Leseprobe 14

                                                           Hat der Schafe-Weide-Auftrag einen tieferen Sinn?

Und man kann den Jesus-Auftrag an Petrus gewiss auch so verstehen: Schafe weiden = Christen verwalten. „Petrus“ soll die Christenheit zusammenhalten, nach Möglichkeit noch erweitern – und damit hat sich seine Aufgabe auch schon, die er nun durchzuhalten gewillt ist, bis zur Wiederkunft Christi, damit er dann irgendwann wird sagen können: „Siehe, Herr, hier sind wir nun alle. Ich habe deinen Auftrag getreulich ausgeführt.“

Allein, es fragt sich, ob der Jesus-Auftrag so äußerlich gemeint ist?

Zunächst einmal scheint es ja, als könne „Schafe weiden“ keine so arg anspruchsvolle Aufgabe sein. Jeder Schäfer kann das, man braucht dazu keine besondere Begabung oder Ausbildung, keine hochbezahlten Fachleute oder Experten, keine Differenzierungskünstler, nur ein bisschen Schaf-Grundkenntnis. Jeder Cowboy muss mehr können als ein Schäfer, nämlich zusätzlich mit Pferd und Lasso umgehen. Denn ein widerspenstiges Rind kann eine ganz andere Kraft entwickeln als so ein Schaf, wenn es nicht gerade Martin Luther heißt.

War Martin Luther ein widerspenstiges Schaf? Hat Luther das römisch-katholische Schafe weiden gestört? Ja, das hat er wohl. Die Frage ist ja nur: Hat er es zu Unrecht getan oder zu Recht? Und wenn wir von der Reformation zur Gegenreformation weitergehen, dann wird man sagen können, die Luther-Störung sei unberechtigt gewesen, jedenfalls wird es römisch-katholischerseits so gesehen: Die Reformation war eigentlich überflüssig, und deshalb musste eine Gegenreformation eingeleitet werden, um das Alte und Gute und Richtige wiederherzustellen. Mit der Reformation ist – streng katholisch genommen – ein Teil der Christenheit aus der Heilsgeschichte ausgeschert, indem einer, ein Anonymus und Irgendwer, die Frechheit besaß, eine „eigene Geistigkeit“ zu behaupten. „Wenn das Jeder täte, wo kämen wir denn da hin!?“ – Ja, wo kämen wir hin? Womöglich… zum Geist?

Die evangelische Sicht ist: Luther hat hierbei keine physische Kraft entwickelt (wie ein Rind), sondern eine geistige Kraft (wie ein echter Christ). So sehen es jedenfalls die Protestanten, die heute wie gleichberechtigt als Evangelische neben den Römisch-Katholischen stehen, so dass heute der römische Katholizismus als eine unter vielen Konfessionen erscheint, eine Teil-Kirche unter Teil-Kirchen.

Jetzt müssen wir fragen: War in Luther die „Kraft des Geistes“ wirksam? Hm… sollen wir jetzt – als Christen - antworten: „Die einen Christen sagen so, die andern Christen so“? - Jetzt müssen wir hellhörig werden und mit unserem Differenzieren und Argumentieren aufpassen, denn im Christentum spielt ja der Geist irgendeine gewichtige Rolle. Und wenn die Christen sich uneins sind, in welchen Menschen die Kraft des Geistes wirksam ist (so dass sie gesellschaftlich auffällig und folgenreich hervorzutreten vermag), so scheint die Frage des Geistes noch nicht hinreichend geklärt zu sein – innerhalb der Christenheit, die u.a. an einen dritten Glaubensartikel glaubt?

Welcher Geist spielt diese gewichtige Rolle im Christentum? Und wessen Geist spielt sie?

entnommen: 3. ABC-Versuch einer neuen Wahrnehmung des alten Seins, aus der angenommenen Misere-Situation unserer Gegenwart der Moderne heraus, dort unter I 35.

I. SCHLUSS - Teil 1

   27. Im Ende liegt der Anfang
   28. Das Rufen des Geistes - hindurch durch seinen Verruf
   29. Verschlingung des Anfangs ins Ende – Bogen-Technik und Lagen-Wechsel der Bibel
   30. Die Musik ertönt, indem das Instrument „verschwindet“
   31. Das Soziale muss zum Chorgesang werden
   32. Warum ich mein Buch nicht mehr „ordnungsgemäß“ zu Ende schreiben kann
   33. Das letzte Buch unseres Buches enthält unseren Geschichtsweg

I. SCHLUSS - Teil 2

   34. Die Schlüsselgewalt liegt im Erkennen
   35. Warum verweigert Jesus seinem „Felsen Petrus“ die Kommunikation?
   36. Wird die Petrus-Tradition von den Pforten der Unterwelt überwältigt werden?