10. Ist unsere Art, wissenschaftlich zu denken, geozentrisch geblieben?
Wir haben gesehen: Der „Fehler des Münchhausen-Bildes“ muss nicht zwangsläufig im Bild selbst liegen, er kann auch durch den Betrachter verursacht sein, indem dieser nicht den richtigen, sondern einen falschen Blickwinkel heranträgt.
Das Argument unserer Physik gegen das Münchhausen-Bild ist in diesem Fall insofern der falsche Blickwinkel, als es darin im Kerngehalt um die Frage des Selbst-Könnens geht, nicht um physikalische Kräfteverhältnisse. Die physikalische Gegenargumentation beruft sich auf die irdische Schwerkraft, die so nicht wirken kann, wie Münchhausen es in seiner Lügengeschichte behauptet, denn physische Kraft und Gegenkraft halten sich die Waage, so dass beides nicht gleichzeitig möglich ist: nach oben ziehen und nach oben gezogen werden…
…jedenfalls nicht im Physischen.
Im Geistigen sieht das anders aus, denn wenn der Mensch erkennen soll, dann wäre auch ein potentes, erfüllbares Erkenntnisvermögen für ihn vorauszusetzen, das er zuletzt vielleicht nicht einmal ganz alleine zur Erfüllung bringen können muss, sondern sozusagen Schützenhilfe von oben erhält, sobald er die grundsätzlich richtige Richtung eingeschlagen hat, nämlich die, von der Materie weg und zum Geist hin, wie denn auch ein Vogelflug und Treibgut als Landnähe-Wahrheitsindizien die ursprünglich einsame Kolumbus-Unternehmung und -Argumentation auf eine neue, bessere und sozial annehmbare Wahrheits-Grundlage stellte.
Vgl. im
"Kolumbus-Bordbuch" (der ersten Fahrt
1492-1493) bei Norbert Fiks, Gedankensprünge,
Entdeckung Amerikas, Bordbuch, unter "03 Über den Atlantik"
"Mittwoch, 19. September" und
"Donnerstag, 20. September", sowie unter "04
Ankunft in Amerika" "Donnerstag, 11. Oktober"
- Externer Link: https://blog.fiks.de/christoph-columbus-und-die-entdeckung-amerikas/bordbuch/ankunft-in-amerika/,
abgerufen 30.03.2024
So wie der Materialismus ein Sog ins Diesseitige und Sinnliche genannt werden kann, der uns aufs Unten und zur Materie hinbannt (vgl. die platonische "Fesselung" des Menschen), ebenso mag, sobald im Denken des Menschen eine gewisse Lockerung und Loslösung vom Materialismus eingetreten ist, eine Sogwirkung nach oben und zum Geist hin sich nach und nach, mehr und mehr einstellen, die am Ende der Offenbarung des Johannes auch ausdrücklich genannt ist:
"Und der Geist und die Braut
sprechen: Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm! Und wen
dürstet, der komme; wer da will, der nehme das Wasser des
Lebens umsonst." (Offb. 22,17)
Übersetzung:
Lutherbibel,
revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft,
Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT/Offenbarung22,
abgerufen am 30.03.2024
Dann erhebt sich die Frage, wie mit Kants „Ergebnis unseres Nicht-Könnens“ umzugehen sei? Man könnte es als eine lediglich „fotografische Momentaufnahme“ ansehen, wie ein „Selfie“, das der geistesgeschichtlich unterwegs befindliche Mensch zu einem beliebigen Zeitpunkt von sich selbst macht, vergleichbar einer Pflanze, die sich unterwegs zu ihrer Blüte befindet und nach dem zehnten getriebenen Blatt von sich behauptete: „Ich bin jetzt fertig. Und siehe da, mein Pflanzendasein ist ohne Blüte. Also kann ich nicht zum Blühen bestimmt sein.“
So gesehen müssten wir Kant
dann "geistesgeschichtlich ungeduldig" nennen, was wir bei
Lessing ausgesprochen finden, allerdings in Bezug auf die
"Schwärmer", womit die Spiritualen im Franziskanerorden des 13.
und 14. Jahrhunderts gemeint sind, die im Anschluss an die
geschichtstheologische Lehre des Joachim von Fiore das dritte
"Zeitalter des Geistes" sozusagen stündlich
erwarteten.
"... Der Schwärmer thut oft
sehr richtige Blicke in die Zukunft: aber er kann diese Zukunft
nur nicht erwarten. Er wünscht diese Zukunft beschleuniget; und
wünscht, daß sie durch ihn beschleuniget werde. Wozu sich die
Natur Jahrtausende Zeit nimmt, soll in dem Augenblicke seines
Daseyns reifen. Denn was hat er davon, wenn das, was er für das
Bessere erkennt, nicht noch bey seinen Lebzeiten das Bessere
wird? ..."
Externer Link zum Text: G.E. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, § 90 (vgl. § 86ff), Projekt Gutenberg-DE - https://www.projekt-gutenberg.org/lessing/erziehng/erziehn2.html, abgerufen am 10.02.2024
Dieser Text basiert auf den Artikeln "Spiritualen" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Spiritualen) und "Joachim von Fiore" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_von_Fiore) aus der freien Enzyklopädie "Wikipedia" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren der Artikel "Spiritualen" und "Joachim von Fiore" verfügbar, dort jeweils unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum der Artikel: 10.02.2024.
...ja, nicht auszudenken, wenn Kant sich geirrt hätte...
...wo doch unsere gesamte Wissenschaft sozusagen auf ihm aufruht!?...
Nun weiß unsere Physik aber auch - durch ihre nachkopernikanische Weiterentwicklung über Kepler, Galilei, Newton usw. -, dass die Schwerkraft nur im irdischen Raum relevant ist, während, wenn wir darüber hinausgehen, die Erde als Himmelskörper unter Himmelskörpern in Betracht kommt, weshalb der (geowissenschaftliche) Schwerkraft-Blickwinkel ersetzt werden muss durch den besseren und allgemeineren (kosmophysikalischen) Gravitations-Blickwinkel.
Mit der Überwindung der alten Geozentrik ist somit prinzipiell auch das mit ihr verbundene Schwerkraft-Denken erledigt, wonach die Erde (altbabylonisch und alttestamentlich) gedacht wurde als fest aufsitzend auf einem stabilen Untergrund, etwa in Form von mächtigen Säulen, die sich nach unten im Nirgendwo verlieren.
Dieses Erd-Bild haben wir heute aufgegeben: Die Erde liegt nirgends auf, sondern schwebt im Raum, indem sie rotiert und von anderen Massen angezogen wird.
Wir können hier noch anmerken, dass wir einen falschen Sprachgebrauch aufrechterhalten, obwohl wir wissen, dass er „lügenhaft“ ist: Denn auch weiterhin sprechen wir von Sonnenauf- und -untergang, obwohl wir wissen, dass die wahre Bewegung genau andersherum verläuft: Die Erdbewegung ist es, die uns den Blick auf die Sonne freigibt und dann wieder verbirgt. Eine Sonnenbewegung ist da nicht, zumindest nicht relativ zur Erdbewegung, weil sich beide Gestirne im selben Bezugs- und Bewegungssystem befinden.
Wie steht es also mit diesem Schwerkraft-Denken selbst, welchem der „Mensch der Geozentrik“ noch unterlag? Kann es sein, dass wir dieses alte, überholte Denken beibehalten haben, obwohl wir es hätten ändern und anpassen müssen?
Aus unserer modernen (kosmischen) Erd-Betrachtung haben wir heute die Schwerkraft sozusagen herausgenommen (Wir denken sie weg!), indem wir wissen, dass die Schwerkraft zwar auf der Erde wirkt, dass die Erde selbst ihr aber nicht unterliegt.
***
Nun ist es aber so, dass wir auch ein Bild des geordneten Denkens entwickelt haben (welches ich weiß nicht wie weit zurückreicht), und dieses Bild hat nach wie vor auch heute noch in unserer Wissenschaft seine Gültigkeit, ist also nicht als "überholt" oder "unbrauchbar geworden" ausgemustert, obwohl es auch die Schwerkraft der Erde in sich enthält, die wir aus unserer Erd-Betrachtung als falsch entfernt, in unserer Denk- und Wissenschafts-Betrachtung aber offensichtlich als richtig beibehalten haben?
Wenn nämlich Denker und Wissenschaftler ihre philosophischen oder wissenschaftlichen Werke entwickeln, so nennen wir diese Denk-Werke auch „Gedankengebäude“. Ein Gebäude ist ein Bauwerk, das der irdischen Schwerkraft unterliegt, von unten nach oben gebaut wird und dessen Fundament gewisse Anforderungen erfüllen muss, damit das Ganze nicht wieder in sich zusammenstürzt. Analog müssen philosophische oder wissenschaftliche Denksysteme auf guten Prinzipien errichtet sein, damit sie nicht durch Kritik und Gegenargument widerlegt resp. zum Einsturz gebracht werden können. Diese Prinzipien nennen wir auch Grundannahmen oder Prämissen. Sie stellen sozusagen den „festen Untergrund“ dar, welchen offensichtlich ein wissenschaftliches Denken auch heute noch haben muss - trotz Überwindung des alten Schwerkraft-Denkens durch das modernere Gravitations-Denken...?
Müssten wir nicht, wenn wir das „Bild des Gedankengebäudes“ auch heute noch für die Wissenschaft aufrechterhalten wollen, hierbei an den Bau einer Raumstation denken, die selbstverständlich nicht auf der Erde zusammen zu bauen und dann ins All zu schießen wäre, sondern die bereits vor Ort, also in der Schwerelosigkeit zusammengebaut werden müsste?
Müssten wir also nicht auch, um zu einem realistischen, die bloßen Erdverhältnisse überwindenden Denken kommen zu können, welches dann den kosmischen oder universalen Verhältnissen zumindest schon eher entspräche, von unserer Erdsituation abstrahieren und quasi uns selbst mit unserem Denken in den Kosmos hinausversetzen, so dass es wie ein moderner Schildbürger-Streich unserer Wissenschaft erscheint, wenn wir zwar unsere Erd-Anschauung berichtigen (in Rücksichtnahme auf die kosmischen Verhältnisse), zugleich aber unser Erd-Denken unverändert und gleichsam geozentrisch belassen?
Erweist sich so nicht unser Prämissen-Denken, das wir in unserer Wissenschaft beibehalten haben und nach wie vor als richtig und angemessen pflegen, als falsch?
Eine Raumstation hat keinen Boden, keinen festen Untergrund, und folglich kann bei der Konstruktion eines solchen „neuen Gedankengebäudes“, beim Bau einer… „Gedankenraumstation“ ein Ausgehen-wollen von Prämissen nicht mehr greifen. Andere physikalische Verhältnisse kommen „dort draußen“ in Betracht, und folglich müssten doch auch die Denk- und Wissenschafts-Prinzipien andere werden resp. hätten andere werden müssen?
Die Teile der Raumstation müssen sich gegenseitig tragen und sich gegenseitig Stabilität verleihen, so wie auch die Teile unseres Sonnensystems sich gegenseitig stabilisieren, durch Gravitation, Rotation um die Sonne und Eigenrotation. Und muss es dann nicht auch wissenschaftlich so sein, dass die Begriffe und Begrifflichkeiten nicht aufeinander aufzuruhen haben, sondern sich gegenseitig stützen und halten müssen, indem eins zum andern passt und von ihm angezogen wird und umgekehrt?
Wie in der Einleitung formuliert, stammt
die Idee eines gegenseitigen Sichstützens der Begrifflichkeiten
nicht von mir. Sie stammt von Rudolf Steiner, dem Begründer der
Anthroposophie. Zwei Belege aus seinem Werk will ich
anführen:
"Wollte man nur eingehen auf dasjenige, auf was ja eingegangen werden muß in der Geisteswissenschaft, auf die Art, wie die eine Wahrheit die andere trägt, dann würde man schon dazu kommen, Geisteswissenschaft als etwas sich in sich selbst ganz Tragendes zu erkennen. Das sollte immer mehr und mehr durchschaut werden; sonst kommt es ja wirklich dahin, was vor kurzer Zeit ein Außenstehender zu einem Mitgliede gesagt hat: Ja, dasjenige, was da vorgetragen wird als Geisteswissenschaft, ist sehr schön, aber es hat keinen Boden, es steht ohne Boden da. - Der Ausspruch ist geradeso gescheit, ich könnte auch sagen ist geradeso dumm, wie wenn jemand in dem Augenblick, als Kopernikus festsetzen mußte, daß die Erde um die Sonne herumgeht, also nicht auf einem Boden aufsitzt, gesagt hätte: Ja, es fehlt ja der Erde der Boden! Wie ist das mit den Planeten und Gestirnen, die müssen doch irgendwo aufsitzen! - Sie tragen sich eben dort physisch selber. Und Geisteswissenschaft ist ein Gefüge, von dem man eben nur wissen, einsehen, verstehen muß, daß die einzelnen Glieder sich selber tragen." (GA 176, Zweiter Vortrag Berlin 5. Juni 1917, S. 30f)
Diese Textwiedergabe
des Bandes GA 176 "Menschliche und menschheitliche
Entwicklungswahrheiten. Das Karma des Materialismus"
der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (deren Herausgabe dem Rudolf
Steiner Verlag obliegt) basiert auf der Werkbearbeitung einer
älteren Ausgabe dieses Bandes GA 176 (externer Link: https://steiner.wiki/GA_176), durch die freie
Literaturdatenbank SteinerWiki (externer Link:
https://steiner.wiki/Hauptseite), zum Zwecke der
kostenfreien Zugänglichmachung des Werkes Rudolf Steiners, und
steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0"
(externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de).
In SteinerWiki ist eine entsprechende Liste der Werkbearbeiter
zu GA 176 verfügbar, dort unter dem Reiter
"Versionsgeschichte". Näheres zur kostenfreien
Zugänglichmachung vgl. unter "Unser Anliegen" auf der
SeinerWiki-Hauptseite, GA 176 abgegriffen am
02.06.2024.
"Nun sehen Sie, dasjenige,
was ich Ihnen erzählt habe, ist eben etwas, was an Erkenntnis
der Welt gewonnen werden kann durch Anthroposophie, und
geradeso wie man keinesfalls selbst Künstler zu sein braucht,
um ein Bild schön zu finden, so wenig braucht man selbst
Initiierter zu sein, um die Dinge zu verstehen. Man kann die
Dinge verstehen, weil die Ideen miteinander zusammenstimmen. Es
gibt Leute, die sagen: Was geht uns die ganze geistige Welt an,
man kann sie erst verstehen, wenn man darin ist. - Das sagen
die Leute aus dem Grunde, weil sie heute gewohnt sind, einen
Beweis nur dasjenige zu nennen, was sich sinnlich-handgreiflich
beweisen läßt. Solche Menschen gleichen Toren,
Copyright Rudolf Steiner
Nachlass-Verwaltung Buch: 2 40 Seite: 6 7
die sagen: Alles, was in der
Welt ist, muß gestützt werden, sonst fällt es zur Erde. Es
könnte ja einer kommen und sagen: Die Erde, der Mond, die Sonne
sind im Weltenraum draußen, aber sie müssen doch eine Stütze
haben, damit sie nicht herabfallen. Er weiß nicht, daß die
Weltenkörper keine Stütze brauchen, weil sie sich gegenseitig
stützen. Auf solches Verständnis ist die Anthroposophie
angewiesen. Bei ihr können die Ideen nicht gestützt werden
durch äußerliche Handgreiflichkeiten, aber gegenseitig stützen
sie sich. Lesen Sie zunächst ein einziges anthroposophisches
Buch, dann kann es vorkommen, weil Sie gewohnt sind, alles
handgreiflich bewiesen zu sehen, daß Sie es weglegen, weil
darin nichts bewiesen ist. Lesen Sie aber immer mehr und mehr,
so werden Sie finden, daß die Ideen sich gegenseitig stützen
und halten wie die Weltenkörper. Man kann schon die Dinge
verstehen, auch wenn man nicht ein Initiierter ist, aber durch
die Initiationswissenschaft werden die Dinge noch wesentlich
dichter. Sie werden in einer anderen Weise erlebt." (GA 240,
Dritter Vortrag Zürich, 28. Januar 1924, S. 67f)
Anmerkung zu dieser
Textwiedergabe (siehe Absatz unterhalb unter "Unser Anliegen"):
Das Layout dieses dritten Vortrages in Zürich weicht von der
normalen Darstellungsweise ab und ist überschrieben mit: "nach
einer unvollständigen Nachschrift". Die Seitenzahlen sind im
fortlaufenden Text schwer erkennbar, indem sie als Textzeile im
fortlaufenden Text mitenthalten sind. Aus diesem Grund habe ich
diese Textzeile in der zitierten Textstelle durch Absatz eigens
hervorgehoben. Die Zuverlässigkeit des Textes kann ich aber
bestätigen, weil ich das Buch in der Taschenbuch-Ausgabe
besitze (Rudolf Steiner Taschenbücher aus dem Gesamtwerk, Nr.
716, 1.-6. Tsd. Dornach 1996, nach dem gleichnamigen Band der
Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Nr. 240, 5. Aufl. Dornach 1992).
Der Wortlaut stimmt exakt überein, jedenfalls für die zitierte
Stelle, die in der Taschenbuch-Ausgabe ebenfalls auf S. 67f.
erscheint.
Diese Textwiedergabe des Bandes GA 240 "Esoterische
Betrachtungen karmischer Zusammenhänge Bd. VI" der
Rudolf Steiner Gesamtausgabe (deren Herausgabe dem Rudolf
Steiner Verlag obliegt) basiert auf der Werkbearbeitung einer
älteren Ausgabe dieses Bandes GA 240 (externer Link: https://steiner.wiki/GA_240), durch die freie
Literaturdatenbank SteinerWiki (externer Link:
https://steiner.wiki/Hauptseite), zum Zwecke der
kostenfreien Zugänglichmachung des Werkes Rudolf Steiners, und
steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0"
(externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de).
In SteinerWiki ist eine entsprechende Liste der Werkbearbeiter
zu GA 240 verfügbar, dort unter dem Reiter
"Versionsgeschichte". Näheres zur kostenfreien
Zugänglichmachung vgl. unter "Unser Anliegen" auf der
SeinerWiki-Hauptseite, GA 240 abgegriffen am
02.06.2024.
Dann fiele aber doch die „harte, feste, tragfähige Prämisse“ weg, und die einzelnen Wissenschafts-Begriffe müssten sozusagen vom Harten ins Weichere überführt werden, analog zum Wechsel von der „Schwere“ zur Leichtigkeit des „Schwebens“, indem wir sie von vornherein mit einer gewissen Elastizität oder Anschmiegsamkeit entwickelten und bildeten…
***
…wobei diese allerdings nicht mit „begrifflicher Schwammigkeit“ zu verwechseln wäre, wie man denn heute noch der Ansicht sein kann, die naturwissenschaftliche Begrifflichkeit sei klar und griffig, während man im geisteswissenschaftlichen Bereich, sei es in der Historie oder in der Psychologie, viel mehr Gefahr läuft, ins Schwammige, ins Ungefähr abzudriften; und ganz am Ende dieser zunehmenden Unschärfe und Wissenschaftsuntauglichkeit stünde dann die Philosophie, von der man dann sagen müsste, sie sei wirklich zu gar nichts zu gebrauchen.
Die „Schärfe“ naturwissenschaftlicher Begrifflichkeit könnte aber darauf zurückzuführen sein, dass sie mit dem Festen, Harten, Physischen umgeht und zu tun hat. Und deshalb könnte man – so gesehen – vermuten, dass eine wissenschaftliche Begriffsbildung in der Naturwissenschaft so sehr schwer gar nicht sein kann, weil sie ja das fest Konturierte zu ihrem Gegenstand hat, dem sie lediglich aufmerksam und beobachtend folgen muss. Überspitzt formuliert: Der Naturwissenschaftler braucht nur gute Augen (und gesunde Hände und Finger), weiter braucht er nichts.
In den Geisteswissenschaften wird das anders, vielleicht, weil sie „bewegtere Gegenstände“ haben, so dass der Wissenschafts-Blick nicht einfach und starr bleiben (und sozusagen grob zupacken) kann, sondern selbst ein bewegter werden muss, gleichsam mit begrifflich sensiblerem Samthandschuh-Blick, der dann auch feiner an- und auffasst?
Und wenn also die Ergebnisse der Geisteswissenschaften nicht so klar und exakt sein mögen wie diejenigen der Naturwissenschaften, so mag die Ursache nicht darin liegen, dass Geisteswissenschaftler weniger scharfsichtig oder dümmer oder unrealistischer wären als Naturwissenschaftler, sondern schlicht darin, dass ihre Gegenstände „schwieriger fassbar“ sind und folglich auch mehr Zeit, mehr Denk-Zeit zum richtigen Zufassen können benötigen werden?
Und wenn es so sein sollte, tun wir nicht unbedingt gut daran, wenn wir aus der offensichtlichen „Schwäche geisteswissenschaftlicher Begriffsbildung“ schlussfolgern (vielleicht unbewusst): „Wahre Wissenschaft ist letztlich doch nur im Bereich der Naturwissenschaften möglich. Denn wir sehen ja: Die Griffigkeit und der Wert der Wissenschaft schwinden zunehmend, je weiter wir uns vom Physischen weg und ins Psychische und Geistige hineinzubewegen versuchen.“
Denn mit einer solchen „grundsätzlichen Wissenschaftsauffassung“ machen wir weniger eine Aussage über die Geisteswissenschaften, vielmehr eine Aussage über unsere grundsätzliche Einschätzung des menschlichen Denkens: Hierbei schränken wir zuerst die menschliche Denkfähigkeit ein („Wissenschaft ist nicht überall gleich gut möglich“), und dann verschieben wir diese Einschränkung zu den Geisteswissenschaftlern hinüber, wie einen Schwarzen Peter, von uns selbst weg, zu „den Anderen“ hin, die offensichtlich „keine so guten Augen resp. Realitätssinn haben wie die (resp. wir) Naturwissenschaftler“, die (wir) einfach „besser, realistischer, wirklichkeitsnäher“ eingestellt sind, keine Traumtänzer, die sich bloß mit Vergangenem, obsolet Gewordenem befassen usw. - Kann es sein, dass wir ein derartiges „unbewusstes Plump-Urteil“ in uns tragen?
Vielleicht also brauchen die Geisteswissenschaften daher einfach eine längere Übungszeit, Denk-Übungszeit, damit das Auge, das Geistesauge mit der Gegenstands-Bewegung mitgehen und mithalten kann, anders als die Naturwissenschaften, für welche schon ein weniger geübtes, weniger bewegliches Auge (und eine gröber zugreifende Hand) ausreicht, um etwas Brauchbares erkennen zu können, so dass es vielleicht sogar eine Frage der Denkkraft-Ökonomie wäre, den Jüngeren das Feld der Naturwissenschaft zu überlassen, während das Feld der Geisteswissenschaft besser den Älteren vorbehalten sein sollte, weil sie bereits mehr Denkzeit, mehr Routine des Denkens und Beweglichkeit im Denken aufweisen können - als wäre das menschliche Denken zu behandeln wie ein Muskel, den man erst trainieren und leistungsfähig machen muss?
Ist es nicht auch so, dass selbst Astronauten nicht mir nichts, dir nichts von der Schwerkraft-Bewegung zur Schwerelosigkeits-Bewegung übergehen können und daher ein hinreichendes Schwerelosigkeits-Training brauchen, um sich den andersartigen Schwerkraft-Verhältnissen anpassen zu können?
Vielleicht muss sich also auch der Geisteswissenschaftler zuerst in die andersartigen Schwere- und Bewegungsverhältnisse seines anders gearteten Geistes-Gegenstandes einfinden, einpendeln, einschwingen, um auf einen Beobachtungs-Nenner mit ihm zu kommen, um sein andersartiges Zählen und Rechnen mit seinem Gegenstand überhaupt erst so richtig beginnen zu können?
Aber zeigte sich so nicht auch, dass ausgerechnet die Geisteswissenschaften eine größere Nähe oder Affinität zu "kosmischem Denken" werden aufweisen können, zumindest im Laufe der Zeit und ihrer zunehmenden Denkerfahrung mit ihren Gegenständen; ein besseres Herankommen an solches wahrere Denken als die Naturwissenschaften mit ihrer harten, unflexiblen, vom Festen der Erde hergenommenen Begrifflichkeit, von welcher sie dann womöglich auch noch glauben, sie einfach in die kosmischen Verhältnisse hinausübertragen oder hineindenken zu dürfen?
***
Und wenn wir solches andersartige, ungewohnte Denken noch weiterverfolgten, erwiese sich dann nicht ein Bild wie „der Geist Gottes, der über dem Wasser schwebt“ als geeignet, solches neue Denken zu beschreiben, also ins Bild zu setzen?
Und werden wir uns dann nicht zuletzt überaus wundern müssen, wenn wir feststellten, dass dieses Bild des über dem Wasser schwebenden Geistes gar nicht neu und modern sei, sondern alt, um nicht zu sagen uralt, denn es steht in der Bibel, und zwar ganz am Anfang, schon im zweiten Vers der Genesis (Gen. 1,2)?
Wie aber müssten wir dann über uns selbst in unserer Wissenschaft denken, wenn wir heute, im angefangenen 3. Jahrtausend, ein neues, sozusagen hochmodernes, dem Kosmos entsprechendes Denken suchen, zu welchem ein passendes Bild bereits in der ersten Schöpfungserzählung der Bibel steht (entstanden wohl im 6. Jh. v. Chr.)?
Wir könnten jetzt sagen, – sozusagen um unsere Wissenschaftsehre zu retten –, wir hätten wohl in unserem Gedankengang hier einige logische Fehler gemacht oder uns in Spekulationen verloren, sind doch auch einige den Gedankengang schwerer durchsichtig machende Schlussfolgerungen oder gar Abschweifungen enthalten.
Freilich könnte es gewissermaßen auch andersherum sein, dass wir in unserem heutigen Denken dem Geist der Bibel immer noch hinterherhinken, also das biblische Denken und Weltanschauen noch gar nicht erreicht haben, weil unser Denkmuskeltraining immer noch nicht ausreicht, sondern noch mangelhaft oder gar ungenügend ist?
Vielleicht enthält die Bibel ja beispielsweise gar kein Adam-und-Eva-Märchen, bedeutet doch der Name „Adam“ als „Adamah“ die Menschheit und der Name „Eva“ als „Hawwa“ das Leben? Auch handelt darin nicht „unser monotheistischer Gott“, nicht El – der Gott, sondern die El-ohim – das ist eine Pluralform: אֱלֹהִ֑ים!?
Vgl. das dritte Wort
der Genesis (Gen. 1), wobei das
Hebräische von rechts nach links zu lesen ist
- externer Link: https://diebibel.ibep-prod.com/bibel/BHS/GEN.1 -
Biblia Hebraica Stuttgartensia, hg. v. Karl
Elliger und Wilhelm Rudolph, fünfte, verbesserte Auflage, hg.
v. Adrian Schenker, © 1977 und 1997 Deutsche
Bibelgesellschaft, Stuttgart, abgegriffen am
30.03.2024.
Wir könnten uns also fragen: Was alles lesen wir denn in die Bibel erst hinein? Und noch wichtiger die Frage: Was alles lesen wir aus ihr vielleicht noch gar nicht heraus? Erscheint sie uns womöglich deshalb als „ausgelesen“, weil wir sie nur in unserer eigenen momentanen Geistestiefe (ggf. -untiefe) ausloten können, nicht aber in ihrer ureigenen Tiefe, zu deren Grund oder Geistes-Grund wir vielleicht noch gar nicht vorgedrungen sind, indem wir immer nur eine solche Tiefe erlesen oder erloten können, die wir selbst schon in uns tragen?...
…weshalb wir auch besser jederzeit auf ein „Aber-jetzt-bin-ich-fertig-Urteil“ verzichten sollten, wie in dem Pflanzen-Bild gezeigt…
…und weil wir vielleicht also die eigentliche Tiefe unserer eigenen Seele und unseres eigenen Geistes noch gar nicht richtig erfassen konnten, so dass wir sagen müssten: „Momentan sind sowohl Theologe als auch Tiefenpsychologe nicht fähig, uns uns selbst auszuloten“?
***
Parallel dazu sollten wir mit unserem Denken (d.h. mit unserer uns allen gemeinsamen Denkfähigkeit) auch einen prüfenden Blick in das Ich-Gott-Verhältnis hineinwerfen, das wir heute geneigt sind, als neuzeitlich gewordene Konstante zu betrachten, die nun einen Endzustand oder ein Ausgereift sein des Menschseins markiere, wobei die einen den Gott-Pol ganz fallen gelassen haben, die andern hingegen aufrechterhalten wollen. Aber: Handelt es sich denn um eine Konstante? Musste nicht erst eine längere Geschichtszeit vergehen, ehe der (monotheistische, nun ja, trinitarische) Gott-Pol überhaupt als solcher gebildet war? Und dauerte es nicht nochmals eine längere Geschichtszeit, ehe der Ich-Pol ausgebildet war (was man allzu leicht übersieht)? Und wer im Universum könnte uns nun verraten, ob unser heutiges Ich-Bewusstsein tatsächlich ein Endzustand sei?
Möglicherweise mancher Theologe und Pfarrer, der wohlwollend zum Common Sense hinüberblickt und ihn - sprachlich und „sachlich“ korrekt - als seinen Mitmenschen, als Schwester und Bruder im Blick hat und der auf diese Weise sieht, wie viele Gläubige sich in ihrem heutigen Verhältnis zu Gott sozusagen in sich stabilisiert haben, woraus der Schluss naheliegt, das Ich-Sein des Menschen müsse wohl doch schon fertig sein.
Der Tiefenpsychologe eher nicht, er würde stattdessen uns gegenüber anmahnen: Unser Ich muss seine beiden Problematiken erst noch lösen – das Unbewusste und das Über-Ich. Sie sind ungelöst, sie sitzen fest, starr und steif in sich, „fundamentalistisch“, gerade auch bei den Gläubigen. Wir müssen sie erst noch lockern und lösen…
…wenn anders wir uns in unserer Zukunft im Sein wahrhaft binden können wollen, so wäre vielleicht philosophisch noch zu ergänzen.
Alle drei müssen keine Konstanten sein, nur weil sie bei ihrer Entdeckung durch Sigmund Freud – gleichsam fotografisch – als diese Momentan-Dreiheit erstmals in den Blick kamen.
Liegt also womöglich noch Veränderungs- bzw. Entwicklungspotenzial im gegenwärtigen Ich-Gott-Verhältnis? Warum sollte die darin jetzt sichtbar gewordene Dynamik ausgerechnet hier und heute am Ende sein? Weil wir hier stehen, zusammen mit unserem (schwärmerischen) Wunsch, schon fertig zu sein oder uns selbst schon voll überblicken zu können…?
…Niemand soll unseren scharfstsichtigen Wissensstand von heute jemals überholen können! Unser kritisches Reflexionsniveau ist derart hoch und scharf geworden, dass wir schlechterdings „unüberholbar“ geworden sind! Dieser unser "aufgeklärter Grundsatz" gilt nicht nur für unsere Vorfahren, sondern auch für alle, für jedwede Nachkommen…
Möglicherweise also haben wir ja – irgendwo versteckt in uns – noch… Luft nach oben? Und weil es momentan „Luft“ ist, - sozusagen ein Leerraum, eine Aussparung unserer selbst, die wir noch nicht selbst geworden sind -, meinen wir, da sei nichts – nicht nur jetzt, sondern dauerhaft, prinzipiell?
Und wenn es mit uns so stünde, wie wir es jetzt – vorauslaufend im Gedanken – vor uns hingestellt haben, dann müssten wir nur noch das Münchhausen-Prinzip des Geistes zur Anwendung bringen können, um aus unserem momentanen „Jenseits unserer selbst“ (in der genannten Innen-Ich-Dreiheit: Es – Ich - Über-Ich und Außen-Ich-Zweiheit: Ich - Gott) ins… „Diesseits unserer selbst“ hinübergelangen zu können…?
…z.B. indem ein noch unbekanntes und noch nichtexistierendes Ich, also ein noch moderneres Ich, als wir es schon haben und sind, …
…welch ein Frevel an unserem aufgeklärten Selbstverständnis…
…gelernt haben wird, seine beiden Wurmfortsätze in sich auf- und hinein-, vielleicht auch zurückzunehmen?
Aber selbst die Gläubigen und Theologen unter uns denken den Menschen ja immer noch nicht ernsthaft als ein Geistwesen…
***
Greifen wir zur Prüfung des Denkens eines Geistwesens nochmals unsere Frage eines wahren kosmischen Denkens auf: Müsste nicht ein kosmisch rundes Denken auch eine Kreisbewegung vollziehen, in sich rotieren oder zyklisch sein, so dass wir, wenn wir in die eine Richtung ins Universum los- und hinausdächten, unsere eigene Denkbewegung uns von hinten her wieder erreichen müsste, also in unserem Rücken einträfe?
Unser Bild vom Denken eines Geistwesens ist zwangsläufig falsch, weil wir keinen Begriff von diesem Denken haben und daher eine Analogie aus uns selbst heraus versuchen müssen, als im Irdischen befindliche Menschen, die ein Vorne und ein Hinten haben, auch ein Oben und ein Unten kennen, während ein reines Geistwesen wohl kaum eine irdische Raumorientierung hätte oder bräuchte und also auch nicht hinterrücks von seinem eigenen Gedankengang überrascht werden könnte?
Ein wahres Denken müsste seinen Ausgangspunkt als Grund wieder erreichen und in sich einholen… - auch dies müsste zu einer Elastizität und Anschmiegsamkeit von Begriffen gehören: Der Erstbegriff muss sozusagen eine Offenheit oder Öffnung in sich enthalten, ein Spiel, in welches sich der Letztbegriff dann passgenau einfügen kann.
Und dann wäre die Kreisbewegung oder Rundheit eines kosmischen Denkens möglicherweise so auf unsere Existenz als irdische Menschen übertragbar: Aus unserem Unbewussten (als unserem verborgenen Innen) heraus ist unser Denken ursprünglich angetrieben, zeitgleich wird es angeregt durch das begegnende Außen der Welt, in der wir es dann – in irgendeiner Weise bewusst gemacht - übernehmen, und dann schicken wir es im Rahmen unserer Wissenschaft (also unserer universalen Wissbegierde und unserer faktischen Denk-Möglichkeiten) ins Universum hinaus los, und zuletzt trifft es dann auf der „anderen Seite unserer selbst“ wieder ein, nämlich in unserem Unbewussten – dieses nun in sich ergreifend und in unser Bewusstsein herüberführend und mit sich nehmend?
Oder derselbe Sachverhalt in andere Worte gefasst: Wir begönnen unser Erkenntnisstreben mit unserem philosophisch suchenden Blick in die Welt. Dann sendeten wir diesen forschenden Blick zur Prüfung ins Ganze des Seins hinein oder hinaus. Und am Ende kämen wir dann wiederum bei unserem „philosophischen Blick in die Welt“ heraus, nun aber als das Ergebnis unserer Erforschung des Seins, so dass wir, wenn wir das Sein komplett durchgegangen wären, sagen müssten: Unser (jetziger) philosophischer Blick in die Welt ist schon richtig und folgerichtig. Er muss so sein, entspricht unserer Existenz als Menschen, und das Ganze des Seins ist in sich stimmig.
***
Nun sagten wir zu Beginn, der Mensch habe eine doppelte Praxis, seine Handlungs-Praxis und seine Denk-Praxis. Die Handlungs-Praxis übt er schon immer aus, kontinuierlich, und er muss das auch tun, zuletzt aus Existenzsicherungsgründen, und er kommt in diesem Handeln auch zum gewünschten Ziel (seiner Lebenssicherung).
Von der Denk-Praxis können wir sagen, dass man sie künstlich erhöhen und kultivieren kann, so wie es in unserer Wissenschaft und Technik ja geschieht. Man kann sie aber auch sozusagen rudimentär belassen und lediglich zur Lebenssicherung (oder auch Lebensverbequemlichung) einsetzen – nennen wir’s den Common-Sense-Denkgebrauch…
…der unsere gesamte (fiebrig-rational Märkte und "Nachfrage" suchende) Wirtschaft in seinen Bann zieht…
Man kann das Denken in vielfacher Richtung praktizieren, aber ein spezifischer Sinn der Denk-Praxis als solcher, eine konkrete Wesensaufgabe, ist nicht ohne weiteres erkennbar.
Doch wollen wir das Denken einmal in seinem „idealen Verwendungszweck“ ins Auge fassen, nämlich unserer Erkenntnis des Ganzen des Seins, in dem wir uns nun einmal befinden, und dieser wird kultiviert durch die Philosophie und die (an der reinen Theorie interessierten) Wissenschaft. Dies ist die Denk-Praxis, um die es uns hier gehen soll: Sie hat zur Motivation keinen konkreten Anwendungszweck des zu erwerbenden Wissens, sondern nur das Universal-Ziel der Erkenntnis als solcher (aristotelische theoria), bezogen allerdings vor allem auf den Menschen selbst, der auf diese Weise die Frage nach seinem eigenen Sinn und Zweck stellt.
So gesehen können wir über die Denk-Praxis sagen, sie sei allererst unterwegs zum Ziel des Erkennens, und dann erhebt sich aber eine etwas merkwürdige Frage: Welche Handlungs-Praxis kann denn ein Lebewesen haben, das sich selbst in seiner Denk-Praxis (Theorie) noch gar nicht erfasst hat? Müssten wir nicht sagen, der Mensch könne solange noch gar keine wahre Handlungs-Praxis haben, bis er in seiner Denk-Praxis zum gewünschten Erkenntnis-Ziel – zur Erkenntnis seiner selbst - gekommen sein wird?
Und wir können nun innerhalb dessen, was wir unsere Wirklichkeit und Welt nennen, wenigstens zwei Erkenntnis-Bereiche klar voneinander trennen, und auch hier spezifiziert sich wieder unser Erkenntnisstreben, von welchem wir eingangs den Eindruck hatten, es sei ein völlig Inhaltsleeres.
Denn: Ist es nicht merkwürdig? Den Stuhl, auf welchem ich gerade sitze, mache ich nicht zu einem Gegenstand meines Erkennens, denn ich weiß, er ist ein Ding zum Sitzen und als solches benutze ich ihn gerade. Das Sitzgelegenheit-Sein ist sein Wesen, seine Idee, sein Begriff, und ich habe diesen Begriff deshalb, weil der zugehörige Stuhl ein Kunst-Ding ist, welches der Mensch selbst hervorgebracht und ihm damit sein Wesen gegeben hat.
Dass er der bloßen Erscheinungswelt angehört, so dass man die Frage nach seinem Real sein stellen könnte, wollen wir einmal vernachlässigen. Denn ich, der ich auf dieser „Erscheinung“ sitze, bin ja selbst auch ein Teil dieser „Erscheinungswelt“. Also scheint eine Erscheinung auf einer Erscheinung zu sitzen, und während wir im Gedankengang (als unserem Haupt-Schauplatz) einfach fortfahren, überlassen wir diese Erscheinungen einfach sich selbst (als einem Neben-Schauplatz), und ich denke nicht, dass wir fürchten müssen, durch diese unsere …Unaufmerksamkeit zu Boden zu fallen, so wie man auch frühmorgens, wenn man dem Bett entsteigt, nicht fürchten muss, der Boden könne plötzlich irreal geworden sein und man selbst in die Tiefe stürzen…
…man müsste schon arge Realitäts-Ängste haben, wenn man solche Gedanken ernsthaft (nicht philosophisch) entwickelte…
…wobei man wiederum sagen könnte, das in uns hervorgekommene Ewigkeits-Trauma gibt ernsthaften Anlass zu solchen Gedanken, nicht bloß einen philosophisch-spielerisch-akademischen, wie wir ihn (theoretisch-wissenschaftlich) pflegen, die wir die Realität als solche doch schließlich ganz genau kennen…
Hm...
...ob man wohl "philosophisches Denken" nicht nur
vorgeben, sondern ernsthaft anstellen sollte?
Aber hätte dies nicht zur Konsequenz, wir müssten die Frage, ob
wir uns in der Wirklichkeit befinden oder aber
außerhalb ihrer auch ernsthaft aufwerfen –
als kennten wir die Wahrheit tatsächlich noch
nicht (nicht nur philosophisch-spielerisch noch
nicht)?...
Zuerst hatte der Mensch die „Idee einer Sitzgelegenheit“, und dann fertigte er ein solches Ding mit dem von ihm im vorab bestimmten Wesen. Und weil er dieses Wesen selbst bestimmt hat, hat er den „Begriff des Stuhles“ und spart sich jegliche diesbezügliche Forschung. Denn das Ziel einer jeden Forschungssache ist das Verständnis oder kurz: der Begriff der zu erforschenden Sache. Und wenn uns nun ein Stuhl-Ding „da draußen“ in der Sinnlichkeit oder Erscheinungswelt begegnet, dann beziehen wir spontan unseren Begriff des Stuhles darauf, und deshalb hat das „Sinnending Stuhl“ für uns gar nichts Rätselhaftes oder Fremdartiges oder Erforschbares an sich, ist kein unbekanntes „Ding an sich“, weil es von unserer eigenen Idee her, die im Sinnlichen nirgends erscheint und nur in unserem Geiste besteht, ins Sein gesetzt wurde.
Also müssen wir einen solchen Kunst-Bereich vom Natur-Bereich unterscheiden. Letzterem haben wir nicht das Wesen gegeben, und folglich fehlen uns die Naturbegriffe der Naturdinge. Und also hat unser Erkenntnisstreben nur in Bezug auf sie eine Relevanz.
Und wir sollten dies als eine „Erleichterung unserer Wissenschaft“ ins Auge fassen, denn wir wissen nun: sie muss ja gar nicht „das Ganze des Seins“ erforschen, sondern sie kann einen guten Teil weglassen oder sich einsparen, nämlich den Kunstding-Teil, der gar keine Erforschung braucht, insofern dieser Teil von uns selbst stammt und wir seine Begriffe ja schon haben.
Zu diesen "Naturdingen" gehören nun aber auch wir selbst als "Menschen", und somit können wir sagen, es fehle uns nicht nur die Kenntnis des Wesens der Natur und des Universums insgesamt, sondern darin auch die Kenntnis des Wesens des Menschen. Und deshalb bleibt uns zuletzt nichts anderes übrig, als ein „Wesen des Menschen“ zu vermuten, hypothetisch anzusetzen und unser Leben entsprechend auszurichten, in der Hoffnung, dass, wenn wir richtig mit unserer Hypothese oder Idee liegen, auch unser Handeln das richtige sein wird, während, wenn wir die falsche Idee vom Wesen des Menschen sozusagen über das „Naturwesen Mensch“ darüberlegen, wir dann diese Naturwirklichkeit verfehlen werden, so dass wir dann ein gesellschaftlich-kulturelles Handeln und Wirken lebten, das die eigentliche Natur-Wirklichkeit gar nicht träfe und mit ihr nicht übereinstimmte? Und der Mensch ginge dann nicht in die ihm bestimmte Richtung im Sein, sondern in eine andere, allerdings nicht unbedingt aus bösem Willen, sondern eher aus purer Unkenntnis?
Also können wir als eine „weitere Erleichterung unserer Wissenschaft“ ansehen, dass wir vielleicht gar nicht alle Naturdinge jeweils für sich erkennen müssen, weil diesen vielen Naturdingen ja das eine, sie alle umfassende Wesen der Natur zugrunde liegt, so dass es – streng genommen – gar nicht viele Naturdinge zu erforschen gibt, sondern nur ein Einziges, nämlich das Naturwesen, in dem sie alle ineinander zusammengebunden sind?
Folglich wären dann auch nicht viele Antworten auf viele Fragen zu finden und nicht viele Ideen zu suchen, sondern nur eine einzige Idee, diejenige nämlich, die der Natur insgesamt zugrunde liegt (falls es eine solche geben sollte)? Und diese eine Idee gilt es dann in allen Naturdingen zu verifizieren? Und so käme es nur auf jene Wissenschaft oder Erkenntnissuche an, die dieser Idee nachspürt, während man alle anderen, nun ja, einsparen oder wegrationalisieren könnte?
Und wenn in dieser allumfassenden Weise die Selbsterkenntnis im Menschsein das eigentliche Ziel unseres Erkenntnisstrebens wäre, müssten wir dann nicht sagen, das menschliche Forschen sei dadurch veranlasst, dass der Mensch zunächst einmal sich selbst gar nicht kennt, somit auch nicht den Grund seines Daseins und auch nicht die ihm zugrundeliegende Schöpfungs-Idee, falls es eine solche geben sollte?
Es muss zwar keine solchen Natur-Ideen geben, und im Materialismus kann der Mensch wohl ohne Ideen, ideenlos und idealismusfrei, gedacht werden. Im Spiritualismus aber muss es wohl solche Ideen geben, weil ein „Spiritus“ angenommen resp. wissenschaftlich vorausgesetzt ist, der diese Ideen ursprünglich gefasst haben muss…
***
…und so wollen wir unseren mutmaßenden, spekulativen, idealisierenden Gedankengang wenigstens damit rechtfertigen, dass wir hier versuchen wollen, auch den Spiritualismus zu Ende zu denken, nicht nur den Materialismus, der ja gewissermaßen längst zu Ende gedacht ist, so dass es jetzt nur noch auf die lebenspraktische Umsetzung anzukommen scheint (vgl. die Nobelpreis-Kategorien, deren Erkenntnis-Erfolge unser Nachrichtenwesen ja - für uns - alljährlich als etwas Wichtiges und Wesentliches verkündet) …
Denn erst wenn beide zu Ende gedacht sind, sowohl der Materialismus als auch der Spiritualismus, sind beide überblickbar und in ihrem weltanschaulichen Wert miteinander vergleichbar.
Nur kommt man nicht leicht auf die Idee, den Spiritualismus zu Ende denken zu müssen, indem man voraussetzt, die spiritualistische Weltanschauung sei ja bereits „geschichtlich ausgelaufen“ (vgl. den obigen „Erstfehler Platons“ und unseren darauf gebauten „Schlussfolgerungs-Zweitfehler“, durch welchen erst der Trugschluss eines geschichtlichen Ausgelaufen seins entsteht, sozusagen als Drittfehler), so dass nun nur noch der Materialismus zur Debatte steht und zu denken bleibe.
Man übersieht hierbei aber, dass faktisch geistesgeschichtlich Folgendes passiert ist: Der Spiritualismus war vom Menschen noch nicht zu Ende gedacht – da wurde dieses Denken jäh unterbrochen, abgelenkt durch den geistesgeschichtlichen Einschlag des Materialismus. Und deshalb ist das spiritualistische Denken lediglich abgewürgt worden, inmitten seines Stadiums des Unfertig seins, und ist also keineswegs „natürlich ausgelaufen“, und auch nicht „geschichtlich widerlegt“.
Der Spiritualismus kann erst dann als „widerlegt“ betrachtet werden, wenn er zu Ende gedacht worden ist, vorher nicht. Und deshalb ist hier der Versuch begonnen, auch ihn zu Ende zu denken. Denn bislang ist es so, dass er „objektiv als erledigt betrachtet“ wird, obwohl er „subjektiv noch gar nicht erledigt“ ist.
Doch hat im Materialismus das Denken – als bloßes Blubbern – keinen besonders hohen Stellenwert. Also – dies ist jetzt die weltanschauliche Schlussfolgerung (im konsequenten Materialismus) – muss man es mit dem Denken auch nicht so genau nehmen: Also ist der Spiritualismus geschichtlich doch widerlegt. Punkt. Ende.
***
Weiter also. Wenn der Mensch deshalb subjektiv nach Erkenntnis strebt, weil er im Grunde keine rechte Idee seiner selbst hat, diese ihm vielmehr fehlt, könnte es dann nicht auch objektiv so sein, dass es sozusagen Schöpferabsicht gewesen sei, den Menschen zunächst einmal ohne die Idee seiner selbst zu sich kommen zu lassen, indem ihm – dem animal rationale – die wesenhafte Aufgabe zugedacht oder bestimmt sei, diese Idee seiner selbst aus sich selbst heraus zu finden?
Selbst herauszufinden, nicht anders als auch den eigentlichen Sinn und Zweck des Denkens selbst, weshalb ihm eine Gebrauchsanleitung schlechterdings nicht mitgegeben werden durfte!? Denn es wäre ja keine „menschliche Selbsterkenntnis“ mehr, wenn hier fremde Hilfe und Unterstützung mit im Spiel wären, und sei es nur diese: „Das Denken ist dir gegeben, Mensch, damit du dich selbst denkst. Wenn du dich richtig denkst, dann kannst du dich lösen und kannst auch aufgehen, nämlich in die Gemeinschaft der Geistwesen. Denkst du dich falsch, bleibst du ungelöst, gehst nicht auf und musst unten auf der Erde bleiben, die dich dann halt weitertragen oder weiterschleppen wird, in die Zukunft deines von dir selbst unergriffenen (sich in ein geistiges Dasein höherentwickelndes) Wesens hinein, als bloßes Anhängsel des Seins, welches zu bleiben du dich offensichtlich entschieden hast.“
Freilich ist diese „Idee des Denkens“ etwas einseitig, weil sie ja nur im Spiritualismus Sinn ergibt, so dass sich die Materialisten benachteiligt fühlen könnten, weil für sie sozusagen „keine Denkfunktion“ übriggelassen sei, so dass in der Öffentlichkeit dann der falsche Eindruck über sie entstehen könnte, sie hätten überhaupt kein Denken, nur ein Sprudeln, oder eine Blasenbildung. Und dagegen könnten sich die Materialisten verwehren wollen: Es sei völlig falsch gesehen, denn sie hätten die ernsthafte „Idee der Blasenbildung“ gehabt, das sei etwas ganz Anderes und Wesenhaftes, da sei ein Denken, kein bloßes Blubbern usw.
Und eine (materialistisch überzeugte) Wissenschaft, die von sich selbst glaubt, das menschliche Erkennen vollumfänglich unter ihre Fittiche genommen zu haben, könnte sich auf den Standpunkt stellen, man könne sich eine „Idee des Denkens“ sparen, denn das Denken funktioniere auch ohne eine solche materiale Bestimmung und weltanschauliche Festlegung des Denkens, sogar sehr vielfältig, in alle möglichen Richtungen, und sehr facettenreich, wie sie, die Wissenschaft, ja allein schon durch ihre bloße Existenz beweise.
Sie könnte auch Anstoß daran nehmen, wenn jemand versuchen würde, ihr von außerwissenschaftlicher (das heißt dann: inkompetenter) Seite her ihr „Schiedsrichteramt des Erkennens“ streitig zu machen oder gar wegnehmen zu wollen. Denn wenn einer bestimmen und festsetzen darf, wozu Denken gut sein solle, dann doch wohl sie selbst, die um ihre eigene Erkenntnis-Kompetenz ganz genau weiß (nämlich exakt und präzise aus sich selbst heraus), und niemand sonst?
Hinzu kommt, dass eine "Idee des Denkens" ja bereits einer spiritualistischen Weltanschauung angehört, somit eine „Ideologie“ (i. w. S.) darstelle, was sich mit weltanschaulicher Neutralität nicht verträgt, zu welcher sich die Wissenschaft aber nun einmal bekennt oder auch bekennen muss...
…wobei man dann fragen kann, was eine „weltanschauungsneutrale Wissenschaft“ denn überhaupt zu erkennen gedenke? Setzt nicht der Gedanke der Weltanschauungsneutralität die Unerkennbarkeit der Welt voraus? Wenn die Welt unerkennbar ist in ihrem Wesen (ggf. in der ihr zugrunde liegenden Schöpfer-Idee), dann kann sie beliebig angeschaut werden. Und dann gibt es keine Möglichkeit zu entscheiden, wer der Wahrheit nähersteht und wer ferner, ja nicht einmal, ob sich innerhalb der Menschheit überhaupt eine Anschauung findet, die der Wahrheit nahekommt, oder ob alle miteinander krass daneben liegen. Dann müsste man aber – konsequenterweise – sagen, eine Wissenschaft sei von Grund auf unmöglich und daher auch gänzlich sinnlos.
Und wir können den Sachverhalt noch von einer anderen Seite her betrachten, nämlich am Stuhl-Beispiel. Gesetzt, der Stuhl sei ein Kunst-Ding (mit der zugrunde liegenden Idee der Sitzgelegenheit), das nicht der Mensch hervorgebracht habe, sondern irgendeine andere intelligente Lebensform im Kosmos. Nun stieße der Mensch – irgendwie – auf solche Stuhl-Dinge im Kosmos, die nicht seiner Welt und Kultur angehörten, sondern einer fremden Welt und Kultur. Und nun kommt unsere „weltanschauungsneutrale Wissenschaft“ herbei und versucht, sich diesem Phänomen der Erscheinungswelt erkennend zuzuwenden. Was kann sie bewerkstelligen? Sie kann diese Stuhl-Dinge beschreiben, z.B. mit nahezu allen aristotelischen Kategorien der Quantität, Qualität, Relation, Wo usw. Aber ein Einziges könnte sie nicht, weil sie es ja nicht einmal dürfte, nämlich, das Erscheinungs-Ding beim Namen und Wesen zu nennen (Substanz, Ousia = Sitzgelegenheit sein) und also auszusagen, es handele sich hierbei um ein „Ding zum Sitzen“, dem die „Idee der Sitzgelegenheit“ zugrunde liege. Denn damit verletzte sie ihre eigenen Prinzipien, sich nämlich weltanschauungsneutral zu verhalten, denn sie hätte das Ding exakt in der Welt- und Kulturanschauung der anderen intelligenten Lebensform benannt – und objektiv erkannt.
Was also kann eine weltanschauungsneutrale Wissenschaft denn überhaupt objektiv erkennen? Wenn es Ideen der Dinge gibt, dann ist die Ding-Erkenntnis nicht weltanschauungsneutral möglich, sondern nur in der Idee, aber diese ist eine „Ideologie“ und somit nicht neutral und scheidet somit für unsere Wissenschaft als Erkenntnis-Ergebnis aus.
Und wenn es keine Ideen der Dinge gibt, so ist jede Ding-Anschauung möglich und gleichwertig, und dann muss der Wissenschaft jeglicher Maßstab fehlen, überhaupt eine „Objektivität“ festzustellen, und ihre Aussage hat nicht mehr und nicht weniger Wert als diejenige des Common Sense, kurz: Man kann sich die Wissenschaft (und ein Geldausgeben für sie) sparen.
Folglich muss eine weltanschauungsneutrale Wissenschaft ein Ding der Unmöglichkeit sein, es sein denn, jemand könnte plausibel machen, welcher Sinn mit einer „stuhl-neutralen Stuhl-Erforschung“ verbunden werden könnte...
Mir scheint, die Weltanschauungsneutralität ist eine staatliche Kategorie, keine wissenschaftliche. Denn der Staat muss dafür sorgen, dass das Zusammenleben auch mit „Ausländern“ (Menschen mit Migrationshintergund) klappt (die gab es auch schon in den griechischen Stadtstaaten, Xenoi, wobei damals der Terminus zugleich "Ausländer" und "Gast" bedeutete), und so gilt für den Staat ein Gleichheitsgebot unterschiedlicher Kulturen und Weltanschauungen. Wenn er diese Anforderung aber auf die Wissenschaft überträgt (z.B. im Rahmen einer Beamten-Weisungsbefugnis), so tut er nichts anderes, als diese Wissenschaft zu einer Schattenwissenschaft zu degradieren oder verurteilen, die an den Dingen alles Mögliche erkennen und feststellen kann und darf (gemäß den aristotelischen Kategorien) und nur tunlichst Eines vermeiden muss: die Dinge bei ihrem Namen oder Wesen zu benennen. Ein solcher Staat mag gut funktionieren, aber er setzt die Unerkennbarkeit der Dinge voraus, oder aber ein Erkenntnisverbot der Dinge, und ein neutrales Weltanschauen kann keine objektive Welterkenntnis hervorbringen…
...und irgendwie steht dann die akademische Wissenschaft in Frage...
Und so ist für mich nicht erkennbar, worin sich „unsere hochmoderne Wissenschaft“, sofern sie dem (rein menschenrechtlich gesehen richtigen) Diktum der Neutralität unterliegt, von einer hypothetisch angenommenen „platonischen Schattenwissenschaft“ unterscheiden sollte…
…und doch müssen wir bei
einer solchen Kritik und Negativsichtung des Staates nicht
stehen bleiben, sondern können sie – gleichsam im Handumdrehen
– in eine Positivsichtung verwandeln. Indem der Staat nämlich
weltanschauliche Neutralität wünscht (in Rücksichtnahme auf die
Gesamtbevölkerung, zuletzt auf die gesamte Menschheit), möchte
er auch eine weltanschauliche Dogmatisierung oder Verhärtung
verhindern. Das heißt, er sorgt (auch) dafür, dass die
Wissenschaft sich selbst nicht „materialistisch festzurren“
kann, sondern sich in einem gewissen weltanschaulichen
Abstand zu den Extrempositionen zu bewegen habe,
so dass sie in sich selbst gewissermaßen locker und gelöst,
unfestgelegt und undogmatisiert, weltanschaulich offen
bleiben muss. Und von diesem „Losgelöst bleiben vom
materialistischen Sog“ aus bleibt es dann möglich, die
Richtung auf den Geist hin zu nehmen, um in den rechten
(biblisch intendierten) Sog zu kommen (vgl. das Zitat zu
Abschnittsbeginn), falls allgemein erkennbar werden sollte,
dass eine Neutralitätsidee zu einer dauerhaften
Verleugnung des Seinsganzen in seinem Wesen
führt, was freilich einen Schlauch an Schlussfolgerungen und
Lebensumorientierungen nach sich zöge...
Weiter. Wenn es des Menschen Wesensaufgabe wäre, die Idee des Universums zu finden (welche die Ideen der Naturdinge in sich fasst), so müssten wir für das Ganze des Seins, für den im (oder als) Universum ablaufenden Prozess, sozusagen zwei Teile unterscheiden: Zuerst die Schöpfung des Ganzen durch „Gott“ und Ausbreitung ins Viele und Zerstreute im Universum, und dann aber die Wieder-Zusammenführung dieses nun Zerstreuten, durch ein an der Peripherie des Seins zu sich kommendes, mit Vernunft begabtes Wesen, wie beispielsweise den Menschen, dessen eine und einzige Aufgabe im Grunde dann darin bestünde, aus sich selbst heraus ebenjene Schöpfungsidee wiederzufinden oder zu wiederholen, die sein Schöpfer ursprünglich fasste, indem er sich den Menschen und sein universales Erkenntnis-Wesen ausdachte und hervorbrachte?
Und wäre dies dann nicht auch die vollkommene und wohl auch einzig mögliche Rechtfertigung Gottes, die Lösung der Theodizee-Frage, indem der Mensch genau das wieder wollte, was „Gott“ zuvor schon ursprünglich wollte?
Natürlich dürften wir in unserer modernen Zeit heute nicht mehr einen geoanthropozentrischen Fehler machen und behaupten, die kleine Erdenmenschheit solle die gesamte Schöpfung und das Universum zur Erfüllung bringen. Vielmehr sollten wir – bereits mit Giordano Bruno – annehmen, es gebe möglicherweise viele oder gar unzählige „Menschheiten“ – also animales rationale -, vielleicht auch in mannigfaltiger sinnlicher Gestalt, abweichend von der unsrigen, die alle diese eine und einzige Aufgabe im Universum hätten?
Und wenn wir nun auf unsere Astrophysik hinblicken, die im Universum stellare, interstellare und galaktische Katastrophen beobachten und ausmachen kann, werden wir dann nicht sagen müssen, die „Schöpfungsaufgabe“ komme nicht überall im Universum ans Ziel, sondern könne auch scheitern, so wie wir ja auch jetzt schon an uns selbst beobachten könnten, wenn wir wollten, dass animales rationale sehr wohl imstande sind, willentlich auf Katastrophen zuzusteuern?
Wir wollen jetzt aber nicht über die Anderen spekulieren, sondern in erster Linie an uns selbst denken und an die uns eventuell oder mutmaßlich gesetzte Aufgabe. Denn für die Anderen können wir von hier und jetzt aus wohl nichts tun, für uns selbst hingegen womöglich schon.
***
Und um deutlich zu machen, was es ist, das wir zunächst einmal für uns selbst tun können, will ich die obige Frage eines kosmisch runden Denkens, das eine Kreisbewegung vollziehen müsse, nochmals aufgreifen.
Ist es nicht so, dass, wenn wir die Idee unserer selbst finden können sollten, wir eine solche Idee zuerst einmal ins Auge fassen müssten?
Und diese Idee sendeten wir dann in irgendeiner Richtung los, ins Universum hinaus oder hinein…
…so wie wir ja auch unser Forschen einmal irgendwo angesetzt haben, um von dort aus dann auch ins Weitere und Fernere zu gehen…
…und hierbei schickten wir also die Idee unserer selbst gleichsam uns selbst voraus, zunächst einmal als bloßen Gedanken unserer selbst (bevor wir ans ideengemäße Handeln gingen), also sozusagen im Universum vor uns her…
…wie einen Pionier oder eine Raumsonde, der oder die uns das Gelände sondieren soll…
…und mit dieser Idee unserer selbst versuchten wir dann, das Ganze des Seins durchzugehen oder durchzunehmen…
…so wie wir ja auch in unserer Wissenschaft Prinzipien aufstellen, um die Wirklichkeit daraufhin zu überprüfen…
…und wenn nun unsere Idee hierbei auf keine dauerhaften Widerstände oder unlösbaren Problematiken stieße, also an den Realitäten, auf die sie (im Gedankenspiel) träfe, sozusagen nicht zerschellte, sondern gleichsam widerspruchsfrei einfach durchlaufen würde, durch den gesamten Kosmos…
…wie ein von uns entworfenes wissenschaftliches Denksystem, das durch keine Fakten beeinträchtigt werden kann…
…und wenn sie, diese von uns hinausgesandte Idee unserer selbst, zuletzt von der anderen Seite des Universums her dann zu uns zurückkäme, gleichsam wie ein Bote, der uns mitteilte: „Ich habe nichts im Universum finden können, das mir widersprochen hätte“…
…so wie man auch in der Wissenschaft eine Theorie solange als wahr festhalten muss, als sich nichts Widersprüchliches ergeben hat…
…müssten wir dann nicht diese zu uns zurückkehrende Idee unserer selbst, die wir schon solange Zeit hier auf Erden entbehren mussten, ohne dass uns bislang klar geworden wäre, dass wir geschichtlich ohne sie zu uns kamen und hierbei ein im Grunde genommen „ideenloses Leben des Menschen“ erhandeln und notdürftig über die Runden bringen mussten und immer noch müssen…
…als hätten wir seit Jahrtausenden Umgang mit „Naturwesen“ (mit "Menschen") gepflegt, die nicht wir selbst hervorgebracht haben, sondern eine andere intelligente Lebensform im Kosmos; Umgang gepflegt einfach dadurch, dass sie – mit uns – „da waren“, ohne zu wissen, welches der Sinn und Zweck dieser Naturwesen sei, was uns aber dadurch verborgen blieb, dass wir ihnen einfach einen eigenen Sinn und Zweck gaben, unter welchem wir sie nun „seit Jahrtausenden kennen“…
…müssten wir sie dann nicht – aufgrund ihres widerstandslosen Durchlaufens, also ihrer Widerspruchsfreiheit - als die wahre Idee unserer selbst betrachten können…
…so dass diese zurückgekommene Idee zuletzt gar nicht mehr alleine wäre, - sozusagen neutral freischwebend im Kosmos -, sondern den einen oder anderen von uns Geländeerkundern oder Geistesforschern wie in sich aufgenommen hätte, indem diese sie angenommen hätten…
…ähnlich wie Galilei aus der Beobachtung des Pendelns des Kirchenleuchters gewisse Ideen eines Pendel- und Fallgesetzes als zutreffend annahm und aus dem intelligiblen Irgendwo her in unsere irdische Wirklichkeit herunter- und hereingeholt hat…
…Und müsste es dann nicht auch so sein – aus einer spirituellen Sichtung des Universums, so war und ist ja unsere momentane Setzung -, dass unsere Idee jetzt erst, nach ihrer Rückkehr, sozusagen „bemannt“ wäre, indem wir diejenigen wenigen Menschen unter uns, die sie zuerst angenommen hätten, mit einem gewissen Recht „erste Menschen“ nennen könnten, denn sie würden den Anfang damit gemacht haben, in ihrer Idee zu leben, zumindest einmal versuchsweise, nicht mehr außerhalb ihrer oder ihrer unbewusst, sondern nun in rechter Ideen-Gemeinschaft lebten, oder durch die miteinander geteilte Idee in ihrem zwischenmenschlichen Geist und Wesen und Wollen und Wirken, also in ihrer Wirk-lichkeit geeint wären…
…Und durch diese wenigen „ersten Menschen“ würde diese Idee, die an oder in sich selbst vielleicht einfach nur neutral als „Wahrheit“ im möglichen Gedanken-Raum umherschwebte, womit sie geeignet ist, den Menschen zu erfassen oder auch nicht zu erfassen…
…analog zu den Kirchenleuchten im Dom zu Pisa, die seit Jahrhunderten neutral herumpendelten, ebenso wie viele andere Kirchenleuchter auch in vielen anderen Gotteshäusern, unbeachtet vom animal rationale, bis sich endlich ein aufmerksamer Galilei fand…
…wie vielleicht auch heute noch manches andere, welches erkennend zur Kenntnis zu nehmen womöglich fundamental wichtig für uns als Menschheit wäre, aber immer noch unergriffen und unbegriffen im Ideenhimmel lose und wie in einem Wirklichkeits-Leerlauf dahinschwebt, als wollten oder könnten irdische Menschen ihre eigene Wirklichkeit nicht er- und begreifen?...
…durch diese „ersten Menschen“ würde die (neutral umherschwebende) Idee einen (neuen) Impuls erhalten…
…als würde bei einem Raumfahrzeug ein zusätzliches Triebwerk gezündet werden, um ihm eine neue Richtung im kosmischen Raum zu geben…
…und so würde diese wahre Idee des Menschen durch diejenigen wahrheitssuchenden Menschen gleichsam angezogen und so erst zu der unsrigen werden, und würde dadurch erst mit einem rechten, lebenskonkreten Impetus hinunter auf die Erde versehen werden, unter uns Erdenmenschen…
…analog zu den Galileischen Pendel- und Fall-Gesetzen, die ohne einen Galilei kein irdisches Dasein bekommen hätten…
…um der seit jeher vorläufigen, - um nicht zu sagen - über den Daumen gepeilten…
…Handlungs-Praxis der Menschheit erst die rechte Ausrichtung zu geben,…
…auf dass die Menschen zu ihrem rechtmäßigen Wirken und in ihre rechtmäßige Wirk-lichkeit hineinfänden…
…alternativ zu ihrem bisherigen - ideenlosen – Traditions- oder Gewohnheits-Handeln, wir könnten auch sagen: ihrer bisherigen Ungefähr- oder Geratewohl-Wirklichkeit…
…indem diese ersten oder Idee-Menschen auch in die „ideen-wahre“ Wirklichkeit des Menschen und der Menschheit hinein vorausgelaufen wären, - in Gedanken -, also auch in deren noch un-sichtbare, weil noch un-erwirkte, daher noch un-wirkliche Zukunft ihres höheren - aber ideen-, schöpferkonformen und zeitübergreifenden - Wesens…
…wovon die Idee-Menschen ja bereits eine gewisse Kenntnis und Ahnung erlangt haben müssten, indem sie die hinausgesandte Idee in Gedanken oder mit ihrem forschenden Denken auf ihrem Weg in die Weiten des Kosmos (den wir nicht auf den Raum verkürzen dürfen, sondern auch in der Zeit und Geschichte berücksichtigen müssen) hinaus begleiteten…
…so wie auch unsere Astrophysiker mit ihren Wissenschaftsideen bei der Sache sind, wenn sie große und großartige Vorgänge im Weltenraum beobachten und zu deuten versuchen…
…Und wäre es dann nicht so, als würde sich diese – nun bemannte und vom Menschen angenommene und sogar angezogene - Idee, die sich ja beim Zurückkommen in einer kosmischen (Denk-)Bewegung befände; als würde diese Idee „sich“ nun aus der Höhe - sozusagen en passant in ihrer Bewegung - zu uns Erdenmenschen niederbeugen und uns sagen: „Ihr könnt jetzt mit mir kommen, wenn ihr wollt. Denn ich habe einen Aus- und Durchgang gefunden aus eurer Erscheinungswelt, und zwar in die höhere spirituelle Wesenhaftigkeit euer selbst und eurer Zukunft hinein…
…in (Geist-)Welten, die für euch bislang keine Existenz gehabt haben, obwohl die Alten davon noch wussten, analog zu den vorkolumbianischen Europäern, für welche Amerika nichtexistent war, obwohl die sog. Wikinger schon dort gewesen waren, woraus ihr wiederum ersehen könnt, dass euer eigener Nachrichten- und Kommunikations-Fluss nicht der allerbeste ist“…
…analog zu kryptischen Bibelstellen, die nach meiner Meinung auch von unseren Gegenwartstheologen noch nicht „scharfgesehen“ werden können, weil sogar sie der „materialistischen Seinsperspektivik“ verfielen, im Gegensatz zur – auch biblischen – Geist-Perspektivik, z.B. denjenigen Stellen, wo davon die Rede ist, dass, wenn eine Zeit der Reife oder Ernte auf Erden gekommen sei, die einen „mitgenommen“ werden, die andern aber „zurückgelassen“…
…wobei die „Reifung“ sich auf das menschliche Denken, wir könnten auch sagen: auf die Qualität unseres (differenzierungsgeübten und begriffssensibel gewordenen) Wissenschaftens beziehen könnte, die „Ernte“ hingegen auf den Eintritt in ein geistiges Dasein, vielleicht auch Wiedereintritt in die Geistwelt, nur ab dann nicht mehr als unbewusstes Anhängsel höherer Geistwesen, wie vermutlich früher, sondern als seiner selbst bewusst gewordenes Geistwesen mit eigenständigem Aktionszentrum, das in die kosmische Wirkens- und Wirklichkeits-Praxis über- und eingehen kann und wird, bei denen, die ihre Idee annehmen und daher in ihrer eigentlich menschlichen Existenz aufgehen werden, jetzt im doppelten Sinn?
Dann hätten wir einen Beweis des mutmaßlichen kosmisch runden Denkens, das eine Kreisbewegung (oder auch Spiralbewegung) in sich vollführt und welches über unser gegenwärtiges Prämissen-Denken (das auf einem festen Grund aufliegt und ihn nicht in sich einholen kann) hinausführen würde...
…denn eine spirituelle Idee kann ja ihren Beweis nicht allein auf der Denkebene finden, sondern nur in einem realen Hinüber- und Eingehen in die Geistwelt selbst…
…und so findet der biblische „Glaube“ seine Vollendung ja auch nur in einem Realwirken des sog. Heiligen Geistes, in einem vom Menschen zu erlebenden Pfingsterlebnis, indem der himmlische Geist beginnt, spür- und erlebbar in die Leiblichkeit des Menschen hineinzuwirken, zugleich allgemeinverständlich, die „Sprachverwirrung unter den Menschen“ endlich wieder auflösend.
***
Bleibt ein solches Erlebnis aus, ist es nichts mit einer spirituellen Weltanschauung, und sie ist leeres Gerede.
Eine wahre spirituelle Welt-Idee muss ihren Hebel im Denken des Menschen ansetzen und so die Geist-Welt daraus wie aus ihrer irdischen Verankerung heben und hervorzaubern können…
…wie man denn sagen kann, dass beide Sphären, Sinnenwelt und Geistwelt, beide nun als unendlich gesetzt, sich im Sein des Menschen begegnen oder überkreuzen, indem der Mensch ein im Sinnlichen erscheinendes Geistwesen ist, so dass er von vornherein in beiden Sphären steht, nicht nur in der sinnlich-sichtbaren, sondern auch in der übersinnlich-unsichtbaren.
Weil aber die sinnliche Sphäre in der menschlichen Existenz ein sehr großes Übergewicht (bekommen?) hat, überstrahlt sie die wahren Verhältnisse und drängt das Seelisch-Geistige in eine menschliche Kaum-Wahrnehmbarkeit zurück, so wie die übermächtige Sonne täglich die kosmische Dauer-Nacht in unserer Wahrnehmung des Kosmos „verfälscht“ – analog zum „augenscheinlich-falschen“ Umlauf der Sonne um die Erde.
Und so ist der Anteil des Menschen an der Geistwelt wie in die Schattenhaftigkeit minimiert – insofern sollten wir uns heute den platonischen Schatten-Terminus umkehren: Das Sinnlich-Sichtbare gilt uns als das Wahre, und das Geistig-Unsichtbare gilt uns als das Schattenhafte oder gar Unwirkliche.
Nur das Denken ist uns aus der geistigen Sphäre übriggeblieben, das der Mensch als real ankennt, indem er es als seine eigene Tätigkeit weiß. Zugleich ist das Denken aber unsichtbar und über den sich ständig in den Vordergrund rückenden sinnlichen Eindrücken kaum wahrnehmbar, weshalb wir uns eben auch so schwertun zu sagen, was alles in unserem Denken eigentlich geschieht oder schon geschehen ist, nämlich durch unser eigenes Urteilen, von uns aber als unsere Tätigkeit zuerst vergessen wurde und seither übersehen wird.
Wir müssten unser Denken eigentlich so ansehen, als würden wir ständig an ihm vorbeisehen, so beifällig oder flüchtig ist sein Eindruck auf uns.
Dasselbe gilt für die Psyche und die in ihr ablaufenden Vorgänge, die wir auch als Handlungen unsererseits anerkennen müssten. Doch ist der seelisch-geistige Bereich für uns wie ausgeblendet, weil wir ihn nicht als eine Gegenständlichkeit uns gegenüber haben, so wie ein reines Geistwesen ein geistanschauliches Blickfeld haben mag, in welchem seine eigenen Emotionen und Gedanken zugleich innerlich-subjektiv als auch äußerlich-objektiv sichtbar sein mögen.
Und daher müssen wir unter Bemühung all unserer Konzentrationskraft solchen Vorgängen jeweils im Einzelnen nachzuspüren versuchen, um sie überhaupt in unser Wahrnehmen hereinzubekommen, so als wären wir im Sinnlichen fast Blinde und müssten deshalb an den einzelnen sinnlichen Gegenstand ganz nah herantreten, um überhaupt irgendeine Kenntnis von ihm zu erhalten. Und deshalb dauert eine Kant-Fragestellung 2300 Jahre, eine Freud-Fragestellung noch länger.
Wir können den Sachverhalt auch noch anders formulieren: Wenn der Geist, der Spiritus, der Urgrund allen Seins wäre, so kann das Denken des Menschen auch nur „wahr“ werden, wenn es sich spiritualisiert, also vergeistigt, in ein Geist-Dasein eintritt…
…das es zwar schon immer hat, indem es selbst etwas Geistiges ist, aber es hat sich selbst nur sehr schattenhaft, beiläufig, nebensächlich. Und deshalb wird es sich selbst seine volle Aufmerksamkeit widmen müssen, wenn es – inmitten der sinnlichen Übermacht - dieses sein Geist-Dasein auch nur wahrnehmen und erkennen will. Hierzu ist eine Aufmerksamkeitsverlagerung erforderlich, mit Platon könnte man auch sagen: eine Umlenkung der Seele…
…oder, um einen technischen Vergleich zu wählen, als würde sich die Tiefenschärfe von außen nach innen wenden, wobei unser Denken wohl unsere technischen Möglichkeiten noch übersteigen kann, denn technisch kann man die Blickschärfe nur von einem Fernen in ein Nahes wechseln (oder umgekehrt). Das Denken kann aber noch einen Tiefenschärfe-Schritt weiter gehen, nämlich vom Außen in sich selbst hinein, als könnte eine Linse sich selbst ins Visier nehmen. Nur dass eben sinnlich-technisch dann „nichts“ erscheint, während geistig "das Denken" vor sich selbst zum Vorschein käme...
***
Und wenn wir nun solches „schwebende Denken“ noch gar nicht entwickelt haben, so können wir trotzdem von unserem mutmaßlich gegenwärtigen „Jenseits unserer selbst“ aus schon vorausfragen:
Muss es nicht etwas wie einen…Halt an sich…geben?
Und könnte nicht diese Eigenschaft ein Proprium des Geistes als solchen sein? Weil „der Geist“ keine Stütze im Universum braucht und auch gar nicht brauchen kann, wenn er doch - umgekehrt - selbst Stütze und Motor des Universums ist und sein will…
…was aus einem geozentrisch-materialistischen Denken heraus undenkbar ist, aus einem kosmozentrisch-spiritualistischen Denken aber sehr wohl?
Und was hieße das dann für unsere Wurmfortsätze, mit denen wir uns immer noch herumschlagen müssen, zumindest sollten, und von denen wir uns bislang einfach tragen lassen: Würden wir auf der Rechten unser Über-Ich zurückfahren können (in sich resp. ins Ich) und auf der Linken unser Unbewusstes einholen können (in sich resp. ins Ich) – würden wir vielleicht auf solche Weise uns selbst zu einem Geistwesen machen können, zum Geist selbst, der seinen Halt in sich hat?...
…nicht mehr außer sich...
…wie z.B. in einem Gott, von welchem der Mensch als Gläubiger meint, er brauche ihn unbedingt für seine Existenzsicherung oder auch als Lebensversicherung über den eigenen Tod hinaus? Indem der Gott der Herrscher und Macher ist, der im Universum das Sagen hat, der Diktator…
(…aber dieses Wort verwenden wir nicht und denken wir lieber nicht einmal, indem vor dem Gott besser alle Kritik schweigt, vorsichtshalber…)
…der das Leben über den Tod hinaus schenken kann, wenn man sich nur lebenslang tief genug vor ihm verbeugt und hierbei sein Seelen- oder Geistesauge ganz fest zuzwickt, um IHM (oder sich selbst?) glaubhaft versichern zu können, es ginge einem um IHN, und nicht etwa um sich selbst?
Dabei will der Gott dies vielleicht gar nicht von dem Menschen – seine Beugung, sondern etwas ganz Anderes, womöglich Gegenteiliges, wie wir z.B. im Johannesevangelium lesen können:
"Aber es kommt die Stunde
und ist schon jetzt, dass die wahren Anbeter den Vater anbeten
werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will
solche Anbeter haben. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die
müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten." (Joh.
4,23f)
Übersetzung:
Lutherbibel,
revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft,
Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT/Johannes4,
abgerufen am 30.03.2024.
Zum Vergleich siehe: Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH,
externer Link: https://www.bibleserver.com/EU/Johannes4,
abgerufen am 30.03.2024.
Ich und die
Einheitsübersetzung - grundsätzliche Anmerkungen zum
Übersetzungsvergleich
A. Kirchenmusikalische Vorgeschichte
Ich bin gebürtiger Katholik und erst
später zur evangelisch-lutherischen Konfession
konvertiert.
Dennoch bin ich zuerst mit lutherbiblischen Texten in nähere
Bekanntschaft gekommen, vermittelt über eine
kirchenmusikalische Ausbildung in meiner Gymnasialzeit. An
erster Stelle ist hier Johann Sebastian Bach zu nennen,
beispielsweise in den Textunterlegungen seiner Motetten, z.B.
"Jesu, meine Freude", in der sich die zu einem Choral
verarbeiteten Strophen des gleichnamigen Kirchenliedes von
Johann Franck abwechseln mit fünf individuellen Gesangsteilen,
denen jeweils Verse aus Röm. 8 zugeordnet sind, z.B. "Denn das
Gesetz des Geistes, der da lebendig machet in Christo Jesu hat
mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes" (Röm.
8,2).
Über das Lutherdeutsch kommt man nicht nur in den biblischen
Geist hinein, sondern zugleich auch in die - ich sage mal -
Mollhaltigkeit deutscher Geschichte und Seele, was mir als
Exkatholiken ganz besonders aufgefallen ist, wenngleich
Evangelisches Gesangsbuch und Katholisches Gotteslob eine ganze
Menge ökumenischer, also gemeinsamer Kirchenlieder enthalten.
Aber im katholischen Kirchengesang tritt m.E. das Deutsche als
solches gar nicht in Erscheinung (Ausnahme vielleicht:
Schubert?, vgl. seine Deutsche Messe), und so musste ich zuerst
das "Befiehl du deine Wege" eines Paul Gerhardt (Musik:
Bartholomäus Gesius) oder das "Komm, oh Tod, du Schlafes
Bruder" (= Du, o schönes Weltgebäude) eines Johann Franck
(Musik: Johann Crüger) kennenlernen, um gleichsam das
Erinnerungserlebnis zu bekommen: "Ach, ja, richtig -
so wird deutsch gesungen und empfunden!" Und es passt
eben zeitlich sehr gut, dass beide Kirchenliedtexter in den
Wirren des Dreißigjährigen Krieges lebten und wirkten, welcher
wiederum mindestens religionskriegerische Ursprünge hatte,
indem gegenreformatorischen Bestrebungen ein böhmisch
überdeutliches Zeichen entgegengesetzt wurde, 100 Jahre nach
Luthers Glaubens-Intervention.
Die evangelischen Kirchenlieder zeigen keine "Pracht und
Glorie", sind in ihrer Melodieführung, in ihrem Duktus nicht
klar und eindeutig, sondern enthalten eine feinsinnige
Seelenbewegung in sich, zeigen oft eine gewisse Unstetheit oder
Wankelmütigkeit. Die Melodien wirken wie verhalten, hie und da
wie abgebrochen, womöglich unterstützt durch die dorische
Kirchentonart, die sich mit unserem Musikempfinden ein wenig
beißt, wie alle Kirchentonarten, so dass man spürt: "Dieser
Seelenhaftigkeit fehlt offensichtlich noch irgendetwas. Sie
kann nicht in sich rund laufen. Sie ist wie nicht voll am Leben
oder im Leben drinnen." Das evangelische Kirchenlied hat daher
etwas in sich Unvollendetes. Allerdings hat Bach dann diese
ganze Geistigkeit in sich aufgenommen und ins Musikalische
umgesetzt und man möchte sagen: ihm die fehlende Rundung und
Geschmeidigkeit gegeben. Und deshalb darf man als Protestant
auch einmal Stolz zeigen, indem man Bach den Großen in den
eigenen Reihen weiß, sicher und fest, wie das Amen in der
Kirche, oder auch wie der gut versteckte Junker Luther auf der
Wartburg, der sich dort wie Johannes auf Patmos gefühlt haben
mag, während er in sicherer Verborgenheit das Neue Testament
aus dem Griechischen ins Deutsche übertrug.
Aus
seiner Übersetzung des Alten Testamentes aus dem Hebräischen
erahnt man dann auch biblisch-jüdische Geistigkeit,
beispielsweise Jes. 43,1: "Fürchte dich nicht, denn ich habe
dich erlöset. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen: Du bist
mein!", was Bach zu einer weiteren Motette inspirierte.
Musikalisch passt Bach aber besser zum Christentum und Neuen
Testament, und wenn wir ins Judentum hineinkommen wollen,
sollten wir uns daher an (den jüdisch geborenen und
protestantisch konvertierten) Felix Mendelssohn-Bartholdy
halten, der - einfach frei fließend aus sich selbst heraus -
biblisch-jüdische Seelenart und Geistigkeit in Musik umwandeln
konnte, wobei ihm die Lutherbibel durch ihre Formulierungen
hier sicherlich bereits entgegenkam. Nehmen wir seine
Psalmenvertonungen: "Warum toben die Heiden" (...und die Leute
reden so vergeblich. Die Könige im Lande lehnen sich auf, und
die Herrn ratschlagen miteinander wider den HERRN und seinen
Gesalbten - Ps. 2), oder "Richte mich, Gott" (...und führe
meine Sache wider das unheilige Volk. Und errette mich von den
falschen und bösen Leuten - Ps. 43). Das Christliche vertont
Mendelssohn dann weitaus weniger gut, denn offensichtlich meint
er, aus seiner konvertierten Ratio heraus, dem Christlichen
Glanz verleihen zu sollen (vgl. sein "Lauda Sion", und
interessanterweise recherchierte ich im Nachhinein, es sei für
den katholischen Gottesdienst bei ihm in Auftrag
gegeben worden und bestimmt gewesen).
Die Ausformulierung der Lied-Titel in ihre ersten Sätze hinein
gebe ich hier deshalb wieder, weil mir die ursprüngliche
Luthersprache - über die kirchenmusikalische Bibelvermittlung -
in Fleisch und Blut übergegangen ist, so dass mir die alten
Lutherverse tiefer sitzen (und "stimmiger" erscheinen) als
spätere Sprachangleichungen der Lutherbibel, indem im
Mendelssohn-Psalm oder im Paul Gerhardt-Lied die jeweilige
Geistigkeit unmittelbar präsent ist und mitschwingt. Auch
deshalb erscheint es mir unbedingt wichtig und wertvoll, in der
Lutherbibel am alten Lutherdeutsch festzuhalten, um die
Luther-Geistigkeit in ihrer Ursprünglichkeit mitzubewahren, und
man kann auf den großen Bach auch einen ganz anderen
Blickwinkel werfen, indem man sein kirchenmusikalisches
Hoffähigmachen evangelisch-lutherischen Glaubens mit einer
gewissen Skepsis ansieht, mit Bedenken und dem Vorbehalt, ob
dieser Glaube dadurch nicht eine Art Schädigung erhalten habe,
durch das Bach'sche universalmusikalische Adaptationsvermögen,
das, was immer es anfasst, doch auch ein gutes Stück
"glattbügelt", ihm seinen unverkennbaren "Bachstempel"
aufdrückt, wodurch man Bachkompositionen als solche auch dann
identifizieren kann, wenn man sie noch niemals gehört haben
sollte. Als Anschauungsbeispiel kann ich hier nochmals die
Motette "Jesu, meine Freude" benennen, in der früheren
Vertonung durch Dietrich Buxtehude (zu welchem Bach gereist und
in die Orgel-Lehre gegangen war) und der späteren
Bach-Vertonung. Die Buxtehude-Version hat noch etwas Kantiges,
Ungeglättetes, das in der Bach-Version "getilgt" ist; zugleich
sieht bzw. hört man die Anleihen des Meisters beim
Meister.
Analog kann man beobachten, wie die Kirchentonarten, die auf
altgriechische Regionen oder auch Dialekte zurückverweisen, in
unser Dur-Moll-System hinein "begradigt" wurden, und als
Begradigungs-Musterbeispiel kann man Bachs "wohltemperiertes
Klavier" nehmen, das man gewiss positiv als genialen Kunstgriff
ansehen kann, aber eben auch gegenteilig, indem es ursprünglich
Vorhandenes zum Verschwinden bringt. Was passiert in solcher
"Flurbereinigung"? Das Schräge, das etwas schräg Klingende, das
vielleicht speziell mir im Wechsel vom katholischen zum
evangelischen Gottesdienst und Kirchenlied unmittelbar
wahrnehmbar wurde, wird aufgehoben, und damit ist zugleich ein
Weitergehendes getan: Die Assoziation unseres existenziellen
Schräg-, also Sünderseins ist mitbeseitigt, die dauerhafte
Mahnung und Erinnerung an unser faktisches Unfertigsein im
heilsgeschichtlichen Unterwegssein unserer Existenz
verschwindet uns in die Nichtwahrnehmbarkeit.
Nochmals anders versucht: Das evangelisch-lutherische
Kirchenlied hat dieses Spezifische an sich, dass es keinen
Rundlauf erreicht, sondern vor dem Rundwerden lieber immer
wieder abbricht und nochmals neu und anders ansetzt, als sei es
auf der Suche nach dem rechten Ansatzpunkt
für das zu singende, hervorzubringende, zu kreierende Lied, als
sei unbewusst das Wissen vorhanden, die physische
Ebene, die die physisch hörbare Musik hervorbringt, sei
noch gar nicht der rechte Grund und Boden, auf welchem
die eigentliche Begradigung, Pflege, Kultivierung der
menschlichen Existenz vonstatten gehen müsse, durch welche dann
erst eine wahre Musik, ein wahrer Gesang, ein
wahres Lied werde erklingen können (vgl. das
"fröhliche" Kirchenlied: "Fröhlich soll mein Herze springen"
von Paul Gerhardt / Johann Crüger; in gewisser Weise
vergleichbar - was deutsche Mentalität betrifft - dem "Ehre sei
Gott in der Höhe" aus Schuberts Deutscher Messe). Und einen
Hinweis für die Richtigkeit dieses Unbewussten finden wir in
der Offenbarung des Johannes: Sie kündet uns nämlich ein "neues
Lied" an, das nicht jeder Mensch wird lernen, hören und singen
können (Offb. 14,3), womit uns ja im Grunde schon gesagt ist,
unsere "kirchenmusikalische Problematik" müsse noch eine Weile
warten, bis zu ihrer endgültigen Auflösung in eine "höhere
Musik" hinein.
Im Vergleich nochmals Bach: Die Bach-Musik beginnt, vor uns zu
glänzen - und so muss ich mich gar nicht mehr wundern,
dass der protestantische Bach seinen Stammplatz auch
innerhalb der katholischen Kirchenmusik erhielt! Das
"Glänzen" ist nämlich eher eine römisch-katholische Domäne, und
ein Protestant oder Lutheraner als solcher kann damit
eigentlich gar nichts Rechtes anfangen: Er versteht es nicht,
muss es aus sich selbst heraus für "unangebracht", vielleicht
für "übereilt" und für "noch nicht an der Zeit" halten.
Der Ablasshandel aber, um auf diesen "Ursprung Luthers" zu
sprechen zu kommen, hatte eine wesentliche Motivation darin,
dass Alt-St. Peter, errichtet um 324 und zurückgehend auf den
"bekehrten" römischen Kaiser Konstantin den Großen, der um 313
die für das Christentum entscheidende "konstantinische Wende"
gebracht hatte; dass Alt-St. Peter durch einen prachtvollen
Renaissance-Neubau, den nachmaligen und jetzigen Petersdom in
Rom, ersetzt werden sollte, begonnen 1506, also knapp
vorlutherisch, und es sei nicht unerwähnt gelassen, dass
der Borgia-Papst, Alexander VI., der auch die
Welt in zwei Hälften aufgeteilt und "großzügig" zur
europäischen Jagd und Eroberung freigegeben hatte, sein Amt und
Leben 1503 verlassen hatte.
Dieser Text basiert auf den Artikeln "Petersdom" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Petersdom) und "Alexander VI." (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_VI.) aus der freien Enzyklopädie "Wikipedia" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren der Artikel "Petersdom" und "Alexander VI." verfügbar, dort jeweils unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum der Artikel: 13.06.2024 und 11.07.2024.
Mit "Glanz und Fülle" ist verbunden ein
königliches, erhöhtes Selbstwertgefühl, wie es beispielsweise
auch dem Ancien Regime natürlicherweise zueigen war,
insbesondere in der Zeit der Regentschaft des Sonnenkönigs
Ludwigs XIV. (1643/1661-1715), mit barocker Prachtentfaltung im
Schloss Versailles, wobei dieser Ludwig auch einen Italiener in
seine Dienste nehmen konnte, der dann einen französischen Namen
annahm und "die französische Barockmusik" produzierte:
Jean-Baptiste Lully - ein "Rundlauf", der den späteren
sozialgeschichtlichen "Fall" noch nicht erkennen ließ. Ludwig
II. von Bayern, der Märchenkönig, konnte im 19. Jahrhundert von
solcher Glanzwelt dann nur noch unzeitgemäß träumen, und er
musste sich auch um einen Richard Wagner immer wieder bemühen,
der aber trotzdem niemals sein "Bediensteter" wurde, man aber
sehr wohl die Wagnerschen Oberton-Klänge mit den Türmchen und
Turmspitzen des Schlosses Neuschwanstein in Verbindung bringen
kann, das weitgehend Außenfassade blieb: schöner Schein - ein
künstlich-vergebliches Ringen um Rundung, das allzu gerne
"hinaufwill", aber einfach nicht kann.
Nun bin ich nicht nur als Katholik geboren, sondern auch als
Bayer, und den Bayern scheint mir eine gewisse "Mia san mia"-
oder "Wir sind Wir"-Mentalität zueigen zu sein, die man auch
Alteingesessenheits-Selbstsicherheit nennen könnte
(wobei meine Äußerung keinen Bezug zum gleichnamigen
Vereinsmotto eines bekannten bayerischen Fußballvereins nimmt,
denn die Mentalität als solche ist ja weitaus älter und das
Vereinsmotto mag auch anderen, eigenen Inhalts sein). Und es
ist nicht weiter verwunderlich, dass bayerische
Mentalität und Katholizismus so gut
zusammengehen, denn man kann sich "bayerische Selbstsicherheit"
direkt in "päpstlich-katholische Selbstgewissheit" übersetzen:
"Ich bin der Petrus-Nachfolger. An mich ist
"der Auftrag" überkommen. An mir ist alles gelegen. An
mir hängt das Ganze der Christenheit und damit der
Menschheit. Ich bin und bleibe der Mittelpunkt der
Welt, bis zur Wiederkunft Christi. Punkt. Ende." Es ist, als
würde hier französisch-sonnige Selbstherrlichkeit
nachklingen...
Mir sagt solcher Eigen-Glanz nicht zu, und so bin ich dazu in
kritisch-ungläubige Distanz getreten, als hätte ich - unstimmig
zu mir selbst - das Irdische in falscher Region betreten. Aber
genau dadurch war ich besonders empfänglich für Differenzen
oder Interferenzen ebensolcher Existenzgrundhaltung, und so
konvertierte mir das (noch lateinisch) erlernte Beten
nach und nach zum Nachdenken der Bibel und
Hineinhören in sie, wobei der spätere
Konfessionswechsel dann nur mehr die äußerlich-formale
Zurechtrückung eines innerlich längst Vollzogenen war. Solches
in sich still werdende Beten oder Bitten oder Suchen nach dem
Wahren ist eigentlich gar nicht mehr hörbar, nur noch
(nach-)empfindbar, und es scheint mir die aufrichtigste,
zeitangemessenste Form des Betens zu sein: eine
gleichsam still-leise gewordene, innerliche Mönchs-Klausur, die
die Züge eines desillusionierten Ausharrens angenommen hat, in
der Erwartung, nein, Hoffnung eines Befreit- und Erlöstwerdens
zur Erkenntnis, zum Geist-
Emfang.
Suchen wir nun einen Begriff, mit welchem wir Luthers
Geistesgrundhaltung am besten charakterisieren können, so ist
es wohl dieser: Selbstzweifel, also das genaue
Gegenteil zum eben genannten bayerisch-katholischen Habitus,
indem Luther von der Ahnung, Vermutung, Befürchtung getragen
war, irgendetwas Gravierendes könne ihm zum wahren Christsein
noch mangeln, so dass er "verloren" sein könnte!? Und doch:
Luther konnte seine Selbstzweifel überwinden und zu einer
starken, kraftvollen Persönlichkeit werden, sicherlich auch
dadurch - Eisen schärft man an Eisen (Sprüche 27,17) -, dass er
mitansehen musste und nicht konnte, wie christliche Geistesart
im Ablasshandel gleichsam mit Füßen getreten wurde,
hintangestellt, um ein pomphaftes "Glanz-und-Gloria-Ziel"
schnellstmöglich auf den Weg zu bringen.
Was passierte also in Luther? Das krankhaft-subjektive
Beschäftigtsein in und mit sich selbst blasst in sich ab, tritt
in seinem Schwergewicht zurück und weicht dem
Gewahrwerden eines objektiv-gravierenden
Christlichkeits-Missstandes außer sich. Und dieses
beobachtbare, mit Händen zu greifende unlautere
christengesellschaftliche Geschäfts-Übel wiegt nun viel
schwerer als der Selbstzweifel, dessen christlich-lautere
Motivation Luther ja ursprünglich-authentisch, also
evident aus sich selbst heraus ganz genau kennt!
Und so geht es schließlich nicht
anders - was soll man denn machen als Christen-Mensch unter
Christen-Menschen, der man nun einmal ist!? Die innerliche
Sträubung und Empörung muss irgendwie heraus, soll und
muss an die Oberfläche schwappen - beginnend mit dem
(mutmaßlichen) Thesenanschlag von 1517. Es folgen: "Von der
babylonischen Gefangenschaft der Kirche" - "An den christlichen
Adel deutscher Nation" - "Von der Freiheit eines
Christenmenschen" (alle drei 1520), bis zuletzt zu: "Wider das
Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet" (1545). Die
reformatorischen Schriften ringen und suchen nach der rechten
Aussprache des Übels, zugleich des Richtigen, nach dem
rechtmäßigen Auftreten in der (im Innern doch wohl)
christlichen Gesellschaft, wobei uns der letzte Titel anzeigt,
dass ein "Gleichmaß milder, gewaltlos-kraftausdruckfreier
Vernunftsprache", die m.E. christlichen Geist als solchen
auszeichnet (vielleicht auch noch innerhalb einer
Kampfsituation), von ihm zuletzt nicht gefunden werden
konnte.
Eine ruhig-sachliche Argumentationsweise, so scheint mir, ist
nur auf der Grundlage wenigstens zweier Prämissen
möglich:
a) Christlichkeit und Vernünftigkeit fallen letztlich in eins
(dann nämlich, wenn der Heilige Geist im Menschen angemessen
wirken kann)
b) Die streitenden Parteien sind innerlich aufrichtig der
Vernunft und dem Wirken des Heiligen Geistes zugänglich
In a) stoßen wir an Luthers Grenze, aber, um die Sache nicht
einseitig stehen zu lassen: Er ist nicht der einzige, der
Grenzen hat...
Und so scheinen sich zunächst einmal grundsätzlich
gegenüberzustehen: römisch-katholische Selbstsicherheit und
protestantischer Selbstzweifel, wobei ein Selbstzweifel als
solcher nicht lebensfähig ist, sondern ein Anderes werden
muss... Und wenn wir nun in die Bibel, insbesondere in das Neue
Testament etwas näher hineinhören, so scheint es voll zu sein
mit Warnungen vor falscher Selbstsicherheit, wodurch
nun - dialektisch gesehen - der Selbstzweifel eine
gute Berechtigung und Rechtfertigung erhält, während
der Selbstsicherheit eine recht deutliche Absage erteilt
bleibt, indem in ihr immer die drohende Möglichkeit und
Gefahr besteht, sie könnte
"falsch" sein, was wiederum niemals äußerlich beurteilt werden
kann, sondern nur innerlich, soll heißen: nur vom einzelnen
Christen in und durch sich selbst, aber auch nur dann,
wenn dieser sich selbst dafür bereits sensibilisiert
hat (z.B. im Selbstzweifel), wofür die Bibel den Terminus
"wach sein" oder "wachsam sein" kennt und
benutzt.
B. Entstehung der
Einheitsübersetzung, erste Bibellektüre und
Theologiestudium
Dies ist der Hintergrund meiner
Begegnung mit der Einheitsübersetzung, die ihren Anfang damit
nahm, dass ich mir zum 20. oder 21. Geburtstag eine eigene
Bibel schenken ließ, parallel zur Aufnahme meines
(philosophischen, noch nicht theologischen) Studiums
(1982/83).
Insofern war ich schon mit einem gewissen lutherischen
Bibelverständnis bekannt geworden, ehe ich mich - nun
bewusst-reflexiv - der 1980 erstmals erschienenen
Einheitsübersetzung (soll heißen: ein für alle
deutschsprachigen Katholiken bestimmter, einheitlicher
Bibeltext) zuwandte, deren Entstehung auch im Zusammenhang mit
Neuerungen durch das Zweite Vatikanischen Konzil (1962-1965) zu
sehen ist, wodurch der Gebrauch der Landessprache in der
Liturgie möglich geworden war, so dass katholischerseits eine
deutsche Bibelübersetzung notwendig wurde.
Ich habe noch eine ganz schwache Erinnerung daran, dass mir der
damalige Erneuerungsgeist innerhalb der römisch-katholischen
Kirchengesellschaft in meine ersten Lebensjahre (ab 1962)
herüber- und hereinwehte, wie ein mich mit Freude erfüllendes
und mich positiv aufs Irdische einstimmendes Ereignis, welches
durch das von Papst Johannes XXIII. verkündete "Aggiornamento"
eine Kehrtwende römisch-katholischer Geistigkeit verhieß, hin
zu einem längst überfällig gewesenen Anschluss der
römisch-katholischen Kirche an "unser aller Gegenwart".
In Teilen (Psalmen, Neues Testament) ist die
Einheitsübersetzung auch im Auftrag des Rates der Evangelischen
Kirche in Deutschland und des Evangelischen Bibelwerkes (jetzt:
Deutsche Bibelgesellschaft) entstanden. Allerdings gilt das nur
für die Einheitsübersetzung von 1980, seit spätestens 2005
nicht mehr. Diese Problematik soll nicht mein Thema sein, auch
wenn es mich persönlich berührt. Und wer sich näher
interessiert, kann sich einmal folgende Verlautbarung der
Pressestelle der EKD vom 08. Sept. 2005 durchlesen:
"Evangelische Beteiligung an der "Einheitsübersetzung" nicht
mehr möglich. Rat der EKD bedauert Entwicklung" - Externer
Link: https://www.ekd.de/presse/pm163_2005_einheitsuebersetzung.htm,
abgerufen am 07.05.2024. Einige Schlagworte zur Thematik seien
noch benannt: Lithurgiam authenticam; Römischer Ritus; Nova
Vulgata; Normen für die Übersetzung der Heiligen
Schrift.
Die Revision der
Einheitsübersetzung von 2016 ist daher ohne evangelische
Beteiligung erfolgt - ein Pech, dass die Bischofskonferenzen
durch das Apostolische Schreiben von Papst Franziskus "Magnum
principium" erst zum 01.10.2017 größere Übersetzungsfreiheiten
erhielten; es war - so gesehen - einfach zu spät
dran.
M.E. liegt ein Vorteil der
Einheitsübersetzung darin, dass sie flüssiger zu lesen ist,
weil sie besser auf unsere Sprachgewohnheiten Bezug nehmen
kann, was sicherlich mit dadurch bedingt ist, dass sie nicht
auf eine Bibelübersetzung des 16. Jahrhunderts Rücksicht nehmen
muss, wie die Lutherbibel, zusätzlich zum griechischen
Urtext. Herausgeber
((Erz-)Bischöfe Deutschlands, Österreichs, der Schweiz u.a.)
und der Herausgebende Verlag der Einheitsübersetzung
(Katholische Bibelanstalt GmbH) sind sich dessen auch bewusst,
wie zu entnehmen ist einem Informationstext zur
"Einheitsübersetzung 2016":
"Der Übersetzungsstil der Einheitsübersetzung verbindet
charakteristischerweise Formulierungen des Originaltextes mit
gehobenem Gegenwartsdeutsch, so dass sich die gut verständliche
Übersetzung einer großen Beliebtheit nicht nur unter Katholiken
erfreut. ... Die Einheitsübersetzung bleibt nahe am Urtext und
somit an der hebräischen und griechischen Sprache. Sie
formuliert ursprüngliche Sprachbilder nicht um, sondern macht
den biblischen Klang hörbar, die Sprache wirkt biblischer."
(Externer Link: https://www.bibleserver.com/bible/EU, abgerufen
am 07.05.2024)
Ich selbst habe mich über Jahrzehnte an ihre Sprache gewöhnt
und durch sie zuerst eine eigenständige Bibelkenntnis erlangt.
Und mein "Griff zur Bibel selbst" kam dadurch zustande, dass
mir die Glaubensvermittlung über (römisch-katholischen)
Gottesdienst und Predigt belanglos erschien, nichtssagend. Da
war nichts, was mir diese "unsere Wirklichkeit und Gegenwart"
aus dem Glauben heraus verstehbar gemacht hätte. Der Glaube
erschien wie ein Fremdkörper, ein Diktat, das hinnehmen musste,
wer gerettet werden wollte, wobei selbst dieser Rettungsgedanke
als solcher keine plausible Vernunft- und Verstehform
annahm.
Und so war mein Herantreten an die Bibel als junger Erwachsener
(ab 1982/83), als angehender, lernbegieriger Student, geleitet
von der unbewusst schwelenden Frage: Ist die Bibelgrundlage des
christlichen Glaubens denn wirklich so dünn und dürftig, so
seicht und schwammig und bodenlos, dabei so starr, hart und
unnachgiebig, wie sie in seiner liturgischen Vermittlung
erscheint?
Nun zeigte sich mir aber die Bibel aufgrund meiner Eigenlektüre
als ein exquisites Buch. Wodurch zeichnet sich ein solches Buch
aus? Nicht dadurch, dass es das Leserinteresse
fesselt, auf sich hinbannt, sondern - im
Gegenteil - dadurch, dass es von sich selbst
wegverweist. Verständlicher formuliert: Ein gutes Buch
führt aus dem Lesen heraus, indem es ins Eigendenken
hineinführt.
Und kommt man nun über Textstellen der Bibel ins Nachdenken, so
kann das Bedürfnis entstehen, verschiedene Übersetzungen
miteinander vergleichen zu wollen, um zu prüfen, ob
verschiedene Sprach-, Verstehens-, Übersetzungsnuancen auch
eine Pluralität von Deutungsmöglichkeiten indizieren? Und dann
muss es ein Bedürfnis sein, z.B. den griechischen Urtext des NT
einzusehen, damit man ein Gespür für die Übersetzungsleistung
als solche bekommt: Was ist in der Bibel formuliert?
Und was ist übersetzerisch als Geist der Bibel
herausgeholt und entnommen?
Und in meinem Fall war es so, dass ich mir gleich das gesamte
Handwerkszeug unseres wissenschaftlichen Gegenwartsgeistes im
(theologischen) Herantreten an die Bibel jeweils ein bisschen
näher ansehen wollte (Textkritik, Formgeschichte, Bibelkunde,
Exegese, Biblische Theologie, Johannes-Formung,
Matthäus-Formung, Jesuslogien, Überblick über die Offenbarung
des Johannes [Prof. Klaus Berger in Heidelberg], Paulus und
Luther usw.), um zu meinem ersten Eindruck, an der
(übersetzten) Bibel ein vermeintlich Objektives vor
mir zu haben, in eine gesunde, kritische,
berichtigende Distanz treten zu können und der
Möglichkeitsvielfalt des Subjektiven in den Deutungen,
Interpretationen, Wahrnehmungen gewahr zu werden, die faktisch
dahinter steht - was man gut und sinnvoll vergleichen kann dem
Flüssigwerden eines nur scheinbar Festen. Und so kam
ich nicht umhin, Theologie zu studieren, und zwar evangelische
Theologie, denn der römische Katholizismus hatte mich aus sich
selbst heraus von sich selbst wegverwiesen
(Hier ist dieses selbe Wort anders
aufzufassen als zwei Absätze oberhalb. Richtig ist aber,
dass ich nach und nach auch ins Nachdenken über den römischen
Katholizismus als solchen kam). Meine Ersteinführung in Luther
erhielt ich durch Eike Wolgast, Prof. für Neuere Geschichte in
Heidelberg, der diese Einführung im Rahmen einer Vorlesung gab,
und zwar - offen und ausdrücklich - so, als sei ihm diese
Thematik gleichsam auferlegt worden, obwohl er selbst darin
nicht firm sei und also eigentlich gar nicht kompetent darüber
sprechen könne, so dass solche "Einführung" doch eigentlich
irgendein (fachseitig) anderer geben müsste, der mehr davon
verstehe. Immerhin: Er vermittelte mir einen solchen
Luther-Eindruck, dass ich im Anschluss mein Studienfach
wechselte: Evangelisch-lutherische
Theologie.
C. Vom Lesen zum Durchdenken der Bibel
Ist man nun zu der Überzeugung gekommen, die Bibel sei geistreich (im Sinne von gedankenreich), indem sie auf Schritt und Tritt das Denken dazu anregt, Buch und Text zu verlassen, man könnte auch sagen: vom Buchstaben zum Geist zu wechseln, dann muss man einzelnen Formulierungen einfach fragend nachgehen, anstatt sie schlicht und gedankenlos einfach hinzunehmen und leiernd herunterzubeten, so z.B. im Gleichnis vom Sämann:
"Zu jedem
Menschen, der das Wort vom Reich hört und es nicht
versteht, kommt der Böse und nimmt weg, was diesem
Menschen ins Herz gesät wurde; bei diesem ist der Samen auf den
Weg gefallen. ... Auf guten Boden ist der Samen bei dem
gesät, der das Wort hört und es auch versteht; er bringt
Frucht" (Mt. 13,19.23; Herv. v.
Verf.)
Einheitsübersetzung © 2016
der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer
Link: https://www.bibleserver.com/EU/Matth%C3%A4us13,
abgerufen am 18.06.2024.
Ich las diese Sätze, diese
Formulierungen und fragte mich: Warum sagt die Bibel denn so
etwas? Wenn jemand an mich heranträte, um mir etwas zu
sagen und einleitend spräche "Hör mir gut zu und versteh bitte
auch, was ich dir sagen will", so würde ich ihm
antworten: "Willst du mich beleidigen? Wenn du
ordentlich zu mir sprichst, werde ich doch
selbstverständlich das von dir Gehörte auch
verstehen können! Warum also machst du solche
überflüssigen Worte? Etwa, weil du mit andern schon die
Erfahrung gemacht hast, dass du selbst schwer verständlich
bist, dich also selbst unklar und missverständlich
ausdrückst?" In Bezug auf die Bibel wäre eine solche
Antwort und Reaktion sicherlich unangebracht, und so bleibt die
Frage: Warum formuliert sie so? Und dann muss man eigentlich
annehmen, dass ein "biblisches Höher-Wissen" zugrundeliegt, das
zwischen einem "Hören des Wortes Gottes" und einem
"Verstehen des Wortes Gottes" unterscheidet - eine
"Auslegung", die sich mir aus meiner römisch-katholischen
Herkunft heraus unmittelbar nahelegte, genauer: wie von selbst
verstand. - An dieser Bibelstelle, der Wendung des
"Hörens und Verstehens", machte ich für mich selbst
die Entdeckung, dass es Sinn mache, in der Bibel zu
"schürfen", indem sie mir so zu verstehen gab: "Du
bist nicht außergewöhnlich dumm oder ungelehrig, wenn du
Biblisches zwar hörst, aber (zunächst) nicht verstehen kannst,
sondern diese Möglichkeit und Gefahr besteht ganz
allgemein!"
Nach der Bibel sollten die Christen demnach damit rechnen, dass
es nicht nur ein "verstehendes Hören" gibt, sondern auch noch
ein "nichtverstehendes Hören"!? Und setzt man nun diese in der
Bibel gemachte Beobachtung als eine Erkenntnis an, z.B. als
"Bibelerkenntnis 1", so kann und muss man weiterfragen: Was
sagt sie denn sonst noch? Und so kann man dann anfangen, 1 und
1 zusammenzuzählen und zuzusehen, was dabei am Ende als
"Bibelsinn" herauskommen mag...
Speziell für mich legte sich
solches biblische Nachfragen nahe, indem ich aus
meiner römisch-katholischen Herkunft zu der Auffassung gekommen
war, im Glauben sei kein rechtes Verstehen enthalten,
vieles sei unverständlich, nur sei es eben als Dogma zu
glauben. Und es sträuben sich mir auch heute noch die Haare,
wenn ich (auch) in einem (evangelischen) Gottesdienst mitbeten
soll: "Der Friede Gottes, der höher ist als alle
Vernunft, sei mit euch" etc., selbst wenn diese
Formulierung aus dem Philipperbrief stammt (Phil. 4,7) und
Martin der Übersetzer sich mit Paulus dem Schreiber hier einig
war. - Es macht für mich gar keinen Sinn, an die Bibel
heranzutreten mit der Auffassung, das, was an Geist in ihr
liege, sei im Grunde unverstehbar!? Wenn ich so sprechen (oder
auch bitten und predigen) höre, denke ich mir immer: "Lieber
Mensch, bevor du dein dir von Gott gegebenes
Vernunftvermögen vor dir und vor Gott und seiner Schöpfung
derart erniedrigst (und damit gleichsam verschmähst, also für
unvollkommen oder auch misslungen erklärst, als habe Gott bei
der Schöpfung der Geistigkeit des Menschen gepfuscht) -
sieh doch erst einmal gründlich zu, wie weit diese
deine Vernunft denn überhaupt reichen kann? Vielleicht
reicht dieses menschliche Vernunftvermögen ja prinzipiell
viel, viel weiter, als in dem subjektiv von dir bisher
praktizierten Gebrauch? Und nur weil deine
Momentan-Reichweite eingeschränkt ist, soll nun
prinzipiell alle menschliche Reichweite eingeschränkt
sein? Sie trifft doch vielleicht nur auf dich zu,
nicht aber auf den Menschen überhaupt? Und weiter: Die
"Feststellung" scheint mir auch nicht dadurch wahrer zu werden,
dass 99 von 100 Menschen sie teilen, auch nicht 999 von 1000,
und auch nicht 999 999 von 1 000 000? Und wenn ich mir nun
einmal vornehmen will, die menschliche Vernunft
(besser: Verstehfähigkeit) ermessen zu können,
dann kann ich mich nicht auf irgendeine bloße
Wahrscheinlichkeitsrechnung verlassen, als habe unsere
Geschichte und Geistesgeschichte bereits die Unzulänglichkeit
der menschlichen Vernunft hinreichend gut erwiesen!? Zeigt
nicht auch dieselbe Geistesgeschichte, dass in ihr
überall Stellen zu finden sind, wo einer - scheinbar
urplötzlich - etwas erkannte, was allen anderen bislang
schlicht entgangen war? Und war nicht auch einer davon - Martin
Luther? Also ist doch auch die obige
Wahrscheinlichkeits-Annahme bereits etliche Male
widerlegt worden!? Und trotzdem wird sie von einer
Generation zur nächsten doch immer wieder aufgestellt und
behauptet und als wahr weitergegeben? Ist denn der Mensch
unfähig, Erfahrung resp. Neuerfahrung zu machen?
Und so kann man zu der Vermutung, Annahme, Auffassung,
Auslegung kommen: In der Bibel liegt ein Höheres
Vernunftvermögen, das einer gründlichen, sich mehr und mehr
vertiefenden Bibellektüre grundsätzlich zugänglich sein
muss. Und man kann dann die Schlussfolgerung ziehen:
Die Bibel ist
dazu da, unsere Vernunft anzuleiten und ihr zu einem
höheren Verstehen zu verhelfen - sagt sie doch
selbst, der Geist helfe unserer (auch Vernunft-)Schwäche auf
(vgl. die Bach-Motette: Der Geist hilft unserer Schwachheit
auf). Und man kann dann auch "Glaubensaussagen" in solchen
Auslegungs-Grundsatz einzeichnen, z.B.: Die Bibel ist
gegeben, damit aus unserer sündigen, gefallenen,
nichtverstehenden Vernunft eine wiederhergestellte, natürliche,
kosmisch verstehende Vernunft werde. Und man kann immer
noch weiter schlussfolgern: Das (uns mitgeteilte) Höhere
Vernunftvermögen macht in der (uns gegebenen) Bibel Aussagen,
die unserer sündigen Vernunft zunächst unplausibel erscheinen
und nicht sofort oder noch nicht einleuchten. Und dann kann man
den christlichen Glauben insgesamt - die Bibel als
gegebenes Hilfsmittel nun punktgenau treffend -
definieren: "Der Glaube ist ein uns
vorweg genommenes Höheres Wissen, das ein solches
gerade nicht bleiben soll, sondern das zu unserem
eigenen sicheren Wissen werden kann und soll" - und zu
diesem (hochvernünftigen) Zweck ist nicht nur über
Christus das Evangelium persönlich gekommen
(denn niemand kann alles Wichtige, das ihm persönlich
irgendwann einmal gesagt wurde, beim ersten Hören sofort
aufnehmen und dauerhaft exakt im einmalig ausgesprochenen bzw.
gehörten Sinn behalten), sondern auch noch schriftlich
über die Bibel, die somit als
Verstehens-Gradmesser in der Zeit fungiert,
in der christlichen oder kirchen- und heilsgeschichtlichen
Zeit.
Und dann zeigt sich doch die Zweischneidigkeit einer Formulierung wie "höher als alle Vernunft", denn danach müsste man nicht all seine Vernunftkräfte aufwenden und einsetzen, um zum Verstehen zu kommen, indem man voraussetzt: "Meine Vernunftkraft reicht ja doch nicht aus, und so kann oder muss ich ja wohl in meinem Nichtverstehen verbleiben." Aber indem der Philipperbrief-Satz zum festen Bestandteil aller christlichen Liturgie geworden ist, habe ich den Eindruck, dass unser gegenwärtiges Christsein einen gravierenden - schwer und schwerstwiegenden - Fehler macht, den es aber nicht sieht, indem es von einer falschen Voraussetzung ausgeht! Und dann kann ich erwidern: "Du Unglücklicher und Fruchtloser! Merkst du denn nicht, dass du das Gleichnis vom Säen und sein Sprechen vom Nichtverstehen nicht verstanden hast? Es fordert keine "guten Taten" von dir, sondern ein "gutes Verstehen", was du ignorierst oder sogar als unmöglich ausgeben willst. Und so bringst du keine geistige Frucht, keine Frucht im Verstehen, keine Frucht des Geistes. Und - so leid es mir tut - ich sehe dich momentan auf der Unkrautseite stehen. Das Entscheidende ist dir nicht aufgegangen, und so kannst du selbst nicht aufgehen... ins Himmelreich...
Mein Herantreten an
die Bibel ist geleitet von der Frage: Wie weit kann
der Mensch in seinem Bibelverstehen (und dann auch Verstehen
unserer Wirklichkeit durch die Bibel) kommen?
Speziell im christlichen Glauben, der doch - zumindest
dem Wort nach - einen Beistands-Geist in sich bekennt,
was doch im Grunde aussagt: Die menschliche Vernunft ist kein
Vermögen, das ein für allemal feststünde, sondern das als
in sich entwicklungsfähig angesehen werden muss, wenn
man - glaubensgemäß - den Beistands-Geist als solchen anerkennt
und einfach wirken und in sich einfallen lässt? Oder
kann man - als ordentlicher Christ - sich sagen: "Ich glaube
zwar prinzipiell an den Heiligen Geist, glaube aber auch, dass
er in meinem konkreten Fall unwirksam bleibt?" Glauben wir
Christen das, vielleicht unbewusst und uneingestanden? Und ist
dieser Satz dann aussagekräftig über die Wirksamkeit des
Heilenden Geistes, oder nur aussagekräftig über uns als -
angebliche - Christen?
Und über das obige Beispiel vom "Hören und Verstehen" kann einem dann auffallen, dass es gewisse Worte, Termini gibt, die in der Bibel einen größeren Facettenreichtum aufweisen, wie z.B. "hören". Und man kann das Wort sprachlich durchspielen nach seinen Verwendungsarten und kann dann das "Nichtverstehen" auslegen als "Überhören", soll heißen, am eigentlichen biblischen Aussagegehalt "vorbeihören", was in der Offenbarung des Johannes in der Formulierung "Wer Ohren hat, der höre" begegnet und womit dann wieder ein Rückschluss gezogen werden kann auf das "Verstehen", weil eine Entwicklungsmöglichkeit und -notwendigkeit des Hörens angezeigt wird. Und zugleich ist indirekt wieder ausgesagt, dass nicht alle diese Verstehens-Entwicklung durchlaufen werden, nicht einmal alle Christen.
Die Einheitsübersetzung
formuliert im Gleichnis vom Sämann m.E. ein bisschen besser und
deutlicher als die Lutherbibel, näher an unserer Lebenswelt und
Sprache dran. - Doch gibt es auch den umgekehrten Fall: Moses
fragt Gott, was er seinem Volk sagen solle, wenn es ihn frägt,
wer ihn geschickt habe. Die Einheitsübersetzung wählt in diesem
Zusammenhang die Gottes-Selbstbezeichung (Ex 3,14): "Ich bin,
der ich bin" - ein Wort, das ziemlich tautologisch oder auch
nichtssagend klingt, insofern man allgemeintheologisch (oder
auch philosophisch) Gott als dasjenige Wesen betrachten kann,
welches "das Sein selbst" sei. Luther wählt hier die
überraschende Formulierung "Ich werde sein, der ich sein
werde", was im Grunde "alller statischen Theologie sub specie
aeternitatis" eine Absage erteilt und zugleich von einer
Kenntnis des Hebräischen zeugt (wie ich meine, in meinem bloßen
einsemestrigen Hebräisch-Kurs gelernt zu haben). Das Hebräische
ist in seinen Verben in der Zeitform wenig oder gar nicht
festgelegt, die Verben enthalten sozusagen die "Fülle der Zeit"
in sich, so dass es zulässig ist, aus einem Verb verschiedene
Zeitformen "herauszuholen". Die Luther-Übersetzung ist also
möglich, wenngleich nicht zwingend (die Einheitsübersetzung ist
auch möglich und auch nicht zwingend). Luther bringt aber
damit den Zeitfaktor ins Spiel, und zwar gerade auch in
unserer Gotteswahrnehmung und also unserem
Gottesbezug, und in den letzten Kapiteln im dritten
Menüpunkt "ABC-Versuch" will ich versuchen, den Zeitfaktor
als ganz entscheidend für ein wahres Bibelverständnis
(insbesondere NT-Verständnis) - und für ein wahres
Kirchengeschichts- und Heilsverständnis - aufzuzeigen, so dass
Bibel und Glaube und die Kirche in ihrer Geschichte auf einen
"Gegenwarts-Brennpunkt" zulaufen, der vor uns liegt, vielleicht
näher, als wir glauben.
Übersetzungen siehe:
Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016
Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und
Einheitsübersetzung © 2016 der
Katholischen Bibelanstalt GmbH (vgl. dort die
Anmerkung zu Vers 14), externer Link: https://www.bibleserver.com/LUT.EU/2.Mose3,
abgerufen am 18.06.2024.
D. Mein Hürdenlauf zur
Online-Nutzung der Einheitsübersetzung
a) Antragsformular
Ganz allgemein kann ich im Vergleich der
Einheitsübersetzung mit der Lutherbibel feststellen, dass ich
manche Formulierung hier, manche dort bevorzuge. Analog wollte
ich die Freiheit haben, einmal die eine und einmal die andere
Übersetzung zu zitieren. Als willkommene Hilfe stieß ich hierbei
auf den ERF-Bibelserver, der die Bibel online mit den
verschiedensten Übersetzungen bereithält, u.a. die Lutherbibel
2017, aber auch die Einheitsübersetzung 2016. Und was die
Lutherbibel betrifft, so hat mir auf der einen Seite die
Deutsche Bibelgesellschaft diese Freiheit tatsächlich
eingeräumt, auch für das Novum Testamentum Graece und die
Biblia Hebraica Stuttgartensia.
Auf der anderen Seite ist es
so: Auch die Einheitsübersetzung unterliegt dem
Urheberrechtsschutz, und will man sie nicht einfach nur
verlinken, sondern auf der eigenen Website auch zitieren, stößt
man zunächst auf ein "Moment mal!", das einem signalisiert, nun
sei - typisch deutsch, vielleicht aber auch typisch
römisch-katholisch - der Gang durch die Instanzen gefragt. Ich
erhielt daher vom Lektorat der Katholischen Bibelanstalt GmbH
(Emailadresse: rechte@bibelwerk.de) die
Gelegenheit, mein Anliegen schriftlich vorzutragen, und hierfür
übersandte man mir einen mehrseitigen Pdf-Fragebogen
"Kurzantrag Lizenzanfrage zur digitalen Verwendung der
Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift". Das Formular stellt
nicht nur inhaltliche Fragen nach Zweck, Zusammenhang und
Umfang der beabsichtigten Nutzung biblischer Verse, sondern
möchte auch - gewissermaßen zeitgemäß - Auskunft über
"Nutzerzahlen, Clickraten, Downloads, Abonnenten, Follower"
haben, eine Frage, die ich unschwer mit "Null" beantworten
konnte, da ich online noch "nichtexistent" war.
Ich will auch gar keine "Follower" haben. Wer bin ich denn,
dass man mir nachfolgte? Soll ich mich auf solche Weise etwa
groß fühlen können (je clickreicher, desto größer), - groß,
einflussreich, mächtig -, größer (im Internet), als ich (im
Leben) bin? Ich will aber keinen Aufpluderungs- oder
Glanz-und-Gloria-Anschein vor mir selbst erwecken, um mich in
einer Scheingröße meiner selbst zu weiden und mir am Ende gar
solches Selbsttäuschungsmanöver auch noch selbst zu glauben!?
Und so frage ich mich: Welcher Mensch hat sich eine solche
"Idee des Followertums" einfallen lassen? Er hätte sie besser
nicht einfallen lassen sollen, bei sich selbst, sondern hätte
besser seinen Geist, sein Bewusstsein, seine Schleuse gegen
solchen Pseudo-Ideen-Befall verschlossen, der mir irgendwie wie
eine Karikatur Christi und christlicher Existenz erscheint, die
in den gefallenen Teilen des Himmels womöglich Gelächter und
Amüsement hervorruft - über die Dummheit der Menschen, die
einfach alles mit sich machen lassen und im Grunde keinen
rechten Wirklichkeits-Schimmer haben.
Eine evangelisch richtiggestellte Fragestelllung lautete wohl
besser: Wie viele Follower kannst du für Christus und die
Menschheit erwirken? Sie sind es, die
Nachfolger brauchen und dringlichst nötig haben
(wenn eine eigentliche Menschwerdung
innerhalb dieser unserer Menschheit erreicht werden
können soll), nichts und niemand sonst! Und
vielleicht ist es ja auch an der Zeit, unsere
Pro-Nobis-Egozentrik umzukehren in eine Pro-Christus-Exzentrik,
als Rück-Wirkung und Antwort auf unser grundsätzlich
unverdientes evangelisch-heilsgeschichtliches
Aufgefangen-worden-sein? Ein Christ ist niemand, dessen
Existenz in der Kategorie "Hilfsbedürftigkeit" (Stichwort: pro
nobis) schon voll und ganz eingefangen wäre, sondern er hat
noch eine andere Seite, und die lautet
"Unterstützungstätigkeit" (Stichwort: pro Christus), soll
heißen: Mittragen der Heilsintention Christi und seines
Evangeliums, analog zu einer Lutherformel, wonach der Christ
nicht nur "peccator" ist, sondern "simul iustus". Dieser
(lutherische) Gerechtigkeits-Begriff steht unter dem Vorbehalt
des Noch-Ausstehens des Wirksam-werdens des Heiligen Geistes in
uns: Das "iustus" trifft auf uns schon zu, nur ist es
noch nicht "mit unserem Leben erfüllt", und
das "peccator" trifft auf uns noch zu, weil die
Um-Erfüllung oder auch Umkehr unseres Lebens vom
Unheil zum Heil erst in heilsgeschichtlicher Genese steht. Das
Iustus-Sein soll von der Potenzialität (ihrem
Möglichgewordensein durch Christus) zur Aktualität (der
Christen) wechseln, das Peccator-Sein eher umgekehrt.
Und die Offenbarung des Johannes bringt das Pro-Christus wieder
auf den Punkt, wenn sie gegen Ende zu sinngemäß sagt, die
christliche Existenz müsse darin bestehen, in den Komm-Ruf des
Geistes einzustimmen, so dass das Evangelium letztlich zu
denken ist als ein Schneeballsystem des Rufens und Gerufen
werdens, das den Eine-Menschheit-Stein der Erdgeschichte
endlich ins Rollen bringen soll, damit zu guter Letzt auch
diese Menschheit - lebendiger Mittelpunkt, Zentrum und
potenzieller Zerstörer dieser unserer physischen Erde - in ihre
ordnungsgemäße kosmisch-geisthierarchische Umlaufbahn finde.
Und mit diesem Evangeliumsverständnis ist man dann
auch ganz eng am Ursinn der "Kirche" dran: Ekklesia = die
Heraus-Gerufene. Daher muss die Christen eine entsprechende
Praxis-Lebensausrichtung kennzeichnen, die so deutlich sein
sollte, dass Menschen in der Welt, wenn sie auf einen Christen
treffen, dafür die synonymen Sätze zur Charakterisierung
verwenden könnten:
a) Aha, ein Christ.
b) Aha, ein Gerufen-Rufender.
b) Einmaleins des Bibelverses
Ich musste mit dem Lektorat wiederholt
hin- und herkommunizieren (Diese Kommunikation gebe ich hier
nur sinngemäß wieder), um zu einem für mich
brauchbaren Ergebnis zu kommen, wobei ich von Anfang an meine
Bedenken und Ängste formulierte, mein Ex-Katholiken- und
Konvertiten-Dasein werde doch hoffentlich kein
Ausschlusskriterium bzgl. der Erlangung einer Lizenzierung
sein!? Daher betonte ich zum einen meine Wertschätzung der
Einheitsübersetzung, vermied kontroverstheologische Themen
(wozu - nach meiner persönlichen Auffassung - fundamental der
Papst gehört, kein bestimmer, sondern jeder Papst als solcher,
also das Amt, die Institution) und unterstrich die
(konfessionsübergreifend relevante) Ruf-Funktion des
christlichen Glaubens, zu welcher dann freilich auch die
Nutzung (und Zitierung) der Bibel gehören muss.
Ich trat auf als Bittsteller, der ich ja auch wirklich
war, denn ich wollte die Einheitsübersetzung verwenden
dürfen - und wurde letztlich erhört. Als Anlage zum Fragebogen
übersandte ich eine Bibelstellen-Übersicht, die wohl noch nicht
einmal ganz vollständig war, was ich aber mit angab.
Überschlagen sind es 160 Bibelstellen, zentrale davon mehrfach
gezählt, und so erhielt ich schließlich ein Lizenz-Angebot, das
zusammengerechnet in einer Lizenzgebühr von 250 € pro Jahr
bestand. Nun biete ich selbst meine Website kostenlos an, und
im Kommunikationsaustausch mit Textanbietern im Internet bzgl.
Urheberrecht und Verwendungserlaubnis stieß ich wiederholt auf
das Kriterium "nichtkommerzielle Verwendung", welches mir ja
entgegenkommt, weil ich es selbst praktiziere.
Und so geriet ich irgendwie in eine analoge Situation zu
Abraham, der mutig-bittstellerisch sich nun einmal vorgenommen
hatte, mit Gott zu handeln, zu feilschen, er um die
Verschonung der Stadt Sodom (wenn sich - zuletzt - auch nur
zwei Handvoll Gerechter darin finden würden), ich um
die Erlangung kostenfrei zitierbarer Bibelverse! Und Gott ließ
sich auf Abrahams Handeln ein! Und Abraham hätte wohl noch
weiterverhandelt, wenn Gott diesen Handel nicht rechtzeitig
beendet hätte, indem er gleichzeitig zwei Ziele verfolgte:
Einmal, dem Menschen zu zeigen, dass es sinnvoll und hilfreich
war, mit ihm zu sprechen, soll heißen: nach oben zu
kommunizieren, einmal, um die Vorsehung nicht
durcheinandergeraten zu lassen, indem der bibelgeschichtliche
Gang der Dinge, die Genese der Genesis einen anderen Verlauf
hätte nehmen müssen, wenn Abraham hätte (erfolgreich)
weiterverhandeln dürfen (vgl. Gen. 18,26-19,38).
Was soll ich sagen? Auch ich erhielt ein Zugeständnis, nämlich
bis zu 10 Handvoll Bibelverse der Einheitsübersetzung gratis
auf meiner Website zu zitieren! Die erste Begeisterung über
meinen Erfolg legte sich rasch, als mir bewusst wurde, die
Genehmigung beziehe sich ja nur auf 50 Bibelverse,
nicht etwa auf 50 Bibelstellen!? Dies konnte für mich
allzu schnell und leicht zu einem ernsthaften Problem
werden, allein, wenn ich an das Nikodemus-Gespräch, an das
Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen und an Jesu
Gang über das Wasser dachte, die zusammen schon 21 + 13 + 12 =
46 Bibelverse ausmachten!!!???
Und sogleich fing es an, in mir zu
arbeiten und zu rechnen, mit Hochdruck, geradezu meisterlich
nach Adam Riese, immer auf der Suche, welche
"Einsparungsmöglichkeiten" ich hätte und wo ich eine
"Rationalisierungsmaßnahme" sinnvoll und legitimerweise
durchführen könne: Wie war meine Ausgangslage? Nun, zunächst
einmal hat man im NT ja die Synoptiker, und Kritiker könnten
behaupten, in unserem Glaubensbuch werde dasselbe mehrmals
ausgesagt, als wären Christen schwer von Begriff und bräuchten
die Wiederholung!? Wir aber wollen dies aus unserem Glauben
heraus auf die Erbsünde schieben, die uns ein Falsches zum
Wahren und zur Norm machte und setzen daher als schlagendes
christliches Argument dagegen: Der Geist selbst hat
die Wiederholung in unser uns Heilendes Buch gelegt,
nicht (unzulängliche, inkompetente)
Schreiberlinge, denn er will uns ja aus der Sünde
wieder herausholen, aus dem falsch Gewohnten wieder zu
sich zurückholen!? Und das geht nun einmal nicht mit einem
Erhobenen-Zeigefinger-Spruch: "Hör mir gut zu: Ich sage dir das
nur ein einziges Mal!"
Für mich war hier entscheidend, ob nicht vielleicht der eine
oder andre Synoptiker sich durch besondere Wortkargheit,
sprich: Vers-Sparsamkeit auszeichne? Nehmen wir einen
komprimiert-komplexen Satz wie Mk. 1,15, und zwar in der
Einheitsübersetzung:
"Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!"
Einheitsübersetzung © 2016
der Katholischen Bibelanstalt GmbH, externer
Link: https://www.bibleserver.com/EU/Markus1,
abgerufen am 18.06.2024.
Mit solcher Aussagedichte macht der
Evangelist Markus eindeutig das Rennen unter den von mir für
meinen Zweck aufgestellten "Wettbewerbs-Regeln für Synoptiker".
Spricht er nicht unübertreffbar kurz und knapp!? Na gut, das
"und" hätte man noch einsparen, das "an das" zum "ans"
komprimieren und das "e" aus dem "nahe" eliminieren können...
Trotzdem vermute ich einmal: Genau so stellt sich
mancher Gläubige eine gute Predigt vor, insbesondere
dann, wenn er vor dem Frühschoppen steht.
Überhaupt kann ich diesen Vers der Einheitsübersetzung hier nur
deshalb zitieren, weil ich die Zitier-Schätzchen meiner
Website, "meine Zitate-Kiddies", einem strengen Haushaltsplan
unterworfen habe, und mein Budget erlaubt es mir nicht,
irgendwelche Schulden zu machen, nicht ein einziges Wort der
Einheitsübersetzung! Allerdings sollte meine Leserschaft schon
auch sehen können, gerade an diesem
Markus-Einheitsübersetzungs-Vers, dass sich der große Aufwand,
den mir das Lektorat durch sein eingeschränktes Zugeständnis
verursachte, sehr wohl lohnte.
Das "Sondergut" der einzelnen Evangelisten schied für diese
Einsparungsmöglichkeit freilich aus, wie ärgerlich, denn es
sind ja quasi gleich zwei von den oben genannten drei Perikopen
davon betroffen (insofern man das Johannesevangelium insgesamt
als "Sondergut" betrachten kann)! Weiter. Wenn ich manchen
besonders wichtigen Vers mehrfach zitiere, könnte ich sie
zusammen dann nicht guten Gewissens als "einen
zitierten Bibelvers" ansehen? Denn ein Bibelvers,
mehrmals zitiert, vermehrt sich ja nicht in und durch
sich selbst, sondern bleibt ein und derselbe eine zitierte
Bibelvers, ganz anders als die neutestamentlichen Fische
und Brote, die mich in ungeahnte Schwierigkeiten gebracht
hätten... Weiter. Muss ich denn überhaupt jedesmal
ganze Bibelverse zitieren? Vielleicht genügt doch hie
und da schon ein halber, zumal für die Bibel weder
gilt "Ein Vers = ein Satz" noch "Ein Satz = ein Vers". Und wenn
ich also zweimal halbe Bibelverse zitiere (2 x 1/2 =
0,5 + 0,5), habe
ich dann nicht - summa summarum - erst einen Bibelvers
zitiert? Hm, damit käme ich möglicherweise in kompliziertes
Bruchrechnen hinein, aber die hebräischen Verse sind ja
schließlich auch masoretisch-minutiös unterteilt... Weiter. Hat
mir nicht die evangelische Seite sozusagen volle
Zitier-Freiheit gelassen? Dann sollte es mir doch auch möglich
und erlaubt sein, die eine oder andere "umfänglichere"
Bibelstelle zu "stückeln", indem ich zuerst Luther 3 Verse
sagen resp. übersetzen lasse, dann darf die Einheitsübersetzung
einen Vers kundtun, und dann ist auch schon wieder Luther an
der Reihe...? Hm, dann käme gewissermaßen eine
"Patchwork-Bibelstelle" heraus, was mir selbst zwar irgendwie
absurd und "unmöglich" erscheint, anderseits werde ich in
heutiger, ökumenischer Zeit nicht unbedingt befürchten müssen,
eine der Konfessionen könnte sich darüber beklagen, ihr eigenes
Geistesgut werde durch mich mit dem Geistesgut der anderen in
eine "höchst unangenehme Engführung" gebracht...
Vom Komischen kehrt sich diese Fragestellung ins Ernsthafte
zurück, wenn man überlegt, ob es denn überhaupt möglich sein
könne, den einzelnen Bibelvers einer Übersetzung für
sich allein zu zitieren, also hinzustellen? Steht er
nicht in einem Übersetzungs-Sinnzusammenhang, so dass
die kleinste zitierbare Übersetzungs-Einheit vielleicht die
einzelne Perikope ist? Eine gute Frage, wie mir scheint, die
ich aber dann doch lieber fallen ließ, um mich nicht
selbstverschuldet vor unlösbare Probleme zu stellen...
Es war mir also ein zweiter "Gang durch die Instanzen"
auferlegt, wobei die jetzigen "Instanzen" meine "eigenen
Bibelzitate" waren, indem ich nun abwägen musste: An welchen
Stellen willst du auf die Formulierung der Einheitsübersetzung
nicht verzichten, und wo ist sie nicht zwingend, so dass auch
die (auf das Lutherdeutsch des 16. Jahrhunderts Rücksicht
nehmen müssende) Lutherbibel das zum Ausdruck bringt, was im
Zitat zum Ausdruck gebracht werden soll, was ja faktisch auf
das Gros der Bibelstellen zutrifft? So legte ich mir ein
Hilfsdokument "Liste Zitate Bibelverse
Einheitsübersetzung auf Website" an, das die betreffenden
Bibelstellen zeilenmäßig erfasste. Vorangestellt wurde die
Aufsummierung der verwendeten Verse, hintangestellt wurde die
Versanzahl der jeweiligen Bibelstelle selbst, also:
1 - Bibelstelle 1 - 1 Vers
5 - Bibelstelle 2 - 4 Verse
7 - Bibelstelle 3 - 2 Verse.
Ergänzt wurde das Verfahren noch dadurch, dass ich meine
Ersteinschätzung oder Wertung hinzufügte, z.B. "gut" (=
wichtig, unersetzbar) oder "gleich" (= ersetzbar, nicht
zwingend), so dass mir nach dem ersten Gesamtdurchlauf noch
eine weitere Kürzungsmöglichkeit verbleiben würde. - Nicht
unerwähnt möchte ich lassen, dass mich dieses
"Revisionsverfahren meiner Website" enorm Zeit
kostete. Und der Zeitfaktor scheint mir derart
erheblich zu sein, dass er für Heil oder Unheil der
Gesamtmenschheit von Relevanz, womöglich sogar ausschlaggebend
sein wird, weshalb wir nicht unendlich Zeit haben für unser
Reflektieren, ganz anders als die Atheisten und Materialisten
unter uns... Außerdem ist vor diesem Hintergrund zu sehen, wie
nach und nach unser gesamtes Gesellschaftsleben - von
unbekannter, unsichtbarer Hand her - mehr und mehr unter
Zeitdruck zu geraten scheint, wodurch ja kein Platz mehr
gelassen ist zum Nachdenken, Reflektieren, In-Frage-Stellen der
Sinnhaftigkeit (bzw. Kurzsichtigkeit) des eigenen Handelns. Die
uns alle treffende allgemeine Zeitdruck-Erzeugung nötigt uns
mehr und mehr zum Automatismus, zum
Nicht-mehr-nachdenken...
c) Einheitsübersetzung von 1980 nicht online?
Dann kam aber noch ein ganz anderes
Problem hinzu, denn in der Einheitsübersetzung von 1980 (die
ich in einem Zweitexemplar im Papierform besitze, nachdem das
Erstexemplar meinen Gebrauch nicht überlebt hatte) fand ich
wenigstens zwei Bibelstellen, an welchen sie mir besser zu
formulieren scheint als sowohl die Einheitsübersetzung von 2016
als auch die Lutherbibel von 2017.
Und so fragte ich beim Lektorat an, ob nicht auch die
Einheitsübersetzung von 1980 online zugänglich sei? Und ich
erhielt zur Antwort, sie sei nicht online zugänglich und wenn
überhaupt, so käme sie allenfalls als ein Neudruck in
Papierform in Betracht. Was tun? Ich stöberte einfach einmal im
Internet, gleichsam in der Hoffnung, ein scheinbar
Nichtexistentes in seiner faktischen Existenz nachweisen zu
können, und tatsächlich: Ich wurde fündig - und das
nicht zu knapp! Denn ich fand einen "Schuldner" oder "Sünder",
der freiweg aus dem Vollen schöpfte!!?? Und so beeilte
ich mich, meinen
"Fund" dem Lektorat brühwarm-unverblümt oder auch
petzend-denunziatorisch mitzuteilen: "Aber die Universität
Innsbruck hält die Einheitsübersetzung von 1980 vollständig
online bereit, das ganze Alte Testament gleich mit
obendrauf gepackt! Und sie macht gar keinen Hehl aus dieser
Riesenfreiheit, die sie sich einfach genommen hat, versteckt
sich nicht etwa im Darknet!? ...kann nicht auch ich dann
wenigstens meine zwei kleinen Verslein
zitieren, auf die es dann doch wirklich nicht mehr ankommt,
wenn doch schon das gesamte Kind in den Brunnen gefallen
ist?"
Dann hörte ich nichts mehr...
Ich musste jetzt - aufgrund der überlangen Wartezeit -
fürchten, durch meine eigene Dreistigkeit meine "Kommunikation
nach oben" selbstverschuldet ausgelöscht zu haben...
Eine unheimliche Kafka-Ohnmacht überkam mich...
Und dann - uh! ja! - kam schließlich doch noch eine Re-Aktion.
- Puh! Das war knapp! Glück gehabt! - Allein: Mein Judas-Handel
war misslungen. Denn das Lektorat blieb ungerührt und
unerbittlich. Zwar erntete ich für meinen "großen Verrat" ein
kleines "Dankeschön!", aber den Lohn, den ich mir
erhofft hatte, erhielt ich nicht: meinen
Zitier-Silberling. Stattdessen lautete die Antwort
majestätisch-kühl, wie aus unendlich weiter Entfernung
gesprochen: "Nicht so forsch, nicht so voreilig... Wenn eine
Universität das tut, dann ist das etwas gaaanz
Anderes: Sie tut es zu "wissenschaftlichen Zwecken", und
so ist es bei ihr auch zulässig und in
der Ordnung!"
Hm...
Abrahams Erfolg vor dem HERRN ging mir einfach nicht mehr aus
dem Sinn, und so dachte ich mir, es muss mir doch irgendwie
gelingen können, seine Masch..., seine Metho..., seine
dezent-unaufdringliche, zugleich offenherzige
Sprechweise und gleichsam schuldfrei-unbeschwerte
Geistesart zu kopieren, zu imitieren, nachzumachen, nun, es ihm
gleichzutun!?
Und so nahm ich allen Mut zusammen und wandte ich mich
ein allerletztes Mal an die "Hoheitlichkeit des
Lektorates" (das mir zwischenzeitlich doch auch irgendwie ans
Herz gewachsen und zu "meinem Lektorat" geworden war), indem
ich mich nun sozusagen geschlagen zeigte und mein Vorhaben -
mit tiefem Bedauern, nein: trauernd! - gleichsam für
"gescheitert" resp. für "abschlägig beschieden" erklärte: "Also
gut, dann werde ich also (wohl) darauf verzichten (müssen), aus
der Einheitsübersetzung von 1980 zu zitieren und dann bleibt
mir meiner Leserschaft nur noch zu sagen: "Hört zu, es gibt da
noch eine andere (übrigens: hochinteressante!)
Einheitsübersetzungs-Nuance, die ich nur leider hier nicht
benennen darf, aber über die Universität Innsbruck darf ich
darauf verweisen. Seid also so nett, und seht dort
nach, um das zu finden, was ich euch gerne hier direkt
mitgeteilt hätte. Aber aus Urheberrechtsgründen ist es mir
verwehrt (worden!)...""
Und prompt - d.h. jetzt: nach relativ kurzer Wartezeit - kam
folgende Antwort zurück: "Nun ja, also... Sie könnten doch
Folgendes versuchen: Wenn Sie mehrere Übersetzungen ein und
desselben Bibelverses nebeneinander stellen, darunter auch die
Einheitsübersetzung von 1980, und wenn Sie dann
argumentativ-diskursiv deutlich machen, aus
welchen Gründen Sie hier die
Einheitsübersetzung von 1980 bevorzugen, dann haben
Sie doch... gleichsam... eine... "wissenschaftliche
Untersuchung" durchgeführt... Und so wäre das Ganze doch - in
Ordnung...?"
...et voilà! - Ich bin sprachlos...
Gott sei Dank!
Das ist doch genau das, was ich von
Anfang an tun und haben wollte! Dies und nichts anderes!?
- Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll...?
Ich muss wohl ein gelehriger Schüler Abrahams gewesen sein,
zumindest der Bibel?
Und was lernen wir daraus? Die Bibel versteht etwas vom Leben!
Und wenn wir unser eigenes Leben verstehen wollen, dann sollten
wir versuchen, die Bibel bestmöglich zu verstehen, bis in die
klitzekleinsten Sprach- und Verstehens-Nuancen hinein, die sie
- sei es in den Urfassungen oder auch in einer Übersetzung -
vielleicht nicht einmal bestmöglich, nicht unbedingt
ausführlich und literarisch, nicht in jedem Fall elegant,
eloquent und espritvoll vor uns hinstellt, sondern mitunter
auch wortkarg, sparsam, lakonisch, kurz angebunden, wie jemand,
der etwas mit einem gewissen Widerwillen mitteilt, aber dann
halt doch mitteilt, weil ihm der Sinn des Kommunizierens
unmittelbar einleuchtet...
Und also: Wenn wir uns im biblischen Lesen und geistigen Hören
einüben, dann finden wir auch noch jenen Sinn, der
sehr wohl auch in ihr liegt, nur nochmals
verborgen hinter ihren Worten, ihrer Sprache, ihren
Buchstaben. Und eine gute Übersetzung wird diesen Sinn
dann auch finden und an den Tag hervorholen
können, gleich einem verständnisvoll-geisterfüllt-reformmutigen
Aggiornamento...
E. Schlüsselstellen der Einheitsübersetzung von 1980
Ich glaube, ich schulde meiner
Leserschaft nun eine Auskunft darüber, welches denn nun diese
"tollen Stellen in der Einheitsübersetzung von 1980" seien, die
ich hier quasi schon angepriesen habe? Benennen will ich sie
hier noch nicht, weil ich wünsche, dass meine Leserschaft mir
(weiter) aufmerksam folge. Denn ich bin der Ansicht, dass man
das Christliche als solches nur unzureichend kennenlernen kann,
wenn man nicht auch das Weltliche als solches zur Kenntnis
nimmt bzw. sogar selbst durchlaufen hat. Christ kann man nur
dadurch sein, dass man auch das Un- und Anti-Christliche
versteht.
Ich kann aber zumindest sagen: Die eine (für mich
allerwichtigste) Bibelstelle findet sich im zweiten
Thessalonikerbrief, und im dritten Teil dieser Website, im
Menüpunkt "ABC-Versuch" werde ich meine (aus der
diesbezüglichen Einheitsübersetzung von 1980 gewonnene)
hauptsächliche "reformatorische Erkenntnis" formulieren und
auch als solche benennen, und gegen Ende dieses dritten Teiles
(und dieser kompletten Website) will ich mich dann auch mit der
Frage des eigentlichen "christlichen Grundes" befassen, um
Einblick in die Be-Gründungen der Konfessionen zu
bekommen, die - als solche - ja alle miteinander der
"einen Kirche Jesu Christi" entgegenstehen;
es sei denn, sie begreifen sich selbst als "geistes- und
kirchengeschichtlich unterwegs", was eine "gegenseitige
Toleranz" geböte; begreifen sich als mehrere eigenständige
Ströme des Geistes und Lebens, die zuletzt "asymptotisch in
Christus zusammenlaufen" sollen - und wollen.
Die andere Bibelstelle findet sich in Offb. 3, und es
macht keinerlei Sinn, hier und jetzt schon darüber zu sprechen,
denn man kann nicht ad hoc auf die Idee kommen, dass in Offb. 3
von unserer eigenen Gegenwart die Rede sei. Und wenn meine
Leserschaft nicht sich selbst verwirren will, so möge sie doch
bitte dem Gang der Dinge resp. dem Gedankengang der Website
schrittweise folgen, damit sich diese Verwirrung
geordnet-organisch lichten kann.
F. Ein Beispiel meiner Bevorzugung der Einheitsübersetzung von 1980
a) Joh. 21,22f: "bis zu meinem Kommen"
Zunächst seien der Einheitsübersetzung von 1980 die Einheitsübersetzung 2016 und die Lutherbibel 2017 gegenübergestellt und am griechischen Urtext (NA28) gemessen. Es geht mir um den unterstrichenen Teil.
„Jesus antwortete ihm: Wenn ich will, dass er bis zu meinem Kommen bleibt, was geht das dich an? Du aber folge mir nach! Da verbreitete sich unter den Brüdern die Meinung: Jener Jünger stirbt nicht. Doch Jesus hatte zu Petrus nicht gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bis zu meinem Kommen bleibt, was geht das dich an?" (Joh. 21,22f, Herv. v. Verf.)
Einheitsübersetzung
von 1980, online zugänglich über die
Universität Innsbruck, externer Link: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/joh21.html,
abgerufen am 11.07.2024. Ich zitiere die Einheitsübersetzung
von 1980 online mit freundlicher Genehmigung der
Katholischen Bibelanstalt GmbH. - Hinweis: Die
Universität Innsbruck hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass
sich in den nächsten Jahren die URL ändern wird. Sofern ich die
Änderung nicht zeitgerecht nachvollziehe, dürfte der Bibeltext
durch Internetsuche leicht auffindbar sein über Schlagworte:
Einheitsübersetzung - Uni Innsbruck - Theologischer Leseraum -
Quelltext.
"Jesus sagte zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht das dich an? Du folge mir nach! Da verbreitete sich unter den Brüdern die Meinung: Jener Jünger stirbt nicht. Doch Jesus hatte ihm nicht gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht das dich an?" (Einheitsübersetzung 2016, Herv. v. Verf.)
„Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach! Da kam unter den Brüdern die Rede auf: Dieser Jünger stirbt nicht. Aber Jesus hatte nicht zu ihm gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an?“ (Lutherbibel 2017, Herv. v. Verf.)
Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Johannes21, abgerufen am 11.07.2024.
λέγει αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς· ἐὰν αὐτὸν θέλω μένειν ἕως ἔρχομαι, τί πρὸς σέ; σύ μοι ἀκολούθει. ἐξῆλθεν οὖν οὗτος ὁ λόγος εἰς τοὺς ἀδελφοὺς ὅτι ὁ μαθητὴς ἐκεῖνος οὐκ ἀποθνῄσκει· οὐκ εἶπεν δὲ αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς ὅτι οὐκ ἀποθνῄσκει ἀλλ’· ἐὰν αὐτὸν θέλω μένειν ἕως ἔρχομαι[, τί πρὸς σέ]; (NA28, Herv. v. Verf.)
Griechische Textgrundlage: Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, 28., revidierte Auflage, hg. v. Barbara und Kurt Aland, Johannes Karavidopoulos, Carlo M. Martini und Bruce M. Metzger in Zusammenarbeit mit dem Institut für Neutestamentliche Textforschung, Münster, © 2012 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart - externer Link: https://www.die-bibel.de/bibel/NA28/JHN.21, abgerufen am 11.07.2024.
b) Erst-Begründung
Einheitsübersetzung 2016 und Lutherbibel 2017 stimmen wörtlich überein, und wenn ich recht sehe, entsprechen sie damit exakt dem griechischen Urtext. Hier scheint das hauptsächliche Übersetzungs-Kriterium zu sein, sich möglichst an den Urtext zu halten, also auf Abweichungen, Zusätze, Verdeutlichungen zu verzichten. Das ist wohl gelungen.
Trotzdem bin ich der
Meinung, dass die Einheitsübersetzung von 1980 das Richtigere
trifft. Ihr Hauptkriterium des Übersetzens scheint im Gegenzug
darin zu bestehen, an wichtigen Stellen sich die Freiheit zu
nehmen, vom Wortlaut des griechischen Urtextes dann
abzuweichen, wenn es den Sinn der Aussage
unterstreichen und dadurch das Verständnis des Textes
deutlich erhöhen kann, was hier m.E. auch der Fall
ist.
Zunächst können wir feststellen: "Kommen" ist ein Allerweltsbegriff, in der Form, dass "jemand“ oder „etwas“ kommt, „irgendwann“ kommt, „irgendwohin“ kommt. Im Sinnzusammenhang der Textstelle ist es aber so, dass von einem ganz besonderen Kommen einer ganz besonderen Person zu einem ganz besonderen Zeitpunkt die Rede ist. Es geht um die Wiederkunft Christi, die den (eigentlichen) irdischen Zeitenlauf beschließen wird.
EU 2016 und LUT 2017
übersetzen hier lapidar mit „bis ich komme“, was allerdings dem
ebenso lapidar formulierten ἕως ἔρχομαι des griech. Urtextes
entspricht. Und hiermit ist dem
heilsgeschichtlich-endzeitlichen Ereignis kein besonderes
Gewicht beigemessen, sondern es ist gewissermaßen im Text
versteckt, indem nur „ein Kommen unter vielen“ bezeichnet zu
sein scheint; zumindest wird der Bibelleser verleitet, die
Stelle nicht besonders zu nehmen, sondern darüber
hinwegzulesen. - Anders die EU 1980, die das Allerwelts-„bis
ich komme“ ganz bewusst ersetzt durch die Wendung „bis zu
meinem Kommen“. Damit ist ausdrücklich gekennzeichnet, dass es
sich um ein spezifisches Ereignis des Christentums
handelt und dass das "mein Kommen" ein
einmaliges Geschehen ist.
c) Der komplexe biblische Kontext
Diese Erst-Begründung genügt mir noch nicht, und ich halte es für notwendig, den Kontext zu berücksichtigen. Es schließt sich ja noch ein zweites an: Die Wiederkunft Christi ist nicht nur ein einmaliges, für die Zukunft erwartetes Ereignis, sondern sie ist hier verknüpft mit dem Schicksal des Jüngers Johannes, wie Jesus in der Szenerie dem kommunikativ schroff zurückgewiesenen Jünger Petrus gegenüber äußert. Und es kommt noch ein drittes hinzu, denn Jesu Aussage ist unverständlich, und der Evangeliums-Schreiber offeriert uns ein unter Jesu Anhängerschaft grassierendes Missverstehen der Jesus-Äußerung. Und nun kommt noch ein viertes hinzu: Johannes der Evangelist löst uns das Missverständnis nicht auf, sondern stellt lediglich nochmals beide Sätze als solche nebeneinander, damit der Bibelleser erkenne: Die Jünger-Deutung weicht von der Jesus-Aussage ab. – Hier tritt gewissermaßen das Übersetzungsproblem selbst innerhalb der Bibel auf, und man sieht, dass eine wortgetreue Wiederholung der Jesusworte nichts bringt (ebenso wenig die wortgetreue Übersetzung einer Bibelstelle), weil sie keinen (weiterführenden) Aufschluss gibt.
In Frage steht hier - dies ist der Sinnzusammenhang - ein „Bleiben bis zum Kommen“, welches möglicherweise sogar - ein fünfter Punkt - den Jünger Johannes vom Jünger Petrus unterscheiden wird, so dass gleichzeitig in den Raum gestellt ist, Petrus werde vielleicht nicht bis zur Wiederkunft Christi „bleiben“? Auch deshalb macht es außerordentlich viel Sinn, dieses Kommen als solches irgendwie hervorzuheben, wie denn die gesamte Perikope (Joh. 21,20-23) einen mysteriösen Charakter aufweist. Genauer ausformuliert: Das „Bleiben der Jünger“ ist im Text thematisiert, und deshalb ist es sinnvoll, diesem das „Kommen Christi“ ausdrücklich gegenüberzustellen, weil es hier ja nicht um eine kleine Episode (unter vielen), sondern ganz prinzipiell um den Sinn des Christentums überhaupt resp. um den Erfolg der Kirchengeschichte geht!
In den aufgezählten zahlreichen Kontext-Aspekten ist biblisch deutlich gemacht, dass die christliche Sache mit der Wiederkunft Christi eine rätselhafte, womöglich komplizierte Angelegenheit ist, die zu denken geben soll und die somit theologisch problematisiert werden muss. Diese theologische Reflexion betrifft aber zugleich das Kommen, das Gehen und das Wiederkommen Christi sowie die Frage des Bleibens der Jünger (oder auch: des Jünger-Bleibens, falls sich der Schwerpunkt der Frage im Laufe des kirchengeschichtlichen Nachdenkens über diese Bibelstelle verschieben sollte); insbesondere das „Bleiben“ wird zu hinterfragen sein, weil es – im Gegensatz zur (Orts-)Bewegung Christi – kaum „örtlich“ (irdisch) gemeint sein kann?
d) Das Kommen - näher betrachtet: Wiederkunft Christi – Parusie – Zweite Ankunft des Herrn
Fragen wir deshalb nach: Die „Wiederkunft Christi“ wird auch „Parusie“ genannt oder auch „zweite Ankunft des Herrn“ (adventus Domini). „Parusie“ soll bedeuten das endzeitliche, dauerhafte Dasein Christi bei den (christlich gewordenen) Menschen, in der Offenbarung des Johannes genannt das (endzeitliche) „Wohnen Gottes unter den Menschen“ (Offb. 21,3).
Und wir sollten uns hier unsere eigene Zeitrechnung bewusstmachen, die nämlich eine grundsätzlich „christliche“ ist. Wenn wir heute das Jahr 2024 schreiben, so ist es eigentlich das Jahr „A.D. 2024“ (= anno Domini 2024), also „2024 – im Jahre des Herrn“ oder noch genauer „2024 – im Jahre unseres Herrn Jesus Christus“. Damit ist kenntlich gemacht, dass zu Beginn unserer Zeitrechnung etwas (kosmisch und weltgeschichtlich) Umwälzendes geschehen ist, und dieses Ereignis wird in und mit der Zeitrechnung dauerhaft festgehalten (ein durchaus häufig anzutreffendes Verfahren von Völkern oder Gesellschaften innerhalb der Menschheitsgeschichte - vgl. den Terminus "Ära", z.B. in Wikipedia - siehe unten). Die christliche Zeitrechnung ist uns geblieben, aber der heilsgeschichtliche Ereignis-Zusammenhang ist heute ausgeblendet bis gänzlich verschwunden.
Warum nun wird die Parusie auch „zweite Ankunft des Herrn“ genannt? Weil es ja zuerst eine „erste Ankunft des Herrn“ gegeben hat, das ist die Inkarnation Jesu Christi und seine Verkündigung des Evangeliums vom kommenden Reich Gottes.
Und warum ist Christus bei
seiner ersten Ankunft nicht gleich geblieben? Im
Johannesevangelium finden wir darüber folgende
Worte:
„Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.“ (Joh. 14,2f; EU 2016, Herv. v. Verf.)
Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Johannes14, abgerufen am 08.07.2024.
„Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden.“ (Joh. 16,7; EU 2016, Herv. v. Verf.)
Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/Johannes16, abgerufen am 11.07.2024.
Und damit erhebt sich die Frage nach einem Loch, nach der Lücke oder Leerstelle, die Jesus Christus durch sein Gehen nach seinem ersten Kommen bei jenen Menschen hinterlässt, die sich ab sofort und gleichsam aus dem Stand heraus als „Christen“ verstehen sollen (und freilich auch wollen)?
Dieser Text basiert auf den Artikeln "Parusie" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Parusie), "Advent" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Advent), "Anno Domini" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Anno_Domini) und "Ära" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%84ra) aus der freien Enzyklopädie "Wikipedia" (externer Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite) und steht unter der Lizenz "Creative Commons CC-BY-SA 4.0" (externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren der Artikel "Parusie" und "Advent" und "Anno Domini" und "Ära" verfügbar, dort jeweils unter dem Reiter "Versionsgeschichte". Abrufdatum der Artikel: 10.07.2024.
e) Frage nach dem Sinn des Weggehens Christi
Mit dieser jetzigen Frage nähern wir uns erst dem eigentlichen Sinn der „Wiederkunft Christi“. Das Wiederkommen scheint ja mit dem Weggehen unmittelbar verknüpft zu sein, und es erhebt sich zunächst einmal die Frage einer Lückenfüllung, also einer Stellvertretung (für die frisch gebackenen Christen, die man nicht einfach sich selbst und ihrem - in sich noch ungefestigten - Gutdünken überlassen kann)? Traditionell gilt der Papst – der Petrus-Nachfolger – als „Stellvertreter Christi auf Erden“ – dies ist ein offizieller Titel, den er trägt, heute noch zumindest in katholischen Kreisen.
Im Johannesevangelium ist nun aber ein „ganz anderer Stellvertreter“ benannt: der Beistands-Geist oder Paraklet, und er ist hier klar inhaltlich zum Weggehen Christi in Beziehung gesetzt: Wenn der Geist zu den Menschen kommen können soll, dann muss Christus zuerst einmal wieder weggehen.
Man könnte nun versuchen, beide Stellvertretungen zusammenzudenken, etwa, indem man formuliert: Über die päpstliche Vermittlung kommt der Geist zu den Menschen. Und damit könnte der Papst als „Lehrer aller Christen“ angesehen werden, der ein „unfehlbares Lehramt“ innehabe – so quasi von der (katholischen) Christenheit „festgestellt“ oder auch „erkannt“ auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869-70).
Man kann die Stellvertretungsfrage aber auch kontroverstheologisch aufwerfen: Ist es möglich, dass petrinische Stellvertretung und parakletische Stellvertretung nicht deckungsgleich sind und auch gar nicht zusammengebracht werden können, sondern sich vielmehr von Grund auf widersprechen, nämlich im Prinzip, in ihrem Prinzip?
Anders formuliert: Wenn Christus von sich selbst aussagt, er müsse weggehen, damit der Geist zu den Menschen kommen könne – muss dann nicht eine „Stellvertretung Christi auf Erden“ kontraproduktiv sein und eine Negierungsfunktion der ureigenen Intention Christi haben?
Anderseits kann man mit einem gewissen guten Recht sagen, frische Christen-Pflänzchen könne man nicht einfach sich selbst überlassen, sondern sie brauchen noch eine Unterweisung, Leitung, Führung, wenn nicht die "christliche Urgemeinde" von vornherein zum Scheitern und zur Nicht-Genese verurteilt sein soll.
f) Ist Christi Ausbleiben Parusie-Verzögerung oder vielmehr Parusie-Ermöglichung?
Die Frage ist nun: Wie ist
der von Jesus Christus bestimmte „Zwischenraum seiner
Abwesenheit“ wesenhaft zu verstehen und zu deuten? Handelt es
sich um eine bloße „Wartezeit“, die, wenn sie ungewöhnlich oder
unerträglich lange wird, als eine unerklärliche oder auch
unplausible "Parusie-Verzögerung Christi" erscheint? Warum
verzögert Christus sein Wiederkommen?
Wenn wir einen Wink im NT suchen, so finden wir eine sachliche Parallele im Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Mt. 25,14-30 par Lk. 19,12-27), dem bei Matthäus das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen benachbart liegt (Mt. 25,1-13), mit selber Thematik.
Auch hier ist von einem "Herrn" die Rede, der die Seinen einer "Abwesenheit seiner" aussetzt. Sie erhalten - vor dem Weggehen - ein Gut, und im Textverlauf wird deutlich, dass sie dieses in der Abwesenheit – in der ja wertvolle Zeit verstreicht – vermehren sollen. Eingestreut ist das Bild vom Säen und Ernten, so dass wir auch hier wieder den christlichen Glauben als ein Saatgut ansehen können, das - im Verstreichen der Zeit - aufgehen und Früchte tragen soll. Und damit ergibt sich der Zwischenraum der Abwesenheit Christi als Reifungszeit und sein Wiederkommen als Erntezeit.
Und nehmen wir noch das Gleichnis von den Jungfrauen und das Gleichnis vom Säen hinzu, so sehen wir, dass die Saat in den Menschen als Christ-Werdung aufgehen soll, und dass die eigentliche Frucht im Verstehen der Worte Jesu (und zuletzt seines Evangeliums vom kommenden Reich Gottes) besteht.
Die einen, die das Verstehen zeitigen, werden in die Hochzeitsgesellschaft aufgenommen, die andern, die dieses Verstehen nicht zeitigen, werden von ihr ausgeschlossen, werden also bei der Endzeit-Ernte nicht berücksichtigt werden, indem sie das nicht getan haben, was sie im Verlaufe von Jahren, Jahrhunderten, Jahrtausenden der christlichen Reifungszeit hätten tun sollen.
g) Vorläufiges Überlegungs-Ende und Resümee
Wenn die Kirchengeschichte - im Anschluss an die vielen Gleichnisse im NT - als christliche Reifungs-Zeit zu deuten ist, kann die Frage aufgeworfen werden, ob die petrinische Stellvertretung, die mit einem gewissen guten Recht an ihrem Anfang steht und greift, im Christseins-Genese-Verlauf zu ersetzen sei durch die parakletische Stellvertretung, indem es ja der Geist Christi ist, den Christus in seiner Abwesenheit sendet und den die Christen in sich aufnehmen sollen und der sie ja erst mit gutem - und jetzt erst: gewissen - Recht zu (eigentlichen) Christen machen wird?
Die anfängliche Saat-Situation soll übergehen in die Reifungs- und Frucht-Situation, und am Ende steht das im Johannestext genannte Kommen Christi als Ernte-Situation, in welcher Petrus laut dem ureigenen Wort Jesu allerdings eine ziemlich schlechte Figur macht…
Punkt F zusammenfassend: Das
Ereignis-Substantiv „Kommen“ scheint mir als Übersetzung
stärker und aussagekräftiger zu sein als das
allgemeinsprachliche Verb „kommen“, insbesondere dann, wenn man
nicht - abstrakt - nur auf den einzelnen, zu
übersetzenden Vers sieht, sondern auch auf den biblischen
Kontext, in dem er steht und in dem er seinen Sinnzusammenhang
und seine Auswirkung auf das Ganze hat.
G. Zum
weiteren Prozedere im Umgang mit den benutzten
Bibelübersetzungen
Der bereits genannte
ERF-Bibelserver erlaubt es, zwei verschiedene
Bibelübersetzungen versparallel nebeneinander zu stellen und
sogar diese Nebeneinanderstellung direkt zu verlinken. Hiervon
will ich ab sofort Gebrauch machen (wie oben schon). Und je
nachdem, ob ich die eine oder die andere Übersetzung bevorzuge,
ist an erster (= linker) Stelle immer die zitierte Fassung
gewählt, während an zweiter (= rechter) Stelle die alternative
Bibelübersetzung erscheint. Ich beschränke mich hierbei auf die
Lutherbibel 2017 und die Einheitsübersetzung 2016, die daher
wechselweise links oder rechts erscheinen können.
Ich freue mich darüber, beide Übersetzungen zur Verfügung zu
haben und möchte keine missen. Deshalb will ich an dieser
Stelle beiden Seiten meinen Dank aussprechen, und zwar
ganz und gar aufrichtig, ohne jegliche kontroverstheologische
Absicht oder Anspielung.
H. Die Papst-Frage und der Schafe-Weide-Auftrag
Apropos: Die
Papst-Frage ist offen, und ich spare sie mir für den
Schluss auf (Durchführung im Schluss Teil 2, Kapitel 34-36).
Für die hier dargelegte Problematik einer
Bibelübersetzung hat sie keine Relevanz, zumal das
Irdischer-Vater-Verbot nach Mt. 23,9 in der Einheitsübersetzung
nicht anders klingt als in der Lutherbibel, und das "Du bist
Petrus" nach Mt. 16,18 ist in der Lutherbibel dasselbe wie in
der Einheitsübersetzung, woraus wir ersehen können, dass es am
Buchstaben nicht liegen kann, das Konfessionelle, sondern hier
kommt es dann auf die Bibeldeutung an, wobei wir nicht
vergessen wollen, dass die Reformation als sog.
reformatorische Erkenntnis Luthers startete, was uns
anzeigt, dass an unserem Verstehen (und Nichtverstehen)
Wesentliches gelegen ist, oder christlich ausformuliert: unser
Anteil-Gewinnen und -Haben am Geist.
Deshalb auch sollten wir das Konfessions-Problem des
Christentums nicht so sehr ein "Kirchen-Trennendes"
nennen, besser ein "Kirche-Konstituierendes", denn es
scheint mir ein Ringen um die Substanz dessen zu sein,
was die christliche Kirche oder Gemeinde in ihrem Innersten
ausmacht, und diese Substanzfrage sollten wir uns nicht
ökumenisch verwässern, nur weil uns heute die Ökumene irgendwie
in der Welt dahinzuschwinden scheint, so dass wir offen und
ehrlich einräumen müssen, dass das Evangelium in der Menschheit
rückläufig geworden ist, entgegen seiner
Intention.
Und wenn man sieht und
anerkennt, dass die Kirchenaustritte auf beiden Seiten
sich ziemlich die Waage halten, so scheint ja die Reformation
keine tiefere Wirkung in der Zeit hinterlassen zu haben und
also auch keine deutlichere Glaubens-Sprache gefunden zu haben
als die Katholiken? Nach meiner Einschätzung der
Glaubens-Situation in unserer Gegenwart und Welt gibt es daher
weder Petrus-Lorbeeren, auf welchen man sich ausruhen könnte,
noch Luther-Lorbeeren.
Ich will und werde die Papst-Frage am Weide-Auftrag
festmachen, an jenem Bild also, in welches Jesus
Christus seinen Auftrag an Petrus gegossen hat (Joh.
21,15-19). Und mir scheint, man muss dieses Jesus-Bild richtig
deuten können, wenn man seinen Auftrag überhaupt
verstehen können will (um ihn dann freilich auch
auszuführen). Und offen und ehrlich gesagt, habe ich meine
Zweifel daran, dass die "Petrusse" diesen Auftrag Jesu
verstanden haben. Und wenn sie ihn nicht verstanden haben, so
vergeuden sie seit Jahrhunderten wichtige Christ-Reifungs-Zeit,
wertvolle Heils-Geschichts-Zeit, so dass man sich nicht zu
wundern braucht, wenn kirchengeschichtlich ein Anderer in die
Bresche und Leerstelle (Lehr-Stelle) springt. So erklärt sich
dann auch, weshalb der christliche Glaube heute derart
heruntergewirtschaftet ist, dass er mit der "Höhe der Zeit",
mit unserer eigenen Gegenwart nicht mehr in konstruktiven,
weiterführenden, maßstäblichen Zusammenhang gebracht werden
kann.
I. Die Schlüssel-Frage und das Wirken des Geistes
Um den Weide-Auftrag
verstehen zu können, braucht man einen rechten
Deutungs-Ansatz, sagen wir einen Schlüssel, der
(auch) die Bibel aufschließt, und einen solchen scheint Petrus
ja bekommen zu haben (Mt. 16,19). Was vermag dieser
Schlüssel? Er kann das Himmelreich aufschließen, wie uns der
Schlüssel-Evangelist Matthäus selbst mitteilt, wenngleich mit
Betonung der (zugleich möglichen) Negativfolie eines
"Verschließens des Himmelreiches" (Mt. 23,13-14). Also: Eine
rechte Bilder- und Bibel-Deutung schließt uns das Himmelreich
auf, eine falsche schließt es uns zu. Und zum
Aufschließen gehört gewiss auch ein Verstehen der
Offenbarung des Johannes, in welcher ja von einem "neuen
Himmel" und einer "neuen Erde" gesprochen wird (Offb. 21,1),
weshalb mit dem Himmelreich zugleich das "Erdreich"
aufgeschlossen und durchsichtig gemacht werden wird: unser
aller Gegenwart, so dass es der Menschheit (zumindest der
Christenheit) wie Schuppen von den Augen fallen wird, sobald
der Schlüssel greift.
Nun ist mir persönlich nicht
erkennbar geworden, die von "Petrus" gelenkte
römisch-katholische Kirche verkörpere den Geist unserer
Gegenwart, stehe also auf der Höhe der Zeit, -
was ich aber aus meinem Glauben heraus für den
Parakleten (den "Herbei-Gerufenen", Beistand, Tröster, Hl.
Geist) als konstitutiv ansehe - und so bin ich
konvertiert, gleichsam um von zwei Übeln das kleinere zu
wählen, indem ich die evangelische Kirche wesentlich
aufgeschlossener finde, im Zugehen auf die Welt, und somit
näher dran an der Grundintention des Evangeliums,
nämlich seinem Einzug und vollständigen Hineingang in die Welt
und Menschheit. Ich sehe daher in der Luther-Bresche einen
konstruktiven Neuansatz im Verstehen der Christlichkeit und in
der Christ-Werdung, der aber einer Fortführung und
Weiterentwicklung bedarf in Richtung Christ-Sein, das noch
nicht erreicht und erfüllt ist.
Entsprechend bin ich geneigt, die Bibel als unseren
Kompass oder auch unser Navigationsgerät
anzusehen, in dessen "Technik" man sich richtig hineinfinden
muss, wenn man die "Richtung unserer Gegenwart" herauslesen
können will, analog zur christlichen Glaubensüberzeugung: Das
Wort wird Wirklichkeit werden. Ein Navigationsgerät ist
freilich eine Hardware, die ohne die zugehörige Software
hinfällig ist. Und wenn nun die Bibel unsere Hardware ist -
sollte dann nicht "der Geist" die zugehörige Software sein? Zu
dumm, dass man diese Software nicht einfach kaufen
kann - viellecht aber doch irgendwie erwerben? Indem
man selbst in eine angemessene Geistigkeit
hineinfindet, die dem Beistands-Geist zeigt oder signalisiert,
dass hier ein tiefergehendes Interesse in der richtigen
Richtung vorhanden ist? So dass ein guter Grund und Boden
gegeben ist, höhere Erkenntnisse herunterzugewähren? - Genau
dieser Frage gehe ich dann im zweiten Thessalonikerbrief nach,
und auch die zum Anlass dieses längeren Einschubes genommene
Bibelstelle über die 'kommenden wahren Beter' weist in diese
Richtung (Joh. 4,23f).
Und in der Navigations- oder Kirchen-Lenkungs-Frage fiel mir
auf, dass Petrus die "Schlüssel
des Himmelreichs" ja gar nicht unbedingt erhalten
haben muss!? Alle Welt geht zwar heute davon aus, und genau
deshalb ist heute auch dieser von Jesus selbst zugesagte
"Schlüssel" zu einem Christen-Märchen geworden: Der Papst
schließt uns ja in Wahrheit gar nichts auf, er kann uns keine
Aufschlüsse geben. Die Aufschlüsse und Erkenntnisse finden sich
heute ganz woanders.
In der
(schlüssel-)relevanten - und nun brisanten -
Bibelstelle unterscheiden sich Lutherbibel und
Einheitsübersetzung auch nicht erheblich, denn die eine
formuliert in Mt. 16,19: "Ich will dir ... geben", die
andere: "Ich werde dir ... geben." Festgehalten kann
werden, dass nirgends steht: "Hiermit übergebe ich
dir...", und auch nicht: "Ab jetzt gilt dein
Schlüsselbesitz als ausgemacht." Der Schlüssel ist
vielmehr für eine unbestimmt gelassene Zukunft
zunächst einmal nur zugesagt... Sieht man näher hin,
findet man auch eine Voraussetzung der
Schlüsselzusage, die den "Geist" thematisiert, aber
ich greife vor...
Ich sehe heute ein
Christlichkeits-Dilemma, bestehend aus zwei
Syllogismen oder Schlussketten, deren eine in der
Vergangenheit ansetzt und davon ausgeht, Petrus habe
die Schlüssel auf jeden Fall erhalten, und deren
andere in der Gegenwart ansetzt und konstatieren muss,
dass "Petrus" keinen Geist zeitigt, der die Welt und
Wirklichkeit verstehen, durchdringen und dann -
selbstverständlich - auch führen und vorwärtsbringen
könnte...
Schluss 1
(Vergangenheit -> Gegenwart):
a) Petrus hat die Schlüssel erhalten (und ihn an die
"Petrusse" weitergegeben)
b) Die Schlüssel haben Geistes-Kraft und -Macht
c) Petrus hat Geistes-Kraft und -Macht
Schluss 2 (Gegenwart
-> Vergangenheit):
a) Petrus zeigt keine Geistes-Kraft und -Macht
b) Die Schlüssel haben (aber) Geistes-Kraft und -Macht
c) Petrus kann die Schlüssel nicht (erhalten) haben
(oder sie sind ihm verloren gegangen, oder weggenommen
worden?)
Dies scheint mir die Konfessionen-Gretchenfrage zu
sein: Ist der Schluss von der Vergangenheit auf die
Gegenwart richtig, oder ist der Rückschluss von der
Gegenwart auf die Vergangenheit richtig? Aus dem
Rückschlussverfahren ergibt sich aller Grund und Anlass zur
Reformation, seine Grundlage ist (jeweils) die Jetzt-Situation
und Jetzt-Geistigkeit der Christenheit.
Wie lange noch soll dem
Papstum seine offensichtliche Orientierungslosigkeit
(oder gar Desorientierung) als Geistbesitz
durchgehen? Für mich persönlich - als unzeitgemäßem
Protestanten mit noch frischen Irdischer-Vater- und
Habemus-Papam-Eindrücken - stellt sich die Frage, ob die Bibel
wirklich nicht mehr Geist enthält, als uns die
römisch-katholische Kirche unter pästlicher Führung als
"unfehlbaren Geistes-Wahrheits-Schatz" anzubieten imstande
ist?
Bevor ich jemals glaube, die von Jesus Christus selbst
zugesagten Schlüssel des Himmelreichs seien wirklich so schwach
und kraftlos und wirkungslos, wie sie in ihrer
"petrinisch-päpstlichen Handhabung" heute in unserer
Wirklichkeit und vor aller Welt erscheinen, will ich lieber
annehmen, diese hochpotenten Schlüssel seien den "Petrussen"
schon beizeiten kirchen- und heilsgeschichtlich aus der Hand
genommen worden, und man muss sich besser anderswo umsehen, um
die von Christus zugesandte Geistes-Kraft und -Macht zu finden.
Und sofern ich nicht fündig werde, will ich lieber nochmals
selbsteigen in die Bibel hineinsehen und einen Eigenversuch
ihrer Deutung und Entschlüsselung vornehmen, im Vertrauen
darauf, dass, wenn ich mich ihrem Geist in der rechten Weise
nähere, dieser sich mir dann auch zu erkennen geben und
zuschicken werde. Ein Schlüssel als solcher beweist sich im
Aufschließen, ein geistiger Schlüssel beweist sich im
Aufschluss geben, vice versa.
K. Das merkwürdige Auftrags-Splitting Jesu und die Frage nach Aufgabe und Kompetenz der Schafe
Es scheint so, als gehörte
zum Christentum ein sehr merkwürdiges
"Auftrags-Splitting", und folglich muss es eine wichtige
christliche Aufgabe sein, beide Seiten oder Aspekte recht
zusammenzubringen:
a) das Weiden (resp. Geweidet werden) -> Joh.
21
b) das Vorrang haben (resp. Vorrang gewähren) ->
Mt. 16
Bemerkenswert hierbei ist, dass der Weide-Auftrag vom
auferstandenen Jesus Christus erteilt wird, während
die Schlüssel-Zusage vom noch inkarnierten Jesus
Christus gegeben wird, d.h. in jedem Fall: zu einem
früheren Zeitpunkt, so dass zwar die (frühere)
Schlüssel-Zusage durch den (späteren) Weide-Auftrag überholt
worden sein könnte, nicht aber umgekehrt.
Faktisch-kirchengeschichtlich wurde in der Reformation das
"Vorrang gewähren" der Schafe (und somit auch das "Vorrang
haben" des Hirten) zurückgenommen, weil offensichtlich
Zweifel am rechten "Geweidet werden" auftraten, als
hätten christliche Schafe im christlichen Schafsein oder
Geweidet werden irgendetwas mitzureden und keine
blinde Gehorsamspflicht gegenüber einem Hirten, der ja
jederzeit sagen kann, was immer er will, denn
wenn die Schafe unzufrieden sind, dann wird er seinen
Weideauftrag wohl nicht zufriedenstellend
erfüllen?
Kirchenkonstitutiv gefragt: Haben nun die
Schafe im Christentum ein Mitspracherecht,
oder haben sie keines? Die Beantwortung dieser Frage,
so oder so, sagt uns, ob die evangelisch-lutherische Kirche
überhaupt ein christliches Existenzrecht habe
oder ob sie keines hat und grundsätzlich illegitim existiere?
Wenn die Schafe kein Mitspracherecht haben, dann ist die
evangelische Kirche ohne (kirchen-)rechtliche Grundlage, und
Martin Luther ist und bleibt ein Usurpator, sagen wir: ein
Revoluzzer. Allerdings: Genauso, wie man den Protestantismus
schnell und leicht in Grund und Boden denken kann, kann man es
auch mit dem römischen Katholizismus tun: Hat der Papst (≠
Petrus) ein christliches Existenzrecht, oder kann er
nur ein un- und antichristliches haben?
Die Entscheidung beider Fragen (die die Konfessionen in
ihrer Existenz betreffen) hängt von unserer
Bibeldeutung ab. Man könnte beispielsweise versuchen,
den aus Matthäus gewonnenen Terminus des
Vorrang-habens evangelisch in Bewegung zu bringen, mit
Leben zu erfüllen, anstatt ihn katholisch starr und steif, als
ein fix Gemachtes festzuhalten. Wenn wir ihn
verflüssigen, dann erkennen wir, dass das
Vorrang-Haben am Geist-Zeigen festgemacht ist
(und zwar von Jesus selbst), und dann wäre es doch folgerichtig
und dauerhaft richtig, diesen Sinnzusammenhang auch
als Schlüssel-Grundlage festzuhalten? Christen täten
dann gut daran, jenem Geschwister unter sich Vorrang zu
gewähren, das Geist zeigt? Und: Ist das nicht erstmals in der
Reformation kirchengeschichtlich auch wirklich geschehen? Dann
wäre die Kirche Jesu Christi lutherisch-evangelisch in sich
vorangeschritten und in der Gemeinde- oder
Gemeinschafts-Bildung echt vorwärtsgekommen und das
Kirchen-Recht hätte sich umgekehrt usw. usw.
Die entscheidende Frage ist: Darf ein christliches
Schaf einen "eigenen Geist" haben, oder hat es
sich dem Wort und Urteil des Hirten zu fügen, welches von ihm
bedingungslos als "wahr" anzuerkennen sei - weil Jesus das so
wollte? Nun, das biblische Irdischer-Vater-Verbot nach Matthäus
wird wohl irgendeinen guten christlichen Grund haben,
und es könnte dieser sein: Christliche Schafe
sollen und müssen einen eigenen Geist haben, soll
heißen: den Geist selbst in sich haben, und
dürfen sich nicht (blindlings) dem Geist eines Anderen
überantworten... wenn sie nicht heilsgeschichtlich Gefahr
laufen wollen, dass...
Dann folgt: Luther - richtig gesichtet - ist kein
"neuer Papst", sondern der "erste Bruder" unter "christlichen
Geschwistern", die keinen "irdischen Vater" brauchen, der ihnen
sagte, wo's lang geht, und die in ihren (paritätischen) Reihen
die Eingebungen des Geistes erwarten und erhoffen, im Vertrauen
darauf, dass sie alle den kommenden Geist als solchen werden
erkennen und beurteilen können. Und die Reformation -
richtig gesichtet - ist die erstmalige Internalisierung des
christlich-heilsgeschichtlichen Erneuerungsprozesses des
Menschen, wobei der Reformationsprozess als solcher
(immer) noch (eigens) erkannt und internalisiert gehört: Die
Reformation darf sich selbst nicht verhärten, nicht
dogmatisieren, sich selbst nicht zu einer (das Wahre wieder ins
Falsche zurückdrehenden) Orthodoxie "umbiegen", sondern muss
dauerhaft in sich selbst flüssig bleiben,
geistig-lebendig, damit Mensch und Gesellschaft ihr Christsein
(als Christ-Werden) in die Zukunft hinein bewahren können und
nicht wieder verlieren.
Als Christ sollte man
eines sicher wissen: Den Geist kann man
nicht simulieren. Entweder ist er da, oder er
ist nicht da. Ich erinnere mich an eine Vorlesung über
den Heiligen Geist in Heidelberg, von Prof. Michael Welker, die
uns Studenten das Wirken des Geistes sehr anschaulich und sogar
vielfach vor Augen führte, übrigens gerade auch im Alten
Testament (wenn man nur näher hineinsieht). Und so bleibt die
Hoffnung, dass sich der Geist der
Christenheit immer wieder mal neu zuschicken
wird. Wir haben es aber nicht in der Hand.
Alternativ kann man natürlich die Dinge am Buchstaben
festmachen wollen und die (zahlreichen) biblischen Verse
in alle Ewigkeit hinein einfach hersagen, ohne darin
des Erneuerungsgeistes unserer selbst gewahr werden zu
können, der uns verändern soll und will. Dann bleibt eben Alles
beim Alten, was nur - sündengeschichtlich gesehen - irgendwie
nicht die Intention des Evangeliums (gewesen) sein
kann...
L. Wettstreit der Konfessionen um den
Schlüssel-Besitz?
Der Erneuerungsversuch der
römisch-katholischen Kirche durch das zweite Vatikanische
Konzil scheint mir misslungen, denn mit Reförmchen kommt man an
den (heiligen oder parakletischen) Zeitgeist nicht mehr heran,
dafür ist er schon viel zu weit fortgeschritten, also
weggegangen.
Wir könnten es daher - in diesem unserem
christlich-konfessionellen Zweifelsfall - mit Lessing halten,
mit seiner interreligiösen Ringparabel, die wir lediglich
innerchristlich-konfessionell abwandeln müssen: Jede
Konfession bemühe sich, den christlichen Gemeindeaufbau oder
menschheitlichen Gemeinschaftsbau in sich heilsgeschichtlich
voranzubringen! Dann muss sich doch zeigen, wo die
Schlüssel zum Himmelreich zu finden sind? Wer sie besitzt,
findet zu wahrer Christlichkeit, also zu ihrer noch
ausstehenden höheren Ebene hinauf. Und so werden diejenigen im
Vorteil sein, die aus sich selbst heraus die rechte Idee
des Christseins entwickeln, rechte christliche Sozialität,
in der die Gemeinde geprägt ist von einem
Sich-gegenseitig-Ergänzen, so dass zugleich die Individuen
hingeordnet sind auf die Gemeinschaft und die Gemeinschaft
hingeordnet auf die Individuen, bei gleichzeitiger freier
Vernetzung der Individuen untereinander. Und in diesem
Wettbewerb um die christliche Substanz - dies scheint
mir der Kern der Konfessionalität zu sein - ist es zulässig und
richtig, immer wieder nochmals in der Bibel nachzulesen, gewiss
auch bei Paulus (1 Kor. 12), wo erkennbar wird, dass der zu
entwickelnde Geist selbst schon der Schlüssel des
Ganzen ist, der die christliche Gemeinschaft zu einem
lebendigen Sozialorganismus (ein anthroposophischer Terminus)
machen kann und wird.
Pluralisch sind die "Schlüssel des Himmelreichs" vielleicht
deshalb, weil diejenigen, die "bis zum Kommen bleiben", sich
darin auch abschließen und kulturell absetzen können von
denjenigen, die sich zwar für Christen halten, es aber in ihrem
Kern nicht (geworden) sind, und die Idee ihres Ausschlusses
findet sich ja schon im NT, sowohl in den Evangelien als auch
in der Offenbarung des Johannes, so dass der Ausschluss als
"gerecht" anzusehen ist.
Was mich selbst betrifft, so will und werde ich auch weiterhin
in der Bibel schürfen, im Glauben, dass in ihr unser Heil,
unsere Rettung zu finden sei, und in der Hoffnung, dass ich
ihren Geist finden möge. Und was auch immer ich heraus-finde,
"meinen Fund" will ich dann schon auch mitteilen,
allgemein, denn die Menschen sollen doch gerettet werden,
alle, ohne Ausnahme? Und mit größtmöglichem Ernst und
Fleiß will ich versuchen, eine größtmögliche Aufrichtigkeit in
meinem Suchen und Hinein-Denken-in-die-Bibel zu entwickeln und
eine größtmögliche Kompetenz und Authentizität in meinem
Heraus-Sprechen-aus-ihr an den Tag zu legen, trotz meiner
theologischen Unprofessionalität, - so gut ich es nur irgend
kann, mich von Anfang an und auch weiterhin bewegend in der
Freude am Nachdenken, in meinem philosophischen
Dilettantismus.
***
Deshalb zunächst einmal wieder zurück zur Philosophie, die ja außerhalb des Glaubens ansetzt.
Und der Erkenntnisvorgang an sich würde sich dann folgendermaßen darstellen: Der Mensch öffnet sich in seinem Denken dem Geist, dem Spiritus, um ihn zu empfangen, und auf diese Weise zieht er die wahre Idee seiner selbst an, holt sie – meinetwegen aus einem Ideen-Himmel - in sich selbst herein, wie einen Angelhaken, der ihn dann nach oben zieht, in die Geistwelt hinein…
…so wie ja auch das Evangelium vom Reich Gottes oder des Geistes einstmals ausgeworfen wurde wie ein Netz oder eine Angel, um Menschen zu fischen, nämlich in die Geistwelt hinein?
In der Frage des Stellenwertes der Idee scheint mir der eigentliche Disput zwischen Platon und Aristoteles bestanden zu haben, indem Platon meinte, der Mensch müsse hinauf zu den Ideen in der Ideenwelt, während Aristoteles den Standpunkt vertrat, die Ideen müssten herunter auf die Erde, zur Menschenwelt. Und die Lösung, wenn man so will, bestünde dann darin, dass der Mensch die Aufgabe hat, den (Denk-)Weg zur Idee zu finden, um sie anschließend auf die Erde herunter- bzw. in seine Existenz hereinzuholen, damit sie nicht nur oben ist, wo sie keinem Menschen nützt (so wenig wie ein unerkanntes Pendel- und Fall-Gesetz), sondern auch unten, den Erdenmenschen in seine Selbst-Verwirklichung führend.
Also: Indem das Denken des Menschen spirituell wird (was der denkende Mensch nur selbst machen kann - hier philosophisch betrachtet), angelt der Mensch sich selbst in die Geistwelt hinein. Er zieht - in der Spiritualisierung seines Denkens - nach „oben“ und zugleich wird er - von der die Erkenntnis heruntergewährenden Geistwelt aus - nach „oben“ gezogen, durch die Erkenntnis, in die Geistigkeit des Kosmos oder seiner selbst hinein.
Dies wäre dann der Sinn und Zweck des Erkennens, in einer spirituellen Weltanschauung, und diesen Vorgang haben wir oben genannt das Münchhausen-Prinzip des Geistes.
Noch leichter wird das Münchhausen-Unterfangen verständlich, wenn man sich bewusst macht, dass geistig gesehen der „eigentliche Boden“ sich ja „oben“ in der Geistwelt befinden muss, im Geist, der das Ganze des Seins trägt, nicht unten auf der Erde, die der Schwerkraft unterliegt. Deshalb kann man den „irdischen Boden“ auch nicht Boden im eigentlichen Sinn nennen, denn sein „Tragen“ beruht ja nur auf dem physikalischen Zusammenspiel eines Nach-unten-gedrückt-Werdens und eines entgegen stehenden Widerstandes, so dass dieser angebliche Boden im Grunde nicht mehr ist als eine bloße Fall- oder Sturz-Verhinderung...
…wie uns erst dann so
richtig bewusst wird, wenn wir uns auf einem Gebäude mit
Flachdach befinden und näher an den Dachrand herantreten
wollen, um einen möglichst freien Blick zu bekommen. Denn
hierbei wird unser Blick nicht nur freier, sondern zugleich
beängstigend unfrei, indem die Möglichkeit sozusagen realer
wird, irgendwelche zufälligen Winde könnten uns in unserer
Leiblichkeit ergreifen und uns urplötzlich unserer Bodenhaftung
berauben, was uns dann unseren angeblichen Boden als solchen
"bewiese"...
So ist unser Erdboden nichts, was in sich selbst Tragfähigkeit oder Halt besäße…
…wie ansatzweise eine schwebende Raumstation (auch wenn diese noch eine stabilisierende Umlaufbahn benötigt).
Analog ist durchaus vorstellbar, dass der Mensch durch die Einübung und Ausbildung eines „begrifflich feineren Anfassens“ auch auf weniger festen Böden als dem physischen Boden „Fuß fassen“ und lernen kann, auch auf feineren Wirklichkeits-Böden „aufzutreten“ wie einer Seelen- oder einer Geistwelt, sich in diese dann auch hinein zu orientieren und darin seinen Weg zu machen, nämlich dann, wenn sein Denken und Unterscheiden und geistiges Sehen können hinreichend gut entwickelt sein würde….
…und biblisch könnte uns dies angedeutet sein im AT durch den über den Wassern schwebenden Geist, welchem dann im NT das (scheinbar irreale, weil und wenn aus dem Physischen beurteilte) Bild des auf dem Wasser gehenden Jesus entspricht.
***
Und man könnte dann – wenn man in dieser spirituellen Richtung weiterforschen würde - das Denken selbst noch eingehender betrachten. Denn für gewöhnlich – oder dem ersten Anschein nach – ist man in seinem Denken ganz mit sich alleine (und bei diesem ersten Anschein sind wir bis heute geblieben). Wenn sich aber nun im Denken wesenhaft Erkenntnis ereignet, so muss diese Erkenntnis angesehen werden als ein Anteil bekommen an einer höheren Geistigkeit, die man vor der jeweiligen Erkenntnis noch nicht hatte. Und wenn nun Geistigkeit – in Wahrheit – kein Abstraktum und keine Blasenbildung ist, sondern Substanzialität und Subsistenz des Kosmos, dann bekommt der Mensch im Erkennen auch Anteil an höheren Geistwesen, die diese höhere Geistigkeit ja substanziell in sich tragen und von welchen her die Erkenntnisse dann gewährt werden und herunterempfangen werden können.
Und dann wäre das Denken - in Wahrheit - kein Selbstgespräch, sondern ein Zwiegespräch zwischen einem niedrigeren und einem höheren Geistwesen, wobei das eine Geistwesen sozusagen fragend hinaufhört, während das andere Geistwesen antwortend herunterspricht, wobei dieses Heruntergesprochene dann als "Erkenntnis" im niedrigeren Geistwesen aufleuchtet…
…wobei wir aber freilich derzeit noch ein solches „Antwort-Bekommen“ als solches nicht realisieren können und auch der Meinung sind, die von uns gefundene Erkenntnis sei „unser geistiges Eigentum“, ein (derzeit bestehender Rechts-)Terminus, der nur in einer materialistischen Welt Sinn macht, denn in einer spirituellen Welt kann Erkenntnis nur als eine Anteilnahme oder Beteiligung zu verstehen sein, nicht als eine Übereignung zum Eigentum des Individuums.
…und dann müsste angenommen werden, unser derzeitiges Augenmerk, unsere Aufmerksamkeit und Geistesgegenwart reichten derzeit noch nicht aus, eine solche Differenzierung des Denkens in sich vorzunehmen, vielleicht, weil unser Wahrnehmen noch viel zu grob und flüchtig und unaufmerksam ist…
…nicht schon perfekt ausgereift, wie wir in unserer modernen Aufgeklärtheit vielleicht (von uns) annehmen möchten…
…und wir vielleicht erst noch eines Konzentrations-, Komprimierungs- oder Verdichtungsprozesses unseres Geistes in sich bedürfen?
Dass aber Verdichtungsprozesse zu unserem Universum gehören, das weiß auch unsere Naturwissenschaft, zumindest in der (sinnlich-materiellen) Außenansicht.
Alternativ können wir platt-materialistisch sagen: Im Denken ist und bleibt man ganz alleine, und alle Erkenntnis kommt aus dem Nirgendwo, aus dem Nichts heraus. Punkt. Ende.
***
Wäre der Mensch in dieser spirituellen Weise ein Geistwesen, so hätten wir jetzt sogar eine mögliche Erklärung dafür, warum und wozu die Geistwelt uns hängenlässt…
…nämlich, damit wir endlich aufhören, uns von unseren Wurmfortsätzen tragen zu lassen (zu welchen in der Über-Ich-Verlängerung "der Gott" gehört) und endlich anfangen, menschheitliche Eigenverantwortung zu übernehmen, anstatt in Anbetracht des tagtäglich dargelebten Verhaltens von Mensch und Menschheit die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen und auf eine (göttliche, außerirdische) Intervention von außen zu bauen…
…indem wir schließlich mit dieser (schlechten, missratenen) Menschheit nichts zu tun haben wollen, weshalb der Gott sie uns anders machen soll, als sie ist: Er soll sie ändern (resp. seine – „danebengegangene“ - Schöpfung, aber diesen Gedanken unterdrücken wir lieber auch) …
…nicht etwa wir uns…
Er soll endlich Recht und ein Machtwort sprechen, damit wir unsere Genugtuung erhalten können, in einer Welt, die nicht die unsere ist und die wir nicht mehr verantworten können usw. usw.
…oder in die höhere Sprache des Geistes übersetzt: Die Menschheit wird hängengelassen, damit sie sich aus der physischen Schwerkraft und psychischen Schwermut und geistigen Schwerfälligkeit befreit und in sich selbst seelisch-geistigen Eigenhalt entwickle und finde.
Und hierzu gehört auch ein „Wir – die Menschheit“, das bislang nicht existiert, das aber ernsthaft gewollt und umgesetzt werden muss, sofern es jemals mit der Menschheit aufwärts gehen können sollte…
…ein solches Wir scheint
aber derzeit niemand auf Erden haben zu wollen, oder kaum
jemand, jedenfalls niemand, der im Irdischen ein Gewicht und
ein Sagen hätte.
Und so wie es aussieht, wird uns ein solches gesundes und eigentlich auch normales Wir, von welchem wir uns womöglich in urferner Vergangenheit aus irgendwelchen uns derzeit nicht sichtbaren Gründen entfernt haben (theologisches Stichwort: Sündenfall), niemand von außen installieren…
…so dass hier alle Iche gefragt sind, von welchen ein jedes für sich selbst entscheiden muss, ob es ein solches Wir in sich selbst setzen und dann auch menschlich-menschheitlich annehmen, ausprobieren und leben will…
***
Und wenn der Mensch nun so richtig gesehen sein sollte, in seiner Idee, so wird vielleicht auch eine Zeit kommen – sofern wir Menschen es an der erforderlichen Anstrengung und Selbstüberwindung nicht fehlen lassen -, in der die Menschheit ihre derzeit noch gedrückte Stimmung und Hoffnungslosigkeit in Freude und Zuversicht wird umwandeln können, zumindest die Idee-Menschen, auch wenn derzeit offensichtlich kein Anlass hierzu besteht.
Der Mensch ist aber nicht besonders begabt, geschichtliche Entwicklungen ein- und abzuschätzen, und wir sollten höhere, uns überlegene Sichtungen unserer selbst, sofern sie uns schon zugänglich (gemacht) sind, wenigstens einmal zur Kenntnis genommen haben (anstatt sie blindlings oder wissenschaftlich-orientiert zu verwerfen):
„Und sie sangen ein neues Lied... Aber niemand konnte das Lied singen lernen außer den hundertvierundvierzigtausend, die freigekauft und von der Erde weggenommen worden sind.“ (Offb. 14,3)
Einheitsübersetzung
von 1980, online zugänglich über die
Universität Innsbruck, externer Link: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/offb14.html,
abgerufen am 11.07.2024. Ich zitiere die Einheitsübersetzung
von 1980 online mit freundlicher Genehmigung der
Katholischen Bibelanstalt GmbH. - Anmerkung:
Meine diesbezügliche Bevorzugung der Einheitsübersetzung von
1980 kann hier außen vor bleiben; ich thematisiere sie an
späterer Stelle: 3E8.
Mag sein, dass uns nicht nach Singen zumute ist, aber vielleicht mag in die Zukunft hinein eine andere Zeit auf uns zukommen, die aus dem Hier und Jetzt nicht absehbar und nicht hochrechenbar ist.
Dann müsste ein solches Lied der Zukunft - vielleicht auch: neue Kirchenlied - ein Lied der Freiheit in der Verantwortung sein, das Lied vom Sich-Binden im Gelöst-Sein:
Die Geistwelt hat sich klein gemacht!
So kann der Mensch gewinnen
Sein Freiheits-Kleid in Geistes-Nacht,
um selbst ins Sein zu finden.
Der Mensch – als potenzielles Geistwesen – müsste demnach in einem „Anderen seiner selbst“ zu sich kommen, damit er - von dort aus – aus diesem Schatten seiner selbst hervortreten und in die ihm bestimmte Selbst-Ständigkeit und Freiheit seines Wesens eintreten kann…
…erstmals seit Menschengedenken!
Und damit verschärft sich die Frage, inwiefern wir hier und heute an einem „Ende“ stehen, eine entsprechende Stimmung scheint ja allgemein vorhanden zu sein, nur besteht eine große Ratlosigkeit und Unklarheit, was dies zu bedeuten habe und wie damit umzugehen sei.
Und wenn man den Versuch macht, auch den Spiritualismus zu Ende zu denken…
…anstatt ihn aus dem gegenwärtigen Materialismus heraus als „irrsinnig und abwegig“ niederzurechnen…
…dann kann man das menschliche Denken auch so ins Auge fassen, dass wir darin einen inzwischen Jahrtausende währenden Praxis-Vorgang zu sehen haben, in welchem der menschliche Geist sich selbst zunehmend in sich konzentriert und verdichtet und sich selbst beweglich macht…
…und diesem subjektiven Vorgang, den wir über die Jahre in und mit uns selbst relativ bewusst vorgenommen haben, könnte ein objektiver Vorgang zugrunde liegen, in Form einer Höheren Erwartung an uns - die Menschheit, in einer vorausbestimmten, vorgesehenen, befristeten Zeit das menschliche Denken soweit geübt und trainiert, wir könnten auch sagen: verlebendigt zu haben, dass der Mensch die Schwelle nehmen kann, in ein geistiges Dasein seiner selbst eintreten zu können.
Und dass der objektive Vorgang abgeschlossen ist, können wir daraus schlussfolgern, dass wir von „Gott“ hängengelassen werden bzw. schon hängengelassen worden sind, vielleicht auch erstmals innerhalb der Menschheitsgeschichte.
Dies bedeutet dann für uns, dass auch ein Abschluss unseres subjektiven Vorgangs überfällig ist, so dass wir unserer eigenen Entwicklung derzeit schon hinterherhinken, also nicht das erreicht haben, was wir hätten erreichen sollen. Wenn wir nichts tun, wird sich auch (geistes-)geschichtlich nichts mehr tun!!!
Und so erhebt sich die (Existenz-)Frage, ob wir vielleicht trotzdem noch „in der Zeit“ liegen könnten, oder ob der spirituelle, heilsgeschichtliche Zug innerhalb der Menschheitsgeschichte…
…der Menschheit öffentlich bekannt gegeben in einer „Guten Nachricht“ für sie - …
…die entweder obsolet geworden oder aber hochaktuell ist (so viel zum realistischen Urteilsvermögen eines animal rationale)…
…bereits ohne uns abgefahren sei…
…wobei dieses „Uns“ durchaus einen geringeren Umfang haben kann als „die Gesamtmenschheit“, indem Andere (unter "uns") schneller und klüger waren als wir, die wir uns über die Maßen für aufgeklärt und „fertig“ halten…
…vgl. ein gewisses
Himmelreichs-Gleichnis, in welchem von Torheit und Klugheit die
Rede ist und von welchem all diejenigen nichts wissen und
nichts mehr in Erfahrung bringen können, die die Bibel bereits
für „erledigt“ halten und daher vielleicht voreilig weggeworfen
haben oder, um im Gleichnis zu sprechen, denen das Öl für ihre
Lampen ausgegangen ist...
***
Die alte Definition des Menschen als eines animal rationale hat demnach eine große Schwäche, nämlich ihre darin nicht berücksichtigte Denkzeit zur Wesensentwicklung.
Man kann nämlich nicht von Geburt ein animal rationale sein. Als Geistwesen kann man nicht geboren werden. Man kann nur als Materiewesen geboren werden. Zum Geistwesen muss man sich erst selbst machen, gleichsam aktiv sich selbst gebären als ein Geistwesen – vorher ist (man) es nicht.
Und so will ich nicht
ausschließen, es könnten uns hier in unserem Irdischen
irgendwelche "uralten Weisheits-Dokumente" -
geistesgeschichtlich tief verschüttet - in die Hände fallen,
vielleicht sogar Texte, die uns durchaus altbekannt sind und
die wir längst und lange schon in Händen halten und mit welchen
wir - na ja - tagtäglich umgehen und die wir nur neu und anders
in unseren jetzt zunehmend schärferen Blick bekommen könnten,
indem sie nun als Landnähe-Indizien oder gar Landungs-Indizien
zu einem Fußfassen in oder auf einem Neuland fungierten, das
vielleicht so neu gar nicht ist, eher alt oder uralt, nur dass
wir diesen unseren eigentlichen Boden unserer selbst
doch tatsächlich... irgendwie... vergessen
haben...
Stopp! Man kann es freilich
auch unterlassen, sich selbst als ein Geistwesen ins Auge zu
fassen. Dann bleibt man eben ein Materiewesen, mit
irgendwelchen „mysteriösen Wurmfortsätzen“, ein bloßer
Bekannter seiner selbst, der in dem Glauben lebt, sich selbst
schon zu kennen, so dass nur noch die Erforschung des "Anderen
drumherum" übrigbleibt...
***
Nun aber Schluss, ich will hier einen Strich ziehen.
Denn es scheint, als hätten „wir“ – nun ja, streng genommen nur ich, der Betreiber dieser Website – mich in einen subjektiv verwirrenden oder auch objektiv wirren Wissens-Irrtums-Knäuel hineinbegeben, welcher zeigt, dass der Mensch offensichtlich auch die Möglichkeit und „Begabung“ hat, sich selbst zu Tode oder auch in den Irrsinn zu reflektieren…
…wobei man trotzdem die sachlich-ernsthafte Frage stellen kann: Wie weit soll und kann die Reflexion gehen, bis sie an einen festen Haltepunkt kommt, von welchem aus alles Weiterreflektieren ein Überdrehen und Wiederverfälschen der Dinge wäre?
Konkret: Ist unsere jugendlich-junge „evidente“ Geschichtslektion, wonach nicht der „Geist“ Substanz und Urgrund des Seins ist, sondern die „Materie“, ein echter und gültiger Schluss unseres Vernunftvermögens und unserer Wissenschaft, ja, die Quintessenz unserer Erfahrung als Menschen und Menschheit in ihrer Geschichte?
Oder könnte es sich hier – alternativ - um einen bloßen „sphärenmusikalischen Trugschluss“ handeln…
…als Hintergrundfolie des biblisch angekündigten „neuen Liedes“, das die Materialisten, die die Geistsphäre aus der irdischen Wirklichkeit falsch weg-schließen, nicht lernen können, indem sie in einer falschen Logik, einem falschen Logos festsitzen…
…wie denn auch das Neue Testament die obskure Nebenbemerkung enthält, dass der Mensch einer „Macht des Irrtums“ verfallen wird (2 Thess. 2,11), welche – weil biblisch formuliert – nicht der Spiritualismus sein kann, sondern nur der (sozusagen naturwissenschaftlich formulierte) Materialismus…?
Einheitsübersetzung © 2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH, und Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart,externer Link: https://www.bibleserver.com/EU.LUT/2.Thessalonicher2, abgerufen am 11.07.2024.
Der griechische Terminus ist "ἐνέργειαν πλάνης" (externer Link: https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/NA28/2TH.2/2.-Thessalonicher-2, abgerufen am 31.03.2024, Quelle: Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, 28., revidierte Auflage, hg. v. Barbara und Kurt Aland, Johannes Karavidopoulos, Carlo M. Martini und Bruce M. Metzger in Zusammenarbeit mit dem Institut für Neutestamentliche Textforschung, Münster, © 2012 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart), und man kann sich überlegen, welche Übersetzungs-Termini am besten passen.
Ich will hier also lieber einen rettenden Schnitt machen, ziehe mich und uns aus den eben durchgespielten Abenteuer-Spekulationen wieder heraus, so dass wir mit beiden Beinen fest auf unserer dünnen Erdkruste (35-70 km von weit über 12 000 km) stehen bleiben können.
Sollte es möglich sein, dass wir an Redewendungen festhalten, die obsolet geworden sind (Stichwort: Sonnenaufgang)? - Und dass, wer sie uns zerredet und zersetzt, ein (Materialismus-)Spielverderber ist, indem er einen (spirituellen) Spielraum behauptet, wo gar keiner ist?
Wir besinnen uns also auf unser Grundthema: unser Erkenntnisstreben, sowie auf diejenige Institution, die es mutmaßlich federführend für uns betreibt und auch betreiben soll: unsere Wissenschaft.