Leseprobe 6

                                                           Die Doppelung des Geistes ist eine theologische Erfindung

Und es scheint mir eine Ausflucht bzgl. der Geistproblematik zu sein, wenn kirchen- und theologiegeschichtlich eine Unterscheidung zwischen „geistig“ und „geistlich“ eingeführt wurde, als gäbe es zweierlei Geist im Sein, einen „bloß“ weltlichen (Sachlichkeit) und einen religiös-geistlichen (Frömmigkeit). Das ist m.E. Unsinn, eine Pseudo-Unterscheidung, die entnominalisiert gehört; aber vielleicht ein Unsinn mit Methode? Denn auf dieser Unterscheidungsgrundlage kann nun eine „eigenständige Geistlichkeit“ behauptet werden, die sozusagen ihre „eigene Reinheitssphäre“ bewahrt, indem sie sich von dem sich in der Welt entwickelnden Geist des Menschen fernhält und kaum oder unzureichend von ihm Kenntnis nimmt. So ist – über den Pseudo-Terminus „geistlich“ - eine lebensfremde, abstrakte und damit in sich unangreifbare „Fadenscheinigkeit des Geistes“ auf den Weg gebracht, die ganz bewusst kein fundamentum in der weltgeschichtlichen res mehr hat und die hier und heute, im Papsttum der Moderne, Gestalt angenommen hat.


Denn: Wie tritt der Papst heute vor den Menschen auf? Mit der Geste ausgestreckter Arme, in „göttlicher Einfältigkeit“, was besagen soll „Kommet her zu mir, alle – zu mir in meiner Reinigkeit und Harmlosigkeit, in meiner Heiligkeit und Heilsgeschichtlichkeit, in meiner puren Gottesgefolgschaft“ usw. Wir sehen heute in der römisch-katholischen Kirche unter ihrer Papstführung ein „Welttheater scheinbarer Christlichkeit“ aufgeführt. Warum scheinbar? Weil der Papst sich als Repräsentant der Christlichkeit (und Stellvertreter Christi) in der Welt gibt. Er führt sein Amt aus als Repräsentation des Christlichen in der Welt: „Seht her – so muss man als Christ sein.“

Die Christlichkeit als solche ist hierbei als „gesichert“ schon vorausgesetzt, gesichert über eine 2000-jährige Tradition, die als der konkrete Wesenskern der weltgeschichtlichen res gesehen wird. Alles andere ist (und muss sein) abstrakter, unwesentlicher Geschichts-Tand. Und deshalb ist es indiskutabel geworden, diese Tradition und Christlichkeit anzuzweifeln, ein In-Frage-Stellen verbittet sich, kommt nicht mehr in Frage. – Dies sei hier „festgestellt“, vor dem Hintergrund des philosophischen Ausgangspunktes dieses Gedankenganges in der „Fragwürdigkeit“.

Entsprechend gilt das Augenmerk der (römisch-katholischen) Christenheit, wenn ein neuer Papst gewählt ist, der Frage, was denn nun diesen neuen Papst, der ab jetzt die Christenheit und Christus repräsentieren soll, individuell auszeichne, z.B. das Reisen (Johannes Paul II. resp. Karol Wojtyla). Analog wird auch bei der Wahl eines neuen Bundespräsidenten gefragt, was denn diesen besonders auszeichne, z.B. das Wandern (Karl Carstens). Nur: Beim Bundespräsidenten ist die Frage richtig und am Platz, denn er hat tatsächlich eine ausdrückliche Repräsentativfunktion. Er repräsentiert den Staat, die Nation. Genau dafür ist er da, wobei er, aufgrund dieser hoheitlichen Gesellschaftsstellung, dann auch als Zensor und Sittenwächter auftreten kann (und soll). Letzteres macht der Papst auch, indem er hie und da, gerne bei offiziellen Anlässen innerhalb des Kirchenjahres, verlauten lässt: „Seht her, dieses und jenes in der Welt ist nicht in Ordnung. Das muss anders werden. Es ist (noch) nicht christlich.“ Der Papst lenkt die Aufmerksamkeit auf Dinge, die in der Welt nicht in Ordnung sind, Dinge anderswo, denn: Bei sich selbst ist ja alles bestens in der Ordnung, so scheint es. Welche Art von Ordnung ist das? Eine Verwaltung. Die (römisch-katholische) Christenheit wird heute päpstlich-kurial verwaltet.

Anmerkung: Leseprobe 14 ist die Fortsetzung dieses Textes (und Leseprobe 11 ist der Kontext zu Leseprobe 14).

entnommen: 3. ABC-Versuch einer neuen Wahrnehmung des alten Seins, aus der angenommenen Misere-Situation unserer Gegenwart der Moderne heraus, dort unter I 35.

I. SCHLUSS - Teil 1

   27. Im Ende liegt der Anfang
   28. Das Rufen des Geistes - hindurch durch seinen Verruf
   29. Verschlingung des Anfangs ins Ende – Bogen-Technik und Lagen-Wechsel der Bibel
   30. Die Musik ertönt, indem das Instrument „verschwindet“
   31. Das Soziale muss zum Chorgesang werden
   32. Warum ich mein Buch nicht mehr „ordnungsgemäß“ zu Ende schreiben kann
   33. Das letzte Buch unseres Buches enthält unseren Geschichtsweg

I. SCHLUSS - Teil 2

   34. Die Schlüsselgewalt liegt im Erkennen
   35. Warum verweigert Jesus seinem „Felsen Petrus“ die Kommunikation?
   36. Wird die Petrus-Tradition von den Pforten der Unterwelt überwältigt werden?