nehme ihn in Zucht. Mach also Ernst und kehr um! Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn einer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und Mahl mit ihm halten und er mit mir." (Offb. 3,19f, Herv. v. Verf.)

Übersetzungen aller Stellen der Sendschreiben siehe: Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: Offb. 2-3 ab https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung2, abgerufen am 22.06.2024.

Das Umkehren wird in einer doppelten Richtung spezifiziert, als Abkehr vom Falschen bzw. von falschen Lehren (3 und 4) und als Hinkehr zum Richtigen bzw. zur richtigen Lehre (1, 5 und 7). Das „Richtige“ im 1. Sendschreiben erinnert an die Menschheitssituation vor dem Sündenfall: eine „Lehre“ ist hier nicht genannt, aber von den „ersten Taten“ wird gesprochen, die also noch vor der Versündigung gelegen haben, weshalb die Umkehr hier noch als Rückkehr zum Ursprünglichen angesprochen ist. Die „richtige Lehre“ des Evangeliums ist im 5. Sendschreiben genannt, und das Festhalten am Evangelium besteht jetzt im Umkehren, wobei das 7. Sendschreiben dann auch noch das Ziel des individuellen Nachzügler-Umkehrweges beschreibt: das Mahl halten mit Christus. Der Rückkehr in 1 steht gegenüber die Hinkehr in 5 und 7, womit dann auch eine gewisse Zirkularität zwischen Paradies (Genesis) und Reich Gottes (Offenbarung) zum Ausdruck gebracht ist.

Analog werden Negativfolgen der Nichtabkehr vom Falschen (1, 3, 4, 5) und Positivfolgen der Hinkehr zum Richtigen (7) genannt, wobei Sardes (= 5) eine Mittelstellung einnimmt, weil die Formulierungen des gesamten Sendschreibens in beide Richtungen weisen und somit eine Weggabelung der Gesellschaft andeuten.

a) Werde wach! (Offb. 3,2)

Erster Sinnabschnitt:

Ich kenne deine Taten. Dem Namen nach lebst du, aber du bist tot. Werde wach und stärke, was noch übrig ist, was schon im Sterben lag! Denn ich habe nicht gefunden, dass deine Taten in den Augen meines Gottes vollkommen sind.

b) Wenn du aber nicht aufwachst... (Offb. 3,3)

Zweiter Sinnabschnitt:

Denk also daran, wie du die Lehre empfangen und gehört hast! Halte daran fest und kehr um! Wenn du aber nicht aufwachst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst bestimmt nicht wissen, zu welcher Stunde ich zu dir komme.

Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung3, abgerufen am 19.06.2024.

Die wahre und christliche Lehre ist eine Umkehr-Lehre, und das Wachwerden ist der Inhalt der Umkehr und die Quintessenz des Evangeliums: Der Mensch soll zur Geistigkeit des Daseins erwachen. Deshalb ist das frühere "Wenn du nicht umkehrst" ersetzt durch ein "Wenn du nicht aufwachst". Dazu muss aber das tote Nominalchristentum zum lebendigen Spiritualchristentum werden. Der Geist, der Spiritus macht den Unterschied. Solange der Christ den Geist nicht in sich hat, ist er nur ein bloßer Nominalchrist und daher noch in sich tot. Findet er aber den Geist in sich bzw. findet er in die Geistigkeit des Daseins hinein, so ist er echter (Spiritual-)Christ.

Die Christ- oder Geist-Werdung ist aber ein Prozess, und in der Sardeszeit besteht die Gefahr, dass dieser Aufbauprozess rückläufig wird, so dass der auf dem Weg befindliche Christ ins Tot sein des sündigen, ungeistigen Menschen zurückfällt.

Und das Diebesbild passt nun exakt, denn ein Dieb kommt verstohlen oder im Verborgenen. Neben Offb. 3,3 ist es nochmals genannt in Offb. 16,15, außerdem in Mt. 24,43f, Lk. 12,39f, 1 Thess. 5,2, 2 Petr. 3,10. Assoziiert ist es daher natürlicherweise mit der Nacht, und damit ergibt sich ein wesenhafter Zusammenhang zwischen „aufwachen“, „wach sein“ und „wachsam sein“, und wir können sehen, wie Luther es in seiner Übersetzung der Verse 2 (aufwachen) und 3 (wachen) wahlweise verwendet, anders als die Einheitsübersetzung.

Das spirituelle Wachwerden entspricht zugleich dem biblisch grundsätzlich geforderten Wachsam sein, denn diese Wachsamkeit bezieht sich auf das spirituelle Tagwerden, welches sich still und leise vom Himmel her ereignet und vor welchem dann erst der sinnliche Tag als spirituelles Nachtbleiben erscheinen wird (vor den spirituell Wachgewordenen).

Unser sinnlicher Tag ist die spirituelle Nacht, und das spirituelle Tagwerden entgeht all denjenigen, die den heilsgeschichtlichen Geist-Werdungs-Prozess nicht mitmachen wollen und nicht mitverfolgen können.

***

Dritter Sinnabschnitt (Offb. 3,4):

Du hast aber einige Leute in Sardes, die ihre Kleider nicht befleckt haben; sie werden mit mir in weißen Gewändern gehen, denn sie sind es wert.

Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung3, abgerufen am 19.06.2024.

Wir müssen die Nachsatz-Rahmung dazunehmen, weil ein inhaltlicher Bezug da ist (Offb. 3,5):

Wer siegt, wird ebenso mit weißen Gewändern bekleidet werden. Nie werde ich seinen Namen aus dem Buch des Lebens streichen, sondern ich werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt. (Übersetzung wie 3,4)

Der Bezug sind die „weißen Gewänder“, die alle Individuen bekommen werden, die den „Sieg“ erringen, und die zugleich auch jetzt schon „einige Leute in Sardes“ haben, weil „unbefleckte Kleider“ (= ein ordnungsgemäßer Lebenswandel) „weiße Gewänder“ (Seelen- und Geistes-Klarheit) zur Folge haben. Das „weiße Gewand“ ist ein Symbol, und zugleich ist es mehr als eine Allegorie. Ich selbst konnte den mich begleitenden Engel in der Präexistenz-Situation nur so wahrnehmen: als mit einem weißen Gewand bekleidet, weshalb ich wohlbewusst formulierte „über den ich nichts weiter zu sagen vermag“, wissend, dass diese allegorische Art der Äußerung heute sozusagen deplatziert ist, anderseits war kein anderes Wahrnehmen möglich! Und der Anthroposoph löste mir das irgendwo so auf, dass die Wahrnehmung, wenn sie höhere Wirklichkeitsebenen betrifft, tatsächlich eine „bildliche“ ist. Das "weiße Gewand" ist also eine höhere Wirklichkeitswahrnehmung, die sich wie von selbst "in das Bild eines weißen Gewandes kleidet“.

Wer sind nun diese mysteriösen „Einige Leute in Sardes“, die etwas vollbringen können, - unbefleckt in ihren Kleidern resp. Leibern zu sein -, was die Anderen, folgend dem Gang der Zeit, nicht können?

Im (spiritualistischen) Sinnzusammenhang müsste man sagen, es sind Menschen, die den Durchgang durch die Individualität einfach „weggesteckt haben“, als wäre die Individualisierung auch irgendwie so möglich, dass man hierbei vom Geist, von der Geistwelt nicht abgetrennt werden und also nicht in den Materialismus und Atheismus fallen muss. Ich selbst gehöre nicht dazu, denn ich bin in dieses Wirklichkeits-Loch hineingefallen, wobei ich einräumen muss, dass ich daraus einfach wieder befreit wurde. Es war m.W. keine Eigenleistung dabei, abgesehen davon, dass in dieser Zeit „etwas in mir arbeitete“, ich aber nicht sagen kann, was, und wie.

Wir können es auch anders zu formulieren versuchen: Für diese „Einige Leute in Sardes“ kann der kosmische und geistesgeschichtliche „Schwund der Weisheits-Sphäre“ nicht die Schärfe gehabt haben, die sie für das Gros der Menschen hatte und hat: Dass sich die Geistwelt vom Menschen zurückzuzieht und dann schlicht als nichtexistent erscheint. Es muss ihnen ein durchgängiges Bewusstsein der Weisheit möglich gewesen und geblieben sein, und deshalb haben sie ihre Existenz als Menschen nicht materialistisch bekleckert und atheistisch besudelt, sondern sind in ihrer Wahr-Nehmung, Schätzung und Würdigung der kosmischen Weisheits-Sphäre rein geblieben, als wären sie im Umkehr-Prozess bei ihren "ersten Taten" geblieben, so dass sie eine eigentlich "Umkehr" gar nicht nötig haben.

Und wenn wir dem näher nachgehen wollen, müssen wir nun die Wege und Ströme der Weisheit aufsuchen, die sich am geistesgeschichtlichen Hauptstrom vorbei (oder auch hindurch oder auch hinein) ihre besonderen, vielleicht unauffälligen, vielleicht geheimen, „okkulten“ Wege gebahnt haben. Und das sind nun esoterische Strömungen höheren Weisheitsbewusstseins, die in unserer Hauptstrom-Wahrnehmung vielleicht gerade noch so „erscheinen“, aber eigentlich doch nicht mehr richtig zur Kenntnis genommen werden (also nur „falsch“, also verzerrend und verzeichnend), weil sie unter dem Terminus „Grenzwissenschaften“ ganz an den Rand unseres modernen Wahrnehmens gedrängt sind, gleichsam noch im Augenwinkel als subjektiv-existent erfasst werden können, aber unsere eigentliche Aufmerksamkeit ist ganz woanders hin ausgerichtet, so dass der sog. esoterische Bereich keinen Platz in unserer Wissenschaft und Erkenntnis-Erwartung hat: Es gibt ihn halt (denn es sind ja nicht alle Menschen so große, kühle, scharfsichtige Materialismus-Realisten wir wir selbst), und als Realist muss man das halt dann hinnehmen. - Die Rosenkreuzer gehören sicherlich dazu, vielleicht auch viele andere, irgendwelche "Freimaurer" oder sonstige "Geheimbünde", und ich will darauf nicht weiter eingehen – mir genügt hier die pauschale Identifizierung verborgener Geistesströmungen als solcher.

Beim Anthroposophen ist ganz gewiss Wesentliches und Klares darüber zu erfahren. Mir aber wiederum genügt, auch seine „Anthroposophie“ als Fortsetzung dieses verborgenen Stromes ansehen zu können, wobei sie zugleich ein Anderes ist, nämlich ein Wieder-zum-Vorschein-Kommen der alten, kosmischen Weisheitssphäre, zum Vorschein kommen (oder auch ganz bewusstes zum Vorschein Gebracht-werden) vor unserem Wahrnehmungs-Hauptstrom, als Wiedererscheinen der alten Weisheit, nun aber im Geiste des Menschen, nun also als Anthropo-Sophie.

Beide Strömungen laufen in ihm, seinem Werk und der von ihm begründeten Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft (für die ich hier keine Propaganda mache – Erklärung folgt) zusammen:

a) eine esoterisch gebliebene Strömung durchgängigen Weisheitsbewusstseins

b) und eine exoterisch gewordene Strömung der Weisheitsunterbrechung,

die dann zu unserer Wissenschaft und unserem Gegenwartsbewusstsein geworden ist und also für die allgemeine Sardes-Geisteskonstitution steht, die womöglich von sich glaubt, sie sei die einzige oder auch einzig wahre Geistesgrundausrichtung in der Gegenwart (Stichwort: sich selbst "fertig" wähnen, obwohl noch "etwas fehlt").

Die Exoterik beginnt so richtig mit Sokrates, entwickelt sich außerhalb des Mysterienwesens, bei Platon finden wir noch darüber gesprochen, bei Aristoteles ist sie irgendwie schon gänzlich weg, und der exoterische Gang der Wissenschaft ist aristotelisch sozusagen ordnungsgemäß auf den Weg gebracht. Das Andere läuft nun jenseits der „eigenen“ (= geistesgeschichtlich auf uns überkommenen) Aufmerksamkeit ab und fällt quasi aus unserer Eigenwahrnehmung heraus. Es hat also innerhalb unserer Geistesgeschichte ein (verborgenes) Dasein und doch kein (offen sichtliches) Dasein. Halten wir das fest – wir brauchen es noch: Etwas ist da und ist doch nicht da, sagen wir: noch unbewusst oder auch noch ohne näheres Aufmerken unserseits. - Wir haben hier auch diese unsere "die Wissenschaft" mit im Blick, die von ihrer Gegenwarts-Warte aus meint, einen best- und höchstmöglichen Blick über das Ganze des Seins zu haben, so dass sie alle mögliche, sonstige Geistigkeit des Menschen irgendwo unterhalb ihres eigenen Geistniveaus wähnt, indem es ihr tatsächlich aber an ernsthafter Selbstkritik oder Selbstrelativierungs-Fähigkeit fehlt, was sich etwa daran zeigt, dass sie überhaupt keine "einheitliche Wissenschaft" ist, indem nur ein Teil von ihr z.B. die Bibel ernst nimmt, während ein anderer Teil sie längst verworfen hat usw., so dass sie ja nicht einmal über einen klaren, eindeutigen, präzisen "Blick auf sich selbst" verfügt: Ich vermute einmal, vieles Widersprüchliche und Unausgegorene tummelt sich in dieser angeblich eindeutigen, einheitlichen, modernen Wissenschaft!?

Ich verweise nochmals auf die späteste Vortragsreihe des Anthroposophen „Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge“ (GA 235-240) innerhalb welcher er auch der Frage nachgeht, welche Menschen es denn sind, die sich zur „Anthroposophie“ zusammengefunden haben. Aufgrund seiner Einweihung und auch unzeitgemäßen Geistbegabung kann er tiefer in die Menschen hineinblicken und geistig-spirituelle Verästelungen und Verzahnungen über die Zeiten, Tode und Leben hinweg erkennen.

Solches Können ist ein Faktum des Geistes, und wir müssen neu lernen, in unsere Erfahrung wieder hereinzunehmen, dass wir beständig unter höherer Beobachtung stehen. Auf unserer derzeitigen Kulturgrundlage müssten wir dies eine kontinuierliche höhere Datenschutzverletzung des Himmels nennen, und wir könnten nun per irdischer Gesetzgebung den Himmel aus Prinzip abschaffen, weil er sich u.E. „ungesetzlich“ verhält und ein dauerhaftes, unverbesserliches Verstoßen gegen unsere Regeln begeht. – Der Punkt ist nur: Unser Datenschutzdenken ist das Falsche („Keiner soll mich wahrnehmen können oder dürfen, oder nur soweit, wie ich es selbst will“), und also ist es an uns, unseren Geist „herumzuwenden“, weil das Sich-selbst-verbergen-Wollen das eigentlich Falsche und - sagen wir – „kosmisch anstößig“ oder „in der Wahrheit nicht indiziert" ist usw. - Auch hier können wir unsere Verkehrungssituation wiedererkennen: Unvernünftig-Verkehrt-Unnatürliches (Sich selbst verbergen wollen) ist vernünftig-natürlich, legal, gesetzeskonform, gut und richtig geworden...

Ich zitiere nochmals aus meinem bislang unvollendeten Buch, aus dem Fünften Satz, weil ich die Darstellung momentan nicht besser hinbekommen kann, ein komplettes (kurzes) Kapitel daraus, das allerdings – man sieht es am Anfang – unter der Leitfrage steht, ob die nun einmal in der Welt befindliche „Anthroposophie“ denn schon „in sich fertig“ sei (wir erinnern uns an die jetzige Sardes-Frage der „Vollwertigkeit“ unserer Taten und an meinen Hinweis, ich wolle für die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft keine Propaganda machen).

Angemerkt sei noch, dass ich im Anführen dieses „abenteuerlichen Textes“ das eventuelle Ratio-Urteil unserer derzeitigen Wissenschaft, „Derartiges sei kompletter Unsinn“, mitberücksichtige. Denn es geht hier um unser geistesgeschichtliches, kollektives Unbewusste, über welches "unsere Wissenschaft" nicht kompetent zu sprechen imstande ist, weil sie ja - faktisch - Sigmund Freud einfach übergangen hat, hinsichtlich ihrer – angeblichen – "Ratio-Wesenhaftigkeit", also ihre eigenen Erkenntnisfortschritte in sich einzuholen entweder nicht gewillt oder nicht fähig ist. Die Kompetenz unserer Wissenschaft zum Mitreden steht hier also mehr als in Frage, und so wäre ihre mögliche „Unsinnsaussage“ keine besonders schlagende, tragende oder auch glaubwürdige Argumentation, vielmehr ein "Autoritätsgehabe", das als "Selbsttäuschung" vernachlässigt oder übergangen werden kann von all denen, die sie selbst ja glaubt, vernachlässigen und übergehen zu können.

Methodisch gesehen überlassen wir jetzt also diese "unsere Wissenschaft" sich selbst. Sie kann "außen vor" bleiben, wenn sie will. Wir selbst aber wollen uns tiefer in diese uns noch unbekannte "Geistigkeit unserer selbst" hineinbegeben, um ein wichtiges Unbewusstes an uns selbst entdecken zu können. Hierbei können wir uns ein "kritisches Zur-Kenntnis-nehmen" durchaus bewahren. Wir gehen in ein Unbekanntes hinein, sozusagen um selbsteigen zuzusehen, ob etwas (von Bedeutung) daran sein könnte...

22 Anthroposophische Menschengruppen: Aristoteliker und Platoniker, Herz- und Kosmos-Christen

Zur Entscheidung der Frage des Vollendet seins der Anthroposophie ist es daher angebracht, danach zu fragen, wie der Anthroposoph diesbezüglich sich selbst, sein Werk und seine Gesellschaftsbegründung sieht, ob sie sozusagen ausgereift sei und bereits in sich rund laufe, oder ob auch sie ein Zukünftiges und noch Ausstehendes in sich enthalte, wie auch das Christentum? Und sein höherer, seelisch-geistiger Blick fiel hierbei insbesondere freilich auf diejenigen hin, die sich zur „Anthroposophischen Gesellschaft“ zusammengefunden hatten. In dieser Gesellschaft stellt er zwei Menschengruppen fest, mit je eigener seelisch-geistiger Lebensgrundausrichtung, die sog. Aristoteliker und die sog. Platoniker.

Vgl. z.B. den Ersten Arnheimer Vortrag vom 18.07.1924, S. 141-161; speziell S. 149ff, Stichwort „Platoniker und Aristoteliker finden sich zur Anthroposophie zusammen“, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge Bd. VI, GA 240, TB 716, 5. Aufl., Dornach 1992 = S. 13ff in https://steiner.wiki/GA_240#ERSTER_VORTRAG_Arnheim,_18._Juli_1924; oder 6. Dornacher Vortrag vom 13.07.1924, S. 88-102, Stichwort „Die drei geistigen Bedingungen der anthroposophischen Bewegung“, Esoterische Betrachtungen Bd. III, GA 237, TB 713, 8. Aufl. Dornach 1991 = seitengleich online https://steiner.wiki/GA_237#SECHSTER_VORTRAG_Dornach,_13._Juli_1924

Beide intellektuellen Spielarten sind weniger als „Theorieanhänger des Aristoteles“ oder „Theorieanhänger des Platon“ zu verstehen. Es handelt sich vielmehr um unterschiedliche europäisch-abendländische Seelengrundhaltungen von Menschen, wobei die aristotelische eher sachlich-nüchtern-geistig, die platonische eher persönlich-belebend-seelisch orientiert ist. Beide Menschengruppen werden aber im Anschluss an Platon und Aristoteles charakterisiert und sind für uns in ihrer Charakteristik auch „ohne tieferen Geistesblick“ nachvollziehbar, aus „unserer bloßen Geistesgeschichte“ heraus.

Platon weißt noch zurück in altes Mysterienwissen, in eine spirituelle Geistigkeit, die in seinen Dialogen hie und da ausdrücklich anklingt. Sein Höhlengleichnis lässt im Aufstieg (oder Rückweg) zur Ideenwelt dieses verlorene Höhere erahnen, wobei er darin m.E. unsere Wissenschaft mit geradezu prophetischem Blick vorzeichnet: Je besser man die realen Gegebenheiten dieser Welt zu beschreiben vermag, desto mehr Ansehen erwirbt man sich in der Wissenschaft. Platon nennt das aber ein Schattenwissen, das vom eigentlich Wirklichen nichts weiß und nichts ahnt. Überliefert ist von ihm auch sein sog. Siebter Brief, der in dieses Mystisch-Göttliche verweist. Die Seelenhaftigkeit dieses Geistes ist in den platonischen Dialogen eingefangen, in welchen Sokrates nicht nur die Gesprächsführung innehat, sondern seine Gesprächspartner auch in eine einzigartige seelische Atmosphäre hineinzuführen vermag, mit gleichsam dramaturgischer Gedankenentwicklung. - Entsprechend tragen die Platoniker eine alte höhere Spiritualität in sich, die jedoch abgeklungen und nicht mehr greifbar ist; sie haben also grundsätzlich ein Defizit der Zeitentwicklung zu beklagen.

Aristoteles steht demgegenüber für eine Kehrtwende hin zur Intellektentwicklung, zu einer reinen, auf sich selbst gestellten Vernunftentfaltung, mit welcher er bereits in unsere jetzige, 5. nachatlantische Kulturepoche vorausweist (vgl. Esoterische Betrachtungen Bd. III, S.93), die praktisch mit unserer „Neuzeit“ zusammenfällt (nach anthroposophischer Terminologie: Entwicklung der Bewusstseinsseele ab 1413). Sein Denken war wie ein Bruch mit dem Alten, so modern, so unspirituell, dass er als Nachfolger Platons in dessen Akademie nicht in Frage kam, weil deutlich war, dass dieses neuartige Denken, diese den spirituellen Geist verflüchtigende „Via moderna“ die alten, verborgenen Traditionen zum Verlöschen bringen würde. Man könnte deshalb sagen, Aristoteles war damals schon sozusagen „realitätsfrech“, nur in der umgekehrten, nichtspiritualistischen Richtung, die wir heute – 2300 Jahre später - als normal und richtig empfinden, während uns umgekehrt jene alte, platonische, mystisch-spirituelle Geistigkeit heute als „realitätsfrech“ erscheint, weil unser Zeitgeist ein gänzlich anderer geworden ist. Die Aristoteliker zeichnen sich durch eine eher nüchterne Intellektualität aus, doch muss man zu ihrer richtigen Einschätzung bedenken, dass sie geistesgeschichtlich bis zu Aristoteles zurückreichen, als es noch anerkannte Mysterienheiligtümer gab, so dass man sagen kann: Sie – diese „progressiven Jungspunde im Geiste“ (aus damals platonischer Sicht) - haben sich heute durchgesetzt: Genau dieser Intellekt ist heute Normalität, während die platonisch-konservative, mystisch-spirituelle „Via antiqua“ tatsächlich wie untergegangen zu sein scheint. Die Aristoteliker haben also grundsätzlich die Zeitentwicklung auf ihrer Seite.

Der Anthroposoph macht dann noch eine andere Unterscheidung, die ich hier und jetzt aber nur spärlich andeuten werde (weil ich die Destabilisierung der Toleranz meiner Leserschaft fürchte, aber unbedingt verhindern will, oder zumindest hinauszögern bis zum Ende dieser Einleitung): Es fanden sich in der Anthroposophischen Gesellschaft auch zwei verschiedene christliche Strömungen zusammen. Die eine kann man Herz-Christen nennen, für sie ist Christus innerhalb der Anthroposophie ein unverzichtbares Kernstück, würde er fehlen, würden sie keine Anthroposophen geworden sein. Die andere Strömung fasst das Christentum mehr kosmologisch auf, legt also besonderen Wert auf die Einbettung des Christentums in ein spirituelles Umfeld oder in die geistige Gesamtkonstellation, die Kosmos-Christen. Die eine Strömung blickt auf den christlichen Persönlichkeitskern (wie wir heute im Allgemeinen), die andere auf die kosmisch-umgebenden oder auch persönlichkeits-erzeugenden geistigen Rahmenbedingungen (was uns heute eher fremd ist); so will ich beide zu charakterisieren versuchen.

Vgl. hierzu – nach Möglichkeit erst später - z.B. den 4. Dornacher Vortrag vom 08.07.1924, S. 60ff, Stichwort „Die zwei Gruppen von Menschen in der Anthroposophie“, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge Bd. III, GA 237, 8. Aufl., Dornach 1991 - https://steiner.wiki/GA_237#VIERTER_VORTRAG_Dornach,_8._Juli_1924; oder den 5. Dornacher Vortrag vom 14.09.1924, ab S. 80ff, Stichwort „Morgendämmerung in der übersinnlichen Michael-Schule“, Esoterische Betrachtungen Bd. IV, GA 238, 6. Aufl. Dornach 1991 - https://steiner.wiki/GA_238#F%C3%9CNFTER_VORTRAG_Dornach,_14._September_1924; dazu im schon genannten Ersten Arnheimer Vortrag vom 18.07.1924, S. 146ff, Stichwort „Platoniker und Aristoteliker finden sich zur Anthroposophie zusammen“, Esoterische Betrachtung Bd. VI, GA 240, 5. Aufl. Dornach 1992 = online S. 18ff - https://steiner.wiki/GA_240#ERSTER_VORTRAG_Arnheim,_18._Juli_1924.

Im Versuch, diese vier geistesgeschichtlichen Strömungen Europas in ein Einheitsbild zu bannen oder in einer Prinzipienerkenntnis zu erfassen, will ich die beiden christlichen Strömungen sozusagen dem breiten Volk zuweisen, während die Platoniker und Aristoteliker m.E. nur der intellektuellen Führungsebene zuzurechnen sind. Und wenn ich recht sehe, geht die kosmologische Spielart des Christentums leichter mit den Aristotelikern zusammen, das Herzchristentum leichter mit den Platonikern (vgl. Esoterische Betrachtungen Bd. VI, GA 240, Erster Arnheimer Vortrag, S. 141ff = online S. 13ff). Ein Indiz dafür ist auch, dass der Anthroposoph die eine christliche Strömung „Christentum-sehnsüchtig“, die andere hingegen „Christentum-müde“ nennt. Sehnsüchtig (oder auch „neugierig“) sind für mich die Jungspund-Aristoteliker, die aus dem geistigen Heidentum herkommen, müde hingegen erscheinen mir die Platoniker, für die sozusagen alles, was nach der alten, „untergehenden Spiritualität“ kommt, keine Besserung erwarten lässt, also auch nicht das neu und unbekannt in die irdische Welt tretende Christentum (was auch dadurch bedingt ist, dass die Platoniker in der geistesgeschichtlichen Anfangszeit noch nicht sehen konnten, dass sie eine innere, natürliche Affinität zur Herz-Zentriertheit des Christentums haben).

Nach dieser Kategorisierung hätte Europa in seinen geistesgeschichtlichen Anfängen eine doppelte intellektuelle Führungsausrichtung: kosmologisch-geistig orientierte, „jugendlich-frische“ Aristoteliker, die ihren Hineingang ins Irdisch-Christliche sehnsüchtig erwarten, und Platoniker (künftige Herz-Christen), die (noch) matt ins Irdische hereintreten, weil sie sich hier spirituell nichts erwarten können. Die einen sind progressiv-offen-hoffnungsvoll-erfahrungsfreudig, die andern konservativ-verschlossen-enttäuscht-„lebensmüde“.

Um den Gedankengang dieses Einschubes abzurunden, noch folgende Erklärung: Für mich liegt innerhalb dieser „Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft“ (AAG) immer noch ein ungelöster Knackpunkt, und das ist der Grund, weshalb ich bis heute kein Mitglied bin. Meine Leserschaft kann diese Erklärung aber nur dann adäquat zur Kenntnis nehmen, wenn sie bereit ist, sich versuchsweise hineinzudenken in diese neue Art geistesgeschichtlicher Wahrnehmung, die heute an der Zeit sein könnte. Die AAG versteht sich als eine Herunterspiegelung ins Irdische, nämlich der sog. „anthroposophischen Bewegung“, die überirdisch besteht, und zwar als das spirituelle Kernanliegen des Erzengels Michael, der mit diesem seinem groß und über Jahrhunderte hinweg angelegten Bestreben heute auf weiter Engelsflur ziemlich alleine gelassen dasteht, wie bereits erwähnt.

Man müsste nun zum näheren Verständnis die vom Anthroposophen skizzierte „himmlisch-irdische Geistesgeschichte Europas“ zur Kenntnis nehmen, wie er sie verstreut in seinen „esoterischen Betrachtungen“ gibt. Danach ist es so, dass Aristoteliker und Platoniker nach einer gemeinsamen himmlischen Besprechung während der irdischen Mittelalterzeit (um 1200 herum) beschlossen, geistesgeschichtlich zusammenzuwirken, und zwar jeweils von den „gegenüberliegenden Seiten“ aus, d.h.: Waren die Aristoteliker im Irdischen am Zug, so begleiteten dieses Handeln die Platoniker aus himmlischer Perspektive, und umgekehrt, wobei freilich die Wahrnehmung des Oben vom Unten aus nicht unbedingt gewährleistet war, dafür aber umgekehrt. Der Grund der Abwechslung ist, dass beide Unterschiedliches geben und entfalten können und dass sie für ihr spezifisches Wirken auch spezifische geistesgeschichtliche Zeiten haben bzw. brauchen.

In meinem Fünften Satz versuche ich, diese „zweiseitige“ Geistesgeschichte gerafft nachzuzeichnen. Ich kann das hier aber nicht leisten, weil ich ansonsten den Faden verliere. Nur so viel: In der Schule von Chartres (11.-12. Jh.) erlebten die Platoniker eine irdische Hochblüte (und erkannten wohl auch jetzt erst, wie gut Christentum und Platonismus zusammengehen), und bevor die Aristoteliker im 13. Jahrhundert ins Irdische herabstiegen, vornehmlich in der Scholastik des Dominikanerordens, fand die himmlische Absprache statt, sich abzuwechseln im irdischen Wirken. Die zeitliche Verteilung war ohnehin ungleich, weil das Feld nun über Jahrhunderte den Aristotelikern gehören sollte, bis ins 20. Jahrhundert, in welchem dann auch die Platoniker wieder aktiv an die Reihe kommen sollten…

Und weiter: Im Anschluss an die Brandstiftung am Goetheanum (Sitz der AAG in Dornach in der Schweiz) in der Silvesternacht 1922 wurde die AAG auf der sog. Weihnachtstagung 1923/24 neu begründet. Während dieser Tagung hält der Anthroposoph eine wichtige Vortragsreihe „Die Weltgeschichte in anthroposophischer Beleuchtung und als Grundlage der Erkenntnis des Menschengeistes“ (GA 233), in der Aristoteles und Alexander, sozusagen (geistes-)geschichtlich in vorderster Reihe stehend, als bereits in vorchristlicher Zeit zu Michael gehörig dargestellt werden.

Entscheidend ist: Der Anthroposoph hat sich auf dieser Tagung erweichen oder hinreißen lassen, beides miteinander zu identifizieren – himmlische anthroposophische Bewegung und irdische AAG! M.E. war das ein tiefgreifender Lapsus, ein spiritueller Fauxpas – warum? Weil er und seine Begründung nach meiner Auffassung eine „irdische aristotelische Initiative“ gewesen ist, an welche die Platoniker dann ihr Wirken hätten anschließen können sollen? Aber durch die Identifizierung der AAG mit der kompletten (himmlischen) „anthroposophischen Bewegung“ wurde nun das Wirkungsfeld der Platoniker sozusagen „aristotelisch vordefiniert“ oder „vorpräpariert“, und ich denke, dies war nicht himmlisch abgesprochen und trotzdem faktisch irdisch umgesetzt. – Wenn wir einen Vergleich haben wollen, können wir die Einschränkung und Festlegung des Heiligen Geistes auf die Institution des Papsttums nennen, die das Wirkungsfeld des Geistes erheblichst einschränken würde, wenn der Geist sich an die römisch-katholische Entscheidung gebunden fühlte.

Die konkrete geistesgeschichtliche Situation war die, dass die „Anthroposophie“ zunächst irdisch grundgelegt werden sollte, durch die Aristoteliker, und dass dann am Ende des Jahrhunderts Aristoteliker und Platoniker gemeinsam auf Erden erscheinen sollten, um jenen initiativen spirituellen Schub der Menschheit zu bewirken, den sie dringend braucht, um überhaupt wieder in geistige Höhen zu kommen bzw. sich selbst im Geiste befestigen zu können.

Ich will die Dramatik, die sich aus dieser – wie mir scheint – anthroposophisch-irdischen Fehlentscheidung ergibt, deutlicher zeichnen, durch zwei längere Zitate, die den anstehenden spirituellen Schub auf Erden als himmlisch angestrebten Kulminationspunkt der gesamten himmlisch-irdischen Geistesgeschichte Europas sichtbar machen, wobei ich die bereits genannten Kurzzitate (vgl. Abschnitt 32) im Text hervorhebe:

„Es mußten zunächst diejenigen wieder heruntersteigen, die mehr oder weniger als Aristoteliker gewirkt hatten; denn unter dem Einfluß des Intellektualismus war noch nicht die Zeit gekommen, um die Spiritualität neuerdings zu vertiefen. Aber es bestand eine unverbrüchliche Abmachung, die weiterwirkt. Und nach dieser Abmachung muß aus dem, was anthroposophische Bewegung ist, etwas hervorgehen, was seine Vollendung vor dem Ablaufe dieses Jahrhunderts finden muß. Denn über der Anthroposophischen Gesellschaft schwebt ein Schicksal: das Schicksal, daß viele von denjenigen, die heute in der Anthroposophischen Gesellschaft sind, bis zu dem Ablaufe des 20. Jahrhunderts wieder herunterkommen müssen auf die Erde, dann aber vereinigt mit jenen auch, die entweder selbst führend waren in der Schule von Chartres oder die Schüler von Chartres waren. So daß vor dem Ablaufe des 20. Jahrhunderts, wenn die Zivilisation nicht in die völlige Dekadenz kommen soll, auf der Erde die Platoniker von Chartres und die späteren Aristoteliker zusammenwirken müssen.“

(Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Bd. VI, GA 240, S. 157, Erster Vortrag in Arnheim am 18. Juli 1924, betitelbar: Platoniker und Aristoteliker finden sich zur Anthroposophie zusammen = online S. 30 - https://steiner.wiki/GA_240#ERSTER_VORTRAG_Arnheim,_18._Juli_1924 - Herv. v. Verf.)

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„Mit dem ist aber ein anderes verknüpft. Verknüpft damit ist dieses, daß durch die besondere Gestaltung, die die Michael-Herrschaft annimmt, diejenigen Persönlichkeiten, die jetzt durch ihr Karma in ihrer Verbundenheit mit der Michael-Herrschaft in die anthroposophische Bewegung hereintreten, unter Durchbrechung von mancherlei Wiederverkörperungsgesetzen mit der Wende des 20., 21. Jahrhunderts – also in einer geringeren Anzahl von Jahren, als ein Jahrhundert beträgt - wiedererscheinen werden, um dann dasjenige, was sie jetzt tun können im anthroposophischen Dienst der Michael-Herrschaft, zur Kulmination, zum vollen Ausdruck zu bringen. In dem Interesse, das man für solche Dinge haben kann, wie sie heute vorgebracht worden sind, drückt sich, wenn dieses Interesse intensiv genug ist, der innere Drang aus, wirklich Anthroposoph zu sein. Gerade damit aber, daß man diese Dinge versteht, nimmt man auch in sich den Impuls auf, in weniger als einem Jahrhundert schon wieder auf der Erde zu erscheinen, um dasjenige voll zu machen, was Anthroposophie will.“

(Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Bd. VI, GA 240, S. 234, Zweiter Vortrag in Torquay am 14. August 1924, betitelbar: Harun al Raschid versus Aristoteles und Alexander im Streit um die Fortsetzung des Aristotelismus = online S. 114 - https://steiner.wiki/GA_240#ZWEITER_VORTRAG_Torquay,_14._August_1924 - Herv. v. Verf.)

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Nur nebenbei will ich erwähnen, dass mich der Terminus, den der Anthroposoph gegen Ende des zweiten Zitates verwendet, - „vollmachen“ -, an das „pepleromena“ des Sardes-Textes erinnert (vgl. oben).

Mir kommt es hier aber auf die „unverbrüchliche Abmachung“ zwischen den Aristotelikern und den Platonikern an. Und wir müssen uns ja nun einmal versuchsweise hineindenken in diese „Aristoteliker“ und die „Platoniker“ und die „anthroposophische Gesellschaft“ auf Erden und die „anthroposophische Bewegung“ im Himmel und die mutmaßliche „himmlisch-irdische Geistesgeschichte Europas“, wenn wir einen ernsthaften Erkenntniswillen haben und mit unserem Verstehen eindringen wollen in diese höchst ungewohnten, befremdlichen Dinge.

Und ich möchte nochmals einen Sinnabschnitt aus dem Fünften Satz meines Buches einflechten, weil ich die Dinge auch heute nicht besser auf den Punkt bringen kann.

23 Himmlische Weg-Gabelung unserer Geistesgeschichte: Christlicher versus arabischen Aristotelismus

Im Folgenden will ich die europäische Geistesgeschichte skizzieren, wie sie sich in der Geistanschauung des Anthroposophen darstellt. Platoniker und Aristoteliker spielen laut Anthroposoph eine wesentliche Rolle innerhalb unserer europäischen Geistesgeschichte, die er in seinen schon genannten, allerspätesten Vorträgen („Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge“, Vorträge von 1924, GA 235-240, 5. Aufl. Dornach 1992) so nachzeichnet, als bestünde diese Geistesgeschichte in einer hauptsächlich zwischenmenschlichen Interaktion zwischen „Menschen mit Aufenthalt oben“ und „Menschen mit Aufenthalt unten“, als wäre die Sorge um die menschlichen Belange wirklich primär den Menschen selbst überlassen, d.h. weitgehend ohne „Eingriffe von außen“ durch (nach-)steuernde Geistwesen, die der menschlichen Fehlbarkeit zu Hilfe kommen könnten; als gäbe es also ein himmlisch-irdisches Subsidiaritätsprinzip, das „die Menschen auf ihrer Menschheitsebene einfach mal machen lassen“ will. – Diesen Gedanken sollten wir sehr, sehr tief auffassen und beherzigen: Möglicherweise ist dem Menschen kosmisch eine Handlungsfreiheit zuerkannt, die ungenutzt verpufft, wenn die Menschen sich ihrer nicht bewusstwerden und sie nicht – für „die Menschheit“, also für „sich selbst“ – ergreifen. Hier sind vor allem die Intellektuellen unter den Menschen gefragt und gefordert, die die geistige Führung und Ausrichtung der Menschheit innehaben (nicht unbedingt: politisch), und sie können diesen geistesgeschichtlichen Spielball ergreifen oder in ihrer Intellektualität und höheren Veranlagung versagen (Stichwort: Standby-Modus unseres Gegenwartsgeistes).

Wichtig zu berücksichtigen ist, dass der Anthroposoph durch seinen derzeit außergewöhnlichen, tieferen Geistesblick nicht nur das Bewusstsein eines Menschen, sondern auch dessen unbewusste Triebkräfte einsehen konnte, die in seine Darstellung der Motivation und Handlungsweise der Menschen einfließen, ohne dass er sie jeweils eigens unterscheidet, weil ansonsten eine sinnvolle, zusammenhängende geschichtliche Darstellung kaum möglich gewesen wäre. Daher ist das von ihm dargestellte „menschliche Handeln“ nicht unbedingt identisch mit dem, was uns irdisch als „bewusstes menschliches Handeln“ offen liegt, aber er spricht dies auch selbst aus:

„Und es entstand im 13. Jahrhundert eben ein wunderbares Zusammenwirken zwischen demjenigen, was auf der Erde geschah, und dem, was von oben her einfloss. Oftmals waren sich die Menschen, die auf Erden wirkten, dieses Zusammenwirkens gar nicht bewusst, umso mehr aber diejenigen, die drüben wirkten. Es war ein lebendiges Zusammenwirken.“ (Esoterische Betrachtungen Bd. III, sechster Vortrag Dornach, 13. Juli 1924, S. 97)

Diese Textwiedergabe des Bandes GA 237 "Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge Bd. 3" der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (deren Herausgabe dem Rudolf Steiner Verlag obliegt) basiert auf der Werkbearbeitung einer älteren Ausgabe dieses Bandes GA 237 (externer Link: https://steiner.wiki/GA_237), durch die freie Literaturdatenbank SteinerWiki (externer Link: https://steiner.wiki/Hauptseite), zum Zwecke der kostenfreien Zugänglichmachung des Werkes Rudolf Steiners, und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In SteinerWiki ist eine entsprechende Liste der Werkbearbeiter zu GA 237 verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Näheres zur kostenfreien Zugänglichmachung vgl. unter "Unser Anliegen" auf der SeinerWiki-Hauptseite, GA 237 abgerufen am 11.06.2024.

Ein erster wichtiger geistesgeschichtlicher Einschnitt innerhalb der hier betrachteten Kulturepochen des entstehenden Christentums ist die Auseinandersetzung um die Fortführung des (neuartigen!) Aristotelismus, den wir nun schon als „geistigen Samen der Intellektualität und Individualität des Menschen“ betrachten können, wobei ich den Zug der menschlichen Entwicklung zur Individualisierung auf Christus zurückführen will (...), den Zug zur Intellektualisierung auf den Erzengel Michael (...), den der Anthroposoph auch als „Verwalter der kosmischen Intelligenz“ benennt. Wir haben heute bei uns ausgebreitet die aristotelische Geistesgrundausrichtung in der Form eines bewussten Intellektualismus, der die Naturwissenschaft (und Wissenschaft überhaupt, insbesondere durch die Scholastik) ausbildete und nun in einen atheistischen Materialismus zu münden scheint; parallel dazu ist auch die Individualisierung des Menschen heute umgesetzt (wir kennen nur noch sie und hierzu keine Alternativen des Menschseins mehr). Hingegen ist die platonische Geistesgrundausrichtung mit ihrer Seelenhaftigkeit, wie sie in Platons Dialogen vorgeführt wird, und mit ihrer Rückverbindung zu alter Spiritualität heute weit abgeschlagen, scheint gänzlich verloren zu sein; es fehlt ihr heute ein Raum zum Atmen, ein im Menschenleben präsentes geistiges Umfeld, ein spiritueller Nährboden.

Aristoteles und Alexander (der Große) gehörten schon in vorchristlicher Zeit zu Michael, und sie waren die führenden Individualitäten in der letzten Wirkungsepoche Michaels, die zur Entstehung des interkulturellen Alexanderreiches führte.

Den historischen Kontext mit konkretem Eingehen auf Aristoteles und Alexander gibt der Anthroposoph in seinen Vorträgen „Die Weltgeschichte in anthroposophischer Beleuchtung und als Grundlage der Erkenntnis des Menschengeistes“ (GA 233, 4. Aufl. Dornach 1980 - externer Link: https://steiner.wiki/GA_233), die er während der Gründungsversammlung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft 1923/24, der sog. Weihnachtstagung, hielt; an diesem Faktum sieht man den hohen Stellenwert, den der Anthroposoph dem Aristotelismus bzw. den Individualitäten des Aristoteles und Alexander zumisst.

Sie wollten den Aristotelismus verchristlichen und in Richtung Intellektentwicklung fortsetzen, die letztlich zur vollständigen Individualisierung des Menschen und damit zum individuellen Ich-Bewusstsein führen sollte - und führte.

Der eigentliche Geisteskampf wurde im Himmel ausgetragen zwischen Alexander und Aristoteles einerseits und Harun al Rashid und seinem Ratgeber anderseits, und zwar zur Zeit des achten ökumenischen Konzils in Konstantinopel (869), bei welchem die Leib-Seele-Geist-Trichotomie faktisch beseitigt wurde und damit die Geistigkeit des Menschen geschwächt, in ihrer eigenständigen Bedeutung herabgewürdigt. Über diese geistige Auseinandersetzung stellt der Anthroposoph fest: Man konnte sich über die richtige Fortsetzung des Aristotelismus – arabisch-altspirituelle Allgemeingeistigkeit oder europäisch-neuintellektuelle Individualgeistigkeit - nicht verständigen. Es war ein Patt oder auch ein Remis, so dass beide Seiten je eigene, konkurrierende Wege für die Fortführung der europäischen Geistesgeschichte zu suchen und zu beschreiten hatten (vgl. z.B. zweiter Vortrag Torquay am 14.08.1924, GA 240, S. 219-234), was faktisch einer „ideologischen“ Spaltung der Menschheit in sich gleichkommt (die später dann eine Engelsspaltung nach sich zog, woraus man den dem Menschen eingeräumten existenziellen Handlungsspielraum, der sich bis in den Himmel hinein auswirken kann und darf, nochmals erkennen kann: Menschenhandeln verursacht Engelhandeln!).

Harun al Rashid pflegte im Vorderen Orient eine sehr hoch entwickelte Geisteskultur an seinem Hofe, zur selben Zeit lernte Karl der Große bei seinem Lehrer und Biographen Einhard in Mitteleuropa gerademal Lesen und Schreiben. Harun al Rashids Ratgeber war sein hochbegabter Organisator am Hofe, zudem ein früherer Eingeweihter. Der Islam hatte sich bereits über das östliche, südliche und westliche Mittelmeer ausgebreitet, und so sind auch (später) auf uns bekannte muslimische Kommentatoren der Schriften des Aristoteles überkommen, voran Averroes/Ibn Rushd (scholastisch „der Kommentator“ genannt, analog zu Aristoteles als „dem Philosophen“) und Avicenna/Ibn Sina (Titelheld des Romans „Der Medicus“). Diese „arabische Aristotelesrezeption“, die das Allgemeine gegenüber dem Einzelnen betont, erschien Harun al Rashid und seinem Ratgeber als „(aristotelische) Wahrheit“, und sie wollten dies zur Grundlage der künftigen Geistesentwicklung Europas machen. Aristoteles und Alexander widersprachen aber, zumal sie in die christliche Geistesströmung überhaupt erst hineinkommen wollten, weshalb ihrer Meinung nach der (heidnisch-vorchristliche) Aristotelismus entsprechend umgeformt werden müsse.

Von da ab sind zwei die Menschheit führen wollende intellektuell-menschliche Parteiungen in unserer himmlisch-irdischen Geistesgeschichte vorhanden, die gegeneinander um die Vorherrschaft streiten: Aristotelismus (mit Neuintellektualisierung und Individualisierung der menschlichen Seele) contra Arabismus (mit Altspiritualisierung und Allgemeinhaltung der menschlichen Seele). – Wir sollten uns dies hier und heute voll bewusst machen: Es liegt in unserer eigenen (Geistes-)Geschichte eine (uns zunächst unbewusste) Streit- und Alternativ-Situation unseres zukünftigen Stehens im Sein vor, zu welcher jeder von uns – als Individuum – Stellung beziehen kann und Stellung beziehen sollte; von Sollen spreche ich deshalb, weil es hier um die Menschheit, d.h. um „unser Selbst“ geht, und es scheint mir wünschenswert, wenn Menschen das „Zepter ihrer selbst“ nicht leichtfertig aus der Hand geben, sondern sich über ihre „Lebensalternativen“ zuerst einmal Klarheit verschafft haben.

Wenn uns der Individualisierungsprozess auch phylogenetisch ziemlich im Dunkeln liegt (evtl. kommt in der hochmittelalterlichen Minne ein Individualitätsbewusstsein erstmals historisch zum Vorschein*), so können wir ihn doch ontogenetisch klar nachvollziehen im Wandel des kindlichen Sprachgebrauches im Alter von drei Jahren, wenn das Kind in seiner Selbstbezeichnung von der dritten Person Singular zur ersten Person Singular übergeht, indem es erstmals das Wort „Ich“ auf sich selbst anwendet. - Angemerkt sei, dass anthroposophisch darauf aufmerksam gemacht wird, das deutsche Wort „ich“ bestehe aus den lateinischen Initialen des irdischen Namens Christi (ICH); ebenso interessant ist, dass der jüdische Franz Kafka sprachphilosophisch feststellt, „Sein“ heiße im Deutschen beides: „Dasein“ und „Ihm gehören“. – Beides betrachte ich als sprachlich-historisch-unbewusste „Anzeiger“ für ein rechtes deutsches Selbstbewusstsein, das eine natürliche innere Ausrichtung auf ein rechtes Allgemeines hat. Dies ist auch aus der naturwüchsig-ursprünglichen Selbstbezeichnung der Deutschen ersichtlich, denn „deutsch“ heißt schlicht „zum Volk gehörig“, und wenn wir „Volk“ durch „Menschheit“ ersetzen, resultiert in dieser germanisch-gesellschaftlichen Prinzipiensetzung oder Selbstdefinition, die den Einzelnen in ein gleichberechtigtes Verhältnis zur Allgemeinheit setzt, das Christentum. - Die Frage, wie historisch-faktisch von den Deutschen mit dieser ihrer „natürlichen Mitgift“ umgegangen wurde, ist eine andere.

*Ich will hier nachtragen: Der Gedanke des Aufkommens eines Individualbewusstseins in der mittelalterlichen Minne stammt nicht von mir, sondern von Dr. Gisela Vollmann-Profe, den diese während meiner Regensburger Studienjahre (1993-1997) in einer Vorlesung oder einem Seminar zur mittelalterlichen Literatur äußerte.

Auffällig für mich an dieser Darstellung der beginnenden Selbstverwaltung des Menschengeschlechts ist, dass die Platoniker abwesend zu sein scheinen. Markant ist dies vor allem deshalb, weil ihre Grundintention ja auch der Spiritualismus ist, wie Harun al Raschid und sein Ratgeber ihn unbedingt beibehalten wollten. Warum treten sie in diesem „Führungsstreit“ nicht in Erscheinung? Und ich finde dafür folgende Begründung: Die Aristoteliker müssen sie wohl davon überzeugt haben, dass zuerst eine Individualisierung erfolgen muss, vermittelt über die Intellektualisierung, denn im Denken kommt der einzelne Mensch zu sich selbst. Und erst wenn dieses denkende Ich-sein erreicht ist, macht eine neue Spiritualisierung Sinn, damit der Mensch zum individuellen und dadurch autonomen Geistwesen werden kann.

Alternativ könnte man fragen: Warum wurde gerade der Aristotelismus verhandelt? Warum nicht der Platonismus, zumindest auch, wenn doch letztlich beide Gruppen, Aristoteliker und Platoniker, für die europäische Geistesgeschichte eine gewichtige Rolle spielen?

Zunächst relativiert der Anthroposoph auch einmal diesen Gegensatz, indem er formuliert:

"Man kommt zu einer einheitlichen Anschauung, wie zuerst die platonischen Seelen wirken bis nach Chartres hin, wie dann die aristotelischen Seelen wirken. Man schaut zuerst die aristotelischen Seelen, wie sie inspirierend wirken von der übersinnlichen Welt nach den Lehrern hin, die als platonische Seelen auf der Erde leben, dort wirken, lehren, auf der Erde im Erdenverstande Wissenschaft ausbilden. Man schaut hinein in dieses Getriebe, sieht, wie der Lehrer von Chartres auf dem Erdenboden wandelt, seine von Schauungen durchdrungenen Studien absolviert und der inspirierende Strahl von der aristotelischen Seele vom Überirdischen hereinfällt und dasjenige in die richtigen Bahnen bringt, was platonisch gefärbt ist. Man bekommt dann eine ganz andere Anschauung von dem Leben, als sie sehr häufig vorhanden ist. Denn in dem äußeren Leben unterscheidet man so gern Platoniker und Aristoteliker wie Gegensätze. Das ist ja in der Wirklichkeit gar nicht so. Die Zeitepochen der Erde erfordern, daß bald im platonischen, bald im aristotelischen Sinne gesprochen werde. Aber wenn man das übersinnliche Leben im Hintergrunde des sinnlichen Lebens überschaut, so befruchtet das eine das andere, steckt das eine in dem anderen darinnen.

Und wiederum, als innerhalb der Dominikaner die Aristoteliker lehrten, da waren die nunmehr in der geistigen Welt weilenden platonischen Seelen, nachdem sie sich verständigt hatten mit den später heruntergekommenen aristotelischen Seelen, die inspirierenden Genien."

(Herv. v. Verf., Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge Bd. IV, GA 238, S.66f, Vierter Vortrag in Dornach am 12. Sept. 1924, betitelbar: Chartres, Platoniker und Aristoteliker und Michaelschule contra Materialismus.)

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Meine Hervorhebungen zeigen nicht nur die Relativierung an, wonach sowohl platonisches als auch aristotelisches Wirken erforderlich sei (= mittlere Unterstreichungen), sondern es wird auch ein gewisses „Gefälle“ sichtbar: Platoniker und Aristoteliker sind irgendwie „nicht gleichberechtigt“, oder sagen wir besser: nicht (schon) in derselben Weise „realitätsbezogen“ oder „handlungsfähig“.

Hier spiegelt sich auch die gängige Differenzierung zwischen beiden: Platon wird eher mit dem „Ideen-Blick“ in den Himmel assoziiert, Aristoteles eher mit dem Blick auf die physischen Dinge, künstlerisch festgehalten in Raffaels „Die Schule von Athen“, in deren Mittelpunkt – paritätisch – Platon und Aristoteles stehen [allerdings ist das Vorbild für die Platonfigur Leonardo da Vinci…]: Platon ist mit nach oben gerichtetem Unterarm und Zeigefinger abgebildet und hält dabei – vertikal – seinen „Timaios“ in der Hand, in welchem es um den Kosmos und auch um die Seelenwanderung (Auf- und Absteigen des Menschen zwischen Himmlischem und Irdischem) geht. Aristoteles ist mit nach vorne gestrecktem Arm und der ausgestreckten Hand abgebildet und hält dabei – horizontal – seine Nikomachische Ethik in der Hand, in der es wesentlich um das rechte Leben und Handeln des Menschen geht.

In den beiden anderen Unterstreichungen sagt der Anthroposoph, die Aristoteliker brächten das „platonisch Gefärbte“ im Irdischen vom Himmlischen aus in die rechte Bahn (eine analoge Umkehraussage gibt es m.E. nicht!), und die Platoniker wirken erst dann vom Himmel aus auf die sich im Irdischen befindlichen Aristoteliker ein, nachdem um 1200 herum eine „übersinnliche Besprechung“ zwischen den aus dem Irdischen zurückgekehrten Chartres-Platonikern und den vor ihrem irdischen Aufenthalt stehenden Dominikaner-Aristotelikern stattgefunden hatte (Esoterische Betrachtungen Bd. IV, GA 238, S. 59), die der Anthroposoph auch „großes himmlisches Konzil“ nennt, das zu einem „himmlischen Vertrag“ zwischen Aristotelikern und Platonikern führte:

„Die, welche da unter der Führung des Alanus ab Insulis hinaufgekommen waren in die geistige Welt, sie sagten den heruntersteigenden Aristotelikern: Unsere Zeit ist jetzt nicht auf der Erde; wir haben zunächst hier von der geistigen Welt aus zu wirken. Wir können gar nicht in irgendwelche Inkarnationen in der nächsten Zeit auf die Erde herabsteigen. Eure Aufgabe ist es jetzt, den Intellekt zu pflegen im aufgehenden Bewußtseinsseelen-Zeitalter.“

(Esoterische Betrachtungen Bd. VI, GA 240, S. 155f = online S. 28f, erster Vortrag Arnheim, 18. Juli 1924)

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Man kann nun kritisch-skeptisch weiter fragen: Wie kommen denn die Platoniker plötzlich sozusagen zu der „Ehre einer Vertragssituation“ mit den Aristotelikern?

Um diese unklare Situation weiter zu erhellen, möchte ich noch eine weitere Unterscheidung des Anthroposophen einführen.

Und sie wird den Intellekt der Leserschaft noch weiter herausfordern, aber es hilft nichts. Wenn man sich einmal vorgenommen hat, eine Sache in sich selbst, als sie selbst, zur Kenntnis zu nehmen, dann muss man auch erst einmal in alles zu ihr Gehörige hineingehen, um sie nicht halb zu sehen und sich nicht mit einem „losen Wissen“ von ihr zu begnügen, das in Wahrheit Unwahrheit ist, also Nichterkenntnis. Denn so Manches an „Wahrheitssuche“ läuft wohl genauso ab: Dieser oder jener Standpunkt erscheint exotisch oder absurd (vom eigenen Standpunkt aus beurteilt), also will man ihn gar nicht erst vollgültig zur Kenntnis nehmen, weil man bereits a priori ein Urteil über seine Unwahrheit gefällt hat. Verfolgt man diese – evtl. weit verbreitete Vorgehensweise in der Wahrheitsfindung – weiter, so muss ein „Eigen-Wahrheitsurteil“ zugrunde liegen, will sagen: Man beurteilt etwas als „exotisch“, was aber nur dann Sinn macht, wenn man den Eigen-Standpunkt als (nichtexotische, „realistische“) „Wahrheit“ bereits voraussetzt. Und wer so etwas tut, der kann nicht ernsthaft von sich selbst behaupten, er befinde sich in der „Wahrheitssuche“, also in der „Bewegung der Wissenschaft“: Er ist vielmehr Dogmatiker, der die eigene Wahrheitssuche abwürgt (und die Wahrheit bereits zu kennen meint), obwohl er sich für einen Wahrheitssuchenden oder Wissenschaftler hält und ausgibt, der er gar nicht (mehr) ist…

Im Vierten Vortrag vom 8. Juli 1924 in Dornach, den man betiteln könnte „Die zwei Gruppen von Menschen in der Anthroposophie“ (Esoterische Betrachtungen Bd. III, GA 237, S. 60-73) unterscheidet der Anthroposoph die sog. Herz-Christen von den Kosmos-Christen unter den Anthroposophen (S. 60f), und er führt ihre Unterschiedenheit in alte Erdentwicklungszeiten zurück:

„Nun gehen die Voraussetzungen zu dieser Gruppierung in alte Zeiten zurück. Sie wissen ja aus meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» daß in einer bestimmten Zeit der Erdenentwickelung Seelen gewissermaßen ihren Abschied genommen haben von der fortlaufenden Erdenentwickelung, daß sie zum Bewohnen anderer Planeten gekommen sind, und daß sie während einer bestimmten Zeit, der lemurischen und der atlantischen Zeit, wiederum auf die Erde heruntergekommen sind. Und wir wissen ja auch, daß unter dem Einflusse der Tatsache, daß von den verschiedenen Planeten, vom Jupiter, Saturn, Mars und so weiter, aber auch von der Sonne die Seelen heruntergekommen sind, um irdische Gestalt anzunehmen, die ursprünglichen Mysterien, die ich in meiner «Geheimwissenschaft» auch Orakel genannt habe, entstanden sind.

Nun kamen eben die Seelen zu verschiedenen Zeiten herunter, und es gibt solche, welche verhältnismäßig früh heruntergekommen sind in den ersten Zeiten der atlantischen Entwickelung. Es gibt aber auch solche, welche verhältnismäßig spät heruntergekommen sind, die sozusagen einen langen vorirdischen planetarischen Aufenthalt gehabt haben. Es sind dies solche Seelen, bei denen, wenn man zurückgeht von ihrer jetzigen Inkarnation, man vielleicht kommt zu einer Inkarnation in der ersten Hälfte des Mittelalters, zu einer christlichen Inkarnation, vielleicht noch zu einer christlichen Inkarnation, dann, wenn man weiter zurückgeht, zu den vorchristlichen und so weiter, und daß man verhältnismäßig bald von der frühesten Inkarnation, auf die man auftrifft, sagen muß: Jetzt geht es nach rückwärts hinauf ins Planetarische. Vorher waren diese Seelen noch nicht in Erdeninkarnationen da. Bei anderen Seelen, die auch ins Christentum eingelaufen sind, steht die Sache so, daß man weit zurückgehen kann, viele Inkarnationen findet, und dann sind, nach vielen vorchristlichen, auch schon atlantischen Inkarnationen, diese Seelen in die christliche Strömung untergetaucht.“

(ebd. = vierter Vortrag Dornach vom 8. Juli 1924, S. 61f.)

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Wer sich ein näheres Bild über die Quellenangabe machen möchte, sei verwiesen auf S. 177-198 (= online S. 238-266), GA 13, Die Geheimwissenschaft im Umriss, 30. Auflage, Dornach 1989, im Kapitel „Die Weltentwicklung und der Mensch, S. 103-221 (= online S. 137-298). Die nähere Unterscheidungsbegründung liegt in den unterschiedlichen Entwicklungsbedingungen an verschiedenen Erdregionen, wonach die Menschenseelen unterschiedlich mit den Elementen Feuer, Luft und Wasser in Berührung kamen.

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Näher beschrieben sind die beiden Gruppen S. 64-68 und S. 68f Bd. III, GA 237.

Und weitere Beschreibungen finden sich ebd. S. 144ff, sowie Bd. VI, GA 240, S. 146ff und Bd. IV, GA 238, S. 80)

Für meinen Gedankengang ist relevant, dass m.E. denjenigen sog. alten Seelen, die viele Erdeninkarnationen durchlaufen haben, die Platoniker zuzuordnen sind, den sog. jungen Seelen, die erst später auf die Erde kamen von anderen Planeten (auch der Sonne), hingegen die Aristoteliker. Und hier macht der Anthroposoph noch folgende interessante Anmerkung:

„Nun ist ja natürlich für alles intellektualistische Betrachten eine solche Sache, wie ich sie jetzt eben erwähnt habe, so irreführend als möglich; denn leicht könnte man auf den Glauben kommen, daß bei solchen Persönlichkeiten, die gegenüber dem heutigen Urteile der Zivilisation als besonders fähige Köpfe zu gelten haben, gerade viele Inkarnationen nach rückwärts hin vorliegen. Das muß aber nicht der Fall sein, sondern es können durchaus solche Persönlichkeiten, welche im heutigen Sinne gute Fähigkeiten haben, in das Leben eingreifende Fähigkeiten haben, solche sein, bei denen man nicht auf so viele Inkarnationen zurückkommt.“ (Bd. III, GA 237, S. 62)

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In den Gruppenbeschreibungen wird von den alten Seelen (Platoniker) gesagt, sie hätten den kosmischen Christus nicht mehr richtig verstehen können, seien nachtodlich in eine „große Ungewissheit über den Christus“ gekommen (S. 65), hätten sich in den ersten christlichen Jahrhunderten vorwiegend in sog. Ketzergesellschaften aufgehalten (S. 65) und letztlich sei ihnen eine „unbewusste Sehnsucht“ nach dem Christentum geblieben (S. 66).

In den jungen Seelen wirkte das Heidentum noch stark positiv nach, indem „man mit den vielen heidnischen Göttern in früheren Erdenleben noch in einem sehr lebendigen Zusammenhange gestanden hat“ (S. 68). Sie wollten das Christentum vorzugsweise mit dem Intellekt auffassen (ebd.), wollten in das Christentum erst richtig hineinwachsen (S. 69) und nahmen die himmlischen Michael-Impulse „vorzugsweise in ihren Willen auf“ (S. 69).

Und diese Unterscheidung mündet schließlich in der Aussage:

„Dadurch wird, möchte ich sagen, die Unterlage geschaffen für den Menschen, die anderen karmischen Einschläge in richtiger Weise in das Leben hineinzustellen. Und deshalb mußte schon gewissermaßen als erste Direktion das gegeben werden, wie man sich nach der besonderen Art seiner Prädestination zur Anthroposophie, zu dieser ganzen Christologie und zu dem mehr Passiv- oder Aktivsein in der anthroposophischen Bewegung stellt.“ (ebd. S. 71)

Damit wird klar, warum die Platoniker ein wenig stiefmütterlich betrachtet resp. behandelt werden, auch wenn der Anthroposoph bemüht ist, sie – sprachlich-ausdrücklich – gleich zu stellen.

Wir können es so formulieren: Die Platoniker haben eine große Erdenschwere in sich aufgenommen und können dadurch nur schwer in die richtige Richtung des neuartig Spirituellen hineinfinden, es gibt nämlich auch falsche Richtungen. Die richtige ist gekennzeichnet durch die Intellektualisierung (über Michael), die dann zur Individualisierung (über Christus) führt – und jetzt erst hat die Spiritualisierung im Menschen zu greifen, damit eine klar-bestimmte menschliche Existenz herauskommen kann, nicht ein nebuloses Irgendwas. Die Aristoteliker, die sich im kosmisch-lebendigen Sonnen- und Michael-Zusammenhang wissen, sehen dies klar und deutlich, während die Platoniker ein wenig blind und orientierungslos erscheinen, und wir können gut das platonische Höhlengleichnis zu Hilfe nehmen: Sie torkeln gleichsam aus dem Höhlenausgang, sind noch geblendet von dem neuartigen Licht, während die aristotelischen Augen längst akklimatisiert sind und die Zielrichtung klar und deutlich sehen können, so dass sie den Platonikern „unter die Arme greifen“ können/müssen.

Dies scheint mir das faktisch-wahre Verhältnis zwischen Aristotelikern und Platonikern zu sein, jedenfalls in der „europäischen Anfangszeit“. Der Aristotelismus (und Alexandrinismus) ist sozusagen das Dur der menschlichen Existenz, der Platonismus das Moll, enthält aber ebendeshalb das erdursprünglich Seelenhaft-Menschliche gleichsam in Reinheit in sich, demgegenüber die Aristoteliker wie Jungspunde erscheinen, die über die Schwere der Erderfahrung leichtfertig hinweggehen und -kommen, als wären sie nicht „irdisch erfahrungsbelastet“ oder auch „zugereiste Ausländer“ mit „seelisch unechter“ Geistesgrundhaltung, vom originären Erdenstandpunkt aus betrachtet. - Und in diesem Kontext und Blickwinkel müssen wir die obige Abhebung der „Einige Leute in Sardes“ vom Sardes-Hauptstrom sehen…

Aus diesem Grund kann nur der Aristotelismus verhandelt werden, und zwar nur von den Aristotelikern, und die Gegenseite (Arabismus) möchte auch eine Sofort-Spiritualisierung haben, die dann keine Individualisierung und damit auch keine geistige Autonomie des Menschen zur Folge gehabt hätte. Das war um 869.

Der nächste entscheidende Einschnitt ist das 11.-12. Jahrhundert.

(In der Zwischenzeit „entgleitet“ Michael die kosmische Intelligenz und sinkt hinunter auf die Erde, doch will ich dies nicht näher darstellen. Vgl. z.B. GA 237, Siebter Vortrag in Dornach am 28. Juli 1924, S. 103-119 (online bei SteinerWiki seitengleich), betitelbar: Der Weg der Kosmischen Intelligenz auf die Erde, oder GA 240, Zweiter Vortrag in Arnheim am 19. Juli 1924, S. 162-183, online bei SteinerWiki: S. 36-59, betitelbar: Geschichte Michaels.)

Die Platoniker „finden zu sich selbst“ in der Schule von Chartres. Und erst danach sind sie sozusagen hoffähig geworden für die Aristoteliker (nach ihrem Hinaufstieg, um 1200 herum), und es kommt zu dem oben genannten großen himmlischen Konzil und zu dem himmlischen Vertrag zwischen Aristotelikern und Platonikern, sich nämlich im irdischen Wirken abzuwechseln, wobei die Anteile des irdischen Wirkens ungleich verteilt sind, denn die Aristoteliker beherrschen das Feld des Irdischen nun vom 13. bis ins 20. Jahrhundert.

***

Und jetzt kommen wir der Sache näher: Der letzte Schritt der (Wieder-)Spiritualisierung sollte zweigeteilt sein: Die Aristoteliker gehen zur Wende des 19./20. Jahrhunderts hinunter, um die Anthroposophie zu begründen. Die neue Michaelherrschaft begann 1879, nach der vorherigen griechischen, die das Alexanderreich begründete. Zudem läuft das Kali Yuga nach Steinerscher Rechnung 1899 aus. Insofern sind die kosmischen Umstände jetzt „günstig“ zu nennen. Und hier hat das Werk Rudolf Steiners, mit seiner Begründung einer Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, ermöglicht durch die Michaelische anthroposophische Bewegung im Himmlischen, sozusagen seinen "Sitz im Leben".

Und 100 Jahre später, um die Wende des 20./21. Jahrhunderts sollte dann der Durchbruch der Spiritualisierung der Menschheit kommen, durch ein Zusammenwirken der Aristoteliker und Platoniker auf Erden! Und hier greift nun die Prophezeiung des Anthroposophen: Dieses Zusammenwirken müsse vor Ablauf des Jahrhunderts zustande kommen, mit der einmal gemachten Relativierung im Sommer 1924, es würden keine 100 Jahre vergehen, dann würde dieser spirituelle Schub der Menschheit real geworden sein (indem die Platoniker irdisch „wiedererscheinen“ = wirksam geworden sind?, oder = irdisch da sind?).

Ein solcher „spiritueller Schub der Menschheit“ ist aber weit und breit nicht in Sicht, der Materialismus scheint die Menschheit fest im Griff zu haben, und heute ist schon der 5. August 2024...

Anmerkung für astrologisch Interessierte: Meine Website kam um 17.10 Uhr in Regensburg zur Welt.

...der vom 14. August 2024 nicht mehr weit entfernt ist (vgl. die "Keine-hundert-Jahre"-Frist im Zitat oben aus dem zweiten Vortrag in Torquay vom 14. August 1924…

Man könnte nun sagen: Es war wohl nichts mit dieser Prophezeiung. Und mit der Anthroposophie war es auch nichts. Und mit dem Evangelium war es auch nichts usw.

Alternativ können wir versuchen, in der Erkenntnissuche oder Verstehensbemühung noch einen Schritt weiterzugehen, wenn wir – im Versuch eines Tieferdringens - in „unserer Gegenwart“ herauskommen wollen, die wir unter "D. Gegenwart" bestimmt hatten als "Sammlung menschlicher Individuen in ihr gemeinsames, menschheitsgeschichtliches Wesen" und die zwar bewusst und sichtbar den Materialismus enthält, vielleicht aber unbewusst und unsichtbar doch auch den Spiritualismus? Und jetzt erst kann ich den Bogen meiner Argumentation schlagen, und hierzu müssen wir unsere Aufmerksamkeit wieder verlagern, weg von den aktiven Aristotelikern, hin zu den passiven Platonikern, die bereits seit 700-800 Jahren auf ihr abgesprochenes irdisches Wiedereingreifen warten.

Die „unverbrüchliche Abmachung“ zwischen Aristotelikern und Platonikern wurde im Himmel, während des Aufenthaltes in der Geistwelt getroffen, und zwar in jener "Region um Michael", die in der „anthroposophischen Bewegung“ besteht. Und nun gehen die Aristoteliker und Anthroposophen im Irdischen her und erklären ihre eigene irdische Gesellschaftsbegründung für identisch mit der himmlischen anthroposophischen Bewegung. Was passiert dadurch? Es passiert dasselbe, was durch das römisch-katholische Unfehlbarkeitsdogma passiert: Das Wirkungsfeld des Geistes wird ungeheuer stark eingeschränkt, er wird in ein irrsinniges Korsett einer Institution gezwängt, aufgrund einer Klein- und mangelnden Geistgläubigkeit von Menschen, wie mir scheint: Man traut dem Geist nicht, und im Grunde traut man damit dem eigenen Geist nicht (oder erklärt ihn voreilig für „bereits in sich rundlaufend“).

Und so spricht der Anthroposoph auch von einer „Eventualität“, vor welcher er angesichts seiner Entscheidung der In-eins-Setzung stand: Sie hätte den himmlischen Kräften missfallen können und sie hätten ihren Inspirationsfluss für ihn einstellen können. Und als „Beweis“ der Richtigkeit seiner Entscheidung führt er an, die Inspirationen seien seither noch reichhaltiger geworden (vgl. z.B. GA 238, S. 13ff., online SteinerWiki seitengleich, Erster Vortrag vom 5. September 1924 in Dornach, betitelbar: Weihnachtstagung – drei Bewusstseinszustände heute und früher). Eine solche Argumentation ist m.E. aber für einen Menschen mit seiner geistigen Begabung überaus naiv oder einfältig zu nennen. Sagt er doch selbst, die himmlische Intelligenz habe Jahrhunderte gebraucht, um auf die Erde zu gelangen. Und wir haben uns oben auch einige geistesgeschichtliche Hürden zusammengestellt, die das Evangelium nehmen musste und muss, um wirklich bei den Menschen geistesgeschichtlich ankommen zu können. Im Grunde gibt er eine „mittelalterliche Begründung“: Der Ritter, der im Zweikampf fällt, fällt durch (blitzartig vom Himmel fahrendes) Gottesurteil. Aber so funktioniert das himmlische Wirken nicht, sondern es gibt einen Zeitfaktor für dieses Wirken, den wir als „Widerstand des Irdischen“ bezeichnen können. Und ein Rudolf Steiner macht hiervon keine Ausnahme, auch in Bezug auf ihn greift dieser „Widerstand der Zeit“, der ihm selbstverständlich auch weiterhin den für sein Gesamtleben grundgelegten Inspirationsfluss zukommen lässt, selbst wenn es zu einem individuellen „Fehler“ kommen sollte. - Die Berichtigung unserer Fehler erfolgt erst nachtodlich, in der „Auswertung“ des durchlaufenen Lebens.

Hinzu kommt, dass er nur allgemein von „den himmlischen Kräften“ spricht, die seine Entscheidung wohlwollend aufgenommen hätten, und er meint gewiss die führenden, höheren, weit über der Menschensphäre stehenden Geistwesen, oder anders formuliert: Die Platoniker interessieren ihn in diesem Zusammenhang gar nicht, sie sind ja nur – wir haben das inzwischen gesehen – mehr oder weniger Mitläufer, die als eigenständig handelnde Personen gar nicht oder doch nur sehr bedingt in Betracht kommen, indem sie geistig-intellektuell sozusagen hinterherhinken, so dass "zielsicher imprägnierte" Aristoteliker auf sie eigentlich gar nicht bauen können und sich auf sie besser nicht verlassen sollten, gerade nicht "in alles entscheidenden Momenten". - Hierzu muss man anthroposophiegeschichtlich wissen, dass die AAG selbst keinen runden, wunschgemäßen Entwicklungsgang nahm, weil sie innerhalb jener wenigen Jahre ihrer Gesellschaftsgenese (gerade mal gut zwei Jahrzehnte) nicht jenes Selbstständigkeits-Handeln im Geiste aus sich selbst heraus zeitigte, wie es sich ihr eingeweihter Lehrer und Initiator (sozusagen auf die Schnelle, auf eine - wie soll ich sagen? - "kompressorische Gesellschafts-Schnelle") vorgestellt und erhofft hatte. Und deshalb war die sog. Weihnachtstagung 1923/24 gegen Lebensende Rudolf Steiners (Feb. 1925) wie ein letzter Ruder-Herumreiß-Versuch, um die AAG überhaupt geistes- resp. heilsgeschichtlich auf Bahn zu bringen, indem Rudolf Steiner sich selbst wohl voll verantwortlich sah, zumindest für ein drohendes Scheitern seiner himmlischen Mission, nämlich einer institutionellen Verankerung der Anthroposophie unter den Menschen, was ja faktisch in die Hände seiner Individualität gelegt worden war, während er umgekehrt bei einem Gelingen gewiss die Gemeinschaftsleistung aller frei beteiligten Individuen als solche betont hätte...

Entsprechend erklärt er - in dieser Situation - den Vorstand der Gesellschaft – mir nichts, dir nichts – zum „esoterischen Vorstand“, denn das Vorhandensein des „Flusses des Geistes“ ist ja mit seiner Person sichergestellt, und so wird es nun wohl auch weitergehen können, von Vostandsgeneration zu Vorstandsgeneration, und im Grunde genommen scheint die Spiritualisierung der Menschheit dann nur noch eine Formsache zu sein, so dass den Platonikern eigentlich gar nichts mehr zu tun übrig bleibt…

Also: Die Esoterik ist durch das Erscheinen der Anthroposophie inmitten der Exoterik der Moderne neu begründet und kann nun daran gehen, sich in die Menschheit hinein auszubreiten, wie dereinst das Christentum. Und was die Mitglieder dieser neuen Gesellschaft betrifft: Sie sollen sich so und so verhalten, und wenn sie dies partout nicht tun wollen, dann kann der Vorstand sie von der Gesellschaft ausschließen, wir können auch sagen: sie exkommunizieren. Tja, die Exkommunikation kennt die römisch-katholische Kirche auch, und sie hat auch eine Nachfolge, eine Petrusnachfolge. - Und nun würde ich gerne wissen, wie der anthroposophische Vorstand sich selbst sieht, ob er nun glaubt, selbst spiritualisiert zu sein und den Geist zu haben? Und dasselbe wüsste ich auch gerne vom römisch-katholischen Papsttum, wie es sich selbst sieht, ob es wirklich glaubt, den (Beistands-)Geist zu haben? Vielleicht wundert man sich ja in beiden Institutionen – hinter verschlossenen Türen, im stillen Gedanken, nicht in der öffentlichen Verlautbarung - über das „unlogische“, „inkonsequente“, ja, „unerklärliche“ Ausbleiben des Geistes?

Müssen diese Führungsleute – so frage ich mich - nicht unendlich an einer rational-irrationalen Selbstüberlastung und Selbstüberforderung leiden, die Andere ihnen auferlegt und abverlangt haben, indem sie einem gesellschaftlichen Über-Ich frönen müssen resp. Frondienst zu leisten haben, weil in diesen Gesellschaften der Geist in seinem Prinzip noch nicht verstanden worden ist?

Aber wie macht man das – den Geist in seinem Prinzip verstehen? Wir kennen dieses fremdartige, außerirdische Prinzip doch gar nicht… Oder doch? Weil sein Prinzip auch unser Prinzip ist? Weil der Geist gar nicht das ganz Andere, sondern umgekehrt das ganz Eigene ist? Müssten wir dann nicht sagen: Solange der Mensch nicht den Geist in seinem Prinzip versteht, versteht er auch im Prinzip sich selbst nicht? Müssten wir dann nicht sagen: Der Geist bleibt genau solange aus, als wir uns selbst nicht verstehen? Müssten wir dann nicht sagen: Solange die philosophische Aufgabe menschlicher Selbsterkenntnis nicht eingelöst ist, werden Geist und Geistwelt nicht in unsere Gesellschaft einkehren können? Müssten wir dann nicht sagen: Alle gesellschaftlichen Initiationsversuche werden solange vereinzelt resp. auf der Strecke bleiben, als darin das uns allen gemeinsame Prinzip des Geistes nicht angemessen verifiziert wird, so dass es in den Individuen als Geistindividuen zum Tragen kommen kann? Hm. Kann es denn eine Gesellschaftsform geben, in welcher alle sie selbst sein dürfen, nicht nur „ein paar Obere“, die dann „exkommunizieren“ dürfen, weil sie selbst ja schon „in der höheren Gemeinschaft“ stehen oder sich zumindest wähnen?

Oder müssen wir anders fragen: Wir trauen dem Selbstsein vieler oder auch aller gar nicht recht. Und wenn nun allen eingeräumt würde, sie dürften „sie selbst sein“ – bräche dann nicht das Chaos über uns aus? Und funktioniert nicht Demokratie auch nur deshalb, weil in Wahrheit gar nicht der Demos regiert, sondern vom Demos gewählte Delegierte, von welchen erwartet werden kann, dass sie die Regeln der Demokratie einhalten werden, was der Demos selbst, wenn er losgelassen werden würde, nicht unbedingt oder vielleicht auch niemals tun würde? Also wird doch jene utopische Gesellschaftsform, in welcher „alle sie selbst sein dürfen“, solange auf sich warten lassen müssen, bis die dazugehörigen Individuen sich selbst in ihrem Selbstsein angemessen in Ordnung gebracht resp. diszipliniert haben werden? Also sollten wir mit der Einrichtung einer „neuen Institution“ sehr, sehr behutsam umgehen und lieber erst einmal uns selbst als Individuen „einrichten“, damit wir in ein solches ideale Gesellschaftskleid überhaupt passen werden?

Ich komme nun auf den Punkt. Wie muss sich die irdisch-aristotelisch-anthroposophische Entscheidung, die irdisch begründete AAG mit der himmlisch (seit Jahrhunderten) bestehenden anthroposophischen Bewegung in eins zu setzen, innerhalb welcher offenbar eine zwischenmenschliche „unverbrüchliche Abmachung“ besteht, dass die Platoniker – endlich – Ende des 20. Jahrhunderts irdisch zum Zuge kommen sollen…? Wie muss sich diese (einseitig-aristotelische) Entscheidung im Irdischen für die „himmlisch wartenden Platoniker“ ausgenommen haben?

Wurde nicht dadurch ebenso das platonische Wirkungsfeld eingeschränkt und einseitig festgelegt, wie das Wirkungsfeld des Geistes durch das römisch-katholisch-päpstliche Unfehlbarkeitsdogma?

Mir scheint, durch diese irdische Fehlentscheidung geriet der von langer (michaelischer) Hand vorbereitete „Durchbruch des Spirituellen im Irdischen“, berechnet auf das Ende des 20. Jahrhunderts, durcheinander. Und wie der Anthroposoph berichtet, nachdem sich Aristotelismus und Arabismus über die Fortsetzung der von Aristoteles/Alexander grundgelegten Intellektualisierung der europäischen Geistesgeschichte nicht einigen konnten, so dass beide jeweils eigene Wege beschreiten mussten, mussten nun analog auch die Platoniker sehen, wo sie nun – angesichts der „aristotelischen Fehlentscheidung platonischer Handlungsbeschränkung" - bleiben (wollen)…

Und in der Folge ist damit zu rechnen, dass auch die Prophezeiung des Anthroposophen, Prophezeiung der Zusammenarbeit der Platoniker mit den Aristotelikern im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert nicht mehr in der geplanten Weise eintreten konnte - und nicht mehr eintrat.

Also: Die Platoniker könnten daraufhin, dass sie himmlisch zusehen mussten, wie irdisch die unverbrüchliche Abmachung gebrochen wurde, entschieden haben, sich von dieser „abgedrifteten Anthroposophie“, die damit in Schiefstellung zur anthroposophischen Bewegung Michaels gekommen war, bei ihrem Wiedereintritt ins Irdische fernzuhalten und lieber in die „Diaspora“ zu gehen, aber nicht in die AAG!

Denn das Spirituelle – die anthroposophische Bewegung - soll zum breiten Hauptstrom der Menschheit werden, und das wird über die AAG, die sich selbst „aristotelisch-einseitig“ konstituierte, nicht erreicht werden können, weil sie nun ein viel zu kleines (elitäres) Auffangbecken ist, um die relevanten geistigen Strömungen der Menschheit (oder auch nur Europas) in sich aufnehmen zu können. Die irdische Grundlegung der Anthroposophie geriet damit zum Strohfeuer, und die von langer Hand vorbereitete und intendierte Spiritualisierung der Gesamtmenschheit wurde gleichsam zu einer sektenartigen Institutions-Missgeburt, mit der viel zu Wenige etwas anfangen können oder in der sich viel zu Wenige wiederfinden können!

Wenn jemand sich durch mich veranlasst sieht, sich über die Anthroposophie (konkret: über die Anthroposophische Gesellschaft, ihre mutmaßliche Aufgabe und deren faktische Umsetzung) aus erster Hand - sprich: mit eigener Urteilsfindung - zu informieren, so empfehle ich hierfür einen doppelten Weg: Zum Einen ein Sich-Bekanntmachen mit dem primären Schrift- und Vortragswerk Rudolf Steiners, „des Anthroposophen“, zum Andern eine Kontaktaufnahme mit der Anthroposophischen Gesellschaft nicht auf direktem Wege, sondern über einen "Umweg": über Herrn Thomas Heck und Frau Eva Lohmann-Heck, die der Anthroposophischen Gesellschaft angehören, ihr aber zugleich kritisch gegenüberstehen, mit der Zielrichtung, auf die Berichtigung einer erkennbar gewordenen strukturellen Fehlentwicklung der Gesellschaft hinzuarbeiten.

Sie haben einen gewissen Kreis von Interessierten gewonnen und betreiben auch eine eigene Website:

Externer Link zur Website: https://wtg-99.com/. Das Kürzel steht für Weihnachtstagungs-Gesellschaft, nach 99 Jahren, in Anlehnung an einen auf das irdische Leben Christi zurückgeführten, mutmaßlichen 33-Jahre-Rhythmus geschichtlicher Ereignisse.

Sie sind allseitig orientiert, nach innen und nach außen, u.a. wird auch die Ein- und Austritts-Frage (Stichwort: Mitgliederschwund) thematisiert. Und grundsätzlich gilt für sie: Es soll alles problematisiert werden, nichts kaschiert und unter den Teppich gekehrt.

Erst in jüngster Zeit habe ich selbst zu ihnen einen losen Kontakt geknüpft (damit auch zunächst einmal indirekt zur Gesellschaft), in Erinnerung an mein Präexistenz-Erlebnis (vgl. G. Neue Wahrnehmung, 15a2: Richtungsstoß 2), das in einer Nebenbemerkung einen Blick von oben auf die Erde hinunter erwähnt, an welchem zwei oder drei Menschen-Personen beteiligt waren. Ich halte es für möglich, diesbezüglich bei ihnen fündig geworden zu sein, auch wenn ich dies kein "Wissen" nennen kann.

Sie problematisieren die offensichtliche "Unwirksamkeit der Anthroposophie in der Welt". Konkret arbeiten sie gewissermaßen an einer anthroposophischen Selbstkorrektur, an der Richtigstellung ihres Selbstbildes (das selbstverständlich ein Aktivsein und Handeln mit in sich enthält). Ich selbst arbeite sozusagen an der Richtigstellung ihres Außenbildes, an ihrem Angesehen-werden resp. Nicht-angesehen-werden - innerhalb unserer ...Sardes-Kultur, wenn man so will...

Alles in allem ist man m.E. nicht unbedingt bestens beraten, die Institution der Anthroposophie von ihrem gewordenen Vorstand und Führungspersonal her "authentisch kennenlernen" zu wollen; Analoges mag auch für andere Institutionen gelten...

***

Und jetzt erst ist der Bogen der Geistesbewegung dieses Gesamttextes hier geschlagen, so dass wir in „unserer Gegenwart“ herauskommen und stehen können, die nicht nur in einem bewussten Grund besteht, sondern zugleich in einem unbewussten Untergrund, der aber wesenhaft zu ihr (resp. uns) gehört und kein rudimentärer, vernachlässigbarer Wurmfortsatz ist, als welchen der heutige (auch gebildete) Durchschnittsmensch das Unbewusste nach wie vor nimmt (freilich fälschlicherweise).

Und meine Bitte an die Leserschaft, an jeden Leser und jede Leserin, sofern sie mich nicht als vertrottelt und übergeschnappt zu sehen gewillt sind, ist nun, sich der Frage zu stellen: Kann es sein, dass wir eine „Erdenschwere“ in uns empfinden, die uns spontan veranlasst, Spirituelles wie die Anthroposophie zunächst einmal weit von uns zu weisen, als irrelevant und unpassend? Sie platzt ja gleichsam ungeheuer realitätsfrech in unser stark materialistisch gewordenes Dasein herein, völlig deplatziert und in keinster Weise „seelisch-geistig stimmig zu unserer Existenz“? Wir aber fordern aus unserem Inneren heraus einen „gemäßigten, natürlich-fließenden Übergang“, keinen abrupten geistesgeschichtlichen Bruch. Wir akzeptieren keine künstliche Deus-ex-machina-Lösung für unsere Existenz, sondern wir wollen eine „harmonische Entwicklung“ sehen oder nachempfinden können, nicht ein inakzeptables, disharmonisches, dissonantes Hingepflockt- oder Oktroyiert-Bekommen einer „Spiritualismus-Muster-Lösung“, die mit unserer eigenen Existenzproblematik herzlich wenig zu tun hat, weil keinerlei „Verbindungslinien aus uns selbst heraus“ erkennbar werden und möglich zu sein scheinen?

Hier ist vermutlich, weil der Mensch nun einmal auch ein physisch-leibliches Wesen ist, ein „Synapsenproblem“ mit zu bedenken, soll heißen: Der innerhalb eines einzelnen Menschenlebens durchlaufbare Erkenntnisweg kann eingeschränkt sein dadurch, dass das eigene Gehirn (Wahrnehmungsorgan) nur bedingt umgewöhnt resp. umgeformt werden kann. Unser Erkennen, Forschen, Wissenschaften kann also einer physischen Einschränkung unterliegen, die wir nicht von der Hand weisen können: Wir sind nicht absolut frei in unserem Erkennen, und wir müssen unser Gehirn vielleicht erst über einen längeren Zeitraum adaptieren, also kulturell-gesellschaftlich umformen, falls wir eine alternative (z.B. spirituelle) Erkenntnisrichtung als die wahre erkannt haben. Gegenwärtig ist unser Gehirn materialistisch adaptiert, eingestellt, voreingenommen. Dafür können wir selbst nichts oder nur bedingt etwas, denn diese Wahrnehmungsrichtung ist auf uns überkommen. – Und wir können hieraus auch zugleich die Problematik einer „Sündengeschichte“ erkennen und ihrer Umwandlung in eine „Heilsgeschichte“, die gerade auch aus dieser Perspektive heraus ohne ein kulturelles Zutun von Menschen für Menschen nicht erfolgreich sein können wird.

Ich weiß, dass ich mit "meinem Denkweg" meinem Leser, meiner Leserin ein „viel Mehr“ zumute und abverlange, als ich selbst in meinem Leben zu leisten hatte. Ich hatte ja 60 Jahre lang, quasi ein Leben lang Zeit, mir einen möglichen, akzeptablen Übergang vom Einen ins Andere zu bahnen, und mehr noch: Vieles davon habe ich nicht einmal „selbst gebahnt“, vielmehr „als Bahn vorgefunden“ usw. Ich möchte, dass meine Leserschaft weiß, dass ich das weiß: Jede und Jeder wird und muss es schwerer haben als ich selbst.

Umgekehrt ist aber m.E. anzuerkennen, dass ich ein absolut "selbstständiges Denken" entwickelt habe (freilich auf der Grundlage meiner spezifischen, einmaligen Voraussetzungen), das in Richtungen führt, die man „von selbst“ nicht leicht finden kann. Und so ist mein Gesamtanliegen in diesem Text auch die Problematisierung, die die Urangelegenheit der Philosophie ist, deren erklärter Gegner das Selbstverständliche oder die Selbstverständlichkeit ist. Nichts in der Welt ist selbstverständlich oder alles ist selbstverständlich, denn der Problempunkt ist nicht das Verstehen, sondern der andere Teil daran, das Selbst oder „Ich selbst“ – dieses große Geheimnis des Seins, das zumeist nicht als solches gesehen und empfunden wird, weil man doch – so scheint es – sich selbst so nahesteht, dass dieses „Eigene“ oder „Meine“ überschaut werden kann und nur „das Andere“ das zu erforschende „große Unbekannte“ ist?

Durch das Problematisieren werden mögliche Irrtümer als solche erkennbar, und so können sie zu „Erkenntnis-Weichen“ werden, mit welchen dann mögliche Wege, die man tun und gehen kann, am eigenen Wahrnehmungshorizont zum Vorschein kommen. Und so ist eigentlich der Weg der Philosophie ein ständiges Hingehen zu den Dingen und sie wieder Verlassen und ein Weitergehen zum nächsten Ding und es wieder verlassen und Hingehen zum nächsten Problempunkt usw., und damit ein zunehmendes Sich-Befreien aus Irrtümern. Und ob der Weg dann schließlich irgendwo mündet – dies ist die dauerhafte geistesgeschichtliche Frage der Philosophie, die eine ungeheure Spannung in sich trägt, von der diejenigen, die Philosophie für überflüssig halten, weil sie keinen Sinn für ihr Grundanliegen haben, nichts wissen und nichts ahnen.

Der Philosoph, als existierendes vernunftbegabtes Wesen im Sein, konstatiert somit eine „Differenz in sich selbst“, die für den „Normalmenschen“ nicht vorhanden ist. Und dieser Differenz geht er nach. Und falls der Spiritualismus, also der Geist, das Grundelement des Universums sein sollte, dann wird sich wenigstens der Philosoph selbst nicht wundern müssen, wenn ihn sein Abenteuerweg vom eigenen „kleinen Selbst“ in ein (anzunehmendes) „großes und allgemeines Selbst des Geistes“ hineinführt. Und dann wird er in seiner Weltbeobachtung eines einzigartigen Schauspieles gewahr werden können, nämlich, dass sich viele „kleine Selbste“ im Sein tummeln, die sich falsch in ihre Kleinheit ein- und abschließen, was sie dann „ihre Identität“ nennen, und daher ihre Verbindung zum Ganzen des Seins nicht mehr finden können. – Auch dies wird uns im Heraklit-Standpunkt deutlich gemacht.

Im Spiritualismus-Fall kann es also sein, dass wir alle uns "ins Sein selbst des Geistes" hinein aufzuheben haben und also auch uns alle zusammenzusehen. Damit ergibt sich dann eine ganz neue, umfassende Handlungsmotivation für den Einzelnen, weil er sich nun zugehörig zum Ganzen, soll heißen: zu Allem weiß, so dass er ein "Fremdes" und "Anderes" - zumindest asymptotisch - sich selbst nicht mehr entgegensetzen kann.

Leser und Leserin mögen sich also fragen, ob sie den obigen Gedanken für sich selbst nachvollziehen können (und zwar bis in ihr Unbewusstes hinunter und hinein): Sich vielleicht auch selbst „in der Diaspora“ auf Erden zu befinden, absichtlich und willentlich, und zwar so sehr, dass sie hier und jetzt von dieser nun einmal zu unserer Geistesgeschichte gehörigen Anthroposophie irdisch gar nichts mehr wissen wollen und sie aus den obengenannten überirdisch-unbewusst gebliebenen Gründen nicht zur Kenntnis genommen haben, weil eben dieser aristotelisch-steinersche Fauxpas vorliegt, eingetreten fast am Ende seines Erdenwirkens, wobei er dann allerdings seine allerwichtigste Vortragsreihe noch geben konnte und gab (GA 235-240).

Ein Jeder und eine Jede, wenn sie Interesse und innerliche Anteilnahme an dieser unserer Geschichte und Geistesgeschichte haben, die möglicherweise eine himmlisch-irdische ist, mit einem großen Handlungsspielraum für Menschen auf ihrer Menschenebene, der im Nichts verpufft, wenn die Menschen ihn nicht zu realisieren vermögen, möge und muss sich fragen: Wo stehe ich geistig, hier und jetzt? Und warum? Diese Fragen möge sich eine Jede und ein Jeder geistig Interessierte stellen, aber auch unter der Voraussetzung, es könnte heute ungenügend (= Schulnote 6) sein, die Dinge nur rational durchgehen zu wollen und das eigene Unbewusste außen vor zu lassen, als irrelevant, unerheblich, vernachlässigbar, redundant.

Wie formuliert Hesse?

„Was unser Verstand denkt und sagt, ist ein Fliegenschiß neben dem, was unter der „Schwelle“ an Leben, Beziehungen, Verwandtschaften läuft und strömt.“

(Lektüre für Minuten 2, Nr. 256, S. 113, hg. Volker Michels, suhrkamp taschenbuch 240, 10. Aufl., Frankfurt am Main 1975, entnommen aus [damals]: Unveröffentlichte Briefe (Edition in Vorbereitung))

Ist es also vielleicht umgekehrt, und wir könnten vielmehr auf unser bewusst Geäußertes als redundant verzichten?

„Es kommt nicht auf die Worte an. Jedes Wort kann ebensogut sein Gegenteil bedeuten. Wenn Professoren reden, merkt man das nie, ihre Worte sind immer so beruhigend eindeutig, sie wecken immer die Täuschung, es gebe ein sicheres Wissen, das in Worten mitteilbar sei.“

(Lektüre für Minuten, Nr. 295, S. 115, hg. Volker Michels, suhrkamp taschenbuch 7, 16. Aufl., Frankfurt am Main 1971, entnommen aus: Rezensionen aus dem Nachlaß)

Man kann sich über solche Äußerungen ärgern, und ich verweise dann weiter zu Freud, der den Begriff „Kränkungen der Menschheit“ geprägt hat (vgl. 2. Das Streben nach Erkenntnis, 5. Fragequalität).

Dieser Text basiert auf dem Artikel "Kränkungen der Menschheit" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Kr%C3%A4nkungen_der_Menschheit) aus der freien Enzyklopädie "Wikipedia" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0"(externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren des Artikels "Kränkungen der Menschheit" verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum des Artikels: 09.02.2024.

Und wir können uns schon wieder eine Definition des Menschen ableiten: „Der Mensch ist ein seelisch-geistiges Wesen, das leicht gekränkt und eingeschnappt ist und das über dieser seiner (tief empfundenen) „Wahrheit der Seele“ die „Wahrheit des Geistes“, das sachliche Erkennen, in den Wind schlägt, weil es eben seelisch-gefühlsmäßig „nicht anders kann" (in Wahrheit: nicht anders können will).“

***

Zurück zum roten Faden (vgl. oben):

„Wer sind nun diese „Einige Leute in Sardes“?“

Wir wollen nicht versäumen, uns anzusehen, wie denn der Anthroposoph selbst auf den Sardes-Text seiner und unserer Zeit geblickt hat. Und als ich seine Kommentierung zur Kenntnis nahm, erlebte ich eine Überraschung, eigentlich ein Ärgernis, denn ich musste feststellen: Er spricht darüber, und er spricht doch nicht darüber!? Warum? Als (unzeitgemäß) Eingeweihter muss er uns doch das Tiefere darlegen können! Warum tut er es nicht? – Und die Antwort, die mir dazu eingefallen ist, liegt nun genau darin: Er weiß sich zu den „Einige Leute in Sardes“ gehörig, und damit müssen seine Lippen versiegelt sein, denn der Sardes-Text ist nun einmal für die Sardes-Leute da, für den exoterischen Hauptstrom, nicht für den esoterischen Neben- und Ausnahmestrom.

Und so kommt es, dass er zwar wiederholt erwartungsvoll ansetzt:

„Und jetzt müßten wir kommen in unsere Epoche herein, der wir angehören, und wir müßten uns fragen: Erfüllt sich denn diese Offenbarung des Apokalyptikers bis in unsere Zeit herein? — Wenn sie sich erfüllen würde, müßte zu uns sprechen derjenige, der durch die vier vorhergehenden Epochen gesprochen hat, und wir müßten seine Stimme verstehen lernen, müßten uns hineinfinden können in das, was unsere Aufgabe ist für das spirituelle Leben. Soll es eine spirituelle Geistesströmung geben und soll sie Weltmystik verstehen, dann muß diese Strömung, insofern sie übereinstimmen soll mit der Apokalypse des Johannes, das erfüllen, was der Sprecher, der große Inspirator, fordert von dieser Epoche. Was fordert er, und wer ist er? Können wir ihn erkennen? Versuchen wir es. «Und dem Engel der Gemeinde zu Sardes schreibe» — wir selbst müssen uns hier angesprochen fühlen —: «Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne» (Offenbarung Johannis 3, 1). Was sind sie hier, die sieben Geister und die sieben Sterne? …“

Und dann folgt eine Ausführung der in der Einleitungsrahmung genannten beiden (esoterischen) Begrifflichkeiten (siehe Unterstreichungen). Und dann folgt – nichts mehr, lediglich der lapidare Pauschalhinweis:

„… Nichts anderes heißt Anthroposophie treiben, als zu wissen, daß hier hingedeutet wird auf die fünfte menschliche Entwickelungsepoche der nachatlantischen Zeit, zu wissen, daß wir in unserer Zeit, wo man am tiefsten heruntergestiegen ist in die Materie, in das spirituelle Leben wieder hinaufschreiten sollen im Gefolge der großen Individualität, welche die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne uns zur Führerschaft gibt, damit wir uns zurechtfinden auf dem Wege.“ (GA 104, S. 83ff, dritter Vortrag Nürnberg vom 20. Juni 1908)

Diese beiden Textwiedergaben des Bandes GA 104 "Die Apokalypse des Johannes" der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (deren Herausgabe dem Rudolf Steiner Verlag obliegt) basieren auf der Werkbearbeitung einer älteren Ausgabe dieses Bandes GA 104 (externer Link: https://steiner.wiki/GA_104), durch die freie Literaturdatenbank SteinerWiki (externer Link: https://steiner.wiki/Hauptseite), zum Zwecke der kostenfreien Zugänglichmachung des Werkes Rudolf Steiners, und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In SteinerWiki ist eine entsprechende Liste der Werkbearbeiter zu GA 104 verfügbar, dort unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Näheres zur kostenfreien Zugänglichmachung vgl. unter "Unser Anliegen" auf der SeinerWiki-Hauptseite, GA 104 abgerufen am 11.06.2024.

Der Sinngehalt seiner Aussage über den Sardes-Text ist also so, dass hier lediglich „Einige Leute in Sardes“ sozusagen sich (esoterisch) mit sich selbst verständigen. Der Haupttext bleibt außen vor. Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil der Anthroposoph auf die vorhergehenden Gemeindebriefe wenigstens in Einzelheiten haupttextbezogen eingeht, hier jedoch nicht, oder auch ab hier nicht mehr und nur noch die esoterische Rahmung benennend (vgl. GA 104, ab S. 78), wodurch er quasi ab dem Sardes-Gemeindebrief einen analogen Einschnitt in seiner Briefe-Kommentierung macht, wie der Sardesbrief selbst eine Schnittstelle markiert dadurch, dass er zugleich ein Wach-werden und ein Nicht-wach-werden thematisiert.

"An den Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: So spricht Er, der die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne hat:

Ich kenne deine Taten. Dem Namen nach lebst du, aber du bist tot. Werde wach und stärke, was noch übrig ist, was schon im Sterben lag! Denn ich habe nicht gefunden, dass deine Taten in den Augen meines Gottes vollkommen sind.

Denk also daran, wie du die Lehre empfangen und gehört hast! Halte daran fest und kehr um! Wenn du aber nicht aufwachst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst bestimmt nicht wissen, zu welcher Stunde ich zu dir komme.

Du hast aber einige Leute in Sardes, die ihre Kleider nicht befleckt haben; sie werden mit mir in weißen Gewändern gehen, denn sie sind es wert.

Wer siegt, wird ebenso mit weißen Gewändern bekleidet werden. Nie werde ich seinen Namen aus dem Buch des Lebens streichen, sondern ich werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt." (Offb. 3,1-6)

Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung3, abgerufen am 19.06.2024.

Der Vollständigkeit halber müssen wir (Sardes-Leute) jetzt auch noch auf die Nachsatz-Rahmung eingehen, und wir stellen die Textpassagen nochmals vor uns hin, zusammen mit einem Satz aus dem ersten Sinnabschnitt:

Erster Sinnabschnitt:

Dem Namen nach lebst du, aber du bist tot.

Dritter Sinnabschnitt:

Du hast aber einige Leute in Sardes, die ihre Kleider nicht befleckt haben; sie werden mit mir in weißen Gewändern gehen, denn sie sind es wert.

Nachsatz-Rahmung:

Wer siegt, wird ebenso mit weißen Gewändern bekleidet werden. Nie werde ich seinen Namen aus dem Buch des Lebens streichen, sondern ich werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.

Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung3, abgerufen am 19.06.2024.

Mit den Termini „Name“ und „weiße Gewänder“ wird der Sardes-Text also umklammert. Der „Siegende“ erhält die weißen Gewänder auch, erwirbt sich also die Zugehörigkeit zum esoterischen, weisheitsvoll-spirituellen Nebenstrom, der selbst zum Hauptstrom erst werden soll. Und deshalb werden diejenigen, denen es gelingt, vom christlichen Nominalismus zum christlichen Spiritualismus überzugehen, wodurch sie Christus und Gott innerlich-substanziell in sich aufnehmen, im Buch des Lebens verzeichnet sein und bleiben, und dürfen sich fortan als zugehörig zu den himmlischen Heerscharen betrachten, denn das Engelzeichen ist das „weiße Kleid“.

Zugleich ist eine Bewegungsdynamik im "Namen" aufgezeigt: Der Anschein-Name ist eigentlich ein Totsein und wird daher aus dem "Buch des Lebens" gestrichen werden, der Echt-Name wird von Christus bekannt, als anerkannt, und wird also in diesem Lebens-Buch verzeichnet sein.

Zugleich auch ist ein Leben-Tod-Gegensatz thematisiert: Der Anschein-Name ist in Wahrheit ein Totsein, das einem Nicht-Aufwachen entspricht. Der Echt-Name ist ein Lebendig-Sein, und er resultiert erst aus dem Aufwachen. - In unsere moderne Zeit übersetzt: Das Materialisten-Dasein ist zwar irgendwie ein Am-Leben-sein, aber ein "Sein außerhalb", ein Draußen-Sein. Erst im Spiritualismus-Dasein ergibt sich ein wahres Im-Leben-drin-Sein, ein "Sein innerhalb", ein In-Sein (= der Terminus aus dem Johannesevangelium).

Und wir blicken noch kurz hinüber in die Nachsatz-Rahmung des Philadelphia-Textes:

Wer siegt, den werde ich zu einer Säule im Tempel meines Gottes machen und er wird nicht mehr hinausgehen. Und ich werde auf ihn den Namen meines Gottes schreiben und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das aus dem Himmel herabkommt von meinem Gott, und auch meinen neuen Namen. (Offb. 3,12)

Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Offenbarung3, abgerufen am 19.06.2024.

Zunächst sei auf den zweiten Satz eingegangen, auf den „Namen“, der jetzt plötzlich pluralisch erscheint:

- auf den Siegenden wird ein Name geschrieben

- und zwar der „Name meines Gottes“

- sowie der „Name der Stadt meines Gottes“

- außerdem kommt die Stadt (mit ihrem Namen) von Gott (mit seinem Namen) aus dem Himmel herab

- und auch noch „mein neuer Name“ (= derjenige Christi)

Damit scheint mir zum Ausdruck gebracht die Kritallisation oder das Durchsichtigwerden der wahren Geistverhältnisse in der Offenbarung: Es ist die Erkenntnis, dass alle Geistwesen im Vater-Bezug übereinstimmen und darin ihren Mittelpunkt haben; denn in ihm haben sie "ihre Namen".

Im Sardes-Text ist der „Name“ erst oder nur problematisiert: Vor dem Siegen ist er nur Schein, nach dem Siegen ist er prinzipiell anerkannt und dauerhaft angenommen, aber realisiert wird er dann erst im Philadelphia-Text, oder vielmehr: Dort erst ist von seiner Realisierung gesprochen, denn die eigentliche Realisierung erfolgt ja erst im Zusammenhang mit dem Endzeitgeschehen.

Der „neue Name“ erinnert an die alttestamentliche (lutherische) Gottesbezeichnung „Ich werde sein, der ich sein werde“, und er ist auch im Pergamon-Text des dritten (auch hebräischen) Kulturzeitalters genannt als ein solcher Name, den „niemand kennt als der, der ihn empfängt.“ (Offb. 2,17). Er wird nicht äußerlich gegeben, sondern innerlich gefunden bzw. empfangen. Und wenn er im Philadelphia-Text pluralisch erscheint, so können wir jene Stelle des Johannesevangeliums assoziieren, an welcher die Einheit des Geistes äußerlich beschrieben ist:

"Und ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt, und ich komme zu dir. Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, dass sie eins seien wie wir. ...dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast." (Joh. 17,11.21; Herv. v. Verf.)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Johannes17, abgerufen am 10.04.2024.

Hier ist die Einheit der Namen zum Ausdruck gebracht und dadurch die Einheit des Geistes. Diese Einheit soll auf die Menschen übergehen, sie sollen in sie – als Individuen - einbezogen sein. Dies geht nicht äußerlich, nur innerlich. Und diese unter den Menschen zustande kommende Einheit des Geistes, wir können auch sagen: Einheitlichkeit des Geistes oder Übereinstimmung im Geiste, soll dann Überzeugungscharakter vor der Welt haben („…damit die Welt glaubt…“). Das klingt schön, faktisch ist es aber bislang so, dass wir aus dem (kontroverstheologischen) geistigen Ausdifferenzieren und Streiten und Uns-gegenseitig-voneinander-Abgrenzen und Diskutieren und Zerreden einfach nicht herauskommen (Wir haben ja heute die Kontroverstheologie lediglich zurückgestellt, nicht aufgelöst,  aufgrund der überhandnehmenden Bedrohung des Glaubens überhaupt durch Atheismus und Materialismus).

Zum ersten Satz. Der Siegende hat den Boden des Geistes gefunden, und so wird er nun zum Mitträger des Ganzen, während er zuvor ein vom Himmel Mitgeschleppter war, der dem Himmel Last verursachte, anstatt zur kosmischen (Wirklichkeits-)Entlastung und -Entspannung beizutragen.

Was heißt das, wenn die Offenbarung sagt, sie werde den Siegenden zu einer "Säule im Tempel meines Gottes machen"? Es sagt uns, dass auf den Menschen als geistiges Individuum gebaut ist. Und deshalb scheint es mir auch nicht richtig, wenn Luther "sola gratia" formuliert. Was passiert denn, wenn wir alles der "Gnade Gottes" überlassen? Dann muss ja - im Zweifelsfall - unter uns Menschen gar nichts passieren, denn egal, was wir tun oder nicht tun: Es liegt sowieso alles in der Hand der Gnade Gottes? Und folglich muss gelten: Die Lutherische Theologie und Glaubens- bzw. Kirchenintervention ist zwar passiert, aber notwendig war sie nicht. Das Richtige und Wahre wäre auch ohne sie gekommen... Ist das so?

Die Offenbarung scheint aber da anderer Meinung zu sein, und wir können sie uns auch plausibel machen: Denn wenn der Geist zu den Menschen kommen können soll, dann kann der Beweis des Geistseins im Menschen nur darin bestehen, dass Menschen den wahren Tempel oder die wahre Kirche in sich erkennen und bekennen und sogar formieren. Und verfolgen wir diesen Gedanken in die letzte Konsequenz hinein, so besagt er: Die wahre Kirche Jesu Christi hat sich aus sich selbst heraus zu konstituieren. Tut sie es nicht, so kann sie nicht die wahre Kirche Jesu Christi sein.

Also kann zum Stichwort "Säule" gesagt werden: Die Menschen brauchen keinen übermenschlichen Atlas, der ihnen das Himmelsgewölbe als solches stützt und erkennbar macht; sie brauchen kein "Steinsein Petri", das unsere (Geistes-)Geschichte als Makulatur in den Wind schreibt und meint, im vorab schon die volle Wahrheit mitgeteilt bekommen zu haben. Sie brauchen vielmehr "Säulen des Christseins", wie die Luther-Biographie eine solche faktisch gewesen ist, denn die Traglast der Kirche (und des Tempels Gottes) liegt nicht auf Einem (besonders Auserwählten), sondern auf Vielen (nicht einzeln Hervorgehobenen), daher gut und gerne auch Anonymen, denn "ihre Namen" haben sie ja nicht irdisch-allerweltsbekannt, sondern vielmehr himmlisch-verzeichnet, irdisch unwahrgenommen.

Wir können damit eine kirchen- und heilsgeschichtliche Verlagerung der Tragelast des Tempels Gottes oder der Kirche Jesu Christi konstatieren: Sie soll und muss sich verlagern auf die christlichen Individuen, auf Viele, und auch nicht dadurch, dass sie den Anweisungen irgendeines Einen oder irgendeines "Petrus" Folge leisteten, sondern dadurch, dass sie alle frei aus sich selbst heraus entscheiden, aus ihren ureigenen Geist-Eingebungen, was sie im Sinne und zum Gedeihen der Kirche Jesu Christi als christliche Individuen beisteuern können und wollen.

Das Atlas-Dasein Petri ist ein gesellschaftliches Auslauf-Modell, denn es ist ineffektiv-ideenlos, schwerfällig-unbeweglich, letztlich selbsterneuerungsunfähig. So ist aber die Kirche Jesu Christi nicht. Sie lebt nicht aus einer "Vater"-Loyalität, sondern besteht in "philadelphischer" Geschwisterliebe, die Augenmerk hat auf die Anerkennung der Anderen in ihren Stärken und Schwächen und sie daher auch einbindet und fruchtbar macht für ein geistiges Sprießen und Sprossen der Kirchengemeinde. Viele Ideen halten die Kirche beweglich und helfen ihr, sich jederzeit aus sich selbst heraus erneuern zu können. Und alle Geschwister wissen sich als Mitträger der Kirche.

Zum zweiten Teil des ersten Satzes: "und er wird nicht mehr hinausgehen." Hat das Individuum sich selbst im Geist gründen können, so hat es ins In-Sein gefunden, über welches alle Geistwesen miteinander verbunden sind. Und damit ist die Heilsgeschichte in die Zielgerade gekommen, und es gilt ab jetzt für den Christenmenschen der aristotelische Entelechie-Begriff: des Im-Ziel-Stehens und Im-Ziel-Stehenbleibens. Und von hier aus gibt es keine Möglichkeit und Gefahr mehr, die Geistigkeit der Welt jemals wieder zu vergessen und das eigene Geistsein jemals wieder zu verlassen. Das ist aber die durch den Sündenfall geschehene Menschheitsgeschichtsbewegung "nach draußen", die uns in der Moderne in ein Bewusstsein unseres "Draußen seins" oder "Ausgesteuert seins" gebracht hat, und zwar in ein (fatales) solches, welches tatsächlich vergessen hat (und nun dauerhaft übersieht), dass es daneben auch noch ein "Drinnen" und "Drinnen sein" gibt. - Das alles ist Hintergrundwissen der Bibel und der Offenbarung des Johannes, kurz und knapp zusammengefasst in die Nebenbemerkung: "Und er wird nicht mehr hinausgehen."

Das Draußen-Stehen ist ein enormes und sehr ernstes Problem menschlicher und menschheitlicher Existenz. Und so kommen Menschen allzu schnell und leicht auf die Idee, sich einen Retter, Fürsprecher, Helden zu erkoren, der ihnen diese "unmögliche" und "unerträgliche" lebenssituation überhaupt erträglich und annehmbar macht. Und so wollen sie einen "Vater" oder Papst im Irdischen haben, der dann gleichsam gesellschaftlich die Rolle erhält, als Über-Ich für die Vielen zu fungieren, als Zuflucht ihrer Wünsche, Sorgen und Nöte. Die Bibel weiß offensichtlich darum, und deshalb enthält sie ein solches Vater-Verbot. Denn der Mensch verkürzt sich selbst, wenn er in dieser Weise einem Über-Ich frönt, das ihn daran hindert, zu sich selbst zu kommen. Die Christenheit wird demnach nicht umhinkönnen, das Papsttum fallen zu lassen, und sie hat es ja in Teilen schon getan. - Anderseits - Achtung! - will ich mich wohl hüten zu behaupten, die Aufrechterhaltung des Papsttums sei grundsätzlich verwerflich - ist doch unsere gesamte Menschheit lange genug vom Himmel in solchen Über-Ich-Verhältnissen gehalten worden, ich betone: Gehalten worden. Und so kann sich die Christenheit - kontroverstheologisch - überlegen, ob nicht ein "Papst" eine gesunde oder gesellschaftlich gesundende Übergangs-Funktion einnehmen kann auf dem Weg der Individuen in ihre Freiheit und ihren Halt-an-sich hinein...

Luther ist faktisch zu einer (Reform-)Säule der Kirche Jesu Christi geworden, jener Kirche des sich stets verjüngenden lebendigen Geistes. Und es mag ja zutreffen, dass die Gnade Gottes hierbei eine tragende Rolle spielte, aber trotzdem - daneben auch - der "Mitknecht Martin" (vgl. Offb. 22,9), ohne dessen Theologie und Reformation eine Erneuerung der Kirche in sich selbst niemals zustande gekommen wäre, so wie wir auch ohne den "Mitknecht Johannes" die "Offenbarung" nicht hätten, aus der wir - mit Gottes und des Geistes Hilfe - auch eine Orientierung in die Zukunft der Menschheit hinein gewinnen können.

Die Offenbarung - recht besehen - ist strukturreich und konturenklar, nicht wirr und undurchsichtig, nicht schwammig, sondern begrifflich scharf - nur braucht man eben den Rückenwind des Geistes, resultierend aus der himmlisch initiierten Evangeliums-Bewegung, damit ins "eigene Augenlicht" die "Sehschärfe des Geistes" eintreten kann. Der Geist selbst ist der Macher und Schöpfer, auch der Bibel, und er kann sie uns aufschließen oder sie vor uns unter Verschluss halten, je nachdem, ob wir selbst uns ihm öffnen und ob er selbst sich uns zuschickt.

***

Das neue Jerusalem ist hier schon, am Anfang der Offenbarung genannt, obwohl diese neue Stadt und Zentrum der Menschheit das Kernanliegen der Offenbarung ist und erst gegen Ende zu näher thematisiert wird.

Und an unserer konfessionellen Verschiedenheit sehen wir allzu deutlich, dass ernsthafte Einigungsversuche in unserer Zeit noch gar nicht vorhanden sind. Sie werden wohl bis zur Philadelphia-Zeit warten müssen, vorausgesetzt, es sind nicht zwischenzeitlich – seit Abfassung bzw. Empfangen der „Offenbarung“ – Dinge auf der Erde eingetreten, die „damals“ nicht vorhergesehen waren – eine Frage, die ich nicht beantworten kann.

Faktisch dürfen wir unsere Lebenssituation als ein Hin- und Hergezerrt werden zwischen Materialismus und Spiritualismus ansehen. Dieses Gezerre als solches muss wohl im vorab bekannt gewesen sein, aber die entscheidende Frage ist vielleicht, ob das Ausmaß der Ausschläge – die Amplitude – unerwartet übergroß geworden ist, so dass wir die „Streitschlichtungsversuche“ und die (philadelphische) „Einheitsfindung“ nun auch gegenüber der biblischen Darstellung nach vorne verlegen sollten, in einen früheren Zeitpunkt hinein, nicht erst nach Philadelphia, sondern bereits zu uns hier und heute, nach Sardes, und selbst innerhalb Sardes vielleicht schon ins erste Drittel. Dann käme rechnerisch das Jahr 2133 heraus.

1413 – 3573                                  unsere (erst begonnene) „Gegenwart“          Sardes (Offb. 3,1-6)

Gesamtzeitraum der Kulturepoche = 2160 Jahre, geteilt durch 3 = 720 Jahre, Beginn (1413) + 720 Jahre = 2133.

Und nun können wir uns an die Prophezeiung des Anthroposophen erinnern, von der ich nicht weiß, wie er zu ihr gekommen ist, die – wohlwollendst formuliert – besagt: Es werden von Mitte August 1924 an „keine hundert Jahre vergehen“, bis der spirituelle Schub innerhalb der Menschheit passiert sein muss, damit nicht Evangelium und Heilsgeschichte als „endgültig gescheitert“ betrachtet werden müssen. Dies wäre dann das Jahr 2024, das freilich vom Jahr 2133 noch über hundert Jahre entfernt liegt, so dass wir doch noch eine gute Weile Zeit hätten…

falls sich die Zeiträume und Gegenwartsnotwendigkeiten nicht amplitudenbedingt weiterverschoben haben sollten. Und wenn wir auf unsere Erde hinblicken, die zwischenzeitlich begonnen hat, uns in unserem Handeln und Nichthandeln "ernsthaft und besorgniserregend ins Gespräch zu nehmen“ (sofern wir auf ihre schweigsame Beredtheit in den irdischen Naturereignissen hinzuhören gewillt sind), dann legt sich auch ein gewisser Schluss nahe oder wir könnten auch sagen: Unser Ende wird jetzt konkret absehbar…

Wie komme ich auf das „erste Drittel“? Soweit ich mich erinnere, erwähnt der Anthroposoph einmal, das erste Drittel eines Zeitraums spiele eine bedeutsame Rolle. Und wenn wir uns den griechisch-lateinischen Zeitraum ansehen, so fällt das Christusereignis nahezu ins erste Drittel.

747 v.Chr. – 1413 n.Chr.                              griechisch-lateinisch                                    Thyatira (Offb. 2,18-29)

747 – 720 (oder -747 + 720) = 27 v. Chr.

Und wenn ich meine eigene Biographie überblicke, so war ein entscheidender Einschnitt im Alter von 20-21 Jahren, von meinen nunmehr über 60 Jahren. Ein „Beweis“ ist das sicherlich nicht, aber ein „Indiz“, das zumindest einer „näheren Überlegung“ wert sein sollte, insbesondere dann, wenn wir unser heute übergroßes, reichhaltig gewordenes „Wissen“ als ein im Grunde genommen „sokratisch Gegenteiliges“ bezeichnen müssen resp. sollten…

Wir haben gesehen, der Anthroposoph weist eine nähere Auskunft darüber, was der Sardes-Text inhaltlich besage, zurück, als wolle er uns mit dieser seiner „beredten Auskunftsverweigerung“ sagen: „Hört zu, ich bin ein Eingeweihter geworden, besitze damit einen höheren Erkenntniskanal, den ich sozusagen außerordentlich erlangt habe. Der Sardes-Text ist aber für den ordentlichen, regulären Weg der Heilsgeschichte da, und deshalb wäre euch damit nicht geholfen, wenn ich euch den Text in seiner Bedeutung auseinanderlegen würde. Es ist nun an euch, die ihr die normale geschichtliche Entwicklung des Menschengeistes durchgemacht habt, - „normal“ im „Gang der Heilsgeschichte“ verstanden -, und folglich muss der Sardes-Text auch innerhalb der Sardes-Zeit verstehbar werden und dann auch verstanden werden. Der Sardes-Mensch muss ihn aus sich selbst heraus verstehen lernen, nicht wie ich, aus einem leihweise zu Hilfe genommenen höheren Selbst heraus, das zwar auch zum Menschen gehört, aber regulär erst in einer späteren Entwicklungszeit. Nehmt daher den Sardes-Text als Prüfstein dafür, ob ihr die nötige Reife, Geistesreife bereits erreicht habt oder noch nicht. Wenn ihr den Text deuten könnt, dann habt ihr diese Reife erreicht, wenn nicht, dann noch nicht.“

Und wir könnten nun kritisch fragen, ob dieses Verfahren für jeden Gemeindebrief vorzunehmen sei, und könnten dann beanstanden, dass dies gar nicht möglich sei, weil die Offenbarung des Johannes ja erst in der Thyatira-Zeit, also in der vierten Kulturepoche, überhaupt in Schriftform gegeben worden ist.

Diese „Unstimmigkeit“ können wir uns aber auflösen, wenn wir auf die etwas verworrene oder komplizierte Adressatenschaft dieser „Offenbarung“ hinblicken. Ich will sie nicht bis ins Kleinste verfolgen, nur grob oder vorläufig, und stelle dabei fest: Johannes schreibt den sieben Gemeinden (1,4), ist hierzu auch beauftragt (1,11), erhält aber zugleich den Auftrag, an die Engel der Gemeinden zu schreiben (z.B. 2,1) und er – Johannes - spricht dann so, als spräche der Auftraggeber selbst direkt zur Gemeinde. Johannes empfängt die Offenbarung Jesu Christi, die dieser von Gott hat (1,1), und erhält sie durch einen Engel, der sie bezeugt (1,2). Einerseits hat Gott das Wort (1,8: „Ich bin das A und das O, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.“; vgl. 1,1: ὁ θεὸς), anderseits der Gottessohn (1,17f: „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle [1 = Unterwelt].“, vgl. 2,18: Τάδε λέγει ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ).

Übersetzungen siehe: Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/Offenbarung1, abgerufen am 10.04.2024.

Griechische Textgrundlage: Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, 28., revidierte Auflage, hg. v. Barbara und Kurt Aland, Johannes Karavidopoulos, Carlo M. Martini und Bruce M. Metzger in Zusammenarbeit mit dem Institut für Neutestamentliche Textforschung, Münster, © 2012 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart - externer Link: Offb. 1-2 ab https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/NA28/REV.1/Offenbarung-1, abgerufen am 10.04.2024.

Die Engel haben Mittler- oder Botenfunktion, wir können auch weitergehend sagen, eine Aufsichts- und Lenkungsaufgabe. Der Inhalt der Gemeindebriefe bezieht sich somit auf die Lebensweisen der entsprechenden Kulturepochen, auch derjenigen, die bereits durchlaufen sind, und jede hat ihren Engel, ihre höhere geistige Führerschaft. Der Anthroposoph charakterisiert diese Kulturepochen ja alle nacheinander (vgl. GA 104, S. 69ff), bevor er auf die Gemeindebriefe zu sprechen kommt. Die Engel erfahren nicht erst aus der „Offenbarung des Johannes“ heraus, was in ihrer Gemeinde und Zeit zu geschehen hat. Sie wissen es schon vorher und handeln auch schon danach.

Und nun kommt der entscheidende, die Gemeindemitglieder selbst betreffende Punkt: Innerhalb der Kulturentwicklung und Heilsgeschichte wird der Moment kommen, wo der Mensch auf sein eigenes Unbewusste stößt und lernen soll, den verborgenen Inhalt desselben sich bewusst zu machen und anzueignen. Das Unbewusste soll ins Bewusstsein hereingenommen und peu a peu als solches aufgelöst werden. Das passiert in der Sardes-Zeit, und deshalb ist die Textform der Offenbarung primär für die Sardes-Zeit da, nicht für die vorhergehenden Zeiten, die noch unbewusst richtig gesteuert werden, und auch nicht für die nachfolgenden Zeiten, weil ja – en passant – das heilsgeschichtliche Hinüber- und Hineingehen der Gemeinde ins Reich des Geistes erfolgt sein wird, was wir insbesondere am Laodikia-Text sehen, in welchem die eigentlichen Gemeindemitglieder gar nicht mehr erscheinen, weil sie bereits „aufgehoben“ sind.

Entsprechend ist dann der „eigene Handlungsspielraum der Gemeindemitglieder als Individuen“ eigentlich erst ab der Sardes-Zeit gegeben, und deshalb sehen wir uns in unserer Zeit wie in ein Machtvakuum versetzt, indem die Dinge nicht wie in früherer Zeit einfach weiterlaufen und ihren Gang nehmen, sondern dem Menschen ein bewusstes Handeln abverlangt ist, um die Dinge der Welt ordentlich zu regeln, von welchem wir aber im Grunde genommen zugleich sagen müssen, dass es uns noch weit überfordert, zum einen weil der Einzelne nicht all die Aspekte im Blick haben kann, auf die Rücksicht genommen werden muss, wenn das Gesellschaftsganze einen ordentlichen Gang gehen soll, zum andern, weil wir noch nicht gelernt haben, unsere Individualinteressen zugunsten des Allgemeininteresses zurückzustellen bzw. anzupassen.

Aber daran, dass sich „der Himmel zurückgezogen hat“ und so ein irdisches Handlungs-Machtvakuum freigegeben hat, sehen wir, dass unser gezielt bewusstes Handeln heute schon an der Zeit wäre, wir es aber noch nicht leisten können. Und so passiert mit der Menschheit gegenwärtig das, was die Deutschen bereits im Dreißigjährigen Krieg erlebt haben: Alle möglichen Kräfte fallen von außen ein und betreiben ihre Dinge auf einem Boden, der ihnen gar nicht gehört, und sie können das tun, weil ein Machtvakuum vorhanden ist und sich aus sich selbst heraus keine handlungsfähige Macht, kein Machen-Können konstituieren konnte. Analog wird die Menschheit derzeit von verschiedensten Kräften hin- und hergezerrt (nicht nur bewussten, auch unbewussten), und wir dürfen nicht glauben, dass es nur irdische Kräfte sind, und auch nicht, dass sie immer nur „die Anderen“ befallen, während „wir selbst“ die Guten und Armen und Hilflosen und Unschuldigen und zu Rettenden seien, und die Anderen die Bösen und Schuldigen usw.

Und wenn wir uns dieses irdische Schauspiel von außen (oben) ansehen könnten, so sähen wir vielleicht, dass die Menschen sich gegenseitig sagen: „Die Anderen sollen mit dem Gemeinschaftshandeln beginnen, nicht wir.“ Und so mag im Himmel ein Entsetzen darüber entstehen, dass der Menschheit faktisch ein Handlungsspielraum, eine Handlungsmacht überlassen (bzw. zugetraut) worden ist, die sie nicht produktiv zu nutzen weiß und stattdessen schnurstracks in ihren eigenen Ruin hineinmarschiert, durch die Fundamental- oder Erz-Handlungsmaxime des Menschen: „Sollen doch zuerst die Anderen…“ oder auch: "Soll doch endlich der Gott pro nobis..."

Die Lösung ist aber auch nicht „der starke Mann“, „der große Führer“, die Herbeiholung eines Ersatz-Über-Ichs, ein gesellschaftliches Sich aufblähen, Pludern und Plustern, wie wir es heute an vielen Stellen resp. Staaten, Unternehmen, Institutionen sehen können, sondern die Selbstkorrektur und Neuausrichtung „unserer selbst“, vorzunehmen von den Individuen, die allein diese ihre Menschheit konstituieren, nichts und niemand sonst, also sozusagen: sola individua (oder: solum individua?). Und diese Selbstkorrektur beginnt mit der Selbsterkenntnis, und diese beginnt mit der Bereitschaft zur Selbsterkenntnis, sofern wir einen realistischen Blick auf uns selbst werfen resp. riskieren wollen.

Und damit sind wir zurück beim Anliegen und der Aufgabe der Philosophie, die wir als überflüssig abgeschafft oder als unerheblich an den Rand gedrängt haben, zusammen mit uns selbst. Dies ist der Status quo dieser unserer Menschheit: Wir haben uns selbst ins Abseits gedrängt und fühlen uns für uns selbst nicht recht verantwortlich, im Glauben an irgendwelche anderen Macht- und Handlungs-Instanzen... die es vielleicht sogar geben mag und die trotzdem ihre Macht und ihr Handeln von uns abgezogen haben, indem es möglicherweise "kosmisch unzulässig" sei, dass Menschen Kinder bleiben (wollen)...

***

Ich fürchte, wir müssen noch einmal ganz von vorne beginnen und das Ganze (unserer selbst) nochmals komplett durchgehen…

Alternativ machen wir einfach weiter wie bisher, in der Hoffnung und Illusion, das Altbewährte werde auch weiterhin bewährt bleiben. Wir müssen dazu lediglich ignorieren, dass unsere Handlungsmacht zwischenzeitlich unser Verantwortungsbewusstsein überholt hat und dass also das Altbewährte unserer plural-agonistischen Handlungsmachenschaften in die Zukunft hinein einfach nicht mehr funktionieren wird, weil die Einheit der Erde diesem unkoordinierten Pluralismus widerspricht, solange, bis die Natur einen Schlussstrich ziehen wird, mit dem (längst bekannten) Fazit, dass es ihr ohne Menschheit einfach besser geht.

Oder wir werden doch einfach „wach“, wie es der Sardes-Text fordert, und nutzen Zeit und Gelegenheit, in das bestehende geistige Machtvakuum unserer Gegenwart hinein den „Geist des Menschen und der Menschheit“ auf den Weg zu bringen, damit er sich zeitgerecht gesellschaftlich konstituieren und formieren kann, in einem großen und tragfähigen Geschwisterbund. Dazu müssen wir aber den uns gegebenen „Freiraum unserer selbst“ als solchen erkennen, und dazu gehört wohl eine tiefere (und anthroposophische) Erkenntnis unserer selbst (die auch das eigene Unbewusste ernsthaft in Angriff nimmt), wonach uns Menschen die Freiheit gegeben ist, wesenhaften Anteil an der Gestaltung unserer eigenen Geschichte und Geistesgeschichte zu nehmen, über ein Hin- und Herpendeln zwischen Oben und Unten, den beiden Seiten, auf welche gegenwärtig noch die Einheit des Menschenwesens verteilt ist und die in die Zukunft hinein sich wieder miteinander verbinden könnten, sollten, müssten, wenn die beiden derzeit getrennten Welten, Diesseits und Jenseits, wieder in eine zusammentreten können sollen, so dass Atlas arbeitslos würde...

...zumindest für diejenigen, denen es gelingt, in die Einheit des kosmischen Geistes einzugehen.