Erfüllt Johannes den Petrus-Auftrag?
Freilich hat er daneben auch noch den Auftrag der Nachfolge erhalten, den wir den Jünger-Regelauftrag nennen können:
Petrus hat also zwei Aufträge erhalten, und – wir schauen jetzt
ganz genau hin - er erhält sie nicht gleichzeitig,
sondern nacheinander, den Sonderauftrag zuerst. Und jetzt
könnten wir – kirchen- und reformationsgeschichtlich kritisch
oder auch argwöhnisch geworden – die Frage aufwerfen, ob Petrus
vielleicht in den (später gegebenen) Regelauftrag
zurückgesetzt wird, weil Jesus sieht, dass er den
Sonderauftrag doch nicht leisten kann, weil
er ihn ja nicht einmal versteht?
Und jetzt müssen wir uns
erinnern, dass Petrus ja gar nicht der
einzige Jünger ist, der von Jesus einen
Sonderauftrag erhält (resp. erhalten soll resp.
erhalten hat), sondern da ist auch noch der unscheinbare
Johannes, der biblisch so „flüchtig“ gezeichnet ist, dass er
einem beim Lesen der Bibel gleichsam beständig durch die Finger
rinnt, beim Versuch, ihn zu greifen, immer auf dem Sprung, sich
dem Leser zu entziehen oder besser gleich die ganze Welt zu
verlassen, so dass man ihm in die biblischen Texte hinein schon
ganz genau nachspüren muss, nicht nur mit Lupe,
sondern mit Zeitlupe, soll heißen: mit höchstmöglicher
Geisteskonzentration, wenn man ihm folgen will.
Und tatsächlich dringt man dann –
durch die nötige Konzentration - in den Sinn dieser
johanneisch-biblischen Texte ein…, und am Ende ergibt sich aber
etwas Anderes, denn man stellt fest: Man ist in Wahrheit gar
nicht Johannes gefolgt, in sein Evangelium
hinein, sondern dem Geist selbst, um den es
in seinem Evangelium wesenhaft geht und der in die
Johannes-Texte gleichsam hineingegossen ist. Weil aber der
Geist wiederum von Christus gesandt ist, ist
man faktisch – nur vermittelt über Johannes -
Christus gefolgt, der nach wie vor der
einzige und authentische Lehrer der Christenheit ist,
lediglich, bis zur Wiederkehr, in der Erkenntnisvermittlung
über den Heiligen Geist.
Wenn wir versuchen, Johannes in der Bibel zu fassen, so ist er
uns gezeichnet in der Wegbewegung, die wir aber
richtig erkennen müssen, nicht als Weltflucht, sondern als
den Weg der Nachfolge, der Nachfolge in
die Geistigkeit oder Geistwelt hinein. Dies ist der
tiefere und eigentliche Sinn der Nachfolge, nicht der
Tod, sondern das, was danach kommt, das Leben (in der
Geistigkeit des Daseins).
...
Johannes ist den Weg der Nachfolge in den Geist oder ins
Leben prototypisch gegangen. Dies ist sein
Sonderauftrag gewesen, den er auch tatsächlich ausgeführt
hat.
Und somit stellt sich geistes- und heilsgeschichtlich heraus,
dass Jesu Auftrag an Johannes doch kein Geheimnis bleibt,
sondern – zu gegebener Zeit – als Nachfolgeweg in den Geist
hinein erkennbar wird, den uns dieser Musterschüler Jesu
zuerst vorausgegangen ist und den er uns dann
biblisch-schriftlich erhalten und nachgezeichnet hat,
vermutlich sowohl im Johannesevangelium als auch in der
Offenbarung des Johannes. Und aus diesem Grund wohl hat
er die Ehren-Prädikation „der Jünger, den Jesus
liebte“, und wir können uns diese Formel ergänzen: Johannes ist
der Jünger, den Jesus liebt, weil er den
Nachfolge-Auftrag wesenhaft verstanden hat und
tut.
Dieser Regelauftrag der Nachfolge kann also
unterschiedlich aufgefasst werden. Einmal im Sinne eines
Martyriums, dann lautet er „Folge mir in den Tod.“ Er
besagt dann, dass das Christentum nur durch irdische
Widerstände hindurch erfolgreich sein und durchgesetzt werden
kann, weil sich ihm die bestehenden Selbstverständnisse (und
Gesellschaftsverhältnisse) noch widersetzen, noch zu weit
entfernt von ihm stehen. Man muss daher das richtige
Selbstverständnis vorleben und entschlossen entgegensetzen,
auch auf die Gefahr hin, dabei das Leben lassen zu müssen. Dies
ist, scheint mir, das übliche Verständnis der
„Nachfolge“.
Man kann den Regelauftrag aber auch noch gewaltfrei
verstehen, und dann bekommt er ein anderes Aussehen und einen
anderen Inhalt: „Folge mir ins Leben.“ Er besagt dann:
„Folge mir in den Geist, in die Geistigkeit und Geistwelt
hinein, denn erst der Geist ist das Leben selbst.“ Dieser Sinn
ist im Johannesevangelium auch beschrieben, wenn Jesus sagt, er
müsse fortgehen, um den Geist zu senden und über den Geist die
Christenheit zu sich zu holen, in die Geistwelt oder das Reich
Gottes hinein.
***
Beide „Nachfolge“-Arten sind richtig. Aber vielleicht können
wir sie näher verorten resp. zeitlich einordnen? Solange das
Christentum ein „Fremdkörper“ in der Welt ist, steht die
„Nachfolge in den Tod“ im Vordergrund. Und wir können
hier die anfängliche Katakomben-Situation des Christentums
assoziieren und ihr entspricht auch, wie Christen in der
römischen Arena zu Tode kamen. Wenn aber das Christentum kein
Fremdkörper mehr in der Welt ist, weil es gesellschaftlich und
kulturell adaptiert ist, dann ist die Zeit der „Nachfolge
ins Leben“ gekommen, weil nun andere Lebensprioritäten
und Aufmerksamkeiten in Betracht kommen bzw. möglich geworden
sind.
Und nun fällt wiederum Licht auf den Weide-Auftrag,
den wir inhaltlich bestimmt haben als Sicherung der
Nahrungsaufnahme, wobei die aufzunehmende Nahrung der
christliche Geist ist. Wird der christliche Geist irgendwann
voll und ganz aufgenommen sein, d.h. zum eigenen
Selbstverständnis, ja, zum Selbst des Menschen geworden, so ist
der „Christ“ quasi „fertig“, und seine Existenz ist
gekennzeichnet durch die (johanneischen) Kategorien und
Kriterien des „Hinaufhörens“ und „In-Seins“, denn der Geist ist
und bleibt von nun an im Christen im Fluss. Dann erst ist das
Ziel der Heilsgeschichte erreicht, und der Mensch hat wieder
ein intaktes, sein schöpfungskonstitutives „Stehen im Sein“
zurückerlangt, wie es auch die himmlischen Heerscharen haben.
entnommen: 3. ABC-Versuch
einer neuen Wahrnehmung des alten Seins, aus der angenommenen
Misere-Situation unserer Gegenwart der Moderne heraus, dort
unter I 35.
I. SCHLUSS - Teil
1
27. Im Ende
liegt der Anfang
28. Das Rufen des
Geistes - hindurch durch seinen
Verruf
29. Verschlingung des Anfangs
ins Ende – Bogen-Technik und Lagen-Wechsel der
Bibel
30. Die Musik ertönt, indem
das Instrument „verschwindet“
31.
Das Soziale muss zum Chorgesang
werden
32. Warum ich mein Buch nicht
mehr „ordnungsgemäß“ zu Ende schreiben
kann
33. Das letzte Buch unseres
Buches enthält unseren Geschichtsweg
I. SCHLUSS - Teil 2
34. Die Schlüsselgewalt liegt im
Erkennen
35. Warum verweigert Jesus seinem „Felsen
Petrus“ die Kommunikation?
36. Wird die Petrus-Tradition von den Pforten der Unterwelt
überwältigt werden?