Zum Wissenschaftskriterium der Nachprüfbarkeit
Und zum Dritten frage ich mich: Steht denn „die Wissenschaft“
auf dem Standpunkt, sie selbst befinde sich auf der „Höhe der
Zeit“, so dass es nichts und niemanden geben kann, der „über
sie hinaus“ sein könnte? Dies trifft genau dann zu,
wenn sich „unsere Besten“ oder sagen wir: alle, die
etwas an Erkenntnis und Wissen beizusteuern haben, sich in
diese unsere Wissenschaft versammelt haben. – Sollen
wir dies annehmen von dieser "unserer"
Wissenschaft: „Alle, die Erkenntnis gefunden haben,
gehören zur Wissenschaft“? Setzt es nicht wiederum voraus, die
Wissenschaft sei „das Beste, was wir haben“ – werde also
allgemeinverbindlich so gesehen? - Sollen wir das auch
allgemeinverbindlich annehmen: „Die Wissenschaft ist das
Beste an Geist, was wir haben“?
Wer setzt denn das fest - die
Wissenschaftsgemeinschaft selbst? Dann müsste man doch
strenggenommen sagen: „Wenn unsere Besten in die
Wissenschaft versammelt sind, dann ist sie auch das
Beste, was wir haben.“ Zugleich gilt dann aber auch die
Umkehrung: „Wenn nicht, dann nicht.“ Und dann
wiederum könnte oder müsste man fragen: Warum denn sollte
irgendein „Guter“ oder einer, der etwas an Erkenntnis und
Wissen menschheitlich beizutragen hat, nicht dazugehören
wollen? Welche Kriterien könnte er haben? Welche
Vorbehalte gegenüber „unserem Besten“ und gegenüber
„unseren Besten“…? Stillschweigend ist also schon das
Selbstverständnis vorausgesetzt: „Es kann uns - der
Wissenschaftsgemeinschaft gegenüber - keine geistigen
Vorbehalte geben, die dazu führten, dass menschliche
Geister sich von uns fernhielten und brauchbares
menschliches Erkennen jenseits von uns und ohne unsere
Kenntnisnahme realisierten und umsetzten.“
Die Frage, die ich hiermit aufwerfen möchte, betrifft die von
mir nach wie vor verfolgte Möglichkeit eines
Spiritualismus, der grundsätzlich einmal so zu verstehen
ist, dass der Geist das Erste und Grundlegende ist,
aus welcher sich dann eine entsprechende Verfassung des
Seins oder Seinsstruktur ergibt, wonach die
Geistwesen aufeinander hingeordnet sind bzw. ineinander
bestehen, entsprechend den oben genannten Kategorien des
Hinaufhörens und In-Seins. Und der Mensch muss dann als ein
Sonderfall verstanden werden, weil sich für ihn – als
leibliches Sinneswesen – sein Geistsein nicht von selbst
versteht bzw. von ihm sogar geleugnet werden kann, was für
alle anderen Geistwesen, die sich innerhalb der Geistwelt
stehend und existierend wissen, eo ipso unmöglich
ist.
Der Mensch bildet ja möglicheweise eine Übergangsstufe zum
Geistsein, die gelingen kann, aber auch misslingen kann,
und jeder Mensch muss sie sich selbst individuell erwerben. -
Im Hintergrund dieser Auffassung steht freilich der christliche
Glaube, inkl. der Überzeugung, Erkennen sei als
"Sachangelegenheit" a priori falsch definiert, nämlich aus dem
Atheismus und Materialismus heraus, der mehr ein
geistesgeschichtliches Zufallsprodukt ist, welchem auch unsere
Wissenschaftler "unterliegen" und weniger eine
wissenschaftliche Prinzipiensetzung. Und im christlichen
Glauben ist dieser Atheismus und Materialismus dialektisch
erkannt und anerkannt als Defizitsituation des menschlichen
Geistes.
Auf diese Weise ergeben sich vielfältige Unterschiede oder
Grade im Fortgeschritten sein in Richtung
Individualisierung des Geistes resp. Geistseins. Und
es mag dann verschiedene allgemeine Geistniveaus geben, die
beispielsweise einer bestimmten Zeit zuzuordnen sind, oder auch
einer Lebensalterstufe (z.B. „allgemeine Hochschulreife“), aber
es gibt nicht ein „oberstes Endniveau des Geistes“, weil dieser
selbst im Fluss ist und bleibt, so dass man bestenfalls vom
Durchlaufen der „Menschheitsstufe im Geistsein“ sprechen könnte
(und eine entsprechende Terminologie findet sich tatsächlich
auch in der Anthroposophie).
Und weil der Geist nur individuell errungen werden
kann, werden auch die Fortschritte individuell - und
somit ungleichzeitig - errungen, und innerhalb
spiritualistischer Weltanschauungen gibt es auch einen Konsens
darüber, dass es im Verlauf des geistigen
Fortschreitens zu höheren
Leiblichkeitserfahrungen kommt, die über sog.
Energiezentren (Chakren) organisiert sind und dann auch
wahrgenommen werden usw.
Und das Wissenschafts-Kriterium der Nachprüfbarkeit hätte
sogar hier weiterhin seine Gültigkeit, nur dass es
nicht mehr so einfach durch das bloße Denken oder die
Ratio oder am Schreibtisch, Computer und im Vorlesungssaal oder
Seminarraum gehandhabt werden kann, sondern: Der
Wissenschaftler müsste sich in diesem „Wahrheitsfall des
Spiritualismus“ dazu bequemen, eine innere Entwicklung über
Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg zu durchlaufen,
vielleicht seine kompletten Lebensgewohnheiten aufgeben und
umstellen, um jene menschliche und auch geistige Reife zu
erlangen, auf welcher eine solche Leiblichkeitserfahrung
überhaupt sich einstellen kann, um sie so und dann
erst selbsteigen überprüfen zu können?
...wobei beim Anthroposophen
als eine mögliche Ausnahme auch genannt ist, dass sich beim
einen oder andern Menschen solche höheren Leiberfahrungen auch
spontan einstellen können, ohne dass der Betreffende
entsprechende langjährige Übungen gemacht hat. Sie sind dann
eben Resultat früherer Leben, die ja in Summe auch als eine Art
langjährige Übung betrachtet werden können...
Wie ist das also mit dem „Kriterium der Nachprüfbarkeit“? Wird
nicht das Gros unserer Wissenschaftler in diesem "Fall des
Spiritualismus" sagen: „Ah, nein, dies will ich dann doch
lieber nicht selbst nachprüfen…“ – Und was sagt uns das dann
über die „Wissbegier“ unserer eifrigen Wissenschaftler resp.
über die „Gründlichkeit“ unserer Wissenschaft? Der (dem
Zeitgeist gemäß bereits materialistisch infiltrierte) Herr
Professor wird sich sagen: „Ich bin doch nicht blöd und forsche
Jahrzehnte in eine Richtung, in der wahrscheinlich doch nichts
herauskommen wird. Denn was hätte ich davon? Ich hätte „mein
Leben“ und „meine Wissenschaftsexistenz“ in den Sand gesetzt!
Das kommt überhaupt nicht in Frage. So wichtig ist mir das
Ideal "die Wissenschaft" dann doch nicht, dass ich bereit wäre,
mein Leben dafür zu vergeuden, damit
sie alle Möglichkeitsrichtungen erschöpfend
durchlaufen kann. Soll sich doch um die „Gründlichkeit“ unserer
Wissenschaft (resp. um „unwahrscheinliche Ausläufer" der
allgemeinen Wahrheitssuche) kümmern, wer immer will –
ich jedenfalls nicht!“ (Stichwort:
Erkenntnis-Nichterwartung).
So zeigt sich, dass dieses
Kriterium der Nachprüfbarkeit nicht eindeutig ist,
sondern sich verändert, je nachdem, unter welcher
weltanschaulichen Voraussetzung es ins Auge gefasst wird:
Im Materialismus-Fall kann man alles mit seinem
bloßen Denken nachprüfen, im
Spiritualismus-Fall müsste man, um die Nachprüfung
durchführen zu können, womöglich mit seinem kompletten
Leben ran (und hier gibt es dann auch keinen "Feierabend"
und keinen "Urlaub", und auch kein "Forschungs-Freisemester",
und nicht, und nicht, und nicht...). Ich will einmal behaupten,
aus Sicht des Materialismus gilt die Ratio als der
Gipfel des menschlichen Geistes, und hier hat dieses
sog. Kriterium der Nachprüfbarkeit gegenwärtig seinen Sitz
und seine Relevanz – gültig nur für eine
Wissenschaftsgemeinschaft, die tief ins materialistische Denken
gekommen ist und eine mögliche Alternative zu sich selbst nicht
sehen kann oder auch nicht sehen will.
Aus Sicht eines Spiritualismus
sieht das aber ganz anders aus. Und wenn der Spiritualismus
wahr sein sollte, dann wird unsere (dem Materialismus
verfallene) Wissenschaftsgemeinschaft fälschlich und vergeblich
annehmen, das Höchste und Beste, was die Menschheit an
Erkenntnis und Wahrheit aufzubieten habe, versammle sich in
sie.
Und „die Wissenschaft selbst“ kann sich auch nicht
„neutral“ geben, als spiele für sie diese Frage eines
grundsätzlichen Materialismus oder Spiritualismus keine
Rolle. Denn „Objektivität“ – die will sie ja
auch! – wird im Falle des Materialismus genau dann
erreicht, wenn man die Materie (oder Energie etc.) als
Seinsprinzip ansetzt, im Falle des Spiritualismus aber genau
dann, wenn der Geist als Seinsprinzip angesetzt wird. Und
sollte es nun der „Geist“ sein, so betrifft die Geist-Werdung
nicht nur das Denken, sondern das Leben
selbst (inklusive des – wissenschaftlich nicht
recht händelbaren - Unbewussten), und der
Wissenschaftler wird hier an „sein Eingemachtes“
ranmüssen, an die Bequemlichkeiten und Lebensgewohnheiten
seiner bloßen Ratio, falls er irgendetwas erkennen können
wollen sollte, aber vermutlich lieber gar nicht will, weil
sein „Steckenpferd Wissenschaft“ dann nicht mehr Spiel und Spaß
bliebe, - Bezahlt werden fürs eigene Hobby -, sondern womöglich
in Mühsal und Qual „ausarten“ würde, so dass eine "solche
Wissenschaft" gar nicht mehr lebenswert und wohlgefällig wäre
usw. usw.
Vielleicht also setzt man dann als „ernstzunehmender
Wissenschaftler der Gegenwart“ doch lieber auf den
Materialismus, der schön „lebensbequem“ ist, weil man
ihn im bloßen Denken abhandeln kann, im „Überbau“,
während man bei der (oder zur) Überprüfung des Spiritualismus
womöglich sein komplettes Leben erst einmal umkrempeln müsste,
um auch nur eine Chance zu haben, ihn in
seinem – die Leiblichkeit des Menschen erfassenden und
verändernden – tieferen Geistwesen auch nur
ansatzweise zu Gesicht zu bekommen?
Wenn ich recht sehe, hat sich „die Wissenschaft“ bis heute
nicht dazu geäußert, wie sie weltanschaulich an das
Sein, den Kosmos, die Wirklichkeit herantrete, ob
materialistisch oder spiritualistisch, wobei sie sich m.E.
faktisch materialistisch gibt. Nur: Wie sollen
„Eindeutigkeit“ und „Exaktheit“ jemals erreicht werden können,
wenn man sich selbst weltanschaulich indifferent gibt und diese
Indifferenzhaltung gegenüber dem Ganzen des Seins als
Objektivität, also Sachangemessenheit betrachtet und ausgibt?
Man kann nicht ohne eine Anschauung an die
Wirklichkeit herantreten, so, wie man an einen Stuhl nicht
angemessen, nicht objektiv herantreten kann, wenn man nicht
weiß, dass er ein „Ding zum Sitzen“ ist. Diese Idee
muss an das sinnliche Ding „Stuhl“ herangetragen
werden, dann und nur dann ergibt sich eine „objektive
Erkenntnis“. Analog muss entweder der Materialismus oder der
Spiritualismus an das Ganze des Seins herangetragen werden,
damit Hoffnung auf eine mögliche objektive Erkenntnis des
Seins bestehe.
entnommen: 3. ABC-Versuch einer neuen
Wahrnehmung des alten Seins, aus der angenommenen
Misere-Situation unserer Gegenwart der Moderne heraus, dort
unter G 16.
G. NEUE WAHRNEHMUNG
14. Zu meiner
Person
15. Zu meinem Denken
16. Zum
Wissenschaftskriterium der
Nachprüfbarkeit
17. Rechenprobe „Geburtshoroskop“: Nachweis
einer kontinuierlichen Verbindung des Unten mit dem
Oben?
18. Offene Frage