Hören des Wortes Gottes versus Verstehen des Wortes
Gottes
Ist man nun zu der Überzeugung gekommen, die Bibel sei
geistreich (im Sinne von gedankenreich), indem sie auf Schritt
und Tritt das Denken dazu anregt, Buch und Text zu verlassen,
man könnte auch sagen: vom Buchstaben zum Geist zu wechseln,
dann muss man einzelnen Formulierungen einfach fragend
nachgehen, anstatt sie schlicht und gedankenlos einfach
hinzunehmen und leiernd herunterzubeten, so z.B. im Gleichnis
vom Sämann:
"Zu jedem Menschen, der das
Wort vom Reich hört und es nicht versteht, kommt der
Böse und nimmt weg, was diesem Menschen ins Herz gesät wurde;
bei diesem ist der Samen auf den Weg gefallen. ... Auf
guten Boden ist der Samen bei dem gesät, der das Wort hört
und es auch versteht; er bringt Frucht" (Mt. 13,19.23;
Herv. v. Verf.)
Einheitsübersetzung ©
2016 der Katholischen Bibelanstalt GmbH,
externer Link: https://www.bibleserver.com/EU/Matth%C3%A4us13,
abgerufen am 18.06.2024.
Ich las diese Sätze, diese Formulierungen und fragte mich:
Warum sagt die Bibel denn so etwas? Wenn jemand an
mich heranträte, um mir etwas zu sagen und einleitend
spräche "Hör mir gut zu und versteh bitte auch, was ich dir
sagen will", so würde ich ihm antworten: "Willst du
mich beleidigen? Wenn du ordentlich zu mir
sprichst, werde ich doch selbstverständlich das von
dir Gehörte auch verstehen können! Warum also machst
du solche überflüssigen Worte? Etwa, weil du mit andern schon
die Erfahrung gemacht hast, dass du selbst schwer
verständlich bist, dich also selbst unklar und
missverständlich ausdrückst?" In Bezug auf die Bibel wäre
eine solche Antwort und Reaktion sicherlich unangebracht, und
so bleibt die Frage: Warum formuliert sie so? Und dann muss man eigentlich annehmen, dass
ein "biblisches Höher-Wissen" zugrundeliegt, das zwischen einem
"Hören des Wortes Gottes" und einem
"Verstehen des Wortes Gottes" unterscheidet - eine
"Auslegung", die sich mir aus meiner römisch-katholischen
Herkunft heraus unmittelbar nahelegte, genauer: wie von selbst
verstand. - An dieser Bibelstelle, der Wendung des
"Hörens und Verstehens", machte ich für mich selbst
die Entdeckung, dass es Sinn mache, in der Bibel zu
"schürfen", indem sie mir so zu verstehen gab: "Du
bist nicht außergewöhnlich dumm oder ungelehrig, wenn du
Biblisches zwar hörst, aber (zunächst) nicht verstehen kannst,
sondern diese Möglichkeit und Gefahr besteht ganz
allgemein!"
Nach der Bibel sollten die
Christen demnach damit rechnen, dass es nicht nur ein
"verstehendes Hören" gibt, sondern auch noch ein
"nichtverstehendes Hören"!? Und setzt man nun diese in der
Bibel gemachte Beobachtung als eine Erkenntnis an, z.B. als
"Bibelerkenntnis 1", so kann und muss man weiterfragen: Was
sagt sie denn sonst noch? Und so kann man dann anfangen, 1 und
1 zusammenzuzählen und zuzusehen, was dabei am Ende als
"Bibelsinn" herauskommen mag...
Speziell für mich legte sich solches biblische
Nachfragen nahe, indem ich aus meiner römisch-katholischen
Herkunft zu der Auffassung gekommen war, im Glauben sei
kein rechtes Verstehen enthalten, vieles sei
unverständlich, nur sei es eben als Dogma zu glauben. Und es
sträuben sich mir auch heute noch die Haare, wenn ich (auch) in
einem (evangelischen) Gottesdienst mitbeten soll: "Der Friede
Gottes, der höher ist als alle Vernunft, sei mit euch"
etc., selbst wenn diese Formulierung aus dem Philipperbrief
stammt (Phil. 4,7) und Martin der Übersetzer sich mit Paulus
dem Schreiber hier einig war. - Es macht für mich gar keinen
Sinn, an die Bibel heranzutreten mit der Auffassung, das, was
an Geist in ihr liege, sei im Grunde unverstehbar!? Wenn ich so
sprechen (oder auch bitten und predigen) höre, denke ich mir
immer: "Lieber Mensch, bevor du dein dir von Gott
gegebenes Vernunftvermögen vor dir und vor Gott und seiner
Schöpfung derart erniedrigst (und damit gleichsam verschmähst,
also für unvollkommen oder auch misslungen erklärst, als habe
Gott bei der Schöpfung der Geistigkeit des Menschen gepfuscht)
- sieh doch erst einmal gründlich zu, wie weit diese
deine Vernunft denn überhaupt reichen kann? Vielleicht
reicht dieses menschliche Vernunftvermögen ja prinzipiell
viel, viel weiter, als in dem subjektiv von dir bisher
praktizierten Gebrauch? Und nur weil deine
Momentan-Reichweite eingeschränkt ist, soll nun
prinzipiell alle menschliche Reichweite eingeschränkt
sein? Sie trifft doch vielleicht nur auf dich zu,
nicht aber auf den Menschen überhaupt? Und weiter: Die
"Feststellung" scheint mir auch nicht dadurch wahrer zu werden,
dass 99 von 100 Menschen sie teilen, auch nicht 999 von 1000,
und auch nicht 999 999 von 1 000 000? Und wenn ich mir nun
einmal vornehmen will, die menschliche Vernunft
(besser: Verstehfähigkeit) ermessen zu können,
dann kann ich mich nicht auf irgendeine bloße
Wahrscheinlichkeitsrechnung verlassen, als habe unsere
Geschichte und Geistesgeschichte bereits die Unzulänglichkeit
der menschlichen Vernunft hinreichend gut erwiesen!? Zeigt
nicht auch dieselbe Geistesgeschichte, dass in ihr
überall Stellen zu finden sind, wo einer - scheinbar
urplötzlich - etwas erkannte, was allen anderen bislang
schlicht entgangen war? Und war nicht auch einer davon - Martin
Luther? Also ist doch auch die obige
Wahrscheinlichkeits-Annahme bereits etliche Male
widerlegt worden!? Und trotzdem wird sie von einer
Generation zur nächsten doch immer wieder aufgestellt und
behauptet und als wahr weitergegeben? Ist denn der Mensch
unfähig, Erfahrung resp. Neuerfahrung zu machen?
Und so kann man zu der Vermutung, Annahme, Auffassung,
Auslegung kommen: In der Bibel liegt ein Höheres
Vernunftvermögen, das einer gründlichen, sich mehr und mehr
vertiefenden Bibellektüre grundsätzlich zugänglich sein
muss. Und man kann dann die Schlussfolgerung ziehen:
Die Bibel ist dazu da, unsere Vernunft anzuleiten und ihr
zu einem höheren Verstehen zu verhelfen - sagt
sie doch selbst, der Geist helfe unserer (auch
Vernunft-)Schwäche auf (vgl. die Bach-Motette: Der Geist hilft
unserer Schwachheit auf). Und man kann dann auch
"Glaubensaussagen" in solchen Auslegungs-Grundsatz einzeichnen,
z.B.: Die Bibel ist gegeben, damit aus unserer sündigen,
gefallenen, nichtverstehenden Vernunft eine wiederhergestellte,
natürliche, kosmisch verstehende Vernunft werde. Und man
kann immer noch weiter schlussfolgern: Das (uns mitgeteilte)
Höhere Vernunftvermögen macht in der (uns gegebenen) Bibel
Aussagen, die unserer sündigen Vernunft zunächst unplausibel
erscheinen und nicht sofort oder noch nicht einleuchten. Und
dann kann man den christlichen Glauben insgesamt - die
Bibel als gegebenes Hilfsmittel nun punktgenau treffend -
definieren: "Der Glaube ist ein uns
vorweg genommenes Höheres Wissen, das ein solches
gerade nicht bleiben soll, sondern das zu unserem
eigenen sicheren Wissen werden kann und soll" - und zu
diesem (hochvernünftigen) Zweck ist nicht nur über
Christus das Evangelium persönlich gekommen
(denn niemand kann alles Wichtige, das ihm persönlich
irgendwann einmal gesagt wurde, beim ersten Hören sofort
aufnehmen und dauerhaft exakt im einmalig ausgesprochenen bzw.
gehörten Sinn behalten), sondern auch noch schriftlich
über die Bibel, die somit als
Verstehens-Gradmesser in der Zeit fungiert,
in der christlichen oder kirchen- und heilsgeschichtlichen
Zeit.
Und
dann zeigt sich doch die Zweischneidigkeit einer
Formulierung wie "höher als alle Vernunft", denn
danach müsste man nicht all seine
Vernunftkräfte aufwenden und einsetzen, um zum Verstehen zu
kommen, indem man voraussetzt: "Meine Vernunftkraft reicht ja
doch nicht aus, und so kann oder muss ich ja wohl in meinem
Nichtverstehen verbleiben." Aber indem der Philipperbrief-Satz
zum festen Bestandteil aller christlichen Liturgie
geworden ist, habe ich den Eindruck, dass unser
gegenwärtiges Christsein einen gravierenden - schwer und
schwerstwiegenden - Fehler macht, den es aber nicht sieht,
indem es von einer falschen Voraussetzung ausgeht! Und dann
kann ich erwidern: "Du Unglücklicher und Fruchtloser! Merkst du
denn nicht, dass du das Gleichnis vom Säen und sein
Sprechen vom Nichtverstehen nicht verstanden hast? Es
fordert keine "guten Taten" von dir, sondern ein "gutes
Verstehen", was du ignorierst oder sogar als unmöglich ausgeben
willst. Und so bringst du keine geistige Frucht, keine Frucht
im Verstehen, keine Frucht des Geistes. Und - so leid es mir
tut - ich sehe dich momentan auf der Unkrautseite stehen. Das
Entscheidende ist dir nicht aufgegangen, und so kannst
du selbst nicht aufgehen... ins Himmelreich...
Mein Herantreten an die Bibel ist
geleitet von der Frage: Wie weit kann der Mensch in
seinem Bibelverstehen (und dann auch Verstehen unserer
Wirklichkeit durch die Bibel) kommen? Speziell im
christlichen Glauben, der doch - zumindest dem Wort nach -
einen Beistands-Geist in sich bekennt, was doch im
Grunde aussagt: Die menschliche Vernunft ist kein Vermögen, das
ein für allemal feststünde, sondern das als in sich
entwicklungsfähig angesehen werden muss, wenn man -
glaubensgemäß - den Beistands-Geist als solchen anerkennt und
einfach wirken und in sich einfallen lässt? Oder kann
man - als ordentlicher Christ - sich sagen: "Ich glaube zwar
prinzipiell an den Heiligen Geist, glaube aber auch, dass er in
meinem konkreten Fall unwirksam bleibt?" Glauben wir Christen
das, vielleicht unbewusst und uneingestanden? Und ist dieser
Satz dann aussagekräftig über die Wirksamkeit des Heilenden
Geistes, oder nur aussagekräftig über uns als - angebliche -
Christen?
Und über das obige Beispiel vom "Hören und Verstehen" kann
einem dann auffallen, dass es gewisse Worte, Termini gibt, die
in der Bibel einen größeren Facettenreichtum aufweisen, wie
z.B. "hören". Und man kann das Wort sprachlich
durchspielen nach seinen Verwendungsarten und kann dann das
"Nichtverstehen" auslegen als "Überhören", soll
heißen, am eigentlichen biblischen Aussagegehalt
"vorbeihören", was in der Offenbarung des Johannes in
der Formulierung "Wer Ohren hat, der höre" begegnet
und womit dann wieder ein Rückschluss gezogen werden kann auf
das "Verstehen", weil eine Entwicklungsmöglichkeit und
-notwendigkeit des Hörens angezeigt wird. Und zugleich ist
indirekt wieder ausgesagt, dass nicht alle diese
Verstehens-Entwicklung durchlaufen werden, nicht einmal alle
Christen....
entnommen: 2. Das Streben
nach Erkenntnis, 10. Ist unsere Art, wissenschaftlich zu
denken, geozentrisch geblieben?, gerahmter Einschub "Ich und
die Einheitsübersetzung - grundsätzliche Anmerkungen zum
Übersetzungsvergleich", C. Vom Lesen zum Durchdenken der
Bibel.
2. Das Streben nach Erkenntnis
1. Thema dieses Menüpunktes:
Das Streben nach Erkenntnis
2. Schülersein (Lernen) und
Lehrersein (Lehren) fallen in eins
3. Ist Fragenstellen eine
Kunst?
4. Geistesgeschichtliches
Lernen führt zu Erkenntnis-Potenzierung und
Bildung
5. Hängt die Qualität einer
Forschung an der Qualität ihres Fragens?
6. Geistesgeschichtliche
Veränderung unserer Blickrichtung
7. Eine große
geistesgeschichtliche Umwälzung liegt hinter uns
8. Enge unserer
Erkenntniserwartung trotz Weite unserer
Wissenschaft?
9. Haben wir die platonische
Höhle verlassen oder sind wir jetzt erst richtig in ihr
drinnen?
10. Ist unsere Art, wissenschaftlich zu
denken, geozentrisch geblieben?
Gerahmter Einschub "Ich und die Einheitsübersetzung -
grundsätzliche Anmerkungen zm Übersetzungsvergleich"
A. Kirchenmusikalische Vorgeschichte
B.
Entstehung der Einheitsübersetzung, erste Bibellektüre und
Theologiestudium
C. Vom Lesen zum
Durchdenken der Bibel
D. Mein Hürdenlauf zur
Online-Nutzung der Einheitsübersetzung
a) Antragsformular
b) Einmaleins des Bibelverses
c) Einheitsübersetzung von 1980 nicht online?
E. Schlüsselstellen der Einheitsübersetzung von 1980
F. Ein Beispiel meiner Bevorzugung der Einheitsübersetzung von
1980
a) Joh. 21,22f: "bis zu meinem Kommen"
b) Erst-Begründung
c) Der komplexe biblische Kontext
d) Das Kommen - näher betrachtet: Wiederkunft Christi – Parusie
– Zweite Ankunft des Herrn
e) Frage nach dem Sinn des Weggehens Christi
f) Ist Christi Ausbleiben Parusie-Verzögerung oder vielmehr
Parusie-Ermöglichung?
g) Vorläufiges Überlegungs-Ende und Resümee
G. Zum weiteren Prozedere im Umgang mit den benutzten
Bibelübersetzungen
H. Die Papst-Frage und der Schafe-Weide-Auftrag
I. Die Schlüssel-Frage und das Wirken des Geistes
K. Das merkwürdige Auftrags-Splitting Jesu und die Frage nach
Aufgabe und Kompetenz der Schafe
L. Wettstreit der Konfessionen um den
Schlüssel-Besitz?
11. Muss
unsere Wissenschaft fürchten, überholt zu werden?
12. Vorläufiger Schluss und
Ausblick