Etwas andere Einleitung

Diese Einleitung ist dadurch etwas anders, dass sie gleichzeitig von drei weltanschaulichen Ausgangspunkten ausgeht, die sich alle drei in unserer Gegenwart vertreten finden und gelebt werden, ein philosophischer, ein theologischer und ein anthroposophischer. Unsere Gegenwart ist eingespannt zwischen zwei extremen Weltanschaungsmöglichkeiten, einem atheistischen Materialismus und einem "theistischen" Spiritualismus. Der atheistische Materialismus soll philosophisch vertreten sein, der Spiritualismus anthroposophisch, und unsere Theologie und Kirche bewegt sich zwischen beiden, indem sie sich zu einer konsequenten Geistanschauung unserer Welt und Wirklichkeit offensichtlich nicht durchringen kann.

In dieser Dreifach-Einleitung will ich ein vernetztes Denken versuchen, soll heißen, drei Ebenen weltanschaulichen, metaphysischen Denkens sollen so miteinander verbunden werden, dass ihre Grundlagen nicht dogmatisch-isoliert als sich gegenseitig ausschließende Voraussetzungen bestehen bleiben, sondern reflexiv eingeholt und sozusagen erkenntnisfließend in die anderen Grundlagen und Ebenen übergehen können.

Diese drei Ebenen sind: Philosophie, Theologie und Anthroposophie, wobei den philosophischen Ausgangspunkt der Materialismus und Atheismus der Gegenwart bilden soll, den theologischen Ausgangspunkt der christliche Glaube, den anthroposophischen Ausgangspunkt die lebenerfüllte Überzeugung des Geist-durchwirkt-seins unserer Wirklichkeit und des Kosmos, die wir als eine Wieder-Holung betrachten können der Grundüberzeugung des Menschen in unseren geistesgeschichtlichen Anfängen (bei den griechischen, vorsokratischen Naturphilosophen des 8. bis 5. Jahrhunderts vor Christus), nur jetzt in kritisch-reflexiver Form, als bewusste Affirmation eines früheren unbewussten Selbstverständnisses des Menschen.

Biographisch ist es bei mir tatsächlich so gewesen, dass sich alle drei Denkebenen parallel entwickelten: Ich bin römisch-katholisch aufgewachsen, als Jugendlicher in den Atheismus hineingeschlittert, wandte mich studentisch-wissbegierig der Philosophie zu. Mit 21 Jahren erwarb ich eine eigene Bibel, um „selbst hineinzusehen“, und zwar in der 1980 erstmals erschienenen Einheitsübersetzung (der Deutschen Bischofskonferenz). Und zeitgleich begann ich, das Schriftwerk Rudolf Steiners, des Begründers der Anthroposophie, zu lesen. Später nahm ich Geschichte als Studienfach dazu und widmete mich danach der evangelisch-lutherischen Theologie, zeitgleich mit meinem Austritt aus der römisch-katholischen Kirche. Zuletzt konvertierte ich zur lutherischen Konfession, studierte noch Germanistik und etwas Pädagogik und Psychologie sowie Soziologie und Politikwissenschaft.

Danach verließ ich die Universität, ohne Abschluss, um ein eigenständiges Denken jenseits der ausgetretenen, abgenutzten, eingefahrenen Wege unserer (unbeweglich gewordenen) Wissenschaft entwickeln zu können. Unsere Wissenschaften (eine existiert nicht) haben das Fachspezifische betont und kultiviert, haben darüber das Fachübergreifende vergessen (einstmals als die Sieben freien Künste philosophisches Grundstudium gewesen) und haben die Philosophie sich selbst nachgeordnet, so dass mir folgende Wissenschafts-Priorisierung heute weithin anerkannter Konsens (oder auch Common Sense = gemeinsame Wahrnehmung) zu sein scheint: Naturwissenschaften vor Geisteswissenschaften, und die Philosophie unter ferner liefen.

Und so kann die Philosophie, sofern sie nicht gewillt ist, sich selbst als "Wissenschaft unter Wissenschaften" misszuverstehen, sich selbst veranlasst sehen, aus der Reserve gelockt zu werden. Im Motto dieser Website ist erkennbar, dass ich die Auffassung, die Philosophie müsse bemüht sein, die Wissenschaften zu imitieren oder es ihnen gleichzutun, nicht teile, auch nicht dadurch, dass ein Immanuel Kant ein solches Philosophie-Missverständnis propagierte.

Methodisch stelle ich die drei Denkrichtungen nebeneinander, und grundsätzlich ist von oben nach unten zu lesen, um ein mögliches Ineinandergreifen sichtbar zu machen. Es versteht sich, dass diese Gegenüberstellung meine ist und also auch meine Sichtung darstellt. Wichtig scheint mir hierbei das Exemplarische und Prinzipielle zu sein, dass überhaupt ein Gespräch zwischen den Wissenschaften oder Institutionen (die Anthroposophie pflegt ihre eigene, andersartige Geisteswissenschaft) aufgenommen werde, damit zu einer allumfassenden Gesamtkommunikation gefunden werden kann.

Philosophie

Der Ursprung der Philosophie liegt im Menschen selbst, wenn er den Wunsch hat, das Ganze des Seins verstehend zu durchdringen. Findet der Mensch sich selbst als animal rationale, als Wesen mit einem aktivierbaren Vernunftvermögen, dann gerät er in Gegen-Stand zum Ganzen des Seins, das er verstehen will, aber - zumindest zunächst einmal - nicht versteht.

Viele Menschen befinden sich nicht in solchem Gegen-Stand, und so entwickeln sie auch kein entsprechendes Erkenntnisstreben, halten vielmehr Philosophie für grundsätzlich überflüssig, vielleicht, indem sie von der Unerkennbarkeit des Kosmos ausgehen, so dass diese Bemühung als solche von vornherein sinnlos erscheint, oder indem sie am Sein an sich kein objektives, tiefergehendes Interesse haben und sich daher lediglich mit ihren subjektiven Interessen und Wünschen beschäftigen wollen.

Der Mensch - so sieht es hier und heute aus - ist mit seinem Erkenntnisvermögen allein gelassen im Kosmos, und die Wahrscheinlichkeit ist eine sehr hohe, dass er mit seiner Vernunft den Kosmos und sein eigenes Sein nicht durchdringen könne, zumal er mittlerweile auf eine Jahrtausende währende Erkenntnisbemühung zurückblicken kann, die nicht an dieses Erkenntnisziel gelangen konnte.

In Anbetracht solcher Glaubens-Überlegungungen fühlt sich unser Philosoph nun ausgeschlossen und übergangen, und so fragt er zurück an den Theologen: "Was soll denn das sein - Glaube?"

Aus Sicht des Atheismus und Materialismus der Gegenwart, welche gegenwärtig den Boden und Ausgangspunkt für ein philosophisches Denken bilden, klingt der Glaube aber wie ein unzulässiger Kunstgriff: "Wie - ich soll eine höhere Welt annehmen, zusätzlich zu der von mir hier und heute wahrgenommen, - etwa nur, weil sie mir nicht gefällt?"

Und wenn es gar keine "höhere Botschaft" war, sondern eine von den Menschen selbst erfundene, um ihre kosmische Aussichtslosigkeit mit einer dauerhaft irrealen Hoffnung zu erfüllen?

Hat nicht die Philosophie aus sich selbst heraus ein analoges "Märchen" hervorgebracht - in der platonischen Philosophie: Der Mensch befinde sich in einer Wirklichkeits-Höhle und müsse zusehen, durch einen langen, beschwerlichen Erkenntnisweg wieder ans Licht der Wahrheit finden zu können?

Was also, wenn diese Höhlen-Idee selbst falsch und die eigentliche Erfindung (von Philosophen) ist, um uns über unsere faktische Wirklichkeits-situation zu belügen und sie uns schönzureden, damit wir von einer höheren und schöneren und intakten Welt träumen können?

Jetzt machst du, Theologe, aber einen Denkfehler. Denn mit deiner jetzigen Frage lässt du doch den oben hochgehaltenen Kant wieder fallen. Kant hat eine Erkenntnisgrenze für die menschliche Vernunft zu bestimmen versucht, so dass ein "Platz für den Glauben" zu resultieren scheint. Wenn er aber selbst Mensch und Sünder gewesen ist, hat dann nicht in ihm lediglich die gefallene Vernunft sich selbst vermessen?

Ihr beide sinniert hier über das rechte Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft. Und doch habe ich den Eindruck, dass ihr euch diesbezüglich in einer Verworrenheit oder Unklarheit bewegt, die ihr offenbar nicht recht auf den Punkt bringen könnt.

Nach dem Gesagten - wenn ich mich in eure Begrifflichkeit und Sprache mit hineinbegebe - lassen sich die Verhältnisse doch in einer einfachen Formel abbilden, die man dann eine "Vernunft-Gleichung des Glaubens" nennen könnte:

Gefallene Vernunft + Heiliger Geist = natürliche Vernunft.

Dann würde sichtbar, dass die derzeitige Vernunft verdorben ist, und die sog. heilsgeschichtliche Bewegung des Geistes hat die Funktion, diese menschliche Vernunft auf ihre ursprüngliche Höhe wieder zurückzuführen, wobei wir aus der Sündensituation heraus nicht einmal bestimmen können, welche Reichweite die menschliche Vernunft ursprünglich gehabt haben mag und wiedererlangen soll. Womöglich ja ein universales, alldurchdringendes Verstehen des Seins?

Demgegenüber bestehe ich aber weiterhin darauf, dass die Glaubensdinge für mich nicht annehmbar sind. Ich bin nicht bereit, mich in eine schönere Welt als die mir vorliegende hineinzuträumen. Ich bin gewillt, die Realität als Realität zu ertragen und auszuhalten.

Auch ich teile die genannte formale Erkenntnis-Bedingung eines aufrichtigen Strebens. Doch der Einwand des Theologen geht mir auch schon wieder zu weit, indem er Inhaltliches neben dem formalen Wahrheitsstreben behauptet.

Ich bestreite, dass es zweierlei Geist gibt, einen geistlichen, der dem Höheren zugewandt sein soll, und einen weltlichen, der dem Irdischen zugewandt sein soll. Wird damit nicht eine Doppelung der Welt behauptet und in gewisser Hinsicht sogar eine Begründung gegeben, das Irdische vernachlässigen zu können, als ein weniger Wichtiges und Vorübergehendes, im Gegensatz zum Himmlischen und eigentlich Wichtigen, in welches hinein von den Gläubigen auch die rettende Antwort auf die Frage nach Leben oder Tod verlegt ist?

Mir scheint, es ist jetzt die Frage nach einer Religionskritik am Platz, und hier sehe ich momentan eine große Differenz zwischen mir und euch beiden: Ich bin nicht bereit, einen Gott und einen Himmel anzunehmen, damit ich eine Lösung meines Todesproblems bekomme, das mir grundsätzlich das allergrößte Lebensproblem der menschlichen Existenz zu sein scheint. Im Glauben ist diese existenzielle Problematik des Menschen aufgehoben, einfach weggewischt, indem der Mensch sich - wohl unbewusst - sagt: "Wenn ich Ewigkeit des Lebens haben will, und die will ich haben, dann glaube ich eben an einen Gott, der mir mein Überleben über meinen Tod hinaus sichert. So habe ich eine bestmögliche Grundlage für mein endliches, irdisches Leben - und alles passt wunderbar. Hier und jetzt kann ich mich dann für das Irdische interessieren. Später dann, wenn es allmählich ans Sterben geht, kommt eben das Überirdische in Betracht - wie das Alte Testament sagt: Alles hat seine Zeit."

Das, was hier und heute religiös gelebt wird, ist nicht etwa eine Zwei-Welten-Theorie, sondern vielmehr eine eingespielte, kalkulierte, handfeste Zwei-Welten-Praxis, die beide Bereiche prinzipiell voneinander abgekoppelt hält, so dass sie verbindungslos nebeneinander bestehen bleiben.

Das, was du - Anthroposoph - behauptest, und was wohl auch für die Theologie von Relevanz sein sollte: das Hinein-kommen-Wollen ins Reich Gottes - dies wird aus meiner Sicht von Christen überhaupt nicht gewollt, nicht beabsichtigt, nicht angestrebt! Nein, sie haben sich einen "Existenz-Denk-Schluss" gefunden, der sie dessen enthebt, vom Irdischen weg hin zu einem Höher-Geistigen zu streben. Sie haben kein Streben, sie bleiben dort, wo sie sind, und sie bleiben so, wie sie sind, und gehen schlicht und einfach von einer Selbst-verständlichkeit (odere auch Wahrscheinlichkeit) ihres Gerettetwerdens aus, die man freilich - sicherheitshalber - durch Beten und Gott-ernst-nehmen noch ein bisschen unterstreichen muss usw. Aber das spricht freilich kein Gläubiger aus, und er unterdrückt wohl auch diesen Gedanken vor sich selbst, weil er sich damit vor sich selbst (na gut, auch vor Gott) in große Unannehmlichkeiten brächte usw.

Und die "Rettung", um die es hierbei geht, ist nicht etwa die des Evangeliums selbst, nämlich gerettet zu werden aus der Sünde des Irdischen und aus der Falsch-Wahrnehmung des Seins. Nein, ihre Rettung betrifft allein die Errettung vom Tode, denn wenn sie die Wirklichkeit und das Sein an sich falsch wahrnehmen, so ist ihnen das im Grunde egal, entscheidend ist allein: "Der Gott kann machen, dass ich nicht im Nichtsein ende, sondern letztlich im Sein verbleiben werde. Mein Irrtum im Irdischen ist im Grunde belanglos."

Ihr könnt mir erzählen, was ihr wollt: Hier liegt der Hase der Religion im Pfeffer! Und selbst-verständlich muss hier auch die Tiefenpsychologie zum Tragen kommen, die m.E. ganz gut dem Menschen "auf den Zahn zu fühlen" versteht.

Und muss nicht - in letzter Konsequenz - alle Religion über den Haufen geworfen werden, weil sie einer tiefenpsychologischen Betrachtung nicht standhalten kann!? Menschen sind vielfach unaufrichtig und falsch, und sie haben einen schier unüberwindlichen Hang, sich selbst über sich selbst zu belügen, und darin sind sie ungeheuer erfinderisch und kreativ.

Deine Worte, Anthroposoph, gefallen mir! Womöglich sollte ich doch einmal einen Blick in die Bibel hineintun?

Gehören doch der Philosophie alle Gegenstände schlechthin, weil ihr eigentlicher Gegenstand die grundsätzliche Gegen-Ständigkeit des Seins ist, so dass es ihr Geschäft, ihre Gründlichkeit sein muss, an keinem Gegenstand einfach vorüberzugehen.

Nur sind ihr geistesgeschichtlich ihre Gegenstände davongelaufen oder ausgegangen, indem die neuzeitlich aufstrebenden Wissenschaften der Ansicht waren, sich gründlicher mit den einzelnen Gegenständen befassen zu können und zu müssen als die Philosophie, so dass sie sich als Einzelwissenschaften konstituierten, die sich auf ihre Einzelgegenstände beschränken und konzentrieren wollten, mit dem bis heute unerkannt gebliebenen Effekt, dass es keine Zusammenschau der Gegenstände und ihrer Forschungsresultate mehr gibt. So entsteht Wissen hier und Wissen dort und befruchtet sich nicht mehr gegenseitig.

Und so begab sich diese "die Wissenschaft" in einen gründlichen Irrtum bezüglich des menschlichen Erkenntnisstrebens, welches ursprünglich und eigentlich existenzieller Natur ist und auf das Ganze des Seins bezogen bleiben muss, so dass auch der Mensch selbst in diesem Gegenüber zum Ganzen des Seins zu bleiben und diesen "Abstand" zu wahren hat, anstatt sich als Wissenschaftsexperte in eine Fachwissenschaft hineinzubegeben und einzugraben.

Ob es wohl sein kann, dass die Bibel von den Gläubigen falsch gelesen und falsch vereinnahmt ist und also wichtige Dinge enthält, die von ihnen schlicht überlesen bzw. ignoriert sind? Und nur, weil allgemein fälschlich angenommen wird, die Theologen (und Kirchen) würden ihr Geschäft so richtig gut verstehen, meint man (ich meine jetzt alle, die mit mir atheistisch und materialistisch eingestellt sind), die Bibel enthalte nichts von Bedeutung, nichts, das für den "Geist der Welt" interessant und wichtig sein könnte.

Du meinst: den "Schriftgelehrten" - über welche der Evangelist Matthäus aussagt:

"Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein und die hineinwollen, lasst ihr nicht hineingehen." (Mt. 23,13f)

Bekommen wir dann nicht sogar drei Fliegen mit einer Klappe? Denn wenn der Anthroposoph Recht hat und also die biblische Wendung "im Geist und in der Wahrheit" keine bloße Floskel ist, vielmehr begrifflich scharf konturiert, dann könnte sie als ein Hendiadyoin anzusehen sein, und der Terminus "Beten" muss mich als Philosophen dann gar nicht mehr abschrecken und schaudern, weil er nun ein ganz anderes Aussehen und einen neuen Inhalt bekommt: Wenn zugleich "im Geist" (statt in der Seele) und "in der Wahrheit" (statt im Selbstbetrug) "gebetet" werden soll - ist dann nicht dieses neuartige Beten genau das, was wir drei hier tun oder zumindest voreinander vorgegeben haben, tun zu wollen: nämlich aufrichtig nach Erkenntnis der Wahrheit zu streben? Und ist nicht dann dieses aufrichtige Streben das angemessene Mittel oder die rechte Methodik oder auch die rechte Haltung, ins Reich Gottes oder die Geistwelt zurückzugelangen?

Aber so, wie ich den Glauben nicht einfach annehmen kann, gleichsam aus dem Nichts heraus, ebensowenig kann ich einen Gott annehmen, insbesondere dann nicht, wenn ich mich mit der Todesproblematik existenziell abgefunden habe, so dass zu ihrer künstlichen Lösung eine Gottesidee gar nicht mehr erforderlich ist.

Es klingt interessant, was du sagst, wobei ich noch nicht sehen kann, wie man über den Tod groß nachdenken können sollte, denn spontan würde ich sagen: "Tod = Ende", damit endet der Gedankengang...

Theologie

Die Theologie hat den Glauben zur Voraussetzung, und eine (ernstzunehmende, seriöse) christliche Theologie kann heute sinnvollerweise nur über den dritten Glaubensartikel begonnen werden - den Glauben an den Heiligen Geist, der auch seine Wirksamkeit und Wirkkräftigkeit in der Zeit beinhaltet, also auch in unserer Geschichte vorhanden und wirksam sein muss, bis herein in unsere Gegenwart eines zunehmenden Atheismus und Materialismus und darüber hinaus.

Wer diesen Glauben der Wirkkräftigkeit des (kosmischen) Geistes nicht hat, versündigt sich am Heiligen Geist, begeht - laut Bibel - die einzige unvergebbare Sünde, und wenn er sich dennoch Christ nennt, so ist er bloßer Namens- oder Pseudo-Christ und befindet sich damit in einer Selbsttäuschung. Die Bibel selbst enthält entsprechende kritische Gedanken.

Die Wirkkräftigkeit des Geistes steht heute sehr in Frage, und genau deshalb ist sie unser goldrichtiger Ansatzpunkt, um uns unseres christlichen Glaubens versichern zu können: fides quaerens intellectum - ein altes, scholastisches Theologie-Programm: Wir möchten die Vernunft-Konformität unseres Glaubens selbst einsehen können.

Dem steht allerdings eine Paulus-Wendung entgegen, die die Kirchen der Gegenwart hochhalten, selbst in den Gottesdiensten: Der Friede Gottes - oder ganz allgemein: das Göttliche - sei

„höher als alle Vernunft“ (Phil. 4,7, Lutherbibel 2017)

oder

„übersteige alles Verstehen“ (Einheitsübersetzung 2016).

Daraus geht im Grunde schon hervor, dass die menschliche Vernunft eine begrenzte Reichweite hat und den Kosmos bzw. Gott und die Welt nicht vollständig durchdringen kann.

Als philosophische Autorität kann ich hier Immanuel Kant benennen mit seinem so berühmten wie den obigen Sachverhalt treffenden Ausspruch: "Ich musste also das Wissen abschaffen, um zum Glauben Platz zu bekommen."

Der Glaube ist die Annahme/Akzeptanz eines höheren Wissens über den Menschen, das uns von höheren Geistwesen bzw. von Gott zugekommen ist (in Form eines Evangeliums), welches besagt, dass wir in die Sünde gefallen sind und nach höherem Ratschluss daraus errettet werden sollen - sofern wir uns recht verhalten.

Im Glauben ist somit vorausgesetzt, dass der Mensch mit seiner derzeitigen Vernunft sich selbst nicht hinreichend durchdringen kann, ebensowenig seine Wirklichkeit und Welt, und er braucht die Mitteilung und Annahme einer höheren Kunde über sich, um zu seiner (schöpfungskonformen) Ursprünglichkeit zurück-kehren zu können.

Ich gebe zu: Martin Luther ist es zu Beginn der Neuzeit gewesen, der die Sündhaftigkeit wieder ins christliche Bewusstsein zurückgeholt hat, indem er nicht - scholastisch - einfach Mensch und Gott theologisch thematisierte, sondern als den Gegenstand der Theologie explizit benannte: den sündigen Menschen und den rechtfertigenden/rettenden Gott. Durch diese Negativ- und Positiv-Qualifizierung ergeben ja das Evangelium und der christliche Glaube erst ihren spezifischen Sinn.

Es geht nicht um die Frage des Gefallens oder Missfallens, sondern darum, dass auf die Menschheit - ungewollt - eine Heilsbotschaft zukam, wonach wir uns selbst und auch die Dinge um uns herum seit unbekannt langer Zeit falsch wahrnehmen. Und es wurde uns die Möglichkeit gegeben, diese Irrtums-Wahrnehmung in eine Wahrheits-Wahrnehmung umzuwandeln, unter der Mitwirkung des Heiligen Geistes, wenn es uns gelingt, sein Wirksamwerden in uns zu verifizieren.

Die platonische Philosophie passt merkwürdig gut mit der christlichen Glaubensüberzeugung zusammen, denn beide sprechen vom Vorliegen einer Verkehrung unseres Seins. Allerdings bleibt Platon uns eine Begründung schuldig, warum das so sein soll, während uns im Glauben gesagt ist, die Menschheit sei seit Urzeiten auf eine abschüssige Bahn ihrer selbst geraten und habe sich dadurch an ihre Verkehrungs-Situation so sehr gewöhnt, dass sie ihr nun als "normal" erscheint, obwohl aus höherer Sicht offenbar ist, dass sie abnorm ist und der Mensch seine eigentliche, wahre Norm und Natur vergessen oder sich abgewöhnt hat.

Außerdem scheint Platon einer auf sich selbst gestellten Vernunft die Kraft und das Können zuzutrauen, aus sich selbst heraus zur Wahrheit erkennend zurückzukehren, während im christlichen Glauben der kosmische Geist als Führungs- und Richt-Funktion unserer Vernunft gesetzt ist, weil sie - im Irrtum befindlich - ohnmächtig und kraftlos zu dieser Rückkehr oder "Umkehr" ist und also eine - höher gegebene - Gebrauchsanleitung richtigen Denkens benötigt, die uns anhand der Bibel dann auch tatsächlich gegeben worden ist. In dieser Richt-Funktion sieht sie zumindest ein Lessing in seiner "Die Erziehung des Menschengeschlechts".

Denn: Wie sollte eine irrende Vernunft aus sich selbst heraus den Maßstab des Wahren und des Falschen nehmen können, wenn ihr doch nur eines von beiden - das Falsche, das Nichtmaß -, aus sich selbst heraus vorliegt?

Prinzipiell teile ich diese zuletzt genannte Erkenntnis-Bedingung der Aufrichtigkeit. Allerdings kommt im Glauben noch das Beten hinzu, das dem Menschen ziemt, weil er höhere Geistwesen und einen Gott über sich anerkennt, so dass der Mensch sich in seiner Existenz nicht nur weltlich zu verhalten hat, sondern zugleich auch - wie die Bibel sagt - geistlich. Die eine Orientierung betrifft das Irdische, die andere das Überirdische oder Himmlische.

Du sprichst jetzt vom Unbewussten? Da kann ich als Theologe leider nicht viel mitreden, und wir bräuchten einen Tiefenpsychologen oder Psychoanalytiker in unseren Reihen, damit wir auch diesen Aspekt unserer selbst möglichst angemessen abdecken könnten.

Bleibe du, Philosoph, mal schön bei deinem eigenen Leisten, über welchen du meinst, alle Wissenschaften ziehen zu können, und überlasse die Bibel den Theologen, die professionell damit umgehen können.

Dein vorhin genanntes religionskritisches Grundproblem ist damit aber immer noch nicht aufgelöst. Erkläre mir doch, wie der Mensch dies machen soll: Einen Gott festzuhalten, von welchem er gar nichts mehr will? Dann  ist doch gar kein Gottesbezug mehr vorhanden, der doch die Grundlage der Religion ist? Dies genau scheint mir des Pudels Kern aller Religionskritik zu sein: Religion wird verworfen, weil der Mensch sich in seiner Existenz an Gott hängt. So hattest du es ja auch selbst formuliert: "Ich will ewiges Leben. Also glaube ich an Gott, der es mir geben kann. Und so habe ich mir das ewige Leben nachtodlich gesichert."

Wenn man ernsthaft durch die Religionskritik hindurchgehen will, dann fällt alles rettende Pronobis weg, und es resultiert ein Gott, von dem nichts mehr gewollt wird, ein Gott ohne menschlich-existenziellen Bezug, sozusagen ein ...ungewollter Gott!?

Da der Tod ganz wesentlich auch mit zu meinem Gegenstandsbereich gehört, schlage ich vor, wir versuchen jetzt eine zweite Denkrunde und sehen zu, ob und was sich uns so ergeben möge...

Anthroposophie

Ich bestreite die Richtigkeit der Deutung dieser biblischen Wendung und stelle ihr ein vorwurfsvolles Jesus-Wort gegenüber:

„Warum findet ihr nicht schon von selbst das rechte Urteil?“ (Lk. 12,57, Einheitsübersetzung 2016)

Laut diesem Wort müsste die menschliche Vernunft aus sich selbst heraus in der Lage sein, das Rechte zu finden.

Wir können uns aber vielleicht darauf verständigen, dass als theologisches Grundsatzproblem der Stellenwert der Vernunft im Rahmen des Glaubens resultiert, und daher sollten wir das mittelalterliche Fides-quaerens-intellectus-Programm nicht aufgeben, sondern lediglich als unerledigt betrachten.

Laut Rudolf Steiner lag sein Höhepunkt in einer (bloßen) Fragestellung, zu welcher sich Thomas von Aquin in seinem Lebenswerk emporringen konnte: Wie wird das Denken christlich gemacht? Und er selbst formulierte vor über 100 Jahren diese Frage für die Gegenwart um: Soll denn unser Denken vom Sündenfall nicht erlöst werden?

Du hast jetzt die Auflösung meines obigen Einwandes gegeben, indem du von unserer derzeitigen Vernunft einschränkend sprichst. Nicht die menschliche Vernunft an sich besitzt kein universales Erkenntnisvermögen, sondern nur die in die Sünde gefallene Vernunft. Das ist ein wichtiger Unterschied, ein Unterschied in der Zeit resp. in der Heilsgeschichts-Zeit. Und deshalb hast du ja richtig von Anfang an die Bedeutsamkeit des Wirkens des heiligen oder heilenden oder heil machenden Geistes hervorgehoben, weshalb uns heute insbesondere unser Verhältnis zum Geist wichtig sein sollte, was innerhalb der Anthroposophie ja ganz fundamental in Angriff genommen ist.

Das gegenwärtige theologische und philosophische Denken scheint mir überaus schwerfällig zu sein. Immer wieder werden alte Erkenntnisse nochmals vorgenommen und durchgekaut, obwohl sie längst erkannte Wahrheiten sind oder sein sollten.

Aber offenbar fällt es der menschlichen Vernunft sehr schwer, Erkenntnisse als tragfähigen Boden und Neugrundlage ihrer selbst anzuerkennen und als gesichert festzuhalten, um sich über sie stufenweise zum Geist zu erheben und die Geistwelt - im Glauben "Reich Gottes" genannt - (wieder) zu betreten?

Es ist gut und richtig, die Bibel als Denk-Gebrauchsanleitung anzusehen, wobei diese Begrifflichkeit weiter umgeformt oder metamorphosiert gehört, um sicher ins Richtige zu finden. Lessing denkt ja die menschliche Vernunft interaktiv, als eine zwischen Gott und Mensch, Himmel und Erde fortschreitende Kommunikation, im Gegensatz zu Kant, der vom Glauben und vom (Heiligen) Geist im Grunde nichts weiß oder auch aufklärerisch nichts (mehr) wissen will, und so muss also das derzeitige menschliche Erkennen biblisch-evangelisch als ein allmähliches Sich-wieder-Gewöhnen an das Wahre betrachtet werden, als ein - übrigens durchaus spannendes - Handeln und Geschehen im menschlichen Geiste.

Und deshalb sollte diese sog. Gebrauchsanleitung auch bei ihrem Namen genannt werden, in welchem ihr Ziel mitgenannt ist: Der Mensch soll ein Gehen-lernen-im-Geiste erlernen.

Dazu muss er aber erst einmal eingesehen haben, dass er als ein Geistwesen, das er nun einmal ist, in Wahrheit auf einem doppelten Boden steht, nicht nur auf dem physisch-irdischen Boden, auf welchem auch schon die Vorsokratiker gestanden haben, sondern auch noch auf dem Boden seines eigenen Geistes, seiner Begrifflichkeit, Sprache und Wahrnehmung. Und nur so ist erklärlich, warum Menschen, die sich ein und denselben Erdboden teilen, - nicht nur im Raum, auch in der Zeit -, überhaupt eine unterschiedliche Weltwahr-nehmung haben können.

Und aus diesem Grund ist es nicht ratsam, sich weltanschaulich auf das Geratewohl irgendeines Meinens festzulegen, denn man könnte sich hierdurch auf einen "Boden" begeben und stellen, der gar keine wahrhafte Grundlage unserer selbst ist und der die wahre Wirklichkeit tief und weit verfehlt.

Unsere Weltwahrnehmung ist der eigentliche Boden, auf welchem wir Menschen stehen, - und zwar geistesgeschichtlich jeweils neu und anders, was uns wiederum überaus selbstkritisch stimmen sollte -, und deshalb stehen wir drei hier - Philosoph, Theologe und Anthroposoph - uns scheinbar fremd und unversöhnlich einander gegenüber.

Wenn aber der Geist ein Gemeinsames im Universum ist, dann müssen unsere Standpunkte, Positionen, Aussichten auch zusammengesehen und ins Fließen gebracht werden können.

Ein solches Denken haben die Menschen aber nicht gemeinsam, sondern sie glauben - ja: glauben -, in der Wahrheit seien mehrere Standpunkte (des bloßen Meinens) möglich, was im Grunde nur auf der Prämissen-Setzung einer grundsätzlichen Unerkennbarkeit der Welt möglich ist.

Wenn die Wahrheit aber erkennbar ist, und in einer spiritualistischen Weltanschauung wie der anthroposophischen ist dies gesetzt, indem der Spiritus, der Geist, uns allen gemeinsam ist, so muss letztlich alles aufrichtige Erkenntnisstreben von Menschen zum selben Standpunkt, zur selben Position, zur selben Aussicht im Sein führen.

Und aus diesem Grund können wir drei hier genau dann zuversichtlich in unserer Kommunikation miteinander sein, wenn jeder von uns strikt darauf achtet, aufrichtig und ehrlich nach Erkenntnis zu streben. Nur dann nämlich erfüllen wir die Voraussetzung dafür, gemeinsam zur Wahrheit kommen zu können.



Nur ist uns geistesgeschichtlich die starke Individualisierung der Menschen dazwischen-gekommen, und deshalb denkt Jeder und Jede individuell, weil Jede und Jeder eine andere Raum-Zeit-Stelle im Sein einnimmt, die das menschliche Denken und Wahrnehmen prägt und - leider - vereinseitigt, weil für alle unterschiedliche Dinge in den Vordergrund gerückt sind und wir noch zu wenig Aufmerksamkeit auf die Hintergründe unserer selbst haben.

Diese deine Sichtweise ist falsch, und sie resultiert aus deiner falsch entwickelten, zersplitterten Wissenschaft heraus. In Wahrheit ist es so, dass du selbst, Theologe, zu diesem Tiefenpsychologen werden musst. Dann treffen die Wahrheitsaspekte an der Stelle zusammen, an welcher sie zusammentreffen sollen und müssen: in der einen, allumfassenden Vernunft des menschlichen Individuums, das zum Geist werden kann und soll.

Lies unsere Gebrauchsanleitung aufmerksamer, dann findest du z.B. folgende Äußerung darin:

"Aber Jesus vertraute sich ihnen nicht an; denn er kannte sie alle und bedurfte nicht, dass jemand Zeugnis gäbe vom Menschen; denn er wusste, was im Menschen war." (Joh. 2,24f)

Du siehst, die Bibel enthält selbst Tiefenpsychologisches, nicht nur an dieser Stelle, und sie gibt damit doch zu verstehen, dass es auch theologisch relevant sei?

Was willst du also tun? Zum Tiefenpsychologen hingehen und ihn bitten, sich diese Stelle deines Gegenstandbereiches näher anzusehen, weil du selbst damit nichts anfangen kannst? Vermutlich wird er dir antworten: "Ich habe mit meinem eigenen Gegenstand zu tun. Für deinen habe ich nun wirklich keine Zeit mehr..."?

Dies ist das Ergebnis der Zersplitterung unserer Wissenschaft, und deshalb wird derzeit nicht das an Erkenntnis aus der Bibel gewonnen, was alles in ihr liegt, weil die Bibel einen einheitlichen Geist, eine allumfassend orientierte Vernunft voraussetzt, die mit aller menschenmöglichen Gegenständ-lichkeit etwas anfangen will und kann.

Und so kann ich als Beispiel auf ein anderes Jesuswort verweisen, welches eure beiden eben genannten Anliegen thematisiert, gleichsam als zwei Fliegen mit einer Klappe:

"Aber es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten." (Joh. 4,23f)

Hier ist das Beten, das Anbeten des Vaters als gut und richtig ausgesprochen. Zugleich ist aber auch von einem Anders-werden-müssen des Betens, also der Religiosität, die Rede, so dass hier biblisch echte Religionskritik formuliert ist.

Und wir müssen die biblische Sprache und Begrifflichkeit ernst und eng nehmen, dürfen sie dann aber auch um das zwar Nicht-Ausgesagte, aber dennoch Gemeinte ergänzen.

Und dann ergibt sich für dieses Jesuswort die Unterscheidung eines wahren Betens im Geist und in der Wahrheit und eines falschen Betens in der Seele und im Selbstbetrug. Und aus dieser Sichtung besteht deine Kritik, Philosoph, an der derzeit praktizierten Religiosität zu Recht, und nicht nur du machst sie, sondern die Bibel selbst enthält sie schon!

Streng genommen muss der ernsthafte Religionskritiker nicht einmal zum Atheisten werden. Er muss keinen Atheismus als "die Wahrheit" lehren. Vielmehr kann er den Gott gleichsam neben sich bestehen lassen, indem er von ihm nun nichts mehr will.

Und wenn wir uns nun einmal testweise in die Position Gottes hineinversetzen: Wäre dann nicht genau jener Mensch, der durch die Religionskritik hindurchgegangen ist, ein solcher, der bereit ist, Gott in sich selbst wahrhaft anzuerkennen, was alle anderen (Gläubigen) ja gerade nicht tun, weil sie an seinem Rockzipfel hangen und von ihm wollen und wollen und wollen?

Wenn du aber sagst, zur Philosophie gehörten alle Gegenstände: Soll dann der Tod davon aus-genommen werden, indem du dich mit ihm schlicht "abfinden" willst? Könnte nicht auch der Tod selbst zum Gegenstand erhoben werden? Und kann nicht sogar die Frage nach Leben oder Tod, nach Sein oder Nichtsein als die existenzielle Urfrage der Philosophie betrachtet werden?

Ich stelle diese Fragen aus meinem Selbstverständnis als eines Geistwesens heraus. Es ist die von mir bewusst gesetzte Voraussetzung meiner selbst. Und der große Vorteil einer spiritualistischen Weltanschauung liegt eben darin, dass sie eine Voraussetzung macht - den Geist -, die sie selbst einholen können muss und wird. Und die Lösung der menschlichen Existenz bestünde dann schlicht darin, dass der Mensch - als Geistwesen - in die Geistwelt auf- und eingehe?