Leseprobe 17

                                                              Wissen ist Ohnmacht - Weisheit wäre Macht gewesen

Blicken wir nochmals an den Anfang „unseres Buches“ (= die Bibel) zurück. Dort finden wir in Genesis 1 einen Herrschaftsauftrag an den Menschen erteilt, die Erde zu bevölkern und zu unterwerfen (Gen. 1,28). Und wenn wir nun – dem mutmaßlichen „Ende“ entsprechend – innehalten, so können wir fragen: „Ist hier nicht die europäische Epoche der Menschheitsgeschichte wie vorweggenommen?“ Dieser Herrschaftsauftrag scheint heute nämlich erfüllt, auch wenn wir den Auftrag als solchen aus dem Auge verloren hatten.

Und zugleich sehen wir jetzt, dass wir ihn falsch verstanden und falsch umgesetzt haben. Denn wir benutzten unser Wissen für unser Herrschen, und in der anstehenden Klimakatastrophe sehen wir zugleich unsere Macht und unsere Ohnmacht, unser Können und unser Nichtkönnen, konkret: unser großes (Schadens-)Wissen einerseits, und unser noch größeres (Heilungs-)Nichtwissen anderseits, mit welchem wir in die größeren, wohlgeordneten Naturzusammenhänge hineinhandeln, hineinexperimentieren, hineinpfuschen.

Unser Wissen ist „Stückwerk“. Paulus hatte dies bereits in der Antike richtig erkannt (1 Kor 13,9), nur ist sein Wissen vereinzelt geblieben und der Allgemeinheit verloren gegangen, oder aber die Allgemeinheit hat noch 2000 Lern- und Erfahrungsjahre benötigt, um ihn in diesem seinem Wissensvorsprung einzuholen?

Die Natur im Ganzen ist kein Stückwerk, sondern ein gut funktionierendes Räderwerk, nein, ein lebenerfüllter Organismus, in welchem eins aufs andere wohlabgestimmt ist. Dieses Gleichgewicht können wir gut auch „Weisheit der Natur“ nennen. Unser Wissen aber ist nur stückchenweise eingedrungen in diese lebendige Ordnung, sie störend und verletzend, und so kennen wir nun die Differenz zwischen unserem „Wissen“ und der kosmischen „Weisheit“, ein Unterschied wie „Teil“ und „Ganzes“, der uns nun – zusammen mit unserer Lebensgrundlage - auch unser Leben kosten könnte.

Wir können also heute wissen, dass „unsere Wissenschaft“ (im Verbund mit der Technik, die nur am Einzelnen interessiert ist, nicht am Ganzen, ebenso wie unsere vielen Pseudo-Wirs) ein unzulänglicher, inkompetenter, unzureichender, uns selbst schädigender und womöglich uns gar vernichtender Weg ist, auf das Ganze des Seins zuzugehen bzw. in es einzudringen, wobei insbesondere die unwissend-ausprobierende Anwendung, also der Praxisgebrauch dieses Stückchen-Wissens aufs Geratewohl hin immer mehr in Frage steht, weshalb heute die ("umkehren wollenden") Warnrufe aus der Wissenschaft zunehmen.

Er ist fragwürdig geworden, ja, aber praktiziert wird er dennoch weiterhin, woran sich nun insbesondere zeigt, dass ein Zusammenhang gesehen und hergestellt werden sollte zwischen Wissenserwerb und Reifungsprozess des Menschen. Des Menschen Wissen resp. Machen-Können sollte seinem Handlungs-Reifegrad angemessen sein – leider ist es nicht so.

Unsere geistesgeschichtlichen Erfahrungen zusammenfassend, können wir heute sagen: „Wissen ist Ohnmacht. Weisheit wäre Macht gewesen. Allein: Wir haben sie nicht gefunden, oder auch: nicht in sie zurückgefunden.“

entnommen: 3. ABC-Versuch einer neuen Wahrnehmung des alten Seins, aus der angenommenen Misere-Situation unserer Gegenwart der Moderne heraus, dort unter H 20.

H. ABC-VERSUCH


   19. Warum ein „ABC-Versuch“?
   20. Der weisheitslose Weg unserer Erforschung des Universums
   21. Sokrates – Platon – Aristoteles: Das Scheitern einer auf sich selbst gestellten Suche nach Weisheit
     
a) Der Sokrates-Weg der Suche der Weisheit unter den Menschen erwies sich als unmöglich
      b) Der Platon-Weg der Suche der Weisheit in kosmischen Weiten erwies sich als unmöglich
      c) Der Aristoteles-Weg der Suche der Weisheit im Irdischen erwies sich als unmöglich
   22. Die Philosophie suchte nach der verlorenen Weisheit, anstatt deren Verloren sein zu ergründen
   23. Die Weisheit kam von selbst zum Menschen zurück
   24. Europäische Entkolonialisierung (Genesis 1) und menschheitliche Entnominalisierung (Genesis 2)
   25. Vom Untergang des wissenden, aber weisheitslos gebliebenen Menschen
   26. Der „Name“ als äußerliche und innerliche Benennung