Heraklit verweigert die Veränderung
Heraklits Hauptsatz: „Alles ist im Fluss“ (panta rhei, den wir
ihm in jedem Fall sinngemäß zuschreiben können), ist
deshalb nicht ganz richtig, nicht ganz vollständig oder nicht
ganz ehrlich geäußert, denn er müsste lauten: „Alles ist im
Fluss - nur ich selbst nicht. Denn ich will in dieses Werden
nicht mit hinein, sondern bleibe lieber hier auf der
Ewigkeitsschwelle stehen, damit ich mich nicht in der Welt
verliere und womöglich auch abwesend werde wie die
Vielen.“ - Vielleicht war eine solche ‚vervollständigte‘
Äußerung aber auch noch gar nicht möglich, denn wahrgenommen
wird dieses eigene Ich ja nur in der peripheren, anfänglichen
Form eines Mit-Seins, während eine neuzeitlich-bewusste
Entgegensetzung und Gegenüberstellung zur Welt noch weit
entfernt liegt. Der noch nicht
ganz zu seiner Selbstständigkeit erwachte Mensch steht noch
fest auf Seiten der „großen Ewigkeit“, auch wenn ein
Anderes als solches bereits ins Blickfeld gerät, so dass diese
in sich rege werdende „kleine Ewigkeit“ sich nun
wie ein Schatten von der „großen Ewigkeit“ zunächst
abzuheben beginnt, um sich nach und nach zu lösen und in ein
selbständiges Dasein hinauszugehen…
Allerdings vergehen bis dahin noch volle 2000 Jahre (pauschal: 500 v.Chr. – 1500 n.Chr.), denn erst mit Beginn der Neuzeit kommt Dynamik in die statische Welt der Antike und des Mittelalters, gemessen nicht am politischen Geschehen, das es immer gab und gibt, sondern – geographisch - an der Expansion Europas nach Übersee, sowie – kosmologisch - an der grundsätzlichen Auflösung des alten, ptolemäischen Weltbildes, was dann – theologisch - weiter zur Beseitigung des „Himmels“ und zur Entgötterung und Entgeistung der Welt führte, und diese Säkularisierung wandte sich nicht nur nach außen, sondern – psychologisch – auch nach innen, so dass in der Religionskritik der Glaube und die menschliche Psyche unglaubwürdig wurden, und sogar – rational-geistig - die menschliche Vernunft mit der Entdeckung des Unbewussten eine Schlappe und Schmähung hinnehmen musste, die sie m.E. bis heute gesellschaftlich-kulturell nicht ernsthaft angenommen hat, um entschlossen daran zu gehen, sie ins eigene Selbstbild mitaufzunehmen und konstruktiv damit umzugehen bzw. daran zu arbeiten zu lernen.
entnommen: 3. ABC-Versuch einer neuen
Wahrnehmung des alten Seins, aus der angenommenen
Misere-Situation unserer Gegenwart der Moderne heraus, dort
unter C 4 f.
C. ALTES SEIN
4. Sind wir in unsere eigene Geschichte
geistesgeschichtlich erst
eingetreten?
a)
Die Philosophie entspringt als Verlustausgleich einer
Defizitentwicklung
b) Sokrates ist die
geistesgeschichtliche Schnittstelle zwischen Sophia und
Philo-Sophia
c) Inhalt der altgriechischen
Naturbetrachtung: Das Erwachen des Europäers zum Mit-Sein
d) Mit Sokrates zieht der Logos
als (Nicht-)Wissen in den Menschen ein
e) Die Vorsokratiker nehmen sich
selbst inmitten des Ewigkeitshorizontes wahr
f)
Der Europäer beginnt, sich als „kleine Ewigkeit“ aus der
„großen Ewigkeit“ herauszulösen