Leseprobe 1

                                                        Ein unentdeckt gebliebener Denkfehler unserer Wissenschaft?

Nun weiß unsere Physik aber auch - durch ihre nachkopernikanische Weiterentwicklung über Kepler, Galilei, Newton usw. -, dass die Schwerkraft nur im irdischen Raum relevant ist, während, wenn wir darüber hinausgehen, die Erde als Himmelskörper unter Himmelskörpern in Betracht kommt, weshalb der (geowissenschaftliche) Schwerkraft-Blickwinkel ersetzt werden muss durch den besseren und allgemeineren (kosmophysikalischen) Gravitations-Blickwinkel.

Mit der Überwindung der alten Geozentrik ist somit prinzipiell auch das mit ihr verbundene Schwerkraft-Denken erledigt, wonach die Erde (altbabylonisch und alttestamentlich) gedacht wurde als fest aufsitzend auf einem stabilen Untergrund, etwa in Form von mächtigen Säulen, die sich nach unten im Nirgendwo verlieren. Dieses Erd-Bild haben wir heute aufgegeben: Die Erde liegt nirgends auf, sondern schwebt im Raum, indem sie rotiert und von anderen Massen angezogen wird.

Wie steht es also mit diesem Schwerkraft-Denken selbst, welchem der „Mensch der Geozentrik“ noch unterlag? Kann es sein, dass wir dieses alte, überholte Denken beibehalten haben, obwohl wir es hätten ändern und anpassen müssen? Aus unserer modernen (kosmischen) Erd-Betrachtung haben wir heute die Schwerkraft sozusagen herausgenommen (Wir denken sie weg!), indem wir wissen, dass die Schwerkraft zwar auf der Erde wirkt, dass die Erde selbst ihr aber nicht unterliegt.

Nun ist es aber so, dass wir auch ein Bild des geordneten Denkens entwickelt haben (welches ich weiß nicht wie weit zurückreicht), und dieses Bild hat nach wie vor auch heute noch in unserer Wissenschaft seine Gültigkeit, ist also nicht als "überholt" oder "unbrauchbar geworden" ausgemustert, obwohl es auch die Schwerkraft der Erde in sich enthält, die wir aus unserer Erd-Betrachtung als falsch entfernt, in unserer Denk- und Wissenschafts-Betrachtung aber offensichtlich als richtig beibehalten haben?

Wenn nämlich Denker und Wissenschaftler ihre philosophischen oder wissenschaftlichen Werke entwickeln, so nennen wir diese Denk-Werke auch „Gedankengebäude“. Ein Gebäude ist ein Bauwerk, das der irdischen Schwerkraft unterliegt, von unten nach oben gebaut wird und dessen Fundament gewisse Anforderungen erfüllen muss, damit das Ganze nicht wieder in sich zusammenstürzt. Analog müssen philosophische oder wissenschaftliche Denksysteme auf guten Prinzipien errichtet sein, damit sie nicht durch Kritik und Gegenargument widerlegt resp. zum Einsturz gebracht werden können. Diese Prinzipien nennen wir auch Grundannahmen oder Prämissen. Sie stellen sozusagen den „festen Untergrund“ dar, welchen offensichtlich ein wissenschaftliches Denken auch heute noch haben muss - trotz Überwindung des alten Schwerkraft-Denkens durch das modernere Gravitations-Denken...?

Müssten wir nicht, wenn wir das „Bild des Gedankengebäudes“ auch heute noch für die Wissenschaft aufrechterhalten wollen, hierbei an den Bau einer Raumstation denken, die selbstverständlich nicht auf der Erde zusammen zu bauen und dann ins All zu schießen wäre, sondern die bereits vor Ort, also in der Schwerelosigkeit zusammengebaut werden müsste?

Müssten wir also nicht auch, um zu einem realistischen, die bloßen Erdverhältnisse überwindenden Denken kommen zu können, welches dann den kosmischen oder universalen Verhältnissen zumindest schon eher entspräche, von unserer Erdsituation abstrahieren und quasi uns selbst mit unserem Denken in den Kosmos hinausversetzen, so dass es wie ein moderner Schildbürger-Streich unserer Wissenschaft erscheint, wenn wir zwar unsere Erd-Anschauung berichtigen (in Rücksichtnahme auf die kosmischen Verhältnisse), zugleich aber unser Erd-Denken unverändert und gleichsam geozentrisch belassen?

Erweist sich so nicht unser Prämissen-Denken, das wir in unserer Wissenschaft beibehalten haben und nach wie vor als richtig und angemessen pflegen, als falsch?

Eine Raumstation hat keinen Boden, keinen festen Untergrund, und folglich kann bei der Konstruktion eines solchen „neuen Gedankengebäudes“, beim Bau einer… „Gedankenraumstation“ ein Ausgehen-wollen von Prämissen nicht mehr greifen. Andere physikalische Verhältnisse kommen „dort draußen“ in Betracht, und folglich müssten doch auch die Denk- und Wissenschafts-Prinzipien andere werden resp. hätten andere werden müssen?

Die Teile der Raumstation müssen sich gegenseitig tragen und sich gegenseitig Stabilität verleihen, so wie auch die Teile unseres Sonnensystems sich gegenseitig stabilisieren, durch Gravitation, Rotation um die Sonne und Eigenrotation. Und muss es dann nicht auch wissenschaftlich so sein, dass die Begriffe und Begrifflichkeiten nicht aufeinander aufzuruhen haben, sondern sich gegenseitig stützen und halten müssen, indem eins zum andern passt und von ihm angezogen wird und umgekehrt?

...

Dann fiele aber doch die „harte, feste, tragfähige Prämisse“ weg, und die einzelnen Wissenschafts-Begriffe müssten sozusagen vom Harten ins Weichere überführt werden, analog zum Wechsel von der „Schwere“ zur Leichtigkeit des „Schwebens“, indem wir sie von vornherein mit einer gewissen Elastizität oder Anschmiegsamkeit entwickelten und bildeten…

entnommen: 2. Das Streben nach Erkenntnis, 10. Ist unsere Art, wissenschaftlich zu denken, geozentrisch geblieben?

2. Das Streben nach Erkenntnis
1. Thema dieses Menüpunktes: Das Streben nach Erkenntnis
2. Schülersein (Lernen) und Lehrersein (Lehren) fallen in eins
3. Ist Fragenstellen eine Kunst?
4. Geistesgeschichtliches Lernen führt zu Erkenntnis-Potenzierung und Bildung
5. Hängt die Qualität einer Forschung an der Qualität ihres Fragens?
6. Geistesgeschichtliche Veränderung unserer Blickrichtung
7. Eine große geistesgeschichtliche Umwälzung liegt hinter uns
8. Enge unserer Erkenntniserwartung trotz Weite unserer Wissenschaft?
9. Haben wir die platonische Höhle verlassen oder sind wir jetzt erst richtig in ihr drinnen?
10. Ist unsere Art, wissenschaftlich zu denken, geozentrisch geblieben?
11. Muss unsere Wissenschaft fürchten, überholt zu werden?
12. Vorläufiger Schluss und Ausblick