Leseprobe 30 Vernunftgleichung

Aber dennoch machen wir derzeit noch diesen Prinzipien-Fehler in unserem Denken, dass das naturwissenschaftliche Umdenken von der Geozentrik zur Kosmozentrik geisteswissenschaftlich nicht angemessen nachvollzogen wurde, unschwer erkennbar an unserer Theologie, die offenbar nicht erkannt hat, dass mit Preisgabe der Geozentrik auch die Situation des Gotteswortes eine andere „geworden ist“, so dass unser theologisches Denken (und unser Glaube!) umgedacht und angepasst werden muss: Uns liegt gar nicht „das Wort Gottes“ vor, welches universale, abstrakt-allgemeine Gültigkeit hätte, als wäre das Evangelium gleichsam ein kosmisches Rundschreiben an sämtliche Menschheiten oder Sinnenwesen jedweder Art, sondern uns liegt lediglich vor: „unser Wort Gottes“, das sich auch auf unsere Situation in der Sünde bezieht, die uns in ein „Jenseits Gottes“ (-> re-ligio) eintreten ließ, aus welchem uns unser Evangelium (von der Vergebung unserer Sünde) wieder heraus- und zurückführen will ins Diesseits des Reiches Gottes (ligio), in welchem sich andere Menschheiten möglicherweise kontinuierlich und ungebrochen in ihrer Geschichte befinden, die ein "Evangelium" gar nicht brauchen, weil ihnen nicht das widerfahren ist oder weil sie nicht das "verbrochen" haben, was dieser userer Erdenmenschheit widerfahren ist oder was wir uns nun einmal - irgendwann und irgendwie - "geleistet" haben.

Die Bibel selbst hat damit nicht primär einen kosmologischen Bezug, sondern einen anthropologischen (und geo-logischen), näher sogar einen abnorm-anthropologischen Bezug, so dass wir auch sagen können: Die Natur und Norm des Menschseins ist uns gar keine Bekannte, sondern eine Unbekannte, denn beide – Natur und Mensch – kennen wir nur noch im Status des Gefallen seins, nicht mehr im Status des Intakt seins: „Wir sind uns selbst transzendent, undurchsichtig, unbekannt!!!“ – Das sagt uns unsere Bibel, obwohl wir aus uns selbst heraus das Gegenteil behaupten möchten und hierbei nur unsere „Abnorm“ beschreiben (und als "Gegenargument" heranziehen) können, nicht aber unsere „Norm“.

Aus diesem Grund kann der christliche Glaube in Wahrheit auch nicht mit dem Aristotelismus (und seiner heidnischen Naturlehre) zusammengehen, weil daraus eine Verschiebung der wahren oder Glaubens-Verhältnisse resultiert:

                                                                     Natur                      -              Über-Natur (als außerordentliches Wirken Gottes, thomistisch gedacht)

Der Glaube setzt nicht in der Natur an, sondern unterhalb ihrer, und dann resultiert:

         Gefallene Natur                     -              Natur (als Wirksphäre Gottes)

Und hieraus ergibt sich das außerordentliche oder Korrektur-Handeln Gottes und die Natur-Gleichung:


       Gefallene Natur + Heilsgeschichte  =  Natur

         (außerordentliches Wirken Gottes)           (ordentliche Wirksphäre Gottes)

Oder, geistesgeschichtlich gesehen, die Vernunft-Gleichung des Glaubens:


                                                            Gefallene Vernunft + Heiliger Geist = (natürliche) Vernunft

Das Denken, das wir hier und heute haben, ist nicht mehr „natürlich“, sondern es ist schon – nun ja – verkorkst, verdorben. Das kann diese unsere Vernunft aber nicht aus sich selbst heraus sehen und nicht wissen, weil sie keinen Bewertungsmaßstab ihrer selbst besitzt (außer dem falschen, gefallenen). Deshalb ist die aristotelische Naturlehre falsch, und deshalb ist auch die thomistische Naturlehre falsch, weil sie – mit Aristoteles - falsch (heidnisch) ansetzt, obwohl sie den Glauben in seiner ontologischen Korrekturfunktion bereits erkannt hat. Und so geht Thomas – falsch - mit Aristoteles von „der Natur“ aus, korrigiert aber die aristotelische Naturlehre dann nach oben (Gnade = übernatürlich), anstatt – anders als Aristoteles - unterhalb der Natur anzusetzen und diese „Unter-Natur“ zur „Natur“ hin zu korrigieren, so dass Gottes außerordentliches Heilshandeln zu einer Wiederherstellung der ursprünglich intakten Natur wird, die das ordentliche Wirken Gottes immer in sich enthielt.

Der Glaube ist der Bewertungsmaßstab und die Korrekturfunktion unserer Vernunft. Und die menschliche Vernunft kann diese Korrektur entweder dankend annehmen oder aber ausschlagen, als überflüssig oder falsch, indem sie sich – blind – selbst für „natürlich“ erklärt.

Man kann daher sagen, Luther habe den sich selbst missverstehenden (römisch-katholischen) Glauben evangelisch zurechtgerückt, indem er nicht „Mensch“ und „Gott“, sondern den „sündigen Menschen“ in seinem Bezug zum „rettenden Gott“ zum Gegenstand der Theologie bestimmt.

"In seiner Vorlesung über Ps. 51 hat Luther den schuldigen und verlorenen Menschen sowie den rechtfertigenden und erlösenden Gott als den eigentlichen Gegenstand der Theologie bezeichnet (WA 40 II, 328, 1f. ...ut proprie sit subiectum Theologiae homo reus et perditus et deus iustificans vel salvator)."

(entnommen: Bernhard Lohse, Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk, zweite, durchgesehene Auflage - München:Beck 1983, S. 152.)

Unser derzeitiges Bezugssystem ist die „gefallene Natur“, und durch das Handeln Gottes und Wirken des Geistes bewegen wir uns auf das Bezugssystem „Natur“ erst wieder zu, so dass wir derzeit nicht einmal die Norm des Menschseins resp. Vernunft-Habens sehen und bestimmen können. Wir kennen unsere eigenen geistigen Fähigkeiten nicht! Wir sehen uns also – ohne Evangelium – unter Wert und Vermögen, unter Macht und Potenz. Kant konnte also (bestenfalls) die „gefallene Vernunft“ vermessen und hat sie dann – aufklärerisch-falsch (und unchristlich, sagen wir: heidnisch) – als „natürliche Vernunft“ ausgegeben.

Außerhalb des Glaubens sind diese Verhältnisse schlechterdings unerkennbar, so dass der Mensch von sich aus weder die Natur noch sich selbst noch sein wahres Vernunftvermögen richtig sehen und beurteilen kann. Gegen Kant formuliert: Nicht die Selbstbestimmung der Vernunft führt zu einem zusätzlichen, erweiternden Glaubens-Raum, sondern der Glaubens-Raum gibt das wahre Vernunftvermögen erst frei, das sich in einer (kantischen) Selbstvermessung gänzlich unterwertig bestimmt, nämlich nach dem Unterwert eines sündebedingten Blind-geworden-seins, das als natürliches Sehen nur vor sich selbst erscheint. Nicht die Vernunft gibt den Rahmen vor für den Glauben, sondern der Glaube gibt den Rahmen vor für die Vernunft, die nämlich viel größer ist (in ihrer Natürlichkeit), als sie selbst schon ermessen kann (in ihrem Gefallen sein, das sie fälschlich und glaubenslos zur Natürlichkeit erklärt und erklären muss).

entnommen: 3. ABC-Versuch einer neuen Wahrnehmung des alten Seins, aus der angenommenen Misere-Situation unserer Gegenwart der Moderne heraus, dort unter G 15 b1).

G. NEUE WAHRNEHMUNG
   14. Zu meiner Person
   15. Zu meinem Denken
     
a) Ursachen oben: Das Gestoßen werden meines Denkens - Einschläge des Außerirdischen
        
a1) Richtungsstoß 1: Ein Schlüsselerlebnis mit einem Schlüssel (im Vorschulalter)
        
a2) Richtungsstoß 2: Eine Präexistenz-Erinnerung mit einer himmlisch-irdischen Auftragserteilung (im begonnenen Grundschulalter)
        
a3) Richtungsstoß 3: Neue Leiberfahrung durch Strömungsbewegungen (seit den ersten Studienjahren)
     
b) Wirkungen unten: Mein Denken in Richtung Vergeistigung des menschlichen Lebens
        
b1) Ein neuer Blick in die Bibel: Relative Gültigkeit des Wortes Gottes?
        
b2) Noch ein neuer Blick in die Bibel: Biblisches Hinaufhören und In-Sein führt in die Geistwelt
  
16. Zum Wissenschaftskriterium der Nachprüfbarkeit
   17. Rechenprobe „Geburtshoroskop“: Nachweis einer kontinuierlichen Verbindung des Unten mit dem Oben?
   18. Offene Frage