Gibt es "die Gegenwart" schon immer?
Und wir wollen nochmals ausdrücklich fragen, ob wir
mit unserer bisherigen Sichtung der Geschichte nicht einen
schwerwiegenden Perspektiven- oder Dimensions-Fehler machen?
Denn wir setzen momentan – gleichsam mathematisch – voraus,
„Gegenwart“ sei eine Konstante, die man auf dem Zahlenstrahl
der Geschichte beliebig hin und her verschieben könne, wie eine
Lupe, mit welcher man einen einzelnen Zeitabschnitt näher
betrachten will.
„Gegenwart“ ist aber kein Punkt, auf den wir hinzeigen
könnten, wie auf eine Stelle x auf einem Zahlenstrahl. Sie ist
auch kein Zeitpunkt, schon eher eine
Zeitstelle, eine Stelle, an der jemand steht,
so wie wir von „unserer Zeit“ sprechen und damit unser
Hier-und-Jetzt-Sein meinen.
Wir müssen also zweierlei
berücksichtigen: die Stelle in der Zeit und das
dortige Stehen von Menschen. Wir werden uns das Stehen
von Menschen zu unterschiedlichen Zeiten zuerst einmal
genauer ansehen müssen, dann erst können wir entscheiden, ob
„Gegenwart gleich Gegenwart“ sei, oder inwiefern „Gegenwart
nicht gleich Gegenwart“ ist, oder ob gar „Gegenwart“, wie wir
sie heute empfinden, womöglich nicht „schon immer“ war, sondern
geschichtlich, geistesgeschichtlich erst irgendwann entstanden
ist? Und wenn ja, warum?, wodurch?, wozu? Und was war vorher?
Und gibt es vielleicht auch ein Nachher…?
Machen wir zunächst den Versuch, in das „alte Sein“
hineinzublicken, um vielleicht Aufschluss über unsere Frage
nach der „Gegenwart“ zu erhalten. Und am besten suchen wir eine
Zeitstelle innerhalb unserer Geistesgeschichte auf, an welcher
sich uns der „alte Blick“ von sich aus auftut, das ist in der
alten griechischen Philosophie, die uns wenigstens in
Fragmenten erhalten geblieben ist.
entnommen: 3. ABC-Versuch einer neuen
Wahrnehmung des alten Seins, aus der angenommenen
Misere-Situation unserer Gegenwart der Moderne heraus, dort
unter B 3 c.
B. MODERNE
3. Warum überblicken wir unsere eigene Geschichte
nicht?
a) Europäische Geschichtseinteilung und
Raumeroberung des gemeinsamen Globus
b) Halbheit unserer Geschichtserkenntnis und
subjektive Gegenwarts-Monopolisierung
c) Gibt es die „Gegenwart“
schon immer?