Kants schmackhafte Zubereitung seines
Wissenschafts-Abfalls
Deswegen klotzt Lessing nicht mit einem die gebildete Welt
seiner Zeit aufhorchen lassenden Wissens-Glaubens-Slogan wie
Kant,
„Ich musste also
das Wissen aufheben um zum Glauben
Platz zu bekommen.“ (Vorrede zur zweiten Auflage
der KrV 1787)
Externer Link zum Text:
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft - Vorrede zur
zweiten Auflage, Textstelle siehe ab 14. Zeile von
unten, Projekt Gutenberg-DE - https://www.projekt-gutenberg.org/kant/krvb/krvb001b.html,
abgerufen am 20.03.2024
der nicht einmal der wahren Intention Kants
entspricht, der nämlich mit dem Glauben nichts am Hut hatte.
Der Schlagspruch verrät
vertriebliche oder Public Relations-Absichten, nachdem die
Erstauflage der KrV (1781) von den Zeitgenossen offenbar noch
nicht als „kopernikanische Wende“ – so Kants Selbsteinschätzung
- gewürdigt worden war. Näher besehen bietet Kant hier der Theologie
und Glaubensgesellschaft seiner Zeit sogar seinen eigenen
„Wissenschafts-Abfall“ als geistig wertvolles
Produkt an, denn der „Platz“, von welchem er spricht,
resultiert zwar aus seinem Denken, aber weder ein
„Platzschaffen für den Glauben“ noch ein „Aufheben des Wissens“
waren seine ausdrückliche Wissenschaftsabsicht,
aufheben wollte er vielmehr nur das metaphysische
Pseudowissen, auf gar keinen Fall aber das Wissen an
sich, dessen Sicherung in Wahrheit sein
tiefstes Wissenschaftsanliegen war und
blieb.
Und der „Platz für den Glauben“ ergibt sich schlicht aus Kants
Idee einer „Erkenntnisgrenze“, die m.E. auf einem
sinnlichen Missverstehen der Metaphysik beruht, als
könne nämlich die menschliche Vernunft das Nahe und Nächste
besser und richtiger beurteilen als das Weite und entfernt
Liegende. Daher auch sein Missverständnis der Philosophie /
Metaphysik als Versuch einer Erkenntniserweiterung,
quasi vom noch gut erkennbaren Menschlich-Diesseitigen
hinaus ins verschwommen werdende Göttlich-Jenseitige.
In Wahrheit betrifft ein falsches Urteil
zugleich das Nahe und das Ferne, umgekehrt
ebenso ein richtiges Urteil. Und ziehen wir jetzt Lessing bzw.
die Bibel im Vergleich heran, so können wir sagen: Im
Glauben ist der menschlichen Vernunft im vorab
eine Schärfe in der Fernsicht (höheres, fernkünftiges
Wissen) gegeben, die sie aus sich selbst heraus schlicht nicht
haben kann. Und wenn Kant die Bibel in seinem Vernunft-Denken
unberücksichtigt lässt (anders Lessing), dann kann er freilich
auch zu keiner Fernsicht (und keiner "Erkenntniserweiterung")
kommen, und so resultiert seine ...ja, unchristliche,
heidnische „Erkenntnisgrenze“.
Streng besehen finden wir also in
Kants Wissens-Glaubens-Slogan eine bewusst
leger-unwissenschaftliche, über den Daumen gepeilte
Formulierung vor; böse geäußert oder kritisch besehen, einen
verkaufsstrategischen Werbesatz, der einer „Händler- und
Schwindler-Mentalität“ entspricht, die es mit der Wahrheit
nicht unbedingt so genau nimmt, weil ihr Ziel das Feilbieten
einer Ware ist, hier vorgenommen von einem Philosophen, der
sein Haupt-Denk-Werk endlich an den Mann bzw. die Gesellschaft
bringen möchte. Der Werbespruch öffnet dem Missverstehen
Tür und Tor, aber das ist Kant hier egal, weil er hier als
Händler spricht, der eine Ware anbieten will, oder als ein
Sophist, der mit seinem Wissen quasi Handel treibt, zwar nicht,
um seinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten, aber, um
philosophischen Ruhm zu erwerben, bezeichnet er doch in
derselben Vorrede die Metaphysik als einen
„Kampfplatz …, der ganz
eigentlich dazu bestimmt zu sein scheint, seine Kräfte im
Spielgefechte zu üben, auf dem noch niemals irgendein Fechter
sich auch den kleinsten Platz hat erkämpfen und auf seinen Sieg
einen dauerhaften Besitz gründen können.“ (Vorrede zur zweiten
Auflage der KrV 1787)
Externer Link zum Text:
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft - Vorrede zur
zweiten Auflage, Textstelle im 9. Absatz, beginnend
mit "Der Metaphysik, einer ganz isolierten spekulativen
Vernunfterkenntnis...", Projekt Gutenberg-DE -
https://www.projekt-gutenberg.org/kant/krvb/krvb001.html,
abgerufen am 20.03.2024
Kant möchte sich also mit seiner KrV „seinen Platz“ in der
Philosophiegeschichte „erkämpfen“, was aber ein völlig
falsches Bild des Erkennens und Verstehens ergibt, als
käme es hier darauf an, andere aus dem Felde zu schlagen oder
sie in ihrem Denken zu widerlegen, anstatt mit ihnen
zusammenzuwirken, sie in ihrem Denken zu bestätigen und auf
ihren Früchten und Reflexionen aufzubauen, so dass
Wissenschaft, Philosophie und Erkenntnisstreben allgemein als
das sichtbar werden, was sie – bei richtiger Auffassung - sein
können und sollen: sowohl ein menschheitliches
Gesamtanliegen als auch eine
gesellschaftsübergreifende Gemeinschaftsleistung, bei
welcher die Individuen sich besser hübsch zurücknehmen, anstatt
hervorstechen und sich profilieren zu wollen, denn ihr
komplettes Denken wäre ohne die Vorleistung der Anderen
überhaupt nicht möglich gewesen, so dass sie sich
einen „Ruhm“ zugeschrieben wissen wollen würden, der „ihnen“
gar nicht zukommt.
Der „Geist“ ist keine Plattform, auf der ein „Kampf ums Dasein“
auszutragen wäre. Und wenn in der Philosophie „gekämpft“ werden
muss, dann findet dieser Kampf „in sich selbst“ statt. Der
Philosoph muss sich selbst als seinen größten und im Grund
sogar einzigen Gegner erkennen, nicht die Anderen, die
auch nur diesen selben „Kampf in sich selbst“ ein Stückweit
fortzuführen bemüht waren. - Interessanterweise schimmert hier
auch Lessings Übungs-Verständnis der Spekulation durch
(„seine Kräfte im Spielgefechte zu üben“),
aber das mag Zufall sein, ich weiß es nicht.
entnommen: 3. ABC-Versuch
einer neuen Wahrnehmung des alten Seins, aus der angenommenen
Misere-Situation unserer Gegenwart der Moderne heraus, dort
unter E 8 c.
E. ANGENOMMENE
MISERE-SITUATION
8. Beruht unsere Isolationssituation auf einer
kosmischen Interaktion mit uns?
a) Wir haben zwei kosmische
Denkmodelle, wobei unsere Aufzählung falsch
ist
b) Zur
methodischen
Erinnerung
c) Kann eine Verkehrung des Seins
spiritualistisch gesehen Sinn machen?